Top Left Link Buttons

madeleine

Author Archives

Webcast – Finanzkrach treibende Dynamik hinter der Kriegsgefahr

Obwohl die strategische Situation um Rußland und die NATO nach wie vor höchst gefährlich ist, erklärte Helga Zepp-LaRouche heute, daß es eine Veränderung gegeben habe. Putin sei es gelungen, eine Diskussion über die Sicherheitsbedenken Rußlands zu provozieren, und es sei ihm gelungen, deutlich zu machen, daß eine Nation oder ein Block von Nationen seine Sicherheit nicht auf Kosten anderer verbessern dürfe. Sie stellte fest, daß das Treffen zwischen Deutschlands Bundeskanzler Scholz und Präsident Putin Fortschritte geschaffen hat, auch wenn die transatlantischen Kriegsfanatiker weiterhin darauf beharren, daß Rußland „jeden Tag“ einmarschieren könne.

In einem Bericht über eine Botschaft der ukrainischen Staatsfrau Natalia Vitrenko sagte sie, die Lage in der Ukraine sei nach wie vor sehr kompliziert, aber die Möglichkeit eines Minsk-2-Abkommens als Teil einer umfassenderen Helsinki-2.0-Diskussion könnte einen Wandel ermöglichen, bei dem die Ukraine zu einer Brücke zwischen Ost und West wird und nicht zu einem Kriegsgebiet. Es ist bemerkenswert, daß die Teilnehmer an den Gesprächen am Ende des Kalten Krieges, der ehemalige französische Außenminister Dumas und der ehemalige US-Botschafter in Rußland Matlock, sich öffentlich zu Wort gemeldet haben, um den Ursprung der Krise richtig zu stellen, d.h. das gebrochene Versprechen des Westens, daß es zu keiner Osterweiterung der NATO kommen wird, was die historische Wahrheit gegenüber den verlogenen Erzählungen von transatlantischer Seite offenlegt.

Sie rief alle Zuschauer auf, sich an der Mobilisierung für die Konferenz des Schiller-Instituts am 19. Februar zu beteiligen, damit deutlich wird, daß es eine Alternative zum wirtschaftlichen Zusammenbruch gibt, der dem Kriegstreiben zugrunde liegt, und das ist das einzigartige Lösungskonzept von Lyndon LaRouche.


Deutsch-französischer Aufruf an Frankreich, die NATO zu verlassen und die P5 zu stärken

In einem Gastkommentar der französischen „souveränistischen“ Wochenzeitung Marianne sprechen sich Peter Dittus und Hervé Hannoun für einen französischen Austritt aus dem integrierten Kommando der NATO aus. Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Peter Dittus ist ehemaliger Generalsekretär der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), während der Franzose Hannoun deren stellvertretender Generaldirektor war.
Ihre Argumente sind auch in ihrem neuen Buch mit dem Titel „OTANexit: Urgence Absolue“ enthalten, das am 16. Januar erschienen ist.

Es folgt der vollständige Text des Gastkommentars in Marianne


Angesichts der Ukraine-Krise ist der NATO-Austritt Frankreichs ein absoluter Notfall

Von Hervé Hannoun und Peter Dittus

Im Bruch mit der von de Gaulle, Giscard und Mitterrand 43 Jahre lang verfolgten Politik der Blockfreiheit wurde Frankreich 2009 wieder Mitglied des Integrierten Militärkommandos der NATO, ohne daß die Franzosen in einem Referendum dazu befragt worden wären. Die aktuelle Ukraine-Krise offenbart die ernsten Gefahren, denen sich Frankreich aussetzt, wenn es an eine Verteidigungsorganisation für kollektive Sicherheit gebunden ist, die unter dem Kommando der USA steht und expansiv geworden ist.
Seit November 2021 sind die Franzosen wie alle anderen Völker des Westens einer beispiellosen, von den USA und der NATO geleiteten Konditionierungskampagne wegen einer „bevorstehenden russischen Invasion der Ukraine“ ausgesetzt, die als eine Episode der Desinformation in die Geschichte eingehen könnte, ganz in der Tradition der fabrizierten Geheimdienstinformationen über Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen im Jahr 2003.
Wie sieht die Realität aus? Millionen russischsprachiger Ukrainer in den beiden selbsternannten Volksrepubliken im Donbass leben unter gelegentlichem Beschuß und Bombardements der ukrainischen Armee gegen separatistische Kräfte. Die Konzentration russischer Truppen an den Grenzen der Ukraine soll Kiew offensichtlich von dem Versuch abhalten, die direkte Kontrolle über die Enklaven Donezk und Lugansk gewaltsam zurückzuerlangen. Die erfolgreiche Desinformation der NATO über die Ukraine bestand darin, Putins moralische Verpflichtung zur Verteidigung dieser russischsprachigen Bevölkerungsgruppen – denen die Ukraine schrittweise das Recht nehmen will, ihre Sprache zu sprechen – als Auftakt zur vollständigen Annexion der Ukraine durch Rußland darzustellen.


Der Mythos einer „bevorstehenden russischen Invasion“


Die NATO hat erreicht, eine Konzentration russischer Truppen, die bereit sind, den russischsprachigen Ukrainern im Donbass zu Hilfe zu eilen, als „bevorstehende russische Invasion“ der gesamten Ukraine, einschließlich Odessa, Charkiw und Kiew, darzustellen. Eine solche Invasion ist verrückt und Rußland schließt sie in Wirklichkeit völlig aus… es sei denn, man würde durch einen möglichen vorherigen ukrainischen Angriff auf den Donbass dazu gedrängt werden.
Der einzige Krieg, den die NATO zu gewinnen scheint, ist der Krieg um Informationen. Wir zeigen in unserem Buch eine deutsche Propagandalandkarte in der Bild-Zeitung vom 4. Dezember 2021, die einen imaginären Detailplan der „bevorstehenden russischen Invasion“ zeigt. Die Rolle der Propaganda ist aufgrund des massiven Hasses, den die Lügen auf beiden Seiten erzeugen, erschreckend. Auf Seiten der NATO erinnert die aggressive und kriegerische Rhetorik von Generalsekretär Jens Stoltenberg unwiderstehlich an die berühmte Orwellsche Umkehrung: „Frieden ist Krieg“.


Was wäre, wenn Frankreich die Lösung hätte?


Paris muß sich der militärischen Spirale entziehen, in die die USA und die NATO Frankreich hineinziehen wollen. In den kommenden Wochen darf es sich nicht in einen Krieg im Osten Europas verwickeln lassen, der nicht der seine ist. Frankreich hat sich bereits bereit erklärt, im Rahmen der NATO Hunderte von Soldaten in eine „Kampfgruppe“ in Estland zu entsenden. Am 1. Januar übernahm es die Führung der schnellen Eingreiftruppe der NATO (VJTF), die mindestens 7.700 französische Soldaten umfaßt. Präsident Macron hat gerade die mögliche Entsendung von 1.000 französischen Truppen nach Rumänien im Rahmen der NATO-„Ostflanke“ in der Schwarzmeerregion angekündigt. Eine militärische Eskalation ist gefährlich. Für die Sicherheit der Franzosen muß es im Gegenteil ausgeschlossen werden, die französische Armee unter dem Banner der NATO in einen Krieg in der Ukraine oder in Weißrußland zu verwickeln.
Stattdessen verfügt Frankreich über eine diplomatische Waffe zur Lösung der schweren Krise zwischen der NATO und Rußland. Auslöser dieser Krise war die Hartnäckigkeit, mit der Jens Stoltenberg und die Amerikaner seit 2018 einen schleichenden Prozeß der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine betreiben, die sogenannte „Politik der offenen Tür“, die von Rußland als Bedrohung seiner Sicherheit angesehen wird. Um die laufende Konfrontation zu beenden, müßte Präsident Macron im Namen Frankreichs lediglich erklären, daß sein Land sich jedem Antrag der Ukraine auf Mitgliedschaft in der NATO widersetzen werde.
Da Entscheidungen über den Beitritt zum Bündnis Einstimmigkeit erfordern, kann Frankreich ein Vetorecht ausüben. Damit würde der Präsident zu seinen Zusagen stehen, die er während seiner Präsidentschaftskampagne 2017 gemacht hatte, nämlich die NATO-Erweiterung um die Ukraine nicht zu unterstützen. Dies wäre ein eleganter Ausweg aus der Krise. Leider hat der französische Präsident bei seinem Besuch in Moskau und anschließend in Kiew am 7. und 8. Februar 2022 diese einfache Lösung nicht in Betracht gezogen, da sich die französische Diplomatie in den NATO-Gremien nicht gegen die verrückte „Politik der offenen Tür“ für den Beitritt der Ukraine und Georgiens zur NATO ausgesprochen hat. Darüber hinaus unterstützt Frankreich die NATO und die G7 bei ihrer Forderung nach Rückgabe der Krim an die Ukraine, obwohl es genau weiß, daß dies nicht ohne einen Krieg, möglicherweise einen Atomkrieg, möglich ist.


