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Mai 28, 2024

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Internetkonferenz des Schiller Instituts: Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!

Internationale Schiller-Institut Internetkonferenz, 15. & 16. Juni 2024

Die deutsche Simultanübersetzung wird in Kürze veröffentlicht und in der Rednerliste verlinkt. Sie können sich die Videos im englischen Original hier ansehen.

Konferenzbericht: Konferenz des Schiller-Instituts zeigt den Ausweg aus der Gefahr

Von Marcia Merry Baker und Stewart Battle

Bericht lesen

Die Konferenz des internationalen Schiller-Instituts mit dem Titel „Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!“ am 15. und 16. Juni fand in einer Zeit extremer Krise statt und diente nicht nur als Plattform für eine Bestandsaufnahme der Krisenursachen, sondern auch für grundsätzliche Erklärungen zu deren Lösung. Die zweitägige Internetveranstaltung gliederte sich in vier Sitzungen mit 23 Rednern aus elf Ländern, an den Fragerunden nahmen zahlreiche Gäste aus aller Welt teil. Das vollständige Programm und die Videomitschnitte der Veranstaltung sind auf der Webseite des Schiller-Instituts abrufbar.

Im ersten Sitzungsblock wurde der Hauptpunkt der Konferenzeinladung direkt angesprochen: „Der Versuch des kollektiven Westens, nach dem Ende des Kalten Krieges die globale Vorherrschaft des neoliberalen Systems zu behaupten, ist krachend gescheitert.“ Viele Aspekte dazu wurden diskutiert, insbesondere die Inkompetenz der westlichen Politiker, ihr Mangel an Diplomatie sowie die Tatsache, daß die Europawahl eine Woche zuvor eine klare Absage an die derzeitige Politik gewesen war. Diese erste Sitzung stand unter dem Motto „Europa nach den Europawahlen“.

Warum stehen wir am Rande des Dritten Weltkriegs?

Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, die den Hauptvortrag der Konferenz hielt, sprach eindringlich über die gegenwärtige Gefahr und fragte: „Warum stehen wir am Rande des Dritten Weltkriegs?“ Sie nannte die Gründe hierfür, wie die jüngsten von ukrainischem Gebiet aus durchgeführten Angriffe auf zwei der zehn russischen nuklearen Frühwarnanlagen und andere einschneidende Ereignisse. Tatsächlich aber, so betonte sie, „befinden wir uns am Ende einer ganzen Epoche“, nämlich der Ära des Kolonialismus und Neokolonialismus, die seit der Zeit um 1500 den Fortschritt der Menschheit behinderten. Nun sei es an der Zeit, daß wir uns vorwärts bewegen. Ein neues System sei erforderlich, und es gebe die gute Nachricht – die allerdings von den westlichen Medien unterdrückt werde –, „daß ein neues Weltsystem im Entstehen ist“. Sie erinnerte an vergangene grundlegende positive Veränderungen dank großer Persönlichkeiten wie Gottfried Leibniz (1646-1716) und Friedrich List (1789-1846) sowie Cai Yuanpei (1868-1940). Zepp-LaRouche schloß ihre Grundsatzrede mit den Worten: „Schließen wir uns der Globalen Mehrheit an!“

Die weiteren Podiumsteilnehmer aus den USA, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Belarus und Rußland waren sich einig, daß angesichts der aktuellen Krisen dringender Handlungsbedarf besteht, wobei sie unterschiedliche Schwerpunkte setzten und unterschiedliche Informationen lieferten. Chas Freeman, ehemaliger US-Botschafter und Experte für die amerikanisch-chinesischen Beziehungen, begann seinen Vortrag schlicht mit den Worten: „Jemand muß sich für den Frieden einsetzen.“

Zwei Sprecher aus Belarus ergänzten, was viele Stimmen für den Frieden aus Eurasien schon seit Jahren sagen. Dr. Olga Lasorkina, Vorsitzende der Abteilung für Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR), sprach davon, daß die Nationen eine „gemeinsame Basis“ finden sollten, weil wir alle auf einem Planeten leben. Im Jahr 2023 habe es 183 regionale Konflikte auf der Welt gegeben, und man müsse nach Alternativen suchen. Auf dem riesigen eurasischen Kontinent gebe es „alternative Mechanismen für die globale wirtschaftliche Entwicklung“, wie die Eurasische Wirtschaftsunion, die auf „Freundschaft und Kontinuität“ aufbaue. Ihr weißrussischer Kollege Witali Romanowskij, Chefberater der Abteilung für Außenpolitik des BISR, ging speziell auf die Rolle von Belarus bei den Friedensbemühungen der letzten Jahre für die Ukraine ein.

Die vier Redner des ersten Blocks, die einen militärischen Hintergrund haben und weiterhin mit dem Militär verbunden sind, waren sehr eindringlich. Oberst a.D. Alain Corvez aus Frankreich, ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums, zitierte Nietzsche, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, daß die Führer des Westens „dement“ seien. Sie befänden sich im Reich des Nihilismus und seien unfähig, rational zu denken. Die USA seien ein Hegemon, der nicht erkennt, daß er seine Vormachtstellung verloren hat. Corvez schloß sich dem Thema der Konferenz an und forderte eine breite Mobilisierung für einen neuen Westfälischen Frieden. Seine französische Kollegin Caroline Galactéros, Politikwissenschaftlerin und Oberst der Reserve, rief Frankreich dazu auf, sich von den USA und ihrer Kriegstreiberei zu distanzieren und sich mit denjenigen zusammenzuschließen, die sich für Stabilisierung und Sicherheit einsetzen. Man müsse „retten, was von der Ukraine noch übrig ist“.

Aus der Schweiz schilderte Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard anhand von militärischen Einzelheiten, daß „wir uns weltweit in einer Sackgasse befinden“, wie in den festgefahrenen und schrecklichen Situationen in der Ukraine oder in Gaza sichtbar sei. Das könne und müsse sich ändern.

