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Geopolitisches Denken trübt das Urteil des Westens

Geopolitisches Denken trübt das Urteil des Westens

Geopolitisches Denken trübt das Urteil des Westens

von Helga Zepp-LaRouche

 

In dem Internetforum vom 11. September 2014 wurde die BüSo-Vorsitzende Helga Zepp-LaRouche darauf angesprochen, daß sich um die BRICS-Gruppe herum eine Alternative zur derzeitigen westlichen Politik entwickelt. In ihrer Antwort berichtete Helga Zepp-LaRouche über die Eindrücke ihres Chinabesuchs:

„Wir waren ja gerade auf einer sehr interessanten Reise in China. Der erste Teil davon hat uns in den Westen Chinas geführt, auf den Spuren der alten Seidenstraße, wo wir eine Art Fact-Finding-Tour gemacht haben. Wir sind zu einigen der Knotenpunkte der alten Seidenstraße gereist, als Teil eines Gesamtprogramms, und haben uns dort auch mit der alten Seidenstraße beschäftigen können. Das war ein unglaublich guter sinnlicher Eindruck, daß die alte Seidenstraße ein ungeheurer Durchbruch war, denn die Hindernisse, die damals, vor 2000 Jahren zur Zeit der Han-Dynastie, überwunden werden mußten, waren gigantisch – wie die Wüste Gobi und noch mehr die Wüste Taklamakan, wo es Sanddünen von 200 m Höhe gibt und Sandstürme, die dann alles wieder verwehen.

Und wir haben dort nicht nur einiges vom kulturellen Erbe besichtigen können, sondern auch Filme gesehen über die alte Seidenstraße. Wir haben die berühmten Grotten von Dunhuang besichtigt, wir waren an mehreren Stellen der Großen Mauer – der äußerste Zipfel, wo wir waren, war schon fast an der Grenze von Xinjiang -, die aus der Zeit von vor 2000 Jahren stammt…

Das hat mich ein bißchen an das Gedicht Ozymandias [von Percy Shelley] erinnert, wo Statuen und Gebäude im Wüstensand verwehen und dann nach 2000 Jahren die Frage ist: Was bleibt von dem, was der Mensch mit seinem Leben macht? Das hatte auf mich eine ganz interessante Wirkung. Auf jeden Fall war das alles sehr, sehr begeisternd und sehr instruktiv, denn die chinesische Regierung macht offensichtlich unheimliche Anstrengungen, das Bewußtsein über dieses Kulturerbe in der Bevölkerung wachzuhalten und zu verstärken.

Ein riesiges Bauprogramm

Aber wir haben natürlich auch gesehen, wie mit einem enormen Elan diese Eisenbahnstrecke von Lanzhou und Dunhuang gebaut wird, das soll bis Urumqui gehen, d.h., es wird wirklich die alte Seidenstraße bis nach Xinjiang neu mit einem Schnellbahnsystem verbunden.

Wir haben z.B. auf dem Weg vom Flughafen von Lanzhou bis nach Lanzhou – das ist eine Busfahrt von etwa einer Stunde – gesehen, daß da wie wild gebaut wird. Man sieht Brücken, dann einige Kilometer weiter Dämme für die Eisenbahn, dann sieht man wieder nur die Trassen oder die Befestigung – alles wirklich mit einem unglaublichen Tempo, was in einem völligen Kontrast steht zu der doch sehr verhaltenen Art und Weise, wie bei uns Projekte gebaut werden. Für den ICE von Köln nach Frankfurt hat man z.B. zehn Jahre gebraucht, während China offensichtlich jetzt diese Entwicklung der inneren Regionen und natürlich auch den Ausbau der Seidenstraße mit ziemlichem Tempo und auch auf hoher Qualität vorantreibt. Das war also sehr interessant.

In der zweiten Woche hatten wir dann sehr viele Treffen und Konferenzen in Beijing selbst, und da muß ich wirklich noch einmal die Summe meiner Erfahrungen zusammenfassen.

Geopolitisches Denken des Westens

Es ist mir ganz wichtig: Wir müssen es schaffen, daß die deutsche Bevölkerung und die anderen Bevölkerungen in Europa und Amerika wirklich ein richtiges Verständnis kriegen von dem, was da in China mit der Seidenstraße und mit der Politik der Weltraumprogramme vor sich geht. In einigen Tagen findet z.B. eine große Weltraumkonferenz in Beijing statt, mit allen Astronauten, Kosmonauten und Taikonauten, die jemals im All waren, und die werden alle von China eingeladen, bei der kommenden chinesischen Raumstation mitzumachen.

Es ist mir ganz wichtig, daß das verstanden wird, was das ist. Denn wenn man hier den Denkfabriken im Westen zuhört, aus Amerika und Europa, dann sagen die alle: „Ja, China will jetzt seinen Einfluß vergrößern, es will jetzt imperialistische Expansion betreiben.“ Aber nichts ist falscher als das. Denn was jetzt benutzt wird von diesem Denkfabriken zur Charakterisierung der chinesischen Politik der Neuen Seidenstraße oder auch anderer chinesischer Initiativen, wie z.B. der Weltraumpolitik: das wird alles beurteilt vom Standpunkt der Projektion dessen, was man selber macht, wenn man selber, wie die EU, geostrategische Interessen verfolgt und die EU immer weiter vergrößern will. Jetzt sollen auch noch Balkanstaaten dazukommen. Ich glaube, es war Solana, und später auch Barroso, die haben ja gesagt, es gibt keine Grenze der Ausweitung der EU.

Die EU ist also ein neoimperiales Gebilde, das geopolitische Interessen verfolgt und diese in einem eklatanten Widerspruch sieht zu angeblichen geopolitischen Interessen von anderen Staaten wie den USA, Rußland, China, BRICS. Und das ist eben falsch.

Chinas Entwicklungsperspektive

Man kommt also an das Problem, was die chinesische Politik tatsächlich ist, die ja nun wirklich zum Leitstern geworden ist für die BRICS-Staaten und immer weitere Staaten, die sich jetzt auf diese neue Kombination zuordnen. Das ist eben nicht Geopolitik. Die Leute im Westen können sich gar nicht vorstellen, daß es Staaten gibt, die nicht auf der Basis von Neoliberalismus, von Monetarismus, von Positivismus, von Geopolitik operieren, sondern die sich auf einer Axiomatik befinden, die vielleicht nicht ganz identisch, aber doch sehr vergleichbar ist mit den Gedanken und Prinzipien, die Gottfried Leibniz am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts propagiert hat – nämlich eine wirkliche Entwicklungsperspektive für die Universalgeschichte der Menschheit, die durchaus vergleichbar war mit der Politik der Amerikanischen Revolution oder auch von John Quincy Adams, einem der ersten Präsidenten, der gesagt hat: Wir brauchen eine Allianz von souveränen Republiken, die sich zum gemeinsamen Vorteil aller gemeinsam an den Zielen der Menschheit beteiligen.

Und das ist emphatisch das, was China heute macht.

Ich weiß, daß jetzt viele Leute das nicht verstehen oder nicht glauben. Aber ich kann wirklich nach meinem besten Wissen und Gewissen sagen: China operiert im Augenblick auf der Basis von 5000 Jahren chinesischer Geschichte. Das muß man sich auch erstmal vergegenwärtigen, daß China ja die einzige Kultur ist, die diesen langen Zeitraum von 5000 Jahren ohne Unterbrechung und ohne große territoriale Verschiebungen als Kontinuum überlebt hat.

Das macht sich u.a. dadurch bemerkbar, daß z.B. die Rolle des Konfuzianismus ganz entscheidend für die Identität Chinas ist. Das macht sich auch in solchen netten Sachen bemerkbar wie einer ausgezeichneten Küche, die ja weltberühmt ist. In China kann man wirklich tausende von Gerichten essen, die alle vorzüglich sind, und die immer wieder neu sind, es gibt hunderte von regionalen Unterschieden.

Das ist einfach eine Kulturnation, die nicht imperialistisch ist, sondern die ein Interesse hat, daß sich die Menschheit voran entwickelt. Und dieses Konzept der Neuen Seidenstraße ist etwas, was China in gewisser Weise selbst erfahren hat in der Entwicklung seit der Kulturrevolution oder überhaupt, seitdem die Volksrepublik China 1949 gegründet worden ist. Da gab es natürlich gewisse Anfangsschwierigkeiten, da gab es die Kulturrevolution. Aber spätestens seit den Reformen von Deng Xiaoping hat China durch die Anwendung richtiger wissenschaftlicher Prinzipien die größte wirtschaftliche Transformation in seinem Land vollzogen, die irgendwo auf diesem Planeten stattgefunden hat. Und sie sind jetzt eben an dem Punkt, wo sie sagen: Wir werden auch die restlichen, noch nicht entwickelten Regionen Chinas so transformieren, den Lebensstandard der Bevölkerung erhöhen, aber wir werden vor allen Dingen dieses Modell der Entwicklung in der Form der Neuen Seidenstraße in der Tradition der alten Seidenstraße weltweit zur Verfügung stellen. Und das ist ein offenes Konzept. Da darf jeder mitarbeiten, da ist jeder eingeladen, mitzuarbeiten. Es ist also explizit inklusiv und nicht gegen die angeblichen geostrategischen Interessen anderer Nationen oder Gruppen von Nationen gerichtet.

Das ist ein ganz wichtiger Unterschied. Das ist eben nicht Geopolitik, sondern ein dynamisches Konzept der Aufwärtsentwicklung der menschlichen Gattung. Und ich fordere alle unsere Zuschauer heraus, die mir nicht glauben: Schicken Sie mir Fragen, ich bin gerne bereit, mich auf einen Dialog mit Ihnen einzulassen, denn das ist wirklich eine Frage von existentieller Bedeutung für Deutschland, daß wir das verstehen.“

(Die ganze Diskussion können Sie hier sehen.)


Neue gerechte Weltwirtschaftsordnung entsteht um die Neue Seidenstraße!

Neue gerechte Weltwirtschaftsordnung entsteht um die Neue Seidenstraße!

von Helga Zepp-LaRouche

 

Derzeit findet eine strategische Neuausrichtung einer großen Anzahl von Staaten statt, die trotz der Schrecklichkeiten, die in Südwestasien und der Ukraine stattfinden, und trotz des bevorstehenden transatlantischen Finanzkollapses berechtigte Hoffnung gibt, daß es möglich sein wird, die gegenwärtige zivilisatorische Krise der Menschheit zu überwinden. Das Kernstück dieser positiven Veränderung ist das Entstehen einer neuen ökonomischen Plattform um den Ausbau der Neuen Seidenstraße, den China zur Priorität seiner Außenpolitik erhoben hat.

In Anlehnung an die alte Seidenstraße, die vor 2000 Jahren zur Zeit der Han-Dynastie den Austausch von Gütern, Ideen und Kultur beförderte und allen beteiligten Völkern gegenseitigen Vorteil brachte, hat die chinesische Regierung dieses Modell der weltweiten Kooperation in moderner Form auf die internationale Tagesordnung gebracht. Es handelt sich dabei um ein offenes Konzept; zu Teilnahme und Kooperation sind alle Staaten eingeladen.

Staatspräsident Xi Jinping und zahlreiche Regierungsvertreter haben in internationalen Foren immer wieder die Prinzipien betont, auf denen der Ausbau der Neuen Seidenstraße-Wirtschaftszone beruht: die gegenseitige Förderung der Entwicklung, Nicht-Konfrontation, wechselseitiger Respekt und Dialog, Respekt für die Wahl des gesellschaftlichen Systems des anderen, Unterstützung für die strategischen Interessen des anderen Staates, absolute Achtung der Souveränität, Verzicht auf jegliche Form der Hegemonität.

Die Grundidee Chinas ist dabei, daß die enorme wirtschaftliche Entwicklung, mit der China seit den Reformen von Deng Xiaoping den größeren Teil seines Landes transformiert hat, auch von anderen Entwicklungsländern repliziert werden kann und damit die derzeitige Armut und Unterentwicklung überwunden werden können. Verschiedene Aspekte des Ausbaus der Seidenstraße sind bereits auf der Tagesordnung: die Verbindungen entlang der historischen Route in Zentralasien, die maritime Seidenstrasse, wozu u.a. auch der Bau eines „zweiten Panama-Kanals“ durch das Territorium Nicaraguas mit chinesischer Hilfe gezählt werden kann, die strategische Kooperation zwischen Rußland und China, die auf dem Gipfel im Mai zwischen den Präsidenten Putin und Xi Jinping beschlossen wurde. Dazu gehört im Prinzip auch das Angebot von Ministerpräsident Li Keqiang, daß China bereit sei, alle afrikanischen Hauptstädte durch ein Schnellbahnsystem miteinander zu verbinden.

Es ist zu erwarten, daß in dieser Woche bei dem Gipfel der BRICS-Staaten in Brasilien nicht nur die fünf Mitgliedsstaaten ihre Kooperation im Sinne der Seidenstraße intensivieren, sondern auf diversen bilateralen und multilateralen Treffen zwischen ihren Staatschefs und denen Lateinamerikas umfangreiche Projekte und Verträge vereinbart werden, die in ihrer Kombination den Beginn einer neuen Weltwirtschaftsordnung darstellen werden. Dabei sollen eine BRICS-Entwicklungsbank mit einem Startkapital von entsprechend 100 Milliarden Dollar sowie ein Devisen-Pool eingerichtet werden, der teilnehmende Entwicklungsländer besser gegen Währungsturbulenzen schützen soll; außerdem bereitet China die Gründung einer Asiatischen Infrastruktur-Investitions-Bank (AIIB) mit einem anfänglichen Grundkapital im Äquivalent von 50 Milliarden Dollar vor. Ziel dieser neuen Institutionen ist auch, die Abhängigkeit vom Dollar zu verringern und zu einem Handel in den jeweiligen Landeswährungen überzugehen.

Wie sind all diese Entwicklungen zu bewerten? Jedenfalls keineswegs so, wie es in einem geradezu hysterischen Artikel in Die Welt vom 7. Juli zum Ausdruck kam, in dem ein ewig-gestriger Johnny Erling sich ereifert: „Das Megareich greift nach der ganzen Welt.“ Der Autor, noch ganz im alten Denken der Geopolitik befangen, sieht in allen Anstrengungen Chinas, zu den Prinzipien der UN-Charta in den internationalen Beziehungen zurückzukehren, aber gleichzeitig eine Zukunftsvision für die Entwicklungsländer zu präsentieren, nur den Versuch Chinas, die ganze Welt zu übernehmen. Genau dies ist es aber nicht.

Denn gleichzeitig präsentierte China auf dem „6. strategischen und wirtschaftlichen Dialog China-USA“, einer zweitägigen Konferenz in Beijing, auch ein „Neues Modell für die Beziehungen zwischen großen Staaten“. Die Prinzipien für dieses neue Konzept wurden parallel auf einem Seminar des Zentrums für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington von einer hochrangigen Delegation des chinesischen Außenministeriums vorgestellt. Zha Peixin, Berater für auswärtige Politik, erläuterte die Grundsatzideen, die identisch sind mit denen, auf deren Basis China die Seidenstraße ausbauen will, und betonte, daß gute und stabile Beziehungen zwischen China und den USA zugleich einen Anker für Stabilität in der ganzen Welt repräsentieren und daß beide Staaten ein gemeinsames Schicksal und eine gemeinsame Verantwortung haben.

Leider konnten sich auch hier die meisten Teilnehmer nicht vom alten geopolitischen Denken lösen und wollten nur territoriale Dispute im Pazifik und im Chinesischen Meer diskutieren, ein Thema, zu dem das CSIS sogar in einer separaten Veranstaltung ein Kriegsspiel mit verteilten Rollen organisierte.

In seiner Glückwunschbotschaft zum 4. Juli betonte Rußlands Präsident Putin gegenüber US-Präsident Obama im gleichen Geist wie China seine Hoffnung, daß die Beziehungen zwischen Rußland und den USA, die durch eine reiche Geschichte miteinander verbunden seien, trotz der gegenwärtigen Unterschiede und Schwierigkeiten auch weiterhin eine erfolgreiche Entwicklung auf einer pragmatischen und gleichberechtigten Basis erleben werden. Beide Nationen trügen eine besondere Verantwortung für die internationale Stabilität und Sicherheit.

Angesichts der Tatsache, daß das russische Militär die amerikanische Unterstützung für die farbigen Revolutionen in der Ukraine, Georgien und anderen ehemaligen Staaten der Sowjetunion als unerklärte, aber tatsächliche Kriegshandlungen bezeichnet, und der aktiven amerikanischen Unterstützung für die Kriegsverbrechen, die die Kiewer Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung in der Ostukraine begeht, ist die Geduld erstaunlich, mit der Putin an seiner Politik der Kriegsvermeidung festhält.

Wo steht Deutschland?

Und wo platziert dies Deutschland im Kontext der erwähnten strategischen Neuausrichtung? Die chinesische Regierung rollte für Bundeskanzlerin Merkel bei ihrem jüngsten, siebten Staatsbesuch in China den roten Teppich aus und gibt der Beziehung zu Deutschland den höchsten Stellenwert in Europa. Neben umfangreichen wirtschaftlichen Kooperationsverträgen rief Xi Jinping 2015 zum deutsch-chinesischen Innovationsjahr aus.

Angesichts der überragenden Bedeutung, die China für die deutsche Wirtschaft und damit den Wohlstand der deutschen Bevölkerung hat, ist es allerdings bezeichnend für die Rolle, die die gleichgeschalteten Medien in Deutschland spielen, daß sich die chinesischen Firmen über die China-feindliche Berichterstattung beklagen mußten. Und auch Frau Merkel konnte es in ihrer Rede vor Studenten der Tsinghua-Universität nicht lassen, die Menschenrechtsfrage und die angeblich so erfolgreiche Energiewende in Deutschland anzusprechen. Erstens hat China ja wohl mehr als jedes andere Land für die Menschenrechte getan, indem es schätzungsweise 700 Millionen Menschen aus bitterer Armut befreit und zu einem guten Lebensstandard verholfen hat, und zweitens sollte Frau Merkel das Wort Menschenrechte nicht mehr in den Mund nehmen, solange ihre Regierung eine von Nazis durchsetzte Regierung in Kiew unterstützt und zu den Verbrechen in Odessa und der östlichen Ukraine schweigt, von den Menschenrechtsverletzungen der von ihr unterstützten Troika in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal ganz zu schweigen.

Deutschland befindet sich ebenso wie die anderen europäischen Staaten im Kreuzfeuer der sich ändernden Dynamik in der Welt, und es muß jetzt den etwas ungewohnten Schritt machen, seine eigenen Interessen durchzusetzen, die es nur verwirklichen kann, wenn es seine Souveränität wiedererlangt. Dies kann es nur unter den Rahmenbedingungen, die die eingangs skizzierte Politik Chinas der Neuen Seidenstraße bieten.

Ein Mini-Baby-Schritt in die richtige Richtung von Souveränität war die jetzt erfolgte Ausweisung des CIA-Chefs, der allerdings dringend substantielle Schritte zum Schutz der Bevölkerung vor der Totalüberwachung durch NSA, GCHQ und BND folgen müssen, wenn der Amtseid von Frau Merkel auch nur das Papier wert sein soll, auf dem er geschrieben steht.

Die Welt brennt an vielen Ecken. In der Ukraine, im Gazastreifen, im Irak und Syrien, in mehreren afrikanischen Ländern und anderswo werden Menschen zu Tausenden ermordet, ohne daß die „westliche Wertegemeinschaft“ es für nötig erachtet, die Schuldigen beim Namen zu nennen oder ihr Tun zu unterbinden.

Die neue Weltwirtschaftsordnung, die durch Chinas Politik der Neuen Seidenstraße im Entstehen ist, ist eine wirkliche Alternative, die im ureigensten Interesse Deutschlands liegt, und an der in Zukunft hoffentlich auch die USA teilnehmen werden, wenn sie von der imperialen Politik auf Basis der angloamerikanischen Sonderbeziehung ablassen und wieder zu ihrer Identität als Republik und Verfassungsstaat zurückkehren. Hoffnung dafür gibt es.


Helga Zepp-LaRouche: Eine Vision der Hoffnung für die Menschheit

Im Wortlaut

Vielen Dank für die Einleitung, und vielen Dank für die Begrüßung.

Ich denke, wir alle sind uns der Tatsache bewußt, daß wir uns derzeit inmitten eines Weltdramas befinden, das so gigantisch ist, daß es selbst für Shakespeare oder Schiller heute eine Herausforderung wäre, etwas auf die Bühne zu bringen, das größer als der gegenwärtige welthistorische Moment wäre. Denn wenn man sich die Weltlage betrachtet, in der Gesamtheit all dessen, was vor sich geht, dann ist das unglaublich. Wir stehen vor einer Explosion des Finanzsystems, daß, wenn sie eintritt – was jederzeit geschehen könnte -, alle vorherigen Finanzkrisen dagegen wie „peanuts“ aussehen würden, einschließlich der Großen Depression der 1930er Jahre.

Das Finanzsystem könnte sich über Nacht in Luft auflösen, was ein Vorstandschef einer großen Consultingfirma mit einer Supernova verglichen hat, d.h., wenn ein Stern an sein Ende kommt und in einem gewaltigen Ausbruch von Licht und Energie vergeht.

Die Finanzoligarchie, die dieses gegenwärtige Finanzsystem beherrscht, plant nichts weniger als eine Weltdiktatur. Es besteht die klare Absicht, alle Überbleibsel der nationalen Souveränität zu beseitigen. In Europa ist ihnen das schon sehr weitgehend gelungen, und in auch den Vereinigten Staaten ist die Verfassung beinahe weg, wenn nicht gar in ihr Gegenteil verkehrt.

Diese Kreise wollen alle Errungenschaften des Völkerrechts für die Menschen beseitigen und haben das auch schon weitgehend erreicht. Sie wollen zu einer Feudalordnung zurückkehren, die auf einer Bevölkerungsdichte beruht, die mit einer Feudalordnung einhergeht – und das bedeutet eine dramatische Reduzierung der Weltbevölkerung, von sieben auf eine Milliarde oder, wer weiß, auch gar keine Menschen mehr.

Sie riskieren die Existenz der Zivilisation, indem sie mit einem thermonuklearen Krieg spielen und verfolgen eine Politik der Regimewechsel gegen jedes Land auf der Welt, das nicht bereit ist, sich dieser Weltordnung zu unterwerfen.

Deshalb sehen wir eine Politik, die die Zivilisation im besten Fall in ein neues Finsteres Zeitalter stürzen und auf Generationen hinaus Not und Elend bringen würden, oder wir erleben, schlimmstenfalls, die völlige Auslöschung der Menschheit, was alle Werke und kreativen Leistungen aller unserer Vorfahren vernichten würde, und selbst die Erinnerung daran würde ausgelöscht.

Die Alternative: das Ende der Oligarchie

Auf der anderen Seite haben wir das Potential, der Oligarchie ein- für allemal ein Ende zu bereiten, und das Versprechen des großen amerikanischen Präsidenten John Quincy Adams zu erfüllen: eine Allianz vollkommen souveräner Nationalstaaten auf dem Globus. Wir könnten durch Entwicklung einen Friedensprozeß zwischen den Nationen in Gang setzen und Armut und Elend für Milliarden Menschen, die jetzt darunter leiden, beseitigen – endgültig! Und das wäre in sehr kurzer Zeit möglich.

Wir könnten also eine neue Ära der Geschichte der menschlichen Zivilisation einleiten, die ebenso dramatisch anders sein könnte wie die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, die von dem großen Denker Nikolaus von Kues eingeleitet wurde, der das Fundament für die moderne Zeit legte.

Wir könnten also bewußt eine neue Ära der Menschheit in Gang setzen, in der wir dieses unwürdige oligarchische System hinter uns lassen und die Identität der Menschheit auf die wahre Natur des Menschen gründen, nämlich die Kreativität, und eine Zivilisation schaffen, in der die Menschen erwachsen sind. Sie wären geeint durch die gemeinsamen Ziele der Menschheit, und würde aufhören, nach einem närrischen, virtuellen Geld zu gieren, das sich sowie bald in Luft auflösen wird.

Nun, um zu dieser zweiten Version beizutragen, zum besseren Ausgang der gegenwärtigen Geschichte, haben wir diese Konferenzen des Schiller-Instituts eingeleitet und natürlich auch einen Kampf in aller Welt. Aber es ist sehr klar, was immer wir in Europa oder anderen Teilen der Welt tun: die Entscheidung darüber, in welche Richtung wir an dieser historischen Weggabelung gehen, liegt bei den Vereinigten Staaten. Denn die Vereinigten Staaten sind es, die die Macht dazu haben; sie sind ein großes Land. Als ich von Washington nach Kalifornien reiste, erinnerte ich mich daran, daß es wirklich ein sehr großes Land ist! Und es hat gewaltige Reichtümer, die Ihnen, wenn Sie nicht reisen, vielleicht nicht so bewußt sind.

Es ist ein großartiges Land, und es hat gewaltige Leistungen in der Weltgeschichte vollbracht. Aber ich kann Ihnen versichern, daß das nicht das Bild der Vereinigten Staaten ist, das die Menschen in aller Welt sehen. Denn das Erbe von drei Bush-Administrationen und mehr als einer Obama-Administration hat das Bild der Vereinigten Staaten verzerrt, und die Menschen vergessen die großartige Tradition der Vereinigten Staaten.

Amerika muß wieder Amerika werden

Lassen Sie uns also einen heiligen Eid schwören, das großartige Amerika wiederherzustellen und die Vereinigten Staaten nach all den Jahren der Zerstörung seit der Ermordung John F. Kennedys wiederaufzubauen.

Die Vereinigten Staaten müssen wieder das werden, was sie einmal waren, mit den Gründervätern, mit Alexander Hamilton, John Quincy Adams, Lincoln, Roosevelt, Martin Luther King und John F. Kennedy. Sie müssen wieder für die ganze Welt zum Leuchtturm der Hoffnung und zum Tempel der Freiheit werden. Sie müssen das werden, was die Gründerväter inspirierte – ein Ort, an den alle republikanischen Kräfte der Welt gehen wollen. Sie müssen wieder werden, was sie unter Franklin D. Roosevelt waren – ein Befreier der Welt vom Faschismus. Sie müssen wieder das Bild der Hoffnung werden, wie es John F. Kennedy und die Mondlandung verkörperten, die eine ganze Generation optimistischer Kinder schuf, die glaubten, daß alles möglich ist, wenn man auf Wissenschaft und Technik setzt.

Wir müssen wieder den kulturellen Optimismus haben, der mit der Idee verbunden ist, daß die Menschheit in der Lage ist, den Weltraum zu erforschen und zu besiedeln, und daß wir, indem wir ein anderes Großprojekt Kennedys, die Nordamerikanische Wasser- und Stromallianz (NAWAPA), verwirklichen, die Zivilisierung und die Kolonisierung des Westens weiterführen können, die mit der Zeit Teddy Roosevelts aufhörte und von der schon Abraham Lincoln gesagt hatte, daß die Infrastrukturentwicklung die Gesellschaft durch Modernisierung und Urbanisierung vertiefe, anstelle einer bloß horizontalen Expansion. Und deshalb brauchen wir große Infrastrukturprojekte in der Tradition der TVA, als Stufen auf dem Weg zur Realisierung der Weltlandbrücke und des Wiederaufbaus der Weltwirtschaft.

Die größte Hoffung: Der Kampf für Glass-Steagall

Aber die hoffnungsvollste Bewegung, die wir derzeit in Richtung der zweiten Option sehen, von der ich gesprochen habe, ist der Kampf für die Wiedereinführung des Glass-Steagall-Gesetzes in den Vereinigten Staaten, die der absolut unverzichtbare erste Schritt ist. Denn wir stehen vor der Gefahr eines neuen Faschismus, und wir haben im Grunde nur dann eine Chance, wenn wir zu dieser Glass-Steagall-Tradition zurückkehren.

Nun, Glass-Steagall ist eines der Dinge, die den Vereinigten Staaten gehören, und alle Europäer sagen uns: „Das ist eine amerikanische Sache, wir haben diese Tradition nicht, wir haben Universalbanken.“ Das stimmt zwar nicht ganz, aber ich denke, Glass-Steagall gehört wirklich den Amerikanern, in der gleichen Weise wie die amerikanische Verfassung und die Erklärung der Unabhängigkeit, an denen sich die großen Denker und Präsidenten stets orientiert haben, so, wie Abraham Lincoln und Martin Luther King zur Verfassung zurückkehrten.

Wir müssen also heute Glass-Steagall wiederbeleben, denn das war in den 1930er Jahren der Unterschied, als Europa in Richtung des Faschismus ging, während Franklin Roosevelt der Gefahr des Faschismus ein Ende setzte, indem er Glass-Steagall einführte und die Trennung der Banken durchsetzte.

Er fügte noch die Pecora-Kommission hinzu und zitierte diese Bankiers vor Anhörungen, und die meisten oder jedenfalls viele von ihnen gingen ins Gefängnis, wie das Pecora in seinem Buch Wall Street under Oath („Die Wall Street unter Eid“), so begeisternd beschrieben hat.

