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Gandhis Vision für ein neues Paradigma

Gandhis Vision für ein neues Paradigma

Gandhis Vision für ein neues Paradigma in den internationalen Beziehungen, ein Weltgesundheitssystem und
direkte gewaltfreie Aktionen in Zeiten des sozialen Zusammenbruchs

Von Helga Zepp-LaRouche,
Präsidentin des Internationalen Schiller-Instituts

Helga Zepp-LaRouche präsentierte dieses Papier als Beitrag zu der zweitägigen internationalen Online-Konferenz der Association of Asian Scholars zum Thema „Gandhi neu überdenken: Frieden, Gerechtigkeit und Entwicklung“ vom 30.-31. Oktober 2020, anläßlich der Feierlichkeiten zum 150. Geburtstag Mahatma Gandhis. Sie trug eine gekürzte zehnminütige Version des Beitrags vor und nahm auch an der Podiumsdiskussion teil.

Internationale Beziehungen

Mit der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie auf der ganzen Welt sind alle die vielen inakzeptablen Probleme des systemischen Unrechts, die zuvor die Welt geplagt hatten – die Armut und Unterentwicklung, die in der gesamten Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg existierten –, plötzlich explosionsartig aufgebrochen, und der dünne Schleier, der die Zerbrechlichkeit des gegenwärtigen globalen Systems die ganze Zeit über verdeckt hatte, wurde weggerissen. Inzwischen hat die Pandemie mehr als eine Million Menschen hingerafft, und nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) droht sie mindestens eine weitere Million Menschen zu töten, bevor ein Impfstoff auf die gesamte Weltbevölkerung angewendet werden kann, und es kann sogar noch schlimmer kommen.Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) werden in diesem Jahr 500 Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, und wenn sich die Prognose des Direktors des Welternährungsprogramms (WFP), David Beasley,2 als richtig erweist, könnten wir bald einer Hungersnot biblischen Ausmaßes gegenüberstehen, die bis zu 300.000 Menschen pro Tag tötet.3

Das Weltfinanzsystem, das die Welt seit 1945 beherrscht und das zunehmend dereguliert wurde, seit Richard Nixon im August 1971 das ursprüngliche Bretton-Woods-System durch die Einführung frei schwankender Wechselkurse demontierte – ein Prozeß, der sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beschleunigte –, hatte bereits 2008 den Punkt des systemischen Zusammenbruchs erreicht. Die ganze Quantitative Lockerung der Zentralbanken seitdem hat die Finanzblase weiter vergrößert, zum Vorteil der Reichen, die reicher werden, während die Mittelklasse schrumpft und die Armen ärmer werden. Dieselben Zentralbanken wollen nach der vom ehemaligen Chef der Bank von England, Mark Carney, erklärten Absicht nun einen „Regimewechsel“, bei dem sie die Regierungen bei der Festlegung der Finanz- und Haushaltspolitik ablösen wollen.4

Um es nur kurz zu erwähnen: Als Folge der Verschärfung der transatlantischen Finanzkrise haben sich auch die verschiedenen Krisenherde bis zu einem sehr gefährlichen Punkt der Eskalation aufgeheizt – in einigen Regionen sogar bis zum Krieg, wie zwischen Aserbaidschan und Armenien, in anderen als laufende Regimewechsel-Operation, wie in Weißrußland, und wiederum in anderen als potentiell heiße Konflikte wie im Südchinesischen Meer oder um Taiwan. In allen diesen Krisengebieten läßt sich die geopolitische Manipulation der modernen Form des Britischen Empire ablesen, das als Imperium in Form des Finanzsystems von Zentralbanken, Investmentbanken, Hedgefonds, Versicherungs- und Rückversicherungsgesellschaften usw. weiterbesteht. Die sichtbarste Manifestation dieses Imperiums sind die Londoner City und die Wall Street, die sich historisch als Juniorpartner der City entwickelt hat.

gemeinfrei

 

Mahatma Gandi beim „Salzmarsch“ 1930, einer Protestaktion gegen die englischen Steuern auf Salz.

Die Frage ist also: Kann angesichts einer Welt, die in vielerlei Hinsicht völlig außer Kontrolle zu sein scheint und in der Zwang und Schikane an die Stelle von Diplomatie und Dialog getreten zu sein scheinen, Mahatma Gandhis Philosophie noch einen Weg für die Errichtung einer neuen Weltordnung aufzeigen? Es ist eine begründete Annahme, daß Gandhi an diese Frage mit der gleichen inneren Zielstrebigkeit und Entschlossenheit herangehen würde, um die ganze Menschheit vom Joch der imperialen Unterdrückung zu befreien, wie er zu seiner Zeit an die Frage der Befreiung Indiens von kolonialer Unterjochung heranging.

Wenn wir in diesem Jahr den 75. Jahrestag der Verabschiedung der UN-Charta feiern, ist es dringender denn je, daß wir die Prinzipien erneuern, auf denen die UN-Charta und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UDHR) gründeten. Es ist wichtig, die Welt daran zu erinnern, daß Gandhis Philosophie der Gewaltlosigkeit und das praktische Vorbild seines Sieges über das Britische Empire die wichtigsten Einflüsse waren, die die Formulierung dieser bahnbrechenden Dokumente prägten. Er war die wichtigste Inspiration für den Kampf gegen den Kolonialismus und die intensiven Debatten um die indische Verfassung. Die indischen Vertreter, die sich an den verschiedenen Aspekten des Entwurfs der UDHR beteiligten – Begum Hamid Ali, Hansa Mehta, Lakshmi N. Menon und M.R. Masani –, waren alle von Gandhis Ideen beeinflußt. Hansa Mehta gehörte der Gruppe von Eleanor Roosevelt in der UN-Menschenrechtskommission an, die die UDHR formulierte.

