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Oktober 2, 2022

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Natalja Vitrenko: „Die Geschichte spricht uns frei und wird stolz auf uns sein. Das Verbot unserer Partei ist ungerecht und unrechtmäßig.“

Oct. 1, 2022 (EIRNS)- Die folgende Erklärung wurde am 30. September von Natalja Vitrenko veröffentlicht und ging beim Schiller-Institut ein. Wir hoffen, daß wir bald mehr Details über die ungeheuerlichen Verstöße gegen ein ordnungsgemäßes Verfahren und „demokratische“ Normen durch die ukrainische Präsidentschaft, das Justizministerium, den SBU und den Obersten Gerichtshof in diesem Fall erfahren werden.

Botschaft an die Mitglieder der Sozialistischen Fortschrittspartei der Ukraine (PSPU), die Mitglieder des Zentralkomitees der PSPU und Freunde in aller Welt

Am 27. September 2022 hat das Verwaltungsberufungsgericht des Obersten Gerichtshofs der Ukraine in Kiew der Berufungsbeschwerde der PSPU teilweise stattgegeben, indem es aus dem Urteil des 8. Verwaltungsberufungsgerichts in Lviv vom 23. Juni 2022 einen Teil der verabscheuungswürdigen Anschuldigungen gestrichen hat, während es die Entscheidung über das Verbot unserer Partei aufrecht erhielt.

Ich glaube, daß dies nicht nur eine politisch motivierte Bestrafung unserer Partei ist, sondern auch alle Grundlagen der europäischen Demokratie mit Füßen tritt. Der in der Verfassung und in Konventionen verankerte Grundsatz des Vorrangs des Rechts wurde mit Füßen getreten – ein Grundsatz, der die Rechtmäßigkeit, die Rechtssicherheit, das Verbot willkürlicher Handlungen, den garantierten Zugang zu einem ordnungsgemäßen Verfahren durch unabhängige und faire Gerichte, die Achtung der Menschenrechte, das Verbot der Diskriminierung und die garantierte Gleichheit vor dem Gesetz beinhaltet.

Die Berufungsbeschwerde der PSPU zerpflückte die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts und zeigte, daß sie rechtswidrig und unbegründet war. Unsere Gegner, vertreten durch das ukrainische Justizministerium (MinJust) und den ukrainischen Sicherheitsdienst (SBU), haben es in ihrer Klage, ihren schriftlichen Antworten auf die Berufungsbeschwerde der PSPU und ihren mündlichen Argumenten vor dem Obersten Gerichtshof versäumt, auch nur eine einzige rechtliche Begründung für die Ungültigkeit ihrer Anschuldigungen gegen unsere Partei zu widerlegen.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 27. September wurde von einem Gremium von Richtern unter dem Vorsitz von S. Utschanenko getroffen, gegen das die PSPU während der Sitzung offiziell Gründe für ein Mißtrauensvotum und für eine Verweisung des Falls an das gesamte Gericht vorbrachte.

Die Entscheidung, die PSPU zu verbieten, war eher politischer und diskriminierender Natur als rechtlicher Natur, da das Motiv für das Verbot der Partei auf politischen Anschuldigungen beruhte und nicht auf einer rechtlichen Begründung für Verstöße der PSPU gegen die Verfassung der Ukraine oder die Europäische Menschenrechtskonvention.

Ich zitiere hier eine der Anschuldigungen des MinJust, unterstützt vom SBU, in ihrer Klageschrift: „Die Partei protestiert gegen den Beitritt der Ukraine zur NATO und zur EU, gegen die Rehabilitierung der Kämpfer der OUN-UPA [Organisation Ukrainischer Nationalisten und Ukrainische Aufständische Armee], erklärt die Treue zur ostslawischen Kultur und zur kanonischen Orthodoxie und stellt sich die Ukraine in einer zwischenstaatlichen Union mit Rußland und Weißrußland vor.“

Es ist für jede ehrliche Menschenrechtsorganisation und jeden europäischen Juristen absolut klar, daß solche politisch motivierten Anschuldigungen der ukrainischen Regierung als Grundlage für ein Parteiverbot nach der ukrainischen Verfassung (Art. 37), der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 11, S. 2), der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs oder der Venedig-Kommission der OSZE unzulässig sind.