Unterordnung unter Amerika

Zum Zeitpunkt des Referendums von 1992 über den Vertrag zur Europäischen Union konnte niemand ahnen, daß dieses große Friedensprojekt von Mitterrand und Kohl besonders nach 1998 durch das geopolitische Projekt der USA, de facto die Kontrolle über die gemeinsame europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik zu übernehmen, fehlgeleitet werden würde. Hintergrund war die gleichzeitige Erweiterung der Europäischen Union und der NATO um zehn osteuropäische Länder zwischen 1991 und 2007 und auch dank der folgenschweren Entscheidung von Präsident Sarkozy, 2008 die gaullistische strategische Position aufzugeben, sich nicht am Integrierten Militärkommando der NATO zu beteiligen.
Als 21 der 27 EU-Länder, darunter Frankreich, Vollmitglieder der NATO wurden, war das ein Verrat am ursprünglichen Geist von Maastricht, da das „Europa für den Frieden“ durch die Einmischung der USA mit ihren eigenen geopolitischen Zielen in die Gemeinsame Europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik unweigerlich konterkariert werden würde. Eine unabhängige französische oder europäische Verteidigung kann es unter den derzeitigen Rahmenbedingungen der Teilnahme Frankreichs und 21 anderer EU-Staaten am Integrierten Militärkommando der NATO in Wirklichkeit nicht geben. Das Konzept einer „strategischen Autonomie Europas“ innerhalb der NATO ist angesichts der Kontrolle der USA über dieses Bündnis eine Illusion. Die Europäische Union versucht, diesen grundlegenden Mangel hinter einem unklaren Konzept zu verbergen: dem „strategischen Kompaß“.
Die grundlegende Unvereinbarkeit zwischen der NATO unter Kontrolle der USA und einer unabhängigen französischen oder europäischen Verteidigung hindert unsere Politiker nicht daran, die These der Komplementarität zwischen EU und NATO im Bereich der Verteidigung zu vertreten, wie sie am 11. Dezember 2021 vom französischen Außenminister zusammengefaßt wurde: „Wir legen Wert darauf, daß die EU und die NATO sich gegenseitig ergänzen und stärken, um zur Stärkung der Sicherheit und Verteidigung in Europa beizutragen. Dies ist der Sinn des strategischen Kompasses, der während der französischen EU-Ratspräsidentschaft verabschiedet werden soll“.


Verteidigung: Sackgasse der „Gleichzeitigkeit“


Der „strategische Kompaß“ der EU ist in erster Linie ein Versuch, einen konzeptionellen Rahmen für die falsche Vorstellung zu schaffen, daß die „strategische Autonomie Europas“ gegenüber den USA mit der NATO-Mitgliedschaft der überwiegenden Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten vereinbar ist. Diese Komplementarität zwischen NATO und EU, die auf die Verteidigung angewandte „Gleichzeitigkeit“, ist eine Illusion. Die Logik der nationalen Unabhängigkeit ist dem verschwommenen und irreführenden Konzept der strategischen Autonomie und dem Streben nach Interdependenz und Interoperabilität mit unseren „Verbündeten“ gewichen.
Über die unmittelbare Krise um die Ukraine hinaus müssen die französischen Präsidentschaftswahlen am 10. und 24. April eine Entscheidung über die NATO-Frage bringen. Alle, die den Marsch der NATO in den an den Ostgrenzen der Europäischen Union schwelenden Krieg ablehnen, haben mit den Präsidentschaftswahlen 2022 die einmalige Gelegenheit, den Regierenden unseres Landes eine einfache und klare Friedensbotschaft zu übermitteln, kurz gesagt: NATO-Austritt. Es geht darum, einen Friedenskandidaten zum Präsidenten zu wählen, der sich verpflichtet, die Ausrichtung Frankreichs auf die NATO zu beenden.
Man kann davon ausgehen, daß der scheidende Präsident im Präsidentschaftswahlkampf eine Debatte über die Frage unserer militärischen Bündnisse in der NATO vermeiden möchte: Das Bündnis mit dem Abenteurertum der Angelsachsen, deren Arroganz durch die Affäre um die australischen U-Boote offensichtlich wurde, das unnatürliche Bündnis mit der islamistischen Türkei, das Bündnis mit dem polnischen Nationalismus und morgen vielleicht ein Bündnis mit einem Deutschland, das die NATO als Sprungbrett für seine Remilitarisierung nutzen könnte, oder auch ein Bündnis mit dem Kosovo gegen Serbien. Allein diese Aufzählung läßt die Risiken eines Systems kollektiver Sicherheit ermessen, das 30 bunt zusammengewürfelte Nationen umfaßt und von einer dieser Nationen allein dominiert wird.


Eine verfassungswidrige „Verteidigungsunion“

Am 7. Januar 2022 erlaubte sich die Präsidentin der Europäischen Kommission bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Präsident Macron in Paris eine föderalistische Erklärung, die ihre Vorrechte überschritt: „Wir sind uns einig, daß wir eine echte Verteidigungsunion brauchen“. In Anwesenheit von Präsident Macron sprach sie davon, daß die Wirtschafts- und Währungsunion künftig um eine „Verteidigungsunion“ ergänzt werden solle, ohne sich zu fragen, daß eine solche Erklärung gegen die Verfassung Frankreichs verstößt, die auf nationaler Unabhängigkeit, nationaler Souveränität und nationaler Verteidigung beruht. Wir müssen uns dem derzeit praktizierten schleichenden europäischen Föderalismus widersetzen, der keinen Ersatz für ein demokratisches Referendum darstellen kann, gemäß dem Verfahren, das 1992 von François Mitterrand für die im Vertrag von Maastricht vorgesehene Übertragung der Währungssouveränität angewandt wurde. Die Franzosen müssen das Konzept einer Verteidigungsunion unter dem Banner der NATO, das Ursula von der Leyen ihnen aufzwingen will, ablehnen.
Die derzeitige Ausrichtung Frankreichs auf die NATO durch seine Teilnahme am integrierten militärischen Kommando unter amerikanischer Führung ist für ein Land mit universeller Berufung wie Frankreich eine strategische Sackgasse. Das Land hat heute eine historische Rolle zu spielen, um den von den NATO-Schlafwandlern eingeleiteten Marsch in den Krieg in Europa zu stoppen. Der Austritt Frankreichs aus der NATO, der das Ende der Ausrichtung der französischen Sicherheitspolitik an den Vereinigten Staaten einläutet, wird in der Welt einen immensen Widerhall finden.
Er wird das Signal für die Unabhängigkeit Europas vom amerikanischen Exzeptionalismus, für die Wiederbelebung des Multilateralismus, für die Entstehung einer multipolaren Welt und für den schnellen Untergang des veralteten NATO-Rahmens sein. Frankreich wird dann seine universelle Berufung wiederfinden, zum weltweiten Gleichgewicht für den Frieden beitragen und dank seiner wiedergefundenen Unparteilichkeit eine vermittelnde Rolle innerhalb der P5 spielen, dem Konzert der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen (USA, Großbritannien, China, Rußland, Frankreich), einer P5, deren Zusammensetzung beibehalten und deren Rolle als Regulator des Weltfriedens erhöht werden muß.


„Wir müssen die Weltöffentlichkeit aufrütteln zu einer langfristigen Lösung für Afghanistan“

Von Alexander Hartmann, Chefredakteur Neue Solidarität

„Die humanitäre Krise in Afghanistan: auf dem Weg zu einer langfristigen Lösung“ lautete der Titel eines gemeinsamen Seminars, das der Russische Rat für Internationale Angelegenheiten (RIAC) – der führenden Denkfabrik, die dem Außenministerium angegliedert ist – und das Schiller-Institut (SI) am 10. Februar veranstalteten. Es befaßte sich mit den Ursachen der humanitären Krise in Afghanistan, den geopolitischen Auswirkungen eines gescheiterten Staates in Afghanistan, den erforderlichen Maßnahmen, um die unmittelbare Gefahr eines Massenverhungerns und das Flüchtlingsproblem zu beseitigen, und der Rolle der Weltmächte in einer langfristigen Lösung der humanitären Krise.

Neben Dr. Andrej Kortunow, dem Generaldirektor des RIAC, und Helga Zepp-LaRouche, der Vorsitzenden des SI, sprachen Iwan Safrantschuk, Direktor des Zentrums für Eurasische Studien der MGIMO-Universität, Temur Umarow, Fellow am Carnegie Moscow Center, Jim Jatras, US-Diplomat und ehemaliger Berater der Republikanischen Fraktion im US-Senat sowie der Autor und ehemalige CIA-Offizier Graham Fuller.