Rainer Rupp, militärischer Geheimdienstexperte aus Deutschland, der von 1977 bis 1993 im NATO-Hauptquartier die regelmäßigen Atomkriegs-Stabsübungen „Wintex“ (Winterübungen) persönlich miterlebte, verdeutlichte die Denkweise der US-amerikanischen, britischen und anderen NATO-Führer, die keinerlei Rücksicht auf die wahrscheinlich enormen zivilen Verluste genommen hätten, wie er aus erster Hand erfuhr.

Ein zweiter Westfälischer Frieden?

Prof. Georgi Toloraja, Direktor des Zentrums für Asienstrategie am Institut für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften, griff die Aussicht auf einen positiven Ausgang der heutigen Krise auf. Er berichtete über die wichtige Rede, die Präsident Putin am 14. Juni vor Spitzenvertretern seines Außenministeriums zu Vorschlägen für die eurasische und globale Sicherheit gehalten hat. Dabei ging es um den Globalen Süden und den Globalen Osten sowie um neue Zusammenschlüsse wie die BRICS. Vergangene Woche trafen sich die Außenminister der fünf ursprünglichen BRICS-Staaten und der vier neuen Mitgliedsländer – Ägypten, Iran, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate – zum ersten Mal in Nischni Nowgorod, um eine „neue Etappe des Handelns“ zum Nutzen der ganzen Welt zu planen.

Zepp-LaRouche schlug in der Diskussion vor, verschiedene Möglichkeiten zu prüfen, wie man sich über Perspektiven und Prinzipien zur Überwindung der Krise austauschen kann. Wie wäre es mit Seminaren von Denkfabriken aus allen fünf Kontinenten? Oder auf der Ebene der Universitäten? Es herrsche ein extremer Mangel an Dialog, und das NATO-Narrativ sei bewußt darauf angelegt, jegliches Denken und Handeln zu blockieren.

Man müsse auch die individuelle Ebene berücksichtigen. Jeder Mensch müsse für sich eine Vision entwickeln, wie die Welt sein solle und was jeder einzelne dafür tun kann. „Der Krieg ist das Ergebnis einer tiefen kulturellen Krise“ des Westens. Zepp-LaRouche sieht in den nächsten drei bis sechs Monaten die gefährlichste Zeit der Geschichte. „Wir müssen einen Dialogprozeß in Gang setzen, in dem das Beste der Menschheit überall inspiriert und zum Handeln angeregt wird.“ Diesem Ziel hätten sich das Schiller-Institut und die Internationale Friedenskoalition (IPC) verschrieben.

Die Globale Mehrheit

Das zweite Panel unter dem Titel „Die Entwicklungsbestrebungen der Globalen Mehrheit“ umfaßte sechs Redner aus Südamerika, Europa und Palästina. Den Auftakt bildete ein Videoausschnitt aus einer Rede von Lyndon LaRouche, die er vor 20 Jahren, am 4. Mai 2004, auf einer Konferenz in Deutschland gehalten hatte, worin er über wirtschaftliche Entwicklung sprach. Er stellte die Idee von Entwicklungskorridoren „vom Atlantik bis zum Pazifik“ vor, die in alle Richtungen ausstrahlen – Jahre vor der Gürtel- und Straßen-Initiative des chinesischen Präsidenten Xi Jinping 2013.

Auch die erste Sitzung hatte mit einem Video LaRouches begonnen, vom Februar 2005, in dem er die Organisierung eines neuen weltwirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Rahmens anmahnte. Er sprach vom „Niedergang und Fall der US-Führung“ 1971 bis 2005 und kritisierte namentlich George Shultz, Paul Volcker, Zbigniew Brzezinski und andere.

Im zweiten Sitzungsblock gab der ehemalige Präsident von Guyana, Donald Ramotar, einen Überblick über die jahrzehntelange wirtschaftliche Ausbeutung seiner und anderer Nationen. Ein Beispiel hierfür seien die Lebensmittel in der Karibik: Die Länder dort müßten jedes Jahr 4 Milliarden Dollar für Nahrungsmittelimporte ausgeben. Das alles müsse sich ändern, und dafür sei der Aufstieg der BRICS-Staaten entscheidend. Prof. Henry Baldelomar, Professor für internationale Angelegenheiten an der Universität Núr in Santa Cruz in Bolivien, sagte: „Wir stehen jetzt an einem Scheideweg der Entwicklung für eine neue Ordnung.“ Das alte ECLAC-Modell (UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika) sei zu begrenzt für die Herausforderungen einer echten Entwicklung. Baldelomar sprach von Projekten wie dem neuen Bi-Ozeanischen Eisenbahnkorridor, der den Pazifischen und den Atlantischen Ozean verbinden soll.

Im Gegensatz zu dieser Wachstumsperspektive zeichneten die Berichte aus Europa das Bild eines unnötigen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs als Folge einer destruktiven Politik. Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG in Deutschland, sprach in einem von Zepp-LaRouche geführten Interview mit dem Titel „Quo Vadis, Deutschland“ über so grundlegende Probleme wie den Mangel an Energie und deren Unbezahlbarkeit, die Beeinträchtigung von Importen und Exporten durch die Rußland-Sanktionen und vieles mehr. Der ungarische Experte Prof. Dr. Laszlo Ungvari, emeritierter Präsident der Technischen Hochschule Wildau, sprach von seiner Enttäuschung über das heutige Europa mit seinen sich selbst entwürdigenden Politikern an der Macht und einer verwirrten Jugend.

