Die New Yorker Konferenz des Schiller-Instituts am 26. Januar wurde von der Vorsitzenden des Instituts, Helga Zepp-LaRouche, mit der folgenden Rede eröffnet.
Meine Damen und Herren, liebe Mitglieder und Freunde des Schiller-Instituts, ich denke, wir alle sind heute hier in dem vollen Bewußtsein versammelt, in welcher extrem ernsten Lage die Menschheit sich befindet. Zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht klar, ob diese Menschheit eine Zukunft haben wird oder nicht.
Der Grund, warum ich das sage, ist, daß mehrere existentielle Krisen zusammenfallen, von denen jede einzelne ausreichen würde, die Überlebensfähigkeit der menschlichen Gattung in Frage zu stellen. Die erste, die gefährlichste und besonders akute Gefahr ist natürlich, daß die Krise im Nahen Osten, die sich jetzt schnell auf Nordafrika ausweitet, ein „neuer Balkan” geworden ist, also das, was der Balkan vor dem Ersten Weltkrieg war. Es gibt eine Kombination von Allianzen, bei der schon ein einzelner Auslöser, nur ein Schritt über das Bestehende hinaus, den dritten Weltkrieg auslösen kann. Und das wäre diesmal ein thermonuklearer Krieg. Jedermann weiß, daß z.B. ein Militärschlag gegen den Iran sofort einen thermonuklearen dritten Weltkrieg auslösen würde. Es könnte sogar schon mit dem Sturz der Regierung Assad anfangen oder auch einfach nur mit fortgesetztem Chaos, wie wir es gerade jetzt mit der Ausbreitung von Al-Kaida im Nahen Osten und Nordafrika erleben.
Sollte es zu diesem thermonuklearen Krieg kommen, dann ist sehr wahrscheinlich, daß niemand übrig bleibt, daß es einen nuklearen Winter gäbe, wo die Menschen, die in den ersten Stunden sterben, sich noch glücklich schätzen können im Vergleich zu denen, die später sterben. Das Problem ist, daß das den Menschen nicht mehr bewußt ist, aber erinnern Sie sich, daß Präsident Kennedy während der Kubakrise genau das gesagt hat. Und weil inzwischen die Waffenarsenale noch viel größer geworden sind, hat auch die Zerstörungskraft stark zugenommen.
Die zweite große und potentiell existentielle Krise ist die Tatsache, daß das gesamte transatlantische Finanzsystem wegen der Hochrisiko-Spekulation – den 25% Profit, von denen Herr Ackermann gerne sprach – und der ständigen staatlichen Rettungsaktionen für die systemrelevanten Banken jetzt soweit gekommen ist, daß nur noch eine hyperinflationäre Explosion des ganzen Systems folgen kann.
Wenn das geschieht – und es gibt Anzeichen dafür, daß es schon diese oder nächste Woche passieren kann, oder im Februar, jedenfalls bald -, dann gäbe es eine Hyperinflation wie in Deutschland 1923. Und das bedeutet die brutalste Enteignung der Bevölkerung. Wenn das passiert, gäbe es eine unglaubliche politische und soziale Krise, denn wenn man sich vorstellt, wie es in der ganzen Eurozone und der Dollarzone, und dann übergreifend auf den Rest der Welt eine Hyperinflation gäbe wie in Deutschland 1923, dann würde dieses Chaos die Zivilisation unmittelbar in ein finsteres Zeitalter stürzen.
Die dritte Krise, die ich erwähnen möchte, ist die unglaubliche kulturelle und moralische Krise. Denken wir an die Verbreitung von Drogen, Pornographie, Gewalt und besonders, wie das inzwischen die Jugendkultur prägt. Es gibt nicht nur immer mehr Massaker wie das in Newtown, wo verrückte Leute viele andere Kinder und Lehrer töten, sondern es gibt eine Krise in den Köpfen der jungen Menschen! Wenn 12jährige Kinder schon „alles kennen”, alles Erdenkliche mitgemacht haben in Bezug auf Pornographie, Vergewaltigung usw., was bleibt dann noch im Denken dieser Generation? Das ist etwas, was die Vereinigten Staaten und ganz Europa und mit der Globalisierung leider viele andere Länder betrifft.
Das Menschenbild, das das zugrundeliegende Axiom aller dieser Krisen darstellt, ist ein bestialisches Bild geworden, wo die Werte völlig verkommen und degeneriert sind. Das liegt nicht daran, daß der Mensch von Natur aus so ist – ich glaube nicht, daß der Mensch grundsätzlich schlecht ist -, sondern ich denke, daß das oligarchische System, das die Globalisierung betreibt, im wesentlichen das gleiche tut, was das Römische Reich getan hat, um bewußt die Moral der Menschen zu schwächen, sie zu verdummen, damit sie mehr oder weniger wehrlos sind oder es ihnen jedenfalls so scheint. Denn wenn man auf die Straße geht, wie wir das jeden Tag tun, da sagen die Leute: „Ach, da kann man ja doch nichts machen“, und das ist ein sicheres Zeichen für die Oligarchie, wenn die Menschen das sagen.
Der Punkt, den ich machen will, ist: Die Krise ist so vielfältig, daß nur ein völliger Paradigmenwechsel, ein völliger Wertewandel dieses Problem lösen wird. Vor fast 46 Jahren, am 4. April 1967, sprach Martin Luther King in dieser Kirche, er hielt eine Rede mit dem Titel „Über Vietnam hinaus – Zeit, das Schweigen zu brechen“, eine sehr, sehr emotionale und wirkungsvolle Verurteilung des Vietnamkrieges. Und er sagte, was wir wirklich brauchen, ist ein neuer Weg, heraus aus der Dunkelheit, die um uns herum so nahe erscheint, und dann forderte er eine „radikale Revolution der Werte“.
Genau das ist auch die existentielle Notwendigkeit heute. Wir brauchen eine totale, fundamentale Veränderung des Paradigmas, und es muß ein Aufwärtssprung sein, so grundlegend wie der Paradigmenwechsel, der Mittelalter und Neuzeit trennt, den Nikolaus von Kues mit seinen Schriften bewußt hervorrief. Er brach bewußt mit der herrschenden Ideologie der Zeit, nämlich der Scholastik, einem unglaublichen Aberglauben, dem damaligen formallogischen Denken der Peripatetiker, und er führte eine ganz neue Denkweise ein, die zu all den Durchbrüchen der Neuzeit führte: den Durchbrüchen in der modernen Wissenschaft, den Durchbrüchen in der klassischen Komposition und vielem anderen.
