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madeleine

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Internationales Seminar: Beendet das Morden in Afghanistan, 17. Januar 2022

„Ungerechtigkeit irgendwo ist eine Bedrohung für die Gerechtigkeit überall“

Internationales Seminar:

17. Januar 2022, am Gedenktag von Martin Luther King

Dennis Speed — Moderator, Schiller Institute
Helga Zepp-LaRouche — Founder and President of The Schiller Institute
Dr. Joycelyn Elders — former United States Surgeon General
Marcia Merry Baker — Editorial Board, Executive Intelligence Review
Graham Fuller — former CIA Official and Islamic Scholar
Ray McGovern — Analyst, Central Intelligence Agency (CIA-ret.), Co-Founder, Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS)
Dr. Matin Baraki — Center for Conflict Research and the Center for Near and Middle East Studies, Institute for Political Science, Philipps-University, Marburg, Germany
Dr. Shah Mehrabi —  Member of Board of Governors of Central Bank of Afghanistan and Chairman of Audit Committee
Qasim Tarin — Co-founder, Unity and Freedom Movement of Afghanistan

Zu Beginn des Jahres 2022 sollten wir auf der ganzen Welt nicht nur an Martin Luther King denken, sondern auch an seine Mission: die Errichtung einer „geliebten Gemeinschaft“ der gesamten Menschheit. Wir müssen erkennen, daß die größte Krankheit, die die Menschheit bedroht, die „verwerfliche Gleichgültigkeit“ ist, die sich am spektakulärsten im vorsätzlichen Aushungern von Millionen Menschen in Afghanistan „im Namen der Menschenrechte“ zeigt. Und wenn man zuläßt, daß anderen ein solches Unrecht widerfährt, wird das gleiche Unrecht früher oder später auch einem selbst widerfahren.

Bei einem schrecklichen Brand in der Bronx sind gerade siebzehn Menschen ums Leben gekommen. Es gab mehr als zwei Dutzend zuvor gemeldete Verstöße in diesem Gebäude. Unter den Toten waren neun Kinder. Aber in Afghanistan sind Hunderttausende von Kindern dabei, zu verhungern. Die Ursache für den Tod unschuldiger Kinder in Afghanistan und in der Bronx ist dieselbe: Die Ursache ist eine verwerfliche Gleichgültigkeit gegenüber der Frage, ob sie überleben würden oder sollten.

Einst strebten die Nationen nach Wohlstand für alle Bürger; man nannte es „das Gemeinwohl, für uns und unsere Nachkommen“. Jetzt, da wir uns weigern, die vergeblichen Versuche der Wall Street und der Londoner City zu stoppen, ihr bankrottes System fortzusetzen, droht täglich ein Massensterben in der transatlantischen Welt. Man sagt uns, daß das Massensterben leider „normal“ sein wird; es wird „endemisch“ in Form von Pandemien, Kriegen oder „extremen Ereignissen“ sein. Wenn das so ist, dann muß das eine direkte Folge unserer verwerflichen Gleichgültigkeit sein, denn wir hätten die Kranken, die Hungrigsten, die Schwächsten in der Welt zuerst behandeln können, aber statt dessen haben wir uns entschieden, es nicht zu tun, und tun es immer noch nicht.

Wir sagen „Nein!“ zu diesem Pakt mit der Verzweiflung und dem Tod. Es gibt einen Plan mit dem Namen „Operation Ibn Sina“, der vom Schiller-Institut entwickelt wurde, um die Ungerechtigkeit in Afghanistan zu beseitigen und auf diese Weise eine gemeinsame weltweite Anstrengung zu unternehmen, um die eklatanten Ungerechtigkeiten in der Gesundheitsversorgung und in anderen Bereichen abzubauen. Die Freigabe der neun Milliarden Dollar für Afghanistan ist nur der Anfang.

Sie haben es in der Hand, die Operation Ibn Sina in die Tat umzusetzen, indem Sie sich uns anschließen und die verdorbene Gleichgültigkeit ablehnen. Der Weg, Ungerechtigkeit zu besiegen, besteht darin, Gerechtigkeit in der Welt zu schaffen, und zwar jetzt. Auf diese Weise kann vielleicht der ungerechte Tod derer, die durch das Feuer in der Bronx, durch die Hungersnot in Afghanistan und durch die Torheit der zum Scheitern verurteilten imperialen Ambitionen in der ganzen Welt gestorben sind, die Inspiration für die Schaffung der „Geliebten Gemeinschaft“ sein, die die Menschheit wirklich braucht und verdient.


TASS interviewt Richard Black vom Schiller-Institut zur Erklärung: „Kein Atomkrieg“ der P5

Im Folgenden finden Sie den Text eines Artikels, der heute von TASS veröffentlicht wurde und auf einem Interview mit Richard Black vom Schiller-Institut basiert.

Experte: Die Erklärung der nuklearen „Fünf“ bedeutet, dass die Länder gemeinsame Herausforderungen bewältigen können

Richard Black, [ein] Sprecher des Schiller-Instituts, glaubt, daß die Länder zusammenarbeiten können, um einen Atomkrieg zu vermeiden und eine stabile Entwicklung zu gewährleisten

NEW YORK, 6. Januar. / TASS Grigory Sapozhnikov

Die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der „Fünf“ Nuklear[-mächte] (Rußland, Großbritannien, China, die Vereinigten Staaten und Frankreich) weist darauf hin, daß die Länder zusammenarbeiten könnten, um strategische Probleme und Krisen von außergewöhnlichem und unerwartetem Charakter zu lösen. Diese Meinung wurde in einem Interview gegenüber einem TASS-Korrespondenten von Richard Black geäußert, einem Vertreter des Schiller-Instituts in New York.

Die Erklärung der „fünf“ Länder [d.h. die fünf permanenten Mitglieder P5] des UN-Sicherheitsrates sei in zweierlei Hinsicht positiv. Erstens bestätigten alle fünf Länder die frühere gemeinsame Erklärung von Michail Gorbatschow und Ronald Reagan, daß ein Atomkrieg nicht gewonnen werden könne und niemals geführt werden dürfe, wie dies auch in jüngerer Zeit von den Präsidenten Joe Biden und Wladimir Putin erklärt wurde. Zweitens zeige die Erklärung der „Fünf“ des Sicherheitsrates, daß es für diese Länder möglich ist, gemeinsam zu handeln, um auch andere dringende und komplizierte strategische Probleme zu lösen, die das Überleben der Zivilisation betreffen.

Dem Sprecher des Instituts zufolge hat der russische Präsident Putin die Notwendigkeit auf die aktuell dringende Tagesordnung gesetzt, „das gegenwärtige Abgleiten in eine nukleare Konfrontation zwischen den USA und der NATO auf der einen, sowie Russland auf der anderen Seite zu stoppen“. Black betonte die Bedeutung der von Präsident Putin geforderten Unterzeichnung von Vertragsentwürfen über rechtsverbindliche Sicherheitsgarantien durch die USA und das Nordatlantische Bündnis. „Die vom russischen Präsidenten vorgeschlagenen Vertragsentwürfe sind eine Aufforderung zum unmittelbaren Handeln innerhalb der nächsten Tage“, sagte Black.

Black wertete die Erklärung der „Fünf“ generell als einen Schritt in die richtige Richtung. Die „Fünf“ könnten nun „an besonderen, außergewöhnlichen Problemen arbeiten, wie der Situation in Afghanistan und dem Kampf gegen die Pandemie“, sagte er. Die Länder könnten sowohl zusammenarbeiten, um einen Atomkrieg zu verhindern, als auch um eine stabile Entwicklung zu gewährleisten. Die Frage sei nur: „Werden sie kooperieren?“

Hier finden Sie den Artikel im russischen Original.


Podcast-Interview von CGTN World Today mit Helga Zepp-LaRouche über Litauens Haltung zur Ein-China-Politik

Helga Zepp-LaRouche, Präsidentin des Schiller-Instituts, war am Mittwoch, dem 5. Januar 2022, zu Gast im CGTN-Podcast „World Today“. Es folgt ein Transkript von EIR.

CGTN: Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums sagte, Litauen habe zu Recht seinen Fehler in Bezug auf Taiwan zugegeben und China habe Litauen aufgefordert, zur Ein-China-Politik zurückzukehren. Der Sprecher Wang Wenbin reagierte damit auf die Rüge des litauischen Präsidenten Gitanas Nausėda gegen die Entscheidung seiner Regierung, die Eröffnung einer Taiwan-Vertretung in seinem Land zuzulassen. Präsident Nausėda sagte am Dienstag, es sei ein Fehler gewesen, der chinesischen Region Taiwan zu erlauben, ein Büro in Vilnius unter eigenem Namen zu eröffnen. Gegenüber einem lokalen Radiosender sagte er: „Der Name des Büros ist zum Schlüsselfaktor geworden, der jetzt unsere Beziehungen zu China stark beeinflusst.“

China hatte scharfen Protest gegen die Genehmigung der Einrichtung des sogenannten „Taiwan-Vertretungsbüros“ in Litauen erhoben und im November die diplomatischen Beziehungen zu Litauen herabgestuft.

Mehr dazu erfahren wir jetzt von Helga Zepp-LaRouche, der Gründerin des Schiller-Instituts, einer politischen und wirtschaftlichen Denkfabrik in Deutschland.

Vielen Dank, Helga, daß Sie wieder mit uns sprechen.

HELGA ZEPP-LAROUCHE: Ja, hallo.

CGTN: Zunächst einmal: Bedeuten die Äußerungen des litauischen Präsidenten, daß die Spannungen in dieser Frage nachgelassen haben?

ZEPP-LAROUCHE: Es ist auf jeden Fall gut, daß er die Genehmigung des Namens zurückgenommen hat, aber es geht hier nicht um Nominalismus. Die Frage ist nicht die Bezeichnung, die Frage ist die Ein-China-Politik, die seit 1971 international anerkannt ist. Die Frage ist, ob die Vereinigten Staaten, die Briten und andere ein kleines Land mit drei Millionen Einwohnern als Spielball in ihrer geopolitischen Konfrontation benutzen können. US-Außenminister Blinken versucht, all die kleinen (baltischen) Länder in eine sogenannte „Allianz der Demokratien“ zu drängen. Aber ich denke, das ist nicht gut für die Menschen in Litauen. Es ist nicht in ihrem Interesse.

CGTN: Sie haben richtig darauf hingewiesen, daß es nicht nur um den Namen geht, vielmehr geht es um das Prinzip der Ein-China-Politik. Aber was hat der Unterschied zwischen den Äußerungen des litauischen Präsidenten und den gegenläufige Maßnahmen der litauischen Regierung mit der Art des Regierens und mit der Innenpolitik im Lande zu tun? Denn ich glaube, der litauische Ministerpräsident, der das Kabinett führt, wurde bei den Wahlen 2019 vom Präsidenten geschlagen.

ZEPP-LAROUCHE: Laut den litauischen Medien ist die Unterstützung für die Regierung stark rückläufig. Nur 17,3 % der Menschen gaben in einer Umfrage an, daß sie der Regierung vertrauen, während 47,8 % sagten, sie mißtrauen der Regierung. Man kann jetzt sehen, wie Litauen im Zusammenhang mit der NATO-Erweiterung zur Einkreisung Rußlands betrachtet werden muß. Ich meine, man sollte sich die Dokumentation ansehen, die das Schiller-Institut gerade erstellt hat: Absolut authentische Dokumente beweisen inzwischen, daß US-Außenminister [James] Baker am 9. Februar 1990 versprochen hat, daß sich die NATO keinen Zentimeter nach Osten bewegen würde. Aber wie wir jetzt wissen, sind seither 14 Länder der NATO beigetreten, so daß Präsident Putin jetzt die Unterzeichnung von zwei Verträgen fordert, damit dies aufhört, weil es die Sicherheitsinteressen Rußlands beeinträchtigt. Litauen ist ein Opfer der NATO-Osterweiterung, und es wurden Milliarden von Dollar in die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen gesteckt, um die Bevölkerung der osteuropäischen Länder davon zu überzeugen, daß sie den „westlichen Werten“ folgen sollten.

CGTN: Um noch einmal auf die Taiwan-Frage zurückzukommen: Was für ein schlechtes Beispiel ist Litauens Entscheidung, die Eröffnung dieses Büros zuzulassen – in dem Sinne, daß dadurch die Taiwan-Frage, die eigentlich eine innere Angelegenheit Chinas sein sollte, gewissermaßen internationalisiert wird?

ZEPP-LAROUCHE: Natürlich ist es schlimm, weil Litauen aufgrund dieser Politik auch aus der 17+1-Gruppe ausgetreten ist – das sind die mittel- und osteuropäischen Länder, die mit der Belt and Road Initiative zusammenarbeiten. Allerdings ist es wiederum nicht wirklich so bedeutend, weil es viele Länder in Europa gibt, die an der Ein-China-Politik festhalten und die es in ihrem eigenen Interesse sehen, mit der Belt and Road Initiative zusammenzuarbeiten. Es ist zwar schlecht, aber nicht dramatisch.