Die Beseitigung des Roosevelt-Erbes

Die US-Bevölkerung hat, im Gegensatz zur den Europäern, in ihrem Gedächtnis gewissermaßen die kollektive, genetische Erinnerung daran, daß man mit der Politik von Glass-Steagall das Land aus der Depression führen kann. Das sieht man schon daran, wie lange es gedauert hat, Roosevelts Maßnahmen rückgängig zu machen, was leider schon gleich mit Truman begann, der sich mit Churchill verbündete und das Erbe Roosevelts, der den Faschismus besiegt hatte, wirklich verraten hat, und dann von Nixon fortgesetzt wurde, der 1971 das Bretton-Woods-System beseitigte. Das, wie mein Ehemann Lyndon LaRouche damals in prophetischer Weise erkannt hat, würde entweder zu der Gefahr einer neuen Depression und eines neuen Faschismus führen, oder in Richtung einer neuen Weltordnung.

Der nächste Akt der Beseitigung des Roosevelt-Erbes war das, was die Trilaterale Kommission 1976 mit ihrer Politik der „kontrollierten Desintegration der Weltwirtschaft“ getan hat, was der Grund dafür ist, daß die hoffnungsvolle Entwicklung vieler Länder der Dritten Welt abgebrochen wurde. „Niemals wieder ein neues Japan“, lautete der Slogan dieser Leute – wobei „Japan“ dafür steht, ein feudales Land auf der Grundlage der Methoden des Amerikanischen Systems innerhalb weniger Jahre in ein hochentwickeltes Industrieland zu verwandeln.

Dann kam 1984 Alan Greenspan, der damals für J.P. Morgan arbeitete und bereits darauf hinarbeitete, Glass-Steagall zu beseitigen – zusammen mit Herrn [William] Dudley, der gegenwärtig Chef der New Yorker Fed ist. 1987 wurde Alan Greenspan Chef der Federal Reserve und begann, Glass-Steagall zurückzufahren, indem er den Banken mehr Befugnisse gab, zu spekulieren.

1999 wurde dann Glass-Steagall aufgehoben. Seit jener Zeit gab es eine Orgie der Deregulierung in den Vereinigten Staaten und in Europa, und es entwickelte sich eine weltweite Kasinowirtschaft. Schritt für Schritt wurde das Finanzsystem in ein Monstrum verwandelt! Nun, diese Formulierung, „Monstrum“, stammt nicht von mir, sondern von Horst Köhler, dem früheren deutschen Bundespräsidenten, der zeitweise Direktor des Weltwährungsfonds war. Und wir haben es mit einem Monstrum zu tun.

Ein betrügerisches System

John Perkins, der das autobiographische Buch „Bekenntnisse eines Economic Hit Man“ verfaßt hat, beschrieb darin, mit welchen Methoden dieses System gegenüber der Dritten Welt vorging. Und wenn man sich die umfangreiche Liste der Verbrechen ansieht, die das Bankensystem schon seit sehr langer Zeit begeht, dann sieht man, daß es schon vor sehr langer Zeit aufgehört hat, ein Diener der Industrie zu sein, was das Bankensystem sein sollte, und daß sie nicht im Interesse des Gemeinwohls arbeiten, wie es in der Präambel der Verfassung gefordert wird, sondern sie haben ihre Kunden immer wieder betrogen.

Im Libor-Skandal haben die „Too-big-to-fail“-Banken, die sogenannten „G-SIFIS“ – die global systemisch bedeutenden Finanzinstitute -, ihre Kunden jahrzehntelang um dreistellige Milliardenbeträge betrogen. Sie haben ihre Kunden beschwindelt, indem sie ihnen, wie Goldman Sachs und viele andere, wertlose Papiere verkauften; sie haben, wie Goldman Sachs, die Bücher frisiert, um Griechenland in den Euro zu holen. Die Hong Kong und Shanghai Banking Corp. hat 85% der mexikanischen Drogengelder gewaschen und dabei 80 Mrd.$  Profit gemacht – und mußte dafür eine Strafe von 1,9 Mrd.$ bezahlen, was sie von Anfang an in ihre Berechnungen als Betriebskosten einkalkuliert hatten und was nicht mehr ist als eine milde Rüge.

Viktor Iwanow, der russische Drogenbekämpfungszar, und Antonio Maria Costa, der Drogenbekämpfungszar der UN, haben beide wiederholt darauf hingewiesen, daß das gesamte Bankensystem schon längst bankrott wäre ohne den Zufluß aus der Geldwäsche des internationalen Drogenhandels.

Ich könnte diese Liste noch weiterführen, aber ich wollte bloß andeuten, womit wir es zu tun haben, nämlich nicht mit Bankiers oder einem Bankensystem, das gewissermaßen legitim oder nett ist, sondern mit einem System, das als System kriminell geworden ist. Im Madoff-Skandal beschwindelte der frühere Vorsitzende der NASDAQ-Börse seine Kunden in einem Ponzi-Kettenbrief-Schwindel um 50 Mrd.$.

Seit der Deregulierung des Systems habe ich wiederholt darauf hingewiesen, daß das gesamte internationale Finanzsystem nichts weiter ist als ein solcher gigantischer Ponzi-Schwindel. Sie haben durch Glückspiele vorsätzlich Blasen aufgebaut und den Geiz und die Profitgier der Menschen ausgenützt; sie haben immer wieder kleine Investoren hineingelockt und diese betrogen, und ein gigantisches System für den Transfer von Besitz von den Armen zu den Reichen aufgebaut. Sie schufen Finanzblasen: die New-Economy-Blase – die sogenannte dot.com-Blase – die im März 2000 platzte, bei der einfach mal 13 Billionen Dollar beseitigt wurden und eine Menge Menschen betrogen wurden. Dann platzte im Juli 2007 die Blase der nachrangigen Hypotheken. Wiederum hatte mein Ehemann eine Woche zuvor gewarnt, daß es dazu kommen würde, und daß man danach die Desintegration des Weltfinanzsystems erleben würde – und er lag vollkommen richtig.

Das Bail-out-Instrument

Als dann am 15. September 2008 Lehman Brothers kollabierte, löste dies kurzfristig eine Schockwelle aus, die um die Welt lief. Und sie erfanden das sogenannte „Bail-out-Instrument“, was im wesentlichen eine Methode war, um private Spielschulden in Staatsschulden zu verwandeln, für die der Steuerzahler bezahlen mußte. Das war verbunden mit der brutalen Austerität der Troika – IWF, EZB und EU-Kommission. Sie zerstörten etwa 30% der Realwirtschaft in Griechenland, Spanien, Italien, Portugal, und ruinierten die Gesundheitssysteme, sie steigerten die Selbstmordraten – allein in Griechenland haben sich innerhalb eines Jahres mehr als 1000 Menschen aus Verzweiflung umgebracht, und das sind Zahlen von 2010. In Griechenland sind heute 64,2% der jungen Menschen arbeitslos, und in Spanien 60%! Diese Länder werden in Länder der Dritten Welt verwandelt.

Dies wurde von den Vereinten Nationen als „Menschenrechtsverletzung“ eingestuft. Manuel Alegre [aus Portugal] sagte, was die EU derzeit mache, verwandle ganz Europa in ein Konzentrationslager, wo diejenigen, die noch nicht zur Schlachtbank geführt werden, nicht darüber jubeln sollten, denn sie werden die nächsten sein.

Es ist also ein großer Fehler, zu meinen, daß all das Sie nicht betrifft. Denn in den Vereinigten Staaten gibt es bereits solche Bereiche wie Griechenland. Sehen Sie sich Detroit an: Detroit war einmal die viertgrößte Stadt des Landes, sie hatte in den sechziger Jahren das höchste Pro-Kopf-Einkommen, und sie hat seit den 60er Jahren 63% seiner Bevölkerung verloren. 40% der Straßenlaternen funktionieren nicht, 60% der Kinder leben in Armut, weniger als 50% der Menschen, die dort leben, haben Arbeit, 47% der Bevölkerung in Detroit sind funktionelle Analphabeten. Die Mordrate ist elfmal so hoch wie in New York, und nur 10% der Verbrechen werden aufgeklärt, weil die Polizei so stark verkleinert wurde.

Das Bail-out-Instrument, das seit fünf Jahren angewendet wurde und mit dem 24-30 Billionen an Geld in das Finanzsystem gepumpt wurden, um es am Leben zu erhalten, ist an seinem sicheren Ende angekommen, denn wir stehen nun unmittelbar vor einer Hyperinflation. Deshalb hat Bernanke jetzt angekündigt, daß er das Quantitative Easing bremsen wird, was sofort zu einer extremen Volatilität der Märkte führte: die „aufstrebenden Märkte“ sind kollabiert, und die Märkte reagierten mit extremer Nervosität.

Nun, wenn man sich den permanenten Bail-out-Fonds anschaut, der in Europa geschaffen wurde, den ESM: dieser hat bloße 500 Mrd Euro, und die Financial Times brachte gerade erst einen Kommentar von Wolfgang Münchau, in dem er sagte, das sei lächerlich, denn diesem Bail-out-Fonds stehen 2,5 Billionen Euro an faulen Schulden allein in den europäischen Banken gegenüber.

Die europäische Krise kehrt also gerade voll zurück.  Italien wird schon bald ein neues Paket brauchen, ebenso Spanien, Portugal, Griechenland und Zypern, und das nächste große Land wird dann Frankreich sein. Das ist also mit den normalen Mitteln gar nicht zu bewältigen.

Forderung nach Bankendiktatur

J.P. Morgan hat kürzlich ein Forschungspapier mit dem Titel „Die Anpassung der Eurozone – ungefähr die Hälfte des Wegs“ veröffentlicht,1 was soviel heißt wie: Der halbe Weg zu einer Bankendiktatur ist geschafft, es gibt keine nationale Souveränität mehr. Aber das Hindernis sei immer noch das politische Erbe der Länder der südlichen Peripherie – damit sind Griechenland, Italien, Spanien etc. gemeint -, die immer noch Verfassungen haben, die in der Nachkriegszeit gemacht wurden und deshalb antifaschistische Richtlinien enthalten. Und damit müsse man brechen, weil die politischen Systeme dieser Länder immer noch typischerweise solche Aspekte enthalten wie „schwache Exekutivorgane; schwache Zentralstaaten im Verhältnis zu den Regionen; verfassungsmäßiger Schutz von Arbeitnehmerrechten; konsensbildende Systeme, die politische Klientelwirtschaft begünstigen; und das Recht auf Protest, wenn es zu unwillkommenen Veränderungen des politischen Status Quo kommt“ – also das Recht, gegen eine ungerechte Politik zu demonstrieren.

Sie schreiben weiter: „Die Mängel dieses politischen Erbes wurden durch die Krise aufgedeckt. Die Länder an der Peripherie waren nur teilweise erfolgreich beim Erstellen von fiskalischen und wirtschaftlichen Reformagenden, weil die Regierungen durch Verfassungen (Portugal), mächtige Regionen (Spanien) oder das Aufkommen populistischer Parteien (Italien und Griechenland) daran gehindert wurden.“

Das ist unglaublich! Wenn man das, was sie hier schreiben, aus dem Bankiersjargon übersetzt, dann sagen sie, wenn die Menschen demonstrieren, um ihre Arbeit zu behalten: „Das muß aufhören. Die Rechte der Gewerkschaften müssen weg, die Menschenrechte müssen weg, die Demokratie muß weg.“ Und ich kann Ihnen versichern, daß ein großer Teil davon in Europa bereits beseitigt wurde!

Nach dem Bail-out: der Bail-in

Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ging bei ihrem Jahrestreffen in diesem Monat, am 23. Juni, im Grunde noch einen Schritt weiter und sagte, das Quantitative Easing müsse gestoppt werden. Statt dessen sollte man brutale Austerität mit einer Bail-in-Politik kombinieren. Nun, am Bail-in-Instrument hat der Finanzstabilitätsrat, der in den Räumlichkeiten der BIZ in Basel in der Schweiz angesiedelt ist, schon seit 2009 gearbeitet. Und die Linie, mit der man das anpreist, ist: „Oh, wir sollten keine Bail-out-Pakete mehr haben, der Steuerzahler sollte nicht länger bezahlen, sondern die Banken selbst, die Aktionäre, die Reichen sollten bezahlen.“

Das ist offensichtlich eine Menge Unsinn, denn wenn man sich genauer anschaut, was beim Bail-in, der sogenannten „Zypern-Schablone“ geschieht, wurde an dem Punkt, als klar war, daß Zypern den Punkt der Zahlungsunfähigkeit erreicht hatte, bei den beiden größten Banken einen „Haarschnitt“ von 60% vorgenommen, und in den drei Monaten, seit dies geschah, ist die Realwirtschaft in Zypern um 70% geschrumpft! Dieses Land liegt am Boden – Bankrotte, Arbeitslosigkeit. Schon jetzt ist die Lebenserwartung von 80 auf 75 Jahre zurückgegangen. Zypern wird praktisch abgeschafft! Unter dem gegenwärtigen Regime hat Zypern keinerlei Chance, wieder auf die Beine zu kommen!

Die EU-Kommission, die zusammen mit dem Finanzstabilitätsrat eine Richtlinie für den Bail-in ausgearbeitet hat, gibt selbst zu, daß dieses Gesetz von der ISDA verfaßt wurde, der International Swaps and Derivatives Association, und wenn man nachschaut, was das ist, dann besteht sie aus den 28 „Too-big-to-fail“-Banken! Sie haben also ein Gesetz verfaßt, das die Politiker umsetzen sollen, und der Bail-in bedeutet einfach, daß es eine Hierarchie von Gläubigern geben wird, die bezahlen müssen, aber die Derivate werden davon ausgenommen. Denn, wie sie in ihrer Erklärung schreiben, einige Leute würden zwar fälschlicherweise meinen, daß Derivate eine normale Form von Kapital seien, und deshalb glauben, daß sie aus Gründen der Fairneß ebenfalls einem „Haarschnitt“ unterzogen werden sollten, aber das sei nicht so, und deshalb sollte man die Derivate ausnehmen. Stattdessen sollen die Halter von Anleihen, die Aktionäre, die Leute, die Guthaben haben, allesamt einen Beitrag leisten.

Nun, die EU-Finanzminister haben diesem Entwurf der EU-Kommission diese Woche zugestimmt, und nun wird er dem Europäischen Parlament zugeleitet, wo er noch in diesem Jahr zur Abstimmung kommen soll. Das soll dann der erste Schritt zu einer Bankenunion sein, in der die Europäische Zentralbank die Bankaufsicht wäre und der Europäische Stabilitäts-Mechanismus mit der grenzüberschreitenden Abwicklungsbehörde zu einer einzigen Institution zusammengefaßt werden soll.

Das bedeutet, daß beispielsweise die deutschen Sparkassen bezahlen müßten – und damit auch die Leute, die in diesen Banken kleine Guthaben haben -, wenn eine große französische Bank pleite geht, und das wird schon ziemlich bald geschehen, da sind wir absolut sicher.

Jetzt hat das belgische Magazin Express gerade berichtet, daß sich die EU-Finanzminister bei ihrem Treffen, das in dieser Woche (am 26. Juni) stattfand, vor allem auf ein Papier der einflußreichen Boston Consulting Group (BCG) – das ist die zweitgrößte Management-Consulting-Firma der Welt – gestützt haben,2 ein Papier vom September 2011, das praktisch ein Plan ist, einen großen Teil der Finanzwerte mit einem Schlag zu beseitigen. Sie schreiben im wesentlichen, daß das Finanzsystem so überschuldet ist, daß man einen drastischen Haarschnitt durchführen müsse – rund 34% in Europa insgesamt, 26% in den Vereinigten Staaten, 27% in Großbritannien, 47% in Griechenland, 56% in Spanien und 57% in Portugal.

Austerität ist Völkermord

Aber wenn man das tut, dann bringt man – in den hochindustrialisierten Teilen Europas ebenso wie in den landwirtschaftlichen Regionen – sofort massenweise Menschen um. Denn das geht einher mit den Kürzungen im Gesundheitssystem, den Kürzungen bei den Renten und der Zerstörung der Realwirtschaft.

Dann sagen sie in dem Papier der Boston Consulting Group, es müsse eine „klare Verpflichtung der EU-Regierungen geben, etwas in der dringenden Frage der altersbedingten Ausgabensteigerungen zu tun.“ Nun, was bedeutet das? Wie Sie wissen, haben wir, beispielsweise in Deutschland, eine demographische Entwicklung, in der jetzt viele Menschen das Rentenalter überschritten haben, und nur eine sehr geringe Geburtenrate. Dadurch entsteht ein gewisses Problem – das man aber leicht lösen könnte: Wenn man 3% Wirtschaftswachstum hätte, kann man das problemlos lösen. Aber wenn man Nullwachstum oder negatives Wachstum hat, wie wir es im Moment haben, dann geht es eher um eine Euthanasie im Stil der Nazis, indem sie die Renten und die Sozialversicherung beseitigen, das Rentenalter anheben – was vielleicht für einige Leute in Ordnung ist, weil sie weiterarbeiten wollen, aber bei Menschen, die hart gearbeitet haben und kaputt sind, wenn sie das Rentenalter erreichen, verkürzt das deren Leben! Und genau das ist die Absicht.

Diese Maßnahme, dieser plötzliche Haarschnitt, würde die Hebelwirkung der Fremdfinanzierung umkehren, und, wie sie sagen, „soziale Unruhen riskieren“. Tatsächlich würde das eine soziale Explosion auslösen.

Nun, Schäuble, der deutsche Finanzminister, hat bei dem jüngsten Treffen eine 8%ige Kürzung für alle vorgeschlagen, was zurückgewiesen wurde. Aber die BCG sagt, nur eine Kürzung um 30% und mehr öffne den Weg aus der Krise.

Nun, das halte ich für vollkommen verrückt, denn es würde zu einem Massensterben in Europa und in den Vereinigten Staaten führen. Und es würde das fundamentale Problem nicht lösen, nämlich die 1,4 Billiarden an ausstehenden Derivatkontrakten, die der ISDA zufolge von dem Haarschnitt ausgenommen werden sollen. Es würde die Menschen umbringen, und die virtuellen Werte der Spekulanten erhalten.

Nun, führende Vertreter der EU-Kommission diskutierten kürzlich in einem privaten Kreis – und wir haben das von sehr zuverlässigen Leuten erfahren, die an diesen Gesprächen beteiligt waren – daß man die Lebenserwartung leider auf 66 Jahre reduzieren müsse, weil man die Renten nicht bezahlen könne. In Europa wird momentan auch davon gesprochen, daß die nationalen Haushalte noch in diesem Jahr weitere etwa 100 Milliarden in diesen europäischen Fonds, der geschaffen werden soll, einzahlen müßten.

Die Lösung: Glass-Steagall und Kreditsystem

Die Bail-in-Politik würde alles zerstören, was gut ist – die Realwirtschaft, die Löhne, die Renten, die Sozialsysteme – und wertlose spekulative Titel am Leben erhalten. Deshalb müssen wir dagegen absolut auf den Kriegspfad gehen und sagen: „Keinen weiteren Bail-out, und keinen Bail-in!“ Wir müssen diesen Raubzug gegen den Teil der Wirtschaft, der immer noch produktiv ist, aufhalten, und alles stoppen, was das System des Giftmülls fördert.

Deshalb hat Lyndon LaRouche kürzlich gefordert, daß die Vereinigten Staaten alle unbezahlbaren Schulden von den großen Londoner und europäischen Banken zurückzufordern. Das muß vorbeugend geschehen, bevor diese Bail-in-Politik eingeführt ist, es muß jetzt geschehen. Es wäre so etwas wie eine sofortige Nachschußforderung auf diese Schulden, und dann würde der völlige Bankrott dieser Banken und ihrer amerikanischen Partner offensichtlich.

Dem muß offensichtlich sofort die Wiedereinführung von Glass-Steagall durch den US-Kongreß folgen, und dann könnte man so etwas wie die Resolution Trust Corp. schaffen, die man in der Sparkassenkrise einsetzte. Glass-Steagall würde dann die Banken aufspalten: Man würde die Geschäftsbanken unter staatlichen Schutz stellen, und die Investmentbanken müßten sich dann selbst helfen, ohne Gelder der Steuerzahler, ohne Bail-outs, und wenn ihre Bücher dann zeigen, daß sie in roten Zahlen sind, dann haben sie Pech gehabt und müssen Insolvenz anmelden.

Dem muß natürlich ein Kreditsystem folgen, das sofort das Wachstum wiederherstellt und für produktive Vollbeschäftigung sorgt. Dann muß, wie wir schon seit einiger Zeit ausgearbeitet haben und wie Sie noch hören werden, NAWAPA [die Nordamerikanische Wasser- und Stromallianz] sofort zum Motor der US-Wirtschaft werden und sechs Millionen Arbeitsplätze schaffen. Und das ist nur der Anfang.

Vorbild für das Bail-in: der Versailler Vertrag

Aber betrachten wir kurz die Geschichte, womit wir es hier zu tun haben. Denn der Bail-in-Plan von BIZ, EU-Kommission und JPMorgan ist faktisch eine Wiederholung dessen, was der Versailler Vertrag nach dem Ersten Weltkrieg mit Deutschland machte – nur wollen sie diesmal den Versailler Vertrag auf die ganze Welt anwenden.

Am Ende des Ersten Weltkriegs verkündeten die Alliierten, Deutschland sei allein schuld am Ersten Weltkrieg, was heute kein ehrlicher Historiker mehr behauptet und was völlig absurd ist, wenn man die Rolle der Briten bei der Manipulation des geopolitischen Schachbretts betrachtet. Das begann mit der Entlassung von Bismarck als Kanzler, nachdem Bismarck Deutschland aus einem Feudalstaat in eine hochindustrialisierte Nation verwandelt hatte, auf der Grundlage des Amerikanischen Systems! Denn Bismarck änderte seine Politik vollkommen, nachdem er Henry C. Careys Theorien kennengelernt hatte, und fing an, den Freihandel abzulehnen und setzte statt dessen auf Protektionismus.

Daraus entwickelte sich der Bau der Transsibirischen Eisenbahn zwischen Deutschland, Rußland und anderen Teilen Europas, und deshalb erfanden die Briten – Mackinder, Milner und Haushofer -die Theorie der Geopolitik, die im Grunde besagt, daß derjenige, der das „eurasische Herzland“ beherrscht, den Planeten beherrschen werde. Und das sei ein Nachteil für die Länder am Atlantik.

Die Rolle der Briten bei der Bereitung der Bühne für den Ersten Weltkrieg ist wohldokumentiert, und Sie können das in unseren Publikationen finden.

Nun, der Versailler Vertrag erlegte Deutschland die gesamten Kriegskosten auf, das waren damals 169 Mrd. Goldmark, 295% des deutschen Wirtschaftsprodukts. Wenn man es auf die amerikanischen Zahlen für 2012 überträgt, wo das BIP 15 Billionen Dollar betrug, dann entspräche das 44,25 Billionen Dollar, die die USA bezahlen müßten, über drei Generationen. Diese Zahlungen wurden von Frankreich, Großbritannien, Belgien und Italien gefordert, die wiederum bei der Londoner City und der Wall Street verschuldet waren.

Eine der Banken, die das vermittelt hatten, war J.P. Morgan Jr. – John Pierpont Morgan junior -, und nach Aussage der Bank selbst spielte diese Bank eine bedeutende Rolle bei der Finanzierung des Siegs der Alliierten. So finanzierte sie beispielsweise im September 1915 eine anglo-französische Anleihe von 500 Mio.$, was die größte Anleihe war, die die Wall Street bis dahin vergeben hatte, und sie wurde dazu benutzt, Waffen zu kaufen, bei denen J.P. Morgan auch als US-Kommissionär wirkte.

Es war natürlich völlig ausgeschlossen, daß die deutsche Wirtschaft dies bezahlen konnte. Wie man weiß, begann die Reichsbank, Geld zu drucken, und im Frühjahr 1923, als der französische Premierminister Poincaré und der belgische König mehr Geld von Deutschland forderten und Deutschland nicht bezahlen konnte, besetzten sie das Rheinland und konfiszierten die Kohle direkt. Dann explodierte zwischen dem Frühjahr und November 1923 die Hyperinflation, und die ganze Wirtschaft kam zum Stillstand, als die Menschen schließlich ihre Reichsmark vor 12 Uhr mittags in Schubkarren brachten, weil dann die nächste Preisanhebung festgesetzt wurde und das Geld nichts mehr wert war.

An diesem Punkt bestimmten die Alliierten zehn Banken aus fünf Ländern unter der Führung von Charles Dawes, einem von J.P. Morgan ausgewählten Banker, der von Owen Young unterstützt wurde, einem weiteren Bankier von J.P. Morgan, und 1924 wurde in London der Dawes-Plan unterzeichnet. Er sah den Abzug der französischen und belgischen Truppen vor, die Reduzierung der jährlichen Zahlungen und eine Reform der Reichsbank.

Und die Alliierten beschlossen, in der Reichsbank als Direktor Hjalmar Schacht einzusetzen. Er war ein Vorstandsmitglied der Dresdener Bank und Gründer der Deutschen Demokratischen Partei. Hjalmar Schacht arbeitete sehr eng mit J.P. Morgan zusammen, und sie legten eine Anleihe von 800 Millionen Reichsmark auf, die angeblich zur Entwicklung von Industrie und Infrastruktur eingesetzt werden sollten, um Deutschland in die Lage zu versetzen, mehr Reparationen zu bezahlen. In Wirklichkeit flossen diese Gelder zum großen Teil in finanzielle Netzwerke, das mit J.P. Morgan verbunden war – IG Farben und andre – die Hitlers Finanziers wurden.

Die Verhandlungen über die Umsetzung begannen im Februar 1929 zwischen Schacht und J.P. Morgan, der für die Vereinigten Staaten verhandelte, aber dann kam der große Krach an der Wall Street vom Oktober 1929, und niemand konnte mehr irgendwelche Kredite vergeben. An diesem Punkt wurde in Deutschland unter Kanzler Brüning einer extremen Austeritätspolitik unterworfen, die dazu führte, daß die Arbeitslosigkeit von 1,5 Millionen auf 6 Millionen anwuchs, und ohne die Hitler nicht in der Lage gewesen wäre, die Macht zu ergreifen. Und natürlich wurde Hitler von einigen Bankiers aus London und New York finanziert – Leuten wie Montagu Norman, Averell Harriman, Prescott Bush. Es gab eine große Affinität zur American Eugenics Society, die schon in den 1920er Jahren mit den Nazis zusammengearbeitet hatte, weil deren Rassenpolitik ihr gefiel.

Diese Kreise waren auch an einem Putschversuch gegen Franklin Roosevelt beteiligt und versuchten, Generalmajor Smedley Butler zu einem Putsch gegen Roosevelt zu überreden, was aber nicht funktionierte, weil dieser dies dem US-Kongreß und den Medien enthüllte.

„Ein Umfeld wie in den 1930er Jahren“

Damit also haben wir es zu tun, und offensichtlich, wie sie selbst zugeben, indem sie auf die 1930er Jahre verweisen, sehen sich solche Leute wie die Boston Consulting Group und andere in dieser Tradition.

Die Lehre, die hieraus also zu ziehen ist, ist, daß die Kombination von Schulden-Tyrannei und  Schachtscher Ökonomie Faschismus ausbrütet. So wie die BCG schreibt: „Die Programme, die wir beschreiben, wären drastisch und sie wären unpopulär. Je länger die Politiker und Banker abwarten, desto notwendiger werden die Reaktionen sein, die in diesem Papier beschrieben werden. Leider wird, um einen Konsens über solche harten Maßnahmen zu erreichen, möglicherweise ein Umfeld nötig sein, wie wir es zuletzt in den 1930er Jahren gesehen haben.“ Nun, das ist die Politik, auf die sich die EU-Finanzminister mit ihrem „bail-in“ soeben geeinigt haben:  Faschismus.

1971 führte Lyndon LaRouche eine berühmte Debatte am Queens College in New York mit Abba Lerner, und er brachte Abba Lerner zu dem Eingeständnis: „Wenn die Menschen Hjalmar Schacht akzeptiert hätten, dann wäre Hitler nicht notwendig gewesen.“ Nun haben die EU-Finanzminister gerade Schacht akzeptiert.

Die transatlantische Welt steckt in einer Schuldenfalle wie beim Versailler Vertrag. Die Milliarden, die Deutschland bezahlen mußte, entsprechen den Billiarden an ausstehenden Derivaten, die sich derzeit auf 1,4 Billiarden belaufen. Und wenn man das um die Hälfte reduziert – denn das ist die Menge, die bei den Derivatkontrakten an die Gegenpartei fließt – dann wäre das immer noch eine Summe von 700 oder 800 Billionen, im Vergleich zu den mageren 500 Milliarden Euro im Europäischen Stabilitäts-Mechanismus!

Damit macht die Versailler Bail-in-Politik die Welt faktisch zur Geisel der Vergangenheit. Und wie Sie wissen, hat dies zum Zweiten Weltkrieg, zur Hyperinflation und zur Großen Depression geführt. Heute, das kann ich Ihnen versichern, würde das zum Dritten Weltkrieg führen – nur viel schneller. Denn wenn Sie sich die Lage in Syrien und im Iran anschauen: das ist schon jetzt ein wahres Pulverfaß, und noch ein weiterer Schritt, dann würde sie in eine Eskalation eintreten, die nicht mehr aufzuhalten ist.

Es wurde kürzlich ein offizielles Papier von der US-Luftwaffe vorgelegt, indem ganz offen gesagt wird, daß die bisherige NATO-Strategie der gegenseitig garantierten Vernichtung (mutally assured destruction, MAD) nicht mehr gelte. Diese besagt, daß man Atomwaffen nicht einsetzen kann, weil das heißen würde, daß dann jeder jeden vernichtet und nichts übrig bleibt. Jetzt, so argumentieren sie, es seien neue Technologien entwickelt worden, und diese würden erlauben, das Nukleararsenal des Gegners ohne nuklearen Fallout auszuschalten.

