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Internetkonferenz des Schiller Instituts: Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!

Internetkonferenz des Schiller Instituts: Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!

Internationale Schiller-Institut Internetkonferenz, 15. & 16. Juni 2024

Die deutsche Simultanübersetzung wird in Kürze veröffentlicht und in der Rednerliste verlinkt. Sie können sich die Videos im englischen Original hier ansehen.

Konferenzbericht: Konferenz des Schiller-Instituts zeigt den Ausweg aus der Gefahr

Von Marcia Merry Baker und Stewart Battle

Bericht lesen

Die Konferenz des internationalen Schiller-Instituts mit dem Titel „Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!“ am 15. und 16. Juni fand in einer Zeit extremer Krise statt und diente nicht nur als Plattform für eine Bestandsaufnahme der Krisenursachen, sondern auch für grundsätzliche Erklärungen zu deren Lösung. Die zweitägige Internetveranstaltung gliederte sich in vier Sitzungen mit 23 Rednern aus elf Ländern, an den Fragerunden nahmen zahlreiche Gäste aus aller Welt teil. Das vollständige Programm und die Videomitschnitte der Veranstaltung sind auf der Webseite des Schiller-Instituts abrufbar.

Im ersten Sitzungsblock wurde der Hauptpunkt der Konferenzeinladung direkt angesprochen: „Der Versuch des kollektiven Westens, nach dem Ende des Kalten Krieges die globale Vorherrschaft des neoliberalen Systems zu behaupten, ist krachend gescheitert.“ Viele Aspekte dazu wurden diskutiert, insbesondere die Inkompetenz der westlichen Politiker, ihr Mangel an Diplomatie sowie die Tatsache, daß die Europawahl eine Woche zuvor eine klare Absage an die derzeitige Politik gewesen war. Diese erste Sitzung stand unter dem Motto „Europa nach den Europawahlen“.

Warum stehen wir am Rande des Dritten Weltkriegs?

Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, die den Hauptvortrag der Konferenz hielt, sprach eindringlich über die gegenwärtige Gefahr und fragte: „Warum stehen wir am Rande des Dritten Weltkriegs?“ Sie nannte die Gründe hierfür, wie die jüngsten von ukrainischem Gebiet aus durchgeführten Angriffe auf zwei der zehn russischen nuklearen Frühwarnanlagen und andere einschneidende Ereignisse. Tatsächlich aber, so betonte sie, „befinden wir uns am Ende einer ganzen Epoche“, nämlich der Ära des Kolonialismus und Neokolonialismus, die seit der Zeit um 1500 den Fortschritt der Menschheit behinderten. Nun sei es an der Zeit, daß wir uns vorwärts bewegen. Ein neues System sei erforderlich, und es gebe die gute Nachricht – die allerdings von den westlichen Medien unterdrückt werde –, „daß ein neues Weltsystem im Entstehen ist“. Sie erinnerte an vergangene grundlegende positive Veränderungen dank großer Persönlichkeiten wie Gottfried Leibniz (1646-1716) und Friedrich List (1789-1846) sowie Cai Yuanpei (1868-1940). Zepp-LaRouche schloß ihre Grundsatzrede mit den Worten: „Schließen wir uns der Globalen Mehrheit an!“

Die weiteren Podiumsteilnehmer aus den USA, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Belarus und Rußland waren sich einig, daß angesichts der aktuellen Krisen dringender Handlungsbedarf besteht, wobei sie unterschiedliche Schwerpunkte setzten und unterschiedliche Informationen lieferten. Chas Freeman, ehemaliger US-Botschafter und Experte für die amerikanisch-chinesischen Beziehungen, begann seinen Vortrag schlicht mit den Worten: „Jemand muß sich für den Frieden einsetzen.“

Zwei Sprecher aus Belarus ergänzten, was viele Stimmen für den Frieden aus Eurasien schon seit Jahren sagen. Dr. Olga Lasorkina, Vorsitzende der Abteilung für Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR), sprach davon, daß die Nationen eine „gemeinsame Basis“ finden sollten, weil wir alle auf einem Planeten leben. Im Jahr 2023 habe es 183 regionale Konflikte auf der Welt gegeben, und man müsse nach Alternativen suchen. Auf dem riesigen eurasischen Kontinent gebe es „alternative Mechanismen für die globale wirtschaftliche Entwicklung“, wie die Eurasische Wirtschaftsunion, die auf „Freundschaft und Kontinuität“ aufbaue. Ihr weißrussischer Kollege Witali Romanowskij, Chefberater der Abteilung für Außenpolitik des BISR, ging speziell auf die Rolle von Belarus bei den Friedensbemühungen der letzten Jahre für die Ukraine ein.

Die vier Redner des ersten Blocks, die einen militärischen Hintergrund haben und weiterhin mit dem Militär verbunden sind, waren sehr eindringlich. Oberst a.D. Alain Corvez aus Frankreich, ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums, zitierte Nietzsche, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, daß die Führer des Westens „dement“ seien. Sie befänden sich im Reich des Nihilismus und seien unfähig, rational zu denken. Die USA seien ein Hegemon, der nicht erkennt, daß er seine Vormachtstellung verloren hat. Corvez schloß sich dem Thema der Konferenz an und forderte eine breite Mobilisierung für einen neuen Westfälischen Frieden. Seine französische Kollegin Caroline Galactéros, Politikwissenschaftlerin und Oberst der Reserve, rief Frankreich dazu auf, sich von den USA und ihrer Kriegstreiberei zu distanzieren und sich mit denjenigen zusammenzuschließen, die sich für Stabilisierung und Sicherheit einsetzen. Man müsse „retten, was von der Ukraine noch übrig ist“.

Aus der Schweiz schilderte Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard anhand von militärischen Einzelheiten, daß „wir uns weltweit in einer Sackgasse befinden“, wie in den festgefahrenen und schrecklichen Situationen in der Ukraine oder in Gaza sichtbar sei. Das könne und müsse sich ändern.

Rainer Rupp, militärischer Geheimdienstexperte aus Deutschland, der von 1977 bis 1993 im NATO-Hauptquartier die regelmäßigen Atomkriegs-Stabsübungen „Wintex“ (Winterübungen) persönlich miterlebte, verdeutlichte die Denkweise der US-amerikanischen, britischen und anderen NATO-Führer, die keinerlei Rücksicht auf die wahrscheinlich enormen zivilen Verluste genommen hätten, wie er aus erster Hand erfuhr.

Ein zweiter Westfälischer Frieden?

Prof. Georgi Toloraja, Direktor des Zentrums für Asienstrategie am Institut für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften, griff die Aussicht auf einen positiven Ausgang der heutigen Krise auf. Er berichtete über die wichtige Rede, die Präsident Putin am 14. Juni vor Spitzenvertretern seines Außenministeriums zu Vorschlägen für die eurasische und globale Sicherheit gehalten hat. Dabei ging es um den Globalen Süden und den Globalen Osten sowie um neue Zusammenschlüsse wie die BRICS. Vergangene Woche trafen sich die Außenminister der fünf ursprünglichen BRICS-Staaten und der vier neuen Mitgliedsländer – Ägypten, Iran, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate – zum ersten Mal in Nischni Nowgorod, um eine „neue Etappe des Handelns“ zum Nutzen der ganzen Welt zu planen.

Zepp-LaRouche schlug in der Diskussion vor, verschiedene Möglichkeiten zu prüfen, wie man sich über Perspektiven und Prinzipien zur Überwindung der Krise austauschen kann. Wie wäre es mit Seminaren von Denkfabriken aus allen fünf Kontinenten? Oder auf der Ebene der Universitäten? Es herrsche ein extremer Mangel an Dialog, und das NATO-Narrativ sei bewußt darauf angelegt, jegliches Denken und Handeln zu blockieren.

Man müsse auch die individuelle Ebene berücksichtigen. Jeder Mensch müsse für sich eine Vision entwickeln, wie die Welt sein solle und was jeder einzelne dafür tun kann. „Der Krieg ist das Ergebnis einer tiefen kulturellen Krise“ des Westens. Zepp-LaRouche sieht in den nächsten drei bis sechs Monaten die gefährlichste Zeit der Geschichte. „Wir müssen einen Dialogprozeß in Gang setzen, in dem das Beste der Menschheit überall inspiriert und zum Handeln angeregt wird.“ Diesem Ziel hätten sich das Schiller-Institut und die Internationale Friedenskoalition (IPC) verschrieben.