Gandhis Konzept der Gewaltlosigkeit beeinflußte auch später die Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz – das Panchsheel-Abkommen –, wie sie erstmals am 29. April 1954 im „Abkommen über Handel und Verkehr zwischen der Region Tibet und Indien“ formell zum Ausdruck kamen. In der Präambel wurden diese Prinzipien festgeschrieben:

  1. gegenseitige Achtung der territorialen Integrität und Souveränität des anderen;
  2. gegenseitiger Verzicht auf Aggression;
  3. gegenseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen;
  4. Gleichheit und Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen; und
  5. friedliche Koexistenz.

Dieselbe Philosophie wurde auch auf der ersten Konferenz der unabhängigen asiatischen und afrikanischen Staaten in Bandung beibehalten, und unter der Führung des indischen Ministerpräsidenten J. Nehru und des chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai wurden diese Prinzipien zu den Zehn Prinzipien von Bandung erweitert. Sie bildeten auch den völkerrechtlichen Kern der Konferenz der Blockfreien Bewegung 1961 in Belgrad.

Es unterstreicht Nehrus Bescheidenheit und Integrität, wie er 1960 in einem Interview mit dem Herausgeber des Massenblatts Blitz, dem Journalisten RK Karanjia, antwortete, der in seiner Frage von der „Ära Nehru“ gesprochen hatte, die nach 1947 eindeutig begonnen hätte. Nehru sagte: „Ihre Verwendung von Wörtern wie ,Nehru-Ära’ und ,Nehru-Politik’ ist falsch. Ich möchte meine Zeit als authentische Gandhi-Ära bezeichnen, und die Politik und Philosophie, die wir umzusetzen versuchen, sind die Politik und Philosophie, die Gandhi gelehrt hat.“

Im weiteren Verlauf des Interviews äußerte Karanjia die Vermutung, Nehru gehe über das Prinzip der Gewaltlosigkeit hinaus, indem er als Antwort auf die Bedrohung durch die Atombombe die Prinzipien von Panchsheel und der friedlichen Koexistenz schuf. Nehru gab Gandhi in seiner Antwort erneut die Ehre: „All dies war Teil von Gandhis Philosophie. Tatsächlich ist der Weg des Panchsheel, des Friedens und der Toleranz, die Einstellung ,Leben und leben lassen’, seit Ewigkeiten grundlegend für das indische Denken, und man findet es in allen Religionen. Könige wie Ashoka praktizierten es, und Gandhiji integrierte es in die praktische Philosophie des Karma, die wir geerbt haben.“

Nehru führte weiter aus: Gandhis „Gedanken, Methoden und Lösungen haben dazu beigetragen, die Kluft zwischen der industriellen Revolution und dem Atomzeitalter zu überbrücken…, schließlich ist die einzig mögliche Antwort auf die Atombombe Gewaltlosigkeit, nicht wahr?“

Inzwischen hat das Nationalarchiv in Washington historische Dokumente veröffentlicht, aus denen hervorgeht, daß der Atomwaffenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkriegs militärisch völlig unnötig war. Der Krieg war praktisch beendet, Japan war durch die amerikanische Seeblockade und die russische Besetzung Koreas und Nordchinas von seinen Nachschublinien abgeschnitten. Trumans Entscheidung, die Bombe abzuwerfen – die von Churchill voll und ganz unterstützt wurde –, war zu diesem Zeitpunkt nur eine Demonstration des Prinzips der „Schrecklichkeit“ im Hinblick auf die künftige anglo-amerikanische Politik gegenüber der Sowjetunion und als Test für ihre Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Dahinter steckte die allgemeine Strategie, die Bertrand Russell 1946 in seinem Artikel „Die Atombombe und die Verhütung des Krieges“ im Bulletin of the Atomic Scientists veröffentlichte und die H.G. Wells bereits vor dem Zweiten Weltkrieg betont hatte: daß es darum ging, die Erfahrung des Krieges so schrecklich zu machen, daß jeder Feind gezwungen werden konnte, seine Souveränität aufzugeben und sich faktisch einer Weltregierung zu unterwerfen.

Als Folge davon verloren mehr als 200.000 Menschen ihr Leben, und viele weitere erlitten dauerhafte gesundheitliche Schäden.

Zum 75. Jahrestag der Bombardierung Hiroshimas und Nagasakis warnte kürzlich der russische Außenminister Lawrow vor einer Änderung der US-Militärdoktrin, die Atomwaffen als „einsetzbar“ betrachtet, was offensichtlich auf der Vorstellung beruht, daß ein begrenzter Atomkrieg „gewinnbar“ wäre.5 Dies ist offenbar ein Verweis auf den W76-2-Sprengkopf mit geringer Sprengkraft, der jetzt auf U-Booten der Ohio-Klasse eingesetzt wird.6 Ernstzunehmende Atomwaffenexperten, wie der MIT-Professor Theodore Postol, argumentieren jedoch überzeugend, daß es in der Natur von Atomwaffen liegt, daß sie alle eingesetzt werden, sobald es zum Einsatz einer einzigen Waffe kommt. Im Zeitalter der thermonuklearen Waffen würde dies natürlich die Vernichtung der menschlichen Gattung bedeuten.

