Ist Putins Friedensvorschlag die letzte Chance für die Menschheit?
Bericht vom 55. Treffen der Internationalen Friedenskoalition
Von Kevin Gribbroek
Im Mittelpunkt der 55. Internet-Sitzung der Internationalen Friedenskoalition (IPC) am 21. Juni stand der Vorschlag des russischen Präsidenten Putin für eine neue eurasische Sicherheitsarchitektur als Grundlage für den Weltfrieden, den er am 14. Juni vor den Spitzenbeamten seines Außenministeriums vorgestellt hatte. Dieser Vorschlag basiert auf Chinas Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz (gegenseitiger Respekt, gegenseitiger Nutzen, friedliche Koexistenz) und soll nicht exklusiv sein, sondern richtet sich nicht zuletzt auch an die NATO-Staaten. Angesichts des „ohrenbetäubenden Schweigens“ der Mainstream-Medien zum wahren Inhalt des Vorschlags, auf den die westlichen Regierungen bisher nur höhnisch reagieren, sollte das IPC-Treffen als Plattform für eine weltweite Kampagne dienen, um die Weltgemeinschaft darauf aufmerksam zu machen, daß dieses Angebot die letzte Chance sein könnte, den Dritten Weltkrieg abzuwenden.
Helga Zepp-LaRouche, Gründerin des Schiller-Instituts und Initiatorin der IPC, eröffnete das Treffen mit der Feststellung, immer mehr Menschen hätten das schreckliche Gefühl, „daß die Kriegsmaschinerie immer näher rückt und die Situation von Tag zu Tag eskaliert“. So habe etwa der serbische Präsident Vučić gewarnt, daß innerhalb von 3 bis 5 Monaten ein Weltkrieg ausbrechen könnte. Zepp-LaRouche ist überzeugt, daß wir in einer der gefährlichsten Perioden der Geschichte leben, und befaßte sich vor diesem Hintergrund näher mit Putins Vorschlag. Sie zitierte eine Erklärung des russischen Ständigen Vertreters in Genf, Gennadi Gatilow, wonach das euro-atlantische Sicherheitssystem völlig versagt habe und Putins Vorschlag die Grundlage für eine neue Sicherheitsarchitektur der Welt im Zeitalter der Multipolarität bilden soll.
Zepp-LaRouche sieht eine bemerkenswerte „Affinität“ zwischen Putins Vorschlag und ihren „Zehn Prinzipien einer neuen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur“, für die sie und das Schiller-Institut sich seit der Zuspitzung des Ukrainekonflikts einsetzen. Sie bezog sich auch auf eine Äußerung des russischen Ökonomen Sergej Glasjew, der kürzlich erklärt hatte: „Die Ursache der militärischen Eskalation ist der Bankrott des westlichen Finanzsystems, der früher oder später in einer umfassenden sozialen und wirtschaftlichen Katastrophe enden wird, wenn die Vereinigten Staaten darauf beharren, das System um jeden Preis aufrechtzuerhalten.“ Das sei genau das, was ihr Ehemann, der verstorbene amerikanische Staatsmann und Ökonom Lyndon LaRouche, seit 1971 vorausgesagt hatte: daß Präsident Nixons Aufgabe des Systems fester Wechselkurse auf die Dauer zu einer neuen Depression, einem neuen Faschismus und der Gefahr eines Weltkrieges führen würde. Sie betonte, in einem Krieg mit Rußland hätte Europa keine Überlebenschance, und deshalb müsse man die Bevölkerung mobilisieren, sich dagegen zu wehren.
Die IPC-Co-Moderatorin Anastasia Battle verlas dann einen Vorschlag des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV) zur Unterstützung von Putins Friedensinitiative. Helga Zepp-LaRouche brachte ihre volle Unterstützung für diese Initiative zum Ausdruck, und am Ende des Treffens befürworteten die Teilnehmer mit überwältigender Mehrheit den OKV-Appell. Die IPC wird dazu in Kürze eine umfassende Unterstützungserklärung veröffentlichen.
Der Vizepräsident des OKV, Joachim Bonatz, brachte anschließend seine Überzeugung zum Ausdruck, daß nur Rußland und der NATO-Block in Verhandlungen den Konflikt beenden können, deshalb unterstütze der OKV Putins Vorschlag. Putin warne, daß Rußland gezwungen sein könnte, seine Nukleardoktrin, die bisher einen Erstschlag ausschließt, zu ändern, wenn der Westen sein Ziel einer strategischen Niederlage Rußlands weiter verfolge. Daher sei ein einheitliches Vorgehen erforderlich, um Unterstützung für Putins Initiative zu gewinnen und eine Eskalation des Krieges zu verhindern.