Von Anfang an, als ihre Partei 1996 gegründet wurde, boten die Progressiven Sozialisten der Ukraine eine Strategie für die Innen- und Außenpolitik an, die auf der Erklärung der staatlichen Souveränität der Ukraine (1990) und der Erklärung der Rechte der Nationalitäten der Ukraine (1991) basierte, die vom ukrainischen Parlament verabschiedet wurden und die den wesentlichen Charakter der nationalen Souveränität definierten, nachdem die Erklärung der staatlichen Souveränität der Ukraine in den gesamtukrainischen Referenden vom 17. März 1991 und 1. Dezember 1991 unterstützt worden war.

Vor dem Hintergrund der Tragödie des Zerfalls der UdSSR garantierten nur die vom ukrainischen Volk erklärten Grundsätze, nämlich

  • ein neutraler, blockfreier Status für das Land,
  • die Unzulässigkeit des Verkaufs von Grund und Boden und der Plünderung (in Form von Privatisierung) von Wirtschaftskapazitäten, die dem gesamten Volk gehören,
  • gleiche Rechte für alle Bürger der Ukraine unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrem Glauben, ihrer Sprachpräferenz oder ihrer kulturellen Tradition,
  • und der gleichberechtigte Beitritt der Ukraine zu einer neuen zwischenstaatlichen Union mit den Republiken der ehemaligen UdSSR

eine friedliche Koexistenz mit den ehemaligen Sowjetrepubliken und eine erfolgreiche Entwicklung der Ukraine als unabhängiger, souveräner Staat. Sie boten der Ukraine territoriale Integrität innerhalb ihrer Grenzen von 1991 und eine Sicherheitsgarantie gegenüber allen führenden Ländern der Welt.

Dies erklärt den Haß gegen unsere Partei von Seiten des Weltimperialismus und des ukrainischen Nationalismus (Faschismus). Sie haben uns immer bekämpft, weil wir uns offen gegen das Modell des peripheren, kolonialen Kapitalismus gewehrt haben, das der IWF [Internationaler Währungsfonds] der Ukraine auferlegt hat; wir haben uns gegen die Privatisierung, die Schaffung einer Oligarchie, die Finanzspekulation, das Modell der billigen Arbeitskräfte, die Kapitalflucht, die Flucht der Arbeitskräfte, den Verkauf von Land, die Ausrottung der russischen Sprache und der Sprachen ethnischer Minderheiten, die Umschreibung der Geschichte, die Herabwürdigung des Sieges des sowjetischen Volkes im Großen Vaterländischen Krieg und die Heroisierung der Kollaborateure der OUN-UPA ausgesprochen, und wir waren gegen die Entfesselung des Terrors gegen die kanonische orthodoxe Kirche durch staatliche Stellen.

Ich bin stolz auf unsere Partei und auf jedes einzelne Mitglied, weil wir die einzige Partei in der Ukraine gewesen sind, die ein wissenschaftlich fundiertes, umfassendes Reformprogramm für das Land vorgeschlagen hat. Ich bin sicher, daß die Umsetzung unseres Programms die gegenwärtige Tragödie des Krieges, die Zerstörung der Wirtschaft, das Aussterben der Bevölkerung und die territorialen Verluste verhindert hätte.

Weder ich, noch die Führer unserer Parteiorganisationen, noch die Mitglieder der PSPU haben jemals zu einem gewaltsamen Umsturz der verfassungsmäßigen Ordnung oder zu irgendeiner Art von Gewalt aufgerufen. Die Ziele und die Tätigkeit unserer Partei hielten sich an alle Normen und Grundsätze der Demokratie. Weder das MinJust noch der SBU haben vor Gericht auch nur einen einzigen Beweis für das Gegenteil vorgelegt. Wir waren bereit, unsere Ziele durch den Wettbewerb bei Wahlen zu erreichen. Im Kampf gegen uns wurden jedoch Terrorismus, Fälschungen, gewaltsame Besetzungen, Verleumdungen und Drohungen eingesetzt.