Was ich am erschreckendsten finde, wenn ich an die gegenwärtige Lage denke, ist, wie nahe wir einer völligen Katastrophe sind und die Regierungen, zumindest keine der führenden Regierungen der G20 und viele andere, dies nicht einmal zugeben wollen! Sie handeln weiter so, daß der Weg schrittweise immer weiter in die Katastrophe führt.
Gestern wurde berichtet, daß auch die deutsche Regierung Kampfdrohnen produziert. Das ist verrückt! Warum würde jemand eine Politik fortsetzen, Menschen zu töten, wenn es absolut unmöglich ist, zwischen Kriminellen, Terroristen und zivilen Opfern zu unterscheiden? Und das Problem ist nicht nur, daß sie nicht reagieren, sondern daß sie sich auf einem Kurs befinden, der ins Desaster führt, und daß auch die Bevölkerung unmoralisch ist.
Ich stimme in der Hinsicht mit unserem nächsten Sprecher überein, daß leider nur ein sehr kleiner Teil der Menschen die Moral und den Mut hat, etwas zu tun, und der Zweck dieser Konferenz, so wie bei früheren und folgenden Konferenzen, ist der, an die vielleicht 5% der Bevölkerung zu appellieren, die den Mut haben, sich gegen die Mehrheit und gegen das gegenwärtige Paradigma zu stellen – Menschen, die sich von einer inneren Wahrheit führen lassen und fähig sind, die Konsequenzen der gegenwärtigen Politik zu durchdenken. Denn die große Mehrheit, wahrscheinlich 95% oder mehr, sind von außen gelenkt: Sie mögen unmoralische Unterhaltung, sie suchen Vergnügen im hier und jetzt. Oder sie sind einfach so damit beschäftigt, nur jeden Tag ihr Essen zu beschaffen und zu überleben, daß sie nicht die Energie haben, größere Fragen zu durchdenken wie Strategie, Geschichte, Wissenschaft und Kultur.
Deshalb müssen wir die 5% finden und mobilisieren, die intellektuell und moralisch in der Lage sind, sich zu verbünden und diesen Paradigmenwechsel zu bewirken. Wir hatten Ende letzten Jahres eine Konferenz in der Nähe von Frankfurt und wir werden viele weitere solche Konferenzen veranstalten und Leute einladen, beizutragen – Papiere, Diskussionen, Seminare -, um das neue Paradigma zu definieren, denn das ist das absolut notwendige Umfeld, das wir als Flanke schaffen müssen. Wir müssen die besseren Teile der Bevölkerung mobilisieren, aber wenn es hart auf hart kommt, sind wir so unmittelbar in der Krise, daß, wenn der amerikanische Kongreß nicht sofort, in den nächsten Tagen, Glass-Steagall beschließt – und wenn das geschieht, wird ähnliches in Europa in Gang kommen -, schon sehr bald Chaos ausbrechen wird.
Ich kann Ihnen versichern: Wenn man mit einigen der Topbanker spricht, wenn sie privat ehrlich sind, dann geben sie zu, daß in einer Minute alles zusammenbrechen kann und daß die Leute, die diese Politik vorantreiben, völlig unverantwortlich sind.
Glass-Steagall ist jetzt der absolut notwendige erste Schritt, und es sieht nicht so schlecht aus, denn wir haben eine unglaublich erfolgreiche Mobilisierung, Glass-Steagall international auf den Tisch zu bringen. Das „Trennbankensystem“, wie man es auf deutsch nennt, war noch vor zwei Jahren völlig unbekannt; und gerade heute morgen habe ich in meiner Mail in einem Artikel aus der Süddeutschen Zeitung gelesen, daß die Banker jetzt erkennen, daß die Politik mit der Bankentrennung ernst macht, daß es nicht mehr nur die „Spinner“ sind – damit sind natürlich wir gemeint! -, die das vorantreiben.
Es ist aber noch nicht entschieden, ob es der Vorschlag von der Vickers-Kommission sein wird, die Volcker-Regel, Dodd-Frank oder Liikanen, all diese verwässerten Versionen, oder was sonst. Sie erwähnen natürlich nicht Glass-Steagall, sie erwähnen nicht Kapturs Gesetzentwurf im Kongreß. Angesichts der Tatsache, daß der deutsche Wahlkampf für die Bundestagswahl läuft, wird das ein beherrschendes Thema sein, und ich kann Ihnen versprechen, wir werden dafür sorgen, daß es das echte Glass-Steagall sein wird.
Auch in den Vereinigten Staaten hat Richard Fisher vor etwa einer Woche eine sehr wichtige Rede im Nationalen Presseclub gehalten und darin die Aufspaltung der systemrelevanten „too-big-to-fail“-Banken gefordert.
Nun, warum ist das jetzt unbedingt notwendig?
Letzte Woche gab es in Königstein im Taunus bei Frankfurt eine Podiumsdiskussion mit Anshu Jain, heute Kodirektor der Deutschen Bank, Jamie Dimon von JP Morgan, Klaus Engel, Chef des Chemiekonzerns Evonik, und Nikolaus von Bomhard, Chef der Munich Re, der größten Rückversicherungsgesellschaft der Welt. In dieser Debatte, deren Thema die Banken waren, sagte Klaus Engel, der Leiter des Chemieunternehmens, „unsere giftigen Produkte sind zumindest streng reguliert“, und Jamie Dimon antwortete: „Aber Ihre Fehler haben Menschenleben gekostet, unsere nicht.“
Nun, das kann ich so nicht stehenlassen, denn das ist ein Fall von Chuzpe, wie ich ihn noch nie gesehen habe, und dann erst recht noch von JP Morgan! Denn es war eben diese Bank JP Morgan, die gleich nach Franklin D. Roosevelts Tod anfing, die strengen Vorschriften von Glass-Steagall zu untergraben, das fing schon in den 50er Jahren an. Es war JP Morgan, wo damals Alan Greenspan Direktor war, die 1984 eine Schrift veröffentlichte „Wie man Glass-Steagall wieder abschafft“. Als Alan Greenspan in den 80er und 90er Jahren Chef der Fed war, unterminierte er Glass-Steagall Schritt für Schritt, und natürlich war er mittendrin, als 1999 Glass-Steagall abgeschafft wurde und die ganze Deregulierung losging.