Damit geht man von MAD zum schieren Wahnsinn über!

Die heilige Mission der Vereinigten Staaten

Nun, die Glass-Steagall-Politik und das, was Roosevelt getan hat, haben gezeigt, wie wir aus der Depression wieder herauskommen können. Lyn hat gestern abend in seinem Internetforum, das Sie sich alle anschauen sollten,3 eine nationale Kampagne für das wirkliche Glass-Steagall gefordert, für das, was es wirklich bedeutet: Was sind die Prinzipien eines Kreditsystems, was ist das Menschenbild, mit dem es verbunden ist? Und ich denke, wir müssen uns in den Vereinigten Staaten zu einer heiligen Mission verpflichten, Glass-Steagall durchzusetzen. Denn die Vereinigten Staaten können das! Denn sie haben noch das kostbare Gut der nationalen Souveränität, auch wenn sie in Gefahr ist. Aber es gibt die Präambel der Verfassung, es gibt die Erklärung der Unabhängigkeit, und das ist ein sehr, sehr kostbares Gut.

Denn wenn Sie die Evolution des souveränen Nationalstaats betrachten – das war verbunden mit enormen Kämpfen. Es war offensichtlich nichts, was es vorher schon gab, denn im Mittelalter existierten imperiale Strukturen, das Papsttum und die Kaiser, und sie bildeten ein universelles System, in dem es keine Staaten gab. Es waren also enorme Kämpfe notwendig, um zu den ersten souveränen Nationalstaaten zu gelangen, die zuerst in England von Heinrich VII Tudor, und in Frankreich von Ludwig XI. und in Sizilien von Friedrich II. von Hohenstaufen geschaffen wurden.

Aber dazu brauchte man Nikolaus von Kues und seine äußerst wichtige, bahnbrechende Schrift De Concordantia Catholica, in der er zum ersten Mal das repräsentative System entwickelte, einschließlich der Idee, daß vor dem Gesetz alle gleich sind. Und er definierte, daß Regierungen nur legitim sind mit der Zustimmung der Regierten. Ich denke, daß man sich darauf wieder berufen muß.

Nikolaus sagte, daß diese Zustimmung der Regierten dazu, daß sie regiert werden, ein Menschenrecht ist – nicht bloß für Deutschland, sondern für alle Menschen auf der Welt. Er sagte, selbst in so weit entfernten Ländern wie Äthiopien sollten die Menschen das gleiche Recht haben. Es hat das also als ein universelles Prinzip definiert.

Er sagte auch, daß alle legitime Autorität auf der gewählten Konkordanz und der freiwilligen Unterordnung der Regierten beruht, aufgrund der Tatsache, daß alle Menschen mit gleichen natürlichen Rechten und mit einem göttlichen Samen ausgestattet sind , so daß alle Autorität, die ebenso wie der Mensch von Gott kommt, als göttlich betrachtet wird, wenn sie aus der Zustimmung der Regierten resultiert. Und deshalb ist ein System der Gleichheit vor dem Gesetz, das repräsentative System, in dem die Repräsentanten für die Rechte der Regierten kämpfen müssen, der einzige Weg, wie die unveräußerlichen Rechte aller Individuen geschützt werden können.

Dies wurde also 1433 von Nikolaus von Kues geschrieben, und es dauerte genau 343 Jahre, bevor es in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung realisiert wurde.

In Europa haben wir einige Verfassungen, die sich dem annähern, aber niemals in einer so mächtigen Form, wie es die amerikanische Verfassung tut. Und wir haben bereits alle nationale Souveränität an die EU-Diktatur verloren.

Das erlegt Ihnen – dem amerikanischen Volk und dem US-Kongreß – eine ganz besondere Verantwortung auf, denn Sie sind die Vertreter genau dieses repräsentativen Systems. Lassen Sie uns also eine leidenschaftliche Kampagne organisieren für das, was wir 1945 gesagt haben: „Nie wieder!“ Ich appelliere an Sie, das amerikanische Volk, die Welt erneut vor dem Faschismus zu retten.

Wir haben ein Weltdrama, aber es spielt sich nicht auf der Bühne ab, sondern in der wirklichen Geschichte, und wir, unsere Organisation, sind die Hauptdarsteller. Stellen wir also sicher, daß es nicht als eine Tragödie endet, sondern der Beginn eines neuen Paradigmas ist, einer zweiten Amerikanischen Revolution und einer neuen Renaissance für die gesamte Menschheit. [Applaus]

 

Anmerkungen:

2. JPMorgan, Europe Economic Research Group, „The Euro-Area Adjustment – About Halfway There“, http://culturaliberta.files.wordpress.com/2013/06/jpm-the-euro-area-adjustment-about-halfway-there.pdf.

2. David Rhodes und Daniel Stelter, „Back to Mesopotamia? The Looming Threat Of Debt Restructuring”, https://www.bcgperspectives.com/content/articles/management_two_speed_economy_back_to_mesopotamia/

3. Das Video finden Sie im englischen Original auf der Internetseite des LaRouche-Aktionskomitees, unter http://larouchepac.com/node/27158.


Walter Jones: Ohne Vernunft auf den Finanzmärkten kann die Welt nicht weiter existieren

Der amerikanische Kongreßabgeordnete Walter Jones übermittelte der Konferenz des Schiller-Instituts die folgende Videobotschaft.

Transkript

Hallo, mein Name ist Walter Jones. Ich vertrete den 3. Wahlkreis von Nord-Carolina, und es ist mir eine Ehre, zu Ihnen, den Teilnehmern des Schiller-Institut-Forums, das so wichtig und entscheidend ist, sprechen zu können.

Der Titel Ihrer Konferenz lautet „Das Notwendige tun, um die Freiheit zu gewinnen: Die letzte Chance für die Menschheit“. Der Grund, warum man mich gebeten hat, kurz zu Ihnen zu sprechen, ist der, daß ich der Republikaner im Repräsentantenhaus bin, der zusammen mit der Demokratin Marcy Kaptur für die Wiedereinführung von Glass-Steagall eintritt. Meiner bescheidenen Meinung nach ist dies eines der wichtigsten Gesetze im Repräsentantenhaus und im Senat, wenn wir wieder für Vernunft auf den Finanzmärkten sorgen wollen.

Diese Welt kann unmöglich weiter existieren, wenn wir nicht wieder für Vernunft auf den Finanzmärkten sorgen. Ich sehe hier in Amerika sehr viele Aktivitäten dieser großen Banken in Washington, die keine Wiedereinführung von Glass-Steagall wollen. Sie versuchen, andere Abgeordnete zu beeinflussen, und sagen ihnen: „Nein, unterschreibt dieses Gesetz von Marcy Kaptur und Walter Jones nicht.“

Aber ich möchte den LaRouche-Leuten sagen: Ihr leistet hervorragende Arbeit und helft uns, die Zahl der Unterzeichner zu erhöhen. Wir sind jetzt bei 53 Mitgliedern des Abgeordnetenhauses und wir arbeiten weiter daran und werden weitere Abgeordnete dafür gewinnen. Aber was in Amerika eigentlich entscheidend ist, das ist, daß sie [die LaRouche-Aktivisten] zu den Landtagen, den Abgeordnetenhäusern und Senaten, in den Bundesstaaten gehen und sie auffordern, Resolutionen zu unterzeichnen. Das haben sie auch in meinem Heimatstaat Nord-Carolina getan. Ich denke, was sie eingebracht haben, wird auch verabschiedet werden.

Aber wir müssen das amerikanische Volk ansprechen, damit es versteht, daß unsere Finanzinstitute nicht überleben werden, wenn wir nicht Glass-Steagall wieder zurückholen. Und wir werden hier im Kongreß wirklich hart dafür arbeiten und versuchen, andere Mitglieder unter unseren Kollegen anzusprechen und sie bitten, daß sie sich uns anschließen, damit wir unsere Finanzmärkte stärken, statt unsere Finanzmärkte zu prostituieren.

Es gibt noch ein anderes Thema, das ich kurz ansprechen möchte: Der 11. September [2001] war eine der schlimmsten Tragödien, die Amerika je erlebt hat. Es war sehr traurig, eine Tragödie, mehr als 3000 Amerikaner wurden getötet. Terroristen in Flugzeugen brachten riesige Gebäude zum Einsturz, versuchten das Weiße Haus anzugreifen und griffen das Pentagon an. Ich kann ehrlich sagen, ich bin ein sehr gläubiger Mensch und ich glaube fest an die Wahrheit. Und kein Land – weder Ihr Land noch mein Land – wird überleben können, wenn wir, das Volk, nicht die Wahrheit verlangen. Ich habe einen Brief geschrieben, in dem ich den Geheimdienstausschuß, dessen Vorsitzender Mike Rogers ist, gebeten habe, eine Anhörung über die Arbeit von Senator Bob Graham zu veranstalten, der sich unablässig bemüht, der Öffentlichkeit zu zeigen, daß es im Untersuchungsbericht über den 11. September 28 Seiten gibt, die entklassifiziert werden müssen, damit die Amerikaner und ganz besonders die Angehörigen der Opfer des 11. September sehen können, was vor sich geht.

Deshalb möchte ich Ihnen, bevor ich schließe, einen Abschnitt aus diesem Brief vorlesen, den ich an den Vorsitzenden und an den Sprecher der Opposition geschickt habe.

„Angesichts dieser Anhörungen fordere ich Sie als Vorsitzenden und Oppositionssprecher auf, die Aufhebung der Geheimhaltung für die 28 Seiten aus dem Bericht der Gemeinsamen Untersuchungskommission zu empfehlen, in dem beschrieben wird, wie die saudische Regierung in den Terroranschlag des 11. September [2001] verwickelt war. Wie Sie wissen, hat der frühere Senator Bob Graham diese Frage gründlich untersucht und ist national bekannt dafür und interviewt worden wegen seiner Überzeugung, daß diese 28 Seiten freigegeben werden sollten.

Die Angehörigen der Opfer des 11. September haben ein Recht auf diese Informationen und ebenso das amerikanische Volk. Da Ihr Ausschuß für diese Frage zuständig ist, bitte ich Sie und den Oppositionssprecher, die beiliegende Korrespondenz von Herrn Mike Low zu prüfen, der an jenem tragischen Tag im American Airlines-Flug 11 eine Tochter verloren hat. Wie Herr Low sagt: ,Unsere Hoffnung ist, daß im Lauf der Zeit die Geschichte die ganze Wahrheit über das Geschehen des 11. September erfährt.’ “

Das amerikanische Volk muß sich hinter diese Bemühungen stellen. Es sind Bemühungen im Dienst der Angehörigen und im Dienst der Stärke Amerikas und das heißt, wir brauchen die Wahrheit.

Vielen Dank, daß Sie mir ein wenig von Ihrer Zeit geliehen haben. Auf Wiedersehen.


Helga Zepp-LaRouche

Helga Zepp-LaRouche: Ein neues Paradigma zur Rettung der Menschheit

Die New Yorker Konferenz des Schiller-Instituts am 26. Januar wurde von der Vorsitzenden des Instituts, Helga Zepp-LaRouche, mit der folgenden Rede eröffnet.

Meine Damen und Herren, liebe Mitglieder und Freunde des Schiller-Instituts, ich denke, wir alle sind heute hier in dem vollen Bewußtsein versammelt, in welcher extrem ernsten Lage die Menschheit sich befindet. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht klar, ob diese Menschheit eine Zukunft haben wird oder nicht.

Der Grund, warum ich das sage, ist, daß mehrere existentielle Krisen zusammenfallen, von denen jede einzelne ausreichen würde, die Überlebensfähigkeit der menschlichen Gattung in Frage zu stellen. Die erste, die gefährlichste und besonders akute Gefahr ist natürlich, daß die Krise im Nahen Osten, die sich jetzt schnell auf Nordafrika ausweitet, ein „neuer Balkan” geworden ist, also das, was der Balkan vor dem Ersten Weltkrieg war. Es gibt eine Kombination von Allianzen, bei der schon ein einzelner Auslöser, nur ein Schritt über das Bestehende hinaus, den dritten Weltkrieg auslösen kann. Und das wäre diesmal ein thermonuklearer Krieg. Jedermann weiß, daß z.B. ein Militärschlag gegen den Iran sofort einen thermonuklearen dritten Weltkrieg auslösen würde. Es könnte sogar schon mit dem Sturz der Regierung Assad anfangen oder auch einfach nur mit fortgesetztem Chaos, wie wir es gerade jetzt mit der Ausbreitung von Al-Kaida im Nahen Osten und Nordafrika erleben.

Sollte es zu diesem thermonuklearen Krieg kommen, dann ist sehr wahrscheinlich, daß niemand übrig bleibt, daß es einen nuklearen Winter gäbe, wo die Menschen, die in den ersten Stunden sterben, sich noch glücklich schätzen können im Vergleich zu denen, die später sterben. Das Problem ist, daß das den Menschen nicht mehr bewußt ist, aber erinnern Sie sich, daß Präsident Kennedy während der Kubakrise genau das gesagt hat. Und weil inzwischen die Waffenarsenale noch viel größer geworden sind, hat auch die Zerstörungskraft stark zugenommen.

Die zweite große und potentiell existentielle Krise ist die Tatsache, daß das gesamte transatlantische Finanzsystem wegen der Hochrisiko-Spekulation – den 25% Profit, von denen Herr Ackermann gerne sprach – und der ständigen staatlichen Rettungsaktionen für die systemrelevanten Banken jetzt soweit gekommen ist, daß nur noch eine hyperinflationäre Explosion des ganzen Systems folgen kann.

Wenn das geschieht – und es gibt Anzeichen dafür, daß es schon diese oder nächste Woche passieren kann, oder im Februar, jedenfalls bald -, dann gäbe es eine Hyperinflation wie in Deutschland 1923. Und das bedeutet die brutalste Enteignung der Bevölkerung. Wenn das passiert, gäbe es eine unglaubliche politische und soziale Krise, denn wenn man sich vorstellt, wie es in der ganzen Eurozone und der Dollarzone, und dann übergreifend auf den Rest der Welt eine Hyperinflation gäbe wie in Deutschland 1923, dann würde dieses Chaos die Zivilisation unmittelbar in ein finsteres Zeitalter stürzen.

Die dritte Krise, die ich erwähnen möchte, ist die unglaubliche kulturelle und moralische Krise. Denken wir an die Verbreitung von Drogen, Pornographie, Gewalt und besonders, wie das inzwischen die Jugendkultur prägt. Es gibt nicht nur immer mehr Massaker wie das in Newtown, wo verrückte Leute viele andere Kinder und Lehrer töten, sondern es gibt eine Krise in den Köpfen der jungen Menschen! Wenn 12jährige Kinder schon „alles kennen”, alles Erdenkliche mitgemacht haben in Bezug auf Pornographie, Vergewaltigung usw., was bleibt dann noch im Denken dieser Generation? Das ist etwas, was die Vereinigten Staaten und ganz Europa und mit der Globalisierung leider viele andere Länder betrifft.

Das Menschenbild, das das zugrundeliegende Axiom aller dieser Krisen darstellt, ist ein bestialisches Bild geworden, wo die Werte völlig verkommen und degeneriert sind. Das liegt nicht daran, daß der Mensch von Natur aus so ist – ich glaube nicht, daß der Mensch grundsätzlich schlecht ist -, sondern ich denke, daß das oligarchische System, das die Globalisierung betreibt, im wesentlichen das gleiche tut, was das Römische Reich getan hat, um bewußt die Moral der Menschen zu schwächen, sie zu verdummen, damit sie mehr oder weniger wehrlos sind oder es ihnen jedenfalls so scheint. Denn wenn man auf die Straße geht, wie wir das jeden Tag tun, da sagen die Leute: „Ach, da kann man ja doch nichts machen“, und das ist ein sicheres Zeichen für die Oligarchie, wenn die Menschen das sagen.

Der Punkt, den ich machen will, ist: Die Krise ist so vielfältig, daß nur ein völliger Paradigmenwechsel, ein völliger Wertewandel dieses Problem lösen wird. Vor fast 46 Jahren, am 4. April 1967, sprach Martin Luther King in dieser Kirche, er hielt eine Rede mit dem Titel „Über Vietnam hinaus – Zeit, das Schweigen zu brechen“, eine sehr, sehr emotionale und wirkungsvolle Verurteilung des Vietnamkrieges. Und er sagte, was wir wirklich brauchen, ist ein neuer Weg, heraus aus der Dunkelheit, die um uns herum so nahe erscheint, und dann forderte er eine „radikale Revolution der Werte“.

Genau das ist auch die existentielle Notwendigkeit heute. Wir brauchen eine totale, fundamentale Veränderung des Paradigmas, und es muß ein Aufwärtssprung sein, so grundlegend wie der Paradigmenwechsel, der Mittelalter und Neuzeit trennt, den Nikolaus von Kues mit seinen Schriften bewußt hervorrief. Er brach bewußt mit der herrschenden Ideologie der Zeit, nämlich der Scholastik, einem unglaublichen Aberglauben, dem damaligen formallogischen Denken der Peripatetiker, und er führte eine ganz neue Denkweise ein, die zu all den Durchbrüchen der Neuzeit führte: den Durchbrüchen in der modernen Wissenschaft, den Durchbrüchen in der klassischen Komposition und vielem anderen.

Was ich am erschreckendsten finde, wenn ich an die gegenwärtige Lage denke, ist, wie nahe wir einer völligen Katastrophe sind und die Regierungen, zumindest keine der führenden Regierungen der G20 und viele andere, dies nicht einmal zugeben wollen! Sie handeln weiter so, daß der Weg schrittweise immer weiter in die Katastrophe führt.

Gestern wurde berichtet, daß auch die deutsche Regierung Kampfdrohnen produziert. Das ist verrückt! Warum würde jemand eine Politik fortsetzen, Menschen zu töten, wenn es absolut unmöglich ist, zwischen Kriminellen, Terroristen und zivilen Opfern zu unterscheiden? Und das Problem ist nicht nur, daß sie nicht reagieren, sondern daß sie sich auf einem Kurs befinden, der ins Desaster führt, und daß auch die Bevölkerung unmoralisch ist.

Ich stimme in der Hinsicht mit unserem nächsten Sprecher überein, daß leider nur ein sehr kleiner Teil der Menschen die Moral und den Mut hat, etwas zu tun, und der Zweck dieser Konferenz, so wie bei früheren und folgenden Konferenzen, ist der, an die vielleicht 5% der Bevölkerung zu appellieren, die den Mut haben, sich gegen die Mehrheit und gegen das gegenwärtige Paradigma zu stellen – Menschen, die sich von einer inneren Wahrheit führen lassen und fähig sind, die Konsequenzen der gegenwärtigen Politik zu durchdenken. Denn die große Mehrheit, wahrscheinlich 95% oder mehr, sind von außen gelenkt: Sie mögen unmoralische Unterhaltung, sie suchen Vergnügen im hier und jetzt. Oder sie sind einfach so damit beschäftigt, nur jeden Tag ihr Essen zu beschaffen und zu überleben, daß sie nicht die Energie haben, größere Fragen zu durchdenken wie Strategie, Geschichte, Wissenschaft und Kultur.

Deshalb müssen wir die 5% finden und mobilisieren, die intellektuell und moralisch in der Lage sind, sich zu verbünden und diesen Paradigmenwechsel zu bewirken. Wir hatten Ende letzten Jahres eine Konferenz in der Nähe von Frankfurt und wir werden viele weitere solche Konferenzen veranstalten und Leute einladen, beizutragen – Papiere, Diskussionen, Seminare -, um das neue Paradigma zu definieren, denn das ist das absolut notwendige Umfeld, das wir als Flanke schaffen müssen. Wir müssen die besseren Teile der Bevölkerung mobilisieren, aber wenn es hart auf hart kommt, sind wir so unmittelbar in der Krise, daß, wenn der amerikanische Kongreß nicht sofort, in den nächsten Tagen, Glass-Steagall beschließt – und wenn das geschieht, wird ähnliches in Europa in Gang kommen -, schon sehr bald Chaos ausbrechen wird.

Ich kann Ihnen versichern: Wenn man mit einigen der Topbanker spricht, wenn sie privat ehrlich sind, dann geben sie zu, daß in einer Minute alles zusammenbrechen kann und daß die Leute, die diese Politik vorantreiben, völlig unverantwortlich sind.

Glass-Steagall ist jetzt der absolut notwendige erste Schritt, und es sieht nicht so schlecht aus, denn wir haben eine unglaublich erfolgreiche Mobilisierung, Glass-Steagall international auf den Tisch zu bringen. Das „Trennbankensystem“, wie man es auf deutsch nennt, war noch vor zwei Jahren völlig unbekannt; und gerade heute morgen habe ich in meiner Mail in einem Artikel aus der Süddeutschen Zeitung gelesen, daß die Banker jetzt erkennen, daß die Politik mit der Bankentrennung ernst macht, daß es nicht mehr nur die „Spinner“ sind – damit sind natürlich wir gemeint! -, die das vorantreiben.

Es ist aber noch nicht entschieden, ob es der Vorschlag von der Vickers-Kommission sein wird, die Volcker-Regel, Dodd-Frank oder Liikanen, all diese verwässerten Versionen, oder was sonst. Sie erwähnen natürlich nicht Glass-Steagall, sie erwähnen nicht Kapturs Gesetzentwurf im Kongreß. Angesichts der Tatsache, daß der deutsche Wahlkampf für die Bundestagswahl läuft, wird das ein beherrschendes Thema sein, und ich kann Ihnen versprechen, wir werden dafür sorgen, daß es das echte Glass-Steagall sein wird.

Auch in den Vereinigten Staaten hat Richard Fisher vor etwa einer Woche eine sehr wichtige Rede im Nationalen Presseclub gehalten und darin die Aufspaltung der systemrelevanten „too-big-to-fail“-Banken gefordert.

Nun, warum ist das jetzt unbedingt notwendig?

Letzte Woche gab es in Königstein im Taunus bei Frankfurt eine Podiumsdiskussion mit Anshu Jain, heute Kodirektor der Deutschen Bank, Jamie Dimon von JP Morgan, Klaus Engel, Chef des Chemiekonzerns Evonik, und Nikolaus von Bomhard, Chef der Munich Re, der größten Rückversicherungsgesellschaft der Welt. In dieser Debatte, deren Thema die Banken waren, sagte Klaus Engel, der Leiter des Chemieunternehmens, „unsere giftigen Produkte sind zumindest streng reguliert“, und Jamie Dimon antwortete: „Aber Ihre Fehler haben Menschenleben gekostet, unsere nicht.“

Nun, das kann ich so nicht stehenlassen, denn das ist ein Fall von Chuzpe, wie ich ihn noch nie gesehen habe, und dann erst recht noch von JP Morgan! Denn es war eben diese Bank JP Morgan, die gleich nach Franklin D. Roosevelts Tod anfing, die strengen Vorschriften von Glass-Steagall zu untergraben, das fing schon in den 50er Jahren an. Es war JP Morgan, wo damals Alan Greenspan Direktor war, die 1984 eine Schrift veröffentlichte „Wie man Glass-Steagall wieder abschafft“. Als Alan Greenspan in den 80er und 90er Jahren Chef der Fed war, unterminierte er Glass-Steagall Schritt für Schritt, und natürlich war er mittendrin, als 1999 Glass-Steagall abgeschafft wurde und die ganze Deregulierung losging.

Diese Deregulierung führte zur Aktienblase, dann der Blase der minderwertigen Hypotheken, und 2007 brach dann die jetzige globale Finanzkrise voll aus und es kam die Politik der endlosen Rettungspakete. In den USA sind es – niemand weiß es genau, weil die Federal Reserve keine Bilanzprüfungen zuläßt, es gibt dort keine Transparenz -, aber es sind vielleicht 30 Billionen Dollar allein für die US-Banken. Gleichzeitig gab es eine totale Umwandlung privater Wettschulden in Staatsschulden, wodurch die sogenannte „Staatsschuldenkrise“ ausbrach, die in Wirklichkeit eine Banken- und eine Zockerkrise ist. Jetzt kommen sie plötzlich an und sagen, wir wollen Kürzungen und ausgeglichene Staatshaushalte auf Kosten des Lebensstandards der Bevölkerung.

Eine Oppositionspartei in Griechenland, die Unabhängigen Griechen, hat am 16. Januar beim Internationalen Strafgerichtshof eine Klage gegen die sogenannte Troika, den IWF, die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingereicht, wegen der Maßnahmen, die diese Troika seit Mai 2010 bis heute erzwungen hat. Diese Politik habe zu 3500 Selbstmorden geführt, dem Verlust von 1,5 Mio. Arbeitsplätzen, Tausenden Betriebsschließungen, und verstoße gegen das Römische Statut des Strafgerichtshofs und gegen die Grundrechte-Charta der EU, die im französischen Nizza im Dezember 2000 beschlossen wurde und die bestätigt, daß jeder Mensch das Recht auf Leben hat. Der Klage zufolge trägt der Staat die Verantwortung, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben jeder Person zu schützen.

Und das ist nur Griechenland. In Italien gibt es Märsche der Witwen von Unternehmern, die wegen dieser Politik Selbstmord verübt haben. Der frühere Nahrungsmittelbeauftragte der UN Jean Ziegler hat gesagt, daß als Folge dieser Politik alle fünf Sekunden ein Kind stirbt; täglich verhungern 57.000 Menschen. Für eine Tankfüllung Biotreibstoff für einen SUV braucht man 352 kg Mais, das reicht, um ein Kind ein ganzes Jahr lang zu ernähren. Als Folge dieser Politik sind 2,2 Mio. Kinder in der EU unterernährt; 43 Mio. Menschen in den USA sind auf Lebensmittelmarken angewiesen. In Spanien bringen 55% der Lehrer Essen mit in die Schule, weil die Kinder sonst nichts zu essen haben.

Jean Ziegler sagt, angesichts der Tatsache, daß wir alle Technologien haben, um das zu lösen, und die Erde leicht 12 Milliarden Menschen ernähren könnte, sei das Mord, und er beschreibt sehr, sehr dramatisch, warum Hunger die schlimmste Todesart ist: Er führt zu einer schrecklichen Agonie, die Menschen werden lethargisch, dann führt er zum Kollaps des Immunsystems; man bekommt schweren Durchfall und extreme Schmerzen. Das Endstadium ist dann Muskelatrophie und dann Tod.

Und ich meine, wir sollten daran denken, denn die Bankenpolitik ist nicht ohne Zusammenhang mit den Folgen, egal was behauptet wird. Es gibt in ganz Europa, besonders in Großbritannien, und in den Vereinigten Staaten, eine Dreiklassenmedizin: Reiche Menschen können sich gute Krankenversorgung leisten; dann gibt es einige, die versorgt werden; aber viele können es sich auch nicht leisten, zum Arzt zu gehen, weil sie nicht einmal die verschriebenen Medikamente bezahlen können. Auf diese Weise wird das Leben der Menschen verkürzt.

Fünfeinhalb Jahre nach dem Ausbruch der Krise im Juli 2007 ist mehr Giftmüll in den Banken als je zuvor. Das haben uns Spitzenbanker in Europa gesagt, die für unsere Glass-Steagall-Methode sind. Schon 2003 nannte Warren Buffett die Derivate „Massenvernichtungswaffen“, und jedesmal, wenn es um ein Rettungspaket ging, wurde mit diesen Massenvernichtungswaffen gedroht. Wenn z.B. Herr Dallara vom IIF, dem International Institute of Finance, der Lobby der 620 größten Banken, beim EU-Gipfel am Tisch sitzt, drohen sie immer: „Wenn ihr nicht tut, was wir euch sagen, fällt das ganze Bankensystem auseinander“. Und derselbe Herr Dallara sagte gerade in Davos beim laufenden Weltwirtschaftsforum: „Ein neuer großer Sturm steht bevor”, und er gab der G20 schuld, weil die nicht genug getan hätte.

Aber wenn man es sich einmal anschaut, was haben diese „systemrelevanten“ Universalbanken erreicht? Der Libor-Skandal: die 40 größten Banken haben ihre Kunden über mehrere Jahrzehnte um mehrere hundert Milliarden Dollar betrogen! Die Hongkong und Shanghai Banking Corp. (HSBC) wurde angeklagt, aber leider nicht bestraft, weil sie 85% des mexikanischen Drogengelds gewaschen hat. Das Drogengeld ist laut Antonio Maria Costa, dem früheren Exekutivdirektor bei der UN-Behörde gegen Drogen und Verbrechen, und Viktor Iwanow, seinem russischen Amtskollegen, der einzige Grund, warum das Finanzsystem noch nicht zusammengebrochen ist, und alle Banken aller Größen sind daran beteiligt.

Der Deutschen Bank wird Betrug beim Handel mit CO2-Emissionszertifikaten und Steuerhinterziehung vorgeworfen und im Dezember gab es zwei Razzien der Büros der Deutschen Bank, eine davon mit 500 bewaffneten Polizisten! Nicht gerade ein kleines Kontingent.

Lanny Breuer, der Leiter der Kriminalabteilung des US-Justizministeriums, wurde kürzlich in einer Fernsehsendung namens „Frontline“ bloßgestellt. Man fragte ihn, warum keine einzige Wallstreet-Bank für ihre Verbrechen vor Gericht verfolgt wurde? Und Breuer antwortete, er könne nachts nicht schlafen, wenn er daran denke, was geschehen würde, wenn man eine Bank A verurteilt, denn es hätte Folgen für alle anderen. Dann sagte Senator Ted Kaufman, das sei sehr beunruhigend, denn die Aufgabe eines Staatsanwalts sei es nicht, nachts wach zu liegen und sich Sorgen zu machen, sondern Verbrechen zu verfolgen.