Die Globale Mehrheit

Das zweite Panel unter dem Titel „Die Entwicklungsbestrebungen der Globalen Mehrheit“ umfaßte sechs Redner aus Südamerika, Europa und Palästina. Den Auftakt bildete ein Videoausschnitt aus einer Rede von Lyndon LaRouche, die er vor 20 Jahren, am 4. Mai 2004, auf einer Konferenz in Deutschland gehalten hatte, worin er über wirtschaftliche Entwicklung sprach. Er stellte die Idee von Entwicklungskorridoren „vom Atlantik bis zum Pazifik“ vor, die in alle Richtungen ausstrahlen – Jahre vor der Gürtel- und Straßen-Initiative des chinesischen Präsidenten Xi Jinping 2013.

Auch die erste Sitzung hatte mit einem Video LaRouches begonnen, vom Februar 2005, in dem er die Organisierung eines neuen weltwirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Rahmens anmahnte. Er sprach vom „Niedergang und Fall der US-Führung“ 1971 bis 2005 und kritisierte namentlich George Shultz, Paul Volcker, Zbigniew Brzezinski und andere.

Im zweiten Sitzungsblock gab der ehemalige Präsident von Guyana, Donald Ramotar, einen Überblick über die jahrzehntelange wirtschaftliche Ausbeutung seiner und anderer Nationen. Ein Beispiel hierfür seien die Lebensmittel in der Karibik: Die Länder dort müßten jedes Jahr 4 Milliarden Dollar für Nahrungsmittelimporte ausgeben. Das alles müsse sich ändern, und dafür sei der Aufstieg der BRICS-Staaten entscheidend. Prof. Henry Baldelomar, Professor für internationale Angelegenheiten an der Universität Núr in Santa Cruz in Bolivien, sagte: „Wir stehen jetzt an einem Scheideweg der Entwicklung für eine neue Ordnung.“ Das alte ECLAC-Modell (UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika) sei zu begrenzt für die Herausforderungen einer echten Entwicklung. Baldelomar sprach von Projekten wie dem neuen Bi-Ozeanischen Eisenbahnkorridor, der den Pazifischen und den Atlantischen Ozean verbinden soll.

Im Gegensatz zu dieser Wachstumsperspektive zeichneten die Berichte aus Europa das Bild eines unnötigen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs als Folge einer destruktiven Politik. Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG in Deutschland, sprach in einem von Zepp-LaRouche geführten Interview mit dem Titel „Quo Vadis, Deutschland“ über so grundlegende Probleme wie den Mangel an Energie und deren Unbezahlbarkeit, die Beeinträchtigung von Importen und Exporten durch die Rußland-Sanktionen und vieles mehr. Der ungarische Experte Prof. Dr. Laszlo Ungvari, emeritierter Präsident der Technischen Hochschule Wildau, sprach von seiner Enttäuschung über das heutige Europa mit seinen sich selbst entwürdigenden Politikern an der Macht und einer verwirrten Jugend.

Der italienische Ökonom Michele Geraci, ehemaliger Staatssekretär im italienischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, erläuterte, was „Win-Win-Beziehungen“ zwischen den Nationen für ihre gegenseitige wirtschaftliche Entwicklung bedeuten. Er sagte: „Ihr Wohlstand und mein Wohlstand sind untrennbar miteinander verbunden.“

Der palästinensische Botschafter in Dänemark, Prof. Dr. Manuel Hassassian, begann seinen Vortrag über die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates mit der Erläuterung des „LaRouche-Konzepts“ der wirtschaftlichen Entwicklung durch den „Oasenplan“. Mit der Perspektive, Wasser, Strom und alle anderen Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen, gebe es eine Grundlage für die Zukunft.

Die Berichte und Dialoge dieser Sitzung waren der konkrete Ausdruck einer kreativen Reaktion auf Probleme, sie wirkten wie eine Antwort auf das Musikvideo, mit dem dieser Abschnitt eröffnet worden war, dem Lied „Die beiden Grenadiere“, komponiert von Robert Schumann, Text Heinrich Heine, gesungen vom amerikanischen Baßbariton William Warfield (1920-2002). Anstelle des traurigen Bildes der Soldaten, die sich aus den Napoleonischen Kriegen nach Hause schleppen, zu ihren Gräbern gehen und nostalgisch die Erinnerung suchen, sind wir heute aufgerufen, Imperialismus und Krieg zu überwinden und eine Welt des Lebens und der Hoffnung zu schaffen.

Wissenschaft, Kultur und menschliche Kreativität

Am zweiten Konferenztag befaßte sich der dritte Sitzungsblock mit einigen der begeisternden Möglichkeiten im Bereich der Wissenschaft, deren Verwirklichung eine positive Zukunft für die Menschheit verspricht. Unter dem Titel „Die Auswirkungen der laufenden wissenschaftlichen Revolution“ sprachen vier Redner aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen aus aller Welt. Prof. Mark McMenamin, Geologe, Paläontologe und Professor am Mount Holyoke College in Massachusetts (USA), erörterte neue Erkenntnisse darüber, warum komplexes Leben auf der Erde wahrscheinlich viel älter ist als bisher angenommen, nämlich mindestens eine Milliarde Jahre.

Als nächstes sprach Francois Mellet, Wirtschaftsingenieur und Betriebsleiter von Stratek Global aus Südafrika. Mellet informierte über die Arbeit seines Unternehmens bei der Entwicklung und Förderung der Kernenergie, insbesondere der kleinen modularen Reaktoren (SMR) und der modularen Hochtemperaturreaktoren (HTMR), sowie insbesondere über das Potential der Kernenergie für die Entwicklungsländer und den Globalen Süden. Prof. Sergej Pulinez von der Russischen Akademie der Wissenschaften stellte anschließend einige seiner Arbeiten zur Erdbebenvorhersage vor und erläuterte, wie wichtig es ist, in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen neue Entdeckungen zu machen, die der Menschheit neue Einsichten und die Beherrschung der Naturprinzipien ermöglichen.

Der letzte Redner war Prof. Gennady Aksenow, ebenfalls Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, er sprach über die Bedeutung des großen russisch-ukrainischen Wissenschaftlers des 20. Jahrhunderts, Wladimir Wernadskij. Nach einer Einführung durch Bill Jones vom Schiller-Institut erläuterte Aksenow, warum Wernadskijs Arbeit bedeutende, noch nicht erkannte Auswirkungen auf unser Verständnis der Wissenschaft und der Natur hat, u.a. zum Ursprung des Lebens im Universum. Dazu gehört auch die Rolle der Erkenntniskraft (Kognition) für die Existenz des Menschen.

Alle Sprecher kamen immer wieder auf die Frage zurück, was in Bezug auf die Wissenschaft und die Auswirkungen der menschlichen Gesellschaft auf die Welt um uns herum „natürlich“ ist, und stellten auf unterschiedliche, polemische Weise viele verbreitete Vorstellungen über Umweltschutz und „natürliche Gleichgewichte“ in Frage.

Der letzte Sitzungsblock, „Der Reichtum der Kulturen der Menschheit und die kommende Goldene Renaissance“, war ein weiterer Höhepunkt. Die Sitzung befaßte sich mit den herausfordernden Themen der klassischen Kultur und der menschlichen Kreativität sowie der Frage, welche Rolle beides bei der Lösung der Krisen spielen muß, mit denen die Welt heute konfrontiert ist. Die Moderatorin Megan Dobrodt eröffnete das Panel mit einer Frage: In den ersten drei Konferenzsitzungen habe man von vielen wichtigen Persönlichkeiten über die akute Gefahr eines Atomkriegs gehört; gleichzeitig habe man aber auch von der neuen, antikolonialen Weltordnung gehört, die sich gerade herausbildet. „Es ist die Spannung zwischen diesen beiden Wahrheiten – man könnte sagen, diesen beiden Systemen, die nicht koexistieren können –, die über uns allen schwebt. Die große Frage ist: Wie kann man etwas erreichen, was wie ein Wunder erscheint? Die Antwort darauf findet sich im Prinzip im Thema dieses Blocks: das Reich der großen Kunst.“

Dann wurde ein Auszug aus einer Rede von Lyndon LaRouche vorgespielt, der darüber sprach, wie die klassische Kultur als „Waffe“ dazu beiträgt, die schöpferischen Kräfte im Geist des einzelnen zu entwickeln, und warum Menschen, die in der heutigen Welt eine Kraft für den Fortschritt sein wollen, ohne sie „verkrüppelt“ sind.