Der italienische Ökonom Michele Geraci, ehemaliger Staatssekretär im italienischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, erläuterte, was „Win-Win-Beziehungen“ zwischen den Nationen für ihre gegenseitige wirtschaftliche Entwicklung bedeuten. Er sagte: „Ihr Wohlstand und mein Wohlstand sind untrennbar miteinander verbunden.“

Der palästinensische Botschafter in Dänemark, Prof. Dr. Manuel Hassassian, begann seinen Vortrag über die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates mit der Erläuterung des „LaRouche-Konzepts“ der wirtschaftlichen Entwicklung durch den „Oasenplan“. Mit der Perspektive, Wasser, Strom und alle anderen Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen, gebe es eine Grundlage für die Zukunft.

Die Berichte und Dialoge dieser Sitzung waren der konkrete Ausdruck einer kreativen Reaktion auf Probleme, sie wirkten wie eine Antwort auf das Musikvideo, mit dem dieser Abschnitt eröffnet worden war, dem Lied „Die beiden Grenadiere“, komponiert von Robert Schumann, Text Heinrich Heine, gesungen vom amerikanischen Baßbariton William Warfield (1920-2002). Anstelle des traurigen Bildes der Soldaten, die sich aus den Napoleonischen Kriegen nach Hause schleppen, zu ihren Gräbern gehen und nostalgisch die Erinnerung suchen, sind wir heute aufgerufen, Imperialismus und Krieg zu überwinden und eine Welt des Lebens und der Hoffnung zu schaffen.

Wissenschaft, Kultur und menschliche Kreativität

Am zweiten Konferenztag befaßte sich der dritte Sitzungsblock mit einigen der begeisternden Möglichkeiten im Bereich der Wissenschaft, deren Verwirklichung eine positive Zukunft für die Menschheit verspricht. Unter dem Titel „Die Auswirkungen der laufenden wissenschaftlichen Revolution“ sprachen vier Redner aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen aus aller Welt. Prof. Mark McMenamin, Geologe, Paläontologe und Professor am Mount Holyoke College in Massachusetts (USA), erörterte neue Erkenntnisse darüber, warum komplexes Leben auf der Erde wahrscheinlich viel älter ist als bisher angenommen, nämlich mindestens eine Milliarde Jahre.

Als nächstes sprach Francois Mellet, Wirtschaftsingenieur und Betriebsleiter von Stratek Global aus Südafrika. Mellet informierte über die Arbeit seines Unternehmens bei der Entwicklung und Förderung der Kernenergie, insbesondere der kleinen modularen Reaktoren (SMR) und der modularen Hochtemperaturreaktoren (HTMR), sowie insbesondere über das Potential der Kernenergie für die Entwicklungsländer und den Globalen Süden. Prof. Sergej Pulinez von der Russischen Akademie der Wissenschaften stellte anschließend einige seiner Arbeiten zur Erdbebenvorhersage vor und erläuterte, wie wichtig es ist, in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen neue Entdeckungen zu machen, die der Menschheit neue Einsichten und die Beherrschung der Naturprinzipien ermöglichen.

Der letzte Redner war Prof. Gennady Aksenow, ebenfalls Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, er sprach über die Bedeutung des großen russisch-ukrainischen Wissenschaftlers des 20. Jahrhunderts, Wladimir Wernadskij. Nach einer Einführung durch Bill Jones vom Schiller-Institut erläuterte Aksenow, warum Wernadskijs Arbeit bedeutende, noch nicht erkannte Auswirkungen auf unser Verständnis der Wissenschaft und der Natur hat, u.a. zum Ursprung des Lebens im Universum. Dazu gehört auch die Rolle der Erkenntniskraft (Kognition) für die Existenz des Menschen.

Alle Sprecher kamen immer wieder auf die Frage zurück, was in Bezug auf die Wissenschaft und die Auswirkungen der menschlichen Gesellschaft auf die Welt um uns herum „natürlich“ ist, und stellten auf unterschiedliche, polemische Weise viele verbreitete Vorstellungen über Umweltschutz und „natürliche Gleichgewichte“ in Frage.

Der letzte Sitzungsblock, „Der Reichtum der Kulturen der Menschheit und die kommende Goldene Renaissance“, war ein weiterer Höhepunkt. Die Sitzung befaßte sich mit den herausfordernden Themen der klassischen Kultur und der menschlichen Kreativität sowie der Frage, welche Rolle beides bei der Lösung der Krisen spielen muß, mit denen die Welt heute konfrontiert ist. Die Moderatorin Megan Dobrodt eröffnete das Panel mit einer Frage: In den ersten drei Konferenzsitzungen habe man von vielen wichtigen Persönlichkeiten über die akute Gefahr eines Atomkriegs gehört; gleichzeitig habe man aber auch von der neuen, antikolonialen Weltordnung gehört, die sich gerade herausbildet. „Es ist die Spannung zwischen diesen beiden Wahrheiten – man könnte sagen, diesen beiden Systemen, die nicht koexistieren können –, die über uns allen schwebt. Die große Frage ist: Wie kann man etwas erreichen, was wie ein Wunder erscheint? Die Antwort darauf findet sich im Prinzip im Thema dieses Blocks: das Reich der großen Kunst.“

Dann wurde ein Auszug aus einer Rede von Lyndon LaRouche vorgespielt, der darüber sprach, wie die klassische Kultur als „Waffe“ dazu beiträgt, die schöpferischen Kräfte im Geist des einzelnen zu entwickeln, und warum Menschen, die in der heutigen Welt eine Kraft für den Fortschritt sein wollen, ohne sie „verkrüppelt“ sind.

Es folgte eine Rede von Jacques Cheminade, Präsident von Solidarité et Progrès und ehemaliger Präsidentschaftskandidat in Frankreich, der über die „Kultur des Friedens“ sprach und darüber, wie wir erkennen müssen, daß die derzeitige „Kultur des Krieges“ unsere Zivilisation in den Untergang treibt. Harley Schlanger, ein langjähriges führendes Mitglied der LaRouche-Bewegung, sprach anschließend darüber, wie die öffentliche Meinung im Rahmen der gegenwärtigen hybriden Kriegskampagne der transatlantischen Oligarchen manipuliert wird, und wie man sich dagegen wehren kann, indem man die tatsächlichen Methoden der Wahrheitsfindung im eigenen Kopf versteht.