Richard Fisher hat gefordert, die Großbanken aufzuspalten, denn 0,2% der Banken in den USA verfügten über 69% der Vermögenswerte. Fisher merkte auch richtig an, daß Dodd-Frank, wozu die ganze Volcker-Regel gehört, alles noch schlimmer gemacht hat.

Wir brauchen also die komplette Glass-Steagall-Regulierung, wie bei Roosevelt. Fisher betonte auch: Wenn man versucht, ein völlig undurchsichtiges System von Derivaten und kreativen Finanzinstrumenten mit einem noch komplizierteren Regelwerk zu regulieren, dann wird das nicht funktionieren.

Schauen Sie sich nur an, was sie zustandegebracht haben. Der Entwurf für „Basel III”, womit das Eigenkapital der Banken erhöht werden sollte, hat 616 Seiten. Das Formular (spreadsheet) für den Quartalsbericht der Fed hat 2271 Spalten. Das Dodd-Frank-Gesetz von 2010 hat 848 Seiten und so viele Vorschriften, daß 30.000 Seiten an juristischen Zusätzen hinzukommen können, wenn es komplett festgeschrieben wird. Glauben Sie wirklich, damit könnte man jemand beeindrucken? Das ist immer die Taktik, damit niemand es wirklich versteht, und der einzige Weg, das zu lösen, ist Glass-Steagall: Die Banken trennen und die Geschäftsbanken schützen, den Investmentbanken sagen, daß sie ihr Problem allein ohne Steuergelder lösen müssen und wenn sie Insolvenz erklären müssen, dann ist das eben so.

Dann braucht man natürlich gleich ein Kreditsystem. Wenn wir das nicht machen, bekommen wir in den nächsten Tagen oder Wochen ein unkontrollierbares Chaos, eine hyperinflationäre Explosion und das geben die Leute jetzt auch schon zu. Z.B. hat Prof. Sinn vom ifo-Institut in München gerade in einem Artikel geschrieben, daß das Bankensystem am Rande des Bankrotts steht; Gläubiger der Banken werden kein Geld zurückbekommen, und z.B. allein die sechs am meisten betroffenen Länder in Europa haben 9,4 Bio. Euro ausstehende Schulden, davon ein Drittel Staatsschulden.

Wenn man das mit den existierenden Instrumenten vergleicht, dem sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus, mit $80 Mrd. Kapital und $620 Mrd. Garantien – wenn man diese Schulden bedienen will, kommt man sofort in die Hyperinflation! Es gibt jetzt also eine Debatte über Bankentrennung, aber wir müssen sicherstellen, daß es das komplette Glass-Steagall wird.

Es ist genauso, wie Richard Fisher im Nationalen Presseclub gesagt hat: Der Schutz für die Investmentbanken muß komplett abgezogen werden, aber wir müssen auch die Hedgefonds loswerden, die Private Equity Funds, Schattenbanken usw.

Glas-Steagall ist das heißeste Thema, aber es ist nur der erste Schritt. Wir brauchen, unmittelbar damit verbunden, auch ein Kreditsystem in der Tradition von Alexander Hamiltons Nationalbanksystem. Wir brauchen Kreditlinien für Investitionen in große Infrastrukturprojekte. Das Schiller-Institut hat in den letzten 40 Jahren, aber vor allem in den letzten 20 Jahren seit dem Fall der Mauer, etwas ausgearbeitet, was auf einen globalen Marshallplan hinausläuft, ein globales Wiederaufbauprogramm.

Dies hier ist ein Bericht, den wir 1990 veröffentlicht haben, gleich nachdem die Berliner Mauer gefallen war und es den Eisernen Vorhang nicht mehr gab. Das war die Idee, die Industrie- und Bevölkerungszentren Europas und Asiens durch sog. „Entwicklungskorridore“ zu integrieren.

Das war damals nur eine Idee. Wir hatten etwa 100 Konferenzen, Vorträge und Seminare überall auf der Welt. Und schließlich entwickelte sich das weiter zur Weltlandbrücke, d.h. der Idee, die ganze Welt mit Infrastruktur zu verbinden, vom Süden Chiles durch Mittelamerika und Nordamerika über die Beringstraße zur Eurasischen Landbrücke und über mehrere Brücken und Tunnel bis hinein nach ganz Afrika (Abb. 1).

Die Verbindung zwischen Nordamerika und Eurasien über die Beringstraße ist ein Projekt, das offensichtlich bereits auf dem Weg ist. Die russische Regierung ist dazu entschlossen, und das Projekt hat bereits großes Interesse von China, Japan und von Korea gefunden, weil es den Weg zur Entwicklung der Arktis öffnet.

Ein zentraler Aspekt dabei ist offensichtlich NAWAPA [die Nordamerikanische Wasser- und Stromallianz]. NAWAPA würde sofort sechs Millionen Arbeitsplätze schaffen. Es ist das größte Wasserregulierungsprojekt, das je in der Geschichte der Menschheit erdacht wurde. Es steht ganz in der Tradition von Franklin D. Roosevelts TVA [Tennesseetal-Behörde]. Und es soll durch die Panamerikanische Autobahn und die Schließung der „Darien-Lücke“, die derzeit als „Biotop“ des World Wildlife Fund kaum überwindbar ist, auch mit Lateinamerika verbunden werden.

Dies hier ist der Beringstraßen-Tunnel. Es geht um die Erschließung der Arktis: Wenn wir die Arktis für die Exploration und sogar für die Besiedelung durch Menschen erschließen, ist dies für die kommenden 100 Jahre eines der Gebiete mit den größten Rohstoffvorkommen der Zivilisation und ein absolut entscheidendes Projekt.

Viele Projekte der Eurasischen Landbrücke befinden sich jetzt in verschiedenen Phasen der Verwirklichung. Es gibt eine umfangreiche Zusammenarbeit zwischen Chinesen, Russen und Koreanern – in Indien sind jetzt viele der Projekte, die wir in Anfang der 90er Jahre vorgeschlagen haben, in verschiedenen Bauphasen.

In letzter Zeit haben wir die Weltlandbrücke noch durch eine Erweiterung nach Südeuropa ergänzt, denn der einzige Weg, wie sich Italien, Griechenland, Spanien und Portugal je aus der gegenwärtigen Krise erholen können, ist es, große Infrastrukturkorridore zu schaffen, die schon in den frühen 90er Jahren entworfen wurden und in verschiedenen Ämtern in den Schubladen lagen, aber aufgrund der Troika-Politik blockiert sind. Zu diesem Programm soll die Entwicklung des gesamten Mittelmeerraums gehören; es schließt einen Tunnel unter der Straße von Gibraltar und einen Tunnel von Sizilien nach Tunesien, nach Nordafrika ein.

Und es soll verbunden sein mit großen Infrastrukturprojekten in Afrika. Dies hier ist das Transaqua-Projekt – das ist das Äquivalent zu NAWAPA für Afrika. Dies hier ist ein weiterer Aspekt, wo Wasser aus dem Kongo durch neun Länder bis ins Mittelmeer geleitet werden soll. Ein 40 m breiter Kanal wird helfen, Gebiete zu bewässern, die jetzt völlige Wüste sind – eine zweite Landwirtschaftsregion neben dem Niltal (Abb.2).

Ein großes Problem ist, daß sich die Wüsten der Welt in den letzten 10.000 Jahren stark ausgeweitet haben. Wenn man beispielsweise den sogenannten Nahen Osten betrachtet – da ist nur Wüste. Wenn man es sich von der Atlantikküste Nordafrikas durch den Nahen Osten bis China betrachtet, sieht man einen gewaltigen Wüstengürtel. Das muß absolut rückgängig gemacht werden!

Diese Entwüstung kann auf drei Wegen geschehen: Einer ist, Flüsse umzuleiten. Dies hier sind der Ob und der Irtysch, die normalerweise in Sibirien in die Arktis fließen und die umgeleitet werden sollten, um den Aralsee wieder aufzufüllen, der auf 10% seiner früheren Größe geschrumpft ist. Hier sehen Sie den schrumpfenden Aralsee, der schon bald ganz verschwinden wird, deshalb ist die Umleitung dieser Flüsse absolut notwendig, um den Schaden wieder gutzumachen, den die Monokulturen aus der Zeit der Sowjetunion angerichtet haben. (Abb. 3)

Dann gibt es das sog. GAP-Projekt in Anatolien, das insgesamt 22 Staudämme umfaßt, in einer Region, die jetzt völlig von allen möglichen ethnischen Kämpfen, zwischen Türken und Kurden u.a., geprägt ist. Dies hier ist der Atatürk-Damm. Dies ist die Region des Südost-Anatolien-Projektes. Wenn das fertiggestellt würde, entstünde eine ganz neue Region landwirtschaftlicher und sonstiger Aktivitäten.

Dies hier ist die Begrünung des Irak – ein absolut notwendiges Projekt für diese Region.

Dies hier ist die Wüste der Arabischen Halbinsel, die durch verschiedene Begrünungsprojekte eingekreist werden muß. Dafür können wir in der ersten Phase Wasser aus Grundwasserschichten nutzen. Aber am Ende werden wir auch große Anlagen zur Meerwasserentsalzung brauchen, was nur mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie erreicht werden kann. Dafür brauchen wir inhärent sichere Hochtemperaturreaktoren der Vierten Generation.

Das ist der Anfang der Begrünung der Wüsten durch die Nutzung dieser drei Wasservorkommen. Dies wird schließlich zu neuer Vegetation, neuen Niederschlagsmustern, einem neuen lokalen Klima führen, und am Ende wird die Region eher so aussehen wie hier: mit üppigen Gärten und Wäldern, mit Gemüsepflanzungen usw.

Wir brauchen offensichtlich diese Vision, wie man die ganze Welt völlig verwandeln kann. Nun behaupten ja die „Too-big-to-fail“-Banker, für so etwas bräuchte man Universalbanken, private Investitionen. Freihandel, Privatisierungen, Deregulierung usw. Und diese Banker behaupten, die größte Gefahr sei die, daß Länder wieder auf Protektionismus und Verteidigung ihrer nationalen Interessen setzen.

Aber das ist eine gewaltige Lüge! Das ist die Argumentation der imperialen und kolonialen Systeme, denn diese Imperien, wie die Venezianer oder die Briten, beherrschten früher die Meere und folgten dem Prinzip „billig kaufen und teuer verkaufen“. Das Äquivalent dazu sind heute die billigen Arbeitskräfte, mit Kinderarbeit usw., wo Waren produziert werden, die man in den Ein-Dollar- oder Euro-Läden in Amerika oder in Europa kaufen kann.

Das bringt uns zurück zu der Frage, was die eigentliche Quelle des Reichtums einer Gesellschaft ist. Das sind nicht die Rohstoffe, und es ist auch nicht die Macht über Handel und Geld. Es ist allein das kreative Potential der einheimischen Bevölkerung und die Steigerung der Energieflußdichte durch Ausbildung in Wissenschaft, Technik und Kultur. Je entwickelter die Bevölkerung ist, desto größer ist der Reichtum der Nation.

Darüber hinaus braucht man die souveräne Kontrolle über die Kreditschöpfung in der Tradition Alexander Hamiltons und der Ersten Nationalbank der Vereinigten Staaten, wo die Staaten das Recht haben, im Interesse des Gemeinwohls Kredit für wohldefinierte Projekte der Realwirtschaft zu schöpfen. Das beschrieb Friedrich List, der geistige Vater des Nationalen Systems der politischen Ökonomie und des Zollvereins, als den Unterschied zwischen dem Amerikanischen System und dem Britischen System.

Diese Wirtschaftstheorie [des Amerikanischen Systems] bildete die Grundlage für die Industrialisierung in Deutschland, Amerika, Rußland, Japan. Sie wurde mit den Ideen von Henry Carey, dem Wirtschaftsberater Lincolns, fortgesetzt, und dank Careys Ideen wurde Deutschland innerhalb weniger Jahre eine führende Industrienation. Otto von Bismarck, der Kanzler, der Deutschland einigte, war anfangs ein entschiedener Anhänger des Freihandels. Aber Wilhelm von Kardorff, der Mitglied des Reichstags war und den Centralverband Deutscher Industrieller gründete, um die nationale Arbeitskraft zu entwickeln und zu schützen, riet und gewann Bismarck zu einer Abkehr vom Freihandel und als Unterstützer des Protektionismus. Kardorff schrieb ein Buch mit dem Titel Gegen den Strom, in dem er die Lügen der Freihändler und die Prinzipien einer produktiven Volkswirtschaft beschreibt. Und ich kann allen nur raten: Dieses Buch ist eine absolute Pflichtlektüre für jeden, der diese Dinge heute studieren will. Es wird in allen offiziellen Biographien Bismarcks übergangen, was wirklich erstaunlich ist.

Diese Theorie besagt, daß man in die Bereiche investieren muß, in die man auch dann investieren würde, wenn es der Volkswirtschaft gut geht, und daß Geldschöpfung dafür nicht inflationär ist. Tatsächlich kann man zeigen, daß jedesmal, wenn dies befolgt wurde, die Steuereinnahmen mehr einbrachten als der ursprüngliche Kredit kostete, allein schon wegen der direkten und indirekten Auswirkungen auf die Wirtschaft.

Das Entwicklungsprogramm für den Nahen Osten, das sie im Internet (www.bueso.de/wirtschaftswunder) genauer studieren können, kann natürlich nur realisiert werden, wenn die vier großen Mächte bzw. benachbarten Mächte sich darauf einigen, Frieden in der Region zu schaffen. Rußland, China, Indien und der Iran – und hoffentlich auch die Vereinigten Staaten, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und andere – müssen sich auf eine Perspektive des Friedens durch Entwicklung einigen und auf eine Vision, die für diese Region ein Anreiz ist, sich auf einer höheren Ebene der Vernunft zu einigen, zum Nutzen aller Parteien und als Zukunftsvision für die Jugend.

Wir müssen ein Bild zeichnen, wie die Welt in 50 Jahren ausschauen soll. Soll der Nahe Osten – und wenn ich Naher Osten sage, meine ich damit die gesamte Region von Zentralasien, Afghanistan und Pakistan bis zu den Golfstaaten und zum Mittelmeer -, soll diese Region in 50 Jahren oder vielleicht sogar schon früher eine Infrastruktur haben, die so dicht ist wie die im heutigen Europa? Wenn Sie z.B. jemals am Rhein entlang gereist sind, da sehen Sie Frachtschiffe, deren Fracht auf computerisierten Umschlagsplätzen auf die Eisenbahn verladen und ohne Unterbrechung in die Produktionszentren weitergeleitet wird. Genau so etwas brauchen wir auch im Nahen Osten: Wir brauchen eine Vision wunderschöner Städte an Orten, an denen heute nur Wüste ist. Und diese wunderschönen Städte sollten die Architektur der antiken Seidenstraße oder des Abbassiden-Kalifats haben und nicht so aussehen wie Houston/Texas.

Wir brauchen die Vorstellung üppiger Wälder, von Gemüsegärten, grünen Landschaften, wo heute Wüsten und Sandstürme dominieren.

Wir brauchen eine Renaissance der Periode, in der Bagdad die führende Hauptstadt der Welt war, als Harun Al-Raschid und Al-Mansur jede Entdeckung, die ihnen aus den Mittelmeerländern gebracht wurde, in Gold aufwogen, und als Gelehrte wie Al-Kindi, Al-Farabi und Ibn Sina das Erbe der platonischen Tradition in diesem Teil der Welt fortführten.

Nun, und dazu werden wir gleich noch mehr vom nächsten Redner [dem Völkerrechtler Bruce Fein, d.Red.] hören: ist es realistisch, so zu denken, angesichts der gegenwärtigen Lage, wo der Nahe Osten ein Pulverfaß ist, von dem der Dritte Weltkrieg ausgehen kann?

Wenn man sich die Spur der Zerstörung durch die Regimewechselpolitik der britischen und der US-Regierung anschaut, die im Grunde mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann – wenn man den Irak anschaut, Afghanistan, Pakistan, Syrien, Libyen, den Gazastreifen: man sieht Zerstörung, ausgebombte Häuser; jetzt gibt es einen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, aus dem sehr leicht ein Hundertjähriger Krieg werden könnte. Wenn man den israelisch-palästinensischen Konflikt anschaut – ist das eine realistische Perspektive? Hat Henry Kissinger recht, wenn er sagt, das Prinzip des Westfälischen Friedens gelte nicht in dieser Region?

Nun, ich sage ganz entschieden: Nein! Ich denke, daß der Westfälische Frieden der einzige Weg ist, wie es zu einem Frieden in der Region kommen kann.

Wie kam der Westfälische Frieden zustande? Er war der Abschluß von 150 Jahren Religionskriegen, deren Höhepunkt der Dreißigjährige Krieg war, der große Teile Europas – 80% – völlig zerstörte, so daß die Menschen sich schließlich an einen Tisch setzten und erkannten, daß am Ende alle Verlierer wären, wenn sie dem nicht ein Ende setzten.

Mit dem Westfälischen Frieden wurden mehrere, sehr wichtige Prinzipien entwickelt. Das erste Prinzip war: Laßt uns um des Friedens willen auf jede Rache verzichten, laßt uns alle Verbrechen vergessen, die von der einen oder anderen Partei begangen wurden, lassen wir das hinter uns. Prinzip Nummer zwei war: Laßt uns um des Friedens willen die Nächstenliebe zur Grundlage der Außenpolitik machen, machen wir das Interesse des anderen zu unserem eigenen. Und drittens wurde der Kameralismus entwickelt, d.h. die Rolle des Staates beim Wiederaufbau nach dem Krieg.

Nun, ist das realistisch? Wenn die Menschen beim Westfälischen Frieden erkennen konnten, daß sie nicht überleben würden, wenn sie weiterkämpfen – ist das nicht Anreiz genug angesichts der Tatsache, daß (wie jeder weiß, der die Region kennt) ein Schlag gegen den Iran mit einer thermonuklearen Zerstörung der Zivilisation enden würde?

Wenn man beispielsweise die lange Geschichte der erbitterten Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich betrachtet:

Früher waren sie Erzfeinde, und der Krieg von 1870/71 und die territorialen Dispute waren ein Stachel im Fleisch der Menschen. Im Ersten Weltkrieg gab es vier Jahre lange Kämpfe zwischen deutschen und französischen Truppen – vier Jahre lang sinnloses Kämpfen und Sterben in den Schützengräben, manchmal bloß ein paar Meter vor und ein paar Meter zurück; vier Jahre, in denen eine ganze Generation völlig zerstört und entwurzelt wurde. 1923 besetzten die Franzosen das Rheinland, weil Deutschland die im Versailler Vertrag verlangten Summen nicht bezahlen konnte, und lösten so die Hyperinflation von 1923 aus. Das steigerte noch den Haß auf Frankreich, zusätzlich zu der Erniedrigung durch den Versailler Vertrag wurde die Bevölkerung nun völlig enteignet. Dann natürlich der Zweite Weltkrieg, wieder erbitterte Kämpfe.

Aber Adenauer und de Gaulle machten daraus die Grundlage einer neuen deutsch-französischen Freundschaft, und wir hatten gerade den 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages. Die Menschen lernten die Sprache der anderen und es gab einen Austausch der Jugend. Und auch wenn das bei weitem noch nicht das ist, was wir daraus machen würden, wenn wir die Regierung wären, ist das doch ein Beispiel, wie man solche Konflikte überwinden kann.

Wie haben sie das geschafft? Adenauer und de Gaulle gingen zurück zu den Wurzeln der beiden Länder, zu Karl dem Großen, und sie entwickelten die gemeinsame Vision eines Europas der Vaterländer.

Darauf kann man nicht kommen, wenn man dem Denken aristotelischer Widersprüche verhaftet bleibt, wenn man eine lange Liste der ethnischen und religiösen Kriege zusammenstellt, sondern man braucht ein ganz anderes Denken, nämlich ein Denken nach der Methode der coincidentia oppositorum, des Zusammenfallens der Gegensätze – die Methode, die von Nikolaus von Kues entwickelt wurde, wonach das Eine eine höhere Priorität und eine höhere Macht hat als das Viele.

Man braucht ein Denken, wie es Nikolaus von Kues in seinem berühmten Dialog De Pace Fidei über den Frieden der Religionen entwickelt hat, den er nach dem Fall von Konstantinopel 1453 schrieb, dem damaligen Kampf der Kulturen, bei dem viele Menschen getötet wurden. Er schreibt dort, die 17 Nationen und Religionen gingen zu Gott und sagten zu Gott: „Wir alle beanspruchen für uns den alleinigen Besitz der Wahrheit, aber wir alle töten einander in Deinem Namen, aber das kann nicht Deine Absicht sein.“ Und Gott antwortete: „Nun, ihr alle seid Philosophen in eurer Religion, und deshalb könnt ihr erkennen, daß es nur eine Wahrheit gibt.“ Und sie sagten: „Ja, das können wir verstehen. Aber wir müssen uns immer noch so oft gegenseitig töten. Kannst du uns nicht weiterhelfen?“

Und dann sagte Gott: „Ihr macht den Fehler, daß ihr die eine Wahrheit mit den vielen Traditionen verwechselt.“ Und die Vertreter der Völker und Religionen sagten: „Aber was sollen wir tun? Was sollen wir den Menschen bei uns sagen?“ Und Gott sprach: „Geht zurück zu euren Völkern und sagt ihnen, daß es nur eine Wahrheit gibt und daß es nur einen Gott gibt und daß es nur eine Religion gibt, die über allen Religionen und Propheten steht.“

Und da muß offensichtlich die Lösung liegen.

Die Wahrheit, von der Nikolaus redet, ist keine statische Ansammlung von Fakten, die man durch Sinneseindrücke erlernen kann, sondern ein ständiger Schöpfungsprozeß, an dem der Mensch teilhat, wenn er seinem kreativen Potential folgt und immer mehr Prinzipien des physischen Universums, der Naturwissenschaft und der klassischen Kunst entdeckt. Und dabei ist es nicht so, daß jede Generation stets von vorn anfangen muß, aber die moralische Verpflichtung für jeden einzelnen Menschen, dies zu tun, bleibt stets gleich und neu. Ich bin aber überzeugt, daß Wladimir Wernadskij absolut recht hatte, als er sagte, die Noosphäre werde schrittweise eine immer größere Rolle gegenüber der Biosphäre spielen.

So ist die Identität der Menschen eine andere als die aller übrigen Lebewesen. Er ist kein Geschöpf der Sinneseindrücke, sondern seine Identität ist es, Prinzipien zu entdecken. Sie ist das, was Friedrich Schiller im vierten seiner „Ästhetischen Briefe“ schrieb: „Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen, idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseins ist.“

Und wie kommt man zu dieser Übereinstimmung mit seiner eigenen idealen Persönlichkeit? Wie macht man diese innere Wahrheit, die mit der großen Aufgabe unserer Existenz übereinstimmt, zum leitenden Prinzip unseres Handelns, im Gegensatz zu der sinnlichen Befriedigung der Lust im Hier und Jetzt, von der die meisten Menschen beherrscht sind? Durch die ästhetische Erziehung des Menschen, durch die klassische Komposition in der Musik, durch das klassische Drama, Poesie und ähnliche Formen der Kunst.

Warum ist dies das Mittel zu dieser Transformation?

Nun, in der klassischen Musik oder mit einem Gedicht fängt man an mit einer musikalischen oder poetischen Idee. Diese Idee wird entwickelt, etwa bei einem polyphonen und kontrapunktischen Werk Johann Sebastian Bachs, in der Musik spricht man oft von der „Durchführung“. Und dann kommt man auf eine höhere Ebene der Wahrheit.

Im klassischen Drama geht man aus von dem „prägnanten Moment“, der wie ein Saatkorn alles, was sich später entfaltet, als Potential in sich enthält, so, wie ein kleines Saatkorn das gesamte Potential einer ausgewachsenen Eiche in sich trägt. Dann kommt man durch die Entwicklung zum punctum saliens, dem Augenblick der Entscheidung mit dem höchsten Grad der Freiheit. Und abhängig vom Motiv der handelnden Figuren in dem Drama entscheidet sich dann, ob es zu einer positiven Lösung des Konfliktes kommt oder ob er als Tragödie endet. Wenn das Drama eine klassische Form hat, folgt der innere Verlauf der Handlung dem gleichen Prinzip wie eine polyphone, kontrapunktische Fuge.

Das gleiche gilt auch für ein klassisches Gedicht: Man geht von einer poetischen Idee in Form einer Metapher aus – einem Paradox oder einer Ironie – und gelangt durch einen Prozeß der Verdichtung zu einer höheren Bedeutung, die man nicht in einfacher Prosa ausdrücken könnte.

Wenn wir die heutige Welt betrachten, müssen wir uns die gleiche Frage stellen, die schon Schiller stellte: Wie kommt es, daß wir immer noch Barbaren sind? Und wir müssen zu dem gleichen Schluß kommen wie er – jedenfalls tue ich das -, daß die Erziehung des Empfindungsvermögens, der Empathie, des sensitiven Mitgefühls, der emotionalen Resonanz mit dem Zustand der Menschheit, die Antwort sein muß. Man muß nicht nur die Vorstellungskraft ausbilden und eine Vision entwickeln, wie die Zukunft aussehen soll, sondern man muß auch fähig sein, Mitleid und Liebe für die Menschheit zu empfinden.

Dabei ist der Mensch nicht nur der Mensch auf dem Planeten Erde. Unser Planet ist Teil eines expandierenden, sich entwickelnden Universums, und es wirken kosmische Prozesse auf uns, die wir meistern müssen. Im kommenden Monat wird ein Asteroid in relativ geringer Entfernung an unserer Erde vorbeifliegen, und das sollten wir als Warnung verstehen, daß die Menschheit derzeit noch nicht in der Lage ist, solche großen Objekte abzulenken oder sich davor zu schützen, damit sie die Erde nicht treffen. Das letzte große Ereignis dieser Art war 1908 in Sibirien, an der Tunguska, wo ein relativ kleines Objekt von 30-50 m Durchmessern einschlug. Aber das Gebiet, das davon betroffen war, war so groß wie der ganze Großraum New York.

Der schwerste solche Einschlag war vor 65 Millionen Jahren, mit etwa 10 km Durchmesser, er schlug einen Krater von 180 km Durchmesser auf der Halbinsel Yucatan in Mexiko und führte aller Wahrscheinlichkeit nach zu der Großen Extinktion mit dem Aussterben der Dinosaurier. Dabei wurde eine Energie von 100 Mio. Megatonnen freigesetzt, was etwa 20.000 Mal so groß ist wie die geschätzte Zerstörungskraft aller Kernwaffenarsenale auf der Welt, und das führte zu einer längeren Periode, die einem nuklearen Winter entsprach; jahrelang war die Sonne verdeckt.

Natürlich kommt es nur sehr selten zu solch großen Ereignissen, aber auch kleinere Objekte können die Erde sehr leicht treffen und zu einem Massenaussterben von Arten führen.

Wenn man sich nun alle diese Bedrohungen ansieht, und auch andere, wie beispielsweise extremes Wetter, wie man es erst kürzlich hier in New York erlebt hat, oder Vulkanausbrüche, Tsunamis, Erdbeben, aber auch die Drogenplage mit dem geistigen Mord an hunderttausenden, wenn nicht Millionen Menschen: Meinen Sie da nicht auch, daß wir eine Bewegung für die gemeinsamen Ziele der Menschheit haben sollten, die sich bemüht, alle diese Gefahren mit Hilfe unseres kreativen Potentials abzuwehren?

Dazu ist offensichtlich ein gewaltiger Sprung in unserem Wissen über die kosmischen Wirkungen auf unserem Planeten notwendig. Wir brauchen höhere Energieflußdichten und darauf beruhende Techniken, und wir müssen bewußt in eine neue Ära der Menschheit eintreten, die von dem bestimmt sein muß, was Krafft Ehricke den „extraterrestrischen Imperativ“ für die nächste Phase der bewußten Evolution der Menschheit nannte. Sie muß von der Macht der Vernunft und der Weisheit des moralischen Gesetzes in uns geleitet sein, wie es Krafft Ehricke formulierte.

Das bedeutet, daß wir als ersten Schritt den erdnahen Raum verstehen und kolonisieren müssen, und das ist nicht bloß eine Option, das ist der notwendige nächste Schritt. Aber er muß verbunden sein mit der ästhetischen Erziehung des Menschen, denn wenn wir nicht menschlicher werden, wenn wir nicht das werden, was der Würde des Menschen entspricht, wird all das nicht funktionieren. Krafft Ehricke, der in seinen letzten Lebensjahren ein enger Freund von uns war, sagte, es sei absolut entscheidend, daß Schillers Ideen, die ästhetische Erziehung, um die Menschen in wirkliche, liebende menschliche Wesen zu verwandeln, welche Agape (Nächstenliebe) für die übrige Menschheit empfinden, mit dieser technischen Entwicklung einhergehen muß.

Als eine der letzten ISS-Crews von ihrer Mission zurückkehrte, veranstaltete sie eine Pressekonferenz und sagte, die Dinosaurier hätten den Fehler gemacht, ihre DNA nicht auf andere Planeten zu bringen. Wir müssen die Menschheit als die einzige potentiell unsterbliche Gattung betrachten. Wir müssen vorausdenken, denn die Sonne wird in ihren letzten drei Milliarden Jahren – nicht morgen, aber es kommt – die Erde unbewohnbar machen.