Die Partei hat mich viermal als Kandidat für die Präsidentschaft der Ukraine nominiert: 1999, 2004, 2009 und 2019. Die Machthaber erlaubten mir nur 1999 und 2004, an den Wahlen teilzunehmen. Im Jahr 1999, als noch einige Merkmale der Demokratie in der Ukraine vorhanden waren, waren die Kraft unserer Ideen und die Unterstützung durch die Bevölkerung so groß, daß soziologische Umfragen voraussagten, daß ich den amtierenden Präsidenten L. Kutschma im zweiten Wahlgang besiegen würde. Doch der Terroranschlag auf mich am 2. Oktober 1999 in Krivoy Rog, als zwei RGD-5-Granaten auf mich und meine Unterstützer geworfen wurden, wurde von meinen Gegnern genutzt, um die Wähler zu verängstigen und so wurde ich des Sieges beraubt.

Bei den Parlamentswahlen 2002 und 2006 wurde unserer Partei der Sieg durch Wahlbetrug gestohlen. Aber die Unterstützung der Bevölkerung für die Ideen und Aktionen der PSPU war damals sehr groß, denn als wir 1998 als Fraktion in die Oberste Rada der Ukraine einzogen, hatten wir unsere kämpferischen Qualitäten, unsere Aufgabenorientierung und unser Engagement für Prinzipien unter Beweis gestellt. Die Mitglieder unserer Partei, die in die lokalen Selbstverwaltungsorgane gewählt wurden, haben den gleichen aufopferungsvollen Kampf geführt.

Ich bin jedem Mitglied der PSPU dankbar, das in unseren Reihen selbstlos und mit ganzem Herzen für die Rettung der Ukraine und die Umgestaltung der Welt gekämpft hat. Ich bin auch den Millionen von Menschen dankbar, die unseren heiligen Kampf unterstützt haben, indem sie für uns gestimmt haben. Eine tiefe Verbeugung vor Ihnen allen!

Die Position unserer Partei war immer ein Hindernis für die Fähigkeit der herrschenden Regierungen, das Land auszuplündern, die Bevölkerung der Ukraine gnadenlos auszubeuten und eine Innen- und Außenpolitik zu betreiben, die nicht den Interessen des eigenen Volkes, sondern denen der westlichen Imperialisten dient.

Nach der Verfassung der Ukraine liegt die Verantwortung für den Frieden und für das Leben, die Würde und die Gesundheit der Bürger bei den Institutionen der Staatsmacht, an deren Spitze der Präsident steht. Die ukrainische Regierung, die ihrer Verantwortung nicht gerecht wird und eine verabscheuungswürdige Gedankenkontrolle betreibt, hat mit dem Beschluß des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates (NSDC) der Ukraine vom 18. März 2022, der vom Präsidenten der Ukraine mit seinem Dekret vom 19. März 2022 umgesetzt wurde, ein verlogenes Machwerk veröffentlicht, um die Tätigkeit mehrerer Parteien in der Ukraine, einschließlich der unseren, zu unterbinden. Und um uns daran zu hindern, unsere Rechte, Freiheiten und rechtlichen Interessen vor Zivil- und Verwaltungsgerichten zu verteidigen, beschloß das 8. administrative Berufungsgericht von Lviv am 20. Mai 2022, das Bankkonto der PSPU einzufrieren. Damit wurde uns die Möglichkeit genommen, die Entscheidung des NSDC, den Erlaß des ukrainischen Präsidenten und die gesamte „Beweisgrundlage“, die dem Gericht vom Justizministerium und dem SBU vorgelegt wurde, vor Gericht als unwahr anzufechten.

Unter Verstoß gegen Artikel 55 der ukrainischen Verfassung und Artikel 6 der Europäischen Konvention wurde uns der Zugang zum Gericht verwehrt, weil es der PSPU nicht möglich war, die Gerichtsgebühren von ihrem Bankkonto zu bezahlen. Unser Ziel wäre es gewesen, auf der Grundlage unserer eigenen Klagen die falschen Informationen zu widerlegen, die vom MinJust und dem SBU als Grundlage für das Verbot der PSPU vorgelegt wurden.

Durch die Sperrung unseres Bankkontos wurde die PSPU auch des Rechts beraubt, einen Anwalt zu beauftragen. Wladimir Martschenko und ich waren gezwungen, den gesamten, anstrengenden Rechtsstreit selbst zu führen. Er vertrat die Interessen der PSPU vor dem Obersten Gerichtshof.