Andrej Kortunow verglich in seinen einführenden Bemerkungen die Erwartungen vor einem halben Jahr bei der Machtübernahme der Taliban mit den tatsächlich eingetretenen Entwicklungen. So habe sich keine moderatere und inklusivere Regierung gebildet, es sei keine schnelle Veränderung zu erwarten. Die humanitäre Katastrophe sei schrecklich, aber die Regierung könne dies überstehen, sie habe ihre Position im Land konsolidiert und es gebe keine Herausforderer von Bedeutung. Die internationale Gemeinschaft sei in Bezug auf den Umgang mit den Taliban noch genauso gespalten wie vor einem halben Jahr. Die Taliban würden zwar nicht als Regierung international anerkannt, aber Gesprächskanäle offen gehalten. Rußland müsse die Entwicklungen in Afghanistan im Licht der jüngsten Ereignisse in Kasachstan betrachten.

Helga Zepp-LaRouche beschrieb dann die schreckliche humanitäre Lage in Afghanistan. Diese Krise sei absehbar gewesen, daher stelle sich die Frage nach der Absicht der westlichen Politik: „Ist die Intention also, die Fähigkeit der Taliban, den Staat irgendwie aufrecht zu erhalten, soweit zu sabotieren, daß die Opposition – also auch ISIS, Al-Kaida, Drogenhändler, Warlords etc. – Oberwasser gewinnt? Die Folge wäre ein neuer blutiger Bürgerkrieg, eine Hölle, in der die Zivilbevölkerung, zwischen Verhungern, Erfrieren, COVID, Epidemien wie Polio, Masern, Denguefieber, Diarrhoe etc. aufgerieben wird und Millionen Flüchtlinge sich in die Nachbarländer und nach Europa zu retten versuchen.“

Als Alternative stellte sie ihren Vorschlag der „Operation Ibn Sina“ vor, eine Initiative, die humanitäre Krise in Afghanistan zu beheben, als ein gemeinsames Unternehmen, in dem die westlichen Mächte mit Rußland, China und anderen Ländern zusammenarbeiten können.

Dabei gehe es nicht nur um Afghanistan. „Es gibt keinen Platz auf dieser Erde, an dem die moralische Überlebensfähigkeit der menschlichen Gattung so sehr getestet wird, wie in Afghanistan. Es ist nicht unsere Sicherheit, die am Hindukusch verteidigt wird, wie der damalige Verteidigungsminister Peter Struck behauptet hatte, sondern unsere Menschlichkeit.“ (Den Text ihrer Ausführungen finden Sie auf Seite 3.)

„You break it, you pay for it” – „Wer etwas kaputt macht, der muß es bezahlen”: Mit diesem Sprichwort eröffnete der langjährige Politikberater James Jatras seine Ausführungen. Tatsächlich müsse der Westen schon seit 20 Jahren den Preis dafür zahlen, daß er Afghanistan zerstört. Trotz Billionen-Dollar-Ausgaben für den Militäreinsatz habe der Westen nach 20 Jahren in Afghanistan nichts vorzuweisen. Das Problem sei aber, daß nicht nur Gutes unterlassen wird, sondern eine Absicht besteht, das Land zu schädigen. Das gelte genauso für Syrien. „Was ist die Mentalität der westlichen Mächte, die diesen Zustand herbeigeführt haben?“ Ihnen gehe es darum, die Integration Eurasiens zu verhindern. Die Alternative sei das, was Helga Zepp-LaRouche vorschlage, aber er sehe keine Anzeichen dafür, daß Washington dazu bereit sei. „So weit sind wir noch nicht.“

Die Krise in Afghanistan sei sehr kompliziert, konstatierte Temur Umarow. Die internationale Gemeinschaft stehe vor dem Dilemma, daß sie etwas gegen die Krise tun muß, aber es im Land keine von ihr anerkannte Regierung gibt, mit der man zusammenarbeiten kann. Die Hilfe sei aber notwendig, weil sonst noch sehr viel schlimmere Probleme entstehen, die weitreichende Konsequenzen für die Zukunft hätten. Rußland und China wollten vor allem ihre eigene Sicherheit schützen, ohne sich in die inneren Angelegenheiten Afghanistans hineinziehen zu lassen. Usbekistan habe eine andere Haltung, es wolle Afghanistan stabilisieren. Diese Haltung sollten auch die anderen Länder übernehmen, doch sie verfolgen nur ihre eigenen Ziele. Man sollte aber die Bereitschaft auch der kleineren Länder, etwas zu tun, nicht ignorieren.

Graham Fuller begann seinen Vortrag auf Russisch, um „zu zeigen, wo der Fehler liegt“: Als er vor Jahren in Afghanistan stationiert war, sei die russische Sprache für seine Arbeit wichtiger als die einheimische Sprache gewesen. Afghanistan werde immer nur als Schachfigur bei der Verfolgung eigener Interessen betrachtet. „Das müssen wir ändern, das ist der erste Schritt.“ Die Frage sei, was die wahren eigenen Interessen sind: „Wenn man das Ganze als ein strategisches Schachspiel betrachtet, kommt man zu dem einen Ergebnis, wenn man auf Stabilität schaut, zu einem anderen.“ Um die Probleme zu lösen, müßten die USA mit drei Ländern in der Region zusammenarbeiten – China, Rußland und dem Iran -, die sie derzeit als „Feindstaaten“ einstufen, aber solange diese Haltung vorherrsche, gebe es keine Lösung. Diese Haltung habe schon viele Katastrophen für die amerikanische Diplomatie verursacht.

Iwan Safrantschuk unterstützte Fullers Forderung, dem gesunden Menschenverstand zu folgen. Der Westen habe Afghanistan im Stich gelassen und überlasse es sich selbst. Es gebe Länder, die nicht wollen, daß die Taliban-Regierung kollabiert, und es gebe eine weitere Gruppe von Ländern, die sich neutral verhalten. Aber es gebe auch Länder, die den Kollaps der Taliban-Regierung wollen, um dadurch ein regionales Problem zu schaffen, beispielsweise durch eine Flüchtlingskrise. „Wenn äußere Akteure die Krise in dieser Weise ausnutzen, dann werden die Konsequenzen jeden treffen.“

Die Weltöffentlichkeit aufrütteln

In der anschließenden Diskussion widersprach Helga Zepp-LaRouche Safrantschuks Aussage, die Lage in Afghanistan sei „noch nicht so schlimm, daß der Westen sich genug schämt, um etwas zu tun“. Tatsächlich herrsche in Afghanistan schon die schlimmste humanitäre Krise auf dem gesamten Planeten, das gehe aus allen offiziellen Zahlen von UN, Welternährungsprogramm und UNICEF zweifelsfrei hervor. Aber seit etwa Mitte September werde darüber in den etablierten Medien nicht mehr berichtet. „Denn wenn man zugeben würde, wie schlimm die Lage tatsächlich ist, dann würde die Weltöffentlichkeit sich wirklich aufregen, besonders in den islamischen Ländern und den sogenannten Entwicklungsländern. Deshalb versuchen die Medien, diese Informationen zu unterdrücken.“ Daher sei eine der Aufgaben der Operation Ibn Sina, „die Weltöffentlichkeit in Bezug auf die wahre Dimension der humanitären Krise aufzurütteln und ihr Empfindungsvermögen wachzurufen… Das ist die Fähigkeit, die Menschheit leidenschaftlich zu lieben und keinen Völkermord zuzulassen!“

Die Lage sei kein Zufall, alle hätten gewußt, was geschehen würde, wenn die NATO ihre Truppen abzieht und die internationale Hilfe eingestellt wird. Das alles werde auf die westlichen Länder zurückschlagen. „Beim Nürnberger Tribunal wurde gefragt, was man über die Verbrechen wußte, die verübt wurden. Und wenn man ganz einfach helfen könnte, indem man die Gelder freigibt, die in den amerikanischen und europäischen Banken liegen, dann stellt sich die Frage der Schuld! … Ich denke, wir sollten etwas energischer darin sein, etwas nicht zuzulassen, was unglaublich ist! Es geht hier nicht darum, etwas nur zu kommentieren. Es geht darum, Kräfte in aller Welt zu mobilisieren, um eine unerträgliche Situation zu beheben!“

Für Jim Jatras ist die Verweigerung der Gelder und das Festhalten an den Sanktionen eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. „Es ist schwierig, darüber zu reden, was wir für Afghanistan tun können, solange wir nicht aufhören, Afghanistan diese Dinge anzutun.“ Die Nachbarländer seien alle daran interessiert, daß Afghanistan stabil ist und seinen Nachbarn keine Probleme bereitet. Die Amerikaner und Briten hingegen hätten kein Interesse an Afghanistan. „Aber leider sehen die Leute, die im Westen die Politik bestimmen, ein Interesse, irgendwelche Vereinbarungen zur Stabilisierung Afghanistans zu stören.“

