Jacques Cheminade
Präsident von Solidarité et Progrès, Paris, Frankreich.
Lassen Sie mich mit etwas beginnen, was ich vorher nicht geplant hatte: Es geht um Fidelio. [Diese Oper wurde in konzertanten Auszügen als Höhepunkt des ersten Konferenztages am Abend zuvor aufgeführt, Red.] Es ist meine Lieblingsoper, und die einzige mit einem „Happy End“. Sie ist anders als die besten der großen Schauspiele, bei denen man beim Verlassen des Theaters über das Scheitern nachdenkt, über das tragische Ende des Helden oder der Heldin, und sich dazu herausgefordert fühlt, es besser zu machen als sie. Hier, im Fidelio, haben wir ein „Happy End“ – aber nicht, weil wir persönlich in ein behagliches Gefühl, einen sozial entropischen Zustand versetzt werden. Es ist ein frohes Ende, weil es zeigt, daß man das Schicksal meistern kann, wenn man seinen Mut und seinen Geist mobilisiert – und das ist etwas, was uns allen möglich ist, denn wir alle sind Menschen, so wie Leonore.
Aber das ist uns nicht nur gegeben, es wird von uns verlangt: Was Leonore für ihren Ehemann getan hat, das hat sie für die ganze Menschheit vollbracht, indem sie die Menschen auf der Bühne in den Kampf für eine bessere Welt führt. Das glückliche Ende ist eigentlich die Zukunft, die wir schaffen müssen – insbesondere in Momenten, in denen es um Leben und Tod geht, wie im gegenwärtigen Moment der Geschichte. Deshalb versetzt uns das glückliche Ende des Fidelio nicht in einen Zustand bequemer Ruhe, wie in einer Seifenoper. Im Gegenteil, es fordert uns auf, die Wahrheit zu sagen und dafür zu kämpfen. Selbst wenn es bedeutet, daß wir dafür unser Leben einsetzen müssen, so wie Leonore und Florestan.
Es ist, als habe Beethoven für uns hier und heute komponiert, damit wir für die Wahrheit einstehen.
Europa in seinem derzeitigen Zustand ist eine aussterbende Gattung, ein wandelnder Schatten. Es gibt keine Hoffnung für eine Europäische Union auf der Grundlage des oligarchischen Prinzips der Benachteiligung aller Mitgliedsnationen und Völker zum Vorteil der Londoner City und der Wall Street. Es gibt keine Hoffnung für eine Europäische Union, die nicht nur Unterdrückung in andere Länder exportiert, sondern auch ihre eigenen Wähler und Volkswirtschaften unterdrückt. Deshalb ist es unsere unmittelbare Aufgabe, Europa hier und jetzt von seinen finanziellen Fesseln und seinen kulturellen Mühlsteinen zu befreien.
Ironischerweise bilden die Nationen, die Europa seiner Herrschaft unterworfen hat, jetzt das wichtigste Instrument, um uns von unseren Unterdrückern zu befreien. Ich meine damit die BRICS-Staaten – nicht als eine nach innen orientierte Gruppe von Nationen, sondern, wie [der neue Premierminister] Narendra Modi sagte, ein Konzert von Nationen, die in ihrem gegenseitigen Interesse und zum Nutzen aller beteiligten Partner handeln.
Die Tragödie unserer Zeit
Wir können aus der Tragödie unserer Zeit nur dann einen Weg in eine bessere Zukunft finden, wenn wir verstehen, daß Entwicklung allein auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und durch die wissenschaftlichen Leistungen der menschlichen Kreativität möglich ist. Deshalb haben wir diesen Themenkreis als ein Orchester von Beiträgen aus verschiedenen Teilen der Menschheit organisiert, als ein voranschreitendes Werk, eine gemeinsame Musik, anstelle der Kakophonie der Konkurrenz und Wut, die in unserer selbstzerstörerischen Welt von heute erklingt.