Es folgte eine Rede von Jacques Cheminade, Präsident von Solidarité et Progrès und ehemaliger Präsidentschaftskandidat in Frankreich, der über die „Kultur des Friedens“ sprach und darüber, wie wir erkennen müssen, daß die derzeitige „Kultur des Krieges“ unsere Zivilisation in den Untergang treibt. Harley Schlanger, ein langjähriges führendes Mitglied der LaRouche-Bewegung, sprach anschließend darüber, wie die öffentliche Meinung im Rahmen der gegenwärtigen hybriden Kriegskampagne der transatlantischen Oligarchen manipuliert wird, und wie man sich dagegen wehren kann, indem man die tatsächlichen Methoden der Wahrheitsfindung im eigenen Kopf versteht.

Die nächste Rednerin war Sophie Tanapura, Gründerin der Metropolitan Opera of Bangkok in Thailand. Tanapura sprach über ihre Arbeit zur Verbreitung der klassischen Musik in Thailand und darüber, wie das Singen die Menschen auf einzigartige Weise dazu herausfordert, gleichzeitig ihren Verstand und ihre Gefühle zu wecken – von dort kämen die Kräfte der Kreativität. Der letzte Redner war Karel Vereycken, Maler und Grafiker, Kunsthistoriker und Aktivist des Schiller-Instituts in Frankreich. Vereycken sprach darüber, warum die Zusammenarbeit im Bereich des kulturellen Erbes der Welt ein wichtiges Element für den Frieden ist, weil sie den Menschen hilft, in anderen Kulturen einen andersartigen, aber dennoch universellen Ausdruck der Menschlichkeit zu entdecken.

Die Podiumsteilnehmer führten anschließend eine lebhafte und anregende Diskussion, die die Zuhörer mit einem Optimismus darüber zurückließ, wie man angesichts solch extremer Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, sich selbst und andere mobilisieren kann. Man sollte sich die Konferenz in ihrer Gesamtheit anschauen, um sie ganz würdigen zu können, aber es kann ohne Zweifel gesagt werden, daß sie genau zum richtigen Zeitpunkt stattgefunden hat und daß sie viel dazu beitragen wird, in einer Welt, die derzeit von einer Krise epochalen Ausmaßes erschüttert wird, den Weg nach vorn zu weisen.

Panel 1: Europa nach den Europawahlen

Moderator Dennis Speed

  • Helga Zepp-LaRouche, Gründerin des Schiller-Instituts (Deutschland): „Wir sollten uns der Globalen Mehrheit anschließen!“

Rede im Wortlaut lesen

Frau Zepp-LaRouche hielt die Hauptrede auf der internationalen Konferenz des Schiller-Instituts am 15.-16. Juni; die Rede wurde aus dem Englischen übersetzt, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt. Helga Zepp-LaRouche ist Gründerin des Schiller-Instituts und Initiatorin der Internationalen Friedenskoalition (IPC).

Werte Exzellenzen, liebe Freunde des Schiller-Instituts, liebe Konferenzteilnehmer! Lassen Sie mich mit einer Perspektive beginnen, die in den Ländern des Globalen Südens, die in den letzten Jahren faktisch zur Globalen Mehrheit geworden sind, sehr bekannt ist, aber in Europa und in den Vereinigten Staaten fast unbekannt ist. Ich spreche von der Tatsache, daß ein neues Weltsystem im Entstehen begriffen ist – eine polyzentrische, harmonische Welt, eine „multinodale“ Welt. Eine Welt, die gerechter wird, in der jedes Land das Recht hat, sich zu entwickeln, seinen eigenen Entwicklungsweg zu wählen, gemäß seiner eigenen Kultur, seiner eigenen Tradition, seiner Philosophie.

Das ist bereits im Gange und in verschiedenen Formen sehr weit fortgeschritten. Es wächst zum Beispiel in Form der BRICS-Länder, die seit dem Gipfel in Johannesburg im letzten Jahr bereits von fünf auf zehn angewachsen sind. Jetzt haben 59 weitere Länder einen Beitrittsantrag gestellt, so daß es insgesamt schon fast 70 Länder sind. Dazu gehören bekanntlich China und Indien, die zusammen fast 3 Milliarden Menschen umfassen.

Wir erleben also – und ich glaube, niemand im Westen oder nur sehr wenige dort können das richtig einschätzen – das Ende einer Epoche. Damit meine ich, daß die 600 Jahre des Kolonialismus und des anschließenden Neokolonialismus, die um 1500 begannen, auch nach der Unabhängigkeit vieler Länder des sogenannten Entwicklungssektors fortbestanden. Wie Ministerpräsident Nehru und Präsident Sukarno schon auf der Konferenz von Bandung [1955] gewarnt hatten, bestand der Neokolonialismus fort in Form der Verweigerung von Entwicklungskrediten, der Handelsbedingungen und allgemein ungerechter Bedingungen. Aber in den letzten 10-12 Jahren, seit dem berühmten Gipfel in Brasilien 2014, hat die Bedeutung der BRICS immer mehr zugenommen. Sie haben eine enorme Entwicklung durchgemacht: Xi Jinpings Gürtel- und Straßen-Initiative, das enorme industrielle Wachstum vieler Schwellenländer, wie Brasilien, Indonesien, Ägypten, Nigeria, Südafrika und anderer. All dies ist natürlich zum Teil eine Folge des Aufstiegs Chinas. Es wäre unmöglich ohne den zivilisatorischen Beitrag Chinas, der ohne Beispiel und Präzedenzfall ist, denn es hat nicht nur 850 Millionen seiner eigenen Bevölkerung aus der Armut befreit, sondern dann auch anderen die Hand ausgestreckt und durch Korridore, durch Entwicklungsprojekte, durch Industrieparks den anderen Entwicklungsländern dabei geholfen, diesen Wachstumsprozess selbst zu starten.

Es lag also zum Teil am Aufstieg Chinas, zum Teil aber auch an der Gegenreaktion gegen den Versuch, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine unipolare Welt zu errichten, angeführt von den Neokonservativen in den Vereinigten Staaten und ihren Mitdenkern in Großbritannien. Francis Fukuyamas berühmtes „Ende der Geschichte“ bedeutete im Grunde, daß es eine Hybris gab, in der sie die Idee verfolgten, daß die ganze Welt, jedes einzelne Land auf dem Planeten das westliche neoliberale Demokratiemodell übernehmen würde.

Die Mittel, mit denen das erreicht werden sollte, waren nicht gerade schön. Dazu gehörten Regimewechsel gegen Länder, die sich dem nicht anschließen wollten, Farbrevolutionen, bei denen zivile Organisationen und NROs eingesetzt wurden, um bestehende gewählte Regierungen zu destabilisieren. Es stützte sich auf Interventionskriege: Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen und andere. Es basierte auf einem brutalen Regime einseitiger Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat mitgetragen wurden und die sich gar nicht gegen die Regime richteten, sondern die Bevölkerung bestraften, um sie dazu zu bringen, sich gegen ihre Regierungen zu erheben. Und dazu gehörte der Mißbrauch des Dollars und des Euro als Waffe.

All diese Faktoren haben dazu geführt, daß eine mächtige Bewegung gegen den Neokolonialismus entstanden ist, von Ländern, die das Recht auf ihre eigene Entwicklung einfordern. Sie wollen nicht länger nur Rohstoffexporteure sein, bei denen der Gewinn aus ihren Rohstoffen an multinationale Konzerne, Kartelle und die Banken geht. Vielmehr wollen die Länder, inspiriert durch das Beispiel Chinas, die Wertschöpfungskette in ihren eigenen Ländern aufbauen, ihre eigene Industrieproduktion entwickeln und in naher Zukunft zu Ländern mit mittlerem Einkommen werden.

Wenn wir ehrlich sind, sollten wir in Europa und den Vereinigten Staaten darüber froh sein. Es würde das Ende der Migrationskrise bedeuten, die viele Menschen in Europa und Amerika beunruhigt und die viel zu dem jüngsten Ergebnis bei den Wahlen zum Europäischen Parlament beigetragen hat. Sollten wir nicht froh sein, daß junge Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu Hause bleiben und beim Aufbau ihres eigenen Landes mithelfen wollen, anstatt in der Sahara zu verdursten und zu verhungern oder bei dem Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer zu ertrinken, oder an der mexikanisch-amerikanischen Grenze beschossen zu werden? Länder wie Deutschland, Italien, die Schweiz, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Japan sind allesamt exportorientierte Länder. Wir sollten die Länder in den sich entwickelnden, wachsenden Märkten unterstützen, damit sie wohlhabend und reich werden und wir wachsende Märkte haben. Das ist eine absolute Win-Win-Situation.