Graham Fuller betonte: „Ich denke, die Vereinigten Staaten durchleben eine Periode eines gewaltigen psychologischen Traumas. Sie müssen sich mit der Tatsache abfinden, daß sie nicht mehr in der Lage sind, dem Rest der Welt die Meinungen zu diktieren oder zu prägen, und davon ausgehen können, daß man ihnen folgt. Es ist schmerzhaft für sie, anzuerkennen, daß es andere große Staaten auf der Welt gibt, die zunehmend mitreden können.“ Eine Änderung der Haltung sei eher in Europa zu erwarten. „Europa ist in der Lage, Amerika angesichts dieses Wandels zu helfen, eine viel multilateralere Welt zu akzeptieren, in der man die Länder nicht mehr daran messen muß, welche Rolle sie im großen internationalen Ringen spielen.“

In seinem Schlußwort betonte Andrej Kortunow: „Es ist unwahrscheinlich, daß wir zu einem Konsens gelangen, was in Afghanistan geschieht und was getan werden kann. Aber das sollte uns nicht daran hindern, diesem Land gemeinsam humanitäre Hilfe zu leisten.“ Helga Zepp-LaRouche stimmt ihm zu, daß man zuerst die humanitäre Krise anpacken muß. Sie betonte:

„Wir brauchen einen zweifachen Ansatz. Wir brauchen eine internationale Mobilisierung für humanitäre Hilfe, Medizin, Nahrungsmittel – Nahrung ist in dieser Lage Medizin. Wir brauchen Nahrungsmittellieferungen, medizinische Dinge müssen geliefert werden. Wir brauchen ein modernes Gesundheitssystem, es gibt COVID, es gibt alle diese anderen Krankheiten, also brauchen wir Krankenhäuser…

Und die zweite Ebene ist natürlich der Aufbau der Wirtschaft in Afghanistan, und das kann nur geschehen, wenn Afghanistan in die Projekte in der Region eingebunden wird, die bereits als Teil der Gürtel- und Straßen-Initiative vorhanden sind.“

Anstatt über die Lage zu verzweifeln, sollte man diese Idee der Operation Ibn Sina in die westlichen Länder bringen und an sie appellieren, jetzt einen Schritt zu tun und zu helfen. „Vereinigen wir also unsere Bemühungen und schaffen wir eine Bewegung für Entwicklung. Frieden durch Entwicklung, das muß unser Slogan sein.“


Xi und Putin treffen sich und rufen zu einer „neuen Ära der Entwicklung“ auf

Kurz vor ihrer Teilnahme an der Eröffnungsfeier der XXIV. Olympischen Winterspiele in Peking am 4.2. führten die Präsidenten Xi Jinping und Wladimir Putin umfassende Gespräche, kündigten 15 wirtschaftliche und politische Vereinbarungen an und veröffentlichten eine „Gemeinsame Erklärung der Russischen Föderation und der Volksrepublik China zu den internationalen Beziehungen, die in eine neue Ära eintreten, und zur globalen nachhaltigen Entwicklung“.

Das 16seitige Dokument, das vier Bereiche von strategischer Bedeutung abdeckt, ist vor allem ein Aufruf zum Handeln und beruht auf dem Bekenntnis zum wirtschaftlichen Fortschritt als Grundlage für Sicherheit. Im ersten Abschnitt wird das „einseitige Vorgehen“ einiger Nationen und Personen angeprangert, die sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen und Konfrontationen schüren, „wodurch Entwicklung und Fortschritt der Menschheit behindert werden“.

Die Demokratie sei ein universeller Wert, und kein Staat sollte versuchen, „seine eigenen ,demokratischen Standards‘ anderen Ländern aufzuzwingen“.

Im zweiten Abschnitt wird wirtschaftliche Entwicklung als „Schlüsselfaktor für die Gewährleistung des Wohlstands der Nationen“ und damit deren Sicherheit hervorgehoben. Dazu ist eine tiefere Integration der Gürtel- und Straßeninitiative und der Eurasischen Wirtschaftsunion geplant.

Der dritte und längste Abschnitt befaßt sich mit „ernsten Herausforderungen an die internationale Sicherheit“ – er rief in westlichen geopolitischen Kreisen die größte Bestürzung hervor. Die beiden Präsidenten sprechen sich gegen eine weitere NATO-Erweiterung aus und fordern sie auf, die Tendenz zum Kalten Krieg aufzugeben. Sie unterstützen Rußlands Vorschläge für „langfristige rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien in Europa“. Rußland „bekräftigt seine Unterstützung für das Ein-China-Prinzip“ und bestätigt, daß Taiwan ein unveräußerlicher Teil Chinas ist.

Im vierten Abschnitt wird den Vereinten Nationen eine „zentrale koordinierende Rolle in internationalen Angelegenheiten“ zuerkannt und zu Zusammenarbeit statt Konfrontation zwischen den Weltmächten aufgerufen.

Klügere Köpfe in der transatlantischen Welt, einschließlich unseres Nachrichtenbriefes, haben schon lange darauf hingewiesen, daß die Konfrontationshaltung der NATO-Länder gegen Rußland und China nur zu einer Stärkung der Beziehungen zwischen beiden Ländern führen kann. Dies wurde gerade von Wladimir Putin und Xi Jinping persönlich unmißverständlich bestätigt. Das „Britische Empire“ bleibt außen vor, was der Londoner Daily Telegraph eloquent ausdrückt (s.u.). Doch anstatt sich über zunehmende Feindseligkeiten aufzuregen, sollten verantwortungsbewußte Politiker in Europa und den USA dem Rat von Helga Zepp-LaRouche vom 5.2. folgen und „ihre ideologische Brille abnehmen“, um die „außerordentlichen Chancen für die ganze Welt“ durch eine Zusammenarbeit für die gemeinsamen Ziele der Menschheit zu erkennen.


Helga Zepp-LaRouche: Afghanistan: eine Hölle auf Erden

Beim Internetseminar „Die humanitäre Krise in Afghanistan: auf dem Weg zu einer langfristigen Lösung“ des Russischen Rats für Internationale Angelegenheiten und des Schiller-Instituts am 10. Februar hielt Helga Zepp-LaRouche das folgende Eingangsreferat.

Afghanistan: eine Hölle auf Erden

Von Helga Zepp-LaRouche

Wer auch immer nach der Machtübernahme der Taliban im August für den Erlaß von Sanktionen gegen Afghanistan und das Einfrieren der afghanischen Guthaben in den USA und Europa verantwortlich ist, ist auch für dies verantwortlich: Laut dem deutschen UNICEF-Chef Christian Schneider befinden sich in Afghanistan akut eine Million Kinder unter fünf Jahren in einem Zustand, in dem sie in Deutschland auf der Intensivstation behandelt würden. D h. sie werden unter den jetzt gegebenen Bedingungen wahrscheinlich sterben. 8,7 Millionen Menschen befinden sich laut der UN in einem fortgeschrittenen Zustand des Verhungerns, 24,4 Millionen Menschen, das sind 55% der Bevölkerung, sind in einer Notsituation, d.h. es fehlt an allen Grundbedürfnissen des Lebens, 98% haben nicht genug zu essen. Immer mehr Familien verkaufen einzelne ihrer Kinder, in der Hoffnung, daß die anderen überleben. Menschen verkaufen ihre Organe.

Auch wenn die Massenmedien in den USA und Europa nach einem kurzen Hype im August und Anfang September so gut wie nichts mehr über diese größte humanitäre Krise auf der Erde berichten: die Verantwortlichen in den NATO-Staaten, die im August fluchtartig das Land verließen, wußten natürlich, daß das Budget Afghanistans zu 80% aus Hilfsgeldern der Geberländer bestand und daß Afghanistans Wirtschaft durch die Kombination der Streichung dieser Gelder, des Einfrierens des afghanischen Kapitals und der Sanktionen über Nacht stranguliert wurde.

Nach sechs Monaten der sich entfaltenden Tragödie und zahlreichen (bis auf kleine kürzliche Zugeständnisse) vergeblichen Appellen stellt sich die Frage nach der Intention dieser Politik. Das Argument, die Taliban müßten zunächst die Rechte der Frauen anerkennen etc., wird absurd, wenn diese Frauen und ihre Kinder tot sind. Ist die Intention also, die Fähigkeit der Taliban, den Staat irgendwie aufrecht zu erhalten, soweit so sabotieren, daß die Opposition – also auch ISIS, Al-Kaida, Drogenhändler, Warlords etc. – Oberwasser gewinnt?