Diese Deregulierung führte zur Aktienblase, dann der Blase der minderwertigen Hypotheken, und 2007 brach dann die jetzige globale Finanzkrise voll aus und es kam die Politik der endlosen Rettungspakete. In den USA sind es – niemand weiß es genau, weil die Federal Reserve keine Bilanzprüfungen zuläßt, es gibt dort keine Transparenz -, aber es sind vielleicht 30 Billionen Dollar allein für die US-Banken. Gleichzeitig gab es eine totale Umwandlung privater Wettschulden in Staatsschulden, wodurch die sogenannte „Staatsschuldenkrise“ ausbrach, die in Wirklichkeit eine Banken- und eine Zockerkrise ist. Jetzt kommen sie plötzlich an und sagen, wir wollen Kürzungen und ausgeglichene Staatshaushalte auf Kosten des Lebensstandards der Bevölkerung.
Eine Oppositionspartei in Griechenland, die Unabhängigen Griechen, hat am 16. Januar beim Internationalen Strafgerichtshof eine Klage gegen die sogenannte Troika, den IWF, die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingereicht, wegen der Maßnahmen, die diese Troika seit Mai 2010 bis heute erzwungen hat. Diese Politik habe zu 3500 Selbstmorden geführt, dem Verlust von 1,5 Mio. Arbeitsplätzen, Tausenden Betriebsschließungen, und verstoße gegen das Römische Statut des Strafgerichtshofs und gegen die Grundrechte-Charta der EU, die im französischen Nizza im Dezember 2000 beschlossen wurde und die bestätigt, daß jeder Mensch das Recht auf Leben hat. Der Klage zufolge trägt der Staat die Verantwortung, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben jeder Person zu schützen.
Und das ist nur Griechenland. In Italien gibt es Märsche der Witwen von Unternehmern, die wegen dieser Politik Selbstmord verübt haben. Der frühere Nahrungsmittelbeauftragte der UN Jean Ziegler hat gesagt, daß als Folge dieser Politik alle fünf Sekunden ein Kind stirbt; täglich verhungern 57.000 Menschen. Für eine Tankfüllung Biotreibstoff für einen SUV braucht man 352 kg Mais, das reicht, um ein Kind ein ganzes Jahr lang zu ernähren. Als Folge dieser Politik sind 2,2 Mio. Kinder in der EU unterernährt; 43 Mio. Menschen in den USA sind auf Lebensmittelmarken angewiesen. In Spanien bringen 55% der Lehrer Essen mit in die Schule, weil die Kinder sonst nichts zu essen haben.
Jean Ziegler sagt, angesichts der Tatsache, daß wir alle Technologien haben, um das zu lösen, und die Erde leicht 12 Milliarden Menschen ernähren könnte, sei das Mord, und er beschreibt sehr, sehr dramatisch, warum Hunger die schlimmste Todesart ist: Er führt zu einer schrecklichen Agonie, die Menschen werden lethargisch, dann führt er zum Kollaps des Immunsystems; man bekommt schweren Durchfall und extreme Schmerzen. Das Endstadium ist dann Muskelatrophie und dann Tod.
Und ich meine, wir sollten daran denken, denn die Bankenpolitik ist nicht ohne Zusammenhang mit den Folgen, egal was behauptet wird. Es gibt in ganz Europa, besonders in Großbritannien, und in den Vereinigten Staaten, eine Dreiklassenmedizin: Reiche Menschen können sich gute Krankenversorgung leisten; dann gibt es einige, die versorgt werden; aber viele können es sich auch nicht leisten, zum Arzt zu gehen, weil sie nicht einmal die verschriebenen Medikamente bezahlen können. Auf diese Weise wird das Leben der Menschen verkürzt.
Fünfeinhalb Jahre nach dem Ausbruch der Krise im Juli 2007 ist mehr Giftmüll in den Banken als je zuvor. Das haben uns Spitzenbanker in Europa gesagt, die für unsere Glass-Steagall-Methode sind. Schon 2003 nannte Warren Buffett die Derivate „Massenvernichtungswaffen“, und jedesmal, wenn es um ein Rettungspaket ging, wurde mit diesen Massenvernichtungswaffen gedroht. Wenn z.B. Herr Dallara vom IIF, dem International Institute of Finance, der Lobby der 620 größten Banken, beim EU-Gipfel am Tisch sitzt, drohen sie immer: „Wenn ihr nicht tut, was wir euch sagen, fällt das ganze Bankensystem auseinander“. Und derselbe Herr Dallara sagte gerade in Davos beim laufenden Weltwirtschaftsforum: „Ein neuer großer Sturm steht bevor”, und er gab der G20 schuld, weil die nicht genug getan hätte.
Aber wenn man es sich einmal anschaut, was haben diese „systemrelevanten“ Universalbanken erreicht? Der Libor-Skandal: die 40 größten Banken haben ihre Kunden über mehrere Jahrzehnte um mehrere hundert Milliarden Dollar betrogen! Die Hongkong und Shanghai Banking Corp. (HSBC) wurde angeklagt, aber leider nicht bestraft, weil sie 85% des mexikanischen Drogengelds gewaschen hat. Das Drogengeld ist laut Antonio Maria Costa, dem früheren Exekutivdirektor bei der UN-Behörde gegen Drogen und Verbrechen, und Viktor Iwanow, seinem russischen Amtskollegen, der einzige Grund, warum das Finanzsystem noch nicht zusammengebrochen ist, und alle Banken aller Größen sind daran beteiligt.
Der Deutschen Bank wird Betrug beim Handel mit CO2-Emissionszertifikaten und Steuerhinterziehung vorgeworfen und im Dezember gab es zwei Razzien der Büros der Deutschen Bank, eine davon mit 500 bewaffneten Polizisten! Nicht gerade ein kleines Kontingent.
Lanny Breuer, der Leiter der Kriminalabteilung des US-Justizministeriums, wurde kürzlich in einer Fernsehsendung namens „Frontline“ bloßgestellt. Man fragte ihn, warum keine einzige Wallstreet-Bank für ihre Verbrechen vor Gericht verfolgt wurde? Und Breuer antwortete, er könne nachts nicht schlafen, wenn er daran denke, was geschehen würde, wenn man eine Bank A verurteilt, denn es hätte Folgen für alle anderen. Dann sagte Senator Ted Kaufman, das sei sehr beunruhigend, denn die Aufgabe eines Staatsanwalts sei es nicht, nachts wach zu liegen und sich Sorgen zu machen, sondern Verbrechen zu verfolgen.