Die nächste Rednerin war Sophie Tanapura, Gründerin der Metropolitan Opera of Bangkok in Thailand. Tanapura sprach über ihre Arbeit zur Verbreitung der klassischen Musik in Thailand und darüber, wie das Singen die Menschen auf einzigartige Weise dazu herausfordert, gleichzeitig ihren Verstand und ihre Gefühle zu wecken – von dort kämen die Kräfte der Kreativität. Der letzte Redner war Karel Vereycken, Maler und Grafiker, Kunsthistoriker und Aktivist des Schiller-Instituts in Frankreich. Vereycken sprach darüber, warum die Zusammenarbeit im Bereich des kulturellen Erbes der Welt ein wichtiges Element für den Frieden ist, weil sie den Menschen hilft, in anderen Kulturen einen andersartigen, aber dennoch universellen Ausdruck der Menschlichkeit zu entdecken.

Die Podiumsteilnehmer führten anschließend eine lebhafte und anregende Diskussion, die die Zuhörer mit einem Optimismus darüber zurückließ, wie man angesichts solch extremer Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, sich selbst und andere mobilisieren kann. Man sollte sich die Konferenz in ihrer Gesamtheit anschauen, um sie ganz würdigen zu können, aber es kann ohne Zweifel gesagt werden, daß sie genau zum richtigen Zeitpunkt stattgefunden hat und daß sie viel dazu beitragen wird, in einer Welt, die derzeit von einer Krise epochalen Ausmaßes erschüttert wird, den Weg nach vorn zu weisen.

Panel 1: Europa nach den Europawahlen

Moderator Dennis Speed

  • Helga Zepp-LaRouche, Gründerin des Schiller-Instituts (Deutschland): „Wir sollten uns der Globalen Mehrheit anschließen!“

Rede im Wortlaut lesen

Frau Zepp-LaRouche hielt die Hauptrede auf der internationalen Konferenz des Schiller-Instituts am 15.-16. Juni; die Rede wurde aus dem Englischen übersetzt, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt. Helga Zepp-LaRouche ist Gründerin des Schiller-Instituts und Initiatorin der Internationalen Friedenskoalition (IPC).

Werte Exzellenzen, liebe Freunde des Schiller-Instituts, liebe Konferenzteilnehmer! Lassen Sie mich mit einer Perspektive beginnen, die in den Ländern des Globalen Südens, die in den letzten Jahren faktisch zur Globalen Mehrheit geworden sind, sehr bekannt ist, aber in Europa und in den Vereinigten Staaten fast unbekannt ist. Ich spreche von der Tatsache, daß ein neues Weltsystem im Entstehen begriffen ist – eine polyzentrische, harmonische Welt, eine „multinodale“ Welt. Eine Welt, die gerechter wird, in der jedes Land das Recht hat, sich zu entwickeln, seinen eigenen Entwicklungsweg zu wählen, gemäß seiner eigenen Kultur, seiner eigenen Tradition, seiner Philosophie.

Das ist bereits im Gange und in verschiedenen Formen sehr weit fortgeschritten. Es wächst zum Beispiel in Form der BRICS-Länder, die seit dem Gipfel in Johannesburg im letzten Jahr bereits von fünf auf zehn angewachsen sind. Jetzt haben 59 weitere Länder einen Beitrittsantrag gestellt, so daß es insgesamt schon fast 70 Länder sind. Dazu gehören bekanntlich China und Indien, die zusammen fast 3 Milliarden Menschen umfassen.

Wir erleben also – und ich glaube, niemand im Westen oder nur sehr wenige dort können das richtig einschätzen – das Ende einer Epoche. Damit meine ich, daß die 600 Jahre des Kolonialismus und des anschließenden Neokolonialismus, die um 1500 begannen, auch nach der Unabhängigkeit vieler Länder des sogenannten Entwicklungssektors fortbestanden. Wie Ministerpräsident Nehru und Präsident Sukarno schon auf der Konferenz von Bandung [1955] gewarnt hatten, bestand der Neokolonialismus fort in Form der Verweigerung von Entwicklungskrediten, der Handelsbedingungen und allgemein ungerechter Bedingungen. Aber in den letzten 10-12 Jahren, seit dem berühmten Gipfel in Brasilien 2014, hat die Bedeutung der BRICS immer mehr zugenommen. Sie haben eine enorme Entwicklung durchgemacht: Xi Jinpings Gürtel- und Straßen-Initiative, das enorme industrielle Wachstum vieler Schwellenländer, wie Brasilien, Indonesien, Ägypten, Nigeria, Südafrika und anderer. All dies ist natürlich zum Teil eine Folge des Aufstiegs Chinas. Es wäre unmöglich ohne den zivilisatorischen Beitrag Chinas, der ohne Beispiel und Präzedenzfall ist, denn es hat nicht nur 850 Millionen seiner eigenen Bevölkerung aus der Armut befreit, sondern dann auch anderen die Hand ausgestreckt und durch Korridore, durch Entwicklungsprojekte, durch Industrieparks den anderen Entwicklungsländern dabei geholfen, diesen Wachstumsprozess selbst zu starten.

Es lag also zum Teil am Aufstieg Chinas, zum Teil aber auch an der Gegenreaktion gegen den Versuch, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine unipolare Welt zu errichten, angeführt von den Neokonservativen in den Vereinigten Staaten und ihren Mitdenkern in Großbritannien. Francis Fukuyamas berühmtes „Ende der Geschichte“ bedeutete im Grunde, daß es eine Hybris gab, in der sie die Idee verfolgten, daß die ganze Welt, jedes einzelne Land auf dem Planeten das westliche neoliberale Demokratiemodell übernehmen würde.