CGTN: Litauen hat sich einmal an die Europäische Union wegen seiner Spannungen mit China um Hilfe gewandt. Welchen Standpunkt vertritt die EU in dieser Frage, denn der chinesische Außenminister Wang Yi sagte kürzlich in einem Presseinterview, in Europa herrsche eine „kognitive Spaltung“ gegenüber China, da es versuche, sowohl ein Partner zu sein, als auch China als Gegner zu sehen. Stimmen Sie mit Wang Yi überein? Wie steht die EU in dieser Hinsicht da?

ZEPP-LAROUCHE: Ich halte Wang Yi für einen sehr guten Diplomaten. Ich könnte leicht noch viel schärfere Worte für eine Person finden, deren Denken gespalten ist. Ich denke also, daß er sich sehr diplomatisch ausgedrückt hat.

Ich meine, es gibt viele Menschen in Europa, die es als ihr Eigeninteresse ansehen, gute Beziehungen zu China zu haben. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Leute, die sozusagen nur NATO-Vertreter innerhalb der EU sind. Ich denke also, daß viele nicht das Rückgrat haben, sich dem Druck der USA und Großbritanniens zu widersetzen, aber es ist zunehmend eine Frage der Glaubwürdigkeit des Westens im allgemeinen. Das gilt zum Beispiel auch für die Politik gegenüber Afghanistan, die absolut widerlich ist.

Der Inhalt der Politik wird somit immer wichtiger, und ich denke, Europa wird sich entscheiden müssen, ob es seinem Eigeninteresse folgt oder nicht.

CGTN: Das ist in der Tat die Eigenständigkeit, von der führende Politiker der Europäischen Union seit langem sprechen. Ich danke Ihnen.

Den ganzen Podcast (engl.) finden Sie hier. Das Segment mit Helga Zepp-LaRouche beginnt bei Min. 26.06


Ein Interview mit Dr. Shah Mehrabi: „Die US-Politik erstickt das afghanische Volk“

Der folgende Text ist die bearbeitete Abschrift eines Interviews mit Dr. Shah Mohammad Mehrabi, das Gerald Belsky und Michael Billington von EIR am 15. Dezember 2021 führten. Dr. Mehrabi ist seit 2002 Mitglied des Gouverneursrats der Da Afghanistan Bank, der afghanischen Zentralbank. Seit 1992 ist er Professor für Betriebs- und Volkswirtschaftslehre am Montgomery College in Maryland und seit 2003 Dekan des Fachbereichs.

Gerald Belsky: Herr Dr. Mehrabi, können Sie uns etwas über Ihren Hintergrund und Ihr Verhältnis zur derzeitigen Taliban-Regierung erzählen?

Dr. Mehrabi: Ich danke Ihnen, Gerry, und ich möchte auch dem Schiller-Institut danken für alle seine Bemühungen, etwas für die Freigabe der afghanischen Reserven zu tun und ein positives Ergebnis bei der Beseitigung der Armut zu erzielen, die entstanden ist und fortbestehen wird, wenn die Vereinigten Staaten und die europäischen Länder, die zum jetzigen Zeitpunkt die gesamten Auslandsreserven Afghanistans halten, keine konkreten Maßnahmen ergreifen.

Ich bin Wirtschaftswissenschaftler, und als solcher war ich fast 20 Jahre lang Mitglied des sogenannten Obersten Rates, des Leitungsgremiums der Zentralbank von Afghanistan. Außerdem war ich als leitender Wirtschaftsberater für zwei Finanzminister tätig und befaßte mich mit der Erzielung von Einnahmen, aber auch mit den Staatsausgaben, als ich im Finanzministerium war. Während meiner Tätigkeit im Finanzministerium blieb ich weiter Mitglied des Obersten Rates der Zentralbank, eines Gremiums, das dem Board of Governors der Federal Reserve Bank der Vereinigten Staaten sehr ähnlich ist. Er besteht aus sieben Vorstandsmitgliedern, und ich bin auch Vorsitzender des Prüfungsausschusses der Zentralbank von Afghanistan.

Ich habe mich sehr aktiv um Reformen bemüht, so wie wir es bei meiner Rückkehr taten, als ich zum ersten Mal nach Afghanistan eingeladen wurde und versucht habe, diese Finanzinstitution zu reformieren und insbesondere dafür zu sorgen, daß wir zumindest eine funktionierende und effektive Zentralbank haben. Vor 2003-04 hatte die Zentralbank eine Doppelfunktion. Sie war sowohl eine Geschäftsbank als auch eine Staatsbank. Die Geschäftsbankfunktion wurde den neu gegründeten Geschäftsbanken übertragen, und die Zentralbank Afghanistans wurde als unabhängige Einrichtung neu strukturiert und nahm ihre Tätigkeit Anfang der 2000er Jahre auf, 2003, 2004 und 2005.

Die Folgen des Einfrierens der Devisenreserven

Billington: Das Hauptthema, mit dem Sie sich ebenso wie wir befassen, ist die Tatsache, daß bei der US-Notenbank und mehreren europäischen Banken Reserven in Höhe von 9,5 Milliarden Dollar liegen, die der afghanischen Zentralbank gehören. Dieses Geld gehört nicht den Banken, die es halten, sondern wird aus politischen Gründen und wegen Meinungsverschiedenheiten mit der neuen Regierung in Kabul eingefroren, was im Grunde genommen eine Form der illegalen Wirtschaftskriegführung darstellt. Können Sie beschreiben, wie sich das auf die Menschen in Afghanistan auswirkt und welche Schritte Sie ergriffen haben, um zu versuchen, diese Gelder freizubekommen?

Dr. Mehrabi: Das Einfrieren der afghanischen Devisenreserven ist ein wichtiger Punkt. Es hat zur wirtschaftlichen Instabilität beigetragen, die ich bereits im September vorausgesagt hatte. Ich habe eine Reihe von Ereignissen vorhergesagt und sie sind alle eingetreten, denn jetzt gibt es Daten, die meine Vorhersagen vom September bestätigen. Damals sagte ich voraus, daß die Währung abgewertet würde – seit August wurde sie um mehr als 14% abgewertet. Ich sagte auch voraus, daß die Lebensmittelpreise zweistellig steigen würden – und auch das ist eingetreten. Der Weizenpreis ist um mehr als 20% gestiegen, der Mehlpreis um über 30%, der Preis für Speiseöl um 60% und der Benzinpreis um 74%.

Ich habe damals auch gesagt, daß der Bankensektor Liquidität braucht, und um Liquidität zu schaffen, ist es sehr wichtig, daß die Reserven freigegeben werden, um die Preise zu stabilisieren und einen weiteren Verfall des Afghani, der Landeswährung, zu verhindern.

Die 14%ige Währungsabwertung trifft vor allem die Kaufkraft der Verbraucher. Sie bringt die Menschen in eine Lage, in der sie die grundlegenden Dinge des Lebens nicht mehr kaufen können. Außerdem sind die Preise für all diese Güter gestiegen.

Ich habe auch gesagt, daß die Importe zurückgehen würden, und das ist eingetreten. Die Nachfrage nach diesen importierten Gütern ist zurückgegangen, und der Verbrauch ist erheblich gesunken, weil die Menschen keinen Zugang zu ihrem eigenen Geld auf der Bank haben. Hinzu kommt, daß sie keine Arbeit haben. Viele haben ihre Arbeit verloren; sie haben kein Einkommen, und dann haben die höheren Preise die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen weiter gedämpft.

Das ist es also, was Sie sehen: Es entstanden Hunger und Verhungern.

Ich habe auch gesagt, daß Handel gar nicht stattfindet. Tatsächlich sind die Einfuhren aus Pakistan im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um 46% zurückgegangen. Die Exporte sind sehr dürftig – Trockenfrüchte, Teppiche usw. Das ist zwar einigermaßen stabil geblieben, hat aber keine ausreichenden Devisenreserven geschaffen. Die Löhne sind gesunken.

Um auf die Auswirkungen des Einfrierens der afghanischen Devisenreserven zurückzukommen: Wir sehen bereits, daß dies zu großer Armut geführt hat.

Ich schlage vor, der afghanischen Zentralbank einen begrenzten, überwachten und bedingten Zugang zu ihren eigenen Reserven zu gewähren. Das sind die Reserven Afghanistans, sie gehören niemand anderem, sondern dem afghanischen Volk. Sie sollten Zugang zu ihren Reserven haben, und diese Devisenreserven sollten für Versteigerungen verwendet werden. Warum? Weil Versteigerungen dazu dienen, die Abwertung des Afghani gegenüber dem Dollar und anderen ausländischen Währungen zu verhindern und auch die Kaufkraft der Afghanen zu erhöhen und zu verhindern, daß sie Tag für Tag weiter sinkt. Die afghanische Zentralbank wird ohne Versteigerungen nicht in der Lage sein, die Preisstabilität im Inland zu gewährleisten.

Ohne die Freigabe dieser Reserven wird keine Preisstabilität zustande kommen. Eine der Hauptaufgaben der afghanischen Zentralbank ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten, und das kann sie nicht. Damals schlug ich vor, und ich schlage es immer noch vor, von den 7,1 Mrd. Dollar [die bei der US-Notenbank liegen] monatlich 150 Millionen Dollar freizugeben; heute sage ich 200 Mio. Dollar, weil die Reserven Afghanistans erheblich geschrumpft sind. Das entspricht etwa der Hälfte der Reserve, die monatlich zur Stabilisierung der Wirtschaft erforderlich ist. Ich habe auch gesagt, daß die Vereinigten Staaten in der Lage sein werden, die ausschließliche Verwendung dieser Mittel für die Stabilisierung der Währung zu überprüfen.

Die Auktionen werden elektronisch durchgeführt und die Transaktionen zwischen der Zentralbank und den Geschäftsbanken werden automatisch aufgezeichnet. Darüber hinaus habe ich vorgeschlagen, daß die Verwendung der Mittel von einer internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kontrolliert werden könnte, die derzeit in Afghanistan tätig ist. Sollte es zu einer Veruntreuung kommen, könnte man die Mittel sperren.

Ein wichtiger Punkt dabei ist, daß wir versuchen wollen, mit den Mitteln den Wert des afghanischen Geldes zu stützen, damit die Menschen wichtige Waren und Dienstleistungen kaufen können. Ständig rufen mich Leute an, die sagen, daß sie sich Brot, das Grundnahrungsmittel für alle, nicht leisten können. Mein eigener Bruder ist Dekan an der Universität. Er wird zwar bezahlt, aber selbst er kann es sich nicht leisten, ohne unsere Hilfe durch Geldüberweisungen auszukommen – er kann nicht einmal das Nötigste kaufen. Es gibt viele Afghanen, die ständig darüber sprechen, daß sie keine normalen Waren kaufen können.

Wir müssen also in der Lage sein, die Bedürfnisse der einfachen Afghanen zu befriedigen, denn die Preise für Lebensmittel steigen. Und das läßt sich problemlos bewältigen, wenn wir die Freigabe dieser Reserve gestatten. Wichtig ist, daß wir aus Erfahrung wissen, was wir in der Vergangenheit im Hinblick auf die Freigabe der Mittel getan haben.

Jedes Mal, wenn wir eine Auktion durchführten, gelang es uns, die Währung zu stabilisieren und Preisstabilität zu erreichen. Die Bilanz der Zentralbank ist darin eindeutig. Die Zentralbank war in der Lage, den Preisanstieg in den beiden letzten Jahrzehnten meistens im einstelligen Bereich zu halten. Sehen Sie sich die empirischen Fakten an: Die Taliban versteigerten vor etwa drei Wochen 2,5 Mio. Dollar der 10 Mio. Dollar, die sie versteigern wollten, und diese Auktion resultierte noch am selben Tag in einer Aufwertung der Währung. Der Wert des Afghani stieg und blieb dann zwei Tage lang so. Aber 2,5 Mio. Dollar sind nicht ausreichend.

Die Zentralbank muß ständig intervenieren, um die Preisstabilität zu gewährleisten. Wenn sie das nicht tut, kommt es zu der Krise, die wir jetzt erleben. Wenn die Preise steigen, werden die Menschen verhungern, und dann wird es auch noch zu einer Hungersnot infolge der Dürre kommen. Die Menschen werden Afghanistan verlassen, und sie werden an die europäischen Türen klopfen, um aufgenommen zu werden.