Um auf die vorhin gestellte Frage zurückzukommen: Ist Gandhis Philosophie der Gewaltlosigkeit angesichts dieser existentiellen Frage für die gesamte Menschheit noch anwendbar?

Die Antwort lautet ja, aber es erfordert den gleichen furchtlosen Einsatz, das Joch des Imperiums abzuwerfen, wie er sein Handeln lenkte. In Gandhis Namen muß daher in allen Ländern eine Kampagne gegen die Bedrohung der Existenz der Menschheit durch Atomwaffen und für die Notwendigkeit ihrer vollständigen Beseitigung beginnen. Dieses Ziel steht im Einklang mit den Prinzipien, die die UNO von Anfang hatte, denn seit der ersten Resolution der Vollversammlung 1946 gibt es die Forderung nach weltweiter nuklearer Abrüstung. Seitdem hat es zahlreiche diplomatische Bemühungen unter der Führung der UNO gegeben, die auf die Beseitigung von Atomwaffen und allen anderen Massenvernichtungswaffen abzielten.

Heute existieren mehr als 13.000 Atomwaffen, die sich im Besitz von acht Ländern befinden; wenn es jemals zum Einsatz käme, würde dieses Arsenal ausreichen, die Weltbevölkerung mehrmals zu vernichten. Doch mit dem Ausstieg aus dem ABM-Vertrag, dem INF-Vertrag, dem Open-Sky-Vertrag und der unmittelbaren Gefahr, daß der letzte Atomwaffenkontrollvertrag, der Neue START-Vertrag, im Februar 2021 ausläuft, besteht die Gefahr, daß die beiden größten strategischen Atomwaffenarsenale der Welt zum ersten Mal seit den 1970er Jahren nicht mehr gebändigt sind.

Weil die bisherigen Rüstungskontrollabkommen wegfallen, äußern viele Experten die Sorge, daß die gegenwärtige Lage gefährlicher ist als selbst auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als sogar noch in der Kubakrise die Kommunikation zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow funktionierte.

Der Wiederaufbau der Rüstungskontrolle ist zwar dringend notwendig, um die Gefahr eines außer Kontrolle geratenen Wettrüstens einzudämmen; aber das eigentliche Ziel, die endgültige Abschaffung der Atomwaffen, kann wahrscheinlich nur erreicht werden, wenn sie durch neue Technologien auf der Grundlage neuer physikalischer Prinzipien technologisch obsolet gemacht werden können und diese neuen Technologien von allen Atommächten in Zusammenarbeit umgesetzt werden, wie es der amerikanische Staatsmann Lyndon LaRouche der Reagan-Administration und der Sowjetunion vorgeschlagen hat, woraus dann die Strategische Verteidigungsinitiative (SDI) wurde.

Die UN-Vollversammlung hat in ihrer Resolution 68/32 vom Dezember 2013 den 26. September zum „Internationalen Tag für die vollständige Abschaffung der Kernwaffen“ erklärt und diesen Tag seither jedes Jahr begangen. Aber angesichts der drohenden Gefahr, die sich aus einer zunehmenden geopolitischen Konfrontation zwischen der NATO und den USA auf der einen Seite und Rußland und China auf der anderen Seite ergibt, kann die Kampagne für die vollständige Abschaffung der Atomwaffen nicht auf einen Tag reduziert werden, sondern sie muß zu einer fortwährenden, beschleunigten Kampagne an jedem Tag, in jedem Land und auf allen Ebenen der Gesellschaft werden.

Gandhi glaubte immer daran, daß die Jugend jedes Landes Berge versetzen kann und daß sie dafür verantwortlich ist, ihre Länder zu erheben und zu entwickeln. Es war seine feste Überzeugung, daß es gerade die Führung der kommenden Generation ist, die alle Schichten der Gesellschaft zusammenbringen kann. Angesichts der Gefahr eines Atomkrieges ist es daher von höchster Dringlichkeit, die Jugend der Welt an die Botschaft des Friedens und der Gewaltlosigkeit zu erinnern, an Mahatma Gandhi und sein großes Geschenk des Ahimsa (gewaltloser Kampf), das er der Menschheit gemacht hat. Die Renaissance von Ahimsa wird auch der Weg sein, auf dem junge Menschen von Gandhis Idee von Spiritualität und Selbstreinigung lernen können – als ein Weg, sich vom Joch der Gedankenkontrolle durch alle Arten von Abhängigkeiten, seien es Drogen, Alkohol oder exzessiver Internetkonsum, zu befreien.