Der Oberste Gerichtshof weigerte sich, die folgenden Beweisdokumente zuzulassen: die Erklärung des ZK der PSPU – „Die ukrainische Demokratie muß vom Obersten Gericht gegen die Diktatur der Regierung verteidigt werden“ – sowie die Erklärungen der Vorsitzenden der PSPU, Volksabgeordnete der Ukraine (1995-2002) N. Witrenko – „Ich verteidige Frieden, Sozialismus und Demokratie, nicht Krieg, Nazismus und Kapitalismus“ -, des Ersten Stellvertretenden Vorsitzenden der PSPU, Volksabgeordneter der Ukraine (1990-2002) W. Martschenko – „Das Oberste Gericht ist die letzte Hoffnung für die Verteidigung der Demokratie gegen die willkürlichen Handlungen des Justizministers und des SBU sowie gegen die Errichtung einer Diktatur“ -, des Mitglieds des ZK der PSPU, Abgeordnete des Regionalrats von Mykolaiv 2006-2010 Larisa Schesler – „Beziehungen zwischen der Ukraine und Rußland. Ich habe ein Recht auf meine Meinung“ -, und des Mitglieds des ZK der PSPU, Abgeordneter des Gemeinderats von Romny in den Jahren 2002-2010 und herausragenden Sportlers unserer Zeit Sergej Gawras – „Ich lege Zeugnis ab vor Gott, dem Gericht und der Geschichte. Das Zeugnis eines Champions“. Das Gericht war in Panik über die Unfähigkeit des MinJust und des SBU, die in diesen Erklärungen vorgelegten Beweise über die wahren Ziele und Aktivitäten der PSPU zu widerlegen.

Im Gegensatz dazu erachtete das Gericht die vom SBU vorgelegten Fälschungen aus dem Internet als beweiswürdig, ohne die Primärquellen zu untersuchen oder deren Wahrheitsgehalt zu bestätigen. Das Gericht akzeptierte auch ohne Beweise einige verzerrte Fragmente von Interviews von N. Witrenko und L. Schesler und die Unterstellung, die PSPU finanziere Terroristen, mache Propaganda für den Krieg und rechtfertige die Aktionen der Russischen Föderation.

Der Oberste Gerichtshof lehnte in politisch motivierter Diskriminierung der PSPU alle 19 Anträge unserer Partei ab, einschließlich der Anträge auf Zugang zu Beweisen für die Tätigkeit der OUN-UPA, auf Bestätigung der von den Richtern festgestellten Rechtsverstöße der PSPU, auf Rechtswidrigkeit des Dekrets des Präsidenten der Ukraine vom 19. März 2022, auf Beantragung einer Feststellung der Verfassungsmäßigkeit dieses Dekrets beim Verfassungsgericht und andere. Vor Gericht wurde die ungeheuerliche Haltung des Justizministeriums und des SBU deutlich, daß die Ukraine sich weigert, ihren Verpflichtungen aus der UN-Charta (Artikel 25) nachzukommen und somit die Resolution des UN-Sicherheitsrats zu den Minsker Vereinbarungen zu befolgen. Hinzu kommt die Weigerung, sich an die Charta und das Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg zu halten.

Der Oberste Gerichtshof untersuchte in keiner Weise, ob die Rechtsnormen vom Gericht in Lviv beim Verbot der Partei rechtmäßig angewandt wurden. Das Gericht gab Wladimir Martschenko nur 20 Minuten Zeit, um unseren Fall vorzutragen. Es ließ keine Argumente zu und berief sich dabei auf die Tatsache, daß das Gericht das Verbot der Partei in einem vereinfachten Verfahren prüfe. Stellen Sie sich das einmal vor: Eine Partei, also als Institution ein Fundament der Demokratie im Allgemeinen und der europäischen Demokratie im Besonderen, soll in einem vereinfachten Verfahren verboten werden! Ohne ordnungsgemäße Untersuchung der Beweise oder Anwendung der Rechtsnormen!

Es wird interessant sein zu sehen, welche Schlußfolgerungen die Venedig-Kommission aus dem Beispiel des Verbots der PSPU in Bezug auf die Demokratie in der Ukraine zieht.

Ich bin überzeugt, daß es weder den Machthabern in der Ukraine noch dem Obersten Gerichtshof gelungen ist, unsere Ideen zu besiegen oder die Unrechtmäßigkeit unserer Tätigkeit zu beweisen. Ihr Verbot der Partei ist kein Punkt am Ende eines Satzes, sondern ein Komma. Die Geschichte spricht uns frei. Die wahren Schuldigen an der Tragödie des Krieges werden benannt werden. Wahrheit und Gerechtigkeit werden sich durchsetzen.