Die Bürger müssen aktiv werden
Ray McGovern, ehemaliger CIA-Analyst und Mitbegründer der Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS), begann seine Ausführungen mit der Feststellung, in der Rede am 14. Juni habe Putin die rhetorischen Glacéhandschuhe ausgezogen. Putin habe erklärt: „Wir sind dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, gefährlich nahe gekommen. Die Aufrufe, Rußland eine strategische Niederlage zuzufügen…, obwohl Rußland über das weltgrößte Atomwaffenarsenal verfügt, beweisen die extreme Verantwortungslosigkeit westlicher Politiker.“ McGovern zufolge dient der kürzlich geschlossene Verteidigungspakt Moskaus mit Nordkorea der Abschreckung: Sollte die Regierung Biden versuchen, in letzter Minute vor der US-Präsidentschaftswahl den Krieg zu eskalieren – vielleicht mit dem Einsatz von Kurzstrecken-Atomwaffen –, dann könne Rußland nicht nur im Westen, sondern auch im Osten reagieren.
Donald Ramotar, ehemaliger Staatspräsident von Guyana (2011-15), ist überzeugt, daß das Vorgehen des Westens – wie die Beschlagnahmung von Rußlands Vermögenswerten – durch den Verlust des internationalen Einflusses des Westens motiviert ist. Dieses Verhalten veranlasse immer mehr Nationen, zu den BRICS „abzuwandern“. Diese Länder wollten mehr Freiheit haben, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Ramotar brachte seine volle Unterstützung für Putins Vorschlag zum Ausdruck; es sei derzeit der einzige vernünftige Vorschlag mit dem Potential, einen dritten Weltkrieg zu verhindern.
Oberst a.D. Alain Corvez, ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums, betonte in Übereinstimmung mit seinen Vorrednern die Bedeutung von Putins Angebot und dessen Potential, die Tür für Verhandlungen zu öffnen. Das Problem bestehe darin, daß die verantwortlichen Politiker im Westen und insbesondere in den Vereinigten Staaten „Nihilisten“ seien, die ihre Hegemonie bewahren wollen. Das sei die Ursache für den Konflikt in Gaza ebenso wie den in der Ukraine. Weil die Staatsführungen irrational und korrupt seien, müßten jetzt die Bürger aktiv werden.
Jacques Cheminade, Vorsitzender der Partei Solidarité et Progrès in Frankreich, kommentierte zunächst das Ergebnis der Europawahl als „eine Welle der Unzufriedenheit gegen Macron“. Präsident Macron sei am Ende, aber nun stelle sich die Frage: Wie geht es weiter? Das Problem sei, daß fast alle Parteien in Frankreich für den Krieg sind. Deshalb kandidiert Cheminade bei der Parlamentswahl – seine Kampagne wird von Helga Zepp-LaRouche voll unterstützt. Cheminade will Druck auf alle anderen Kandidaten in Frankreich ausüben, sich auf drei grundlegende Punkte zu einigen: keine weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine, Auflösung der NATO und Frieden auf der Grundlage gemeinsamer Entwicklung.
In der Diskussion warnte Zepp-LaRouche in ihrer Antwort auf eine Frage, wir befänden uns gefährlich nahe an einem „Kipp-Punkt“: Experten wie Steven Starr und Ted Postol hätten festgestellt, daß die Zeit, die den Staatsführern für die Entscheidung über einen Atomwaffeneinsatz zur Verfügung steht, sich dermaßen verkürzt hat, „daß wir an einem dünnen Faden hängen“. Eine der gefährlichsten Mythologien im Westen sei, daß „Putin nur blufft“. Putin habe zwar eine bemerkenswerte Geduld bewiesen, aber das bedeute nicht, daß Rußland keine roten Linien hätte. Wenn die Menschen wüßten, „wie wenige Minuten zwischen uns und der Selbstzerstörung liegen, könnten sie nicht mehr schlafen“.
In ihrem Schlußwort betonte Zepp-LaRouche noch einmal, es sei äußerst wichtig, den Vorschlag des OKV zur Unterstützung von Putins Friedensinitiative zu verbreiten. Sie ist überzeugt, daß es nur dann eine Chance auf Frieden gibt, wenn man sich auf den Geist des Westfälischen Friedens besinnt, der auf der Sicherung der Interessen aller Länder der Erde beruhe. Putins Vorschlag sei die derzeit größte Annäherung an den Westfälischen Frieden. „Es ist ein Vorschlag, zur Diplomatie zurückzukehren – ein sehr ernsthafter Vorschlag, zu Verhandlungen statt Krieg zurückzukehren!“ Deshalb könnte er die letzte Chance sein, die Zivilisation zu retten.