Angesichts all dieser Gefahren ist es sehr klar, daß die Menschheit einer entscheidenden Prüfung unterzogen wird: Werden wir, als die bisher einzige schöpferische Gattung, die im Universum bekannt ist, fähig sein, uns selbst eine Weltordnung zu geben, die die langfristige Überlebensfähigkeit der Menschheit garantiert? Wir brauchen daher dringend eine internationale Debatte über die Notwendigkeit, zu den Prinzipien von Panchsheel als Grundlage der internationalen Ordnung zurückzukehren. Diese Prinzipien müssen vertieft werden, weil ihre ontologische Verbindung mit der kosmischen Ordnung nachgewiesen werden kann. In allen großen Kulturen und Religionen gibt es Bezüge auf die Substanz dieser Prinzipien, auch wenn die Sprache, in der sie ausgedrückt werden, unterschiedlich ist.

Auf dieser Grundlage müssen wir ein neues Paradigma in den Beziehungen zwischen den Nationen etablieren, bei dem das Interesse des anderen das Interesse jedes einzelnen ist. Das Gemeinwohl der Menschheit als Ganzes muß das Leitprinzip sein, gegen das kein nationales Interesse im Widerspruch stehen darf. Wenn sich alle Nationen auf diese Weise auf die gemeinsamen Ziele der Menschheit konzentrieren, werden wir eine neue Ära der menschlichen Zivilisation erreichen.

Ein Weltgesundheitssystem

Die Coronavirus-Pandemie, die jetzt auf der ganzen Welt wütet, hat den Schleier vom gegenwärtigen Weltsystem gerissen und gezeigt, wie dramatisch unterentwickelt viele Länder sind. COVID-19 hat bereits mehr als eine Million Menschenleben gekostet und wird nach Angaben der WHO aller Wahrscheinlichkeit nach eine weitere Million Menschenleben fordern, bevor ein Impfstoff entwickelt und in jedem Winkel der Welt verabreicht worden ist.

© LaRouchePAC

 

Mehr als 1,5 Milliarden Menschen arbeiten im „informellen Sektor“ und sind besonders stark von den wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie betroffen.

Aber es trifft nicht nur die Menschen, die an COVID-19 gestorben sind oder daran langfristige medizinische Schäden davontragen. Die andere große Kategorie von Opfern sind die zwei Milliarden Menschen, die nach Angaben der IAO in der sogenannten informellen Wirtschaft arbeiten – einschließlich der Subsistenz-Landwirtschaft mit ihrer entsetzlich niedrigen Produktivität – und denen nun infolge von Lockdowns oder Unterbrechungen der Produktions- und Versorgungsketten der plötzliche Verlust ihres Einkommens droht. Nach Angaben der IAO werden bis Ende des Jahres 500 Millionen Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren. In Afrika liegt die reale Arbeitslosigkeit bei 65% und in Lateinamerika bei 42%, wenn man nicht nur die offiziellen Arbeitslosenstatistiken zählt, sondern auch die große Zahl von Menschen, die sich täglich bemühen, irgendwie an Geld zu kommen, damit sie und ihre Familien essen können, die aber eigentlich nichts produzieren. Die Jugend der Welt ist von dieser „informellen“ Wirtschaft oder besser gesagt „Schattenwirtschaft“ besonders betroffen. In der Altersgruppe der 15- bis 24jährigen sind 77% aller Arbeitsplätze „informell“.

Die Pandemie hat auch die landwirtschaftliche Produktion in vielen Teilen der Welt schwer beeinträchtigt, sei es, weil COVID-19 die Arbeitskräfte in Großschlachtereien trifft, weil Viehzüchter gezwungen sind, ihre Herden zu töten, oder weil Bauern in armen Ländern selbst von der Krankheit betroffen sind. Dadurch droht der Welt auch eine Hungerkatastrophe, die laut David Beasley vom WFP bald „biblische Ausmaße“ erreichen kann, indem bis zu 300.000 Menschen am Tag verhungern.

Gandhis Prinzip des Sarvodaya hatte großen Einfluß auf die UN-Agenda für nachhaltige Entwicklung 2030 mit ihrem Leitgedanken „niemanden zurücklassen“ und dem Ziel „die am weitesten Zurückbleibenden als erste zu erreichen“. Das außergewöhnliche Ausmaß der COVID-19-Krise erfordert es, den Zeitplan zur Erreichung dieser Ziele zu beschleunigen. Die Umsetzung von Sarvodaya bedeutet, daß der dringendste, erste Schritt der Aufbau eines Weltgesundheitssystems sein muß, ohne das wir diese Pandemie und die Gefahr künftiger Pandemien nicht überwinden können. Gandhi sagte, Armut sei die schlimmste Form der Gewalt, und der Fortschritt der Gesellschaft müsse sich nach dem Zustand der Schwächsten und Verletzlichsten richten. Für den Fall der Pandemie liegt dies auf der Hand: Sie wird nicht vorbei sein, bis sie in jedem einzelnen Land besiegt ist.

© CGTN

 

Das Huoshenshan-Krankenhaus in Wuhan wurde innerhalb von zehn Tagen gebaut und in Betrieb genommen.

Es gibt eine wichtige Lehre, die aus der gegenwärtigen Krise zu ziehen ist: Das Coronavirus wäre nicht zu einer Pandemie geworden, wenn alle Staaten über ein modernes Gesundheitssystem verfügt hätten. Nach dem Ausbruch in den Provinzen Wuhan und Hebei war das chinesische Gesundheitssystem in der Lage, sich zu rüsten, in wenigen Wochen rasch neue Krankenhäuser zu bauen und medizinisches Fachpersonal aus dem ganzen Land zu mobilisieren. Nach zwei Monaten hatte China die Pandemie im Wesentlichen unter Kontrolle und konnte seitdem einen neuen Ausbruch verhindern. Wenn jedes andere Land die gleichen Möglichkeiten gehabt hätte, dann wäre daraus keine außer Kontrolle geratene Pandemie geworden.