Immer vorwärts, zum Sieg!

Natalja Witrenko

Volksabgeordnete der Ukraine, 1995-2002

Doktor der Wirtschaftswissenschaften, Akademikerin


Helga Zepp-LaRouche: Wer steckt hinter der Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines?

Von Helga Zepp-LaRouche

Die Sabotage und möglicherweise langfristige Zerstörung der beiden Nord-Stream-Pipelines Nord Stream I und II ist ein Angriff auf die existentiellen Interessen Deutschlands und belastet Millionen deutscher Bürger und eine große Anzahl von Betrieben mit Insolvenzen und zum Teil nicht mehr erschwinglichen Kosten für Heizung im kommenden Winter. Sie detoniert aber auch die Forderung der Demonstranten bei den jüngsten Protestaktionen in mehreren deutschen Städten, die ein Ende der Sanktionen gegen Rußland und eine Öffnung der beiden Pipelines gefordert hatten, um eine Lösung für die beiden dramatischsten Bedrohungen zu finden, mit denen Deutschland derzeit konfrontiert ist: Die akute Weltkriegsgefahr, die aus der Konfrontation mit Rußland folgt, und die Gefahr des totalen wirtschaftlichen Zusammenbruchs, an der die Explosion der Energiepreise einen großen Anteil hat.

Wenn es jemals eine Situation gegeben hat, in der die Regierung ihren Amtseid einlösen muß, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, dann erfordert dieser Terrorakt eine kompromißlose Aufklärung und Konsequenzen gegenüber den Verantwortlichen. Die Implikation der Antwort auf die Frage der Täterschaft ist enorm und wahrscheinlich identisch mit der Frage von Krieg und Frieden.

Jenseits aller Spekulationen, wer die Verantwortlichen sein könnten, ist die Fragestellung durchaus vergleichbar mit den Umständen, unter denen der Anschlag vom 11. September stattgefunden hat: Genau wie der amerikanische Luftraum durch das Northamerican Aerospace Defense Command (NORAD) lückenlos überwacht wird, so gehört die Ostsee zu den am strengsten überwachten Gebieten der Welt, das seit den Tagen des Kalten Kriegs von der NATO und natürlich den Anrainer-Staaten Dänemark, Schweden, Finnland und Deutschland durch ein dichtes Netz von Sonar-und Unterwassermikrophonen zur Überwachung aller Bewegungen auf See und in der Luft kontrolliert wird.

Wie bei allen kriminellen Taten stellt sich die Frage: wer hatte ein Motiv, wer hatte die technische und personelle Kapazität, die Tat auszuführen, und wer war physisch im fraglichen Zeitraum vor Ort? Die Notwendigkeit der Erfüllung dieser drei Kriterien reduziert die Liste der in Frage kommenden Täter auf eine sehr kurze Liste, und es herrscht angesichts der enormen technischen Anforderungen, die im Meeresboden in 70, bzw. 88 Meter Tiefe verlegten und betonierten Pipelines zu beschädigen, auf allen Seiten ein Einverständnis darüber, daß nur Staaten über solche Kapazitäten verfügen – und da eigentlich auch nur drei: Rußland, die USA und Großbritannien.

Eine äußerst nützliche Einschätzung1 zur Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines wurde jetzt von dem Schweizer Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard veröffentlicht, der 2014 in der Sonderbeobachtungsmission der OSZE als leitender Planungsoffizier tätig war, und danach u.a. in der hochrangingen OSZE-Planungsgruppe als Operationsoffizier. Er beschreibt darin die erheblichen technischen Herausforderungen, die bei einem derartigen Sabotageakt überwunden werden müssen und von daher den Täterkreis ziemlich klar auf militärische Spezialkräfte reduzieren, womit die Aussicht erhöht wird, daß aussagekräftige Informationen über den Anschlag ans Licht kommen werden. Die robuste Konstruktion der Pipelines, deren Rohre aus einem Spezialstahl bestehen, der mit einem Betonmantel umgeben, unter Geröll vergraben und mit anderen Materialien bedeckt sind, erfordert in ca. 80 Meter unter dem Meeresspiegel komplexe Techniken und den Einsatz von hochbrisanten Sprengstoffen aus dem militärischen Bereich.