Vorgeschlagene Modifizierung der Sanktionspolitik

Belsky: Sie fordern die Freigabe von 150 Millionen Dollar pro Monat aus den eingefrorenen Reserven, um mit Dollarauktionen den Wert der Währung zu stabilisieren. Wir glauben, damit könnten die westlichen Länder rechtfertigen, afghanische Gelder weiter einzubehalten, wozu sie weder rechtlich noch moralisch berechtigt sind. Sind Sie nicht auch der Meinung, daß sie aus Prinzip und moralischer Verpflichtung alle Gelder freigeben müssen?

Dr. Mehrabi: Ich habe gesagt, daß das Finanzministerium der Vereinigten Staaten seine Sanktionsgesetze klären und ändern muß. Ob das US-Finanzministerium die Rücklagen eines anderen Landes rechtmäßig einbehalten kann, ist meiner Meinung nach nicht klar. Das muß also geklärt werden. Im Bereich der humanitären Hilfe hat das Finanzministerium ein gewisses Maß an Flexibilität bewiesen, aber die Ausnahmeregelungen müssen weiter gefaßt werden als nur für humanitäre Zwecke. Das Finanzministerium hat Bedenken hinsichtlich der Finanzierung des Terrorismus, und andere haben die Frage nach der Kompetenz der [afghanischen] Regierung und ihrer Führungskräfte aufgeworfen. Ich denke, über all diese Fragen kann man diskutieren.

Es gibt eine Reihe von Modellen, die die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit angewendet haben. Dem Iran wurde die Freigabe von Geldern für Handelszwecke gestattet. Das U.S. Office of Foreign Asset Control wird ein gewisses Maß an Flexibilität zulassen müssen, um sicherzustellen, daß Ausnahmen gemacht werden, nicht nur für humanitäre Zwecke, sondern auch, um der Zentralbank Zugang zu ihren Reserven zu ermöglichen. Ich denke, man kann die Afghanen nicht bestrafen.

Wir reden über das Problem der Frauen usw. Frauen und Kinder sind die ersten, die darunter leiden. Sie sind nicht in der Lage, Waren und Dienstleistungen zu kaufen. Wenn wir einerseits argumentieren, daß wir humanitäre Hilfe leisten wollen, andererseits aber auch die Wirtschaft abwürgen, dann sind das zwei gegensätzliche Argumente. Die Argumente ergeben nicht wirklich einen Sinn. Einerseits sagt man, ich will humanitäre Hilfe leisten, aber andererseits werde ich die Wirtschaft abwürgen, so daß die einfachen Afghanen keinen Zugang zu Lebensmitteln und grundlegenden Gütern haben.

Humanitäre Hilfe ist gut, aber keine Lösung

Belsky: Sie haben meine nächste Frage bereits implizit beantwortet, aber ich werde sie trotzdem stellen. Wie Sie wissen, plant die Weltbank jetzt die Wiederherstellung der Hilfe in Höhe von 230 Mio. Dollar. Aber selbst dieser kleine Betrag soll über UNICEF und die Weltgesundheitsorganisation abgewickelt werden, statt über das afghanische Bankensystem zu laufen. Was halten Sie davon?

Dr. Mehrabi: Ich weiß nicht, wofür UNICEF das Geld verwenden wird, für welche Zwecke. Das habe ich bereits gesagt. Oder die WHO, und sogar das Welternährungsprogramm. Wenn es für den Kauf von Getreide und anderen Grundbedürfnissen verwendet wird, ist das gut. Aber humanitäre Hilfe ist keine Lösung, um die Wirtschaftstätigkeit wieder anzukurbeln. Humanitäre Hilfe ist, wie ich schon die ganze Zeit gesagt habe, zwar notwendig, aber eine Überbrückungsmaßnahme, und keine ausreichende Maßnahme, um die Wirtschaft insgesamt so weit zu bringen, daß die Gesamtnachfrage steigt, was für das Funktionieren der Wirtschaft und die Erzielung ausreichender Einnahmen für die tägliche Wirtschaftstätigkeit sehr wichtig ist.

Billington: Soweit ich weiß, wird durch eine oder einige der Sanktionen Afghanistan der Zugang zum Geldtransaktionssystem SWIFT verwehrt. Welche Folgen hat das für das Land?

Dr. Mehrabi: Das ist es, worüber sich die Geschäftsbanken beschweren. Die Geschäftsbanken hatten ein Fenster, durch das sie mit den entsprechenden Banken [in anderen Ländern] in Kontakt treten konnten. Und das wurde gestoppt. Das wurde vom US-Finanzministerium blockiert. Das Finanzministerium wollte es nicht zulassen. Und die Korrespondenzbanken zögern und zögern, sich an irgendwelchen Aktivitäten zu beteiligen, es sei denn, sie erhalten eine Genehmigung vom Finanzministerium.

Solange das US-Finanzministerium nicht für ein gewisses Maß an Flexibilität sorgt, einige Ausnahmen von den Sanktionen zuläßt und dieser SWIFT-Einheit erlaubt, die Transaktionen durchzuführen, werden wir wieder in dieselbe Situation geraten. Die Liquidität wird nicht vorhanden sein. Wir werden die Wirtschaft insgesamt abwürgen.

Nicht die Zentralbank umgehen!

Belsky: Herr Dr. Mehrabi, viele Personen und Organisationen haben erkannt, worauf Sie hinauswollen, nämlich daß humanitäre Hilfe ohne ein Bankensystem nicht funktionieren wird. Eine Person hat jedoch einen konkreten Vorschlag unterbreitet. 2019 hat Alex Yerden, der ehemalige Finanzattaché des US-Finanzministeriums in Kabul, einen Vorschlag unterbreitet, der möglicherweise hinter den Kulissen diskutiert wird.

Er schlägt vor, die Zentralbank zu umgehen, um zu vermeiden, daß die derzeitige afghanische Regierung Geld erhält, und eine private Zentralbank zu gründen, oder eine Geschäftsbank wie die Afghanistan International Bank oder eine andere Bank zu nutzen, in die ein Teil dieser illegal einbehaltenen Gelder fließen kann. Es wird vorgeschlagen, eine private Bank zu gründen, die einige der von Ihnen beschriebenen Aufgaben übernehmen soll, wie z.B. die Versteigerung von Geld zur Stützung der Währung. Was halten Sie von dieser Idee, eine private Zentralbank zu gründen, um die derzeitige Zentralbank zu umgehen?

Dr. Mehrabi: Wir haben etwa 20 Jahre in die Modernisierung und den Aufbau einer Zentralbank investiert, die verwaltungstechnisch in der Lage ist, auf der Grundlage des Gesetzes alle Aufgaben einer Zentralbank zu erfüllen. Dazu gehören die Aufsicht über die Zentralbank, die Ausgabe von Banknoten, die Funktion als Kreditgeber der letzten Instanz und die Bereitstellung von Liquidität für die Geschäftsbanken.
Diese Funktionen können nicht von einer Geschäftsbank übernommen werden. Eine Geschäftsbank ist dazu da, Gewinne zu erzielen, während die Hauptfunktion einer Zentralbank nicht in der Rentabilität besteht. Auch kann eine Geschäftsbank nicht mit der Verantwortung einer Zentralbank betraut werden. Eine Zentralbank hat gut ausgebildetes Personal, das über die nötige Ausbildung und Erfahrung verfügt, um alle ihre besonderen Aufgaben auf der Grundlage des Gesetzes zu erfüllen. Das wurde bisher nicht geändert, es wird immer noch praktiziert.

Die Zulassung einer anderen Einrichtung oder einer parallelen Institution würde in hohem Maße zu einer Situation führen, die viel Verwirrung stiften wird und auf die eine oder andere Weise die Glaubwürdigkeit der Zentralbank in der Öffentlichkeit untergraben wird.

Die Ausgabe von Geld ist Sache der Zentralbank. Eine Geschäftsbank hat weder rechtlich noch anderweitig die Befugnis, Geld auszugeben oder dem System Liquidität zuzuführen. Sie kann keine Währung als Tauschmittel ausgeben. Dagegen wird die von der Zentralbank ausgegebene Währung akzeptiert, weil die Menschen dieser Währung als Tauschmittel oder Wertaufbewahrungsmittel vertrauen und sie als Rechnungseinheit verwenden.

Denken Sie daran, daß nicht nur der US-Dollar, sondern auch die afghanische Währung ein wichtiges Element ist, um Liquidität in die Wirtschaft zu bringen. Die Einrichtung einer parallelen Institution, um die Zentralbank abzuschaffen, wie es einige dieser Leute befürworten, ist also kein Schritt, der die armen Menschen, die einfachen Afghanen, aus der Misere retten wird, in der sie sich unverschuldet befinden.

Die Aussicht auf einen Bankenkollaps

Billington: Die UNO hat sich mit der Krise des Bankensystems befaßt. Die UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Deborah Lyons, hat dem UN-Sicherheitsrat am 17. November einen Bericht vorgelegt, in dem es heißt: „Die katastrophale humanitäre Lage im Land ist vermeidbar, da sie größtenteils auf die Finanzsanktionen zurückzuführen ist, die die Wirtschaft lahmgelegt haben.“ Ebenfalls im November erklärte das UN-Entwicklungsprogramm: „Das kommerzielle Bankensystem ist von entscheidender Bedeutung, selbst um die humanitären und anderen grundlegenden Programme fortzusetzen, die von den Vereinten Nationen, einigen NROs und anderen Partnern gefördert werden. Die wirtschaftlichen Kosten eines Zusammenbruchs des Bankensystems mit den damit verbundenen negativen sozialen Folgen wären also enorm.“ Das ist die Aussage des UN-Entwicklungsprogramms. Hat die UNO irgendwelche nennenswerten Schritte unternommen, um diese Katastrophe, die sie beschreiben, zu verhindern?

Dr. Mehrabi: Das ist eine gute Frage. Schauen wir uns an, was wir wissen. Ich möchte auch erwähnen, daß die UNAMA, die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan, 16 Mio. Dollar in bar als Teil der humanitären Hilfe für Afghanistan bereitstellen konnte. Diese Maßnahme haben sie also ergriffen.

Aber auch die UNAMA hat in den Augen vieler Afghanen keinen besonders guten Ruf, was Effizienz, Glaubwürdigkeit und Rechenschaftspflicht angeht. Wie dem auch sei, es wurden zweimal 16 Mio. Dollar zur Verfügung gestellt. Es wurden also etwa 32 Mio. Dollar in bar bereitgestellt, die fast ausschließlich für humanitäre Hilfe in Afghanistan bestimmt waren. Sie wurden nicht über die Zentralbank eingebracht. Die UNO spricht eindeutig vom Zusammenbruch des Systems, und ich denke, wenn sie über den Finanzsektor und die Zwänge redet, mit denen er konfrontiert ist, dann erkennen sie, daß die Liquidität sowohl der Geschäftsbanken als auch der Zentralbank erodiert ist.

Aber sie haben immer noch nicht genügend Maßnahmen ergriffen, um die Weiterleitung dieser Mittel an die Zentralbank zum Zweck der Versteigerung zu regeln. Wir sagen also, talk the talk, but walk the walk: Laßt den Worten Taten folgen. Ich glaube, das ist ein Thema, das in der UN zur Sprache gebracht werden muß. Die Erklärung der UN-Sonderbeauftragten zeigt deutlich, daß man sich dessen bewußt ist und versteht, daß es zu einem Zusammenbruch des Bankensystems kommen kann. Aber man muß konkrete Maßnahmen ergreifen, um den Zusammenbruch des Bankensystems zu verhindern. Was tut man in diesem Fall? Es wird nichts passieren, wenn man sich nur mit humanitärer Hilfe beschäftigt. Unternehmen und Haushalte werden keinen Zugang zu Bankeinlagen haben. Zunächst einmal haben sie gegenwärtig keinen Zugang zu ihren Bankeinlagen. Die Zentralbank hat strenge Beschränkungen für Geldabhebungen verhängt, weil sie nicht genügend Liquidität im System hat.

Wenn man sich also die bereits erwähnten internationalen Transaktionen ansieht, SWIFT usw. – all das ist weitgehend blockiert worden. Die Unternehmen sind nicht in der Lage, Gelder ins Ausland zu überweisen, um Importe zu bezahlen. Es kommt zu Engpässen in jeder erdenklichen Richtung. Die Aussichten sind natürlich sehr düster, es sei denn, die Vereinigten Staaten ergreifen Maßnahmen – in diesem Fall die Freigabe dieser Gelder, damit sie an die Zentralbank weitergeleitet werden können.

In diesem Stadium hat die Erschöpfung der internationalen Reserven zu einem Schlamassel geführt. Ich würde mir wünschen, daß die UN-Sonderbeauftragte sich genau ansieht, was wir in diesem Fall vorgeschlagen haben. Betrachten Sie eine ganz einfache Sache: Ökonomen betrachten in der Regel die Kosten und den Nutzen. Wie hoch sind die Kosten eines Zusammenbruchs des Bankensystems, und welchen Nutzen hätte es, dafür zu sorgen, daß das System gerettet wird?