Die Gründe für die Pandemie sind nicht in erster Linie medizinischer, sondern wirtschaftlicher Natur. 1973 betraute Lyndon LaRouche eine „Biologische Taskforce“ mit der Aufgabe, die Auswirkungen der IWF-Auflagen auf die Entwicklungsländer zu untersuchen. Diese Arbeitsgruppe kam zu dem Schluß, daß das Blockieren von Investitionen der sogenannten „Dritten Welt“ in Infrastruktur, Gesundheit und Bildung, um der Schuldentilgung Vorrang zu geben, auf Dauer zum Auftreten alter und neuer Krankheiten und Pandemien führen würde. Die durch Hunger, Mangel an sauberem Wasser, Mangel an medizinischen Einrichtungen usw. verursachte Schwächung des Immunsystems ganzer Generationen auf mehreren Kontinenten würde zwangsläufig in einem biologischen Holocaust resultieren. Wenn man die vielen Industrialisierungsprogramme für Afrika, Lateinamerika, Asien und auch die armen Regionen Europas und der Vereinigten Staaten, die LaRouche und seine Bewegung seit den siebziger Jahren ausgearbeitet haben, umgesetzt hätte, dann könnte sich heute jeder Mensch auf diesem Planeten eines menschenwürdigen Lebens erfreuen.

Um Gandhis Sarvodaya-Prinzip heute anwenden zu können, brauchen wir eine koordinierte internationale Anstrengung, um in jedem Land der Welt ein modernes Gesundheitssystem aufzubauen, auf dem Niveau des US-amerikanischen Gesundheitssystems bei der Anwendung des Hill-Burton-Standards und des deutschen und des französischen Gesundheitssystems vor der Privatisierungswelle, mit der ab den 1970er Jahren Habgier und Profitdenken an die Stelle das Gemeinwohlprinzips traten. Auch das Gesundheitssystem von Wuhan ist ein guter Bezugspunkt.

Der Aufbau solcher Gesundheitssysteme muß dann der Ausgangspunkt dafür sein, die neue Weltwirtschaftsordnung aufzubauen, für die die Blockfreien-Bewegung seit den 1950er Jahren kämpft. Die Motivation für die Industrieländer, sich am Aufbau dieses Weltgesundheitssystems zu beteiligen, wird ihr eigenes Interesse sein: Diese Pandemie und künftige Pandemien, vor denen Virologen und Epidemiologen jetzt warnen, werden mit Sicherheit kommen, und wir werden sie nicht eindämmen können, wenn nicht alle und besonders auch die ärmsten Länder mit dem Notwendigen ausgerüstet sind, um die Bedrohung zu überwinden.

Aber man kann natürlich kein Krankenhaus bauen, wenn kein sauberes Wasser, keine sanitären Anlagen, Stromversorgung, Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur usw. vorhanden sind. Heute haben mehr als zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, ausreichenden sanitären Anlagen oder beidem.

Die dringende Notwendigkeit eines Gesundheitssystems mit modernen Kliniken, die über das Internet an die beste professionelle Versorgung in Kliniken in fortgeschrittenen Ländern angeschlossen werden können, mit umfassenden medizinischen Versorgungsstationen in ländlichen Gebieten sowie medizinischen Forschungszentren wird daher der Katalysator für Entwicklungsprogramme sein, wie man sie schon vor vielen Jahrzehnten hätte realisieren sollen. Weil dies nicht passiert ist, sterben jedes Jahr 800.000 Kinder unter fünf Jahren an Durchfallerkrankungen. Die ordnungsgemäße Entsorgung von Abwässern und das Klären von Trinkwasser sind eine absolut unerläßliche Voraussetzung, um das Leben von Milliarden von Menschen zu retten. Als Überbrückungsmaßnahme können temporäre sanitäre Einrichtungen in Massenproduktion hergestellt und in den Entwicklungsländern verteilt werden, bis eine dauerhafte Infrastruktur aufgebaut ist. Der Aufbau dieser Infrastruktur wird vielen Millionen Menschen in allen beteiligten Ländern eine sinnvolle Beschäftigung bieten.

Die Welt verfügt derzeit über einen Bestand von 18,6 Millionen Krankenhausbetten, was ein enormes Defizit darstellt. Der Hill-Burton-Standard in den USA sah 4,4 Krankenhausbetten auf tausend Einwohner vor. Derzeit sind es in den USA 2,8 Krankenhausbetten auf tausend Menschen, in Südasien 0,7 und in Nigeria 0,5. Um den Standard von 4,5 auf tausend Einwohner zu erreichen, müßte man die Zahl der Krankenhausbetten auf 35 Millionen steigern, also fast doppelt so viel wie heute. Dies erfordert den Bau von 35.200 neuen modernen Krankenhäusern, insbesondere in Afrika, Asien und Lateinamerika.