Schauen Sie sich an, was jetzt gerade vor unseren Augen geschieht: Eine barbarische Epidemie unmenschlicher Verbrechen in Südwestasien und gleichzeitig die Ausbreitung von Ebola – eine mögliche neue Schwarze Pest – bedrohen als kombinierter Prozeß unsere gesamte Zivilisation. Diese beiden mörderischen Bedrohungen für die menschliche Gesellschaft beschränken sich nicht auf eine bestimmte Region der Welt; sie verbreiten sich auch in den entwickelten Sektor, insbesondere nach Europa. Die Dschihadisten aus Londonistan, Parisistan oder anderen „istanen“ in Europa werden nach Europa zurückkehren; sie sind dazu ausgebildet, zu vergewaltigen und zu töten. Schon jetzt hat einer von ihnen in Frankreich seine Kameraden dazu aufgerufen, wahllos französische Zivilisten zu töten, als angebliche „Rache für die Bombenangriffe der westlichen Armeen“. Wir haben mit dem Feuer gespielt, und nun kehrt das Feuer zu uns zurück.
Ebola infiziert derzeit jede Woche etwa 10.000 Menschen und tötet die meisten von ihnen, weil es in Afrika – dem ärmsten und am schlimmsten ausgebeuteten Teil der Welt unter der Herrschaft des britischen finanziellen Neokolonialismus, der auf Triage beruht und in der einen oder anderen Form von allen europäischen Ländern akzeptiert wurde – keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten gibt. Ganz zu schweigen von Maßnahmen zur Isolation der Kranken, die, selbst wenn sie gerechtfertigt sind, auch den Handel und die wirtschaftliche Entwicklung behindern werden, so daß zur Krankheit noch der Hunger hinzukommt. Aber Ebola macht nicht vor den Grenzen halt; wir haben die Gefahr geschaffen, daß diese Epidemie sich über ganze Kontinente ausbreitet. Sie hat bereits medizinisches Personal in den Vereinigten Staaten und Spanien infiziert, und sie könnte sich auch in die armen Bevölkerungsschichten unserer eigenen Länder ausbreiten, die aufgrund der zerstörerischen Sparpolitik wachsen.
Ich erwähne dies, obwohl es an anderer Stelle in dieser Konferenz noch ausführlicher dargelegt werden wird, um zu unterstreichen, daß wir es nicht mit Inkompetenz oder einem Unfall der Geschichte zu tun haben, sondern mit dem Resultat einer vorsätzlichen Politik von Seiten der europäischen Oligarchie, die über das Vereinigte Königreich, Brüssel und die Führungen der europäischen Länder herrscht. Dieses System der Macht läßt sich nicht heilen oder reparieren, man muß es ändern.
Sie haben die Zitate von Prinz Philip, dem Herzog von Edinburgh, und anderen gehört, etwa jene berüchtigte Äußerung, er hoffe, als „tödliches Virus wiedergeboren“ zu werden, um „die Weltbevölkerung zu reduzieren“. Man kann auch andere erwähnen, wie John Holdren, Obamas Chefberater für wissenschaftliche und technologische Fragen, oder den bekannten französischen Ökologen Jacques-Yves Cousteau, der wie seine britischen Kollegen die Weltbevölkerung auf weniger als eine Milliarde Menschen verringern möchte.
Das ist ein Verbrechen, aber es ist nicht bloß das Verbrechen einiger weniger Individuen. Es ist ein Verbrechen, das in das britisch-imperiale System und in die Institutionen der Europäischen Union eingebaut ist. Warum? Weil sie Malthusianer sind. Sie halten den Menschen für eine gezähmte wilde Bestie; „die da oben“ seien dazu bestimmt, zu herrschen, und alle übrigen dazu verdammt, sich zu unterwerfen. Wer diesem malthusianischen Denken folgt, der ist unfähig, sich vorzustellen, daß „Entwicklung“ eine Zweckgemeinschaft bedeutet, um die gemeinsamen Ziele der Menschheit, für die man zusammenarbeitet, zu erreichen – statt der kriminellen Idee, daß man in einer Welt vermeintlich begrenzter Ressourcen notwendigerweise nur auf Kosten anderer wachsen könne. Europa muß sich deshalb ändern, um ein Bündnis von Nationalstaaten zu schmieden, die entschlossen sind, den globalen Fortschritt der Welt voranzubringen.