Die Mittel, mit denen das erreicht werden sollte, waren nicht gerade schön. Dazu gehörten Regimewechsel gegen Länder, die sich dem nicht anschließen wollten, Farbrevolutionen, bei denen zivile Organisationen und NROs eingesetzt wurden, um bestehende gewählte Regierungen zu destabilisieren. Es stützte sich auf Interventionskriege: Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen und andere. Es basierte auf einem brutalen Regime einseitiger Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat mitgetragen wurden und die sich gar nicht gegen die Regime richteten, sondern die Bevölkerung bestraften, um sie dazu zu bringen, sich gegen ihre Regierungen zu erheben. Und dazu gehörte der Mißbrauch des Dollars und des Euro als Waffe.

All diese Faktoren haben dazu geführt, daß eine mächtige Bewegung gegen den Neokolonialismus entstanden ist, von Ländern, die das Recht auf ihre eigene Entwicklung einfordern. Sie wollen nicht länger nur Rohstoffexporteure sein, bei denen der Gewinn aus ihren Rohstoffen an multinationale Konzerne, Kartelle und die Banken geht. Vielmehr wollen die Länder, inspiriert durch das Beispiel Chinas, die Wertschöpfungskette in ihren eigenen Ländern aufbauen, ihre eigene Industrieproduktion entwickeln und in naher Zukunft zu Ländern mit mittlerem Einkommen werden.

Wenn wir ehrlich sind, sollten wir in Europa und den Vereinigten Staaten darüber froh sein. Es würde das Ende der Migrationskrise bedeuten, die viele Menschen in Europa und Amerika beunruhigt und die viel zu dem jüngsten Ergebnis bei den Wahlen zum Europäischen Parlament beigetragen hat. Sollten wir nicht froh sein, daß junge Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu Hause bleiben und beim Aufbau ihres eigenen Landes mithelfen wollen, anstatt in der Sahara zu verdursten und zu verhungern oder bei dem Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer zu ertrinken, oder an der mexikanisch-amerikanischen Grenze beschossen zu werden? Länder wie Deutschland, Italien, die Schweiz, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Japan sind allesamt exportorientierte Länder. Wir sollten die Länder in den sich entwickelnden, wachsenden Märkten unterstützen, damit sie wohlhabend und reich werden und wir wachsende Märkte haben. Das ist eine absolute Win-Win-Situation.

Hintergrund des Ukrainekonflikts

Warum stehen wir dann am Rande des Dritten Weltkriegs? Das NATO-Narrativ vom „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ geht davon aus, daß die gesamte Weltbevölkerung eine historische Amnesie hat – daß wir uns nicht an die Zeit der deutschen Wiedervereinigung erinnern, als wir vom Schiller-Institut als wichtige Kraft mittendrin waren. Wir sind ein Teil davon, also lesen wir keine Bücher darüber, denn es war unsere eigene Geschichte! Wir erinnern uns an die Versprechen gegenüber Gorbatschow, daß sich die NATO keinen Zentimeter nach Osten ausweiten würde. Wir erinnern uns an die hoffnungsvollen Diskussionen über ein „gemeinsames europäisches Haus“, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon. Doch dann folgten fünf Erweiterungen der NATO nach Osten; die Orangene Revolution in der Ukraine; die Rosenrevolution in Georgien; der Maidan, ein von den USA und dem Westen unterstützter Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung. Wir erinnern uns noch an die berühmte Äußerung von Victoria Nuland, die ich hier nicht wiederholen möchte, weil es nicht damenhaft ist. Wir erinnern uns an das Eingeständnis von Merkel und Hollande, daß ihre Teilnahme an Minsk II nur ein Trick war, um den Ukrainern mehr Zeit zu geben, damit sie auf NATO-Standard trainiert werden können. Ich kann diese Entwicklungen hier nur skizzieren, aber das reicht aus, um das Panorama der Dinge, die jetzt passieren, zu zeichnen.

Die Lage auf dem Schlachtfeld in der Ukraine ist festgefahren. Die ukrainische Gegenoffensive vom Sommer 2023 ist eindeutig gescheitert. Rußland ist zwar klar im Vorteil, kann aber aufgrund der massiven Waffenlieferungen aus dem Westen die verbliebenen dezimierten ukrainischen Kräfte nicht einfach überrennen. Es werden immer neue und stärkere Waffen geschickt. Wir befinden uns in einer Spirale der Eskalation. Macron forderte infamerweise die Entsendung von Bodentruppen, viele sind bereits in Form von Beratern vor Ort. Der Brite Cameron gestattet den Einsatz westlicher Waffensysteme, von Marschflugkörpern, hinzu kommt zunehmend die Idee von Langstreckenraketen, die tief in das russische Territorium eindringen sollen. Und Putin ordnete erstmals explizit als Reaktion auf solche westlichen Provokationen Manöver mit taktischen Atomwaffen an.

Der Westen ignorierte es. Blinken hat dann nachgeschoben und gesagt: „Ja, ihr könnt die Waffensysteme für Angriffe auf russisches Territorium nutzen.“ Das veranlaßte Putin, ein zweites Manöver in Rußland und in Weißrußland durchzuführen. Dann kam der Angriff auf das russische Frühwarnradarsystem in Armawir, auch in Orsk wurde ein Angriff versucht. Diese Angriffe hatten nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun, und Rußland konnte es nicht anders deuten, als daß es ein Versuch war, die Zweitschlagskapazität auszuschalten, d.h. einen Atomschlag gegen Rußland vorzubereiten. Ohne die Unterstützung der NATO, ohne die taktische Unterstützung der USA wären diese Angriffe natürlich nicht möglich gewesen. Daher hat sich in Rußland der Eindruck verfestigt, daß sich die NATO de facto bereits im Krieg mit Rußland befindet.