Richard Fisher hat gefordert, die Großbanken aufzuspalten, denn 0,2% der Banken in den USA verfügten über 69% der Vermögenswerte. Fisher merkte auch richtig an, daß Dodd-Frank, wozu die ganze Volcker-Regel gehört, alles noch schlimmer gemacht hat.
Wir brauchen also die komplette Glass-Steagall-Regulierung, wie bei Roosevelt. Fisher betonte auch: Wenn man versucht, ein völlig undurchsichtiges System von Derivaten und kreativen Finanzinstrumenten mit einem noch komplizierteren Regelwerk zu regulieren, dann wird das nicht funktionieren.
Schauen Sie sich nur an, was sie zustandegebracht haben. Der Entwurf für „Basel III”, womit das Eigenkapital der Banken erhöht werden sollte, hat 616 Seiten. Das Formular (spreadsheet) für den Quartalsbericht der Fed hat 2271 Spalten. Das Dodd-Frank-Gesetz von 2010 hat 848 Seiten und so viele Vorschriften, daß 30.000 Seiten an juristischen Zusätzen hinzukommen können, wenn es komplett festgeschrieben wird. Glauben Sie wirklich, damit könnte man jemand beeindrucken? Das ist immer die Taktik, damit niemand es wirklich versteht, und der einzige Weg, das zu lösen, ist Glass-Steagall: Die Banken trennen und die Geschäftsbanken schützen, den Investmentbanken sagen, daß sie ihr Problem allein ohne Steuergelder lösen müssen und wenn sie Insolvenz erklären müssen, dann ist das eben so.
Dann braucht man natürlich gleich ein Kreditsystem. Wenn wir das nicht machen, bekommen wir in den nächsten Tagen oder Wochen ein unkontrollierbares Chaos, eine hyperinflationäre Explosion und das geben die Leute jetzt auch schon zu. Z.B. hat Prof. Sinn vom ifo-Institut in München gerade in einem Artikel geschrieben, daß das Bankensystem am Rande des Bankrotts steht; Gläubiger der Banken werden kein Geld zurückbekommen, und z.B. allein die sechs am meisten betroffenen Länder in Europa haben 9,4 Bio. Euro ausstehende Schulden, davon ein Drittel Staatsschulden.
Wenn man das mit den existierenden Instrumenten vergleicht, dem sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus, mit $80 Mrd. Kapital und $620 Mrd. Garantien – wenn man diese Schulden bedienen will, kommt man sofort in die Hyperinflation! Es gibt jetzt also eine Debatte über Bankentrennung, aber wir müssen sicherstellen, daß es das komplette Glass-Steagall wird.
Es ist genauso, wie Richard Fisher im Nationalen Presseclub gesagt hat: Der Schutz für die Investmentbanken muß komplett abgezogen werden, aber wir müssen auch die Hedgefonds loswerden, die Private Equity Funds, Schattenbanken usw.
Glas-Steagall ist das heißeste Thema, aber es ist nur der erste Schritt. Wir brauchen, unmittelbar damit verbunden, auch ein Kreditsystem in der Tradition von Alexander Hamiltons Nationalbanksystem. Wir brauchen Kreditlinien für Investitionen in große Infrastrukturprojekte. Das Schiller-Institut hat in den letzten 40 Jahren, aber vor allem in den letzten 20 Jahren seit dem Fall der Mauer, etwas ausgearbeitet, was auf einen globalen Marshallplan hinausläuft, ein globales Wiederaufbauprogramm.
Dies hier ist ein Bericht, den wir 1990 veröffentlicht haben, gleich nachdem die Berliner Mauer gefallen war und es den Eisernen Vorhang nicht mehr gab. Das war die Idee, die Industrie- und Bevölkerungszentren Europas und Asiens durch sog. „Entwicklungskorridore“ zu integrieren.
Das war damals nur eine Idee. Wir hatten etwa 100 Konferenzen, Vorträge und Seminare überall auf der Welt. Und schließlich entwickelte sich das weiter zur Weltlandbrücke, d.h. der Idee, die ganze Welt mit Infrastruktur zu verbinden, vom Süden Chiles durch Mittelamerika und Nordamerika über die Beringstraße zur Eurasischen Landbrücke und über mehrere Brücken und Tunnel bis hinein nach ganz Afrika (Abb. 1).
Die Verbindung zwischen Nordamerika und Eurasien über die Beringstraße ist ein Projekt, das offensichtlich bereits auf dem Weg ist. Die russische Regierung ist dazu entschlossen, und das Projekt hat bereits großes Interesse von China, Japan und von Korea gefunden, weil es den Weg zur Entwicklung der Arktis öffnet.
Ein zentraler Aspekt dabei ist offensichtlich NAWAPA [die Nordamerikanische Wasser- und Stromallianz]. NAWAPA würde sofort sechs Millionen Arbeitsplätze schaffen. Es ist das größte Wasserregulierungsprojekt, das je in der Geschichte der Menschheit erdacht wurde. Es steht ganz in der Tradition von Franklin D. Roosevelts TVA [Tennesseetal-Behörde]. Und es soll durch die Panamerikanische Autobahn und die Schließung der „Darien-Lücke“, die derzeit als „Biotop“ des World Wildlife Fund kaum überwindbar ist, auch mit Lateinamerika verbunden werden.
Dies hier ist der Beringstraßen-Tunnel. Es geht um die Erschließung der Arktis: Wenn wir die Arktis für die Exploration und sogar für die Besiedelung durch Menschen erschließen, ist dies für die kommenden 100 Jahre eines der Gebiete mit den größten Rohstoffvorkommen der Zivilisation und ein absolut entscheidendes Projekt.
Viele Projekte der Eurasischen Landbrücke befinden sich jetzt in verschiedenen Phasen der Verwirklichung. Es gibt eine umfangreiche Zusammenarbeit zwischen Chinesen, Russen und Koreanern – in Indien sind jetzt viele der Projekte, die wir in Anfang der 90er Jahre vorgeschlagen haben, in verschiedenen Bauphasen.