Weitere konkrete Aspekte, die man sich zum Ziel setzen muß, sind die [Corona]-Testkapazitäten, die je nach Größe der Bevölkerung auf mehrere Millionen pro Tag erhöht werden müssen, zunächst durch Notfalleinfuhren und dann so schnell wie möglich durch den Aufbau von Fertigungskapazitäten. Weiterhin brauchen wir: Personal zum Nachverfolgen der Kontakte, das geschult und eingestellt werden muß, Mund-Nasen-Schutzmasken und anspruchsvollere Schutzausrüstung (PSA), die zur Verfügung gestellt werden müssen, damit eine dramatisch erhöhte Anzahl von Beschäftigten im Gesundheitswesen ihre Arbeit sicher ausführen kann. Beatmungsgeräte müssen in ausreichender Menge zur Verfügung gestellt werden. Die Forschung an Medikamenten und Impfstoffen muß finanziert werden.

All diese Maßnahmen an sich reichen jedoch nicht aus, um die Leben zu retten, wir brauchen dazu eine erheblich größere Zahl von Ärzten, Krankenschwestern und anderem medizinischem Personal. Mehr dazu im folgenden Abschnitt. Aber wie wir gesehen haben, ist das Sarvodaya-Prinzip nicht nur nobel, es ist für das Überleben der menschlichen Gattung unverzichtbar.

Direkte Aktion heute

Auf der ganzen Welt gibt es zahlreiche politische Führungspersönlichkeiten und Bewegungen, die von Mahatma Gandhi inspiriert wurden und werden. Aber die vielleicht konsequentesten unter ihnen waren bisher die berühmten amerikanischen Bürgerrechtsführer Martin Luther King, Amelia Boynton Robinson und James Bevel, die das Prinzip der Gewaltlosigkeit in ihrem Kampf gegen die Überreste der Sklaverei, Rassismus und Rassentrennung übernahmen, was 1964 zur Unterzeichnung des Civil Rights Act durch Präsident Lyndon B. Johnson führte. Was sie inspirierte, war Gandhis Auffassung von Gewaltlosigkeit als Satyagraha: die Idee, daß man die Macht der Liebe und Wahrheitssuche bewußt in sich selbst entwickeln muß, so daß es unmöglich wird, sich an irgendeinem Übel zu beteiligen, weil man Geist und Seele durch Selbstreinigung von der Gefahr, möglicherweise korrumpiert zu werden, vollständig befreit hat. King wandte die Methode der gewaltfreien Aktion zum ersten Mal 1955 beim Busboykott von Montgomery an, über den King schrieb: „Während des Boykotts von Montgomery war Indiens Gandhi das Vorbild unserer Methode der gewaltfreien Veränderung der Gesellschaft.“ Und später sollte er darüber sagen: „Ich erkannte zum ersten Mal, daß die christliche Doktrin der Nächstenliebe, wenn sie mit Gandhis Methode der Gewaltlosigkeit arbeitet, eine der wirksamsten Waffen ist, die den unterdrückten Menschen in ihrem Freiheitskampf zur Verfügung steht.“

NARA

 

Dr. Martin Luther King 1963 beim Marsch für Arbeit und Freiheit.

1959 reisten King und seine Frau Loretta fünf Wochen lang nach Indien, um Gandhis Denken näher kennenzulernen. Viele Menschen in Indien wußten von dem Busboykott von Montgomery. King traf zahlreiche Familienmitglieder Gandhis, indische Aktivisten und Politiker, darunter Ministerpräsident Jawaharlal Nehru. Diese Reise spielte eine große Rolle bei der späteren Entwicklung der Bürgerrechtsbewegung in den USA, und King wurde quasi zum moralischen Gewissen Amerikas. Er war auf dem besten Wege, völlig berechtigt Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, als er ermordet wurde. King, Malcom X, John F. Kennedy und Robert Kennedy wurden umgebracht, und die wahren Hintergründe ihrer Ermordung wurden weitgehend vertuscht.

Die Morde an diesen vier Persönlichkeiten, die für einen ungeheuren kulturellen Optimismus, für den festen Glauben an menschliche Schöpferkraft, Freiheit und Gerechtigkeit standen, wie auch die anschließende Vertuschung hatten einen großen Einfluß auf den Paradigmenwechsel, der seither im Wertesystem der USA stattgefunden hat, sowie auf den Wandel von einem grundlegenden Optimismus, was der Mensch bei der Gestaltung einer besseren Zukunft für die Menschheit erreichen kann, bis hin zu dem gegenwärtigen sozialen Chaos. Zahlreiche führende Bürgerrechtler, die mit King zusammengearbeitet hatten, lieferten der Autorin im Laufe der Jahre ein ausführliches Bild von der Realität der Existenz zweier Amerikas: nämlich einem weißen Amerika, das von der weißen Bevölkerung als das einzige wahrgenommen wird, und einem schwarzen Amerika, das sich der Existenz dieser beiden Welten völlig bewußt ist und das in einigen Gegenden in Bezug auf Lebensstandard, Zugang zu Nahrung, Wohnqualität und Gesundheitsversorgung usw. eher wie Enklaven der Dritten Welt aussieht.