Die Folge wäre ein neuer blutiger Bürgerkrieg, eine Hölle, in der die Zivilbevölkerung, zwischen Verhungern, Erfrieren, COVID, Epidemien wie Polio, Masern, Denguefieber, Diarrhoe etc. aufgerieben wird und Millionen Flüchtlinge sich in die Nachbarländer und nach Europa zu retten versuchen. Das wäre eine Fortsetzung des „Great Game“ des Britischen Empires, von Bernhard Lewis und Zbigniew Brzezinski, dessen Ziel die geopolitische Destabilisierung Rußlands, Chinas und der wirtschaftlichen Integration Eurasiens durch die Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) mit allen Mitteln ist – durch Terrorismus, Opiumkrieg, ethnische Konflikte.

Wenn diese Politik „Erfolg“ haben sollte, wäre es nur ein weiteres Element in dem großen letzten Akt der Tragödie der Menschheit, die derzeit auf der Bühne der Weltgeschichte zwischen den Kontrahenten des Westens und Rußland und China stattfindet und deren Stadium das Bulletin of Atomic Scientists jüngst erneut als „100 Sekunden vor Zwölf“ auf der Atomkriegsuhr angegeben hat.

Operation Ibn Sina

Avicenna – Ibn Sina
Ibn Sina sculpture in a park in Tehran.
cc/Blondinrikard Fröberg

Es gibt ein Gegenkonzept zur Rettung Afghanistans, dem ich den Namen „Operation Ibn Sina“ gegeben habe. Ibn Sina, der vor rund tausend Jahren lebte, war einer der größten Ärzte in der Universalgeschichte, dessen Kanon der Medizin teilweise bis zum 18. Jahrhundert verwendet wurde. In Zeiten der Corona-Pandemie kann der im heutigen Usbekistan geborene Ibn Sina – dessen Vater aus Balch in Afghanistan stammte -, der u.a. die enorme Bedeutung der Quarantäne für die Bekämpfung von Seuchen erkannte und der ein herausragender Renaissance-Mensch war, eine Symbolfigur für die Rettung Afghanistans werden.

Die Operation Ibn Sina kann in zweifacher Hinsicht eine Wende zum Besseren einleiten.

Sie kann erstens zum Synonym für die internationale Zusammenarbeit beim Aufbau eines modernen Gesundheitssystems und der Versorgung der afghanischen Bevölkerung mit Lebensmitteln werden. Wenn alle Nachbarstaaten, aber auch die USA und die europäischen Nationen – die als Teil der NATO 20 Jahre in Afghanistan gekämpft und daher eine zum Himmel schreiende moralische Verpflichtung haben, den Menschen aus dieser unverdienten Notlage zu helfen -, bei einem Crash-Hilfsprogram zusammenarbeiten, kann das Schlimmste noch abgewendet werden.

Neben der humanitären Seite hätte Operation Ibn Sina aber noch eine zweite, militärisch-strategische Dimension. Wenn es gelänge, zwischen Rußland, China, den USA und Indien – und damit den vier Nationen, die bezüglich ihrer militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung bzw. ihrer Bevölkerungsstärke am bedeutendsten sind – eine Kooperation zustande zu bringen, könnte dies zugleich eine vertrauensbildende Maßnahme für die Lösung der großen strategischen Konflikte sein. Afghanistan gehört im Gegensatz zu der strategischen Bedeutung der Ukraine oder Taiwans nicht zu den Kerninteressen von Rußland und China, es liegt viele tausend Meilen von den USA entfernt, Indien hingegen hat ein Kerninteresse an der Stabilität seiner geographischen Umgebung. Die Zusammenarbeit dieser vier Mächte zusammen mit der Mobilisierung existierender anderer Formate, wie die „Troika-plus“, die SCO und die OIC, kann bei der Rettung Afghanistans ein Schritt zu dem Neuen Paradigma in den internationalen Beziehungen sein, ohne das ein dauerhaftes Überleben der Menschheit nicht möglich sein wird.

Es gibt keinen Ort auf dieser Erde – und das schließt das strategische Explosionspotential der Destabilisierungsoperationen um die Ukraine und Taiwan mit ein -, an dem die moralische Überlebensfähigkeit der menschlichen Gattung so sehr getestet wird, wie in Afghanistan. Es ist nicht unsere Sicherheit, die am Hindukusch verteidigt wird, wie der damalige Verteidigungsminister Peter Struck behauptet hatte, sondern unsere Menschlichkeit.

Militärstrategen sind eingeladen, eine vielleicht ungewohnte Domäne des strategischen Denkens zu berücksichtigen: den moralischen Zustand der Bevölkerung – der eigenen und der des Kontrahenten. Als die Französische Revolution durch den Terror der Jakobiner scheiterte, befand Friedrich Schiller, daß ein großer Augenblick ein kleines Geschlecht gefunden habe, daß zwar die objektive Gelegenheit existierte, aber die subjektive moralische Fähigkeit gefehlt hatte. Er verfaßte daraufhin die Ästhetischen Briefe, in der Überzeugung, daß von nun an jede Verbesserung im Politischen nur durch die Veredlung des Charakters des einzelnen möglich sein würde. Er befand, daß deshalb die „Ausbildung des Empfindungsvermögens“ das dringendste Bedürfnis der Zeit sei, weil sie die „Verbesserung der Einsicht erweckt“.

Die Überwindung der verwerflichen Gleichgültigkeit in Teilen der Bevölkerung, die sie gleichermaßen unempfindlich macht für das Leiden anderer Völker wie für die Auswirkungen der geopolitisch motivierten Dämonisierung des vermeintlichen Gegners, ist von dieser Perspektive ein strategischer Faktor der ersten Ordnung. „Operation Ibn Sina“ sollte deshalb die Flagge werden, unter der sich alle Kräfte vereinen, die aus Agape das afghanische Volk retten wollen, die ein Neues Paradigma in den strategischen Beziehungen als endgültige Überwindung der Kriegsgefahr verwirklichen wollen, und die die Humanität unserer Gattung verteidigen wollen.


Katholischer Journalist: Wir haben die moralische Verpflichtung, Afghanen vor dem Verhungern zu retten

Tony Magliano, ein katholischer Kolumnist für Frieden und Gerechtigkeit, der international publiziert, veröffentlichte am 3. Februar auf Catholic Online einen Artikel mit der Überschrift „Wir haben die moralische Verpflichtung, Afghanen vor dem Verhungern zu retten“. Seitdem ist der Artikel auch in anderen lokalen Medien, z.B. am 6. Februar im Clarion Herald, der Zeitung der Erzdiözese New Orleans, erschienen. Magliano schrieb in seinem eindringlichen Artikel, daß das Einfrieren der afghanischen Staatsgelder durch die Federal Reserve eine Strategie sei, die „die Tatsache herzlos ignoriert, daß die Afghanen jetzt verhungern. Diese De-facto-Kollektivbestrafung ist, wenn auch unbeabsichtigt, unmoralisch und nach dem humanitären Völkerrecht illegal.“ Magliano ruft dazu auf, die eingefrorenen Gelder freizugeben, die afghanische Zentralbank wieder funktionsfähig zu machen und „unser Bestes zu tun“, damit niemand verhungert.

Auch andere Persönlichkeiten der katholischen Kirche melden sich zu Wort, darunter Sean Callahan, Leiter der Catholic World Services (CRS), der Hilfsorganisation des Rates der US-Bischöfe. Callahan hatte bereits im Dezember einen Artikel veröffentlicht, in dem er zu internationalen Maßnahmen aufrief, um die Hungersnot zu beenden.


Will die NATO wirklich gegen die Atommacht Rußland kämpfen?

Der russische Präsident Wladimir Putin hat auf seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Macron in Moskau am 8. Februar erklärt, daß beide „ihre Ansichten über die Vorschläge zu langfristigen, rechtsverbindlichen Sicherheitsgarantien ausgetauscht haben, die Rußland den Vereinigten Staaten und der NATO unterbreitet hat.“ Außerdem habe man ausführlich über den Streit um das Minsker Abkommen gesprochen.

Im Rahmen seiner Ausführungen über die Sicherheitsgarantien erinnerte Putin daran, „daß diese Vorschläge drei Kernpunkte beinhalten: Keine Erweiterung der NATO, keine Stationierung offensiver Waffensysteme in der Nähe der russischen Grenze und die Rückführung der Infrastruktur des Nato-Blocks in Europa auf den Stand von 1997, als die NATO-Rußland-Grundakte unterzeichnet wurde“.