Wieviel würden wir, d.h. Europa und die Vereinigten Staaten, dadurch gewinnen, wenn wir dafür sorgen, daß die Wirtschaft normal funktioniert, indem wir ihnen Zugang zu ihren Reserven gewähren und den Menschen, die vom EFRE [Europäischer Fonds für regionale Entwicklung] finanziert werden, weitere Liquidität in Form von Bargeld zukommen lassen. Der EFRE verfügt über eine Menge Mittel, die man für die Gehälter dieser Menschen verwenden könnte, die derzeit nicht bezahlt werden, so daß sie, wenn sie ihr Gehalt bekommen, es ausgeben können, um Waren und Dienstleistungen zu kaufen. Das wird helfen. Die Gesamtnachfrage würde aktiviert, und die Wirtschaft könnte den Multiplikatoreffekt nutzen, um Wirtschaftswachstum zu erzeugen.

Ein direkter Appell an Präsident Biden

Belsky: Dr. Mehrabi, Sie haben sich mit Mitgliedern des Kongresses getroffen, um sie zu drängen, Präsident Biden aufzufordern, die afghanischen Vermögenswerte freizugeben. Ich weiß, daß ein Brief in Umlauf gebracht wurde. Ich habe eine E-Mail von der Maryland Peace Action Group erhalten, und ich weiß, daß Friedensgruppen in den ganzen Vereinigten Staaten einen Appell an die Menschen verbreiten, ihre Kongreßabgeordneten aufzufordern, diesen Brief zu unterzeichnen. Das Schreiben wird von den Abgeordneten Pramila Jayapal, Sarah Jacobs und Jesús García in Umlauf gebracht, um Präsident Biden aufzufordern, die eingefrorenen afghanischen Reserven in Höhe von 9,5 Mrd. Dollar freizugeben. Was können Sie über Ihre Bemühungen im Kongreß und in den Medien sagen, diese Politik zu fördern?

Dr. Mehrabi: Diesen Brief haben wir, glaube ich, im Oktober geschrieben, aber damals war der Kongreß sehr beschäftigt. Wir haben unsere Treffen mit Kongreßabgeordneten und Senatoren fortgesetzt. Durch diese Treffen und Bemühungen ist es uns gelungen, eine Reihe von Unterstützern für diesen Brief zu gewinnen. Bisher haben 23 Personen den Brief unterzeichnet. Ursprünglich hatten Jayapal, Jacobs und García unterzeichnet. Aber jetzt haben sich auch andere Kongreßmitglieder dem Zug angeschlossen und unterschrieben.

Ich hatte heute ein Treffen mit Mitarbeitern des Kongresses und des Senats, bei dem ich einen Vortrag hielt und die Idee dieses Briefes vorstellte und weitere Unterschriften erhielt. Wir hatten gehofft, noch mehr Unterschriften zu bekommen und dann dieses zweiseitige Schreiben Präsident Biden zu überreichen.

Wir machen deutlich, was getan werden muß und warum es getan werden sollte, und wie wichtig es ist, dafür zu sorgen, daß die Menschen in Afghanistan nicht verhungern, und es nicht zu Hungersnöten und allgemeiner Armut kommt. Das liegt im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten.

Es wird argumentiert, die Vereinigten Staaten hätten viel Schweiß und Geldmittel aufgewendet, um sicherzustellen, daß diese Institutionen aufgebaut wurden. Und jetzt sollten wir diese spezielle Institution nicht abbauen. Die Afghanen verdienen es, Zugang zu ihren Währungsreserven zu haben. Sie verdienen ein Leben in Frieden und Wohlstand in einem Land, das 40 Jahre lang unter einem Krieg gelitten hat. Alle diese Argumente sind in dem Brief an Präsident Biden klar formuliert. Er wird Präsident Biden bald vorgelegt werden, wahrscheinlich am Montag oder Dienstag nächster Woche.

Operation Ibn Sina

Billington: Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin der internationalen Schiller-Institute, wendet sich, wie Sie wissen, entschieden gegen diese Politik des Völkermords, die von den USA und den verbündeten NATO-Staaten gegen Afghanistan betrieben wird. Sie betont, daß über die Soforthilfe hinaus die Einführung eines modernen Gesundheitssystems notwendig ist, mit allem, was dazu gehört, d.h. sauberes Wasser, Elektrizität, Transportmittel sowie medizinische Einrichtungen. Zepp-LaRouche nennt dieses Projekt der internationalen Zusammenarbeit „Operation Ibn Sina“, nach dem berühmten medizinischen Genie, Dichter, Astronomen und Philosophen des 11. Jahrhunderts, der in der Region des heutigen Afghanistan geboren wurde und in der gesamten islamischen Welt sehr beliebt ist. Was halten Sie von diesem Vorhaben, und was können Sie über Ibn Sina sagen?

Dr. Mehrabi: Ich danke Ihnen besonders für diese Frage. Wir haben es hier mit dem aktuellen Afghanistan zu tun, mit dem Zusammenbruch einer Regierung, die im Entstehen begriffen ist, und Afghanistan steht vor wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Herausforderungen – vor gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen. Jede Bemühung um Entwicklung und Wirtschaftswachstum ist willkommen.

Ich denke, die Bemühungen von Frau LaRouche, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen – Afghanistan hat eine sehr hohe Sterblichkeitsrate – ein Schritt sind, der zumindest das Leben vieler Menschen verlängern wird, die aufgrund ihrer Krankheiten und des fehlenden Zugangs zur Gesundheitsversorgung ein kürzeres Leben hätten. Und es geht natürlich auch um Zugang zu sauberem Wasser und Strom. Zurzeit kann Afghanistan nicht viel Strom importieren und kann ihn auch nicht bezahlen, weil die Währung knapp ist.

Ich denke, das sind alles Schritte, die wir alle unterstützen sollten, und wir sollten alle in der einen oder anderen Form sehr dankbar dafür sein.

Im Bereich der Gesundheit erlebt Afghanistan eine dritte COVID-19-Welle, die im April begann. Die Infektionsraten haben ein sehr hohes Niveau erreicht. In Verbindung mit einem Rückgang der ausländischen Hilfe ist der Staat nicht in der Lage, genügend Geld für die Bewältigung der Gesundheitsprobleme aufzubringen. Hinzu kommt, daß die Weltbank, die die Mitarbeiter des Gesundheitssektors bezahlte, die Zahlungen eingestellt hat. All dies zusammen hat zu einer wirklich katastrophalen Situation für die Wirtschaft Afghanistans geführt.

Daher ist ein Schritt wie dieser, der von Frau LaRouche eingeleitet wurde, zu begrüßen. Und ich denke, Ibn Sina ist, wie Sie bereits erwähnten, in diesem Teil der Region und auch in Afghanistan sehr bekannt. Es gibt ein Ibn-Sina-Krankenhaus im Herzen von Kabul, das von vielen Patienten besucht wird. Die Menschen würden die Modernisierung dieser Einrichtung mit Hilfe von Frau LaRouche und anderen sehr schätzen und würdigen.

Groß angelegte Infrastruktur für wirtschaftliche Entwicklung

Billington: Das andere wichtige Thema, für das wir vom Schiller-Institut und von EIR uns einsetzen, ist der Aufbau einer großangelegten Infrastruktur, besonders mit Hilfe der Gürtel- und Straßen-Initiative. Wir haben gerade erfahren, daß Pakistan mit dem Bau einer Eisenbahnverbindung von Quetta nach Kandahar begonnen hat. Und wir wissen, daß im Februar letzten Jahres ein Plan akzeptiert wurde, zwischen Pakistan, Afghanistan und Usbekistan, als Teil von Gürtel und Straße, eine Bahnverbindung vom China-Pakistan-Wirtschaftskorridor (CPEC) von Islamabad über den Khyberpaß nach Kabul und weiter nach Taschkent zu bauen, die allen zentralasiatischen Ländern erstmals Zugang zum Arabischen Meer verschaffen und auch Afghanistan grundlegend verändern würde.

Wie sieht Ihre Vision für die Entwicklung Afghanistans aus, und halten Sie es für möglich, daß diese Projekte fortgesetzt werden können, ohne erst die Bankenkrise zu lösen und die Zusammenarbeit mit China und anderen Nachbarländern zu suchen?

Dr. Mehrabi: Ich glaube, das sollten wir. Zusätzlich zur humanitären Hilfe könnte die chinesische Gürtel- und Straßen-Initiative Afghanistan langfristige wirtschaftliche Lebensfähigkeit verschaffen. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, den man im Auge behalten sollte.

Eine Möglichkeit ist natürlich, daß Afghanistan sich dem Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridor anschließt, der ein zentraler Bestandteil der Gürtel- und Straßen-Initiative ist. Ich glaube, Beijing hat über 60 Milliarden Dollar für die Infrastruktur in Pakistan zugesagt. Ursprünglich war es Afghanistan nicht erlaubt, sich daran zu beteiligen, aber ich glaube, jetzt wurde es eingeladen. Diese Initiative, der Chinesisch-Pakistanische Wirtschaftskorridor, ist eine gute Option für die Entwicklung Afghanistans.

Es ist auch wichtig zu bedenken, daß die Erdgaspipeline Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien (TAPI) im Gespräch ist. Die TAPI könnte Afghanistan eine ganze Menge Geld einbringen – die Transitgebühren werden auf über 400 Mio. Dollar geschätzt. Diese Pipeline ist zweifellos auch ein wichtiges Projekt.

Aber es gibt auch andere Entwicklungsbereiche, die zwar angesprochen, aber noch nicht vollständig erforscht und umgesetzt wurden, wie z.B. Mineralien. Als ich 2008 im Finanzministerium in Afghanistan war, wurde ein Vertrag mit der Metallurgical Corporation of China über die Erschließung der Kupfermine Mes Aynak unterzeichnet, aber wegen der Sicherheitslage konnte dort nicht viel produziert werden. Dann sprachen wir über die Eisenerzmine Hajigak, die erschlossen werden muß.

Wir haben Ölvorkommen, die China ebenfalls zu erschließen versucht. Es gibt also viele weitere Möglichkeiten. Außerdem verfügt Afghanistan neben anderen Mineralien über große Lithiumvorkommen, die, wenn sie abgebaut würden, erhebliche Devisenreserven einbringen könnten.

Sanktionen schaden nur den einfachen Menschen

Belsky: Gibt es noch andere Gedanken, die Sie uns mitteilen möchten?

Dr. Mehrabi: Nun, ich bin der festen Überzeugung, wie ich schon die ganze Zeit gesagt habe, daß die Reserven freigesetzt werden müssen und wir in der Lage sein sollten, dafür zu sorgen, daß die einfachen Afghanen nicht in eine Lage kommen, in der sie nicht genug Nahrungsmittel haben.

Als Wirtschaftswissenschaftler und afghanischer Amerikaner bin ich zutiefst besorgt über das Schicksal der 35 Millionen Menschen in Afghanistan, die ihr ganzes Leben lang nichts anderes als Krieg und Leid erlebt haben. Und wenn nun ein anderes Land diesen Menschen die Luft abdreht, wird das Ergebnis – wie Sie wissen – nur eine neue Flüchtlingskrise sein, eine Flüchtlingskrise, wie wir sie 2014 in Syrien gesehen haben, oder sogar noch schlimmer. Die Afghanen werden zu Fuß fliehen. Sie werden ihre Babys in einer Hand tragen und alles, was sie haben, in der anderen, und sie werden nach Westen gehen, in den Iran, in der Hoffnung, es in die Türkei und dann nach Europa zu schaffen. Ich denke, damit haben die Vereinigten Staaten versagt – und zwar nicht nur in kurzsichtiger Weise, sondern sie haben auch das afghanische Volk endgültig im Stich gelassen.

Ich halte es für sehr wichtig, daß die Vereinigten Staaten, die mit den Taliban über die Evakuierung verhandelt haben, die darüber verhandelt haben, wie sie den IS [Islamischen Staat] angreifen können, sich einerseits voll und ganz solchen Aktivitäten widmen können, sich aber andererseits nicht voll und ganz auf die Freigabe dieser Geldmittel einlassen wollen.

Man sieht diese Politik, die jetzt betrieben wird. Sie schadet nie denen, auf die sie abzielt. Sie wird der derzeitigen Regierung nicht schaden. Das wissen wir aus vielen anderen Fällen. Sie schaden den einfachen Afghanen, die es verdient haben, über ihr Geld zu verfügen. Sie verdienen es, daß ihre Ersparnisse nicht wertlos werden – wertlos, weil die Inflation sie auffrißt, den Wert ihres Geldes, in einem Augenblick. Sie verdienen es, daß sie ihre Familien ernähren können. Wie ich bereits sagte, ich halte dieses Versäumnis, den Zugang zum Geld zu ermöglichen, für kurzsichtig.