Betrachten wir, wie „Europa“ seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgebaut wurde. Es beruhte auf drei wesentlichen Regeln: finanziellem Liberalismus, Freihandel und der Entwertung der Nationalstaaten. Dieser Prozeß kulminierte im Euro, einem Werkzeug der selbstinduzierten Zerstörung.
Infolgedessen haben wir im Jahre 2014 und 2015 Nullwachstum – in Wirklichkeit sogar negative Wachstumsraten -, und nun fordert Eurostat, die Europäischen Statistikbehörde, daß bei der Berechnung des nationalen Wirtschaftsprodukts aller Mitgliedstaaten auch die illegalen Aktivitäten mitgezählt werden. Das bedeutet, daß Prostitution, Drogenhandel, Schmuggel von Tabak und Alkohol wirtschaftlich einen Persilschein bekommen, um das BIP nominell zu vergrößern und mehr Schulden zu rechtfertigen!
Der geschätzte Kaufkraftverlust von Durchschnittsverdienern in Europa liegt seit 2007 zwischen 5% in Frankreich und Deutschland und 50% in Griechenland!
In Frankreich sind dazu zwei Bücher erschienen: „Die Veruneinigten Staaten von Europa“ von Coralie Delaume und „Der Raub der Europa“ von Robert Salais. Beide machen deutlich, daß die gegenwärtige Europäische Union gezielt, Maßnahme für Maßnahme, darauf hingearbeitet hat, die Nationalstaaten zu zerstören und zu verhindern, daß sich die Menschen an den tatsächlichen politischen Entscheidungsprozessen beteiligen können. Wir wurden mit dem genauen Gegenteil infiziert: dem absoluten Gegenteil der Prinzipien einer Politik der Regierung „des Volkes durch das Volk und für das Volk“, wie es in der amerikanischen Verfassung und Artikel 2 der französischen Verfassung in Stein gemeißelt ist.
Das sollte nicht überraschen, wenn man betrachtet, wo die heutige Europäische Union herkommt. Sie ist ein Geschöpf des Komitees für ein Vereintes Europa und des Amerikanischen Komitees für ein Vereintes Europa, über die die europäischen Föderalisten von britischen und amerikanischen Geheimdiensten mit Geld und „Ideen“ versorgt wurden: britische Ideen und amerikanische Dollars. Das Komitee wurde erfunden von Allen Dulles, dem Anführer des Wallstreet-Flügels in der amerikanischen CIA, und von Duncan Sandy, einem Schwiegersohn Winston Churchills. Sie waren die Paten dieses Europa, zusammen mit dem Franzosen Henri Frenay, einem Todfeind von Charles de Gaulle. Frenay organisierte die Beseitigung von Jean Moulin, über den die Verbindungen zwischen dem Freien Frankreich und dem Widerstand in Frankreich liefen. Der Kongreß für Kulturelle Freiheit, finanziert aus Mitteln des Marshallplans, schuf die kulturelle Grundlage, um ein solch pervertiertes Europa durchzusetzen. Jean Monnet und Robert Schuman teilten sich diese Aufgabe, im Auftrag ihrer Freunde in ganz Europa – einschließlich in den Hallen des Vatikans. Hier liegt, wenn man so will, die Ursünde der Europäischen Union, und die Gestalt des Kindes entspricht den Wünschen derer, die es herangezogen haben.
Lassen Sie mich noch etwas zum Zustand der europäischen Presse und der wirtschaftlichen Institutionen sagen.