Die meisten Geophysiker werden das abtun, wenn man sie darauf anspricht, und sagen: „Ach, der Mensch ist erst eine Minute vor zwölf aufgetreten, und eine Minute nach zwölf wird er schon wieder verschwinden.“ Ich meine, das ist nicht akzeptabel. Denn wenn man das in der Perspektive betrachtet: Es gibt den Menschen erst seit kurzen sieben Millionen Jahren; eine schriftlich überlieferte Geschichte haben wir erst seit etwa 3500 Jahren – das sind bloß 200 Generationen, also nicht sehr viel. Aber wenn man einem Steinzeitmenschen etwas über das Internet erzählt hätte, über Viren, Kernfusion oder die Aktivitäten von Curiosity auf dem Mars – was hätte dieser Steinzeitmensch dazu gesagt?

Und wie wird die Menschheit in tausend Jahren dastehen? Ich bin sehr optimistisch, daß die Menschen, wenn es uns dann noch gibt, einen Jamie Dimon lange vergessen haben, aber an Krafft Ehricke immer noch denken werden.

Helga Zepp-LaRouche, President and Founding Member of the Schiller Institute, is known in Asia as the „Silk Road Lady“ for her efforts to make the Eurasian Land-Bridge a reality, is an expert in many fields of European history, as well as a scholar of Friedrich Schiller’s poetical and philosophical writings and Cardinal Nicholas of Cusa’s ground-breaking work toward bringing the modern nation-state and modern physical science into being.

Contact Helga Zepp-LaRouche

 


Bruce Fein

Bruce Fein: Was ist die Menschheit als Gattung?

Vielen Dank, daß Sie an dieser äußerst wichtigen Konferenz teilnehmen. Wie Heinrich V. vor Agincourt sagte – „Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder“.1

Nun, unsere Aufgabe ist, denke ich, eine noch etwas größere Herausforderung als die, vor der Heinrich V. stand, aber bevor wir auf die Details kommen, möchte ich das Publikum warnen, daß alle die Lobeshymnen, mit denen die Gastgeber hier die Redner überschütten, nicht unter Eid gehalten werden – das müssen Sie berücksichtigen.

Die Frage, die wir, so scheint es mir, als erste beantworten müssen, ist: Was ist die Menschheit? Was unterscheidet die menschliche Gattung von anderen, tierischen Gattungen? Und diese Frage stellt sich ganz offensichtlich jedem, der auch nur zehn Sekunden lang Snooki oder Honeys Boo Boo anschaut, weil das so ungefähr auf der Cro-Magnon-Stufe der Darwinschen Rück-Evolution liegt.

Meine Definition der Menschheit, die diese Gattung von allen anderen unterscheidet, ist die Begeisterung für die Suche nach der Wahrheit ohne Hintergedanken. Und ich wiederhole das: die Suche nach der Wahrheit ohne Hintergedanken. Und Wahrheit ist hier nicht so etwas wie die Suche nach Newtons Bewegungsgesetzen, sondern, die Wahrheit festzustellen: Was ist –  zwischen Asche zu Asche und Staub zu Staub – Tugend? Was macht das Leben lebenswert? Was gibt ihm Würde? Das, was wir Toleranz nennen könnten, den Rechtsstaat anzuerkennen und zu wahren, unsere Sucht, zu herrschen und unsere Gelüste zu befriedigen, im Zaum zu halten, anstatt ein erwachsenes Leben zu führen, in der Tugend und Wissen und Zurückhaltung das summum bonum des Lebens sind – und nicht Reichtum, Sex, Geld, Herrschaft und Macht, die leiblichen Genüsse.

Das ist meiner Meinung nach die entscheidende Frage, vor der die Menschheit steht. Haben wir das Recht verwirkt, uns als Männer und Frauen zu bezeichnen – im Gegensatz zu einer untermenschlichen Gattung, die nach dem Kitzel strebt, andere Mitglieder der menschlichen Gattung oder Tiere zu töten oder den größten Teil ihrer Zeit damit verbringt, solche Leute wie Lady Gaga oder Mike Tyson zu beneiden oder andere Jammergestalten, die zu den Ikonen der Popkultur gehören?

Erinnern Sie sich daran, daß das keine neue Frage ist. Mark Twain schrieb schon vor über hundert Jahren: Der Hauptunterschied zwischen einem Hund und einem Menschen ist der, daß ein Hund, wenn man ihn Hund rettet und ihm etwas zu fressen gibt, uns dann nicht in die Hand beißt.2

Ich halte es auch für falsch zu meinen, die Herausforderung, das menschliche Element der Menschheit zu erhalten – anstatt zuzulassen, daß es den Gelüsten untergeordnet wird – sei überhaupt etwas Neues für diese Generation. Ich verweise Sie auf das Buch der Prediger, da heißt es: „Das, was war, ist das, was sein wird. Und das, was getan wurde, ist das, was getan wird. Und es gibt nichts völlig Neues unter der Sonne.“

Ich glaube, all unsere Untersuchungen machen uns auf die Tatsache aufmerksam, daß die DNA in der Gattung vom Anfang der Zeit an unverändert geblieben ist. Sie kennt keine geographischen Grenzen, sie kennt keine religiösen Grenzen, sie kennte keine Grenzen zwischen den Geschlechtern oder den sexuellen Orientierungen. Und deshalb ist dieses Streben nach der Essenz des Lebens – die Gelüste den höheren Tugenden der Weisheit, der Kenntnis und der Zurückhaltung unterzuordnen – meiner Meinung eine Aufgabe, mit der von Anfang an jede Generation konfrontiert war.

Um hier mit offenen Karten zu spielen, werde ich Ihnen etwas über meinen Hintergrund sagen. Ich wurde in Cambridge/Massachusetts geboren, und meine erste Bekanntschaft mit der äußeren Welt waren Lexington und Concord, die Alte Nordbrücke, Paul Reveres Ritt und William Longfellows Gedicht:3

 

„Listen, my children, and you shall hear
Of the midnight ride of Paul Revere.
On the eighteenth of April in ’75;
Hardly a man is now alive
Who remembers that famous day and year.”

 

Ich habe niemals Videospiele gespielt oder mich dafür interessiert, ich habe niemals Marihuana geraucht oder Wein getrunken. Aber ich gerate in freudige Erregung bei Ralph Waldo Emersons „Concord Bridge“:4

 

„By the rude bridge that arched the flood,
Their flag to April’s breeze unfurled,
Here once the embattled farmers stood,
And fired the shot heard round the world.”

 

Dafür kann ich mich begeistern. Und die leitende Kraft in meinem Leben – das ist meiner Meinung nach die Antwort auf die Frage, ob wir die Menschheit retten können – war wirklich, daß ich schon sehr früh in meinem Leben den „Prozeß gegen Sokrates“ las, wo er sein Leben opfert, um die Idee eines freien Geistes und der Suche nach der Wahrheit zu verteidigen – was ist Tugend, was ist Moral, und was nicht? -, indem er den Schierlingsbecher trinkt, statt klein beizugeben und bei der Verteidigung der Freiheit zurückzuweichen. Das ist es, was mich begeistert. Das ist das höchste, was man im Leben erreichen kann.

Im Gegensatz zu dem, was man sieht, wenn man heutzutage durch Washington geht – und das gilt nicht nur für die Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Wer sind die Leute, die man feiert und ehrt auf den Statuen im Lafayette-Park, gegenüber dem Sitz von Präsident Obama im Weißen Haus? Rechtsanwälte, nicht wahr? Und Leute, die berühmt wurden, indem sie andere Leute töteten. Man wird Rodins Denker nicht in den Korridoren der Macht in Washington finden. Wenn wir zurückgehen und lesen, worum es im Trojanischen Krieg ging – worum wurde da gekämpft? Nicht um Moral – sie kämpften um eine Frau, Helena von Troja. Das war es, was den Konflikt antrieb.

Und die Leute, die man feiert, und die Helden – sogar in der Ilias und in der Odyssee, Hektor, Odysseus, Agamemnon -, das sind die Krieger, Nestor steht mehr im Hintergrund. Der Denker wird nicht respektiert, man gibt ihm unter all diesen anderen heroischen Kämpfern, die auf den Podesten stehen, nicht die Ehre.

Und das ist meiner Meinung nach die größte Gefahr für die Menschheit. Denn wenn eine Gattung sich dafür begeistert, andere zu beherrschen und zu töten, dann hat sie keine lange Lebenserwartung. Und dieses Problem existierte von dem Moment an, wo die Menschheit begann, auf der Erde herumzutapsen. Sie können darüber im Alten Testament lesen und im Neuen Testament. Ich habe 20.000 Bücher gelesen – jede politische Geschichte vom Anfang aller Zeiten an – und es geht stets um dasselbe: Man hat eine Kultur, die sich aufgrund der DNA instinktiv dafür begeistert, für jene Art der Chemie, jene Art der Aufregung, für die wir vorprogrammiert sind, der Kitzel, der mit der Herrschaft, der Kontrolle einhergeht- zum Mond zu fahren, auf die Berge zu klettern, jemanden zu töten, andere zu beherrschen. Wir müssen groß sein, wir müssen die ganze Welt sehen, wir können nicht zulassen, daß irgend etwas geschieht, ohne daß wir es steuern oder manipulieren können.

Und das Beispiel geben vor allem Länder, die den Status eines Imperiums haben, die Fähigkeit, aufgrund ihrer militärischen Macht anderswo relativ ungestraft zu intervenieren. Es ist weniger stark ausgeprägt in Ländern, die klein sind und nicht die Fähigkeit haben, andere zu zwingen und zu beherrschen. Und deshalb haben wir in den Vereinigten Staaten zu  Beginn, als wir noch ein kleines Land mit nur 13 Bundesstaaten waren, eine meiner Meinung nach angemessene Bescheidenheit gezeigt; wir hatten kein großes Militär, vielleicht sechs Fregatten, die Briten hatten 845 und segelten um die ganze Welt und führten, wie wir es heute tun, überall Kriege – den Burenkrieg, die drei Afghanistan-Kriege, die Kriege in Burma und anderswo.

Unser Glaubensbekenntnis in Bezug auf Kämpfe wurde 1821 von John Quincy Adams verkündet, dem sechsten Präsidenten, der aber damals, 1821, noch Außenminister war und in seiner Rede vor dem Kongreß5 sagte: „Wir gehen nicht ins Ausland und suchen dort Monster, um sie zu zerstören.“ Der Ruhm einer Republik ist die Freiheit. Der Ruhm eines Imperiums ist Herrschaft und Kontrolle.

Und er sagte, wenn wir es wollten, könnten wir zum Herrn der Welt werden, aber dann würde unsere Politik sich von einer Politik der Freiheit zu einer Politik der Herrschaft und des Konfliktes wandeln. Und er dachte, daß dies das Ende des amerikanischen Experiments wäre, während wir uns durch die Gewaltenteilung von anderen Ländern unterscheiden könnten.

Gewiß, heute ist diese Idee verloren gegangen. Selbst die Tötung Osama bin Ladens – da gab es närrischen Applaus, als hätten wir ein Footballspiel beim Superbowl gewonnen oder so etwas. Nicht daß Osama bin Laden jemand wäre, dem man nacheifern sollte, aber es ist eine Tragödie und kein Grund zum Feiern, daß ein Mensch sich in solch eine Kreatur verwandeln konnte. Und auch, weil wir uns nicht einmal die Frage gestellt haben, ob wir etwas getan haben, um eine solch schreckliche, abstoßende Reaktion zu provozieren? Vielleicht provozieren wir die anderen Menschen dazu, so zu reagieren, weil wir Truppen in 180 Ländern haben – 200.000 Soldaten, die im Ausland stationiert sind – und intervenieren, wenn es uns gefällt. Wir verkünden die Doktrin, daß Macht vor Recht gehe. Und daß wir deshalb, wenn wir es wollen, eine Predator-Drohne gegen jeden einsetzen können, den wir töten wollen, und daß wir es heimlich tun können, selbst gegen unsere eigenen Bürger; wir könnten Richter, Jury, Ankläger und Henker gleichzeitig spielen und das entspreche dann einem ordentlichen Gerichtsverfahren.

In unseren Augen oder denen des Weißen Hauses mag das so sein, aber nirgendwo sonst auf der Welt betrachtet man das als rechtsstaatliches Vorgehen.

Und warum ist das so wichtig? Warum stellen unsere unbekümmerten Verstöße gegen den Rechtsstaat eine Bedrohung für die Menschheit dar?

In der Geschichte der Zivilisation war der Rechtsstaat die wichtigste Idee, die über alles andere emporragt – sogar über Newtons Bewegungsgesetze, die Gravitation und Heisenbergs Unschärfeprinzip, alle diese physischen Vorstellungen vom Universum. Denn erst mit dem Rechtsstaat hat die Menschheit anerkannt: Auch ich könnte mich irren. Ich muß auch die andere Seite hören. Darum geht es im Rechtsstaat. Ereignisse sind vielschichtig, nicht eindimensional. Andere Leute können sie auch anders sehen. Wir brauchen einen unparteiischen Richter, der entscheidet, wie die miteinander konkurrierenden Ambitionen und Spannungen aufgelöst werden. Wir können uns nicht selbst trauen, wenn wir einen Interessenkonflikt haben.

Diese Bescheidenheit – auch ich könnte mich irren – ist die höchste Idee in der Geschichte der Menschheit. Zu glauben, daß es die Welt nur in Grundfarben gebe, ohne Halbdunkel, ohne Schattierungen – das ist es, was zu Krieg und Kämpfen führt. Die Menschen glauben einfach, sie hätten die letzte Wahrheit erkannt und jeder, der nicht mit ihnen übereinstimmt, sei ein Feind. Anstatt zu denken: „Nein, in der Menschheit sitzen wir alle in einem Boot.“

Erinnern Sie sich an John Donne: „So frage nicht, für wen die Glocke schlägt, denn sie schlägt für dich.“6 Wir alle sind Teil der Menschheit, und wir wollen, daß alle zu den Gewinnern gehören. Wir wollen die Welt nicht aufteilen durch geographische Grenzen, Sekten, Geschlechter oder den Wunsch, daß einige untergeordnet und andere überlegen sind. Jeder muß eine faire Chance im Leben haben. Jeder muß in den Genuß des Rechts und des Rechtsstaats kommen. Wir haben keine Schadenfreude. Wir verspotten keine Leute, weil sie gefallen sind, oder weil sie in Umstände hineingeboren wurden, die weniger vorteilhaft sind als unsere eigenen.

Und diese Idee in unserer Gattung, daß wir alle Stämmen angehören – es ist so, wie ich sage, das sind die Metaphern, die man benutzt; die Metaphern eines Spiels, eines Footballspiels in den Vereinigten Staaten: das blaue Team und das rote Team, der Spielmacher oder der Rückraumspieler. Ist das für Kinder, die im Sandkasten spielen und beschließen, wessen Burg die andere überlebt? Das ist ein infantiles, kindisches Denken, aus dem man mit etwa zwölf Jahren herauswachsen sollte, bevor man zum Teenager wird. Aber jetzt weiden sich selbst 50-, 60-, 70jährige an der Idee, die Politik und das Leben seien wie ein Spiel.

Aber das stimmt nicht. Es ist etwas Höheres, wenn es mehr bedeuten soll als bloß Überleben um des Überlebens willen. Und wenn wir fragen, was notwendig ist, um die Menschheit zu retten, dann geht es nicht darum, ob die Menschheit überleben kann im Sinne ihrer Atmung. Sie ist nicht in dem Sinne ausgestorben, wie die Dinosaurier ausgestorben sind, wie haben immer noch eine Gattung, die so ausschaut wie Menschen. Aber wenn sie nicht bewegt und motiviert ist von den höheren Tugenden des Wissens, der Weisheit und der Zurückhaltung, dann ist das nicht mehr die Menschheit! Der Name ist vielleicht noch der gleiche, aber dem Begriff ist jegliche Substanz genommen.

Und ich denke, wenn wir unser eigenes Leben betrachten, das Schicksal unserer Gattung, das Schicksal unseres Landes, daß es falsch wäre anzunehmen, es gäbe da einen Endpunkt, ein Problem, und eine Art Silberkugel, die all dieses Elend, die Mängel, Schwächen, Krankheiten, Pathologien der Menschheit beseitigt. Denn meine Einschätzung ist, daß bei dieser ganzen Übung der Prozeß das wichtigste ist – der Prozeß ist das Resultat. Die Art, wie wir selbst das Leben betrachten, wie wir andere Menschen behandeln. Mit Würde, mit Rücksichtnahme, indem wir zu unseren Prinzipien stehen, andere Meinungen haben, ohne unfreundlich zu werden, den Rechtsstaat wahren, bestimmte Dinge haben, für die wir zu kämpfen und zu sterben bereit sind – auch zur Selbstverteidigung. Sie mögen gegen unsere Grundprinzipien verstoßen, aber wir könnten uns auch irren. Unser Lebensstil gefällt anderen vielleicht nicht so gut wie uns selbst. Und wir erlauben es dann den anderen Völkern, eigene Wege zu gehen. Der Geist der Nächstenliebe, Vergebung, Selbstkritik, Zurückhaltung – wir könnten uns irren. Nicht jene Arroganz und Hochmütigkeit, die wir in den Vereinigten Staaten jeden Tag sehen, noch markanter als anderswo, weil wir damit durchkommen, ohne jene Resonanz oder Abschreckung, die das anderen Ländern, die kleiner sind, nicht erlauben.

Und in diesem Prozeß des Lebens liegen das Herz und die Seele der Menschheit.

Erinnern Sie sich an die berühmten Worte von Shakespeares Hamlet?

 

„ Was ist der Mensch,
Wenn seiner Zeit Gewinn, sein höchstes Gut
Nur Schlaf und Essen ist? Ein Vieh, nichts weiter.
Gewiß, der uns mit solcher Denkkraft schuf,
Voraus zu schaun und rückwärts, gab uns nicht
Die Fähigkeit und göttliche Vernunft,
Daß ungebraucht sie in uns schimmle.“7

 

Und das ist vielleicht Shakespeares berühmtestes Schauspiel. Und er fragt hier: Nun, was ist der Zweck unserer Zeit hier auf der Erde, bevor unser Nachleben beginnt? Und das, scheint mir, ist es, worum es bei der Menschheit geht.

Nun, wie können wir dann das, was wir in unserem täglichen Leben sehen, wenigstens bessern, alle unseren großen Nachteile, was man „suboptimales Leben“ nennt, daß die Massen existieren, leben und gedeihen können und sich am allgemeinen Streben beteiligen?

Thoreau8 schrieb in Walden, daß die Masse der Menschen ein Leben in stiller Verzweifelung führt. Ich bin mir nicht sicher, daß dies Leben in stiller Verzweiflung sind, aber ich glaube, Sie alle hier im Publikum und wir hier auf dem Podium haben eine Verpflichtung, zu versuchen, bei der großen Mehrheit – die, wie ich meine, ihrer Natur nach mehr dazu neigt, ihren Gelüsten zu folgen, statt sich dafür zu begeistern, wie Sokrates zur Verteidigung der Freiheit des Geistes den Schierlingsbecher nimmt – durch Anleitung und Vorbild und indem wir ein untadeliges Leben führen die besseren Aspekte ihres Charakters hervorzulocken und anzuregen, sie dafür zu begeistern und ihr einzuschärfen, daß sie sich anschließt und dieses Land wieder auf seinen republikanischen Stand erhebt, den es trotz vieler Mängel in seinen Anfängen genoß.Und hier will ich etwas untersuchen, was meiner Meinung nach ein Paradox ist, wenn man so will, jedenfalls in den Vereinigten Staaten und einigen anderen Ländern, die ich als akephal bezeichnen möchte – führerlos, angeführt durch Nicht-Führer.

Wenn ich mir heute hier das Publikum anschaue, dann ist das in mancher Hinsicht ein Triumph der Idee der Gleichheit, der weit über das hinausgeht, was 1776 existierte, als der Schuß abgefeuert wurde, den man in der ganzen Welt hörte. Denn die Menschen hier mit ihren unterschiedlichen Hautfarben, die verschiedenen Geschlechter, die hier sind – das gab es 1776 nicht. Wenn eine solche Versammlung stattfand, dann waren bloß weiße Männer, wahrscheinlich angelsächsische Protestanten im Raum. Die anderen hatten dann bloß einen abgegrenzten Status.

Und die Idee der Gleichheit vor dem Gesetz hat enorme Fortschritte gemacht gegenüber der Zeit vor Jahrhunderten. Sie machte enorme Fortschritte, trotz der Tatsache, daß es am Anfang dieser Bemühungen so erscheinen mußte, als stünde man am Fuß des Mount Everest und sagte: „Mein Gott, das ist ein weiter Weg nach oben, werden wir je dort ankommen?“

Boston, nahe Cambridge/Massachusetts, war der Ort, an dem William Lloyd Garrison 1831 das Magazin Liberator gründete. Herr Garrison war ein sogenannter Abolitionist9, das galt damals als eine ziemlich extremistische Position. Denn alle wirtschaftlichen und politischen Mächte waren damals für die Sklaverei, jedenfalls im Süden würde sie nicht beseitigt werden. Er griff die Sklaverei an als einen Bund mit der Hölle. Und anfänglich teerte und federte man ihn, und er wurde aus Boston vertrieben, aber er war standhaft. Ich muß hier nicht jeden einzelnen Schritt auf diesem Wege nacherzählen, aber die letzte Nummer des Liberator erschien 1865, als der 13. Verfassungszusatz, den sie vielleicht kennen, wenn Sie den Film Lincoln gesehen haben, ratifiziert und die Sklaverei abgeschafft wurde. Aber ich kann Ihnen sagen, daß er, als er begann, als ein hoffnungsloser Träumer verspottet wurde. „Das werden Sie niemalserreichen, Herr Garrison.“

Und für die Frauen unter meinen Hörern: Sie erinnern sich vielleicht an 1848, Seneca Falls10, an Elizabeth Cady Stanton, Susan B. Anthony und andere. Wir mußten wirklich die Stimmen für etwas gewinnen, was Abigail Adams ihrem John schon früh geraten hatte, als über die Erklärung der Unabhängigkeit beraten wurde, aber es dauerte noch gut 70 Jahre [1920], bis der 19. Verfassungszusatz ratifiziert und das Wahlrecht für Frauen eingeführt wurde. Susan B. Anthony wurde übrigens verhaftet, weil sie das Verbrechen beging, wählen zu wollen. Was für eine Herausforderung für die Orthodoxie!

Ähnlich war es, als die Bemühungen begannen, die religiöse Verfolgung zu beenden, was damals unmöglich und völlig aussichtslos erschien. Viele verloren ihr Leben auf dem Scheiterhaufen – einer von ihnen war [Giordano] Bruno, aber er war nur einer von denen, die beim Streben nach religiöser Toleranz ums Leben kamen.

Wir können uns also nicht entmutigen lassen von dem, was für alle von uns, die nicht wie Ichabod Crane11 geschlafen haben, offensichtlich ist, daß wir wie alle Generationen vor uns vor einer Krise stehen, um unsere Identität als Menschen zu bekräftigen – und nicht als Tiere und Wilde, die einen Kitzel darin finden, ihre Gelüste zu befriedigen, in dem instinktiven Streben nach Herrschaft und Kontrolle und leiblichen Genüssen.

Nun, was bedeutet das? Es scheint mir, daß wir in den Vereinigten Staaten von der Idee abkommen müssen, daß Führer überflüssig seien, um die Menschheit vom Abgrund der Zerstörung wegzuführen. Wir haben in diesem Zug keine lange Lebenserwartung, wenn wir nicht umsteigen. Denn die Fähigkeit, uns selbst zu vernichten, ist heute viel mächtiger als zu Anfang, als die Schlachten begrenzt waren, einfach durch die primitive Art der Waffen. Während wir heute ein verrücktes und fanatisches politisches System haben, das Menschen an der Spitze hält, die nach Herrschaft streben und die ganze Welt sehr schnell zerstören können.

Wir in den Vereinigten Staaten haben dieses Paradox. Als diese lobenswerten Dinge geschahen und die Überreste dieser Elemente einer Kaste beseitigt wurden, die die Frauen, bestimmte religiöse, ethnische, rassische Gruppen unterdrückt hielt – wir haben jetzt eine viel gleichberechtigtere Gesellschaft unter dem Gesetz als jemals zuvor -, haben wir eine Kultur des kleinsten gemeinsamen Nenners entwickelt. Das war völlig vorhersehbar. Denn Ideen und Talent sammeln sich im Allgemeinen an den Orten, welche die Quelle wirtschaftlichen Wohlstands und politischer Macht sind. Und um Wohlstand und politische Macht zu gewinnen, gilt es heute als vorausschauend, an den kleinsten gemeinsamen Nenner zu appellieren. Ich will hier nicht elitär klingen, was manche heute als ein Schimpfwort betrachten, auch wenn Thomas Jefferson vor Jahrhunderten noch von einer Aristokratie der Verdienste sprechen konnte, ohne deshalb ausgelacht zu werden. Wenn Sie heute das Wort Aristokratie verwenden – oh Gott! Das ist jemand, der uns in vorbiblische Zeiten zurückführen will.

Aber Tatsache ist – und das ist eine Wahrheit, die wir daraus ableiten können, wenn wir alle politischen Gesellschaften der letzten 4000 Jahre betrachten -, daß es nur relativ wenige Leute außerhalb der glockenförmigen Kurve gibt, die ein Talent zur Führung haben, um die besseren Seiten unserer Natur anzusprechen. Aber weil wir heute eine so egalitäre Kultur haben, gibt es den stillschweigenden, wenn nicht sogar unterbewußten Glauben, daß Weisheit und Richtigkeit durch Selbstentzündung aus der Mehrheit hervorgehen – so als könne die Mehrheit per Abstimmung darüber entscheiden, was die Lichtgeschwindigkeit ist, oder über die Newtonsche Physik abstimmen könnte.

Aber das stimmt einfach nicht. Wenn die Mehrheit irgend etwas glaubt oder behauptet, dann ist das wahrscheinlich ein guter Hinweis darauf, daß es falsch ist. Es gab Zeiten, da glaubte die Mehrheit an Hexen und an Hexerei. Jahrhundertelang glaubte die Mehrheit an das geozentrische Weltbild, und Galileo wurde unter Hausarrest gestellt, weil er den Mut hatte, zu vermuten, daß es falsch sei. Aber heute bringt die Mehrheitskultur Leute ins Rampenlicht, die nur an Vorstellungen appellieren und sie zu erfüllen suchen – „Ich bin eine Hockey-Mama, ich bin Joe der Klempner. Ich bin so wie ihr, deshalb solltet ihr mich wählen. Ich brauche nichts zu wissen.“ Tatsächlich ist es gefährlich, etwas zu wissen – fragt Rick Perry12. „Wir sollten D-Studenten [die schlechtesten] holen, das ist es, was wir wirklich wollen.“ Oder Sarah Palin – „Wir brauchen keine Zeitungen, Denken ist schlecht. Nur Elitisten denken.“ Können Sie sich vorstellen, was Sokrates erleben würde, wenn er eine Sekunde vor Herrn Perry oder Sarah Palin stünde?

Das ist leider nur die Spitze des Eisbergs. Es ist etwas, was unsere gesamte politische Kultur durchdringt. Wir brauchen Menschen, die Führung als das respektieren und ehren, was sie ist, Menschen, die einen George Washington zum Anführer wählen würden, oder Sokrates, und erkennen, daß sie Anleitung brauchen. Nicht, weil sie weniger gleich wären vor dem Gesetz, sondern wegen der glockenförmigen Kurve. Die meisten Leute sind nicht dazu geeignet, Anführer zu sein, die anderen dazu begeistern, den höchsten Prinzipien zu folgen, sich ohne Hintergedanken für die Suche nach Wissen und Wahrheit zu begeistern. Das ist etwas, wofür unser System vorprogrammiert ist.

Und wenn man heute die Welt überschaut, und ich vermute, daß das schon von Anfang an so war, und das berechnet, was ich den menschlichen Elends-Index nenne – Unterdrückung, Entbehrungen und anderes – dann besteht dieser menschliche Elends-Index zum größten Teil daraus, daß Menschen andere Menschen abschlachten, unterdrücken, töten, unterwerfen und einschüchtern. Nur ein ganz, ganz kleiner Teil der Toten kommt von Tsunamis, Asteroiden, Hurrikanen. Auch wenn wir sie nicht ganz ausschließen können, ist ihr Anteil winzig.

Das müssen wir ändern, wenn wir die Menschheit retten wollen. Und ich sage, es ist nicht so, daß wir einen Endpunkt erreichen werden, wo wir sagen können: „Wir haben das gelobte Land erreicht, hoffen wir, daß wir darauf nicht 40 Jahre lang warten müssen wie Moses.“ Sondern es ist der Prozeß, das Wissen und das Ringen. Ja, wir mögen in unserem Leben scheitern, aber das ist die einzige Art zu leben, die es wert ist, gelebt zu werden. So will ich leben, wegen dem, was es über uns als Menschen und uns als Individuen und über das aussagt, wofür man sich an uns erinnern wird.

Ich möchte schließen mit einem Verweis auf die Rede des Thukydides zum Tode des Perikles. Er ermahnte die Menschen, nicht zu glauben, das höchste und beste Grab sei irgend ein napoleonisches Mausoleum oder ein Mausoleum wie das Lenins, das für immer auf dem Roten Platz steht — er sagt, das Grabmal, nach dem wir alle streben sollten, ist es, für immer im Leben und im Herzen der Menschen weiterzuleben, die leben und die noch geboren werden.