Lassen Sie uns versuchen, so zu handeln, daß wir diesen Menschen tatsächlich helfen. Die Vereinigten Staaten haben eine Menge Geld investiert. Versuchen wir, die Spirale von Preissteigerungen, Nahrungsmittelknappheit, Währungsabwertung und Bankschließungen zu vermeiden. Lassen Sie uns versuchen, den völligen Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern.

Billington: Vielen Dank, Dr. Mehrabi. Wir wissen das zu schätzen. Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um Ihre Botschaft mit unseren Bemühungen zu verbreiten, zusammen mit anderen, die sich Ihnen anschließen und versuchen, diese Greuel zu verhindern und zumindest die Zerstörungen wiedergutzumachen, die in all diesen Jahren an Ihrem Land angerichtet wurden.

Dr. Mehrabi: Ich danke Ihnen vielmals. Ich danke Ihnen, Gerry, und ich danke Ihnen, Mike, für all Ihre Hilfe und Ihre Bemühungen in diesem Bereich. Ich bin sehr dankbar für Ihr Engagement in diesem Bereich. Ich bin Optimist. Es hat eine Weile gedauert, bis dieser Brief herauskam, aber wir haben es endlich geschafft, mit zwei-, drei- oder manchmal viermaligen Treffen pro Woche für verschiedene Gruppen. Wir haben jetzt einen Stand erreicht, bei dem wir mindestens 23 Mitunterzeichner haben. Hoffentlich wird die Anzahl noch größer werden… Wir werden das versuchen. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten, und wir bleiben in Kontakt. Und nochmals vielen Dank.

Belsky: Und ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen, Dr. Mehrabi.

(Der Brief an Präsident Biden wurde am 20. Dezember mit den Unterschriften von 46 demokratischen Abgeordneten des Kongresses übermittelt und veröffentlicht, siehe https://progressives.house.gov/_cache/files/7/9/79c380ca-661d-4158-9a88-f3a67ca24cdd/0C4CB37A3A6799AA59E3FCF4E01FCF3F.12-20-21-afghanistan-humanitarian-crisis-letter-1-.pdf)


Interview mit dem chinesischen Ökonomen Justin Yifu Lin: China und Hamiltons Wirtschaftslehre

Der folgende Text ist das bearbeitete und leicht gekürzte Transkript eines Interviews mit Justin Yifu Lin, das der EIR-Redakteur Michael Billington am 20. Dezember 2021 führte. Dr. Lin war von 2008 bis 2012 Chefökonom und Senior-Vizepräsident der Weltbank und ist heute Dekan des Instituts für Neue Strukturelle Ökonomie und des Instituts für Süd-Süd-Kooperation und Entwicklung sowie Professor und Ehrendekan der Nationalen Schule für Entwicklung an der Universität Peking. Zwischenüberschriften und Fußnoten wurden hinzugefügt.

Was verhindert eine Zusammenarbeit der USA und Chinas im Entwicklungsbereich?

EIR:

Hier ist Mike Billington von Executive Intelligence Review, dem Schiller-Institut und der LaRouche-Organisation. Ich spreche mit Dr. Justin Yifu Lin.

Dr. Lin: Vielen Dank für die Gelegenheit, dieses Gespräch mit Ihnen zu führen.

EIR: Wie Sie wahrscheinlich wissen – ich habe Ihnen etwas davon geschickt -, gibt es mehrere hochrangige Diplomaten und Geheimdienstexperten in den Vereinigten Staaten – darunter Botschafter Chas Freeman, der über große Erfahrung in China verfügt, und der ehemalige CIA-Beamte Graham Fuller -, die davor warnen, daß die US-Außenpolitik zur „Waffe“ geworden ist, daß die Diplomatie verlorengegangen ist, und daß das die Gefahr eines Krieges der USA gegen China und Rußland erhöht.

Sie haben in der Vergangenheit für etwas plädiert, das man als „wirtschaftliche Abschreckung“ bezeichnen könnte: Wenn Chinas Wirtschaft deutlich größer wird als die der USA, dann könne „die eigene Entwicklung der Vereinigten Staaten die Möglichkeiten des chinesischen Marktes nicht ignorieren“, und dies würde zu einer „friedlichen und gemeinsamen Entwicklung zwischen China und den Vereinigten Staaten“ führen. Was steht Ihrer Meinung nach dieser friedlichen und gemeinsamen Entwicklung jetzt im Wege?

Dr. Lin: Vielen Dank für diese für unsere heutige Welt sehr wichtige Frage. Zunächst einmal müssen wir verstehen, daß die Zusammenarbeit zwischen den USA und China für viele globale Herausforderungen von entscheidender Bedeutung ist, denn die USA sind das größte und stärkste Land der Welt, und China ist die zweitgrößte Volkswirtschaft, was die wirtschaftliche Größe angeht. Ihre Zusammenarbeit bildet die Grundlage für die Bekämpfung des Klimawandels, die Eindämmung von Pandemien und die Unterstützung anderer Länder bei der Überwindung ihrer Armut, um die [UN-] Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 zu erreichen. Die Zusammenarbeit ist also wichtig, und unsere Zusammenarbeit ist sicherlich gut für die USA, für China und für die ganze Welt.

Aber wir haben nicht erlebt, daß die Zusammenarbeit zustande kam. In den letzten Jahren gab es viele Spannungen. Ich glaube, das liegt daran, daß die USA das Vertrauen in sich selbst verloren haben. Die USA waren das ganze 20. Jahrhundert hindurch die größte Volkswirtschaft der Welt. Gemessen an der Kaufkraftparität hat China die USA 2014 überholt, aber die USA haben aus eigenem Interesse versucht, ihre Dominanz aufrechtzuerhalten, wirtschaftlich, politisch und so weiter.

Und so gibt es nun einige, die an der Strategie der USA beteiligt sind, die versuchen, China einzudämmen. Und diese Strategie spiegelt sich natürlich in der Diplomatie und Außenpolitik der USA gegenüber China wider. Das bedroht natürlich die Stabilität der Welt, denn erstens brauchen wir Zusammenarbeit, um globale Probleme anzugehen, aber zweitens ist diese Art von Spannung eine Bedrohung für die Grundlage der Zusammenarbeit; sie trägt zur Unsicherheit in der Welt bei. Das ist sehr schlecht.

Wie kann die Schwierigkeit behoben werden?

Wie können wir das verbessern? Nun, eine Möglichkeit wäre, daß China seine wirtschaftliche Größe reduziert. Wenn China sein BIP um die Hälfte reduzieren würde, dann würden sich die USA nicht bedroht fühlen. Aber das ist unmöglich, denn Entwicklung ist ein Menschenrecht. Das steht in der UN-Charta und diese Charta wird von den USA und vielen anderen Ländern seit Jahrzehnten befürwortet. Es gibt also keinen Grund, warum China sein Einkommen um die Hälfte oder mehr kürzen sollte, um den USA zu gefallen.

Der andere Weg ist die Fortsetzung von Entwicklung und Wachstum. Ich habe einen Artikel geschrieben, in dem ich behaupte, wenn China die Hälfte des Pro-Kopf-BIP der USA erreichen kann – ich denke, das ist sehr moderat, nur die Hälfte der USA -, spätestens dann werden die USA China akzeptieren, und zwar aus drei Gründen:

Erstens, wenn Chinas Pro-Kopf-BIP halb so hoch ist wie das der USA – wir hätten sicherlich immer noch ein Gefälle im Land -, dann haben unsere entwickelteren Regionen, wie die großen Städte Peking und Shanghai und die entwickelteren Gebiete, unsere Küstenprovinzen wie Shandong, Jiangsu, Zhejiang, Fujian und Guangdong zusammen eine Bevölkerung von etwas mehr als 400 Millionen. Die Bevölkerung der USA liegt derzeit bei etwa 340 Millionen, aber die Bevölkerung der USA wird sicherlich weiter wachsen.

In den stärker entwickelten Regionen Chinas wird das Pro-Kopf-BIP dann etwa so hoch sein wie in den USA. Sowohl das Pro-Kopf-BIP als auch die wirtschaftliche Größe werden in etwa so hoch sein wie in den USA. Wir wissen, daß das Pro-Kopf-BIP die durchschnittliche Arbeitsproduktivität dieses Teils der Wirtschaft widerspiegelt, und die durchschnittliche Arbeitsproduktivität spiegelt die industrielle Leistung, die technologische Leistung wider.

Zu diesem Zeitpunkt werden die USA also nicht mehr die technologische Überlegenheit haben, mit der sie die chinesische Entwicklung abwürgen könnten. Gegenwärtig haben die USA eine Reihe von Hightech-Unternehmen aus China auf ihre sogenannte Entity List1 gesetzt, ohne konkrete Beweise für ihre Anschuldigungen zu haben. Das liegt nur daran, daß die USA ihre technologische Überlegenheit nutzen wollen, um Chinas Entwicklung abzuwürgen. Aber wenn zu diesem späteren Zeitpunkt die fortgeschritteneren Regionen in China das gleiche Einkommensniveau, das gleiche technologische Niveau hätten, dann wären die USA dazu nicht mehr in der Lage.

Zweitens ist unsere Bevölkerungszahl etwa viermal so groß wie die der USA. Wenn unser BIP pro Kopf halb so groß ist wie das der USA, dann wird Chinas wirtschaftliche Größe doppelt so groß sein wie die der USA. Das ist eine Tatsache.

Und drittens wird China zu diesem Zeitpunkt die größte Volkswirtschaft sein, und China wird weiter wachsen. Wenn die USA zum Beispiel die Unternehmen auf der Fortune-500-Liste behalten wollen, dürfen sie den chinesischen Markt nicht verlieren. Und auch im Handel ist es sicherlich eine Win-Win-Situation. Aber wir wissen, daß im Handel die kleinere Wirtschaft mehr profitiert als die größere Wirtschaft. Bis dahin wird Chinas Wirtschaft doppelt so groß sein wie die der USA, so daß die USA im Handel mit China mehr gewinnen werden. Wenn den US-Politikern also wirklich etwas an ihrem eigenen Volk liegt, dann sind freundschaftliche Beziehungen zu China notwendig. Es wäre für die USA notwendig, das Wohlergehen ihrer eigenen Bevölkerung zu verbessern und die Spitzenposition ihrer Unternehmen in der Welt zu erhalten.

Gegen die wirtschaftliche Unterdrückung durch die USA

EIR: Sie haben schon einmal argumentiert, daß die USA die japanische Wirtschaft in den 80er und 90er Jahren absichtlich unterdrückt haben, um, wie Sie sagten, „zu verhindern, daß sie den wirtschaftlichen Status der USA bedrohen“. Und wie Sie gerade sagten, tun sie jetzt so ziemlich das Gleiche gegenüber China, indem sie diese chinesischen Unternehmen mit Anschuldigungen etc. unterdrücken. Wie wehrt China sich heute dagegen? Sie haben bereits gesagt, was Sie für die Zukunft vorschlagen, aber wie kann China diesem Angriff auf Huawei und andere Unternehmen heute begegnen?

Dr. Lin: Ich denke, das erste, was wir tun müssen, ist, ruhig und offen zu bleiben. Wir müssen unsere Wirtschaft dazu bringen, ihre Markteffizienz weiter zu verbessern. Die USA haben heute eine gewisse Überlegenheit, einen Vorsprung bei bestimmten Technologien, aber die USA sind nicht das einzige Land, das über derartige Technologien verfügt. Die fortgeschrittenen Länder in Europa – Deutschland, Frankreich und Italien – sowie Japan und Korea verfügen ebenfalls über viele fortschrittliche Technologien. China sollte offen bleiben, um Zugang zu den Technologien anderer fortschrittlicher Länder zu haben, solange es sich nicht um Technologien handelt, bei denen die USA das Monopol haben.

Hochentwickelte Technologien erfordern eine eigene intensive Forschung und Entwicklung – das ist ein bißchen teuer, und wenn solche technologischen Durchbrüche erzielt werden, hängt die Rentabilität dieser Unternehmen davon ab, wie groß der Markt ist. Gemessen an der Kaufkraftparität ist China bereits der größte Markt der Welt. Seit 2008 hat China jedes Jahr etwa 30% zum globalen Marktwachstum beigetragen. Solange China seinen Markt öffnen kann, denke ich, werden andere Hightech-Unternehmen bereit stehen, die Lücke zu füllen, die entsteht, wenn die USA ihre Unternehmen daran hindern, solche Technologien nach China zu exportieren. China muß sich nur auf einige wenige Technologien konzentrieren, für die die USA weltweit der einzige Anbieter sind. Auf diese Weise werden wir nicht abgewürgt werden.

Zweitens müssen wir unsere Volkswirtschaften weiter entwickeln. Derzeit beträgt unser BIP, gemessen an der Kaufkraftparität, etwa 25% des US-BIP, und nach dem Marktwechselkurs beträgt unser BIP etwa ein Sechstel des US-BIP. Wie gesagt, wenn wir unser Markt-Momentum aufrechterhalten, werden wir das Dilemma lösen.