Hintergrund des Ukrainekonflikts

Warum stehen wir dann am Rande des Dritten Weltkriegs? Das NATO-Narrativ vom „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ geht davon aus, daß die gesamte Weltbevölkerung eine historische Amnesie hat – daß wir uns nicht an die Zeit der deutschen Wiedervereinigung erinnern, als wir vom Schiller-Institut als wichtige Kraft mittendrin waren. Wir sind ein Teil davon, also lesen wir keine Bücher darüber, denn es war unsere eigene Geschichte! Wir erinnern uns an die Versprechen gegenüber Gorbatschow, daß sich die NATO keinen Zentimeter nach Osten ausweiten würde. Wir erinnern uns an die hoffnungsvollen Diskussionen über ein „gemeinsames europäisches Haus“, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon. Doch dann folgten fünf Erweiterungen der NATO nach Osten; die Orangene Revolution in der Ukraine; die Rosenrevolution in Georgien; der Maidan, ein von den USA und dem Westen unterstützter Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung. Wir erinnern uns noch an die berühmte Äußerung von Victoria Nuland, die ich hier nicht wiederholen möchte, weil es nicht damenhaft ist. Wir erinnern uns an das Eingeständnis von Merkel und Hollande, daß ihre Teilnahme an Minsk II nur ein Trick war, um den Ukrainern mehr Zeit zu geben, damit sie auf NATO-Standard trainiert werden können. Ich kann diese Entwicklungen hier nur skizzieren, aber das reicht aus, um das Panorama der Dinge, die jetzt passieren, zu zeichnen.

Die Lage auf dem Schlachtfeld in der Ukraine ist festgefahren. Die ukrainische Gegenoffensive vom Sommer 2023 ist eindeutig gescheitert. Rußland ist zwar klar im Vorteil, kann aber aufgrund der massiven Waffenlieferungen aus dem Westen die verbliebenen dezimierten ukrainischen Kräfte nicht einfach überrennen. Es werden immer neue und stärkere Waffen geschickt. Wir befinden uns in einer Spirale der Eskalation. Macron forderte infamerweise die Entsendung von Bodentruppen, viele sind bereits in Form von Beratern vor Ort. Der Brite Cameron gestattet den Einsatz westlicher Waffensysteme, von Marschflugkörpern, hinzu kommt zunehmend die Idee von Langstreckenraketen, die tief in das russische Territorium eindringen sollen. Und Putin ordnete erstmals explizit als Reaktion auf solche westlichen Provokationen Manöver mit taktischen Atomwaffen an.

Der Westen ignorierte es. Blinken hat dann nachgeschoben und gesagt: „Ja, ihr könnt die Waffensysteme für Angriffe auf russisches Territorium nutzen.“ Das veranlaßte Putin, ein zweites Manöver in Rußland und in Weißrußland durchzuführen. Dann kam der Angriff auf das russische Frühwarnradarsystem in Armawir, auch in Orsk wurde ein Angriff versucht. Diese Angriffe hatten nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun, und Rußland konnte es nicht anders deuten, als daß es ein Versuch war, die Zweitschlagskapazität auszuschalten, d.h. einen Atomschlag gegen Rußland vorzubereiten. Ohne die Unterstützung der NATO, ohne die taktische Unterstützung der USA wären diese Angriffe natürlich nicht möglich gewesen. Daher hat sich in Rußland der Eindruck verfestigt, daß sich die NATO de facto bereits im Krieg mit Rußland befindet.

Vorbereitungen auf den Weltkrieg

Auch im Westen verbreitet sich zunehmend die Ansicht, daß der Krieg unvermeidlich ist. Pistorius hat diese unglaubliche Kampagne angestoßen, daß Deutschland wieder „kriegstüchtig“ werden müsse. Nach unserer Geschichte sollen wir Deutschen diesen Weg noch einmal beschreiten? Ist dieser Mann noch bei klarem Verstand? Und ist das deutsche Volk, das das einfach so schluckt, als wäre nichts passiert, bei klarem Verstand?

Der Krieg mit Rußland wird Pistorius zufolge 2029 stattfinden. Rußland muß verlieren, sagen Baerbock und andere so unglaublich „weise“ Leute. „Die Ukraine muß gewinnen.“ Damit entsteht ein Dilemma, denn eine russische Niederlage ist ausgeschlossen – vergessen Sie das! Rußland ist die stärkste Atommacht der Welt und wird niemals kapitulieren; das ist völlig aus der Gleichung gestrichen.

In Rußland ist man überzeugt, daß auf der Ebene derjenigen, die wirklich das Sagen haben – nicht Biden oder Blinken, sondern auf der Ebene der wirklichen Machthaber –, die Entscheidung schon gefallen ist. Daß der Befehl zum Krieg mit Rußland bereits erteilt wurde. Das ist allen Zeugen zufolge der Konsens in Rußland. Als Reaktion auf die russischen Angriffe in Charkiw sind die Angriffe auf zivile Ziele in Belgorod eskaliert, und diese werden in Rußland als terroristische Angriffe betrachtet, weil sie hauptsächlich Kinder und andere Zivilisten treffen. In der Debatte in Rußland ist man sich einig – das war am Rande des Internationalen Wirtschaftsforums in St. Petersburg zu hören –, daß das alles schon zu weit fortgeschritten ist, und deshalb ist eine Diskussion über einen Enthauptungsschlag entbrannt. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg hatte Putin eine Diskussion, bei der offensichtlich ganz bewußt Sergej Karaganow als Moderator ausgewählt wurde. Der ist dafür bekannt, daß er in Rußland die wichtigste Stimme für einen nuklearen Erstschlag. Im Gegensatz zu Karaganow sind wir froh, daß Putin sehr geduldig ist. Er hat immer wieder sehr deutlich gemacht, daß die russische strategische Doktrin lautet, daß Rußland nur dann Atomwaffen einsetzen wird, wenn die territoriale Integrität Rußlands bedroht ist, daß es aber auch symmetrische und asymmetrische Antworten auf vom Westen unterstützte ukrainische Angriffe gibt.

Die größte Gefahr besteht darin, daß der Westen anfängt, an sein eigenes Narrativ zu glauben, nämlich daß Putin „nur blufft“. Ich glaube nicht, daß Putin blufft, und dieser Mythos muß ausgeräumt werden, denn das ist eine der vielen Zutaten, die zur Katastrophe führen können. Rußland hat auch gesagt, im Falle von NATO-Bodentruppen in der Ukraine oder der Stationierung von F-16, die doppelverwendungsfähig sind, nicht nur diese Truppen und militärischen Objekte vor Ort getroffen werden, sondern auch die Entscheidungszentren, in denen der Befehl zu ihrer Stationierung gegeben wurde.

Heute oder gestern konnte man in den Zeitungen die Entscheidung lesen, daß das Kommando für den Ukraine-Krieg von Ramstein an ein NATO-Kommando in Wiesbaden verlegt wird. Wir wissen, was das bedeutet: Das ist ein sehr unangenehmer Ort für die Zukunft. Wenn man bedenkt, wie die Vereinigten Staaten die Interessen der Verbündeten behandeln! Wir werden das sicherlich später in diesem Panel von Rainer Rupp hören, und auch Klaus von Dohnanyi, der ehemalige Hamburger Bürgermeister, hat es sehr anschaulich in einem Buch beschrieben: wie bei NATO-Manövern die Amerikaner sich nicht darum kümmerten, ob auf Deutschland ein paar Atombomben abgeworfen werden – das waren eben Kriegsopfer, die man einfach so hinnimmt. Das ist natürlich eine sehr beängstigende Perspektive.

Heute beginnt auch die Schweizer Konferenz auf dem Bürgenstock, die auf der Selenskij-Formel basiert, eine sogenannte „Ukraine-Friedenskonferenz“, die zum Scheitern verurteilt ist, bevor sie überhaupt begonnen hat, weil Rußland nicht eingeladen ist. Erst heute hat Putin einen neuen Friedensvorschlag für die Ukraine vorgelegt, dabei schlägt er im wesentlichen vor, daß in dem Gebiet, in dem die Bevölkerung für den Anschluß an Rußland gestimmt hat, alle westukrainischen Truppen abgezogen werden sollten. Und daß es ein absolutes Machtwort geben soll, daß die Ukraine niemals Teil der NATO wird. Und was machen die Mainstream-Medien? Sie hetzen gegen Putin und behaupten, Putin fabriziert wieder Unsinn. Nun, das ist weiter derselbe Weg der Konfrontation und der Eskalation – bis es zu spät ist.