Vorbereitungen auf den Weltkrieg

Auch im Westen verbreitet sich zunehmend die Ansicht, daß der Krieg unvermeidlich ist. Pistorius hat diese unglaubliche Kampagne angestoßen, daß Deutschland wieder „kriegstüchtig“ werden müsse. Nach unserer Geschichte sollen wir Deutschen diesen Weg noch einmal beschreiten? Ist dieser Mann noch bei klarem Verstand? Und ist das deutsche Volk, das das einfach so schluckt, als wäre nichts passiert, bei klarem Verstand?

Der Krieg mit Rußland wird Pistorius zufolge 2029 stattfinden. Rußland muß verlieren, sagen Baerbock und andere so unglaublich „weise“ Leute. „Die Ukraine muß gewinnen.“ Damit entsteht ein Dilemma, denn eine russische Niederlage ist ausgeschlossen – vergessen Sie das! Rußland ist die stärkste Atommacht der Welt und wird niemals kapitulieren; das ist völlig aus der Gleichung gestrichen.

In Rußland ist man überzeugt, daß auf der Ebene derjenigen, die wirklich das Sagen haben – nicht Biden oder Blinken, sondern auf der Ebene der wirklichen Machthaber –, die Entscheidung schon gefallen ist. Daß der Befehl zum Krieg mit Rußland bereits erteilt wurde. Das ist allen Zeugen zufolge der Konsens in Rußland. Als Reaktion auf die russischen Angriffe in Charkiw sind die Angriffe auf zivile Ziele in Belgorod eskaliert, und diese werden in Rußland als terroristische Angriffe betrachtet, weil sie hauptsächlich Kinder und andere Zivilisten treffen. In der Debatte in Rußland ist man sich einig – das war am Rande des Internationalen Wirtschaftsforums in St. Petersburg zu hören –, daß das alles schon zu weit fortgeschritten ist, und deshalb ist eine Diskussion über einen Enthauptungsschlag entbrannt. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg hatte Putin eine Diskussion, bei der offensichtlich ganz bewußt Sergej Karaganow als Moderator ausgewählt wurde. Der ist dafür bekannt, daß er in Rußland die wichtigste Stimme für einen nuklearen Erstschlag. Im Gegensatz zu Karaganow sind wir froh, daß Putin sehr geduldig ist. Er hat immer wieder sehr deutlich gemacht, daß die russische strategische Doktrin lautet, daß Rußland nur dann Atomwaffen einsetzen wird, wenn die territoriale Integrität Rußlands bedroht ist, daß es aber auch symmetrische und asymmetrische Antworten auf vom Westen unterstützte ukrainische Angriffe gibt.

Die größte Gefahr besteht darin, daß der Westen anfängt, an sein eigenes Narrativ zu glauben, nämlich daß Putin „nur blufft“. Ich glaube nicht, daß Putin blufft, und dieser Mythos muß ausgeräumt werden, denn das ist eine der vielen Zutaten, die zur Katastrophe führen können. Rußland hat auch gesagt, im Falle von NATO-Bodentruppen in der Ukraine oder der Stationierung von F-16, die doppelverwendungsfähig sind, nicht nur diese Truppen und militärischen Objekte vor Ort getroffen werden, sondern auch die Entscheidungszentren, in denen der Befehl zu ihrer Stationierung gegeben wurde.

Heute oder gestern konnte man in den Zeitungen die Entscheidung lesen, daß das Kommando für den Ukraine-Krieg von Ramstein an ein NATO-Kommando in Wiesbaden verlegt wird. Wir wissen, was das bedeutet: Das ist ein sehr unangenehmer Ort für die Zukunft. Wenn man bedenkt, wie die Vereinigten Staaten die Interessen der Verbündeten behandeln! Wir werden das sicherlich später in diesem Panel von Rainer Rupp hören, und auch Klaus von Dohnanyi, der ehemalige Hamburger Bürgermeister, hat es sehr anschaulich in einem Buch beschrieben: wie bei NATO-Manövern die Amerikaner sich nicht darum kümmerten, ob auf Deutschland ein paar Atombomben abgeworfen werden – das waren eben Kriegsopfer, die man einfach so hinnimmt. Das ist natürlich eine sehr beängstigende Perspektive.

Heute beginnt auch die Schweizer Konferenz auf dem Bürgenstock, die auf der Selenskij-Formel basiert, eine sogenannte „Ukraine-Friedenskonferenz“, die zum Scheitern verurteilt ist, bevor sie überhaupt begonnen hat, weil Rußland nicht eingeladen ist. Erst heute hat Putin einen neuen Friedensvorschlag für die Ukraine vorgelegt, dabei schlägt er im wesentlichen vor, daß in dem Gebiet, in dem die Bevölkerung für den Anschluß an Rußland gestimmt hat, alle westukrainischen Truppen abgezogen werden sollten. Und daß es ein absolutes Machtwort geben soll, daß die Ukraine niemals Teil der NATO wird. Und was machen die Mainstream-Medien? Sie hetzen gegen Putin und behaupten, Putin fabriziert wieder Unsinn. Nun, das ist weiter derselbe Weg der Konfrontation und der Eskalation – bis es zu spät ist.

Der Westfälische Friede als Vorbild

Was wir brauchen, ist eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungskonferenz, die die Interessen jedes einzelnen Landes auf dem Planeten berücksichtigt. Das naheliegende Vorbild ist der Westfälische Friede, der 1648 150 Jahre Religionskrieg beendete, von denen der Dreißigjährige Krieg nur die letzte Phase war. Der Grund, warum die Menschen zur Vernunft kamen, war, daß bereits ein Drittel von allem zerstört war: ein Drittel der Menschen, des Viehs, der Dörfer. Sie erkannten, daß wenn der Krieg weitergehen würde, niemand mehr am Leben sein würde, der den Sieg genießen könnte. Ist das in der Zeit der thermonuklearen Waffen nicht noch viel mehr der Fall? Wir werden alle tot sein, wenn es jemals zu einem globalen Atomkrieg kommt. Und wir stehen kurz davor, am Rande des Abgrunds. Und auf einen solchen globalen Krieg wird nach Ansicht der besten Wissenschaftler wahrscheinlich ein zehnjähriger nuklearer Winter folgen, in dem alles Leben auf dem Planeten verschwindet.