„Industriepolitik“ contra „Freihandel“

EIR: Sie schreiben seit Jahren über die Tatsache, daß die fortgeschrittenen Industrienationen den Stand, auf dem sie sich heute befinden, dadurch erreicht haben, daß sie staatlich gelenkte Kredite und das, was Sie „Industriepolitik“ nennen, eingesetzt haben, um aufstrebende Industrien und die für solche Entwicklung notwendige Forschung zu schützen und zu fördern. Doch nun verweigern diese fortgeschrittenen Länder den heutigen Schwellenländern unter dem Vorwand des „Freihandels“ die gleichen Maßnahmen.

Der koreanische Wirtschaftswissenschaftler Chang Ha-joon bezeichnet das als „Wegstoßen der Leiter“. Lyndon LaRouche hat es als den Hauptunterschied zwischen dem britischen System des „Freihandels“ und dem ursprünglichen Amerikanischen System des staatlichen Schutzes und gelenkten Kredits herausgestellt. Ich habe auch geschrieben, daß das chinesische Wirtschaftsmodell, für das Sie heute werben, dem Amerikanischen System – Leuten wie Alexander Hamilton, Friedrich List und Henry Carey – näher steht als dem, das heute in den USA selbst praktiziert wird. Wie sehen Sie das?

Dr. Lin: Ich stimme dem voll und ganz zu, keine Frage. In der Tat haben nicht nur die USA ihre eigenen Industrien während der Aufholphase geschützt, sondern auch Großbritannien praktizierte dasselbe. Vor dem 17. Jahrhundert versuchte Großbritannien, mit den Niederlanden gleichzuziehen, denn damals war der niederländische Wolltextilsektor weiter entwickelt als der britische. Das BIP der Niederlande war etwa 30% höher als das britische. Großbritannien wandte also ähnliche Strategien an, um seine eigene Wolltextilindustrie zu schützen, und schuf alle möglichen Anreize, um die Ausrüstung aus den Niederlanden nach Großbritannien zu schmuggeln und Anreize zu schaffen, um Handwerker des Textilsektors aus den Niederlanden nach Großbritannien zu holen.

Das ist genau derselbe Prozeß, wie ihn Hamilton und List darlegen. Erst nach der industriellen Revolution wandte Großbritannien sich dem Freihandel zu. Großbritannien war damals das fortschrittlichste Land der Welt, und seine Industrie war die fortschrittlichste der Welt. Sie wollten ihre Produkte in andere Länder exportieren und begannen daher, den Freihandel zu befürworten.

Damals wollten die USA aufholen, und so verfolgten sie genau dieselbe Politik wie Großbritannien im 17. Jahrhundert, als Großbritannien die Niederlande einholen wollte. Wenn man sich die Geschichte ansieht, waren nur wenige Länder in der Lage, sich zu industrialisieren und aufzuholen. Man kann sehen, daß alle Länder bei ihrem Aufholprozeß die aktive Unterstützung der Regierung in Anspruch nahmen, um ihre industrielle Modernisierung voranzutreiben.

Großbritannien und die USA haben, nachdem sie zu den fortschrittlichsten Ländern aufgestiegen waren, einerseits ihren Wählern gegenüber für den Freihandel plädiert, gleichzeitig aber auch aktiv Forschung und Entwicklung gefördert, um ihre Technologie weiter zu verbessern. Auf diese Weise konnten sie ihre Technologie weiter verbessern und auch neue, höherwertige Industrien entwickeln. Ihre Technologien waren an der Weltspitze, und wenn sie neue Technologien haben wollten, mußten sie diese selbst erfinden.

Die Erfindung von Technologien besteht aus zwei Teilen. Der eine ist die Grundlagenforschung, der andere die Entwicklung neuer Produkte auf der Grundlage von Durchbrüchen in der Grundlagenforschung. Privatunternehmen haben natürlich einen Anreiz, neue Technologien und neue Produkte zu entwickeln, denn wenn sie erfolgreich sind, können sie Patente erhalten und dann bis zu 17 oder 20 Jahre lang eine Monopolstellung auf dem Weltmarkt haben. Wenn man aber gleichzeitig keine Durchbrüche in der Grundlagenforschung erzielt, wird es für sie sehr schwierig oder sogar unmöglich, neue Produkte und Technologien zu entwickeln.

Aber wissen Sie, die Grundlagenforschung ist ein öffentliches Gut, und deshalb hat der private Sektor keinen Anreiz, Grundlagenforschung zu betreiben. Wenn man sich die Länder mit hohem Einkommen anschaut, sieht man, daß deren Regierungen alle die Grundlagenforschung fördern. Das ist für sie eine Notwendigkeit, um weiterhin neue Technologien, neue Produkte und so weiter zu entwickeln. Sie nutzen immer noch die Industriepolitik. Der Unterschied besteht jedoch darin, daß sie sich an der Weltspitze [neuer Technologien] befinden, und deshalb ist eine Industriepolitik in den fortgeschrittenen Ländern, die Marktversagen beheben soll, anders als Industriepolitik, die Marktversagen in einem Entwicklungsland beheben soll.

Vom Wesen her ist es dasselbe, aber die Bereiche, in denen der Staat seinen Beitrag leisten muß, sind unterschiedlich. Vor einigen Jahren erschien ein berühmtes Buch mit dem Titel The Entrepreneurial State von Mariana Mazzucato.2 Ihr Thema ist: Alle wichtigen und wettbewerbsfähigen Industriezweige in den USA sind heute das Ergebnis der aktiven Unterstützung der Regierung für die Grundlagenforschung in der vorangegangenen Periode. Der Bereich, in dem die Regierung eines Landes ihre Anstrengungen verstärken muß, ist also je nach Entwicklungsstand unterschiedlich.

Hamilton vs. Jefferson

In den Vereinigten Staaten gibt es zwei Traditionen: Die eine Tradition ist die Hamilton-Tradition, die argumentiert, daß der Staat Unterstützung leisten sollte, um die Hindernisse für die weitere Entwicklung zu überwinden. Die andere Tradition ist die Jefferson-Tradition, die besagt, daß der Staat nichts tun und dem Markt das Funktionieren überlassen sollte – der Staat sollte minimal sein.

In der Praxis haben sich die USA seit der Gründung der Nation an Hamilton orientiert. Aber in der Rhetorik sind sie völlig von der Jefferson-Tradition beherrscht. Ich glaube, es gibt eine Kluft zwischen der Realität und ihrer Rhetorik, aber leider war ihre Rhetorik so mächtig, daß sie sich auf die Entwicklungsländer auswirkte. Ihnen wurde von Ihrer Regierung geraten, nichts zu tun, und das Ergebnis war – mit Ausnahme einiger weniger Länder, deren Regierungen der Hamilton-Tradition folgten und in der Lage waren, sich zu industrialisieren und aufzuholen -, daß andere Länder von der Jefferson-Tradition dazu verleitet wurden, nichts zu tun, und deshalb nicht in der Lage waren, den Abstand zu den fortgeschrittenen Ländern zu verringern.

„Geldrechnung“ contra „Vermögensrechnung“

EIR: Sie und andere chinesische Vertreter, darunter auch Ministerpräsident Li Keqiang, fordern eine neue Methode zur Erfassung der Stärke von Nationen. Sie argumentieren, daß die ausschließliche Betrachtung des BIP und der Schulden – also der Geldseite – Ihrer Meinung nach „schwerwiegende Mängel“ aufweist, da nur monetäre Daten berücksichtigt werden, aber die zugrundeliegenden nationalen Vermögenswerte, einschließlich Humankapital, Naturkapital und produziertem Kapital, unberücksichtigt bleiben. Sie nennen diese alternative Methode „Vermögensrechnung“ (wealth accounting). Wie weit ist diese Idee in China oder anderswo entwickelt und umgesetzt worden?

Dr. Lin: Zunächst einmal freue ich mich, daß in einigen Ländern die Bereitschaft zur Veränderung wächst. Das BIP ist ein Flußkonzept – wieviel man jedes Jahr produziert. Aber die jährliche Produktion hängt vom Bestand des Reichtums ab, einschließlich des Humankapitals, der natürlichen Ressourcen, der biologischen Vielfalt sowie des produzierten Kapitals: Ausrüstung, Maschinen und auch Infrastruktur. All dies ist der Reichtum einer Nation und die Grundlage für die Produktion von Waren und Dienstleistungen, die das BIP erzeugen.

In der Vergangenheit haben wir uns nur mit dem Flußkonzept, dem BIP, befaßt, ohne auf den Zustand der Grundlage für die Erzeugung des Flusses zu achten. Die Grundlage sollte auf dem Reichtum beruhen – dem Vermögen, das wir gerade beschrieben haben. Ich freue mich, daß die Notwendigkeit einer Änderung des Konzepts zunehmend anerkannt wird, auch vom IWF, der kürzlich ein Papier vorgelegt hat, in dem es heißt, daß eine Regierung, die Schulden zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen einsetzt, Vermögen schafft, anders als eine Regierung, die diese Schulden zur Finanzierung von Konsum einsetzt – das sind reine Schulden.

Wenn wir also die Verschuldung danach berechnen, ob die Regierung die Schulden zur Finanzierung von Infrastruktur oder anderen Verbesserungen des Humankapitals verwendet, dann trägt das dazu bei, daß das Land neue Einkommensströme generieren kann und damit die Fähigkeit zur Rückzahlung ihrer Schulden verbessert. In der Vergangenheit, als wir über den Rahmen für die Schuldentragfähigkeit sprachen, wurde in diesem Rahmen nur die Bruttoverschuldung berechnet, ohne die Vermögensseite zu berücksichtigen. Der IWF forderte heute eine Überarbeitung seines Rahmens für die Schuldentragfähigkeit. Wir freuen uns also darüber, daß dieses umfassendere Konzept nun zunehmend anerkannt und in die politischen Überlegungen einbezogen wird.

EIR: Waren Sie und andere chinesische Wirtschaftswissenschaftler an dieser Änderung im IWF beteiligt?

Dr. Lin: Als ich bei der Weltbank war, habe ich angefangen, mich dafür einzusetzen. Ich schrieb Grundsatzpapiere, um das zu fördern. Die Überzeugungen und Verhaltensweisen der Menschen zu ändern, braucht natürlich Zeit. Ich war von 2008 bis 2012 Chefvolkswirt der Weltbank. Der Vorschlag, auf den neuen Rahmen umzustellen, kam erst etwa vier Jahre nach meinem Ausscheiden! Ich denke also, wenn wir die Welt verändern wollen, sollten Gespräche wie dieses mit Ihnen und mir und Menschen mit einem besseren Konzept, mit besseren Ideen, nicht aufhören, sich dafür einzusetzen. Und je mehr Menschen das verstehen, desto mehr denke ich, daß sich die Welt letztendlich zum Besseren verändern wird.

EIR: Sie greifen die neoliberale Orthodoxie an. Aber als Sie zwischen 2008 und 2012 bei der Weltbank waren, haben Sie diese als die vorherrschende Ideologie bei der Weltbank und dem IWF hautnah erlebt.

Ich vermute, Sie erklären jetzt, wie Sie damals damit umgegangen sind und wie Ihre Argumente längerfristig wirken. Ist das so richtig?

Dr. Lin: Ja, das ist ganz richtig. Als ich zum Beispiel bei der Weltbank anfing, sagte ich: „Okay, der Strukturwandel ist die Grundlage für eine inklusive und nachhaltige Entwicklung in jedem Land. Aber wenn man sich den Strukturwandel ansieht, muß man sich nicht nur auf die Unternehmer verlassen, um Innovationen zu haben, sondern die Unternehmer müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen, mit einer angemessenen Infrastruktur ausgestattet werden. Man muß eine angemessene finanzielle Unterstützung bereitstellen. Es bedarf einer Verbesserung der Infrastruktur, der Institutionen und so weiter. Auch rechtlicher Institutionen. All diese Dinge sind für einzelne Unternehmen nicht zu bewältigen. Sie brauchen dazu den Staat.