Der Westfälische Friede als Vorbild

Was wir brauchen, ist eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungskonferenz, die die Interessen jedes einzelnen Landes auf dem Planeten berücksichtigt. Das naheliegende Vorbild ist der Westfälische Friede, der 1648 150 Jahre Religionskrieg beendete, von denen der Dreißigjährige Krieg nur die letzte Phase war. Der Grund, warum die Menschen zur Vernunft kamen, war, daß bereits ein Drittel von allem zerstört war: ein Drittel der Menschen, des Viehs, der Dörfer. Sie erkannten, daß wenn der Krieg weitergehen würde, niemand mehr am Leben sein würde, der den Sieg genießen könnte. Ist das in der Zeit der thermonuklearen Waffen nicht noch viel mehr der Fall? Wir werden alle tot sein, wenn es jemals zu einem globalen Atomkrieg kommt. Und wir stehen kurz davor, am Rande des Abgrunds. Und auf einen solchen globalen Krieg wird nach Ansicht der besten Wissenschaftler wahrscheinlich ein zehnjähriger nuklearer Winter folgen, in dem alles Leben auf dem Planeten verschwindet.

Gestern hat Präsident Putin, neben dem Vorschlag für die Ukraine, ein neues Sicherheitssystem vorgeschlagen – ein neues System der unteilbaren Sicherheit in Europa auf der Grundlage einer größeren eurasischen Partnerschaft. Putin sagte: „Wer will leugnen, daß sich die Geographie nicht ändern läßt? Wir müssen irgendwie zusammenleben.“ Dieses Sicherheitssystem stehe den europäischen und NATO-Ländern offen.

Um auf den Anfang meiner Ausführungen zurückzukommen: Dieses neue Weltsystem ist im Entstehen begriffen, dieses polyzentrische, harmonische, multinationale System. Xi Jinping hat in den letzten Jahren oft zu einer Zukunftsgemeinschaft der Menschheit aufgerufen.

Das ist eine schöne Idee, die es schon seit Jahrhunderten gibt; sie ist nicht neu. Gottfried Wilhelm Leibniz sagte im 17. Jahrhundert, die beiden fortschrittlichsten Zivilisationen [Europa und China] an den beiden Polen des eurasischen Kontinents sollten ihre Hände ausstrecken und zusammenarbeiten, um alle Länder dazwischen zu entwickeln – gemeinsam den Süden entwickeln.

Friedrich List, der berühmteste deutsche Wirtschaftswissenschaftler befaßte sich mit dem kontinuierlichen Ausbau der Infrastruktur rund um den Globus, bis dies schließlich die ganze Welt durch Eisenbahnen und anderes verbinden würde – eine frühe Vision unseres Vorschlags der Weltlandbrücke –, und er prägte dabei den Begriff der Raum-Zeit-Wirtschaft. Er hatte die Idee, daß eine zunehmende Vernetzung der globalen Infrastruktur die Voraussetzungen für den Austausch kreativer Ideen in Wissenschaft und Kunst schaffen und zu einer Menschheits-Wirtschaft führen würde. Letztendlich würden sich alle Nationen in einer, wie er es nannte, „Republik des Planeten“ vereinigen.

Cai Yuanpei, der erste Bildungsminister der Regierung von Sun-Yat-sen und spätere Präsident der Universität Peking und der Mann, der Schillers Konzept der ästhetischen Erziehung nach China brachte, hatte eine schöne Vision von einer großen Gemeinschaft der ganzen Welt – auf Chinesisch datong shijie.

Das ist keine Zukunftsvision mehr, es ist da! Und anstatt in den letzten Weltkrieg zu stolpern, nach dem es nichts mehr geben wird, sollten wir uns der Globalen Mehrheit anschließen. Ich danke Ihnen.

  • Chas Freeman, Wissenschaftler und Diplomat (i.R.) U.S. Foreign Service (Vereinigte Staaten):„Es ist an der Zeit, das diplomatische Erbe wiederzuentdecken“

Rede im Wortlaut lesen

Von Botschafter Chas Freeman

Chas Freeman ist US-Botschafter a.D. und Experte für die USA-China-Beziehungen.

Meine Damen und Herren!

Es ist mir eine Ehre, mit dem Schiller-Institut an der heutigen Konferenz teilzunehmen. Jemand muß sich für den Frieden einsetzen. Jemand muß Diplomatie statt Krieg als Antwort auf die Spannungen, die Europa derzeit plagen, befürworten und organisieren. Ich unterstütze das Schiller-Institut und seine Gründerin und Leiterin Helga Zepp-LaRouche darin, sich offen zu äußern und uns zusammenzubringen.

Wir sind hier, um Alarm zu schlagen, wohin der Kreislauf von Eskalation und Gegeneskalation zwischen der NATO und der Russischen Föderation Europa, Rußland und Amerika führt, und zu überlegen, was wir dagegen tun können. Rote Linien wurden gezogen und dann wiederholt überschritten. Jede Seite hat gesagt, daß sie dies oder jenes nicht tun wird, und dann hat sie es doch getan. Jetzt, da die NATO direkte ukrainische Angriffe auf Ziele tief auf russischem Territorium unterstützt, schlägt Rußland nicht nur auf strategische Ziele in der Ukraine zurück, sondern droht auch mit Vergeltung an anderer Stelle. Was bisher ein Stellvertreterkrieg war, droht nun zu einem direkten Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten, der NATO und der Russischen Föderation zu werden.

Die gute Nachricht ist, daß Präsident Putin erklärt hat, daß er vorerst nicht vorhat, die Eskalation der Angriffe des Westens auf sein Heimatland mit seinem enormen Atomwaffenarsenal zu vergelten. Aber es ist ein Zeichen dafür, wie gefährlich dieser Moment ist, daß er angekündigt hat, stattdessen die Feinde der Vereinigten Staaten und anderer NATO-Länder, die an Angriffen auf Rußland beteiligt sind, zu bewaffnen. Es ist unklar, ob er diesen Vergeltungsschlag auf Staaten beschränken will oder ob er auch nichtstaatliche Akteure einbeziehen will. Das ist schon schlimm genug, aber angesichts der kurzen Halbwertszeit jeder roten Linie, die die Ukraine betrifft, könnte sein nächster Vergeltungsschritt durchaus nuklear sein.

Manchmal ist die Geschichte das Ergebnis strategischer Planung, manchmal von Fehlkalkulationen und Fehlern. Der Frieden, der durch das Konzert Europas erreicht wurde, war ein Artefakt der Staatskunst. Der Erste Weltkrieg war ein Unglück, das fast ein halbes Jahrhundert ruinöser Unruhen einleitete. Bretton Woods und die Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Schöpfungen von Staatsmännern. Wir leben in einem Zeitalter irrationaler Antagonismen, die aus strategischen Fehleinschätzungen und Stümperei entstanden sind. Ein gefährlicher Anfang ist gemacht.

Zwischen den Großmächten in Europa herrscht wieder Krieg, und zwischen den Vereinigten Staaten und China herrscht offene Feindschaft. Es ist müßig zu fragen, wer die Schuld daran trägt. Künftige Generationen von Historikern werden darüber ein Urteil fällen, das über unsere gegenwärtigen Interessen hinausgeht.

Der Stellvertreterkrieg war ein Fehlschlag

Das internationale System, in dem wir zusammengearbeitet haben und in dem es uns gut ging, löst sich auf. 73 Jahre lang – von 1944 bis 2017 – wurde die Welt hauptsächlich durch international vereinbarte Normen, Verpflichtungen und Konventionen geregelt, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind. Dieses System wurde ursprünglich von Washington befürwortet, auch wenn es nicht unbedingt immer von Washington respektiert wurde. Es funktionierte gut für die Vereinigten Staaten, bis viele Amerikaner der Meinung waren, daß es das nicht tat. Dann wählte ein verärgertes amerikanisches Wahlvolk eine populistische Regierung, die voller Groll über die Zwänge der internationalen Ordnung, in Staatskunst ungebildet, wirtschaftlich nationalistisch und gegenüber kritischen ausländischen Meinungen gleichgültig war.

Die derzeitige US-Regierung hat den auf die nationale Sicherheit ausgerichteten Protektionismus ihres Vorgängers und die wirtschaftliche Kriegsführung gegen vermeintliche Feinde noch verstärkt. Und sie versucht hartnäckig, die amerikanische Einflußsphäre in Europa bis an die Grenzen Rußlands auszudehnen, während sie Moskaus Einwände übergeht und sich weigert, dessen strategische Bedenken anzuerkennen, geschweige denn darauf einzugehen. Rußland schlägt immer wieder Verhandlungen über eine Sicherheitsarchitektur in Europa vor, in der es sich nicht von den Vereinigten Staaten und seinen europäischen Verbündeten bedroht fühlt und die Europäer ihrerseits sich nicht von Rußland bedroht fühlen. Die Vereinigten Staaten und die NATO haben sich stets geweigert, darüber zu reden.