In letzter Zeit haben wir die Weltlandbrücke noch durch eine Erweiterung nach Südeuropa ergänzt, denn der einzige Weg, wie sich Italien, Griechenland, Spanien und Portugal je aus der gegenwärtigen Krise erholen können, ist es, große Infrastrukturkorridore zu schaffen, die schon in den frühen 90er Jahren entworfen wurden und in verschiedenen Ämtern in den Schubladen lagen, aber aufgrund der Troika-Politik blockiert sind. Zu diesem Programm soll die Entwicklung des gesamten Mittelmeerraums gehören; es schließt einen Tunnel unter der Straße von Gibraltar und einen Tunnel von Sizilien nach Tunesien, nach Nordafrika ein.
Und es soll verbunden sein mit großen Infrastrukturprojekten in Afrika. Dies hier ist das Transaqua-Projekt – das ist das Äquivalent zu NAWAPA für Afrika. Dies hier ist ein weiterer Aspekt, wo Wasser aus dem Kongo durch neun Länder bis ins Mittelmeer geleitet werden soll. Ein 40 m breiter Kanal wird helfen, Gebiete zu bewässern, die jetzt völlige Wüste sind – eine zweite Landwirtschaftsregion neben dem Niltal (Abb.2).
Ein großes Problem ist, daß sich die Wüsten der Welt in den letzten 10.000 Jahren stark ausgeweitet haben. Wenn man beispielsweise den sogenannten Nahen Osten betrachtet – da ist nur Wüste. Wenn man es sich von der Atlantikküste Nordafrikas durch den Nahen Osten bis China betrachtet, sieht man einen gewaltigen Wüstengürtel. Das muß absolut rückgängig gemacht werden!
Diese Entwüstung kann auf drei Wegen geschehen: Einer ist, Flüsse umzuleiten. Dies hier sind der Ob und der Irtysch, die normalerweise in Sibirien in die Arktis fließen und die umgeleitet werden sollten, um den Aralsee wieder aufzufüllen, der auf 10% seiner früheren Größe geschrumpft ist. Hier sehen Sie den schrumpfenden Aralsee, der schon bald ganz verschwinden wird, deshalb ist die Umleitung dieser Flüsse absolut notwendig, um den Schaden wieder gutzumachen, den die Monokulturen aus der Zeit der Sowjetunion angerichtet haben. (Abb. 3)
Dann gibt es das sog. GAP-Projekt in Anatolien, das insgesamt 22 Staudämme umfaßt, in einer Region, die jetzt völlig von allen möglichen ethnischen Kämpfen, zwischen Türken und Kurden u.a., geprägt ist. Dies hier ist der Atatürk-Damm. Dies ist die Region des Südost-Anatolien-Projektes. Wenn das fertiggestellt würde, entstünde eine ganz neue Region landwirtschaftlicher und sonstiger Aktivitäten.
Dies hier ist die Begrünung des Irak – ein absolut notwendiges Projekt für diese Region.
Dies hier ist die Wüste der Arabischen Halbinsel, die durch verschiedene Begrünungsprojekte eingekreist werden muß. Dafür können wir in der ersten Phase Wasser aus Grundwasserschichten nutzen. Aber am Ende werden wir auch große Anlagen zur Meerwasserentsalzung brauchen, was nur mit der friedlichen Nutzung der Kernenergie erreicht werden kann. Dafür brauchen wir inhärent sichere Hochtemperaturreaktoren der Vierten Generation.
Das ist der Anfang der Begrünung der Wüsten durch die Nutzung dieser drei Wasservorkommen. Dies wird schließlich zu neuer Vegetation, neuen Niederschlagsmustern, einem neuen lokalen Klima führen, und am Ende wird die Region eher so aussehen wie hier: mit üppigen Gärten und Wäldern, mit Gemüsepflanzungen usw.
Wir brauchen offensichtlich diese Vision, wie man die ganze Welt völlig verwandeln kann. Nun behaupten ja die „Too-big-to-fail“-Banker, für so etwas bräuchte man Universalbanken, private Investitionen. Freihandel, Privatisierungen, Deregulierung usw. Und diese Banker behaupten, die größte Gefahr sei die, daß Länder wieder auf Protektionismus und Verteidigung ihrer nationalen Interessen setzen.
Aber das ist eine gewaltige Lüge! Das ist die Argumentation der imperialen und kolonialen Systeme, denn diese Imperien, wie die Venezianer oder die Briten, beherrschten früher die Meere und folgten dem Prinzip „billig kaufen und teuer verkaufen“. Das Äquivalent dazu sind heute die billigen Arbeitskräfte, mit Kinderarbeit usw., wo Waren produziert werden, die man in den Ein-Dollar- oder Euro-Läden in Amerika oder in Europa kaufen kann.
Das bringt uns zurück zu der Frage, was die eigentliche Quelle des Reichtums einer Gesellschaft ist. Das sind nicht die Rohstoffe, und es ist auch nicht die Macht über Handel und Geld. Es ist allein das kreative Potential der einheimischen Bevölkerung und die Steigerung der Energieflußdichte durch Ausbildung in Wissenschaft, Technik und Kultur. Je entwickelter die Bevölkerung ist, desto größer ist der Reichtum der Nation.
Darüber hinaus braucht man die souveräne Kontrolle über die Kreditschöpfung in der Tradition Alexander Hamiltons und der Ersten Nationalbank der Vereinigten Staaten, wo die Staaten das Recht haben, im Interesse des Gemeinwohls Kredit für wohldefinierte Projekte der Realwirtschaft zu schöpfen. Das beschrieb Friedrich List, der geistige Vater des Nationalen Systems der politischen Ökonomie und des Zollvereins, als den Unterschied zwischen dem Amerikanischen System und dem Britischen System.
Diese Wirtschaftstheorie [des Amerikanischen Systems] bildete die Grundlage für die Industrialisierung in Deutschland, Amerika, Rußland, Japan. Sie wurde mit den Ideen von Henry Carey, dem Wirtschaftsberater Lincolns, fortgesetzt, und dank Careys Ideen wurde Deutschland innerhalb weniger Jahre eine führende Industrienation. Otto von Bismarck, der Kanzler, der Deutschland einigte, war anfangs ein entschiedener Anhänger des Freihandels. Aber Wilhelm von Kardorff, der Mitglied des Reichstags war und den Centralverband Deutscher Industrieller gründete, um die nationale Arbeitskraft zu entwickeln und zu schützen, riet und gewann Bismarck zu einer Abkehr vom Freihandel und als Unterstützer des Protektionismus. Kardorff schrieb ein Buch mit dem Titel Gegen den Strom, in dem er die Lügen der Freihändler und die Prinzipien einer produktiven Volkswirtschaft beschreibt. Und ich kann allen nur raten: Dieses Buch ist eine absolute Pflichtlektüre für jeden, der diese Dinge heute studieren will. Es wird in allen offiziellen Biographien Bismarcks übergangen, was wirklich erstaunlich ist.