Aber die Kapazitäten und Ressourcen des Staates sind begrenzt. Man muß die begrenzten Kapazitäten und Ressourcen strategisch einsetzen. Das heißt, man muß sich bestimmte Bereiche aussuchen, die man fördern will. Und die erfordern natürlich die sogenannte Industriepolitik. Zu Beginn war Industriepolitik in den internationalen Entwicklungsorganisationen, einschließlich der Weltbank, ein Tabu. Aber ich habe angefangen, dafür zu werben. Es freut mich zu sehen, daß immer mehr Menschen akzeptieren, daß eine Industriepolitik notwendig ist – die US-Regierung eingeschlossen, die jetzt offen sagt: Wir sind für eine Industriepolitik für unsere zukünftige Entwicklung. Ein Beispiel ist die Infrastruktur. Seit 2008 plädiere ich dafür, in die Infrastruktur zu investieren, um einerseits der Notwendigkeit antizyklischer Maßnahmen gerecht zu werden, andererseits aber auch, um die Grundlage für eine langfristige Entwicklung in den Entwicklungsländern zu schaffen. So werden also zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

Damals bestand die antizyklische Intervention hauptsächlich in der Bereitstellung von Rettungspaketen für entlassene Arbeitnehmer und ähnliches. Ich sehe natürlich ein, daß es wichtig ist, die Wirtschaft zu stabilisieren. Aber wenn man nur, sagen wir mal, Arbeitslosenunterstützung bereitstellt, dann geht es zwar um den Konsum, aber man trägt nicht dazu bei, das Wachstumspotential in der Zukunft zu erhöhen. Wenn man in die Infrastruktur investiert, schafft man [nicht nur] Arbeitsplätze, sondern verringert den Bedarf an Arbeitslosenunterstützung und legt gleichzeitig den Grundstein für langfristiges Wachstum.

Am Anfang waren die Menschen sehr zurückhaltend. Aber ich freue mich, daß die Weltbank, der IWF und die Europäische Union und bis zu einem gewissen Grad auch die USA die Idee akzeptieren und begonnen haben, die Notwendigkeit von Infrastrukturen zu befürworten. Kürzlich hat die Regierung Biden dem Kongreß Mittel zur Unterstützung von Infrastrukturinvestitionen vorgeschlagen – diese Art von Ideen meine ich. Als ich bei der Weltbank anfing, dafür zu plädieren, war das für viele Leute ein Fremdwort. Sie dachten, Infrastruktur ist eine Investition, also wird der Markt das schon regeln. Aber wie wir sehen, ist der Markt dazu nicht in der Lage, und deshalb brauchen wir eine aktive Beteiligung der Regierung. Nach und nach begannen die Menschen, viele Ideen, die ich bei der Weltbank vertreten hatte, aufzugreifen und in ihre Programme aufzunehmen.

Die Macht der großen Ideen

EIR: Auf der anderen Seite behandeln die USA und Europa ihre enorme Schuldenkrise weiterhin so, daß sie einfach Geld drucken – durch Quantitative Lockerung (QE) und andere Programme. Obwohl sie also das riesige Defizit in der Infrastruktur erkennen und einige kleine Anstrengungen in dieser Richtung unternehmen, fahren sie mit der QE fort, so daß heute eine Hyperinflation droht, und ich glaube, sogar die Insider-Gurus der Wall Street und der City erkennen, daß die sehr große Gefahr einer Hyperinflation besteht. Was ist Ihre Meinung dazu?

Dr. Lin: Ja, ich denke, um ihre Politik zu ändern, ist es unerläßlich, ihre Ideen, ihre politischen Orientierungen zu ändern.

In diesem Punkt stimme ich mit Keynes überein. Im letzten Satz seiner Allgemeinen Theorie sagt er: „Aber früher oder später sind es die Ideen, nicht die Besitzstände, die zum Guten oder zum Bösen gefährlich sind.“ In der Vergangenheit wurde die Welt durch solche unangemessenen neoliberalen Ideen beeinflußt, so daß die Regierungspolitik von solchen fehlgeleiteten Ideen geprägt wurde.

Daher ist es für Ihr Institut und für Wissenschaftler wie mich sehr wichtig, für alternative Ideen einzutreten und diese vorzustellen, um die Probleme anzugehen und unsere Arbeitsweise in den einzelnen Ländern und auch auf der Welt zu verbessern. Am Ende werden die Menschen den Nutzen erkennen und anfangen, etwas zu ändern. Am Anfang sind es vielleicht nur ganz kleine Schritte. Aber wenn sie erst einmal die Macht der richtigen Interventionen, die Macht der richtigen Politik sehen, bin ich hoffnungsvoll. Ich glaube, daß sich die Welt zum Besseren wenden wird. Ich wünsche mir, daß die richtige Idee am Ende die Debatte gewinnt.

EIR: Als ich Ihre Idee der „Vermögensrechnung“ betrachtete, die über die monetären Zahlen von BIP und Schulden hinausgeht, erinnerte mich das an Lyndon LaRouches Idee eines nicht-monetären Maßes für wirtschaftlichen Fortschritt, das er „relative potentielle Bevölkerungsdichte“ nannte. Er vertrat die Auffassung, daß dieses Maß von der Verwandlung der physischen Wirtschaft durch die Rate der Entwicklung neuer physikalischer Prinzipien bestimmt wird, die in der Natur entdeckt und dann durch neue Werkzeugmaschinen, die diese neuen Prinzipien nutzen, auf den Produktionsprozeß angewandt werden. Sehen Sie darin eine Ähnlichkeit mit Ihrer Idee der „Vermögensrechnung“?

Dr. Lin: Ja, ich glaube, diese Idee liegt dem sehr nahe, was wir gerade besprochen haben und wofür ich schon seit langem eintrete. Und wir sehen, daß wir dieselbe Weisheit teilen und unsere Ideen, unsere Vorschläge in dieselbe Richtung gehen. Wir müssen uns also zusammentun, um durch Ihr Institut und mein Institut die richtigen Ideen vorzuschlagen und sie mehr Menschen zu vermitteln.

Die Gürtel- und Straßeninitiative

EIR: Sie haben vor kurzem zusammen mit Ihrer Mitarbeiterin Dr. Wang Yan, die auch auf einer der Konferenzen des Schiller-Instituts gesprochen hat, einen Artikel mit dem Titel „Entwicklung beginnt zu Hause“ verfaßt,3 in dem Sie den Ansatz des IWF und der Weltbank zur Entwicklung Afrikas mit dem chinesischen Ansatz vergleichen und dabei Ihre Idee der „Vermögensbuchhaltung“ verwenden. In diesem Artikel sagten Sie, daß trotz jahrzehntelanger Entwicklungshilfe aus dem Westen die Engpässe in der Infrastruktur nicht überwunden wurden, und das sei der Hauptgrund dafür, daß die afrikanischen Länder chinesische Investitionen sehr schätzen, weil dabei die Infrastruktur als Mittel zur Steigerung der Produktivität des gesamten Landes und zur Überwindung der Armut besonders betont wird.

Wie Sie wissen, haben das Schiller-Institut und EIR seit den 90er Jahren, eigentlich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die Idee der Neuen Seidenstraße als Mittel zum Erreichen von „Frieden durch Entwicklung“ stark gefördert. Die von Präsident Xi Jinping [2013] ins Leben gerufene Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) ist natürlich ganz in diesem Sinne zu sehen. Wie bewerten Sie die bisherigen Fortschritte der BRI in Afrika und anderswo?

Dr. Lin: Es freut mich zu sehen, daß diese neuen Ideen angenommen und auch in der Praxis umgesetzt werden. Zum Beispiel die Gürtel- und Straßen-Initiative: Es gibt bereits 145 Länder und mehr als 30 internationale Organisationen, die das strategische Kooperationsabkommen mit China unterzeichnet haben. Ich freue mich, daß diese Idee in der Welt breite Akzeptanz gefunden hat.

China hat auch trotz der Pandemie die Verbesserung der Infrastruktur auf der Welt weiter gefördert, und solche Investitionen schaffen sicherlich die Grundlagen für die Zukunft, verbessern aber gleichzeitig auch die Beschäftigung und die wirtschaftliche Entwicklung, selbst in diesen Pandemiezeiten. Ich freue mich auch, daß die europäischen Länder jetzt mit dem European Gateway eine ähnliche Strategie vorschlagen, um die Infrastruktur zu verbessern und Verbindungen zu anderen Ländern herzustellen. Ich denke, die Welt bewegt sich in die gleiche Richtung.

Die Lücke der Infrastruktur ist so groß, daß kein Land allein das alles schaffen kann. Deshalb ist es wünschenswert, daß wir uns die Hände reichen mit allen Initiativen – von China, von europäischen Ländern, von Japan, von den USA, denn im Grunde genommen geht es uns um die Menschheit, um die Zukunft der Erde, um die Zukunft der Menschen. Solange wir dazu beitragen, sollten wir uns die Hände reichen. Wir sollten nicht in jedem Land für politische Zwecke Hindernisse für unsere Zusammenarbeit schaffen.

Ein modernes, globales Gesundheitssystem

EIR: In dem Artikel über die Entwicklung Afrikas machen Sie den IWF und die Weltbank direkt verantwortlich für die „neoliberale Orthodoxie“ und deren Ergebnis, daß viele Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen immer noch unter grundlegenden Mängeln leiden, wie dem Mangel an Personal und Ressourcen im Gesundheitswesen. Sie stellen fest, selbst nach 70 Jahren Entwicklungshilfe herrsche immer noch eine „Unfähigkeit, sauberes Wasser, Strom und sanitäre Anlagen bereitzustellen“.

Wie Sie wissen, hat die Präsidentin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, das „Komitee für den Zusammenfall der Gegensätze“ gegründet, ausgehend von einer Idee des Genies Nikolaus von Kues aus dem 15. Jahrhundert, das zu einer weltweiten Mobilisierung aufruft, um die von Ihnen beschriebene Gesundheitskrise anzugehen und in jedem Land ein modernes Gesundheitssystem zu schaffen, damit diese Pandemie und künftige Pandemien besiegt werden können. Ich weiß, daß China als Teil seiner Initiative eine „Gesundheits-Seidenstraße“ ins Leben gerufen hat. Was denken Sie über die globale Zusammenarbeit, um ein solches Gesundheitssystem in jedem Land zu schaffen?

Dr. Lin: Ich glaube, daß angesichts dieser Pandemie ein enormer Bedarf besteht, und China trägt sicherlich zu dem bei, was Sie über die Gesundheitsversorgung insgesamt gesagt haben. China hat bereits zwei Milliarden Dosen Impfstoff für Afrika und andere Teile der Welt bereitgestellt – ein Drittel aller weltweiten Impfstoffdosen außerhalb Chinas. Aber das reicht nicht aus. Wir müssen uns also mehr anstrengen und zusammenarbeiten. Andernfalls könnte sich die COVID-19-Pandemie hinziehen, und je länger sie andauert, desto schwieriger wird es, sie in den Griff zu bekommen, weil ständig neue Mutationen auftauchen werden, die die Wirksamkeit der Impfstoffe beeinträchtigen. Wir müssen uns also zusammentun, um die Pandemie einzudämmen, und je früher, desto besser.

Wir müssen auch die Grundlagen dafür schaffen, ähnliche Herausforderungen in der Zukunft zu bewältigen. Wenn ein solches bedrohliches Virus auftaucht, sollten wir umgehend damit fertig werden. Wir sollten es sofort unterdrücken. Und dazu brauchen wir eine weltweite Zusammenarbeit. Daher halte ich die Forderung [nach einem modernen Gesundheitssystem in jedem Land] für sehr wichtig, und wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen.

Operation Ibn Sina

EIR: Lassen Sie mich die schreckliche Situation in Afghanistan ansprechen, wo, wie Sie wissen, 40 Jahre Krieg und nun das Einfrieren der sehr knappen Reserven dieses Landes durch die US-Notenbank und mehrere europäische Banken sowie die Verhängung von Sanktionen und sogar die Einstellung der Hilfe von IWF und Weltbank zu einer Bedrohung geführt haben, die man nur als einen Völkermord durch Hunger und Krankheiten in diesem Land bezeichnen kann.

Konkret hat die Weltbank in den letzten 20 Jahren während des Krieges und der Besatzung durch die USA und die NATO das Gesundheitssystem des Landes gestützt, aber diese Unterstützung wurde komplett gestrichen, so daß das Land praktisch überhaupt kein öffentliches Gesundheitssystem mehr hat. Dazu hat Helga Zepp-LaRouche ein weiteres Projekt ins Leben gerufen, sie nennt es „Projekt Ibn Sina“, nach dem persischen Medizingenie aus dem 11. Jahrhundert, der aus dieser Region, aus Afghanistan stammte. Unser Vorschlag fordert nicht nur Nothilfe und die Freigabe der Gelder, sondern auch den Aufbau der Infrastruktur des Landes, den Sie auch betonen, durch die Einbindung Afghanistans in die BRI und insbesondere die Ausweitung des Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridors (CPEC) nach Afghanistan. Glauben Sie, daß das möglich ist?

Dr. Lin: Ich denke, es ist möglich, wenn uns die Menschheit wirklich am Herzen liegt. Ich denke, daß die Unterstützung in der Gesundheitsversorgung, in der medizinischen Situation, bedingungslos sein sollte. Die Bedingungen in Afrika, in Afghanistan und anderen Entwicklungsländern werden sich verbessern, sobald sich ihre Gesundheit und ihre wirtschaftliche Entwicklung verbessern. Dann kann die soziale und politische Stabilität dort aufrechterhalten werden. Ich bin mir sicher, daß das nicht nur für das einzelne Land gut ist, sondern auch für die globale Gemeinschaft, weil wir dann in einer besseren Situation sind, um zusammenzuarbeiten und mehr Kooperation zu haben, und es wird auch die Zahl der Flüchtlinge, legal und illegal, in die Länder mit hohem Einkommen reduzieren.