In der letzten Zeit hat nach einer ganzen Serie von Polizistenmorden an schwarzen Bürgern – zusätzlich zu der hohen Rate an Kriminalität und Schießereien unter Schwarzen – der acht Minuten lange, grausame Mord eines Polizisten an dem Afroamerikaner George Lloyd, der mit einem Smartphone in aller sichtbaren Brutalität gefilmt und über das Internet weltweit verbreitet wurde, eine Protestwelle in zahlreichen amerikanischen Städten ausgelöst. Anfangs waren die meisten Demonstranten wirklich Menschen, die aufgebracht waren über die Manifestation des Rassismus, den kein Schwarzer in Amerika leugnet, wenn er nicht korrumpiert ist und der relativ kleinen Oberschicht in Medien, Public Relations, Hochschulen und Intelligenzia angehört, die „es geschafft haben“ und daher wie das Establishment denken.

Aber diese Proteste wurden sehr schnell von gewalttätigen Gruppierungen unterschiedlicher Couleur übernommen. Der breitere Kontext für den Ausbruch von Unruhen ist der unerbittliche Krieg des angloamerikanischen neoliberalen Establishments und seiner Geheimdienste, die oft verkürzt als „Deep State“ bezeichnet werden, gegen den Präsidentschaftskandidaten und dann gegen den Präsidenten Donald Trump. Sein Wahlsieg 2016 stellte ihre Kontrolle über die USA und damit die Sonderbeziehung zwischen Großbritannien und den USA, auf der die heutige Form des Britischen Empire und sein Ziel einer unipolaren Weltordnung beruhen, in Frage. Trump hatte es gewagt, zu versprechen, das Verhältnis zu Rußland zu bereinigen, die „endlosen Kriege“ zu beenden und den „vergessenen Menschen“, die Hillary Clinton verächtlich die „Erbärmlichen“ genannt hatte, eine Stimme zu geben.

Die Unruhen, die in mehreren US-Städten ausbrachen, wurden instrumentalisiert als Teil verschiedener Szenarien, tatsächlich die amerikanische Verfassung umzustürzen. Interessengruppen wie das Transition Integrity Project (TIP) und verwandte Organisationen veröffentlichten Drehbücher, die Anlaß zu der Annahme geben, daß die verschiedenen gewaltbereiten Kräfte auf der Straße, wie Antifa, Black Lives Matter usw., tatsächlich eine Rolle bei den Vorwänden für einen Militärputsch im Zusammenhang mit den US-Wahlen dienen könnten, wovor einige pensionierte Offiziere wie der ehemalige Chef der Strafrechtsabteilung der US-Armee im Pentagon Oberst Richard Black warnen. Dies hat zu der merkwürdigen Situation geführt, daß die Vertreter der einen Seite der politischen Gleichung diese Unruhen als „friedliche Proteste“ bezeichnen, während die überwiegende Mehrheit der afroamerikanischen und anderen Bürger der betroffenen Städte diese Gewalt – die mit Vandalismus gegen Denkmäler der amerikanischen Geschichte einhergeht, darunter sogar Helden im Kampf gegen die Sklaverei – völlig ablehnen.

Die Ideologie dieser Protestgruppen besteht großenteils aus Derivaten des Einflusses der Frankfurter Schule, ein von der CIA gefördertes Projekt des Kulturkriegs in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, das Werte wie „harte Arbeit, rationales Denken, die Kernfamilie, Moral und Glaube an Gott“ als Merkmale einer „autoritären Persönlichkeit“ verleumdete, die bekämpft werden mußten. Das jüngste Ergebnis einer langen Kette solcher Wertewandel ist die LGTB-Kultur und die sogenannte „Identitätspolitik“, die die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen nach ihren sexuellen Präferenzen oder kulturellen, ethnischen oder politischen Vorlieben scharf trennt. Die Folge dieser veränderten Sichtweise ist eine neue Rassentrennung und das völlige Gegenteil von dem, wofür Martin Luther King gekämpft hatte, nämlich daß Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden sollten.

Aus diesen Gründen, und obwohl soziale Spannungen und eine politische Polarisierung herrschen, die jeden gesellschaftlichen Zusammenhalt und selbst die Grundlagen der USA als Verfassungsrepublik bedrohen, spricht bisher niemand vom unglaublich reichen Erbe Kings und der Bürgerrechtsbewegung. Es sollte jedoch offensichtlich sein, daß die wesentlichen Wurzeln des Konflikts in den Kämpfen Gandhis und Kings liegen in den gleichen, faktisch unüberwindbaren Konflikten, auch wenn die historischen Prädikate sehr unterschiedlich sind. In allen diesen Fällen geht es um die gleiche Frage: um die Folgen einer imperialen Ordnung, die großen Teilen der Bevölkerung die grundlegenden Menschenrechte verweigert, und um den Punkt, an dem dieses Unrecht unerträglich wird, wie es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung heißt.

Der Geist Mahatma Gandhis und die Tradition Martin Luther Kings können auf ganz konkrete Weise den Weg zu einem konstruktiven Ansatz gegenüber gewalttätigen Demonstrationen weisen, in den Vereinigten Staaten, in Frankreich oder in jedem anderen Land, in dem solche stattfinden. Das Sarvodaya-Prinzip kann der Funke für eine gewaltfreie Strategie zur Lösung des Problems sein. Da es die jungen Menschen dieser Welt sind, deren Zukunft durch die Kombination von Pandemie und Wirtschaftskrise am meisten bedroht ist, muß es eine Perspektive geben, die das Problem der Pandemie angeht und ihnen gleichzeitig einen konkreten Weg zu produktiven Aufgaben öffnet. Wie im zweiten Abschnitt dieses Artikels erörtert wurde, können wir die COVID-19-Pandemie und künftige Pandemien nur bewältigen, wenn jedes Land der Erde über ein modernes Gesundheitssystem verfügt, und das erfordert viel größere Kader an ausgebildetem medizinischem Personal, als derzeit verfügbar ist.