Und das müssen wir tun, wenn wir die Menschheit retten wollen. Diese Begeisterung ist es, für die wir leben und die wir unseren Kindern einimpfen müssen, den Teenagern, den Erwachsenen. Und wenn das geschieht, dann werden wir alle Übel der Menschheit schon bald überwinden.

Sogar in Bezug auf die Armut. Wie schon Seneca sagte: Ein Mensch, der nach mehr Reichtum strebt, selbst wenn er ein Mike Bloomberg ist, ist eigentlich sehr arm. Ein Mensch, der zufrieden ist mit seinem spärlichen Besitz, ist eigentlich sehr reich. Das war es, was König Lear entdeckte, nachdem er sein Königreich und sein Schloß an Gonerill und Regan verloren hatte, und Cordelia entdeckte. Er wurde reich, als er allen Besitz verlor.

Vielen Dank.

 

Anmerkungen:

 

1. William Shakespeare, Heinrich V., 4. Aufzug, 3. Szene (Übersetzung von August Wilhelm Schlegel):

„Der wackre Mann lehrt seinem Sohn die Märe,
Und nie von heute bis zum Schluß der Welt
Wird Krispin-Krispian vorübergehn,
Daß man nicht uns dabei erwähnen sollte,
Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder.“

2. Mark Twain, Pudd’nhead Wilson (dt. „Knallkopf Wilson“): „Wenn man einen verhungernden Hund aufliest und ihn wieder aufpäppelt, dann wird er dich nicht beißen. Das ist der Hauptunterschied zwischen einen Hund und einem Menschen.“

3. William Longfellow, Paul Reveres Ride, ungefähr:

„Hört zu, meine Kinder, und höret die Mär
Vom nächtlichem Ritt des Paul Revere
Im Jahr 75, am 18. April;
Kaum ein Mensch ist jetzt noch am Leben,
Der heute noch könnt’ davon Kunde geben.“

4. Waldo Emersons Concord Hymn, ungefähr:

„An der rohen Brück’, die den Fluß überspannt,
Die Flagg’ in der muntren Aprilbrise wallt,
Standen hier die Farmer, zum Kampfe gespannt,
Zu feuern den Schuß, der die Welt umhallt.“

5. Originaltext siehe http://millercenter.org/scripps/archive/speeches/detail/3484

6. John Donne (1572-1631), Meditation 17 („Niemand ist eine Insel“).

7. William Shakespeare, Hamlet, 4. Akt, 4. Szene., Übersetzung von August Wilhelm Schlegel.

8. Henry David Thoreau (1817-1862), US-amerikanischer Schriftsteller und Philosoph.

9. Er trat ein für die Abschaffung der Sklaverei.

10. Am 19.-20. Juli 1848 fand in Seneca Falls/New York die erste große Versammlung der westlichen Hemisphäre statt, die eine Resolution für das Wahlrecht der Frauen beschloß.

11. Ichabod Crane ist die Hauptfigur in Washington Irvings Novelle The Legend of the Sleepy Hallow (dt. „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“) (1820).

12. Der Nachfolger George W. Bushs als Gouverneur von Texas.

Bruce Fein ist Verfassungs- und Bürgerrechtler und war unter Präsident Ronald Reagan (1981-82) Unterstaatssekretär im US-Justizministerium. Er verfaßte eine Anklageschrift für ein Absetzungsverfahren gegen Präsident Barack Obama. Bei der Konferenz des Schiller-Instituts am 26.1. 2013 in New York City hielt er den folgenden Vortrag.


US-Abgeordneter Jones: Aufruf für Glass-Steagall und Verfassungsrecht

Walter Jones ist seit 1995 gewählter Abgeordneter des Repräsentantenhauses für North Carolina.

„Ich freue mich, Sie zu dieser Konferenz über das Thema ,Ein neues Paradigma zur Rettung der Menschheit’ willkommen zu heißen. Wenn es je einen Zeitpunkt gegeben hat, an dem wir eine Diskussion dieser Art führen müssen, dann jetzt, und nicht später.

Zu Beginn möchte ich Ihnen zwei Gesetzentwürfe erklären. Beim ersten bin ich Initiator, bei dem anderen Mitunterzeichner.

Der erste Gesetzesvorschlag ist die ,Gleichlautende Resolution des Repräsentantenhauses 3’ (HCR 3), die im Grunde besagt, daß jeder Präsident, der ohne Provokation ein anderes Land bombardiert und dazu den Kongreß umgeht, sofort seines Amtes enthoben werden kann und soll.

Ich wäre sehr dankbar, wenn die Teilnehmer dieser Konferenz mich hierbei unterstützen, indem Sie Ihre Kongreßabgeordneten anrufen und auffordern, daß sie bitte Walter Jones aus North Carolina in Sachen HCR 3 unterstützen sollen. Für mich ist die Verfassung wie die Bibel, sie ist etwas Heiliges, und wir müssen ihr Folge leisten – vor allem, wenn wir beschließen, unsere jungen Männer und Frauen in den Krieg zu schicken.

Der zweite Gesetzentwurf, für den ich Sie um Ihre Hilfe bitten möchte, wurde von meiner guten Freundin Marcy Kaptur eingereicht. Ich habe mich ihr bei diesem Antrag HR 129 angeschlossen. Der Zweck dieses Gesetzesentwurfs ist die sofortige Wiedereinführung von Glass-Steagall.

Ich muß Ihnen sagen: Die beiden größten Fehler meiner Karriere waren erstens, daß ich für die Entsendung unserer Truppen in den unnötigen Irak-Krieg gestimmt habe, und zweitens, daß ich für die Aufhebung von Glass-Steagall gestimmt habe. Daher arbeite ich mit Marcy Kaptur zusammen, damit dieser Entwurf im Repräsentantenhaus in einer Anhörung behandelt wird, genauso wie die HCR 3. Daher brauchen wir Ihre Hilfe auch für die HR 129, Marcy Kapturs Gesetzesentwurf zur sofortigen Wiedereinführung von Glass-Steagall.

Ich denke, diese beiden Gesetze sind sehr wichtig, aber wir werden nicht einmal erreichen, daß sie im Kongreß behandelt werden, wenn Sie nicht zum Telefon greifen oder eine E-Mail an ihren Abgeordneten schreiben und ihn dazu auffordern, diese beiden Initiativen zu unterstützen: HCR 3, der sich mit den Rechten der Kriegserklärung beschäftigt, und HR 129 zur Wiedereinsetzung von Glass-Steagall.

Die Konferenz, an der Sie teilnehmen, ist sehr wichtig, insbesondere für die Zukunft Amerikas. Ich freue mich, daß Sie bei dieser Konferenz anwesend sind. Wenn die Konferenz zu Ende geht, bitte ich Sie, die Energie aufzubringen, das Telefon in die Hand zu nehmen und den Leuten im Kongreß mitzuteilen, daß Sie wissen, was geschieht, insbesondere mit diesen beiden Gesetzesentwürfen.“


Unmittelbar nachdem diese Videobotschaft vorgespielt worden war, meldete sich Bruce Fein, ein ehemaliger hoher Beamter des Justizministeriums und bekannter Völkerrechtler, der zuvor bereits bei der Konferenz gesprochen hatte, zu Wort, um das, was der Abgeordnete Jones zur Frage der Kriegsbefugnis gesagt hatte, zu unterstützen. Fein sagte:

„Ich habe diese Absetzungs-Resolution für den Abgeordneten Jones verfaßt [Applaus.], und ich möchte versuchen, den Hintergrund und die Gründe für ihre Dringlichkeit zu erläutern.

Als die Gründerväter sich 1776 in Philadelphia versammelten, waren das Leute, die sehr gebildet waren; sie hatten die Geschichte der Konflikte studiert und es zeigte sich, daß es regelmäßig die Exekutive war, die die Völker in den Krieg führte – ob dies nun David war oder jemand anderes, denn, so schlossen sie, in Zeiten des Konflikts erhält die Exekutive die ganze Macht – die Steuern, das Geld, die Geheimhaltung, die Aufträge und die Spuren im Sand der Geschichte. Und deshalb hatte die Exekutive oft Gefahren aus der Luft gegriffen, um einen Krieg zu rechtfertigen. Und deshalb bestanden die Gründerväter allesamt und einstimmig darauf, daß nur der Kongreß der Vereinigten Staaten, der keine Interessenskonflikte bei dem Eintritt in einen Krieg hat und dessen Einfluß im Fall eines Krieges nicht wachsen, sondern im Gegenteil vermindert würde, einen Kriegsbeschluß fassen kann. Nur der Kongreß der Vereinigten Staaten. Und tatsächlich sagte der erste Präsident, Präsident Washington, der selbst den Vorsitz beim Verfassungskonvent führte, bevor der Präsident Militär offensiv einsetzen könne, müsse der Kongreß zunächst den Krieg erklären.

Thomas Jefferson brauchte zehn Ausführungsbestimmungen, um Gewalt gegen die Korsaren der nordafrikanischen Küste einsetzen zu können, die das internationale Verbrechen der Piraterie begingen.

Nun, warum haben die Gründerväter es für so wichtig gehalten, daß sie diese sehr hohe Hürde setzten, um das Land aus dem Zustand des Friedens in den Zustand des Krieges zu versetzen? Die Definition des Krieges, meine Damen und Herren, ist, daß er das, was normalerweise Mord ist, legalisiert. In anderen Worten, er führt uns in den Naturzustand zurück. Wie Cicero sagte: „In Zeiten des Krieges schweigt das Gesetz.“ Es ist nicht so, daß es niemals Gelegenheiten geben könnte, die einen Krieg rechtfertigen. Wir konnten nicht mit Gleichgültigkeit auf den japanischen Angriff auf Pearl Harbor reagieren. Aber man braucht einen sehr hohen und anspruchsvollen Standard der Provokation, um einen Krieg zu rechtfertigen, denn man kehrt dann in den Zustand der Natur zurück, wo, wie Thomas Hobbes im Leviathan schreibt, ,das Leben arm, viehisch, böse und kurz ist’. Sogar für die Supermächte, die letztendlich den gleichen Weg gehen werden wie das Römische und alle anderen Imperien, wenn sie sich nicht vom Abgrund abwenden.

Denn die Gründerväter sagten immer wieder: ,Freiheiten und Freiheit können in einem Zustand permanenten Krieges nicht existieren.’ Diese Instrumente der Autorität und der Macht, die ursprünglich erfunden wurden, um eine ausländische Bedrohung zu bekämpfen, werden auf uns selbst zurückschlagen und die Freiheit zuhause zerstören.

Meine Damen und Herren, das ist exakt das, was seit dem 11. September geschehen ist. Man sagte uns zu Beginn: ,Wir müssen sie in Kabul bekämpfen, wir müssen in 6000 km Entfernung kämpfen, sonst werden wir sie irgendwann in Washington DC bekämpfen müssen.’ Damit wurde Guantanamo gerechtfertigt, die Präventivhaft ohne Anklage oder Prozeß, der einseitige, heimliche Einsatz von Gewalt durch den Präsidenten, das Abhören unserer Telefongespräche und E-Mails und anderes ohne gerichtliche Anweisung.

Jetzt, mehr als zehn Jahre später, bei der jüngsten Verlängerung des Nationalen Verteidigungs-Autorisierungs-Gesetzes, sagte einer der lautstärksten Unterstützer des Krieges und des Kriegszustandes, Lindsey Graham aus South Carolina, wo in Fort Sumter die berühmten Schüsse auf die Union abgegeben wurden [mit denen 1861 der amerikanische Bürgerkrieg begann, d. Red.], als er die Verlängerung der Autorisierung des Präsidenten zum Einsatz nicht bloß von Polizeibehörden, sondern auch des Militärs zur Verhaftung amerikanischer Staatsbürger und zu deren Entsendung nach Guantanamo verteidigte, wenn diese irgendwie durch irgendwelche Dinge mit einer Gruppe ,verbunden’ seien, die ,Verbindungen’ zu Al-Kaida habe – er sagte: ;Meine Damen und Herren im Senat, wir müssen den Kampfschauplatz hierher in die Vereinigten Staaten holen, wir können ihn nicht in Kabul belassen! Diese schrecklichen Leute kommen in die Vereinigten Staaten, und wir wissen, daß sie hier sein könnten, wenn auch bisher nur als Embryo, aber man darf nicht abwarten, daß dieses Embryo zunimmt und 60 Jahre später zu einem Atompilz anwächst. Man muß es jetzt stoppen! Wir müssen das jetzt ausmerzen! Wir müssen eine Lobotomie durchführen, damit sie nicht die Chemie und die Physik studieren können, wie man Sprengkörper bastelt. Wir dürfen nicht ängstlich sein, sonst kommen die Atompilze immer wieder!’

Damit haben wir es zu tun.

Nun, was ursprünglich dafür geschaffen wurde, Personen im Ausland zu fangen und zu inhaftieren, soll jetzt hier in die Vereinigten Staaten kommen! Und was die rechtliche Konstruktion der vom Präsidenten beanspruchten Autorität angeht, Predator-Drohnen gegen jeden einzusetzen, den er insgeheim als eine unmittelbare Bedrohung eingestuft hat – und unmittelbar heißt hier noch nicht einmal, daß bald etwas geschehen würde, es könnte auch erst in einem oder zwei oder drei Jahren vielleicht etwas geschehen. Mit anderen Worten, es bedeutet, ,was der Präsident auch immer meint, was es bedeuten soll’, frei nach Humpty Dumpty aus Alice im Wunderland. Und das ist unsere Lage. Es bedeutet, daß er die Predator-Drohen auch hier einsetzen kann! Gegen uns, gegen mich, gegen jeden, der etwas sagt, und er sagt: ,Nun, Sie sagen etwas, was als Sympathie für den Feind betrachtet werden kann.’ Wow!

Das bedeutet, meine Damen und Herren, alle unsere Freiheiten, einschließlich unseres Rechts auf Leben, sind jetzt keine grundsätzlichen Rechte mehr, sondern nur noch vom Präsidenten geduldete! Bisher hat er sich aus politischen Gründen entschieden, uns nicht in die Luft zu jagen.

Das ist nicht etwas, wo man gleichmütig sitzen bleiben und kommentieren kann: ,Oh wirklich, das hört sich wie Knechtschaft an, nicht wie Bürgerrechte.’

Und selbst wenn unser Präsident aufgrund seines ,moralischen Kompasses’ – wenn das kein Widerspruch in sich ist – davon absehen würde, Predator-Drohnen in den Vereinigten Staaten einzusetzen: Vergegenwärtigen Sie sich das Prinzip! Es liegt herum wie eine geladene Waffe, die für jeden seiner Nachfolger bereitliegt, und irgendwann wird ein Caligula kommen, der es benutzt, sobald behauptet wird, es sei notwendig.

Soll das das Erbe sein, das wir unseren Nachkommen hinterlassen? Daß diejenigen, die noch geboren werden, Vasallentum und Knechtschaft erben, anstatt Bürgerrechte? Ich denke jeden Tag darüber nach, was die Historiker einst über uns in diesem Raum und anderswo in den Vereinigten Staaten sagen werden. Werden sie sagen, was Tacitus einst über Rom schrieb, als es von einer Republik zu einem Imperium degenerierte: ,Die schlimmsten Verbrechen wurden von wenigen gewagt, von mehreren gewollt, aber von allen toleriert.’“

Unmittelbar nach Feins Äußerungen forderte Helga Zepp-LaRouche, Gründerin und Vorsitzende des Schiller-Instituts, die Teilnehmer der Konferenz auf, den Aufruf des Abgeordneten Jones für eine volle Mobilisierung zur Unterstützung von HCR 3 und HR 129 zu unterstützen. Mit einem klaren einstimmigen Votum unterstützten die Teilnehmer die Resolution und versprachen, in Taten und Worten für die Verabschiedung der beiden Gesetze durch den Kongreß einzutreten.


Norton Mezvinsky

Norton Mezvinsky: Die destruktiven Folgen von religiösem Extremismus

Prof. Norton Mezvinsky ist Präsident des Internationalen Rates für Nahoststudien in Washington, D.C. und Prof. em. der Central Connecticut State University. Den folgenden Vortrag hielt er am 26. Januar in New York auf der Konferenz des Schiller-Instituts „Ein neues Paradigma zur Rettung der Menschheit“.

Ich danke dem Schiller-Institut für die Einladung, an dieser Konferenz teilzunehmen. Ich habe die Reden von Helga Zepp-LaRouche und Bruce Fein unmittelbar vor meinem Vortrag aufmerksam verfolgt und ich habe die Beiträge der vorhergehenden Schiller-Institut-Konferenz in Deutschland gelesen, so daß ich sehr wohl verstehe und nachdrücklich begrüße, daß wir einen Paradigmawandel in unserer Welt brauchen, um weiteres Chaos und Verderben zu verhindern und die Zivilisation weiterzuentwickeln.

Auch wenn viele Leute glauben, mit dem Alter werde man immer pessimistischer, so fühle ich mich, nachdem ich vor kurzem 80 geworden bin, nicht nur jünger, sondern auch zunehmend optimistischer. [Applaus] Nach diesem Applaus möchte ich allerdings sagen, daß das, was ich Ihnen heute vorzutragen versuche, vielleicht im Widerspruch zu meiner Äußerung über den Optimismus zu stehen scheint – besonders auch zu dem, was Helga Zepp-LaRouche, die ich besonders achte, heute vorgetragen hat.

Mein Schwerpunkt wird der sogenannte Nahe Osten sein, genauer gesagt Südwestasien und Nordafrika. Der Nahe Osten, so wie ich diesen Begriff verwende, bedeutet natürlich die arabischen Nationalstaaten und der Staat Israel. Meine These ist, daß ein sich aus menschlicher und wirtschaftlicher Entwicklung ergebender Paradigmawandel, wie er von Hussein Askary auf der jüngsten Schiller-Institut-Konferenz in Deutschland und besonders auch heute von Helga Zepp-LaRouche vorgeschlagen wurde, in absehbarer Zukunft massiv behindert, wenn nicht sogar blockiert wird, wenn nicht der sich ausweitende religiöse Extremismus auf verschiedenen Seiten rückgängig gemacht wird, zumindest was viele seiner unterschiedlichen Aspekte angeht.

Ich sage das nicht als Gegner der Religion im allgemeinen, sondern vielmehr als jemand, der viele religiöse Grundsätze sehr hochschätzt, und auch als jemand, der Mitglied einer chassidisch-jüdischen Gemeinde der Lubawitscher ist, die ich als deren Mitglied alles in allem für eine extreme Kategorie halte.

In den wenigen Minuten, die mir für meinen Vortrag zur Verfügung stehen, kann ich bestenfalls einige allgemeine Aussagen machen, die hoffentlich ernsthaft bedacht werden und weitere Diskussionen auslösen mögen.

Islamische Extremisten

Es ist leider nicht schwierig, die negativen Seiten – und das ist sicher untertrieben – des religiösen Extremismus zu benennen. Gewalttätige Extremisten, die zuallererst im Zusammenhang mit ihrer Auslegung des Islam und auch unter ihren eigenen Bannern des Islam, so falsch sie auch sein mögen, Terrorakte begehen, töten und verwunden Menschen und zerstören deren Lebensgrundlage. Das war nicht nur in jüngster und allerjüngster Zeit im Nahen Osten der Fall, das ist auch heute der Fall von Jemen bis Algerien, im Irak, Libyen und andernorts, und nicht nur die Zahl dieser extremen Militanten, sondern auch die Zahl ihrer Taten nimmt zu.

Geht man über den Nahen Osten hinaus, nach Afghanistan, Pakistan und Mali, so sieht man ebenfalls mehr gewalttätige Aktionen, Terrorismus, mehr Tote, mehr Verwundete und mehr Zerstörung, was sicherlich jede positive Entwicklung, jede Planung und wirtschaftliche Entwicklung erschwert.

Die schlimmste Lage im Nahen Osten ist derzeit, wie Sie alle wissen, in Syrien. In Syrien wächst die Al-Kaida derzeit am schnellsten. Diese Terrorgruppe, die den Decknamen Jabhat al-Nusra al-Kaida benutzt, ist wahrscheinlich das bösartigste Element in der Opposition zu der brutalen Diktatur von al-Assad geworden. Für Al-Kaida sind Assad und die Alawiten ein gutes Ziel, da viele sunnitische Moslems glauben, die Alawiten seien eine spalterische Sekte des Islam, die unterdrückt werden müsse. Dschihadistische Webseiten sind jeden Tag voller Meldungen, daß wieder neue Al-Kaida-Märtyrer aus vielen Ländern gestorben seien, aber weitere aus Saudi-Arabien, Pakistan, Bangladesch und anderswoher nach Syrien kämen.

Je länger der Krieg anhält, desto mehr wird Al-Kaida von dem Chaos und der religiösen Polarisierung profitieren. Die Zahl der Toten im syrischen Bürgerkrieg liegt inzwischen weit über 60.000 – vielleicht bis zu 70.000. Die Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge wird auf viele Millionen geschätzt, in einem Land, das eine Bevölkerung von 21 Millionen hatte, als der Krieg vor zwei Jahren ausbrach. Die Lage verschlimmert sich jeden Tag.

Sollte das Assad-Regime kollabieren, werden die extremen Militanten wohl noch weiter in Syrien Fuß fassen. Und das wäre natürlich ein großes Problem.

Ägypten, das größte arabische Land, ist ein anderer Fall. Erst gestern gab es besonders in den Straßen Kairos wieder Demonstrationen und einige Gewalttätigkeiten, denn viele Ägypter, die eine Revolution eingeleitet hatten, reagieren gegen die Islamisten in der Regierung, von denen die Menschen auf der Straße  die durchaus gerechtfertigte und wahrscheinlich korrekte Ansicht haben, daß sie eine Version des islamischen Rechts durchzusetzen versucht, die jeden positiven Fortschritt und den Aufbau einer neuen, demokratischeren Regierung und einer besseren Wirtschaft und Gesellschaft verhindert.

Die positive Entwicklung ist in Ägypten zum Stillstand gekommen. Wenn überhaupt, bewegt sich dieses große, aber arme Land rückwärts.

Es sollte kein Zweifel daran bestehen, daß Regierungen und Einzelpersonen aus Ländern außerhalb des Nahen Ostens der Zunahme des religiösen Extremismus und der wachsenden Zahl von Militanten im arabischen Nahen Osten Vorschub geleistet haben. Zu diesen Ländern gehören neben den Vereinigten Staaten Großbritannien, Frankreich, Rußland, Iran und China.

Aufeinanderfolgende amerikanische Regierungen haben durch ihr Vorgehen häufig die bereits schlechte Lage im Nahen Osten weiter verschlechtert. Der Irak ist hierfür freilich eines der besten Beispiele.

Auf jeden Fall ist es viel einfacher, das Problem des arabischen religiösen Extremismus zu rechtfertigen, als etwas vorzuschlagen, was die Lage ändern könnte. Prof. John Olin IV. von der University of Virginia hat einen interessanten Kommentar geschrieben, der am 6. Januar, also erst vor wenigen Tagen in der New York Times erschienen ist, worin er meint, der Islamismus werde sich im arabischen Nahen Osten und anderswo durchsetzen, denn er sei der tiefste und breiteste Kanal, in den sich der heutige Unmut in der arabischen Welt ergießen könnte. Aus Olins Sicht bietet der Islamismus, besonders die weniger gewalttätige Form, wie sie die Moslem-Bruderschaft in Ägypten vertritt, eine kohärente Betrachtung von allem, was die muslimische Gesellschaft quält und wo der Ausweg liegt.

Durch den Arabischen Frühling ist der Islamismus keineswegs überflüssig geworden, wie es die Vorhersage einiger Experten war, sondern hat sogar noch an Glaubwürdigkeit gewonnen. Die Islamisten haben nämlich schon seit langem jene korrupten Regimes verurteilt, deren Sturz ihrer Meinung nach vorherbestimmt war. Die Unterstützung von korrupten Regimes durch die Vereinigten Staaten und andere Länder hat neben den von Bruce Fein erwähnten spezifischen amerikanischen Militäraktionen bekanntermaßen zu zahllosen Opfern und großen Schäden unter der Zivilbevölkerung geführt. Das hat natürlich das Wachstum und die Ausweitung des extremen und militanten Islamismus gefördert. Daß solche Unterstützungsaktionen aufhören, ist unbedingt notwendig.

Jüdischer religiöser Extremismus

In meinem weiteren Vortrag möchte ich mich nun einer weiteren und anderen Richtung des religiösen Extremismus im Nahen Osten zuwenden, die den positiven Fortschritt behindert und weitere Unordnung und Zerstörung befürchten läßt. Das ist ein religiöser Extremismus, den ich persönlich sehr gut kenne. Ich habe fast mein ganzes Leben lang teilweise in dessen Umfeld, sogar in Opposition zu ihm gelebt. Ich spreche hier vom jüdischen religiösen Extremismus.

Ich betone, daß dieser jüdische religiöse Extremismus nur von einigen der zahlreichen Interpretationen des Judaismus abstammt und tatsächlich von einer Mehrheit der Juden abgelehnt wird. Der jüdische religiöse Extremismus ist dennoch einflußreich und gefährlich, vor allem im Kontext des palästinensisch-israelischen bzw. arabisch-israelischen Konflikts, der, wie Sie sicherlich wissen, den Frieden und positive Fortschritte im Nahen Osten bedroht und zeitweise hintertrieben hat. Dieser Konflikt hat zu Kriegen, Todesopfern auf vielen Seiten, zu Zerstörung, Enteignung von Land, anhaltender Unterdrückung der einheimischen palästinensischen Bevölkerung durch den Staat Israel und fehlender Sicherheit für die israelischen Juden geführt.

Die jüdischen religiösen Extremisten, von denen ich hier spreche, sind ultraorthodoxe Juden, deren Ansichten und Positionen sicherlich auf dem traditionellen Judaismus gründen. Zahlreiche andere orthodoxe Juden, die einige Punkte ablehnen mögen, und viele andere Juden, die weder orthodox noch überhaupt religiös sind, unterstützen viele Positionen und Aktionen dieser Leute. Andere Juden, selbst einige andere ultraorthodoxe Juden innerhalb und außerhalb des Staates Israel, lehnen die Positionen und Aktionen der ultraorthodoxen Juden ab, von denen ich hier spreche.

Diese ultraorthodoxen Juden gehören entweder selbst zu den militantesten jüdischen Siedlern auf der Westbank oder unterstützen diese nachdrücklich. Diese Siedler werden von der jetzigen israelischen Regierung unterstützt und gedeckt und hatten auch die Unterstützung früherer israelischer Regierungen. Die Position oder besser der Glaube, auf den die ultraorthodoxen Juden ihre manchmal gewalttätigen Aktionen gründen, besteht darin, daß das gesamte Gebiet des heutigen Israels sowie einige angrenzende Gebiete das Heilige Land sind, das Gott den Juden versprochen hat. Sie wollen die jüdischen Siedlungen auf das Gebiet der Westbank ausdehnen, notfalls auch mit Gewalt.

Das ist zweifellos ihr Glaube, und das ist eine theologische Frage, auf die ich jetzt etwas näher eingehen will. Denn in gewisser Weise spielt die Theologie hierbei eine schrecklich wichtige Rolle.

Die Ideen, die diese Leute haben, sind nicht nur von dieser Welt. Diese Ideen bilden einen tiefen Glauben. Das bezieht sich auf die Juden, aber ich bin sicher, daß Gruppierungen in anderen Religionen leider ganz ähnliche Ansichten haben.

Angefangen mit der nachbiblischen Literatur vertritt das traditionelle Judentum die Vorstellung, daß Gottes Auserwählung des jüdischen Volks „ein kosmischer Akt war, der den Juden Überlegenheit verliehen hat.“ Im Mittelalter wurde dieses Konzept eher in traditionellen judaischen Theologietexten abgehandelt. Im Rahmen des dualistischen Kabbala-Verständnisses mit seiner Unterscheidung zwischen Heiligkeit und Unreinheit wurden Nichtjuden häufig als Teil der anderen Seite dargestellt. Das dualistische Konzept einer Unterscheidung zwischen der göttlichen Seele des Juden und der tierähnlichen Seele der Heiden wurde zu einem maßgeblichen Element dieser Literatur.

Rabbi Menachem Schneerson, das Oberhaupt der chassidischen Lubawitscher-Juden, einer deren Gemeinden ich, wie bereits gesagt, angehöre, erweiterte diese Unterscheidung zwischen Juden und Nichtjuden noch, was allerdings nicht meine Auffassung ist. Was er sagte, repräsentiert nicht nur diese eine Gruppierung ultraorthodoxer Juden, sondern findet sich in der Grundlage des traditionellen Judentums. Er bezog sich auf eine Stelle aus dem Buch Tanja, das für die ultraorthodoxen Juden wie eine Heilige Schrift ist, und sagte: „Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen der Seele des Juden und der Seele aller anderen Ethnien. Letztere besitzen eine Tierseele, die sich in der linken Herzkammer befindet, während ersterer mit der göttlichen Seele ausgestattet ist, dem Funken, der vom Licht des ewigen Gottes ausgeht, und diese befindet sich im Gehirn sowie in der rechten Herzkammer.“

Ein anderer Rabbi, der als Sprecher für diese Leute auftritt, Yitzchak Ginsberg, hat einige dieser theologischen Ansätze weiterentwickelt. Zum Beispiel: „Der Heide ist geschaffen, aber der Jude ist Teil der Gottheit selbst.“ Leider im Kontext des traditionellen Judentums behauptet er, daß die Juden das auserwählte Volk und im Abbild Gottes geschaffen seien, die Heiden hingegen diesen Status nicht hätten und deshalb im Grunde als Untermenschen angesehen werden müßten.