Gestern hat Präsident Putin, neben dem Vorschlag für die Ukraine, ein neues Sicherheitssystem vorgeschlagen – ein neues System der unteilbaren Sicherheit in Europa auf der Grundlage einer größeren eurasischen Partnerschaft. Putin sagte: „Wer will leugnen, daß sich die Geographie nicht ändern läßt? Wir müssen irgendwie zusammenleben.“ Dieses Sicherheitssystem stehe den europäischen und NATO-Ländern offen.

Um auf den Anfang meiner Ausführungen zurückzukommen: Dieses neue Weltsystem ist im Entstehen begriffen, dieses polyzentrische, harmonische, multinationale System. Xi Jinping hat in den letzten Jahren oft zu einer Zukunftsgemeinschaft der Menschheit aufgerufen.

Das ist eine schöne Idee, die es schon seit Jahrhunderten gibt; sie ist nicht neu. Gottfried Wilhelm Leibniz sagte im 17. Jahrhundert, die beiden fortschrittlichsten Zivilisationen [Europa und China] an den beiden Polen des eurasischen Kontinents sollten ihre Hände ausstrecken und zusammenarbeiten, um alle Länder dazwischen zu entwickeln – gemeinsam den Süden entwickeln.

Friedrich List, der berühmteste deutsche Wirtschaftswissenschaftler befaßte sich mit dem kontinuierlichen Ausbau der Infrastruktur rund um den Globus, bis dies schließlich die ganze Welt durch Eisenbahnen und anderes verbinden würde – eine frühe Vision unseres Vorschlags der Weltlandbrücke –, und er prägte dabei den Begriff der Raum-Zeit-Wirtschaft. Er hatte die Idee, daß eine zunehmende Vernetzung der globalen Infrastruktur die Voraussetzungen für den Austausch kreativer Ideen in Wissenschaft und Kunst schaffen und zu einer Menschheits-Wirtschaft führen würde. Letztendlich würden sich alle Nationen in einer, wie er es nannte, „Republik des Planeten“ vereinigen.

Cai Yuanpei, der erste Bildungsminister der Regierung von Sun-Yat-sen und spätere Präsident der Universität Peking und der Mann, der Schillers Konzept der ästhetischen Erziehung nach China brachte, hatte eine schöne Vision von einer großen Gemeinschaft der ganzen Welt – auf Chinesisch datong shijie.

Das ist keine Zukunftsvision mehr, es ist da! Und anstatt in den letzten Weltkrieg zu stolpern, nach dem es nichts mehr geben wird, sollten wir uns der Globalen Mehrheit anschließen. Ich danke Ihnen.

  • Chas Freeman, Wissenschaftler und Diplomat (i.R.) U.S. Foreign Service (Vereinigte Staaten):„Es ist an der Zeit, das diplomatische Erbe wiederzuentdecken“

Rede im Wortlaut lesen

Von Botschafter Chas Freeman

Chas Freeman ist US-Botschafter a.D. und Experte für die USA-China-Beziehungen.

Meine Damen und Herren!

Es ist mir eine Ehre, mit dem Schiller-Institut an der heutigen Konferenz teilzunehmen. Jemand muß sich für den Frieden einsetzen. Jemand muß Diplomatie statt Krieg als Antwort auf die Spannungen, die Europa derzeit plagen, befürworten und organisieren. Ich unterstütze das Schiller-Institut und seine Gründerin und Leiterin Helga Zepp-LaRouche darin, sich offen zu äußern und uns zusammenzubringen.

Wir sind hier, um Alarm zu schlagen, wohin der Kreislauf von Eskalation und Gegeneskalation zwischen der NATO und der Russischen Föderation Europa, Rußland und Amerika führt, und zu überlegen, was wir dagegen tun können. Rote Linien wurden gezogen und dann wiederholt überschritten. Jede Seite hat gesagt, daß sie dies oder jenes nicht tun wird, und dann hat sie es doch getan. Jetzt, da die NATO direkte ukrainische Angriffe auf Ziele tief auf russischem Territorium unterstützt, schlägt Rußland nicht nur auf strategische Ziele in der Ukraine zurück, sondern droht auch mit Vergeltung an anderer Stelle. Was bisher ein Stellvertreterkrieg war, droht nun zu einem direkten Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten, der NATO und der Russischen Föderation zu werden.

Die gute Nachricht ist, daß Präsident Putin erklärt hat, daß er vorerst nicht vorhat, die Eskalation der Angriffe des Westens auf sein Heimatland mit seinem enormen Atomwaffenarsenal zu vergelten. Aber es ist ein Zeichen dafür, wie gefährlich dieser Moment ist, daß er angekündigt hat, stattdessen die Feinde der Vereinigten Staaten und anderer NATO-Länder, die an Angriffen auf Rußland beteiligt sind, zu bewaffnen. Es ist unklar, ob er diesen Vergeltungsschlag auf Staaten beschränken will oder ob er auch nichtstaatliche Akteure einbeziehen will. Das ist schon schlimm genug, aber angesichts der kurzen Halbwertszeit jeder roten Linie, die die Ukraine betrifft, könnte sein nächster Vergeltungsschritt durchaus nuklear sein.