Auf Fragen französischer Reporter wiederholte Putin die „kategorische Ablehnung“ Rußlands gegen die Osterweiterung der NATO durch die Aufnahme neuer Mitglieder, insbesondere der Ukraine:

„Warum ist die mögliche Aufnahme der Ukraine in die NATO gefährlich? Das Problem existiert. Zum Beispiel sind die europäischen Länder, darunter auch Frankreich, der Meinung, daß die Krim zur Ukraine gehört, wir aber meinen, daß sie Teil der Russischen Föderation ist. Was passiert, wenn versucht wird, diese Situation mit militärischen Mitteln zu ändern? Bedenken Sie, daß nach der ukrainischen Doktrin Rußland zum Gegner erklärt wird und die Möglichkeit vorsieht, die Krim zurückzuerobern, sogar mit militärischer Gewalt. Stellen Sie sich nur vor, was passieren könnte, wenn die Ukraine Mitglied der NATO wäre. Artikel 5 ist nicht außer Kraft gesetzt worden. Im Gegenteil, Herr Biden, der Präsident der Vereinigten Staaten, hat kürzlich erklärt, daß Artikel 5 eine heilige Verpflichtung sei und man sich daran halten werde. Es droht eine militärische Konfrontation zwischen Rußland und der NATO… Fragen Sie Ihre Leser, Ihre Zuhörer und die Nutzer von Online-Ressourcen: ‚Wollen Sie, daß Frankreich gegen Rußland kämpft?‘ Denn genau so wird es sein….“

Auf eine weitere Frage erinnerte er einen anderen französischen Reporter daran, daß Rußland eine Atommacht ist:

„Ist Ihnen klar, daß, wenn die Ukraine der NATO beitritt und beschließt, die Krim mit militärischen Mitteln zurückzuerobern, die europäischen Länder automatisch in einen militärischen Konflikt mit Rußland hineingezogen werden? Natürlich ist das vereinte Potential der NATO nicht mit dem Rußlands vergleichbar. Wir sind uns dessen bewußt, aber wir wissen auch, daß Rußland eine der führenden Atommächte der Welt ist und vielen dieser Länder in Bezug auf die Anzahl moderner nuklearer Streitkräfte überlegen ist. Aber es wird keine Gewinner geben, und Sie werden gegen Ihren Willen in diesen Konflikt hineingezogen werden. Sie werden Paragraph 5 der Römischen Verträge ohne Zögern erfüllen, noch bevor Sie es wissen.

Natürlich will Präsident [Macron] nicht, daß sich die Entwicklungen so abspielen. Ich will es auch nicht. Deshalb ist er hier und quält mich nun schon sechs Stunden lang mit seinen Fragen, Garantien und Lösungen.

Ich glaube, er verfolgt ein hohes Ziel, und ich bin ihm für seine Bemühungen dankbar. Wir werden unsererseits unser Bestes tun, um Kompromisse zu finden, die allen gerecht werden. In den Vorschlägen, die wir der NATO und Washington übermittelt haben, gibt es keinen einzigen Punkt, den wir für unerreichbar halten.“


Internationale Internetkonferenz des Schiller-Instituts: 100 Sekunden vor Mitternacht auf der Atomkriegsuhr – Wir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur!

100 Sekunden vor Mitternacht auf der Atomkriegsuhr –

Wir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur!

Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf niemals geführt werden.“

Internationale Internetkonferenz des Schiller-Instituts mit zwei Expertenrunden

Samstag, 19. Februar 2022


Internetseminar, 10.2. 2022 – „Die humanitäre Krise in Afghanistan: Auf dem Weg zu einer langfristigen Lösung“

Das Seminar wird am 10. Februar 2022 ab 14.00 Uhr live in englisch auf unten stehendem Videolink ausgestrahlt.

Lesen Sie Helga Zepp-LaRouches Rede „Afghanistan: eine Hölle auf Erden“ hier.

„Wir müssen die Weltöffentlichkeit aufrütteln zu einer langfristigen Lösung für Afghanistan“ – Artikel zum Seminar von Alexander Hartmann, Chefredakteur Neue Solidarität

Der Russische Rat für Internationale Angelegenheiten (RIAC) und das Schiller-Institut (SI) veranstalten am Donnerstag, den 10. Februar 2022 um 16.00 Uhr Moskauer Zeit / 14.00 Uhr MEZ / 8.00 Uhr EST ein Seminar zum Thema „Die humanitäre Krise in Afghanistan: Auf dem Weg zu einer langfristigen Lösung“. Zu den Themen, die von einer Gruppe von sechs Rednern behandelt werden, gehören:

– Was sind die Ursachen der humanitären Krise in Afghanistan?

– Was sind die geopolitischen Auswirkungen eines gescheiterten Staates in Afghanistan?

– Was ist erforderlich, um die unmittelbare Gefahr eines Massenverhungerns und das Flüchtlingsproblem zu beseitigen?

Eine langfristige Lösung der humanitären Krise: die Rolle der Weltmächte.

Eröffnungs- und Schlußworte werden von Dr. Andrej Kortunow, Generaldirektor des RIAC, und Helga Zepp-LaRouche, Vorsitzende der SI, gehalten.

Weitere Redner werden sein:

– Iwan Safrantschuk, Direktor des Zentrums für Eurasische Studien der MGIMO-Universität

– Temur Umarow, Fellow am Carnegie Moscow Center

– Jim Jatras, US-Diplomat, ehemaliger Berater der republikanischen Führung im US-Senat

– Graham Fuller, 25-jährige Karriere als CIA-Offizier, Autor

Das Seminar wird auf englisch stattfinden.


Artikel von Helga Zepp-LaRouche: 100 Sekunden vor Zwölf auf der Atomkriegsuhr: Wir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur!

„Ein Atomkrieg kann nicht gewonnen werden und darf nie geführt werden“, versicherten die fünf Atommächte und permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates in einer gemeinsamen Erklärung am 3. Januar dieses Jahres. Da der Einsatz von Atomwaffen immer das Risiko des Einsatzes des gesamten nuklearen Arsenals mit einschließt, und schon ein Prozentsatz davon ausreicht, um damit die Auslöschung der menschlichen Gattung zu verursachen, sollte die Bestätigung dieser fundamentalen Einsicht eigentlich praktische Implikationen für die Militärstrategie aller Atommächte haben. Aber ungeachtet dieser gemeinsamen Erklärung lancierte das US Strategic Command in der letzten Januarwoche das Manöver „Global Lightning“, das die Funktion hat, die Einsatzbereitschaft der US-Nuklearstreitkräfte zu testen.

Auch wenn es sich dabei um ein sogenanntes „Routine“- Manöver handelte, das dieses Jahr zusammen mit dem US-Indo-Pacific Command integriert und demzufolge auf eine mögliche Konfrontation mit China ausgerichtet war, konnte es im Kontext der erhöhten Spannungen zwischen Rußland und den USA und der NATO nur als ein weiteres, aber vielleicht das gefährlichste Element des Spiels mit dem Feuer gesehen werden, das der Westen derzeit mit Rußland und China treibt.

Der Zeitpunkt des Manövers traf haargenau zusammen mit den bis dato unbewiesenen Anschuldigungen seitens der USA und Großbritanniens, Rußland plane für den Zeitraum zwischen Ende Januar – Mitte Februar einen Militärangriff auf die Ukraine, was die russische Regierung wiederholt zurückgewiesen hat. Der nuklearen Truppenführungs-Übung liegt der aktuelle nukleare Kriegsplan des US Strategic Command zugrunde. Hans. M. Kristensen, Direktor des Nuklearen Informationsprojekts der Föderation Amerikanischer Wissenschaftler, war in der Lage, auf der Basis des Freedom of Information Acts das Titelblatt dieses Plans mit dem Namen „Stratcom Conplan 0810-12, Stragegic Deterrence and Force Deployment, Change 1“ zu erlangen. Kristensen, einer der kompetentesten Spezialisten im Bereich von Nuklearstrategie und -waffen, erläuterte gegenüber Newsweek, daß bei der Übung „Global Lightning“ nicht nur von einem nuklearen Erstschlag der einen oder anderen Seite ausgegangen wird, sondern von einem fortgesetzten Nuklearkrieg, der nach dem ersten Schlagaustausch weitergeführt wird.

Auch wenn die einzelnen Komponenten dieses neuen Kriegsplans, der seit dem 30. April 2019 operationell ist, den höchsten Geheimhaltungsstufen unterliegen, so ergeben sich doch die Umrisse dieser Konzeption. Die Annahme ist, daß die USA und die NATO in der Lage seien, einen nuklearen Erstschlag Rußlands oder Chinas zu überleben, dann Vergeltungsschläge ausführen, weitere Angriffe zu absorbieren, wieder zu vergelten usw., in einer fortgesetzten militärischen Auseinandersetzung. Dieser nukleare Kriegsplan umfaßt nicht nur Kernwaffen, sondern diverse andere letale Systeme, wie Raketenabwehrsysteme, gerichtete Energiewaffen wie z.B. elektromagnetische Impulswaffen und Laser, Cyber-Attacken, Angriffe der Space Force aus dem Weltraum. Wer soll in der Lage sein, einen solchen fortgesetzten Atomkrieg zu überleben? Die wenigen Personen, die sich in tiefen unterirdischen Bunkern einnisten können? Die morbiden Phantasien des Dr. Strangelove nehmen sich daneben wie ein Kindergeburtstag aus.