Diese Theorie besagt, daß man in die Bereiche investieren muß, in die man auch dann investieren würde, wenn es der Volkswirtschaft gut geht, und daß Geldschöpfung dafür nicht inflationär ist. Tatsächlich kann man zeigen, daß jedesmal, wenn dies befolgt wurde, die Steuereinnahmen mehr einbrachten als der ursprüngliche Kredit kostete, allein schon wegen der direkten und indirekten Auswirkungen auf die Wirtschaft.
Das Entwicklungsprogramm für den Nahen Osten, das sie im Internet (www.bueso.de/wirtschaftswunder) genauer studieren können, kann natürlich nur realisiert werden, wenn die vier großen Mächte bzw. benachbarten Mächte sich darauf einigen, Frieden in der Region zu schaffen. Rußland, China, Indien und der Iran – und hoffentlich auch die Vereinigten Staaten, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und andere – müssen sich auf eine Perspektive des Friedens durch Entwicklung einigen und auf eine Vision, die für diese Region ein Anreiz ist, sich auf einer höheren Ebene der Vernunft zu einigen, zum Nutzen aller Parteien und als Zukunftsvision für die Jugend.
Wir müssen ein Bild zeichnen, wie die Welt in 50 Jahren ausschauen soll. Soll der Nahe Osten – und wenn ich Naher Osten sage, meine ich damit die gesamte Region von Zentralasien, Afghanistan und Pakistan bis zu den Golfstaaten und zum Mittelmeer -, soll diese Region in 50 Jahren oder vielleicht sogar schon früher eine Infrastruktur haben, die so dicht ist wie die im heutigen Europa? Wenn Sie z.B. jemals am Rhein entlang gereist sind, da sehen Sie Frachtschiffe, deren Fracht auf computerisierten Umschlagsplätzen auf die Eisenbahn verladen und ohne Unterbrechung in die Produktionszentren weitergeleitet wird. Genau so etwas brauchen wir auch im Nahen Osten: Wir brauchen eine Vision wunderschöner Städte an Orten, an denen heute nur Wüste ist. Und diese wunderschönen Städte sollten die Architektur der antiken Seidenstraße oder des Abbassiden-Kalifats haben und nicht so aussehen wie Houston/Texas.
Wir brauchen die Vorstellung üppiger Wälder, von Gemüsegärten, grünen Landschaften, wo heute Wüsten und Sandstürme dominieren.
Wir brauchen eine Renaissance der Periode, in der Bagdad die führende Hauptstadt der Welt war, als Harun Al-Raschid und Al-Mansur jede Entdeckung, die ihnen aus den Mittelmeerländern gebracht wurde, in Gold aufwogen, und als Gelehrte wie Al-Kindi, Al-Farabi und Ibn Sina das Erbe der platonischen Tradition in diesem Teil der Welt fortführten.
Nun, und dazu werden wir gleich noch mehr vom nächsten Redner [dem Völkerrechtler Bruce Fein, d.Red.] hören: ist es realistisch, so zu denken, angesichts der gegenwärtigen Lage, wo der Nahe Osten ein Pulverfaß ist, von dem der Dritte Weltkrieg ausgehen kann?
Wenn man sich die Spur der Zerstörung durch die Regimewechselpolitik der britischen und der US-Regierung anschaut, die im Grunde mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann – wenn man den Irak anschaut, Afghanistan, Pakistan, Syrien, Libyen, den Gazastreifen: man sieht Zerstörung, ausgebombte Häuser; jetzt gibt es einen Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten, aus dem sehr leicht ein Hundertjähriger Krieg werden könnte. Wenn man den israelisch-palästinensischen Konflikt anschaut – ist das eine realistische Perspektive? Hat Henry Kissinger recht, wenn er sagt, das Prinzip des Westfälischen Friedens gelte nicht in dieser Region?
Nun, ich sage ganz entschieden: Nein! Ich denke, daß der Westfälische Frieden der einzige Weg ist, wie es zu einem Frieden in der Region kommen kann.
Wie kam der Westfälische Frieden zustande? Er war der Abschluß von 150 Jahren Religionskriegen, deren Höhepunkt der Dreißigjährige Krieg war, der große Teile Europas – 80% – völlig zerstörte, so daß die Menschen sich schließlich an einen Tisch setzten und erkannten, daß am Ende alle Verlierer wären, wenn sie dem nicht ein Ende setzten.
Mit dem Westfälischen Frieden wurden mehrere, sehr wichtige Prinzipien entwickelt. Das erste Prinzip war: Laßt uns um des Friedens willen auf jede Rache verzichten, laßt uns alle Verbrechen vergessen, die von der einen oder anderen Partei begangen wurden, lassen wir das hinter uns. Prinzip Nummer zwei war: Laßt uns um des Friedens willen die Nächstenliebe zur Grundlage der Außenpolitik machen, machen wir das Interesse des anderen zu unserem eigenen. Und drittens wurde der Kameralismus entwickelt, d.h. die Rolle des Staates beim Wiederaufbau nach dem Krieg.
Nun, ist das realistisch? Wenn die Menschen beim Westfälischen Frieden erkennen konnten, daß sie nicht überleben würden, wenn sie weiterkämpfen – ist das nicht Anreiz genug angesichts der Tatsache, daß (wie jeder weiß, der die Region kennt) ein Schlag gegen den Iran mit einer thermonuklearen Zerstörung der Zivilisation enden würde?
Wenn man beispielsweise die lange Geschichte der erbitterten Feindschaft zwischen Deutschland und Frankreich betrachtet:
Früher waren sie Erzfeinde, und der Krieg von 1870/71 und die territorialen Dispute waren ein Stachel im Fleisch der Menschen. Im Ersten Weltkrieg gab es vier Jahre lange Kämpfe zwischen deutschen und französischen Truppen – vier Jahre lang sinnloses Kämpfen und Sterben in den Schützengräben, manchmal bloß ein paar Meter vor und ein paar Meter zurück; vier Jahre, in denen eine ganze Generation völlig zerstört und entwurzelt wurde. 1923 besetzten die Franzosen das Rheinland, weil Deutschland die im Versailler Vertrag verlangten Summen nicht bezahlen konnte, und lösten so die Hyperinflation von 1923 aus. Das steigerte noch den Haß auf Frankreich, zusätzlich zu der Erniedrigung durch den Versailler Vertrag wurde die Bevölkerung nun völlig enteignet. Dann natürlich der Zweite Weltkrieg, wieder erbitterte Kämpfe.