Bosshard verweist darauf, daß die russische Marine, falls sie als Täter in Frage käme, sich nicht die Mühe hätte machen müssen, die Pipelines vor der dänischen Insel Bornholm mitten in einem eng von der NATO überwachten Gebiet zu zerstören, sondern dies einfacher im Finnischen Meerbusen hätte erledigen können. Es sei denn, sie hätte die Überlegenheit russischer Kapazitäten bei der Kriegsführung auf dem Meeresgrund (Seabed Warfare) demonstrieren und die NATO vorführen wollen, weist Bosshard auf diese eher unwahrscheinliche Erklärungsvariante hin.

Also wenn Rußland als Täter eher auszuschließen ist – schließlich hätte es ja auch einfach den Hahn zugedreht lassen können, wenn es Moskau darum gegangen wäre, „Verunsicherung zu schüren“ und den Gaspreis in die Höhe zu treiben, wie einige Medien spekulieren, welche Optionen bleiben dann?

Jens Berger wies in den Nachdenkseiten darauf hin, daß Mitte Juni in der Ostsee das jährliche NATO-Manöver BALTOPS stattfand, an dem unter dem Kommando der 6. US-Flotte 47 Kriegsschiffe, darunter der US Flottenverband um den Hubschrauberträger USS Kearsarge, teilnahmen. Teil dieses Manövers war eine Operation der Task Force 68, die vor der Insel Bornholm mit unbemannten Unterwasserfahrzeugen operierte, die Minen entschärfen, aber natürlich theoretisch auch solche plazieren können.

Seltsamerweise sei genau diese Flottengruppe um die USS Kearsarge in der letzten Woche erneut nur 10 Seemeilen entfernt von Bornholm mit Positionssignalen registriert worden. Das bedeutet natürlich noch nicht, daß diese Schiffe involviert waren, aber sehr wohl, daß sie es hätten sein können.

Der russische Botschafter bei der UN, Wassili Nebensja, fügte am Freitag bei einer kurzfristig einberufenen Sitzung des UN-Sicherheitsrates weitere Beobachtungen hinzu, nämlich daß sich die USS Kearsarge die ganze Zeit seit Juni in der Nähe von Bornholm aufgehalten habe, daß die Hubschrauber-Flotte des Schiffes die Gegend um Bornholm seit Anfang August patrouilliert habe und daß die Flugrouten dieser Luftfahrzeuge in überraschender Weise mit dem Verlauf der Pipelines übereinstimmten. Nebensja: „Ich betone, das sind öffentliche Daten bezüglich der Geolokalisierung von See- und Lufttransport, die auf Basis der Signale der Transponder aufgezeichnet werden. Das bedeutet, daß die USA ihre Anwesenheit nicht verborgen haben und das sie ihre Manöver in einer offen demonstrierten und auffälligen Weise durchgeführt haben.“

Ist es wahrscheinlich, daß Rußland die Pipelines zerstört hat, für die insgesamt 20 Milliarden investiert wurden und von denen es langfristig erhebliche Einnahmen hätte erwarten können? Putin hatte noch auf dem SCO-Gipfel in Samarkand vor zwei Wochen angeboten, Nord Stream 2 zu öffnen und damit 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu liefern, falls Deutschland bereit wäre, die Sanktionen gegen Rußland aufzuheben.

Überall im Internet zirkuliert jetzt das Video, auf dem Präsident Biden am 7. Februar auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Scholz im Weißen Haus versprochen hatte, daß die USA in der Lage seien, Nord Stream 2 zu schließen, falls Rußland in die Ukraine einmarschiere. Auf die Frage eines Reporters, wie er das bewerkstelligen wolle, da das Projekt sich doch unter Deutschlands Kontrolle befinde, antwortete Biden: „Ich verspreche Ihnen, daß wir in der Lage sein werden, das zu tun.“

Biden war nicht der einzige, der solche Drohungen ausstieß: Tucker Carlson präsentierte jetzt auf Fox-TV ein Video, auf dem Victoria Nuland auf einer Pressekonferenz des State Department schon im Januar das gleiche für den Fall einer russischen Invasion ankündigte: „So oder so, Nord Stream 2 wird nicht zum Einsatz kommen.“ Nach dem Anschlag auf die Pipelines freute sich der ehemalige polnische Außenminister Radoslaw Sikorski – Ehemann der bellikosen Atlantikerin Anne Applebaum – und bezog sich in einem Tweet auf Bidens Versprechen vom 7. Februar: „Eine kleine Sache, aber welch eine Freude. Vielen Dank, USA.“ Der Tweet wurde inzwischen gelöscht.