Zur europäischen Presse: Udo Ulfkotte, ein früherer Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, eine der führenden Tageszeitungen Deutschlands, hat kürzlich [in einem Interview mit Russia Today, https://www.youtube.com/watch?v=lm4OUcfiM-8 – d. Red.] zugegeben: „Ich bin … darin ausgebildet, zu lügen, zu betrügen und der Öffentlichkeit nicht die Wahrheit zu sagen.“ Und er beschrieb, wie er von der CIA unterstützt wurde. Er sagte, die meisten Journalisten großer Medien in den USA und Europa arbeiteten unter sogenanntem „non-official cover“ für Geheimdienste. Ich zitiere ihn:
„Ihre Frage war, ob das nur für deutsche Journalisten gilt. Ich denke, das gilt besonders für britische Journalisten, da es da noch engere Beziehungen gibt. Es gilt besonders auch für Israelis. Es gilt für französische Journalisten…
Wenn ich mir die letzten Monate anschaue, wo deutsche und amerikanische Medien versuchen, Krieg in Europa, in Rußland zu entfachen, gibt es für mich kein Zurück mehr… Der Grund, warum ich dieses Buch geschrieben habe, ist meine Furcht vor einem erneuten Krieg in Europa.“
Jetzt verstehen Sie, warum alle diese Leute entweder kein Wort über uns berichten wollen oder, wenn sie uns nicht mehr ignorieren können, behaupten, wir seien eine Sekte, oder im Laufe der Zeit irgendeine andere verleumderische Bezeichnung verbreiten. Solche Leute sind Rufmörder, die dem Interesse von Mördern dienen. Punkt.
Was die Wirtschaft angeht: Der französische Verhaltensökonom Jean Tirole hat gerade den sogenannten Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Um es kurz zu machen: Er behauptet immer wieder, die Vorstellung einer „Systemkrise“ sei „bedeutungslos“, und Hedgefonds oder Derivate zu regulieren, sei unmöglich, das wäre nur etwas für „irrationale Idealisten“. Nachdem er in Princeton und am MIT unterrichtete, hat er nun mit 60 Mio. Euro vom französischen Staat und französischen Banken die Toulouser Wirtschaftsschule und das Institut für Fortgeschrittene Studien in Toulouse gegründet. Beide werben unter anderem für das Konzept der „gegenseitig zugesicherten Illusionen“. Immerhin ist das ein guter Ausdruck für das gegenwärtige europäische Gruppendenken.
Europas Wahl
Lassen Sie mich nun in klaren Worten sagen, vor welcher Wahl wir stehen. Werden Europa und Spanien zur Brücke für eine positive Entwicklung Eurasiens nach Afrika oder zur Brücke für den Todesmarsch von Ebola ins Zentrum Europas? Werden Deutschland, Frankreich, Italien und andere europäische Länder ihren humanistischen Impuls zurückerobern, oder werden sie im Interesse des Britischen Empires weiterhin das Gegenteil tun? Entschließen wir uns, die Idiotie der Geopolitik und des deduktiven Denkens über Bord zu werfen und wieder Forscher und Entdecker zu werden? Sind wir bereit, auszubrechen aus dem wirtschaftlichen Dilemma zwischen dem Keynesianischen Monetarismus der Geldfälscher (monetaristischer Durchfall) einerseits und dem orthodoxen Kult der Geldverknappung und der Wohlstandsräuber (monetaristische Verstopfung) andererseits? Die französischen und die deutschen Politiker mögen sich in diesem Abort der Weltpolitik wiedererkennen.
Das sind die wirklichen Fragen, die sich in der realen Welt stellen.
Was war Europa im Jahre 1411? Eine Region der Welt, die relativ weniger entwickelt war als China und Indien. Von den zehn größten Städten der damaligen Welt befand sich nur eine in Europa, Paris, mit fast 200.000 Einwohnern, während Beijing damals mindestens 600.000 Einwohner zählte. (1792-93 bezeichnete Lord Macartney die Macht und Zahl der Chinesen als Bedrohung für das aufstrebende Britische Empire, und meinte, man müsse dagegen etwas tun, weil es viele zu viele davon auf der Erde gebe.)
Was führte also zum Erfolg Europas nach 1411? Es waren die Renaissance und ihre Revolution in den Wissenschaften und den Künsten – die Renaissance von Kues, Kepler und Leibniz, die Renaissance von Leonardo und Beethoven, Rembrandt und Bach. Die Idee des homo universalis, die Idee, daß der Mensch nicht durch seine Macht, zu herrschen, über den Tieren steht, sondern durch seine Fähigkeiten, schöpferisch zu handeln und sein Selbstbewußtsein zu wecken.