Das erklärte Kriegsziel des Westens ist es, „Rußland zu isolieren und zu schwächen“. Die Ergebnisse dieser Politik und der zu ihrer Durchsetzung beschlossenen Sanktionen sind:

 

  • die Abkopplung Rußlands von Europa und Nordamerika und seine Umorientierung nach China, Indien, dem Nahen Osten und Afrika;

     

  • die Erneuerung der russischen Wirtschaft und die Deindustrialisierung Deutschlands und anderer Mitglieder der Europäischen Union, die früher von den russischen Energieexporten abhängig waren; gemessen an der Kaufkraft ist Rußland heute die größte Volkswirtschaft in Europa;

     

  • die Verdoppelung von Rußlands Verteidigungshaushalt, Streitkräften und Rüstungsproduktion sowie die Förderung der russischen Entwicklung von Gegenmaßnahmen zu den Militärdoktrinen und Waffen der NATO;

     

  • die Entfremdung des sogenannten Globalen Südens oder der Globalen Mehrheit vom Westen und die Isolierung des Westens in den globalen Institutionen.

     

Für die Ukraine, deren Aufgabe ihrer Neutralität den Casus Belli für Rußland lieferte, war der Krieg eine nationale Katastrophe. Die Ukraine hat ein Drittel ihrer Bevölkerung und eine ganze Generation tapferer Männer im wehrfähigen Alter verloren. Sie hat bereits ein Fünftel ihres Territoriums verloren und kann weitere Verluste nicht verhindern. Die Infrastruktur des Landes ist verwüstet. Vor dem Krieg war die Ukraine das ärmste und korrupteste Land in Europa. Sie ist weiter verarmt. Krieg fördert die Korruption, und die Ukraine ist korrupter als je zuvor. Die Demokratie in der Ukraine wurde durch das Kriegsrecht abgelöst. Die politischen Parteien wurden verboten, die Medien verstaatlicht und die Wahlen annulliert. Das Land ist heute autoritärer als Rußland und weit weniger tolerant gegenüber ethnisch-sprachlicher Vielfalt.

Der Stellvertreterkrieg des Westens gegen Rußland war ein Fehlschlag. Er hat Rußlands globalen Einfluß vergrößert und es militärisch gestärkt. Er hat Rußland nicht daran gehindert, die Ukraine zu zerstören. Und er hat die Ängste vor einem größeren Krieg in Europa eher geschürt als zerstreut. Es droht nun ein Atomkrieg.

Man könnte meinen, daß die Geschehnisse den Westen und die Ukraine dazu veranlassen würden, das Scheitern nicht länger zu verschlimmern und eine diplomatische statt einer militärischen Lösung für eine Situation zu suchen, die zunehmend nicht nur den Frieden und den Wohlstand in Europa gefährdet, sondern in der auch eine Eskalation bis hin zur nuklearen Ebene droht. Aber nein.

Die Vereinigten Staaten und die NATO halten an einem rein militärischen Ansatz zur Gestaltung der europäischen Sicherheit und der Beziehungen zur Russischen Föderation fest. Der Westen hat keine Strategie, die eine realistische Aussicht auf die Rückgewinnung der verloren Gebiete der Ukraine bietet. Die Ukraine läuft Gefahr, noch mehr zu verlieren und damit möglicherweise ihren Zugang zum Schwarzen Meer zu gefährden. Und es gibt keine Strategie zur Beendigung des Krieges. Stattdessen schlägt der Westen vor, bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen, und träumt weiter davon, Rußland eine demütigende Niederlage zuzufügen – genau das Ergebnis, das nach der russischen Militärdoktrin den Einsatz von Atomwaffen gegen seine Angreifer rechtfertigen würde. Präsident Selenskij schließt sich dem Westen an und besteht darauf, daß es keine Verhandlungen mit Rußland zur Beendigung des Krieges geben kann.

Prinzipien des Friedens

Der Kurs, den wir verfolgen, basiert auf Fehleinschätzungen und Fehlern. Es ist ein Marsch der Torheit, der, wenn er fortgesetzt wird, nur zur Tragödie führt. Er vernichtet die Ukraine. Er hat uns an den Rand eines Atomkriegs zwischen den Vereinigten Staaten, der NATO und der Russischen Föderation gebracht. Aber es ist noch nicht zu spät, einen anderen Weg einzuschlagen.

Schon einmal zitterte die Welt vor der Aussicht auf einen atomaren Schlagabtausch, der unseren Planeten unbewohnbar gemacht hätte. Das war die Kubakrise 1962. Sie veranlaßte Präsident John F. Kennedy zu dem Schluß: „Wir sollten niemals aus Angst verhandeln. Aber wir sollten niemals Angst davor haben, zu verhandeln.“ Dieser Rat ist heute noch genauso wertvoll wie vor 62 Jahren.

Wir sollten aus dem Kontrast lernen zwischen der Art und Weise, wie die Napoleonischen Kriege endeten, und der Art und Weise, wie wir den Ersten Weltkrieg beendeten. Diejenigen, die den Wiener Kongreß einberiefen, waren darauf bedacht, ihren ehemaligen französischen Feind in die Ausarbeitung dessen einzubeziehen, was zum „Konzert Europas“ wurde – eine Vereinbarung, die auf einem Gleichgewicht der Kräfte beruhte und Europa ein Jahrhundert lang weitgehend in Frieden hielt. Die Sieger des Ersten Weltkriegs dagegen schlossen sowohl Deutschland als auch Rußland von jeder Rolle bei der Verwaltung des in Versailles ausgehandelten Friedens aus. Das Ergebnis war der Zweite Weltkrieg, gefolgt vom Kalten Krieg. Es kann keinen Frieden in Europa geben, der auf der Ächtung Rußlands oder einer anderen europäischen Großmacht beruht.

In vielerlei Hinsicht hat uns das Scheitern des Friedens in Europa nach dem Kalten Krieg an einen Punkt gebracht, den Bundeskanzler Scholz eine „Zeitenwende“ nannte – einen Wendepunkt in der Geschichte, der die Schaffung einer neuen Ordnung in den internationalen Beziehungen erfordert.

Helga Zepp-LaRouche hat diese Herausforderung mit der verglichen, vor der die europäischen Nationen nach dem Dreißigjährigen Krieg standen. Es bedurfte langwieriger Verhandlungen, um die religiösen, territorialen und Regimewechsel-Impulse zu überwinden, die Mitteleuropa vor dem Westfälischen Frieden verwüstet hatten. Die Übereinkünfte, die aus diesem Frieden erwuchsen, leben weiter. Sie wurden von den neuen unabhängigen Staaten der postkolonialen Ära 1955 in Bandung in Form der „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ bekräftigt. Es handelt sich dabei um die gegenseitige Achtung der territorialen Integrität und Souveränität, den gegenseitigen Verzicht auf Aggression, die gegenseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen, Gleichheit und Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen sowie die friedliche Koexistenz. Es ist an der Zeit, daß Europa, einschließlich Rußland, dieses diplomatische Erbe wiederentdeckt und an die Herausforderungen der Zeit anpaßt.

Das Ergebnis der jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament deutet darauf hin, daß die Europäer bereit sind, über die Zukunft Europas neu nachzudenken. Interessanterweise ist es die europäische Rechte, ähnlich wie die amerikanische Rechte, die durch den ewigen Krieg in der Ukraine am meisten desillusioniert ist und am unzufriedensten mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Westens ist. Es gibt eine Grundlage für Konferenzen wie die in Münster und Osnabrück, die den Westfälischen Frieden ausgearbeitet haben, um Prinzipien für eine neue europäische Ordnung zu erforschen und zu bekräftigen, die der Ukraine Frieden bringen, die europäisch-amerikanischen Beziehungen für mehr strategische Autonomie Europas neu gestalten, Rußland zu einer angemessenen Beziehung mit dem Rest Europas zurückführen und internationale Absprachen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Stabilität in Europa schaffen kann. Aber gibt es Staatsmänner mit der nötigen Vorstellungskraft, Tatkraft und diplomatischem Geschick, um das zu erreichen?

Wir sollten hoffen, daß es sie gibt. Wenn nicht, sind die Risiken hoch und die Aussichten düster. Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion unter den Teilnehmern dieser Konferenz.