Offensichtlich sind die hier aufgezählten Fakten nur Indizien und noch keine Beweise für die Identität der Täter. Aber die Implikationen des Anschlags auf die Nord-Stream-Pipelines sind enorm. Sie verstärken die unmittelbare Perspektive der Deindustrialisierung Europas und die Abhängigkeit vom LNG-Gas der USA massiv, und die explodierenden Kosten führen bereits zu einem massiven Abzug von Firmen aus Europa und vor allem Deutschland in die USA. All dies bedeutet einen massiven Angriff auf den Lebensstandard der Bevölkerung.

Die Tatsache, daß die Pipelines erhebliche Schäden erlitten haben, deren Reparatur nach Aussagen der Betreiber keinesfalls unmöglich, aber doch sehr zeitaufwendig wäre, nimmt zunächst einmal den Teilnehmern an den Protestaktionen, die gefordert hatten, die Pipelines zu öffnen und die Sanktionen gegen Rußland zu beenden, den Wind aus den Segeln. Die Pipelines sind für den bevorstehenden Winter und darüber hinaus nicht funktionsfähig, und ein möglicher Weg zu einer diplomatischen Lösung mit Rußland auch bezüglich der wachsenden Kriegsgefahr ist verschüttet.

Wenn es sich allerdings herausstellen sollte, daß der Anschlag nur die Ausführung dessen war, was Biden am 7. Februar in der Anwesenheit von Scholz angekündigt hatte, dann muß sich Europa umgehend aus der Unterwerfung unter die USA und Großbritannien befreien und alle seine Kräfte einsetzen, um den Konflikt mit Rußland und zunehmend auch mit China auf diplomatischem Weg zu überwinden.

Ganz neu wäre die US-Autorenschaft jedenfalls nicht. Am 27. Februar 2004 berichtete die Washington Post, daß Ronald Reagan einem Plan der CIA zugestimmt hatte, die sowjetische Ökonomie zu sabotieren, indem sie ihr verdeckt u.a. kontaminierte Software zuspielte, die später eine gigantische Explosion der sibirischen Gaspipeline im Januar 2004 verursachte. Diese Enthüllung stammte aus den Memoiren des ehemaligen Luftwaffen-Ministers Thomas C. Reed, der berichtete, diese Explosion sei nur ein Beispiel für den „kaltblütigen Wirtschaftskrieg“ gewesen, den die CIA in den letzten Jahren des kalten Kriegs gegen die Sowjetunion geführt habe. Es sei der wirtschaftliche Bankrott gewesen, der zum Ende des Kalten Krieges geführt habe, keine Schlachten oder ein Austausch von Atomschlägen, so Reed.

Wir werden darauf achten müssen, daß die deutschen Politiker, die „Rußland ruinieren“ wollen, sich nicht willig bei der Vertuschung des Verbrechens in den Dienst der Täter stellen. Die „härtesten Konsequenzen“, die Ursula von der Leyen angekündigt hat, müßten dann allerdings umgesetzt werden, wenn wir uns in Deutschland nicht endgültig selbst aufgeben wollen. Es muß auf jeden Fall sichergestellt werden, daß Rußland in die Untersuchungen mit einbezogen wird. Daß Scholz Dänemark und Schweden dabei Unterstützung zugesagt hat, ist definitiv zu wenig. Ebenso, daß Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern und Verbündeten die Vorsorge und den Schutz vor Sabotage für kritische Infrastruktur verstärken will, wie Regierungssprecher Hebestreit sagte, klingt schon wieder eher wie eine Kapitulationserklärung als die Ansage, daß diese Regierung die existentiellen Interessen des deutschen Volkes zu vertreten beabsichtigt, worauf sie ihren Amtseid geschworen hat.

Es ist allerhöchste Zeit, daß wir sie daran erinnern.

zepp-larouche@eir.de


Anmerkung