Entsprechend gilt zum Beispiel das Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht, wenn man einen Heiden umbringt, denn das „Du sollst nicht töten“ bezieht sich auf die Tötung eines Menschen, während für Ginsberg und viele andere ultraorthodoxe Juden die Heiden keine Menschen darstellen.

Um es noch einmal zu sagen: Diese Art Theologie ist sicherlich nicht die Theologie der Mehrheit der Juden. Wenn man Israel nimmt, so sind dort schätzungsweise etwa 75% der Juden nicht religiös und keinesfalls traditionelle Juden, die an eine solche ultraorthodoxe Theologie glauben. Doch selbst säkulare Israelis – nicht alle, aber ein Gutteil davon – unterstützen nach wie vor die Aktivitäten der Ultraorthodoxen, die dadurch erheblich mehr Einfluß in der israelischen Regierung haben und auf das, was Israel tut, als sie vom Standpunkt ihrer Anzahl eigentlich haben sollten.

Das ist nicht nur heute so, das ist schon länger der Fall.

Christliche Zionisten

Ich gehe damit auf eine Begleitgruppe der Ultraorthodoxen außerhalb des Judentums über, die evangelikalen christlichen Zionisten in den Vereinigten Staaten. Sie haben keineswegs die gleiche Theologie, aber ihre Theologie ist aus meiner Sicht genauso schrecklich, und deswegen unterstützen sie voll und ganz den Staat Israel. Wie einige von Ihnen sicherlich wissen, glauben sie, daß die Juden vor der Wiederkunft Jesu entweder die volle Kontrolle über das Heilige Land haben müßten oder, wie einige dieser christlichen Zionisten glauben, die einzigen Bewohner des Heiligen Landes sein sollten.

Deswegen stellen sie sich voll hinter den Staat Israel, und es gibt sie in großer Zahl, wobei die Schätzungen jedoch sehr unterschiedlich sind. In einem Editorial der New York Times wurde kürzlich festgestellt, daß sich die Zahl der evangelikalen christlichen Zionisten in den Vereinigten Staaten auf 20 Millionen belaufe – das sind sehr viele. Meine Nachforschungen haben ergeben, daß es wahrscheinlich doppelt so viele evangelikale christliche Zionisten gibt. Sie haben eine der stärksten Lobbygruppen in diesem Land aufgebaut. Meiner Ansicht nach ist ihre Lobby vom Einfluß her mindestens genauso effektiv wie die sogenannte Israel-Lobby unter Führung von AIPAC in Washington. Hauptsächlich wegen ihrer Anzahl und weil sogar einige Kongreßabgeordnete zu der Gruppe gehören, sind sie in vielerlei Hinsicht sogar noch effektiver.

Ihre Theologie ist etwas, an das sie felsenfest glauben. Ich möchte nur ein Beispiel nennen. Als ich vor drei Jahren in Israel war, um einige Nachforschungen über den christlichen Zionismus anzustellen, suchte ich zunächst meine Verwandten auf, die zu den rechtesten israelischen Juden gehören, die man finden kann. Wie betrachten sie mich, da ich mein gesamtes Erwachsenenleben lang ein Antizionist gewesen bin? Ich werde es Ihnen sagen. Sie sagen: „Norton ist ein guter jüdischer Junge (sie nennen mich immer noch einen Jungen, obwohl ich jetzt 80 bin) aus einer guten jüdischen Familie und einem guten jüdischen Herz. Er hat nur ein paar falsche Ideen. Was ist schon dabei?“

Ich wohne bei ihnen einige Zeit, wenn ich nach Israel fahre. Ich fragte sie, was sie über die christlichen Zionisten dächten, denn spätestens seit den 1990er Jahren hat sich jeder israelische Ministerpräsident öffentlich hingestellt und gesagt, sie seien „unsere besten Freunde auf der Welt“. Daran ist übrigens ganz viel wahr, denn sie sind die einflußreichste Lobby in den Vereinigten Staaten. Das ist für den Staat Israel extrem wichtig und auch für die Unterdrückung, die dieser Staat gegenüber den Palästinensern ausübt.

Gegenüber meinen Freunden und Verwandten sagte ich dann, ihr müßt ja ihre Ideologie kennen, denn in ihrer Theologie glauben sie, daß vor der Wiederkunft des Herrn erst der Antichrist erscheint, und dann werden die meisten, die sich Christen nennen, und andere dem Antichristen folgen und es wird zum Armageddon kommen. Was ist Armageddon? Die Mutter aller Holocausts, dem alle diese Leute zum Opfer fallen werden. Die christlichen Zionisten mit einer oder zwei Ausnahmen sagen, daß im Armageddon auch alle außer 144.000 Juden getötet werden. Sie setzen sich für alle diese Juden ein – nach der letzten Zählung gibt es 5,7 Mio. Juden im Staat Israel, vielleicht 15 Mio. weltweit. Aber nach ihrer Auffassung werden nur 144.000 gerettet.

Woher kommt diese Zahl? Sie sagen, sie kommt aus dem Buch der Offenbarung. Ich konnte sie im Buch der Offenbarung nicht finden, aber ich weiß, daß sie sich darauf beziehen. Sie nehmen die 12 Stämme, multiplizieren sie mit 12, was 144 ergibt, und hängen noch drei Nullen dran.

Die Antwort, die ich von meinen Verwandten erhielt, ist die gleiche, die man von fast jedem israelischen Juden erhält – deswegen war ich nicht überrascht, aber ich wollte sie von ihnen selbst hören. Sie sagten, sie hielten diese Theologie für unsinnig. Aber, wie einer meiner Onkel sagte, wir sind ja Machiavellisten! Man denke nur an all die Hilfe, die sie uns geben. So muß man das wohl verstehen.

Ich suchte auch drei verschiedene, aber im Grunde eng verbundene Gruppen christlicher Zionisten auf, die damals gerade in Israel waren. Sie halten sich für eine Zeitlang dort auf, einen Monat, zwei Monate, sechs Monate. Ich stellte den drei Gruppen die gleiche Frage, ob sie nicht wissen müßten, was die israelischen Juden, auch Leute in der Regierung, von ihrer Theologie hielten. Einer ihrer Anführer sagte auf meine Frage, bevor ich selbst das Wort benutzte, das ich von meinen Verwandten kannte, daß sie sehr wohl wüßten, daß man ihre Theologie für unsinnig hielte. Aber man unterstützte sie nicht, weil man Befehle von ihnen bekomme. Die Befehle kämen von dort [zeigte zum Himmel].

Ich will damit sagen, es ist ein riesiges Problem, wenn man Gruppen von Leuten hat, seien sie Moslems, Juden oder Christen – von anderen Religionen einmal abgesehen, weil ich mich hier nur mit diesen drei Religionsgruppen befassen will -, die aufrichtig glauben, sie hätten das Wort Gottes und daß alles, was sie tun, von Gott komme. Ich möchte nicht sagen, daß mich das für die Zukunft pessimistisch stimmt, aber es bremst doch meinen Optimismus sehr.

Ich möchte mit einer Bemerkung schließen, die sich an das anschließt, was Bruce Fein am Ende sagte – ich glaube bei der Beantwortung einer Frage. Er sagte, das Wichtigste sei die Erziehung und man müsse sich für die Vermehrung des Wissens einsetzen. Das will ich ebenfalls hervorheben. Ich kann sagen, daß man selbst bei so strenggläubigen Leuten, wie ich sie – vielleicht zu kurz – beschrieben habe, zumindest einige Fragezeichen im Denken hinterlassen kann, wenn man sich mit ihnen hinsetzt und sie mit diesen Fragen konfrontiert. Das ist jedenfalls meine Erfahrung.

Ich möchte noch eines hinzufügen, dem Bruce Fein und der Rest von Ihnen sicherlich zustimmen werden. Wenn es darum geht, Fragezeichen im Denken der Menschen zu hinterlassen und so ihr Wissen zu vergrößern, sollte der Schwerpunkt auf der jüngeren Generation liegen. Besonders in diesen Tagen und dieser Zeit, die eine ganz andere Zeit ist als noch in der gar nicht so fernen Vergangenheit, liegt die Hoffnung auf der jüngeren Generation.

Vielen Dank.


Sean Stone

Sean Stone: Heraus aus der Mentalität der Schuldsklaverei!

Vielen Dank, daß Sie an dieser äußerst wichtigen Konferenz teilnehmen. Wie Heinrich V. vor Agincourt sagte – „Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder“.1

Nun, unsere Aufgabe ist, denke ich, eine noch etwas größere Herausforderung als die, vor der Heinrich V. stand, aber bevor wir auf die Details kommen, möchte ich das Publikum warnen, daß alle die Lobeshymnen, mit denen die Gastgeber hier die Redner überschütten, nicht unter Eid gehalten werden – das müssen Sie berücksichtigen.

Die Frage, die wir, so scheint es mir, als erste beantworten müssen, ist: Was ist die Menschheit? Was unterscheidet die menschliche Gattung von anderen, tierischen Gattungen? Und diese Frage stellt sich ganz offensichtlich jedem, der auch nur zehn Sekunden lang Snooki oder Honeys Boo Boo anschaut, weil das so ungefähr auf der Cro-Magnon-Stufe der Darwinschen Rück-Evolution liegt.

Meine Definition der Menschheit, die diese Gattung von allen anderen unterscheidet, ist die Begeisterung für die Suche nach der Wahrheit ohne Hintergedanken. Und ich wiederhole das: die Suche nach der Wahrheit ohne Hintergedanken. Und Wahrheit ist hier nicht so etwas wie die Suche nach Newtons Bewegungsgesetzen, sondern, die Wahrheit festzustellen: Was ist –  zwischen Asche zu Asche und Staub zu Staub – Tugend? Was macht das Leben lebenswert? Was gibt ihm Würde? Das, was wir Toleranz nennen könnten, den Rechtsstaat anzuerkennen und zu wahren, unsere Sucht, zu herrschen und unsere Gelüste zu befriedigen, im Zaum zu halten, anstatt ein erwachsenes Leben zu führen, in der Tugend und Wissen und Zurückhaltung das summum bonum des Lebens sind – und nicht Reichtum, Sex, Geld, Herrschaft und Macht, die leiblichen Genüsse.

Das ist meiner Meinung nach die entscheidende Frage, vor der die Menschheit steht. Haben wir das Recht verwirkt, uns als Männer und Frauen zu bezeichnen – im Gegensatz zu einer untermenschlichen Gattung, die nach dem Kitzel strebt, andere Mitglieder der menschlichen Gattung oder Tiere zu töten oder den größten Teil ihrer Zeit damit verbringt, solche Leute wie Lady Gaga oder Mike Tyson zu beneiden oder andere Jammergestalten, die zu den Ikonen der Popkultur gehören?

Erinnern Sie sich daran, daß das keine neue Frage ist. Mark Twain schrieb schon vor über hundert Jahren: Der Hauptunterschied zwischen einem Hund und einem Menschen ist der, daß ein Hund, wenn man ihn Hund rettet und ihm etwas zu fressen gibt, uns dann nicht in die Hand beißt.2

Ich halte es auch für falsch zu meinen, die Herausforderung, das menschliche Element der Menschheit zu erhalten – anstatt zuzulassen, daß es den Gelüsten untergeordnet wird – sei überhaupt etwas Neues für diese Generation. Ich verweise Sie auf das Buch der Prediger, da heißt es: „Das, was war, ist das, was sein wird. Und das, was getan wurde, ist das, was getan wird. Und es gibt nichts völlig Neues unter der Sonne.“

Ich glaube, all unsere Untersuchungen machen uns auf die Tatsache aufmerksam, daß die DNA in der Gattung vom Anfang der Zeit an unverändert geblieben ist. Sie kennt keine geographischen Grenzen, sie kennt keine religiösen Grenzen, sie kennte keine Grenzen zwischen den Geschlechtern oder den sexuellen Orientierungen. Und deshalb ist dieses Streben nach der Essenz des Lebens – die Gelüste den höheren Tugenden der Weisheit, der Kenntnis und der Zurückhaltung unterzuordnen – meiner Meinung eine Aufgabe, mit der von Anfang an jede Generation konfrontiert war.

Um hier mit offenen Karten zu spielen, werde ich Ihnen etwas über meinen Hintergrund sagen. Ich wurde in Cambridge/Massachusetts geboren, und meine erste Bekanntschaft mit der äußeren Welt waren Lexington und Concord, die Alte Nordbrücke, Paul Reveres Ritt und William Longfellows Gedicht:3

 

„Listen, my children, and you shall hear
Of the midnight ride of Paul Revere.
On the eighteenth of April in ’75;
Hardly a man is now alive
Who remembers that famous day and year.”

 

Ich habe niemals Videospiele gespielt oder mich dafür interessiert, ich habe niemals Marihuana geraucht oder Wein getrunken. Aber ich gerate in freudige Erregung bei Ralph Waldo Emersons „Concord Bridge“:4

 

„By the rude bridge that arched the flood,
Their flag to April’s breeze unfurled,
Here once the embattled farmers stood,
And fired the shot heard round the world.”

 

Dafür kann ich mich begeistern. Und die leitende Kraft in meinem Leben – das ist meiner Meinung nach die Antwort auf die Frage, ob wir die Menschheit retten können – war wirklich, daß ich schon sehr früh in meinem Leben den „Prozeß gegen Sokrates“ las, wo er sein Leben opfert, um die Idee eines freien Geistes und der Suche nach der Wahrheit zu verteidigen – was ist Tugend, was ist Moral, und was nicht? -, indem er den Schierlingsbecher trinkt, statt klein beizugeben und bei der Verteidigung der Freiheit zurückzuweichen. Das ist es, was mich begeistert. Das ist das höchste, was man im Leben erreichen kann.

Im Gegensatz zu dem, was man sieht, wenn man heutzutage durch Washington geht – und das gilt nicht nur für die Hauptstadt der Vereinigten Staaten. Wer sind die Leute, die man feiert und ehrt auf den Statuen im Lafayette-Park, gegenüber dem Sitz von Präsident Obama im Weißen Haus? Rechtsanwälte, nicht wahr? Und Leute, die berühmt wurden, indem sie andere Leute töteten. Man wird Rodins Denker nicht in den Korridoren der Macht in Washington finden. Wenn wir zurückgehen und lesen, worum es im Trojanischen Krieg ging – worum wurde da gekämpft? Nicht um Moral – sie kämpften um eine Frau, Helena von Troja. Das war es, was den Konflikt antrieb.

Und die Leute, die man feiert, und die Helden – sogar in der Ilias und in der Odyssee, Hektor, Odysseus, Agamemnon -, das sind die Krieger, Nestor steht mehr im Hintergrund. Der Denker wird nicht respektiert, man gibt ihm unter all diesen anderen heroischen Kämpfern, die auf den Podesten stehen, nicht die Ehre.

Und das ist meiner Meinung nach die größte Gefahr für die Menschheit. Denn wenn eine Gattung sich dafür begeistert, andere zu beherrschen und zu töten, dann hat sie keine lange Lebenserwartung. Und dieses Problem existierte von dem Moment an, wo die Menschheit begann, auf der Erde herumzutapsen. Sie können darüber im Alten Testament lesen und im Neuen Testament. Ich habe 20.000 Bücher gelesen – jede politische Geschichte vom Anfang aller Zeiten an – und es geht stets um dasselbe: Man hat eine Kultur, die sich aufgrund der DNA instinktiv dafür begeistert, für jene Art der Chemie, jene Art der Aufregung, für die wir vorprogrammiert sind, der Kitzel, der mit der Herrschaft, der Kontrolle einhergeht- zum Mond zu fahren, auf die Berge zu klettern, jemanden zu töten, andere zu beherrschen. Wir müssen groß sein, wir müssen die ganze Welt sehen, wir können nicht zulassen, daß irgend etwas geschieht, ohne daß wir es steuern oder manipulieren können.

Und das Beispiel geben vor allem Länder, die den Status eines Imperiums haben, die Fähigkeit, aufgrund ihrer militärischen Macht anderswo relativ ungestraft zu intervenieren. Es ist weniger stark ausgeprägt in Ländern, die klein sind und nicht die Fähigkeit haben, andere zu zwingen und zu beherrschen. Und deshalb haben wir in den Vereinigten Staaten zu  Beginn, als wir noch ein kleines Land mit nur 13 Bundesstaaten waren, eine meiner Meinung nach angemessene Bescheidenheit gezeigt; wir hatten kein großes Militär, vielleicht sechs Fregatten, die Briten hatten 845 und segelten um die ganze Welt und führten, wie wir es heute tun, überall Kriege – den Burenkrieg, die drei Afghanistan-Kriege, die Kriege in Burma und anderswo.

Unser Glaubensbekenntnis in Bezug auf Kämpfe wurde 1821 von John Quincy Adams verkündet, dem sechsten Präsidenten, der aber damals, 1821, noch Außenminister war und in seiner Rede vor dem Kongreß5 sagte: „Wir gehen nicht ins Ausland und suchen dort Monster, um sie zu zerstören.“ Der Ruhm einer Republik ist die Freiheit. Der Ruhm eines Imperiums ist Herrschaft und Kontrolle.

Und er sagte, wenn wir es wollten, könnten wir zum Herrn der Welt werden, aber dann würde unsere Politik sich von einer Politik der Freiheit zu einer Politik der Herrschaft und des Konfliktes wandeln. Und er dachte, daß dies das Ende des amerikanischen Experiments wäre, während wir uns durch die Gewaltenteilung von anderen Ländern unterscheiden könnten.

Gewiß, heute ist diese Idee verloren gegangen. Selbst die Tötung Osama bin Ladens – da gab es närrischen Applaus, als hätten wir ein Footballspiel beim Superbowl gewonnen oder so etwas. Nicht daß Osama bin Laden jemand wäre, dem man nacheifern sollte, aber es ist eine Tragödie und kein Grund zum Feiern, daß ein Mensch sich in solch eine Kreatur verwandeln konnte. Und auch, weil wir uns nicht einmal die Frage gestellt haben, ob wir etwas getan haben, um eine solch schreckliche, abstoßende Reaktion zu provozieren? Vielleicht provozieren wir die anderen Menschen dazu, so zu reagieren, weil wir Truppen in 180 Ländern haben – 200.000 Soldaten, die im Ausland stationiert sind – und intervenieren, wenn es uns gefällt. Wir verkünden die Doktrin, daß Macht vor Recht gehe. Und daß wir deshalb, wenn wir es wollen, eine Predator-Drohne gegen jeden einsetzen können, den wir töten wollen, und daß wir es heimlich tun können, selbst gegen unsere eigenen Bürger; wir könnten Richter, Jury, Ankläger und Henker gleichzeitig spielen und das entspreche dann einem ordentlichen Gerichtsverfahren.

In unseren Augen oder denen des Weißen Hauses mag das so sein, aber nirgendwo sonst auf der Welt betrachtet man das als rechtsstaatliches Vorgehen.

Und warum ist das so wichtig? Warum stellen unsere unbekümmerten Verstöße gegen den Rechtsstaat eine Bedrohung für die Menschheit dar?

In der Geschichte der Zivilisation war der Rechtsstaat die wichtigste Idee, die über alles andere emporragt – sogar über Newtons Bewegungsgesetze, die Gravitation und Heisenbergs Unschärfeprinzip, alle diese physischen Vorstellungen vom Universum. Denn erst mit dem Rechtsstaat hat die Menschheit anerkannt: Auch ich könnte mich irren. Ich muß auch die andere Seite hören. Darum geht es im Rechtsstaat. Ereignisse sind vielschichtig, nicht eindimensional. Andere Leute können sie auch anders sehen. Wir brauchen einen unparteiischen Richter, der entscheidet, wie die miteinander konkurrierenden Ambitionen und Spannungen aufgelöst werden. Wir können uns nicht selbst trauen, wenn wir einen Interessenkonflikt haben.

Diese Bescheidenheit – auch ich könnte mich irren – ist die höchste Idee in der Geschichte der Menschheit. Zu glauben, daß es die Welt nur in Grundfarben gebe, ohne Halbdunkel, ohne Schattierungen – das ist es, was zu Krieg und Kämpfen führt. Die Menschen glauben einfach, sie hätten die letzte Wahrheit erkannt und jeder, der nicht mit ihnen übereinstimmt, sei ein Feind. Anstatt zu denken: „Nein, in der Menschheit sitzen wir alle in einem Boot.“

Erinnern Sie sich an John Donne: „So frage nicht, für wen die Glocke schlägt, denn sie schlägt für dich.“6 Wir alle sind Teil der Menschheit, und wir wollen, daß alle zu den Gewinnern gehören. Wir wollen die Welt nicht aufteilen durch geographische Grenzen, Sekten, Geschlechter oder den Wunsch, daß einige untergeordnet und andere überlegen sind. Jeder muß eine faire Chance im Leben haben. Jeder muß in den Genuß des Rechts und des Rechtsstaats kommen. Wir haben keine Schadenfreude. Wir verspotten keine Leute, weil sie gefallen sind, oder weil sie in Umstände hineingeboren wurden, die weniger vorteilhaft sind als unsere eigenen.

Und diese Idee in unserer Gattung, daß wir alle Stämmen angehören – es ist so, wie ich sage, das sind die Metaphern, die man benutzt; die Metaphern eines Spiels, eines Footballspiels in den Vereinigten Staaten: das blaue Team und das rote Team, der Spielmacher oder der Rückraumspieler. Ist das für Kinder, die im Sandkasten spielen und beschließen, wessen Burg die andere überlebt? Das ist ein infantiles, kindisches Denken, aus dem man mit etwa zwölf Jahren herauswachsen sollte, bevor man zum Teenager wird. Aber jetzt weiden sich selbst 50-, 60-, 70jährige an der Idee, die Politik und das Leben seien wie ein Spiel.

Aber das stimmt nicht. Es ist etwas Höheres, wenn es mehr bedeuten soll als bloß Überleben um des Überlebens willen. Und wenn wir fragen, was notwendig ist, um die Menschheit zu retten, dann geht es nicht darum, ob die Menschheit überleben kann im Sinne ihrer Atmung. Sie ist nicht in dem Sinne ausgestorben, wie die Dinosaurier ausgestorben sind, wie haben immer noch eine Gattung, die so ausschaut wie Menschen. Aber wenn sie nicht bewegt und motiviert ist von den höheren Tugenden des Wissens, der Weisheit und der Zurückhaltung, dann ist das nicht mehr die Menschheit! Der Name ist vielleicht noch der gleiche, aber dem Begriff ist jegliche Substanz genommen.

Und ich denke, wenn wir unser eigenes Leben betrachten, das Schicksal unserer Gattung, das Schicksal unseres Landes, daß es falsch wäre anzunehmen, es gäbe da einen Endpunkt, ein Problem, und eine Art Silberkugel, die all dieses Elend, die Mängel, Schwächen, Krankheiten, Pathologien der Menschheit beseitigt. Denn meine Einschätzung ist, daß bei dieser ganzen Übung der Prozeß das wichtigste ist – der Prozeß ist das Resultat. Die Art, wie wir selbst das Leben betrachten, wie wir andere Menschen behandeln. Mit Würde, mit Rücksichtnahme, indem wir zu unseren Prinzipien stehen, andere Meinungen haben, ohne unfreundlich zu werden, den Rechtsstaat wahren, bestimmte Dinge haben, für die wir zu kämpfen und zu sterben bereit sind – auch zur Selbstverteidigung. Sie mögen gegen unsere Grundprinzipien verstoßen, aber wir könnten uns auch irren. Unser Lebensstil gefällt anderen vielleicht nicht so gut wie uns selbst. Und wir erlauben es dann den anderen Völkern, eigene Wege zu gehen. Der Geist der Nächstenliebe, Vergebung, Selbstkritik, Zurückhaltung – wir könnten uns irren. Nicht jene Arroganz und Hochmütigkeit, die wir in den Vereinigten Staaten jeden Tag sehen, noch markanter als anderswo, weil wir damit durchkommen, ohne jene Resonanz oder Abschreckung, die das anderen Ländern, die kleiner sind, nicht erlauben.

Und in diesem Prozeß des Lebens liegen das Herz und die Seele der Menschheit.

Erinnern Sie sich an die berühmten Worte von Shakespeares Hamlet?

 

„ Was ist der Mensch,
Wenn seiner Zeit Gewinn, sein höchstes Gut
Nur Schlaf und Essen ist? Ein Vieh, nichts weiter.
Gewiß, der uns mit solcher Denkkraft schuf,
Voraus zu schaun und rückwärts, gab uns nicht
Die Fähigkeit und göttliche Vernunft,
Daß ungebraucht sie in uns schimmle.“7

 

Und das ist vielleicht Shakespeares berühmtestes Schauspiel. Und er fragt hier: Nun, was ist der Zweck unserer Zeit hier auf der Erde, bevor unser Nachleben beginnt? Und das, scheint mir, ist es, worum es bei der Menschheit geht.

Nun, wie können wir dann das, was wir in unserem täglichen Leben sehen, wenigstens bessern, alle unseren großen Nachteile, was man „suboptimales Leben“ nennt, daß die Massen existieren, leben und gedeihen können und sich am allgemeinen Streben beteiligen?

Thoreau8 schrieb in Walden, daß die Masse der Menschen ein Leben in stiller Verzweifelung führt. Ich bin mir nicht sicher, daß dies Leben in stiller Verzweiflung sind, aber ich glaube, Sie alle hier im Publikum und wir hier auf dem Podium haben eine Verpflichtung, zu versuchen, bei der großen Mehrheit – die, wie ich meine, ihrer Natur nach mehr dazu neigt, ihren Gelüsten zu folgen, statt sich dafür zu begeistern, wie Sokrates zur Verteidigung der Freiheit des Geistes den Schierlingsbecher nimmt – durch Anleitung und Vorbild und indem wir ein untadeliges Leben führen die besseren Aspekte ihres Charakters hervorzulocken und anzuregen, sie dafür zu begeistern und ihr einzuschärfen, daß sie sich anschließt und dieses Land wieder auf seinen republikanischen Stand erhebt, den es trotz vieler Mängel in seinen Anfängen genoß.Und hier will ich etwas untersuchen, was meiner Meinung nach ein Paradox ist, wenn man so will, jedenfalls in den Vereinigten Staaten und einigen anderen Ländern, die ich als akephal bezeichnen möchte – führerlos, angeführt durch Nicht-Führer.

Wenn ich mir heute hier das Publikum anschaue, dann ist das in mancher Hinsicht ein Triumph der Idee der Gleichheit, der weit über das hinausgeht, was 1776 existierte, als der Schuß abgefeuert wurde, den man in der ganzen Welt hörte. Denn die Menschen hier mit ihren unterschiedlichen Hautfarben, die verschiedenen Geschlechter, die hier sind – das gab es 1776 nicht. Wenn eine solche Versammlung stattfand, dann waren bloß weiße Männer, wahrscheinlich angelsächsische Protestanten im Raum. Die anderen hatten dann bloß einen abgegrenzten Status.

Und die Idee der Gleichheit vor dem Gesetz hat enorme Fortschritte gemacht gegenüber der Zeit vor Jahrhunderten. Sie machte enorme Fortschritte, trotz der Tatsache, daß es am Anfang dieser Bemühungen so erscheinen mußte, als stünde man am Fuß des Mount Everest und sagte: „Mein Gott, das ist ein weiter Weg nach oben, werden wir je dort ankommen?“

Boston, nahe Cambridge/Massachusetts, war der Ort, an dem William Lloyd Garrison 1831 das Magazin Liberator gründete. Herr Garrison war ein sogenannter Abolitionist9, das galt damals als eine ziemlich extremistische Position. Denn alle wirtschaftlichen und politischen Mächte waren damals für die Sklaverei, jedenfalls im Süden würde sie nicht beseitigt werden. Er griff die Sklaverei an als einen Bund mit der Hölle. Und anfänglich teerte und federte man ihn, und er wurde aus Boston vertrieben, aber er war standhaft. Ich muß hier nicht jeden einzelnen Schritt auf diesem Wege nacherzählen, aber die letzte Nummer des Liberator erschien 1865, als der 13. Verfassungszusatz, den sie vielleicht kennen, wenn Sie den Film Lincoln gesehen haben, ratifiziert und die Sklaverei abgeschafft wurde. Aber ich kann Ihnen sagen, daß er, als er begann, als ein hoffnungsloser Träumer verspottet wurde. „Das werden Sie niemalserreichen, Herr Garrison.“

Und für die Frauen unter meinen Hörern: Sie erinnern sich vielleicht an 1848, Seneca Falls10, an Elizabeth Cady Stanton, Susan B. Anthony und andere. Wir mußten wirklich die Stimmen für etwas gewinnen, was Abigail Adams ihrem John schon früh geraten hatte, als über die Erklärung der Unabhängigkeit beraten wurde, aber es dauerte noch gut 70 Jahre [1920], bis der 19. Verfassungszusatz ratifiziert und das Wahlrecht für Frauen eingeführt wurde. Susan B. Anthony wurde übrigens verhaftet, weil sie das Verbrechen beging, wählen zu wollen. Was für eine Herausforderung für die Orthodoxie!

Ähnlich war es, als die Bemühungen begannen, die religiöse Verfolgung zu beenden, was damals unmöglich und völlig aussichtslos erschien. Viele verloren ihr Leben auf dem Scheiterhaufen – einer von ihnen war [Giordano] Bruno, aber er war nur einer von denen, die beim Streben nach religiöser Toleranz ums Leben kamen.