Ich danke Ihnen.

  • Dr. Olga Lasorkina, Leiterin der Abteilung Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR), (Belarus):  „Den Dialog für das Gemeinwohl suchen“

Rede im Wortlaut lesen

Von Dr. Olga Lasorkina

Dr. Olga Lasorkina ist Leiterin der Abteilung für Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR).

Vielen Dank. Ich möchte den Veranstaltern für die Einladung danken, auf dieser Konferenz zu sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Länder waren immer durch die Geographie, durch große Entfernungen getrennt, aber das war nie ein Hindernis für die normale menschliche Kommunikation. Hier in Belarus verstehen wir, daß heute jedes Land seine politischen, wirtschaftlichen und analytischen Prioritäten setzt, aber wir leben alle auf einem Planeten. Wir sind verantwortlich für alles, was passiert. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur unsere Prioritäten zu verkünden, sondern auch eine gemeinsame Basis mit anderen zu finden. Darin sehe ich die Aufgabe unseres Landes: Unter allen Umständen den Dialog für das Gemeinwohl zu suchen.

Ich möchte Ihnen einige Trends vorstellen, die die globale und regionale Agenda für Belarus bestimmen. Die Analyse der gegenwärtigen globalen wirtschaftlichen und politischen Prozesse zeigt, daß die Welt in eine Phase der Transformation eingetreten ist, die in vielerlei Hinsicht unvermeidlich war. Viele Veränderungen, denen wir nicht immer Bedeutung beigemessen haben, haben nun eine kritische Masse erreicht und Prozesse in Gang gesetzt, die wir nicht mehr aufhalten können. Wir sehen eine geopolitische Konfrontation, die zu einer weiteren Eskalation großen Ausmaßes zu werden droht, die auf der Erschöpfung der ideologischen und wertebezogenen Narrative der westlichen Welt beruht. Sie sind zu einem echten Entwicklungshindernis geworden, nicht nur für ihre Anhänger, sondern auch für die Länder, die sie einst respektiert haben.

Die wirtschaftliche Globalisierung, die von den meisten Ländern als ein Element des gemeinsamen Zukunftsbildes wahrgenommen wird, hat sich in einen gewaltigen Mechanismus des Drucks und der Hemmung der wirtschaftlichen Entwicklung verwandelt. Wir sehen jedoch in diesem Rahmen auch positive Trends: Die Bedeutung nationaler Interessen, der Souveränität, der Bewahrung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen hat zugenommen.

Zum ersten Mal seit 1945 steht die Weltgemeinschaft vor einem neuen Krieg. Das Schlimmste daran ist, daß jeder weiß, wie er enden könnte, aber nichts unternimmt, um diesen gefährlichen Weg zu stoppen. Seit vielen Jahren arbeiten wir mit einer Vielzahl von Partnern zusammen und vertrauen auf die Formeln der friedlichen Koexistenz. Niemand kann uns vorwerfen, dieses Rezept nicht ausprobiert zu haben. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Doppelte Standards durchziehen die Demokratie. Die Welt ist in einem Netz von Sanktionen gefangen.

Im Jahr 2023 gab es 183 regionale Konflikte, das ist der höchste Stand seit 30 Jahren.
Das läßt den Schluß zu, daß die großen Ideen der Demokratie am Ende sind, und dies wird die Weltgemeinschaft teuer zu stehen kommen. Das Konfliktpotential hat sich als stärker erwiesen als der Pragmatismus, der Ehrgeiz als stärker als die Vernunft. Wir sehen, daß der Kampf um die Ressourcen, die Einfluß auf die staatliche Nutzung haben, die Weltgemeinschaft überfordert. Deshalb suchen alle Staaten nach neuen Formaten des Zusammenlebens, und dabei geht es nicht darum, jemanden auszuschalten, sondern darum, die vernünftigen Kräfte in der Weltpolitik zu beurteilen und diejenigen zu identifizieren, die das Potential haben, in die Zukunft zu gehen.

Die Forderung nach einer Neugestaltung der Weltordnung ist überfällig. Die Multipolarität hält Einzug in die weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Prozesse. Diese Bewegung läßt sich nicht mehr verlangsamen, geschweige denn aufhalten. An der Seitenlinie will heute niemand mehr stehen.

Seit vielen Jahren spricht Belarus von den internationalen Tribünen über die Zerstörung des Völkerrechts und des Kanons der Diplomatie. Heute sehen wir auch ein gezieltes Vorgehen zur Entwertung der internationalen Institutionen, der Mechanismen zur Stabilisierung der Situation, der Autorität und vor allem der unglaublichen Arbeit der gesamten Weltgemeinschaft.

Belarus ist sich wie kein anderes Land der Gefährlichkeit der gegenwärtigen Situation bewußt. Unser Volk hat zwei Weltkriege erlebt. Der Beitrag unseres Landes zur Erhaltung von Frieden, Stabilität und Schaffung gleicher Bedingungen für alle Länder im Rahmen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen ist kaum zu überschätzen. Es gibt keine internationale Initiative, zu der Belarus nicht Stellung genommen hat. Die internationale Anerkennung unseres Landes als unabhängiger Staat in den 1990er Jahren war beispiellos, und das ist vor allem unserer enormen Arbeit auf internationalen Plattformen zu verdanken. Wir haben in den 90er Jahren nicht nur unsere Unabhängigkeit bewahrt, sondern auch aktiv an der Lösung verschiedener Probleme mitgewirkt.

Seit dem Angriff auf die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 ist der Terrorismus zu einem internationalen Problem geworden. Die USA riefen die Weltgemeinschaft zur Bildung einer internationalen Koalition gegen den Terrorismus auf. Diesem Aufruf schlossen sich fast alle Länder an, darunter auch Belarus. Heute sehen wir jedoch deutlich, daß die Sicherheitslage in unserer Region keine geopolitischen Phrasen erfordert, sondern spezielle Fähigkeiten – ein tiefes Verständnis der Probleme in ihrem historischen Kontext und Verantwortung. Wir spekulieren nicht, sondern schlagen wie bisher konkrete Aktionspläne vor, die auf realen Möglichkeiten beruhen.

Vor dem Hintergrund einer tiefen Vertrauenskrise, die globale Ausmaße angenommen hat, ist es von entscheidender Bedeutung, die einzige Struktur zu präsentieren, die eine anerkannte und maßgebliche Plattform für die Begegnung von Vertretern mit gegensätzlichen Ansichten und Meinungen darstellt. Es stimmt zwar, die Realität sieht heute so aus, daß die Mechanismen der Vereinten Nationen nicht immer funktionieren, aber das bedeutet nicht, daß sie nicht genutzt werden können. Wir sind auch auf der Suche nach anderen internationalen Plattformen, die das Potential haben, in verschiedenen Bereichen für Stabilität zu sorgen. Der Werteblock des Zusammenschlusses – Solidarität, Kooperation und Partnerschaft – entspricht den Bedürfnissen der meisten Länder. Ich denke an die BRICS, an die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU): Sie sind auf dem Weg, alternative Mechanismen der weltwirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen, ohne die bestehenden zu verwerfen. Wir bauen strategische Beziehungen zu Rußland auf. Die Union ist ein organischer Zusammenschluß, der auf einem soliden Fundament von Freundschaft und Kontinuität beruht. Sie ist sogar der einzige Zusammenschluß in unserer Region, der über eine solide und bewährte Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit verfügt, die es uns ermöglicht, unsere Souveränität zu wahren, unsere internationale Rechtspersönlichkeit zu stärken und unsere Wirtschaft im Einklang mit den globalen Trends zu entwickeln.