Leider hat Europa, statt dieses Vermögen an andere weiterzugeben, unter der Herrschaft der Oligarchie sein eigenes Bewußtsein der Universalität verraten. Die Imperien setzten die durch die Renaissance geschaffenen Potentiale zu ihrem eigenen Vorteil gegen andere Regionen der Welt ein. Ausbeutung, Zerstörung und Brutalität setzten sich durch, und die technischen Anwendungen wissenschaftlicher Entdeckungen dienten nicht dazu, eine Ära der gegenseitigen Entwicklung einzuläuten, sondern Macht und Besitz zu erringen. Das, was die Vereinigten Staaten auf der Grundlage der besten europäischen Tradition zu ihrer Blütezeit entwickelten – das Leibnizsche Prinzip des Rechts auf Leben, Freiheit und Glückseligkeit statt des Rechts auf Leben, Freiheit und Eigentum -, wurde im 20. Jahrhundert nach dem Tod Franklin Delano Roosevelts zerstört.
Für uns Europäer und Amerikaner ist die Aufgabe, diese Gründungsprinzipien zurückzugewinnen, die in der amerikanischen Verfassung und für uns Europäer im Westfälischen Frieden von 1648 verankert sind. Deren ausdrückliche Beseitigung forderte Tony Blair 1999 in seiner Chicagoer Rede, der ein sogenannter „Krieg gegen den Terrorismus“ folgte, was nichts anderes war als ein Krieg, um die Menschen zu terrorisieren und jeden gegen jeden aufzuhetzen.
Der Westfälische Frieden beruhte auf drei Hauptverpflichtungen:
1. vergangene Verbrechen zu vergeben, einschließlich der Schulden, die zur Finanzierung der Kriege aufgenommen worden waren – eines der Hauptverbrechen;
2. den Vorteil des anderen zu befördern, um zu verhindern, daß Kriege ausbrechen und auf Kosten anderer Gewinn gemacht wird;
3. dem Prinzip der nationalen Souveränität, das auf gegenseitiger Achtung beruht, zu verteidigen.
Genau das wurde von der gegenwärtigen Europäischen Union – die in Wirklichkeit weder europäisch noch eine Union ist – über Bord geworfen.
Woher soll dann der Impuls kommen, der uns neues Leben schenken kann? Von denjenigen, die unsere Prinzipien – wenn auch unvollkommen – besser bewahrt haben als wir selbst. Ich meine natürlich die BRICS-Gruppe. In Modis Worten: „Laßt uns eine Massenbewegung für Entwicklung schaffen, so wie Mahatma Gandhi aus der Freiheitsbewegung eine Massenbewegung machte.“ Darin liegt das Paradox des jetzigen Moments der Geschichte: Wir haben in Europa und in den Vereinigten Staaten unsere Prinzipien verloren und können nur zu ihnen zurückfinden, indem wir uns von der Bewegung der BRICS inspirieren lassen. Diese entstand als Verteidigung gegen unsere Fehler und unsere Verbrechen, und gegen die oligarchische Finanzdiktatur mit ihren mörderischen Auswirkungen, der Zerstörung des gesamten sozialen Gefüges.
Dazu müssen wir uns selbst ein für allemal von der britischen Oligarchie und ihren Mitläufern befreien.