Die Global Lightning-Manöver im letzten Jahr, im April 2021, fokussierten auf den potentiellen Konflikt mit Rußland, dieses Jahr war es der möglichen Auseinandersetzung mit China gewidmet. Die verschiedenen Strategie-Papiere des Pentagon seit 2017 hatten Rußland und China zunehmend als geopolitische Rivalen und Gegner definiert und den Kampf gegen den globalen Terrorismus durch die Konkurrenz zwischen den Großmächten als strategische Priorität ersetzt. Gleichzeitig wurde die von der Obama-Administration begonnene Modernisierung der nuklearen Triade fortgesetzt und die Schwelle des Einsatzes von Nuklearwaffen durch die Stationierung von Sprengköpfen mit geringer Sprengkraft u.a. auf Trident U-Booten zunehmend abgesenkt.

Der strategische Konflikt

Auch wenn es von offizieller Seite kaum kommentiert wurde, war Präsident Putins Ankündigung am 1. März 2018 über die neuen russischen Nuklearsysteme – die Hyperschallrakete Awangard, eine Interkontinentalrakete mit 20facher Schallgeschwindigkeit und ausgezeichneter Manövrierfähigkeit, die das amerikanische Raketenabwehrsystem wesentlich obsolet macht, den Hyperschall-Marschflugkörper Kinschal sowie nuklearbetriebene Marschflugkörper, schnelle Unterwasser-Drohnen und Laserwaffen – ein Schock für das westliche Militärestablishment. Inzwischen hat auch China seine eigenen Überschallraketen mit Infrarot-Zielsuch-Technologie entwickelt, eine Kapazität, über die das amerikanische Militär vielleicht erst in zwei bis drei Jahren verfügen wird. Amerikanische Satellitenaufnahmen haben weiterhin etwa 300 im Bau befindliche Raketensilos an verstreuten Orten in China lokalisiert, von denen einige womöglich leer bleiben, in anderen jedoch Nuklearraketen in einem Zustand des „launch on warning“ sind, um einem entwaffnenden Überraschungsangriff vorzubeugen.

Dies ist in groben Zügen der strategische Hintergrund, vor dem Putin am 17. Dezember den USA und der NATO zwei Verträge mit der Aufforderung vorlegte, daß darin legal verbindlich niedergelegt werden solle, daß sich die NATO nicht weiter nach Ost ausdehnen und keine offensiven Waffensysteme an Rußlands Grenzen installieren würde, und das gleichfalls Garantien gegeben würden, daß die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen wird.

Im Unterschied zu vielen transatlantischen Politikern und Medien ist General Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, der Auffassung, daß die Ansammlung von etwa 120.000 Mann russischer Truppen in der Nähe der ukrainischen Grenze, teilweise allerdings Hunderte von Kilometern entfernt, nicht auf einen bevorstehenden Angriff auf die Ukraine schließen läßt, sondern daß Rußland mit dieser Drohkulisse Stärke demonstrieren will, um Verhandlungen mit den USA und der NATO auf Augenhöhe zu erzwingen.

Bisher haben die USA und die NATO Zusagen bezüglich der Hauptforderungen Putins abgelehnt und scheinen lediglich bereit, von Rußland als sekundär eingestufte Zusagen über neue Abrüstungsgespräche zu machen. Putin hat für den Fall einer endgültigen Absage „militärisch-technische Maßnahmen“ angekündigt. Angesichts der Tatsache, daß die mit der NATO-Osterweiterung verbundene Stationierung von potentiell offensiven Waffensystemen in der Nähe der russischen Grenzen – dazu gehört z.B. das in Polen und Rumänien stationierte Aegis-Raketenabwehrsystem – eine für Rußland mit der Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba vergleichbare Situation geschaffen hat, stellt sich die Frage, wie diese „Maßnahmen“ aussehen könnten. Der amerikanische Rußlandexperte Gilbert Doctorow vermutet, dabei könne es sich um die Stationierung von nuklearbewaffneten SS-26 Iskander-M-Kurzstreckenraketen in Weißrußland und Kaliningrad handeln, um so die NATO-Frontstaaten und Ostdeutschland im Gegenzug zu bedrohen. Er vermutet weiterhin, Rußland könnte seegestützte nuklearbewaffnete Zirkon-Überschall-Marschflugkörper vor der Küste von Washington DC platzieren, von denen russische Experten zuvor gesagt hätten, sie könnten die amerikanische Hauptstadt so schnell zerstören, daß der Präsident keine Zeit mehr hätte, auf der Air Force One zu entkommen. Theoretisch könnten die Zirkon-Überschallraketen natürlich auch überall auf den Weltmeeren eingesetzt werden und sind für die herkömmliche Luftabwehr angesichts ihrer neunfachen Schallgeschwindigkeit und Manövrierfähigkeit im Flug nur sehr schwer auszumachen und abzufangen.

Es ist also nur folgerichtig, wenn die „Doomsday Clock“ des Bulletin of Atomic Scientists am 20. Januar 2022 nur noch 100 Sekunden vor Zwölf anzeigte. Das sind nur noch etwa eineinhalb Minuten bis zur atomaren Apokalypse. Auch wenn es seit der Eskalation der Krise um die Ukraine nach einem beinah vierzigjährigen Tiefschlaf der Antikriegsbewegung eine ganze Reihe von Appellen, Aufrufen und Offenen Briefen gibt – zuletzt von 100 Organisationen in den USA mit der Forderung an Präsident Biden, die Spannungen mit Rußland zu deeskalieren -, ist das ungeheure Ausmaß der Bedrohung noch keineswegs ins öffentliche Bewußtsein eingedrungen.

Unklarheit über die Ursachen

Aber selbst bei den meisten Personen im Westen, die die akute Gefahr erkennen, herrscht Unklarheit über die zugrundeliegenden Ursachen für die existentielle Gefahr für die Existenz der Menschheit. Sie liegen einerseits in dem systemischen Charakter der Krise des neoliberalen Finanzsystems, das jetzt in seine hyperinflationäre Endphase eingetreten ist, und andererseits in dem Anspruch des Establishments dieses Finanzsystems in der Londoner City, der Wall Street und des Silikon Valleys auf eine unipolare Welt, in der allein die Machtinteressen dieses Establishments darüber bestimmen, was in der „regelbasierten Ordnung“ zu geschehen hat.

Das Dilemma besteht nun in einer gegenläufigen Dynamik. In der transatlantischen Welt herrscht seit dem von Lyndon LaRouche prophetisch erkannten Paradigmenwechsel vom August 1971, als Nixon faktisch das Bretton-Woods-System durch die Abschaffung fester Wechselkurse beendete und damit der spekulativen Profitmaximierung den Weg freimachte, eine zunehmende Verschiebung vor, weg von Investitionen in die produktive physische Ökonomie und hin zur Spekulation in immer exotischer werdende, derivatbasierte Finanzprodukte, deren jüngste Torheit im „shifting the trillions“ in den Green New Deal besteht.

Die damit assoziierten Investitionen in Industrien mit einer möglichst geringen Energieflußdichte stellen vom Standpunkt der physischen Ökonomie letztlich ebenso eine weitgehende Kapitalvernichtung dar wie Investitionen in die Militärproduktion von Waffensystemen und die Armee. Daß dieser Effekt meist nicht erkannt wird, hängt mit der Verwechslung von monetären Werten, von Geld mit realem Reichtum zusammen, und der Illusion, daß die Aktienwerte von börsennotierten Unternehmen etwas über die Produktivität der Wirtschaft aussagen. Natürlich liegt es im Interesse der yachtbesitzenden Milliardäre, von denen einige längst Eigentumswohnungen in tiefliegenden Bunkern in Australien und anderswo erworben haben, daß die Blasen-Wirtschaft so lange wie möglich aufrecht erhalten wird, auch wenn der Anteil der verarmenden Bevölkerung immer mehr zunimmt und der Mittelstand immer mehr schrumpft.