Aber Adenauer und de Gaulle machten daraus die Grundlage einer neuen deutsch-französischen Freundschaft, und wir hatten gerade den 50. Jahrestag des Elysée-Vertrages. Die Menschen lernten die Sprache der anderen und es gab einen Austausch der Jugend. Und auch wenn das bei weitem noch nicht das ist, was wir daraus machen würden, wenn wir die Regierung wären, ist das doch ein Beispiel, wie man solche Konflikte überwinden kann.
Wie haben sie das geschafft? Adenauer und de Gaulle gingen zurück zu den Wurzeln der beiden Länder, zu Karl dem Großen, und sie entwickelten die gemeinsame Vision eines Europas der Vaterländer.
Darauf kann man nicht kommen, wenn man dem Denken aristotelischer Widersprüche verhaftet bleibt, wenn man eine lange Liste der ethnischen und religiösen Kriege zusammenstellt, sondern man braucht ein ganz anderes Denken, nämlich ein Denken nach der Methode der coincidentia oppositorum, des Zusammenfallens der Gegensätze – die Methode, die von Nikolaus von Kues entwickelt wurde, wonach das Eine eine höhere Priorität und eine höhere Macht hat als das Viele.
Man braucht ein Denken, wie es Nikolaus von Kues in seinem berühmten Dialog De Pace Fidei über den Frieden der Religionen entwickelt hat, den er nach dem Fall von Konstantinopel 1453 schrieb, dem damaligen Kampf der Kulturen, bei dem viele Menschen getötet wurden. Er schreibt dort, die 17 Nationen und Religionen gingen zu Gott und sagten zu Gott: „Wir alle beanspruchen für uns den alleinigen Besitz der Wahrheit, aber wir alle töten einander in Deinem Namen, aber das kann nicht Deine Absicht sein.“ Und Gott antwortete: „Nun, ihr alle seid Philosophen in eurer Religion, und deshalb könnt ihr erkennen, daß es nur eine Wahrheit gibt.“ Und sie sagten: „Ja, das können wir verstehen. Aber wir müssen uns immer noch so oft gegenseitig töten. Kannst du uns nicht weiterhelfen?“
Und dann sagte Gott: „Ihr macht den Fehler, daß ihr die eine Wahrheit mit den vielen Traditionen verwechselt.“ Und die Vertreter der Völker und Religionen sagten: „Aber was sollen wir tun? Was sollen wir den Menschen bei uns sagen?“ Und Gott sprach: „Geht zurück zu euren Völkern und sagt ihnen, daß es nur eine Wahrheit gibt und daß es nur einen Gott gibt und daß es nur eine Religion gibt, die über allen Religionen und Propheten steht.“
Und da muß offensichtlich die Lösung liegen.
Die Wahrheit, von der Nikolaus redet, ist keine statische Ansammlung von Fakten, die man durch Sinneseindrücke erlernen kann, sondern ein ständiger Schöpfungsprozeß, an dem der Mensch teilhat, wenn er seinem kreativen Potential folgt und immer mehr Prinzipien des physischen Universums, der Naturwissenschaft und der klassischen Kunst entdeckt. Und dabei ist es nicht so, daß jede Generation stets von vorn anfangen muß, aber die moralische Verpflichtung für jeden einzelnen Menschen, dies zu tun, bleibt stets gleich und neu. Ich bin aber überzeugt, daß Wladimir Wernadskij absolut recht hatte, als er sagte, die Noosphäre werde schrittweise eine immer größere Rolle gegenüber der Biosphäre spielen.
So ist die Identität der Menschen eine andere als die aller übrigen Lebewesen. Er ist kein Geschöpf der Sinneseindrücke, sondern seine Identität ist es, Prinzipien zu entdecken. Sie ist das, was Friedrich Schiller im vierten seiner „Ästhetischen Briefe“ schrieb: „Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen, idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderlicher Einheit in allen seinen Abwechselungen übereinzustimmen, die große Aufgabe seines Daseins ist.“
Und wie kommt man zu dieser Übereinstimmung mit seiner eigenen idealen Persönlichkeit? Wie macht man diese innere Wahrheit, die mit der großen Aufgabe unserer Existenz übereinstimmt, zum leitenden Prinzip unseres Handelns, im Gegensatz zu der sinnlichen Befriedigung der Lust im Hier und Jetzt, von der die meisten Menschen beherrscht sind? Durch die ästhetische Erziehung des Menschen, durch die klassische Komposition in der Musik, durch das klassische Drama, Poesie und ähnliche Formen der Kunst.
Warum ist dies das Mittel zu dieser Transformation?
Nun, in der klassischen Musik oder mit einem Gedicht fängt man an mit einer musikalischen oder poetischen Idee. Diese Idee wird entwickelt, etwa bei einem polyphonen und kontrapunktischen Werk Johann Sebastian Bachs, in der Musik spricht man oft von der „Durchführung“. Und dann kommt man auf eine höhere Ebene der Wahrheit.
Im klassischen Drama geht man aus von dem „prägnanten Moment“, der wie ein Saatkorn alles, was sich später entfaltet, als Potential in sich enthält, so, wie ein kleines Saatkorn das gesamte Potential einer ausgewachsenen Eiche in sich trägt. Dann kommt man durch die Entwicklung zum punctum saliens, dem Augenblick der Entscheidung mit dem höchsten Grad der Freiheit. Und abhängig vom Motiv der handelnden Figuren in dem Drama entscheidet sich dann, ob es zu einer positiven Lösung des Konfliktes kommt oder ob er als Tragödie endet. Wenn das Drama eine klassische Form hat, folgt der innere Verlauf der Handlung dem gleichen Prinzip wie eine polyphone, kontrapunktische Fuge.
Das gleiche gilt auch für ein klassisches Gedicht: Man geht von einer poetischen Idee in Form einer Metapher aus – einem Paradox oder einer Ironie – und gelangt durch einen Prozeß der Verdichtung zu einer höheren Bedeutung, die man nicht in einfacher Prosa ausdrücken könnte.