Das bedeutet nicht, daß wir Europäer mit leeren Händen dastehen. Ich glaube nicht wie die Schule der britischen Historiker, der Gibbons und der Toynbees, an die Unausweichlichkeit des Niedergangs und die Kontinuität eines großen Verfalls. Ich glaube, je größer die Gefahr wird, desto näher rückt auch das, was Rettung bringt – vorausgesetzt, daß wir uns, über Europa hinaus, für die Zukunft der gesamten Menschheit mobilisieren. Wenn Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs irgendetwas Erinnerungswürdiges hervorgebracht hat, dann war es die Schaffung von Frieden zwischen den europäischen Nationen, auch wenn das auf der Grundlage eines Kompromisses mit der Oligarchie geschah. Jetzt müssen wir uns bessern und die oligarchische Infektion loswerden, denn wie will man ein friedliches Heim mit Kakerlaken und anderem Geziefer darin organisieren? Jetzt ist es an der Zeit, unser Haus in Ordnung zu bringen und zu handeln, nicht für uns selbst, sondern zum Vorteil der anderen Völker. Wir müssen uns einer Selbstreinigung unterziehen und gemeinsam einen großen Sprung nach vorn machen – nicht nur, um uns der BRICS-Gruppe anzuschließen, sondern um die Entwicklung der Zukunft anzuspornen. Unsere jetzige Herausforderung besteht nicht nur darin, Schreckliches zu verhindern, sondern dafür zu sorgen, daß Gutes geschieht, das auf diesen neuen Prinzipien beruht.
Historisches Beispiel
Ein historisches Beispiel, oder besser gesagt zwei, geben mir Hoffnung.
Das erste ist Anton Wilhelm Amo, ein junger Afrikaner aus Ghana, den der Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel um 1707 adoptierte und als Familienmitglied behandelte. Amo besuchte die Universitäten Halle, Wittenberg und Jena und studierte Logik, Metaphysik, Physiologie, Astronomie, Geschichte, Recht, Theologie, Politik und Medizin und lernte sechs Sprachen – Englisch, Französisch, Deutsch, Latein, Griechisch und natürlich Deutsch. 1729 schrieb er ein Memorandum über De Jure Maurorum in Europa, in dem er das Recht der Farbigen verteidigt, in gleicher Weise behandelt zu werden wie andere Europäer. Er erhielt 1734 in Wittenberg den Doktortitel der Philosophie. Seine bemerkenswerte Arbeit Über das Fehlen der Sinne im menschlichen Geist und ihr Vorhandensein in unserem organischen und lebenden Körper richtet sich gegen den Cartesischen Dualismus und entwickelt ein Leibnizsches Menschenbild auf der Grundlage der Entdeckung von Prinzipien und der Ausarbeitung von Ideen, über die sinnliche Wahrnehmung hinaus.
Er kehrte in sein Geburtsland zurück, als seine Freunde und Förderer in Deutschland nicht mehr lebten und er rassistischen Angriffen ausgesetzt war, und starb in einer holländischen Festung in Ghana. Abbé Gregoire rühmt Amo in seinen „Notizen über Neger und Mulatten, die sich durch ihre Talente und Werke ausgezeichnet haben“. Er war auch ein Vorbild für Kwame N’Krumah [den ersten Premierminister und dann Präsidenten Ghanas, d. Red.].
Das zweite Beispiel aus dem 18. Jahrhundert ist Abraham Petrowitsch Gannibal, ein schwarzes Kind, das vom russischen Zaren Peter dem Großen adoptiert und freigelassen wurde. Gannibal machte eine ruhmreiche Karriere als Ingenieur und Offizier in Rußland, heiratete in eine adelige Familie ein und hatte Generationen von Nachkommen, zu denen auch sein Urenkel, der Dichter Alexander Puschkin gehörte.
Diese beiden Fälle beweisen, was möglich ist, wenn sich Individuen in Europa entscheiden, den Vorteil des anderen zu respektieren – ein Hoffnungsstrahl aus der Vergangenheit in die Zukunft. Heute sind wir weit davon entfernt, allen Afrikanern ihr Menschsein in solcher Weise zuerkannt zu haben, und es ist eine Forderung an uns alle, dies zu erfüllen, um unsere eigene Wiedergeburt unter Beweis zu stellen.
Denn das Europa, das uns aufgezwungen wurde, hat keine Zukunft: Das britisch dominierte Finanzzentrum in diesem begrenzten Teil der Welt hat seine Macht verloren. Aber die Nationalstaaten, aus denen Europa besteht, müssen wiederbelebt werden und wie die Stimmen in einem Chor oder die Instrumente eines Orchesters im Dienste des Vorteils aller souverän zusammenarbeiten.