Gegenwärtig läuft das Vorhaben, in den USA, Europa und Afrika ein Komitee einzurichten, das Partnerschaften zwischen Universitäten, Kliniken, Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen organisieren soll. Die Aufgabe dieser Partnerschaften besteht darin, nach dem Vorbild von Präsident Roosevelts Civilian Conservation Corps (CCC) arbeitslose Jugendliche zunächst zu medizinischen Hilfskräften und dann zu medizinischem Personal auszubilden. In ärmeren Bevölkerungsschichten sind die notwendigen Gesundheitsmaßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht unbedingt bekannt, so daß der erste Schritt darin besteht, junge Menschen entsprechend auszubilden und in die Gemeinden und Dörfer zu entsenden, um der Bevölkerung beizubringen, was zu tun ist.

In Tuskegee (Alabama), Tennessee und St. Louis (Missouri) laufen solche Aktivitäten an, bei denen pensionierte Ärzte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und die örtliche Polizei in vertrauensbildende Maßnahmen wie Hausbesuche einbezogen werden. Dies ist angesichts der allgemeinen Verwirrung in der Bevölkerung infolge der Ausbreitung von Verschwörungstheorien gegen Masken, Impfstoffe usw. sowie Unwissenheit über die Ausbreitung von Infektionen von entscheidender Bedeutung. Gleichzeitig kann man bereits mit einer vertieften medizinischen Ausbildung dieser jungen Menschen zu Ärzten, Krankenschwestern und Gesundheitspersonal beginnen.

Das Ziel ist ferner, rasch die Arbeit an Partnerschaftsprojekten mit Afrika für die gemeinsame Ausbildung und Entsendung amerikanischer, europäischer und afrikanischer Jugendlicher aufzunehmen, die mit Hilfe von medizinischem Personal, kirchlichen und Katastrophenschutzorganisationen aufgebaut und auch der hiesigen Bevölkerung die gleichen Dienste anbieten können.

Wegen der Hungersnot muß die Verteilung von Nahrungsmitteln hinzukommen, und diese Arbeit wird rasch auf die Ausbildung in den Bereichen Infrastrukturaufbau, Landwirtschaft und Industrieprojekte ausgeweitet werden. Es gibt viele junge und alte Landwirte in verschiedenen Ländern, die darauf reagieren und die es als eine Ehre betrachten würden, in einem Krisenmoment wie diesem zu helfen.

Im Aufruf zur Schaffung dieses Komitees heißt es: „Sobald diese Projekte konkrete Formen annehmen, werden sie den Enthusiasmus entfachen, den alle großen Pionierprojekte trotz des Ernstes der Lage hervorrufen können, und sie werden vielen jungen Menschen, die sonst in soziale Revolten und gewalttätige Aktivitäten hineingezogen würden, eine Zukunftsperspektive bieten.“

Wie bereits erwähnt, kann eine solche private Initiative der direkten Aktion in der Tradition der gewaltlosen Aktionen von Mahatma Gandhi und Martin Luther King die vor uns liegende gewaltige Herausforderung nicht alleine lösen. Sie kann aber ein praktisches Beispiel dafür liefern, wie Menschen guten Willens in einer ansonsten verzweifelten Situation eingreifen und die erforderliche Lösung aufzeigen können. Diese konkreten Beispiele werden dann die Regierungen ermutigen oder unter Druck setzen, ihre Kräfte zu bündeln und durch ein neues Kreditsystem den nötigen Rahmen zu schaffen, um die Unterentwicklung in den Entwicklungsländern dauerhaft zu überwinden.

Diese vielschichtige Initiative wird vieles auf einmal erreichen: Sie wird den Menschen gegen die Pandemie helfen, sie wird eine Zukunft für die Jugend schaffen und sie wird dazu beitragen, die Armut zu überwinden, indem sie eine echte wirtschaftliche Entwicklung in Gang setzt.

Diese drei Beispiele – der Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen, die Notwendigkeit eines Weltgesundheitssystems und die direkte Aktion für die Jugend – zeigen uns die eminente Bedeutung und unbedingte Relevanz von Gandhis Philosophie für die Bewältigung der größten Herausforderungen unserer Zeit. Seine Idee der Selbstveredelung kann auch die Grundlage für einen Dialog der Kulturen unter allen Philosophen und Dichtern sein, die ein vergleichbares erhabenes Menschenbild haben. Ein solcher Dialog wird dazu beitragen, eine kulturelle Renaissance zu katalysieren, die so dringend notwendig ist, um die Welt aus der gegenwärtigen Zivilisationskrise, in der wir uns befinden, zu retten. Das wichtigste ist es aber, in den Menschen die Nächstenliebe zu entfachen, für die Gandhi steht, damit mehr Menschen große Seelen werden können.

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