Wenn wir die heutige Welt betrachten, müssen wir uns die gleiche Frage stellen, die schon Schiller stellte: Wie kommt es, daß wir immer noch Barbaren sind? Und wir müssen zu dem gleichen Schluß kommen wie er – jedenfalls tue ich das -, daß die Erziehung des Empfindungsvermögens, der Empathie, des sensitiven Mitgefühls, der emotionalen Resonanz mit dem Zustand der Menschheit, die Antwort sein muß. Man muß nicht nur die Vorstellungskraft ausbilden und eine Vision entwickeln, wie die Zukunft aussehen soll, sondern man muß auch fähig sein, Mitleid und Liebe für die Menschheit zu empfinden.
Dabei ist der Mensch nicht nur der Mensch auf dem Planeten Erde. Unser Planet ist Teil eines expandierenden, sich entwickelnden Universums, und es wirken kosmische Prozesse auf uns, die wir meistern müssen. Im kommenden Monat wird ein Asteroid in relativ geringer Entfernung an unserer Erde vorbeifliegen, und das sollten wir als Warnung verstehen, daß die Menschheit derzeit noch nicht in der Lage ist, solche großen Objekte abzulenken oder sich davor zu schützen, damit sie die Erde nicht treffen. Das letzte große Ereignis dieser Art war 1908 in Sibirien, an der Tunguska, wo ein relativ kleines Objekt von 30-50 m Durchmessern einschlug. Aber das Gebiet, das davon betroffen war, war so groß wie der ganze Großraum New York.
Der schwerste solche Einschlag war vor 65 Millionen Jahren, mit etwa 10 km Durchmesser, er schlug einen Krater von 180 km Durchmesser auf der Halbinsel Yucatan in Mexiko und führte aller Wahrscheinlichkeit nach zu der Großen Extinktion mit dem Aussterben der Dinosaurier. Dabei wurde eine Energie von 100 Mio. Megatonnen freigesetzt, was etwa 20.000 Mal so groß ist wie die geschätzte Zerstörungskraft aller Kernwaffenarsenale auf der Welt, und das führte zu einer längeren Periode, die einem nuklearen Winter entsprach; jahrelang war die Sonne verdeckt.
Natürlich kommt es nur sehr selten zu solch großen Ereignissen, aber auch kleinere Objekte können die Erde sehr leicht treffen und zu einem Massenaussterben von Arten führen.
Wenn man sich nun alle diese Bedrohungen ansieht, und auch andere, wie beispielsweise extremes Wetter, wie man es erst kürzlich hier in New York erlebt hat, oder Vulkanausbrüche, Tsunamis, Erdbeben, aber auch die Drogenplage mit dem geistigen Mord an hunderttausenden, wenn nicht Millionen Menschen: Meinen Sie da nicht auch, daß wir eine Bewegung für die gemeinsamen Ziele der Menschheit haben sollten, die sich bemüht, alle diese Gefahren mit Hilfe unseres kreativen Potentials abzuwehren?
Dazu ist offensichtlich ein gewaltiger Sprung in unserem Wissen über die kosmischen Wirkungen auf unserem Planeten notwendig. Wir brauchen höhere Energieflußdichten und darauf beruhende Techniken, und wir müssen bewußt in eine neue Ära der Menschheit eintreten, die von dem bestimmt sein muß, was Krafft Ehricke den „extraterrestrischen Imperativ“ für die nächste Phase der bewußten Evolution der Menschheit nannte. Sie muß von der Macht der Vernunft und der Weisheit des moralischen Gesetzes in uns geleitet sein, wie es Krafft Ehricke formulierte.
Das bedeutet, daß wir als ersten Schritt den erdnahen Raum verstehen und kolonisieren müssen, und das ist nicht bloß eine Option, das ist der notwendige nächste Schritt. Aber er muß verbunden sein mit der ästhetischen Erziehung des Menschen, denn wenn wir nicht menschlicher werden, wenn wir nicht das werden, was der Würde des Menschen entspricht, wird all das nicht funktionieren. Krafft Ehricke, der in seinen letzten Lebensjahren ein enger Freund von uns war, sagte, es sei absolut entscheidend, daß Schillers Ideen, die ästhetische Erziehung, um die Menschen in wirkliche, liebende menschliche Wesen zu verwandeln, welche Agape (Nächstenliebe) für die übrige Menschheit empfinden, mit dieser technischen Entwicklung einhergehen muß.
Als eine der letzten ISS-Crews von ihrer Mission zurückkehrte, veranstaltete sie eine Pressekonferenz und sagte, die Dinosaurier hätten den Fehler gemacht, ihre DNA nicht auf andere Planeten zu bringen. Wir müssen die Menschheit als die einzige potentiell unsterbliche Gattung betrachten. Wir müssen vorausdenken, denn die Sonne wird in ihren letzten drei Milliarden Jahren – nicht morgen, aber es kommt – die Erde unbewohnbar machen.
Die meisten Geophysiker werden das abtun, wenn man sie darauf anspricht, und sagen: „Ach, der Mensch ist erst eine Minute vor zwölf aufgetreten, und eine Minute nach zwölf wird er schon wieder verschwinden.“ Ich meine, das ist nicht akzeptabel. Denn wenn man das in der Perspektive betrachtet: Es gibt den Menschen erst seit kurzen sieben Millionen Jahren; eine schriftlich überlieferte Geschichte haben wir erst seit etwa 3500 Jahren – das sind bloß 200 Generationen, also nicht sehr viel. Aber wenn man einem Steinzeitmenschen etwas über das Internet erzählt hätte, über Viren, Kernfusion oder die Aktivitäten von Curiosity auf dem Mars – was hätte dieser Steinzeitmensch dazu gesagt?
Und wie wird die Menschheit in tausend Jahren dastehen? Ich bin sehr optimistisch, daß die Menschen, wenn es uns dann noch gibt, einen Jamie Dimon lange vergessen haben, aber an Krafft Ehricke immer noch denken werden.
Helga Zepp-LaRouche, President and Founding Member of the Schiller Institute, is known in Asia as the „Silk Road Lady“ for her efforts to make the Eurasian Land-Bridge a reality, is an expert in many fields of European history, as well as a scholar of Friedrich Schiller’s poetical and philosophical writings and Cardinal Nicholas of Cusa’s ground-breaking work toward bringing the modern nation-state and modern physical science into being.