Betrachten wir dies als eine Frage von Leben und Tod. Denn es ist eine Frage von Leben und Tod, und wir alle müssen die Gefahr besser verstehen, als es in den geschriebenen Worten, die ich Ihnen hier vortrage, möglich ist.
Tod: Wenn wir uns weiter so verhalten wie bisher, dann sind wir dazu verdammt, zu sterben – entweder in einem Weltkrieg, durch Ebola oder durch die kommenden Wellen mörderischer Sparpolitik, die über uns hereinbrechen. Darum geht es hier und jetzt, und alles liefe auf das gleiche hinaus: ein planmäßiges Massensterben.
Dagegen Frieden: Stellen wir uns vor, alle europäischen Nationen würden sich zusammentun, um zur Lösung beizutragen.
Leben: Das bedeutet als erstes, ein für allemal die Konfrontation gegen Rußland und China zu beenden, und zweitens, eine Kreditpolitik in Gang zu setzen, um die Infrastruktur oder besser gesagt, eine Plattform für den Weltfrieden, zu schaffen.
Denken wir uns einen europäischen Chor, einen Chor von Nationen, vom Atlantik zum Ural, ein Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok und zum Chinesischen Meer. Ein Deutschland, das seinen Stahl und seine Maschinenbaukapazitäten einbringt, zusammen mit der Schweiz und Österreich; Frankreich mit seiner Atomkraft und seinen Luft- und Raumfahrtkapazitäten, und Frankreich und Deutschland, die sich mit Rußland, China und den Vereinigten Staaten zu einem Raumfahrtprojekt zusammenschließen. Wissenschaftler und Ingenieure aus Darmstadt und Toulouse erwarten von uns, daß wir dafür mobilisieren.
Denken Sie sich Nordeuropa – Schweden, Dänemark und Finnland – als Brücke zum Osten. Stellen Sie sich den Süden als Brücke nach Afrika, über Italien, Spanien und Portugal vor.
Denken Sie auch an alle Nationen Europas, die ich hier nicht genannt habe. Diese Kombination birgt in sich ein unglaubliches Potential für Frieden und ist einer der Schlüssel, um das Tor zur Zukunft aufzuschließen. Aber wir mit unserer Kultur des Todes und der tödlichen Untätigkeit, unserer entropischen Untätigkeit, unseren Unterlassungssünden und unserem Pessimismus, setzen es bisher nicht ein.
Die europäischen Nationen können nur überleben, wenn sie sich verpflichten, ihre schlechten gesellschaftlichen Gewohnheiten, Praktiken und Meinungen der letzten hundert Jahre abzulegen und den Optimismus aufzubringen, eine Kultur des Todes zurückzuweisen. Menschlich zu sein, heißt nicht, in den Spiegel zu schauen wie ein narzißtischer Oligarch, sondern auf sich selbst vom Standpunkt der Zukunft zu blicken und den Zustand der Menschheit zu verbessern.
Europa hat in seiner jetzigen, pervertierten Form keine Zukunft, aber wenn sich weise Menschen in souveränen Republiken versammeln, hat es das Recht, diese für sich einzufordern. So finden wir uns hier zusammen, und ich bin mir sicher, daß uns die nächsten Redner mit ihren Gedanken, die von der Zukunft ausgehen, bereichern werden.
Befreien wir uns also aus der tödlichen Umarmung der Londoner City, der Wall Street und des Britischen Empire, und sprechen wir mit Überzeugung aus:
Lang lebe eine Neue Seidenstraße, die die ganze Erde umspannt!
Lang lebe das freie Europa; lang lebe Eurasien vom Atlantik zum Chinesischen Meer!
Lang lebe das freie Deutschland!
Lang lebe das freie Frankreich!
Lang leben die freien Vereinigten Staaten!
Wir alle können unter offenem Himmel befreit aufatmen, wenn wir uns mit unserem Leben für die Zukunft der Menschheit einsetzen. Unsere Mission liegt in unseren Händen. Und die Menschen warten nur darauf, auf die Bühne zu kommen, wenn wir ihren Pessimismus nicht gelten lassen und ihnen mit gutem Beispiel vorangehen.