Und Sie wissen, daß dies auch eine große Herausforderung für die Länder mit hohem Einkommen sein wird. In einigen Bereichen sollte die Unterstützung also bedingungslos sein, denn nur so kann man Menschlichkeit erreichen. Wenn uns die Menschen wirklich am Herzen liegen, dann sollten wir diese Grundbedürfnisse unterstützen, egal unter welchen Bedingungen.

Aussichten auf eine „größere Harmonie“ und Frieden

EIR: Richtig. Wie Sie wissen, haben die USA und China im Januar 2020 die „Phase eins“ eines Handelsabkommens zwischen den USA und China geschlossen. [Vizepremier] Liu He war im Weißen Haus anwesend, und Präsident Xi Jinping telefonierte mit Präsident Donald Trump. Damals kündigte Trump an, er werde China bald einen zweiten Besuch abstatten, und er freue sich darauf, „weiterhin eine Zukunft von größerer Harmonie, Wohlstand und Handel zu schmieden“, was zu einem „noch stärkeren Weltfrieden“ führen würde.

Nun, das ist offensichtlich nicht geschehen. Als es den USA nicht gelang, die COVID-19-Pandemie einzudämmen, verfiel Trump schließlich auf die antagonistische Haltung gegenüber China, die sein Außenminister Mike Pompeo zum Ausdruck brachte, indem er China für praktisch jeden Mißerfolg in den Vereinigten Staaten verantwortlich machte. Und obwohl der derzeitige Außenminister Tony Blinken die gleiche feindselige Haltung gegenüber China einnimmt, hat Präsident Biden mehrere lange Gespräche mit Präsident Xi geführt. Sehen Sie eine Chance, daß die Zusammenarbeit zwischen den Präsidenten Biden und Xi zu einer „größeren Harmonie“ führt?

Dr. Lin: Ich glaube, daß Chinas Tür immer offen ist, und wie wir zu Beginn sagten, wird die Zusammenarbeit zwischen China und den USA die Grundlage für die Bewältigung vieler globaler Herausforderungen bilden, denen wir heute gegenüberstehen. Sie wird also von entscheidender Bedeutung sein.

Zu den Gründen, warum sie nicht zustande gekommen ist: Es liegt wohl an den Problemen in den Vereinigten Staaten. Wenn man in die Vergangenheit schaut, haben die USA immer gerne andere Länder als Sündenbock für ihre eigenen Probleme benutzt. Das mag den Politikern zwar kurzfristig einen gewissen politischen Nutzen verschaffen, aber langfristig verschlimmert sich die Angelegenheit dadurch nur.

Daher hoffe ich, daß die Politiker und die intellektuellen Kreise in den USA die Weisheit haben, die Wurzeln ihrer eigenen Probleme zu verstehen, statt andere Länder als Ausrede oder Sündenbock für ihre eigenen Probleme zu benutzen. Einige wenige Politiker haben kurzfristigen politischen Gewinn, aber auf Kosten des Wohlergehens der ganzen Nation. Ich hoffe, daß sich diese Situation bessern wird. Wenn diese Gewohnheit, andere Länder zum Sündenbock für die eigenen Probleme zu machen, abgelegt wird, dann wird die Zusammenarbeit zwischen den USA und China sicherlich gut für Amerika, für China und für die Welt sein.

Schaffung einer Kultur von Wissenschaft und Kunst

EIR: Lyndon LaRouche hat sich in seiner eigenen Arbeit sehr auf die Eigenschaft der Kreativität konzentriert, die den Menschen vom Tier unterscheidet, und zwar sowohl in wissenschaftlichen Untersuchungen als auch in künstlerischen Entdeckungen, insbesondere in der klassischen Musik. In diesem Sinne betonte er, daß wissenschaftliche Bildung und ästhetische Erziehung Hand in Hand gehen müssen, um die volle Entfaltung der schöpferischen Kräfte unserer Jugend und unserer Bevölkerung zu ermöglichen.

Mir persönlich ist besonders aufgefallen, daß es in China nach den dunklen Tagen der Kulturrevolution eine neue Wertschätzung für die klassischen Traditionen Chinas gibt, für Konfuzius und Menzius und die großen Denker der Renaissance der Song-Dynastie, wie Zhu Xi und Shen Guo, und daß das parallel zu den unglaublichen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen in China geschieht, und gleichzeitig Chinas zunehmende Anerkennung der großen kulturellen Entwicklungen in der westlichen Kultur, der westlichen klassischen Musik usw. Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft und der ästhetischen Seite der kulturellen Entwicklung?

Dr. Lin: Ich sehe, daß Wissenschaft und Kunst sich gegenseitig ergänzen, es sind beides Bereiche, in denen wir Menschen unser Potential ganz entfalten können. Wir sollten uns also nicht nur auf eines konzentrieren und andere vernachlässigen, wenn wir eine bessere Gesellschaft haben wollen. Wir wollen den Menschen auch die Möglichkeit geben, sich selbst mit größeren Potentialen zu entwickeln. Und wie Sie beschrieben haben, versuchen wir in China jetzt, unsere traditionelle Kultur – die Wertschätzung von Kunst, Musik, Klassikern, nicht nur aus China, sondern auch aus anderen Kulturen – in unsere Bildungsprogramme einzubringen. Das ist ein gutes Zeichen. Ich bin sicher, daß das Chinas Verjüngung auf eine höhere Stufe heben wird, nicht nur in materieller, sondern auch in kultureller und geistiger Hinsicht.

EIR: Ich danke Ihnen.

Gibt es noch andere Gedanken, die Sie den Lesern und Unterstützern der LaRouche-Organisation mitteilen möchten?

Dr. Lin: Ich freue mich sehr über diese Gelegenheit und hoffe, daß unsere Stimme in noch mehr Ecken der Welt gehört wird, denn im Grunde geht es uns allen um die Menschen, und wir alle wollen eine bessere Gesellschaft für jedes Land der Welt. Und so hoffe ich, daß unsere Botschaft in der Welt Gehör findet und ankommt.

EIR: Ich danke Ihnen vielmals. Ich hoffe, daß wir diese Zusammenarbeit weiter ausbauen können. Helga Zepp-LaRouche hat immer wieder betont, wenn wir ein neues Paradigma für die Menschheit schaffen wollen, dann bedeutet das, daß jede Kultur auf ihre größten Momente zurückgreift und daß wir zusammenarbeiten, um eine wahrhaft menschliche Renaissance herbeizuführen – nicht nur eine europäische Renaissance oder eine chinesische Renaissance oder eine islamische Renaissance -, sondern daß wir die Menschheit zusammenbringen, um uns mit unserem gemeinsamen Menschsein auseinanderzusetzen. Das ist die einzige Grundlage, auf der wir diesen Abstieg in Konflikte, Krieg und Depression beenden können.

Dr. Lin: Sehr gut. Ich danke Ihnen vielmals.

Anmerkungen:

1. Die „Entity List” ist eine Liste von Handelsrestriktionen des Büros für Industrie und Sicherheit des US-Handelsministeriums, die ausländische Personen, Einrichtungen und Regierungen aufführt, die besonderen Auflagen für den Export oder Transfer bestimmter US-Technologien unterworfen sind; darunter Einrichtungen, die Aktivitäten betreiben, „die vom US-Außenministerium sanktioniert sind oder gegen die nationale Sicherheit und/oder außenpolitische Interessen der USA gerichtet sind“

2. Dt.: Das Kapital des Staates: Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum, Kunstmann, München 2014.

3. Siehe https://www.project-syndicate.org/commentary/focac-china-investment-in-africa-sustainable-development-by-justin-yifu-lin-and-yan-wang-2-2021-12


Webcast – Soll eine Farbrevolution in Kasachstan den strategischen Dialog zwischen den USA und Rußland durchkreuzen?

Baerbock, das transatlantische Desaster

In ihrem Rückblick auf die Ereignisse der letzten Tage warf Helga Zepp-LaRouche die Frage auf, ob die gewalttätigen Demonstrationen, die gestern in Kasachstan ausbrachen, darauf abzielten, die potentiellen Fortschritte in den USA-Rußland-Beziehungen zu stören, die sich aus einer Reihe bevorstehender diplomatischer Treffen ergeben könnten. Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob es sich um eine organisierte „Farbrevolution“ handele, sagte sie, aber der Verdacht liege nahe, denn es ist klar, daß die Unruhen in mehreren Städten koordiniert waren. Sie habe tatsächlich mit einer Provokation gerechnet, um den beginnenden Dialog zu stören, der am 10. Januar mit einem amerikanisch-russischen Treffen zur strategischen Stabilität beginnen soll. Mit der Erklärung der permanenten fünf Mitglieder des UN-Sicherheitsrats (P5), daß Atomkriege nicht gewonnen werden können und nicht geführt werden dürfen, sei die Möglichkeit entstanden, die sich aufgebauten geopolitischen Provokationen und Spannungen abzubauen.

Einer Entspannung stehen jedoch noch Hindernisse im Weg, wie zum Beispiel die Baerbock-Blinken-Gespräche, bei denen die deutsche Außenministerin erneut gezeigt hat, daß sie ein Sprachrohr der NATO ist, wenn es um Provokationen gegen Rußland und China geht. Es ist auch beschämend, daß weiterhin keine Maßnahmen zur Linderung des humanitären Debakels in Afghanistan ergriffen werden. Die von uns eingeleitete Operation Ibn Sina ist ein wichtiges Mittel, um die Menschen und die Regierungen aus ihrer moralischen Gleichgültigkeit zu holen.


Interviews

EIR Interview with former US Ambassador and China expert Chas Freeman

Full transcript is available here.

Graham Fuller: End U.S. Addiction to Never Ending War

Full transcript is available here.

U.S. Policy Is ‘Suffocating the Afghan People’ — Interview with Dr. Shah Mehrabi

Full transcript is available here.

Das deutsche Transkript finden Sie hier

EIR Interview with Justin Lin: China and Hamiltonian Economics

Full transcript is available here.

Das deutsche Transkript finden Sie hier

Interview with Russia expert Jens Jørgen Nielsen—How to avoid war between the U.S./NATO and Russia?

Full transcript is available here.

Das deutsche Transkript finden Sie hier.

U.S. Confrontation With China Is Destroying the U.S. — Interview with Dr. George Koo

Full transcript is available here.

Will the U.S.-Russian Strategic Dialogue Be a Step Back from War? Interview with Andrey Kortunov

Full transcript available here.

Only A Systemic Change Can Save the U.S.

Read the full transcript here.

Ray McGovern: Putin is Being Heard on U.S.-Russia Policy

Full transcript available here.

Cooperate with China – It Is Not the Enemy

Read the full transcript here.

Dr. Li Xing The China Russia Feb 4 Joint Statement A Declaration of a New Era and New World Order

Full transcript available here.

Jan Oberg, PhD, peace and future researcher:


Video: 2022 – das Jahr von Lyndon LaRouche!

Helga Zepp-LaRouche schlug vor, das Jahr 2022 zum Jahr von Lyndon LaRouche zu machen. Damit gedenken wir nicht nur seines 100. Geburtstages, sondern bieten auch einen Weg zur Lösung der ungelösten Krisen, die die Menschheit Ende 2021 bedrohen.


Video – Ein nuklearer Showdown zwischen Rußland und den USA wegen der Ukraine innerhalb der nächsten vier Wochen?

Alles geht auf den 20. November zurück, als die CIA-Chefin Avril Haines die NATO-Botschafter in Brüssel über Geheimdienstberichte informierte, wonach Rußland 10.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen habe und eine Invasion plane.


Video: Lassen Sie Völkermord in Afghanistan zu?


„Alle internationalen Kräfte zusammenzubringen, um Afghanistan zu helfen, ist meiner Meinung nach eine der absolut wichtigsten historischen Aufgaben. Das gesamte Schicksal der Menschheit konzentriert sich wie in einem Laser auf das, was in Afghanistan geschieht. Die Rettung Afghanistans ist eine Angelegenheit der ganzen Welt. Alle Möglichkeiten müssen dafür genutzt werden: Medien, Vereinte Nationen, Konferenzen. Es muß einen Paukenschlag geben, der das Gewissen der Welt wachrüttelt, denn ich denke, dies ist eine Art Urteil über unsere Fähigkeit als menschlicher Gattung: Sind wir moralisch überlebensfähig oder nicht?“ Helga Zepp-LaRouche im pakistansichen Fernsehen

Helga Zepp-LaRouche

 


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