Als sich die Sowjetunion 1991 auflöste und das transatlantische Establishment allen Warnungen – z.B. von Papst Johannes Paul II – zum Trotz der Phantasie erlag, den Kalten Krieg „gewonnen“ zu haben, und das „Ende der Geschichte“ dahingehend interpretierte, die ganze Welt müsse sich nun der neoliberalen regelbasierten Ordnung unterwerfen, sah man auch keine Notwendigkeit mehr, sich an irgendwelche Versprechen gegenüber Rußland zu halten, die NATO nicht nach Osten auszuweiten. Das ganze Spektrum von Instrumenten für die Zementierung der unipolaren Welt wurde zur Anwendung gebracht: Regimewechsel entweder durch Farbrevolutionen oder „humanitäre“ Kriege gegen alle Regierungen, die noch anderen Wertvorstellungen anhingen. Viktoria Nuland prahlte öffentlich, das State Department habe fünf Milliarden Dollar allein für die NGOs in der Ukraine ausgegeben, was zunächst zur „Orangen Revolution“ 2004 führte. Als sich Präsident Janukowitsch Ende 2013 weigerte, dem EU-Assoziierungsabkommen beizutreten, nicht zuletzt, weil die EU vertrags- und sicherheitstechnisch vollkommen mit der NATO vernetzt ist, kam die nicht so demokratische Seite der regelbasierten Ordnung in der Form des Nazi-Putsches des Maidan vom Februar 2014 zum Vorschein. Als Folge davon gab es keine Annexion der Krim durch Putin, sondern ein Referendum durch die Bevölkerung der Krim, die sich der faschistischen Politik Kiews entziehen wollte. Schon damals konstatierte Putin, daß es dem Westen eigentlich um die Eindämmung Rußlands gehe und daß man, wenn nicht die Ukraine, eben einen anderen Vorwand dazu gefunden hätte.

Die entscheidende Verhärtung gegenüber Rußland und China wurde spätestens 2017 in der veränderten Sprachregelung in den Sicherheitsdoktrinen des Pentagon und der Charakterisierung dieser beiden Länder als „Gegner“ und „Autokratien“ sichtbar. Während die westlichen Institutionen auf die Ankündigung der Neuen Seidenstraße durch Xi Jinping im September 2013 zunächst erstaunliche vier Jahre mit einem weitgehenden Blackout reagiert hatten, reagierten diese Institutionen jetzt auf dieses größte Infrastrukturprojekt in der Geschichte der Menschheit, als handle es sich um eine existentielle Bedrohung – nämlich für die unipolare Welt! So gut wie alle Sanktionen, die irgendwo auf der Welt unilateral, also ohne UN-Sicherheitsratsbeschlüsse, verhängt worden sind, hatten letztlich den Hauptzweck, den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und Rußlands Wiedererlangung des Status als Weltspieler zu verhindern.

Das Transkript des Hintergrund-Pressebriefings zweier namentlich nicht genannter Offizieller des Weißen Hauses vom 25. Januar legt diese Absicht auf schockierende Weise offen. Sie stellen dort ein ganzes Spektrum von „schwerwiegenden ökonomischen Maßnahmen vor“ – angefangen mit der höchsten Eskalationsstufe -, um Putins strategische Ambitionen, seine Wirtschaft zu industrialisieren, zu vereiteln, indem man ihm den Zugang zu allen modernen, entwickelten Technologien, wie KI, Quantum-Computer und alle Technologien, die mit Verteidigung oder Luft- und Raumfahrt zu tun haben, verwehrt, um ihn daran zu hindern, die Wirtschaft über den Export von Öl und Gas hinaus zu „diversifizieren“, und eine Atrophie der russischen Wirtschaft zu erreichen.

Diese in unglaublich brutaler Sprache formulierte Politik ist nichts anderes als die Fortsetzung der sogenannten „Schocktherapie“ Jeffrey Sachs‘ aus den 90er Jahren, deren ausdrückliches Ziel es war, Rußland vom Status einer Supermacht zu Zeiten der Sowjetunion auf den eines rohstoffexportierenden Dritte-Welt-Landes zu reduzieren. Diese Politik war damals wie heute eine Kriegserklärung – nur mit dem Unterschied, daß Putin nicht eine erbärmliche, vom Westen aus geopolitischen Motiven gehätschelte Figur wie Jelzin ist, sondern ein brillanter Stratege, der die Interessen Rußlands zu verteidigen weiß.

Die nicht minder haßerfüllten Tiraden gegen China, die heute von Hof-Schreiberlingen des Empires ebenso zu hören sind wie von ehemaligen Maoisten der SDS-Zeit, die heute zu Spitzenpositionen bei den Grünen aufgestiegen sind, können jedoch nichts an dem überragenden Erfolg der chinesischen Wirtschaft ändern, die 2021 trotz Corona eine Wachstumsrate von über 8 Prozent zu verzeichnen hatte. China hat mehr für die Menschenrechte getan als irgendein Land der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft, indem es 850 Millionen Menschen im eigenen Land aus der Armut befreit hat – einschließlich der Uiguren, die sich jetzt eines wesentlich besseren Lebensstandards und überdurchschnittlichem Bevölkerungswachstum erfreuen -, und indem es vielen Entwicklungsländern zum ersten Mal die Chance der Überwindung der Armut eröffnet hat.

Das Schweigen der gleichen Kreise zu der durch die westlichen Sanktionen ausgelösten größten humanitären Katastrophe in Afghanistan, in der akut eine Million Kinder am Verhungern sind und insgesamt 24 Millionen Menschen diesen Winter der Tod droht, besiegelt ihre vollkommene Diskreditierung.

Gemeinsame Erklärung von Putin und Xi

Wenn diverse Autoren gewarnt haben, daß die Kampagnen gegen Rußland und China dazu führen könnten, daß sich diese beiden Länder noch enger zusammenschließen, dann können sie zufrieden sein, denn genau dies ist jetzt im Rahmen von Putins Besuch bei den in China stattfindenden Olympischen Spielen geschehen. Es ist allerdings dringend geboten, die ideologischen Brillen abzusetzen und die außergewöhnliche Chance zu erkennen, die sich in der gemeinsamen Erklärung für die ganze Welt in dieser extrem gefährlichen Weltlage bietet.

In dem 16 Seiten langen Dokument mit dem Titel „Gemeinsame Erklärung der Russischen Föderation und der Volksrepublik China zu den internationalen Beziehungen in einer neuen Ära und globaler nachhaltiger Entwicklung“ wird ein Aufruf formuliert, geopolitische Konfrontation durch wirtschaftliche Kooperation als Basis für eine gemeinsame Sicherheitspolitik zu ersetzen. Beide Nationen appellieren an die NATO, von weiteren Expansionsplänen abzusehen, das Denken in Kategorien des Kalten Krieges zu überwinden und die von Rußland geforderten langfristigen Sicherheitsgarantien zu verankern. Die Rolle internationaler Organisationen wie der G20, BRICS, APEC und ASEAN soll gestärkt werden. Rußland wird bei der Verwirklichung der von China vorgeschlagenen „Globalen Entwicklungs-Initiative“ mitarbeiten und hebt die Bedeutung des Konzepts der „einen Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ hervor.

Denken wir an die hundert Sekunden vor Zwölf der Atomkriegsuhr zurück: Wer will bestreiten, daß wir eine unteilbare Schicksalsgemeinschaft sind? In den vergangenen Wochen sind besonnenere Stimmen laut geworden und haben sich für eine neue gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur unter Einschluß von Rußland und der Ukraine ausgesprochen, die in einem neuen Helsinki-Abkommen beschlossen werden könnte. Angesichts der Komplexität der Weltlage, die alle Staaten betreffende Gefährdung des Weltfriedens und der Untrennbarkeit der Sicherheit aller, muß man jedoch über Helsinki hinausgehen und eine internationale Sicherheitsarchitektur schaffen, die Sicherheitsinteressen aller Staaten auf der Erde umfaßt.

Diese Architektur muß auf den Prinzipien des Westfälischen Friedens aufbauen, d.h. die Interessen aller Staaten und vor allem ihr Recht auf wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung garantieren. Die Erhaltung des Weltfriedens setzt eine vollkommene und endgültige Absage an die malthusianische Politik voraus und erfordert den ungeteilten Zugang zu den Errungenschaften des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts für alle Nationen. Diese neue Ordnung – die Voraussetzung für das Überleben der menschlichen Gattung – erfordert ein neues Paradigma im Denken, das sich die besten Traditionen aller Kulturen auf dem höchsten humanistischen Niveau zu Nutzen machen muß.

Wir haben die Wahl: entweder wir lassen die Uhr weiter ticken, bis die letzte der hundert Sekunden geschlagen hat, und dann wird niemand mehr da sein, der das Ergebnis noch kommentieren könnte. Oder wir erinnern uns daran, daß wir die einzig bisher bekannte kreative Gattung im Universum sind, und gestalten unsere gemeinsame Zukunft.

zepp-larouche@eir.de


Page 40 of 80First...394041...Last