Natürlich sind wir nicht losgelöst von der Tragödie, die sich an unseren Grenzen abspielt. Der belarussische Präsident hat wiederholt seine Vorstellungen zur Lösung der Krise dargelegt. Der belarussische Außenminister Sergej Aleinik hat betont, daß die Plattform für Verhandlungen immer offen ist. Das liegt in unserem gemeinsamen Interesse. Es gibt heute kein wichtigeres Thema für unser gemeinsames europäisches Haus. Wir sind sicher, daß es keine Verhandlungen ohne Belarus geben kann und daß es keine regionale Sicherheit ohne Belarus geben kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heutige Treffen zeigt die Bemühungen der rationalen Kräfte, darunter Wissenschaftler, Analytiker und Experten, die Weltlage mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu stabilisieren. Jedes Land hat seinen eigenen Wert. Belarus bereitet sich darauf vor, seine einzigartige Entwicklungsstrategie zu überprüfen, die auf Vertrauen, Vertragsfähigkeit und progressivem Fortschritt basiert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Vitaly Romanovskiy, Chefberater des BISR (Belarus)
  • Prof. Georgy Toloraja, Direktor, Russisches Nationales Komitee für BRICS-Forschung (Russland)
  • Caroline Galactéros, Politikwissenschaftlerin (Frankreich)
  • Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard, Schweizer Armee; Berater für militärisch-strategische Angelegenheiten (Schweiz) 
  • Rainer Rupp, Militär- und Geheimdienstexperte (Deutschland)
  • Oberst a.D. Alain Corvez, Berater für internationale Angelegenheiten, ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums (Frankreich)

Panel 2: Die Entwicklungsbestrebungen der globalen Mehrheit

Moderator Dennis Speed

  • Lyndon LaRouche (1922-2019)
  • S.E. Donald Ramotar, ehemaliger Präsident von Guyana (Guyana)
  • Prof. Henry Baldelomar, Professor für internationale Beziehungen, Nur-Universität, Santa Cruz, Bolivien (Bolivien)
  • Michele Geraci, ehemaliger Unterstaatssekretär, italienisches Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung
  • Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG (Deutschland)
  • S.E. Botschafter Prof. Dr. Manuel Hassassian, Botschafter der Palästinensischen Behörde in Dänemark (Palästina)
  • Prof. Dr. László Ungvári, Präsident (emeritiert) der Technischen Universität Wildau (Ungarn)

Panel 3: Die Auswirkungen der laufenden wissenschaftlichen Revolution

Moderator Claudio Celani

  • Prof. Mark McMenamin, Geologe und Paläontologe, Abteilung für Geologie, Mount Holyoke College (Vereinigte Staaten)
  • Francois Mellet, Wirtschaftsingenieur, Direktor für Operationen bei Stratek Global (Südafrika)
  • Prof. Sergej Pulinez, leitender Wissenschaftler, Weltraumforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften (Russland)
  • William Jones, Schiller-Institut (USA)
  • Prof. Gennady Aksenow, S.I. Wawilow Institut für Wissenschafts- und Technologiegeschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für die Geschichte der Erdwissenschaften (Russland)

Panel 4: Der Reichtum der Kulturen der Menschheit und die kommende Goldene Renaissance

Moderatorin Megan Dobrodt

  • Jacques Cheminade, Präsident, Solidarité et Progrès, ehemaliger französischer Präsidentschaftskandidat. „Die Kultur des Friedens“ (Frankreich)
  • Harley Schlanger, Stellvertretender Vorsitzender, Schiller Institute Vereinigte Staaten: „Wie die öffentliche Meinung manipuliert wird“ (Deutschland)
  • Sophie Tanapura, Maestra Sopranistin, Gründerin der Metropolitan Opera of Bangkok (Thailand)
  • Karel Vereycken, Maler-Graveur, Kunsthistoriker, Schiller-Institut, Frankreich: „Zusammenarbeit für das kulturelle Erbe der Welt: ein wichtiger Schlüssel für den Weltfrieden“ (Frankreich)

Die Zeichen stehen auf Sturm! Der Versuch des kollektiven Westens, nach dem Ende des Kalten Krieges die globale Dominanz des neoliberalen Systems durchzusetzen, ist krachend gescheitert. Die Mehrheit der Staaten war keineswegs bereit, das „Ende der Geschichte“ zu akzeptieren, das Francis Fukuyama vorschnell verkündet hatte und das von den Ländern des Globalen Südens lediglich als eine Fortsetzung der kolonialistischen Politik empfunden wurde. Die Mittel, mit denen versucht wurde, die unipolare Weltordnung zu zementieren – von Farbrevolutionen, Interventionskriegen oder auf Regime-Wechsel abzielende unilaterale Sanktionen bis zur Instrumentalisierung des Dollars – hatten einen enormen Bumerang-Effekt. Anstatt westliche neoliberale Werte zu akzeptieren, wandten sich die Nationen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ihren eigenen kulturellen Traditionen zu und sind jetzt dabei – unterstützt durch den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas -, ein eigenes Wirtschaftssystem zu schaffen, das auf Souveränität und Gleichheit aufgebaut ist.

Aber statt die Anstrengungen des Globalen Südens, der längst zur Globalen Mehrheit geworden ist, darin zu unterstützen, Armut und Unterentwicklung durch einen industriellen Aufbau zu überwinden, der auch die Flüchtlingskrise auf die einzig humane Weise lösen würde, versteift sich der sogenannte kollektive Westen auf die „Narrative“, es gehe um den Kampf zwischen den „Demokratien“ und den „autoritären Diktaturen“, Rußland führe einen „unprovozierten Angriffskrieg“ gegen die Ukraine und Israel übe in Gaza nur sein „Recht auf Selbstverteidigung“ aus. Um diese „Narrative“ zu verteidigen, werden verfassungsmäßige Rechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Verbot von Zensur und das Recht auf Versammlungsfreiheit ausgehebelt.

Es macht fassungslos zu sehen, wie absolut unfähig das Establishment des kollektiven Westens ist, das Scheitern seiner Politik zu erkennen und die nötigen Korrekturen vorzunehmen! Nach mehr als einem Dutzend Sanktionspaketen ist Rußland nicht „ruiniert“, sondern die europäische Wirtschaft kollabiert, allen voran Deutschland! Nach immer machtvolleren Waffenlieferungen, die den Westen längst an oder sogar über die Grenze gebracht haben, selbst Kriegspartei zu sein, ist klar, daß die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann. Rußland hat nun zum ersten Mal Militärmanöver mit seinen taktischen Atomwaffen durchgeführt, als Reaktion auf Macrons Drohung, NATO-Truppen in die Ukraine zu schicken, und auf Camerons und Blinkens Empfehlung, die Ukraine könne vom Westen geliefert Raketen nutzen, um Rußland anzugreifen. Nachdem der Westen acht Monate lang den Kriegsverbrechen in Gaza zugesehen hat, haben jetzt die Urteile des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs eingegriffen, weil es offensichtlich einigen Kräften klargeworden ist, daß die bisher tolerierte Doppelmoral dabei war, die gesamte Legitimität der internationalen Ordnung zu zertrümmern.

Wir stehen heute am Rand der potentiell größten Katastrophe in der Geschichte der Menschheit. Wenn wir die geopolitische Konfrontation des Westens gegen Rußland und China nicht überwinden, droht auf sehr kurzem Weg die Eskalation zu einem neuen Weltkrieg, bei dem der sichere Einsatz von thermonuklearen Waffen einen nuklearen Winter und die Auslöschung der menschlichen Gattung zur Folge haben würde.

In der tektonischen Verschiebung, die die absolute Entschlossenheit der Nationen des Globalen Südens, ihr Recht auf souveräne Entwicklung durchzusetzen, bewirkt, liegt aber zugleich eine monumentale Chance, die Krise zu überwinden. Erst einmal müssen wir dafür sorgen, daß die Menschen in Europa und den USA überhaupt lernen, was der neue „Geist von Bandung“ ist, der die Nationen des Globalen Südens inspiriert, und dann müssen wir die immensen Chancen aufzeigen, die darin liegen, mit diesen Staaten bei ihrer Entwicklung zu kooperieren.

Das nächste halbe Jahr wird für die weitere Existenz der Menschheit von größter Bedeutung sein: NATO- und SCO-Gipfel in Juli, der BRICS-Gipfel in Rußland im Oktober, die US-Präsidentschaftswahl im November. In dieser Zeit muß es uns gelingen, das Konzept einer neuen globalen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur, die die Interessen aller Nationen auf dem Planeten berücksichtigt, auf die internationale Agenda zu setzen, wenn wir eine extreme Polarisierung bis hin zum völligen Zerfall der Weltordnung in zwei völlig getrennte und unbewegliche Blöcke vermeiden wollen.

Die kommende Konferenz des Schiller-Instituts wird daher Redner und Kräfte zusammenbringen, die in der Absicht vereint sind, einen Weg aus der Krise aufzuzeigen, indem sie ein neues Paradigma für die nächste Ära in der Entwicklung der Menschheit präsentieren.


Bitte lesen und verbreiten Sie die Schiller-Institut/EIR Presseerklärung Warnstufe Rot: Ukrainischer Angriff auf russisches Frühwarnradar droht einen nuklearen Weltkrieg auszulösen. Und sehen Sie sich die Eil-Pressekonferenz „Die Gefahr eines Atomkrieges ist real und muss gestoppt werden“ vom 12. Juni 2024 in Washington DC auf deutsch an.

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