Wir können uns also nicht entmutigen lassen von dem, was für alle von uns, die nicht wie Ichabod Crane11 geschlafen haben, offensichtlich ist, daß wir wie alle Generationen vor uns vor einer Krise stehen, um unsere Identität als Menschen zu bekräftigen – und nicht als Tiere und Wilde, die einen Kitzel darin finden, ihre Gelüste zu befriedigen, in dem instinktiven Streben nach Herrschaft und Kontrolle und leiblichen Genüssen.

Nun, was bedeutet das? Es scheint mir, daß wir in den Vereinigten Staaten von der Idee abkommen müssen, daß Führer überflüssig seien, um die Menschheit vom Abgrund der Zerstörung wegzuführen. Wir haben in diesem Zug keine lange Lebenserwartung, wenn wir nicht umsteigen. Denn die Fähigkeit, uns selbst zu vernichten, ist heute viel mächtiger als zu Anfang, als die Schlachten begrenzt waren, einfach durch die primitive Art der Waffen. Während wir heute ein verrücktes und fanatisches politisches System haben, das Menschen an der Spitze hält, die nach Herrschaft streben und die ganze Welt sehr schnell zerstören können.

Wir in den Vereinigten Staaten haben dieses Paradox. Als diese lobenswerten Dinge geschahen und die Überreste dieser Elemente einer Kaste beseitigt wurden, die die Frauen, bestimmte religiöse, ethnische, rassische Gruppen unterdrückt hielt – wir haben jetzt eine viel gleichberechtigtere Gesellschaft unter dem Gesetz als jemals zuvor -, haben wir eine Kultur des kleinsten gemeinsamen Nenners entwickelt. Das war völlig vorhersehbar. Denn Ideen und Talent sammeln sich im Allgemeinen an den Orten, welche die Quelle wirtschaftlichen Wohlstands und politischer Macht sind. Und um Wohlstand und politische Macht zu gewinnen, gilt es heute als vorausschauend, an den kleinsten gemeinsamen Nenner zu appellieren. Ich will hier nicht elitär klingen, was manche heute als ein Schimpfwort betrachten, auch wenn Thomas Jefferson vor Jahrhunderten noch von einer Aristokratie der Verdienste sprechen konnte, ohne deshalb ausgelacht zu werden. Wenn Sie heute das Wort Aristokratie verwenden – oh Gott! Das ist jemand, der uns in vorbiblische Zeiten zurückführen will.

Aber Tatsache ist – und das ist eine Wahrheit, die wir daraus ableiten können, wenn wir alle politischen Gesellschaften der letzten 4000 Jahre betrachten -, daß es nur relativ wenige Leute außerhalb der glockenförmigen Kurve gibt, die ein Talent zur Führung haben, um die besseren Seiten unserer Natur anzusprechen. Aber weil wir heute eine so egalitäre Kultur haben, gibt es den stillschweigenden, wenn nicht sogar unterbewußten Glauben, daß Weisheit und Richtigkeit durch Selbstentzündung aus der Mehrheit hervorgehen – so als könne die Mehrheit per Abstimmung darüber entscheiden, was die Lichtgeschwindigkeit ist, oder über die Newtonsche Physik abstimmen könnte.

Aber das stimmt einfach nicht. Wenn die Mehrheit irgend etwas glaubt oder behauptet, dann ist das wahrscheinlich ein guter Hinweis darauf, daß es falsch ist. Es gab Zeiten, da glaubte die Mehrheit an Hexen und an Hexerei. Jahrhundertelang glaubte die Mehrheit an das geozentrische Weltbild, und Galileo wurde unter Hausarrest gestellt, weil er den Mut hatte, zu vermuten, daß es falsch sei. Aber heute bringt die Mehrheitskultur Leute ins Rampenlicht, die nur an Vorstellungen appellieren und sie zu erfüllen suchen – „Ich bin eine Hockey-Mama, ich bin Joe der Klempner. Ich bin so wie ihr, deshalb solltet ihr mich wählen. Ich brauche nichts zu wissen.“ Tatsächlich ist es gefährlich, etwas zu wissen – fragt Rick Perry12. „Wir sollten D-Studenten [die schlechtesten] holen, das ist es, was wir wirklich wollen.“ Oder Sarah Palin – „Wir brauchen keine Zeitungen, Denken ist schlecht. Nur Elitisten denken.“ Können Sie sich vorstellen, was Sokrates erleben würde, wenn er eine Sekunde vor Herrn Perry oder Sarah Palin stünde?

Das ist leider nur die Spitze des Eisbergs. Es ist etwas, was unsere gesamte politische Kultur durchdringt. Wir brauchen Menschen, die Führung als das respektieren und ehren, was sie ist, Menschen, die einen George Washington zum Anführer wählen würden, oder Sokrates, und erkennen, daß sie Anleitung brauchen. Nicht, weil sie weniger gleich wären vor dem Gesetz, sondern wegen der glockenförmigen Kurve. Die meisten Leute sind nicht dazu geeignet, Anführer zu sein, die anderen dazu begeistern, den höchsten Prinzipien zu folgen, sich ohne Hintergedanken für die Suche nach Wissen und Wahrheit zu begeistern. Das ist etwas, wofür unser System vorprogrammiert ist.

Und wenn man heute die Welt überschaut, und ich vermute, daß das schon von Anfang an so war, und das berechnet, was ich den menschlichen Elends-Index nenne – Unterdrückung, Entbehrungen und anderes – dann besteht dieser menschliche Elends-Index zum größten Teil daraus, daß Menschen andere Menschen abschlachten, unterdrücken, töten, unterwerfen und einschüchtern. Nur ein ganz, ganz kleiner Teil der Toten kommt von Tsunamis, Asteroiden, Hurrikanen. Auch wenn wir sie nicht ganz ausschließen können, ist ihr Anteil winzig.

Das müssen wir ändern, wenn wir die Menschheit retten wollen. Und ich sage, es ist nicht so, daß wir einen Endpunkt erreichen werden, wo wir sagen können: „Wir haben das gelobte Land erreicht, hoffen wir, daß wir darauf nicht 40 Jahre lang warten müssen wie Moses.“ Sondern es ist der Prozeß, das Wissen und das Ringen. Ja, wir mögen in unserem Leben scheitern, aber das ist die einzige Art zu leben, die es wert ist, gelebt zu werden. So will ich leben, wegen dem, was es über uns als Menschen und uns als Individuen und über das aussagt, wofür man sich an uns erinnern wird.

Ich möchte schließen mit einem Verweis auf die Rede des Thukydides zum Tode des Perikles. Er ermahnte die Menschen, nicht zu glauben, das höchste und beste Grab sei irgend ein napoleonisches Mausoleum oder ein Mausoleum wie das Lenins, das für immer auf dem Roten Platz steht — er sagt, das Grabmal, nach dem wir alle streben sollten, ist es, für immer im Leben und im Herzen der Menschen weiterzuleben, die leben und die noch geboren werden.

Und das müssen wir tun, wenn wir die Menschheit retten wollen. Diese Begeisterung ist es, für die wir leben und die wir unseren Kindern einimpfen müssen, den Teenagern, den Erwachsenen. Und wenn das geschieht, dann werden wir alle Übel der Menschheit schon bald überwinden.

Sogar in Bezug auf die Armut. Wie schon Seneca sagte: Ein Mensch, der nach mehr Reichtum strebt, selbst wenn er ein Mike Bloomberg ist, ist eigentlich sehr arm. Ein Mensch, der zufrieden ist mit seinem spärlichen Besitz, ist eigentlich sehr reich. Das war es, was König Lear entdeckte, nachdem er sein Königreich und sein Schloß an Gonerill und Regan verloren hatte, und Cordelia entdeckte. Er wurde reich, als er allen Besitz verlor.

Vielen Dank.


Anmerkungen:

1. William Shakespeare, Heinrich V., 4. Aufzug, 3. Szene (Übersetzung von August Wilhelm Schlegel):

„Der wackre Mann lehrt seinem Sohn die Märe,
Und nie von heute bis zum Schluß der Welt
Wird Krispin-Krispian vorübergehn,
Daß man nicht uns dabei erwähnen sollte,
Uns wen’ge, uns beglücktes Häuflein Brüder.“

2. Mark Twain, Pudd’nhead Wilson (dt. „Knallkopf Wilson“): „Wenn man einen verhungernden Hund aufliest und ihn wieder aufpäppelt, dann wird er dich nicht beißen. Das ist der Hauptunterschied zwischen einen Hund und einem Menschen.“

3. William Longfellow, Paul Reveres Ride, ungefähr:

„Hört zu, meine Kinder, und höret die Mär
Vom nächtlichem Ritt des Paul Revere
Im Jahr 75, am 18. April;
Kaum ein Mensch ist jetzt noch am Leben,
Der heute noch könnt’ davon Kunde geben.“

4. Waldo Emersons Concord Hymn, ungefähr:

„An der rohen Brück’, die den Fluß überspannt,
Die Flagg’ in der muntren Aprilbrise wallt,
Standen hier die Farmer, zum Kampfe gespannt,
Zu feuern den Schuß, der die Welt umhallt.“

5. Originaltext siehe http://millercenter.org/scripps/archive/speeches/detail/3484

6. John Donne (1572-1631), Meditation 17 („Niemand ist eine Insel“).

7. William Shakespeare, Hamlet, 4. Akt, 4. Szene., Übersetzung von August Wilhelm Schlegel.

8. Henry David Thoreau (1817-1862), US-amerikanischer Schriftsteller und Philosoph.

9. Er trat ein für die Abschaffung der Sklaverei.

10. Am 19.-20. Juli 1848 fand in Seneca Falls/New York die erste große Versammlung der westlichen Hemisphäre statt, die eine Resolution für das Wahlrecht der Frauen beschloß.

11. Ichabod Crane ist die Hauptfigur in Washington Irvings Novelle The Legend of the Sleepy Hallow (dt. „Die Sage von der schläfrigen Schlucht“) (1820).

12. Der Nachfolger George W. Bushs als Gouverneur von Texas.

Bruce Fein ist Verfassungs- und Bürgerrechtler und war unter Präsident Ronald Reagan (1981-82) Unterstaatssekretär im US-Justizministerium. Er verfaßte eine Anklageschrift für ein Absetzungsverfahren gegen Präsident Barack Obama. Bei der Konferenz des Schiller-Instituts am 26.1. 2013 in New York City hielt er den folgenden Vortrag.


Lyn Yenn

Lynn Yen: Klassische Musik ist heute notwendiger denn je

Lynn Yen von der Stiftung für die Erneuerung der Klassischen Kultur berichtete bei der New Yorker Konferenz des Schiller-Instituts über die Arbeit der Stiftung.

Im Wortlaut

Kesha Rogers mit ihrer Einführung heute nachmittag kann ich völlig recht geben: Die Grundlage unserer Stiftung bilden Schillers Worte: „Es ist die Schönheit, durch welche man zur Freiheit wandert.“ Das ist der Grundgedanke dafür, was unsere Stiftung sein soll.

Nun zunächst etwas über mich persönlich: Ich wurde in der Ära nach der Kulturrevolution in China geboren und ich kam in den 80er Jahren mit meiner Mutter nach Amerika, als sie als Ärztin an einem Austauschprogramm der Weltgesundheits-Organisation teilnahm. Ich fing an, Klavier und gleichzeitig Kalligraphie zu lernen, als ich sieben Jahre alt war. Aber ich denke, ich war sehr ein Produkt meiner Generation: Als ich ans College ging, besuchte ich auch die New York University, um Finanzen zu studieren. Ich hörte mir damals die ganze „coole“ Musik an und gab meine klassische Musik auf, und eine ganze Zeit lang arbeitete ich im Finanzbereich und verbrachte den größten Teil meiner freien Zeit in Nachtclubs oder in Lounges.

Was mich davon abbrachte, war der Finanzkrach 2008. Ich kam zu der Erkenntnis, daß wir tatsächlich in einem völlig kaputten Land leben, das sehr viele Krisen und Probleme hat. Das war auch die Zeit, als ich wieder klassische Musik hörte. Ich begann mit Chopins Nocturne in c-moll, der c-moll-Reihe, und das führte mich dazu, Bach und Beethoven und viele andere große klassische Komponisten zu studieren.

Ich entdeckte damals auch einen der Menschen, mit denen ich mich angefreundet hatte, als ich noch viel jünger war – Tian Jiang. Ein paar Worte über Tian Jiang. Tian wuchs während der Kulturrevolution auf. Sein Vater war ein westlich-klassischer Musiker, ein Opernsänger, und wurde deshalb während der Kulturrevolution zensiert. Zur Zeit der Kulturrevolution waren alle klassischen Künste, sowohl chinesische wie westliche, in China verboten. Alle Intellektuellen wurden gnadenlos verfolgt.

So wuchs Tian auf und lernte Klavier spielen auf einem der wenigen Klaviere im Staatsbesitz, die ab und zu auch privat genutzt werden durften, und sein Vater unterrichtete ihn heimlich. Er mußte alles Klassische heimlich lernen und dabei immer die Ohren offen halten, denn wenn die Roten Garden ihn erwischt hätten, dann wären beide ins Gefängnis gekommen!

Tian war neun Jahre alt, als die Kulturrevolution endete, und er war ein Teenager, als Isaac Stern, der große amerikanische Geiger, 1979 als Kulturbotschafter nach China kam. Das war zur gleichen Zeit, als er seinen berühmten, mit dem Academy Award ausgezeichneten Dokumentarfilm „Isaac Stern in China: Von Mao zu Mozart“ produzierte. Und Tian und vier andere junge klassische Musiker, darunter zwei Geiger und ein Cellist, waren damals die erste Gruppe von fünf jungen Leuten, die ein Stipendium erhielten, um in Amerika klassische Musik zu studieren.

Nun, eines der Dinge, die mir in den Jahren nach 2008 bei Tian auffielen, waren unsere Gespräche über wahrheitsgetreue klassische musikalische Aufführungen – insbesondere eine Diskussion, die wir über Beethovens Hammerklaviersonate [Klaviersonate Nr. 29, Op. 106] hatten. Eines Abends setzten wir uns hin und hörten die Einspielung von Andras Schiff. Und er ließ sein Essen buchstäblich unangetastet, und ihm flossen Tränen über das Gesicht. Und am Ende sagte er: „Ich sah mein ganzes Leben vor meinen Augen.“

Klassische Konzerte für junge Leute

Ich werde auf die Bedeutung seiner Geschichte gleich noch zurückkommen, denn unsere Stiftung entstand als Reaktion auf die wachsende Besorgnis vieler Menschen über den moralischen und intellektuellen Niedergang unserer Gesellschaft, insbesondere in der Jugend. Viele Leute haben das bemerkt und fragten sich: „Was können wir dagegen tun?“ Sie dachten, daß das Problem sicher in der gewalttätigen Kultur liegt, die sich in der Musik und in Medien aller Arten ausdrückt. Und daß man dagegen ein Gegenmittel braucht. Und wir fragten, welche sozialen und kulturellen Mittel hätten wir, um einen solchen Trend wirklich zu ändern und umzukehren?

Nun, als ich wieder anfing, klassische Musik anzuhören und zu spielen, erkannte ich, daß die Musik der großen Genies – wie Bach, Beethoven, Mozart und viele andere – wirklich ein natürliches Medium ist, durch das junge Seelen natürlich wachsen können. Deshalb haben wir in den letzten 16 Monaten vier größere Konzerte veranstaltet, und wir haben auch an zwei öffentlichen Schulen Chöre als freiwillige Programme gegründet.

Das kam in Gang, nachdem mich Tian 2011 informiert hatte, daß er ein reines Mozart-Programm aufführen würde. Ich nutzte diese Gelegenheit, um das, was wir vorhatten und meiner Meinung nach getan werden mußte, in die Tat umzusetzen. Wir fanden einen Sponsor für 150 Eintrittskarten und dann riefen wir die öffentlichen Schulen an. Anfangs sagten mir einige der Schulleiter: „Sie wollen unseren Schülern Tickets für ein reines Mozart-Konzert geben? Jay-Z vielleicht, aber doch nicht Mozart! Ich glaube nicht, daß das irgend jemanden interessieren wird!“ Und ich antwortete: „Fragen Sie sie einfach. Bitte!“ Und einige Wochen später riefen er und einige andere mich zurück, und derselbe Schulrektor sagte: „Nun, ich denke, ich habe ein paar Schüler.“ Und eine Woche später sagte er: „Ich habe ein ganzes Boot voll von Schülern!“ Schließlich sagte er: „Wie viele Karten könnte ich bekommen? Kann ich 50 Karten bekommen? Ich habe eine Menge Kinder, die kommen wollen.“

Dieses Konzert im November 2011 wurde von Schülern aus 18 Schulen besucht, und es bewies, daß junge Leute heute tatsächlich ein Interesse haben für klassische Musik. Es widerlegte mit Sicherheit das Vorurteil, das die meisten Menschen haben, daß die jungen Leute keine klassische Musik mögen.

Das nächste, was wir dann, einen Monat später, taten, hatte einen etwas anderen Zweck. Es sollte, ausgehend von dem vorhandenen Interesse der Schüler, die Idee austesten, ob klassische Musik, ohne irgendwelche Belehrungen und Ermahnungen, das Medium für eine ganz natürliche, ungezwungene Verbesserung der Aufmerksamkeit und Konzentrationsspanne sein kann – und das sogar schon bei der ersten Begegnung mit einem komplexen, sogar schwierigen klassischen Konzert? Dieses Konzert, das im Bruno-Walter-Auditorium des Lincoln Center stattfand, gab dann wieder der Konzertpianist Tian Jiang. Tian hatte zunächst die Sorge, daß die von ihm ausgewählte 7. Klaviersonate von Beethoven für die unausgebildeten jungen Menschen zu schwer zu verstehen wäre, denn sie hat vier Sätze und gilt im allgemeinen selbst für die typischen Liebhaber klassischer Musik als schwierig. Und tatsächlich waren auch zu Beginn des Konzerts viele Leute – Lehrer und Schüler, es waren etwa 200 – etwas unruhig.

Aber dann geschah etwas Außerordentliches: Ab der Mitte des zweiten Satzes dieser Beethoven-Klaviersonate war das Publikum so still, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören. Die gesamte Aufmerksamkeit konzentrierte sich buchstäblich auf den Pianisten, und am Ende des Konzerts konnte man bei jedem im Publikum diese stärkere Aufmerksamkeit und Aufgewecktheit spüren.

Und die Schüler stellten ihm nach dem Konzert Fragen, ohne daß wir ihn gebeten hatten, noch da zu bleiben, sie waren einfach so begeistert und interessiert. Das scheint mir wirklich die Vorstellung zu widerlegen, daß man die Menschen nur besser machen könne, indem man ihnen sagt, was sie tun sollen. Nein, so ist es tatsächlich nicht. Man kann es am besten durch das natürliche Medium, um Aufmerksamkeit und Konzentration zu erzeugen, und das sind die klassische Musik und klassische Kompositionen und klassische Aufführungen.

Nach diesem Konzert geschah dann noch etwas anderes. Wir wollten testen, ob wir ein großes Publikum organisieren könnten, weitgehend oder überwiegend von Menschen, die sonst keine klassische Musik hören – wovon alle dachten, „ein solches Konzert ist völlig unmöglich“. Das Konzert fand im Mai 2012 in der angesehensten Konzerthalle für klassische Musik in Amerika statt, dem Isaac-Stern-Auditorium in der Carnegie Hall. Viele Leute, unter anderem vom Schulamt und sogar von der Carnegie Hall selbst, hatten große Bedenken dagegen, daß wir dafür mobilisierten, diese Halle mit 2800 Plätzen an einem Sonntag zu füllen – noch dazu am Muttertag, wenn die Menschen normalerweise nicht in Konzerte gehen! Außerdem wurden für sie keine Busse bereitgestellt, sie mußten also alle selbst und vollkommen freiwillig kommen.

Aber wir haben etwa 2200 Menschen zusammengebracht. Etwa 1700 davon waren Schüler, Eltern und Lehrer, und sie kamen aus mehr als 70 öffentlichen Schulen aus allen Teilen von New York City. Sie kamen in Gruppen zu fünf, sieben oder zehn Personen – von Kleinkindern auf dem Schoß der Mutter bis zu Großmüttern im Rollstuhl.

Und es war ein wirklich anspruchsvolles Programm: Bach, Mozart, Beethoven, Brahms. Wir hatten niemanden darauf vorbereitet, und das waren junge Leute und ältere Leute, die keine typischen Hörer klassischer Musik waren – sie waren sicher noch nie in der Carnegie Hall gewesen und hatten diese Musik noch nicht gehört. Und es kam kein Mucks von den kleinen Kindern! Hinterher hat man mir erzählt, daß einige Jungen, Teenager, die erst gesagt hatten, sie wollten nach der Pause gehen, nicht gegangen waren. Und dieses Publikum hat diese Musik sicherlich vollkommen verstanden und gewürdigt. Es gab während des Konzerts immer wieder anhaltenden Applaus, und das Interesse war so groß, daß die Leute hinterher zu mir kamen und sagten: „Wir verstehen jetzt, was Sie über die klassische Musik sagen und wie sie die Menschen begeistern kann. Wir wollen mitmachen, wir wollen etwas dafür tun.“

Das Chorprojekt

Diese Konzerte wurden organisiert, um die Menschen durch Schönheit zu erheben und zu begeistern, aber sie sollten auch Vorurteile widerlegen. Beides gelang, und daran hatte Tian wirklich wichtigen, entscheidenden Anteil, denn er führte diese Musik von Bach und Beethoven und Mozart auf – und das vor allem wahrheitsgetreu, mit Schönheit. Und deshalb hat das ganze funktioniert.

Nun, im Verlauf dieser Konzerte kamen Schüler und Lehrer und einige Eltern, die von der Musik inspiriert waren, zu uns und fragten, wie sie mitmachen können. Daraus entstand die Idee, junge Leute dadurch zu beteiligen, daß sie Musik singen. So entstand unser Händel-Projekt, unser Händel-Chorprogramm: Die Idee war, daß im Prinzip jeder, der eine Sprache sprechen kann, auch singen kann! Und gut singen kann. Das wäre eine mächtige und konkrete Idee, mehr noch, eine Demonstration, wie man durch eine soziale Veränderung die einzelnen Schüler verändern kann, indem man einen neuen Chor oder mehrere Chöre für junge Leute schafft. Wenn junge Menschen sich selbst beweisen, daß sie etwas schaffen können, was sie sich nicht zugetraut hatten, nämlich durch die Praxis die musikalischen Gedanken aller dieser großen Genies zu verstehen, dann befreien sie sich. Sie tun etwas, was sie bis dahin für unmöglich gehalten hatten, aber nun wußten sie, daß es ihnen absolut möglich war!

Das ist keine neue Idee, es ist kein neues Konzept. Einer der Lehrer, die ich beim Organisieren dieser Konzerte kennengelernt habe, ist der stellvertretende Schuldirektor Richard Hyman an der Francis Lewis High School in Queens. Richard hat ein wirklich eindrucksvolles Forschungspapier verfaßt, mit dem Titel „Musikausbildung und Gehirnentwicklung 2011“. Er hat systematisch mehr als 600 Studien durchgearbeitet, die in den letzten 30 Jahren erschienen sind, und schlüssig bewiesen, wie ein Neurologe sagte: „In Gruppen zu musizieren, ist eine enorm anspruchsvolle Aufgabe für das menschliche Gehirn, die beinahe alle uns bekannten kognitiven Prozesse fordert, darunter Wahrnehmung, Handeln, Denken, soziales Denken, Emotionen, Lernen und Gedächtnis. Dieser Reichtum macht die Musik zum idealen Instrument, um die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns zu untersuchen.“

Richard schreibt in seinem Aufsatz: „Als Platon seine Vision aufschrieb, was Bildung sein sollte, empfahl er bloß zwei Dinge: Gymnastik für den Körper und Musik für den Geist.“ Aber in diesem Land galt der Musikunterricht immer als etwas weniger wichtiges und außerschulisches, als eine „Besonderheit“ oder ein „Zusatz“ – was eigentlich nur ein Euphemismus ist für „entbehrlich“. Und jedesmal, wenn eine Haushaltskürzung vorgenommen wird, wird als erstes an der Musik gespart. Das geht in Amerika jetzt schon seit 30 Jahren so!

Hyman nahm also ein Studienjahr und schrieb dieses Papier als Versuch, dem Schulamt zu beweisen, daß Musik nicht nur wichtig, sondern ganz entscheidend ist, damit man sie wieder in den Lehrplan hineinbringt! Er sagte, er sei überzeugt, daß „dieses kognitive, wahrnehmende, wirksame und einfallsreiche Unternehmen, das wir ,ästhetische Erziehung’ nennen, die Atmosphäre in den Schulen verändern kann. Ich bin überzeugt, daß sie zentral werden muß, wenn unsere Schulen wirklich bildend, stimulierend, herausfordernd werden sollen, wie es die meisten von uns wünschen. Ich glaube, wenn man den Menschen Fenster und Türen öffnet, um sie frei zu machen, ihre Vorstellungskraft und ihren Geist und ihre Wahrnehmungsfähigkeit zu nutzen, daß das Leben retten und verändern kann.“

Er war wirklich sehr besorgt. Er sagte mir, nachdem er mehr als 30 Jahre als Lehrer im Schuldienst verbracht hat, die jungen Leute hätten bei den Prüfungen heute nur noch 20% der verbalen und mathematischen Fähigkeiten, die High-School-Absolventen in den 50er Jahren hatten! Sie sind also heute um 80% dümmer. Und die Forschungen der letzten 30 Jahre zeigen außerdem, daß der Musikunterricht viele Bereiche des Gehirns fördert, die die Effizienz der Arbeitsweise des Gehirns vergrößern. Der Geist lernt, sehr, sehr vieles zu leisten – alles, was ein Mensch im Leben tut.

Und er fährt fort: „Musiker verstehen, daß eine Musikausbildung grundlegend das Leben verändert. Aufgrund des beklagenswerten Zustands der Musikausbildung in diesem Land sind die meisten sich ihres kreativen Potentials gar nicht bewußt. Sie mögen Musik hören, aber sie werden dazu herangezogen, sich selbst nur als Hörer zu betrachten, nicht als aktive Teilnehmer, und sie sind überzeugt, daß nur besonders begabte Menschen Musik aufführen oder komponieren können. Die Rolle der Öffentlichkeit ist auf die eines Konsumenten reduziert und ein großer Teil dessen, was gekauft wird, ist langweilig und simple Wiederholung. Der Wert der Musikausbildung liegt in der Fähigkeit, die fundamentale Menschlichkeit einer Person auf allen Ebenen zu heben und die Vorstellungskraft zu befreien, damit der Schüler frei ist, Schönheit in einer ihrer erfüllendsten und ausgereiftesten Formen zu erleben.“

Das also sind unsere Erfahrungen. Das ist es, was wir versuchen mit dem Chorprogramm, das wir begonnen haben, und mit den Musikkonzerten, mit denen wir die Menschen begeistern wollen. Deshalb ist das Motto unserer Stiftung: „Die Künstler sind die unerkannten Gesetzgeber der Welt“, nach Percy ShelleysVerteidigung der Poesie. Und das ist wahr, oder nicht? Poesie ist tatsächlich eine Praxis, Musik ist eine Praxis, und es ist eine Praxis, die auf Hunderte und Tausende und Millionen Menschen ausgeweitet werden kann, wenn wir es wollen. Das ist etwas, was wir alle praktizieren können, von diesem Moment an!

Nur noch ein kurzes Wort zu unserem letzten Konzert und wie wir mehr Menschen daran beteiligt haben. Als wir damit beschäftigt waren, hat mich jemand mit der Sopranistin Fang Tao Jiang bekannt gemacht, die Sie alle heute nachmittag bereits gehört haben. Bei den Vorbereitungen für das letzte Konzert ging es z.B. darum, etwas für die Menschen zu tun, die vom Hurrikan Sandy betroffen waren. Aber wie sich dann herausstellte, war es dann auch für diejenigen, die kürzlich von der Schießerei in Connecticut betroffen waren, denn viele Eltern waren da wirklich sehr verstört über den Gedanken, was für einen Zusammenbruch der Gesellschaft das darstellt. Sie wollen also nicht bloß persönlich getröstet werden, sie wollen wissen, was zu tun ist. Und mit Hilfe dieser klassischen Musiker, wie Fang Tao Jiang, gelang es uns, die Menschen zu erheben, es gelang uns, die Menschen an etwas teilhaben zu lassen, was von Natur aus schön ist!

Und was sagt uns das alles? Nun, ich denke, es ist absolut möglich, daß wir eine bedeutende Änderung und einen Unterschied im Leben der Menschen herbeiführen und sie inspirieren, ein anderes Bewußtsein zu praktizieren. Das Ausüben klassischer Musik kann ansteckend sein und wirksam helfen, unsere Menschlichkeit und unsere Wahrhaftigkeit umfassend zu entwickeln. Ich habe das selbst erfahren, ich weiß es von dort, wo ich herkomme. Und angesichts der Peinlichkeit des Playback-Gesangs von Beyonce bei der Amtseinführung des Präsidenten neulich und des beständigen Mangels an Wahrhaftigkeit im Leben eines Großteils der Amerikaner heute denke ich, daß wir alle heute die Kraft der klassischen Musik für Veränderung aufnehmen müssen und daß sie sicherlich notwendiger und stärker ist als jemals zuvor.

Vielen Dank.

 


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