Manchmal ist die Geschichte das Ergebnis strategischer Planung, manchmal von Fehlkalkulationen und Fehlern. Der Frieden, der durch das Konzert Europas erreicht wurde, war ein Artefakt der Staatskunst. Der Erste Weltkrieg war ein Unglück, das fast ein halbes Jahrhundert ruinöser Unruhen einleitete. Bretton Woods und die Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Schöpfungen von Staatsmännern. Wir leben in einem Zeitalter irrationaler Antagonismen, die aus strategischen Fehleinschätzungen und Stümperei entstanden sind. Ein gefährlicher Anfang ist gemacht.

Zwischen den Großmächten in Europa herrscht wieder Krieg, und zwischen den Vereinigten Staaten und China herrscht offene Feindschaft. Es ist müßig zu fragen, wer die Schuld daran trägt. Künftige Generationen von Historikern werden darüber ein Urteil fällen, das über unsere gegenwärtigen Interessen hinausgeht.

Der Stellvertreterkrieg war ein Fehlschlag

Das internationale System, in dem wir zusammengearbeitet haben und in dem es uns gut ging, löst sich auf. 73 Jahre lang – von 1944 bis 2017 – wurde die Welt hauptsächlich durch international vereinbarte Normen, Verpflichtungen und Konventionen geregelt, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind. Dieses System wurde ursprünglich von Washington befürwortet, auch wenn es nicht unbedingt immer von Washington respektiert wurde. Es funktionierte gut für die Vereinigten Staaten, bis viele Amerikaner der Meinung waren, daß es das nicht tat. Dann wählte ein verärgertes amerikanisches Wahlvolk eine populistische Regierung, die voller Groll über die Zwänge der internationalen Ordnung, in Staatskunst ungebildet, wirtschaftlich nationalistisch und gegenüber kritischen ausländischen Meinungen gleichgültig war.

Die derzeitige US-Regierung hat den auf die nationale Sicherheit ausgerichteten Protektionismus ihres Vorgängers und die wirtschaftliche Kriegsführung gegen vermeintliche Feinde noch verstärkt. Und sie versucht hartnäckig, die amerikanische Einflußsphäre in Europa bis an die Grenzen Rußlands auszudehnen, während sie Moskaus Einwände übergeht und sich weigert, dessen strategische Bedenken anzuerkennen, geschweige denn darauf einzugehen. Rußland schlägt immer wieder Verhandlungen über eine Sicherheitsarchitektur in Europa vor, in der es sich nicht von den Vereinigten Staaten und seinen europäischen Verbündeten bedroht fühlt und die Europäer ihrerseits sich nicht von Rußland bedroht fühlen. Die Vereinigten Staaten und die NATO haben sich stets geweigert, darüber zu reden.

Das erklärte Kriegsziel des Westens ist es, „Rußland zu isolieren und zu schwächen“. Die Ergebnisse dieser Politik und der zu ihrer Durchsetzung beschlossenen Sanktionen sind:

  • die Abkopplung Rußlands von Europa und Nordamerika und seine Umorientierung nach China, Indien, dem Nahen Osten und Afrika;
  • die Erneuerung der russischen Wirtschaft und die Deindustrialisierung Deutschlands und anderer Mitglieder der Europäischen Union, die früher von den russischen Energieexporten abhängig waren; gemessen an der Kaufkraft ist Rußland heute die größte Volkswirtschaft in Europa;
  • die Verdoppelung von Rußlands Verteidigungshaushalt, Streitkräften und Rüstungsproduktion sowie die Förderung der russischen Entwicklung von Gegenmaßnahmen zu den Militärdoktrinen und Waffen der NATO;
  • die Entfremdung des sogenannten Globalen Südens oder der Globalen Mehrheit vom Westen und die Isolierung des Westens in den globalen Institutionen.

Für die Ukraine, deren Aufgabe ihrer Neutralität den Casus Belli für Rußland lieferte, war der Krieg eine nationale Katastrophe. Die Ukraine hat ein Drittel ihrer Bevölkerung und eine ganze Generation tapferer Männer im wehrfähigen Alter verloren. Sie hat bereits ein Fünftel ihres Territoriums verloren und kann weitere Verluste nicht verhindern. Die Infrastruktur des Landes ist verwüstet. Vor dem Krieg war die Ukraine das ärmste und korrupteste Land in Europa. Sie ist weiter verarmt. Krieg fördert die Korruption, und die Ukraine ist korrupter als je zuvor. Die Demokratie in der Ukraine wurde durch das Kriegsrecht abgelöst. Die politischen Parteien wurden verboten, die Medien verstaatlicht und die Wahlen annulliert. Das Land ist heute autoritärer als Rußland und weit weniger tolerant gegenüber ethnisch-sprachlicher Vielfalt.

Der Stellvertreterkrieg des Westens gegen Rußland war ein Fehlschlag. Er hat Rußlands globalen Einfluß vergrößert und es militärisch gestärkt. Er hat Rußland nicht daran gehindert, die Ukraine zu zerstören. Und er hat die Ängste vor einem größeren Krieg in Europa eher geschürt als zerstreut. Es droht nun ein Atomkrieg.

Man könnte meinen, daß die Geschehnisse den Westen und die Ukraine dazu veranlassen würden, das Scheitern nicht länger zu verschlimmern und eine diplomatische statt einer militärischen Lösung für eine Situation zu suchen, die zunehmend nicht nur den Frieden und den Wohlstand in Europa gefährdet, sondern in der auch eine Eskalation bis hin zur nuklearen Ebene droht. Aber nein.

Die Vereinigten Staaten und die NATO halten an einem rein militärischen Ansatz zur Gestaltung der europäischen Sicherheit und der Beziehungen zur Russischen Föderation fest. Der Westen hat keine Strategie, die eine realistische Aussicht auf die Rückgewinnung der verloren Gebiete der Ukraine bietet. Die Ukraine läuft Gefahr, noch mehr zu verlieren und damit möglicherweise ihren Zugang zum Schwarzen Meer zu gefährden. Und es gibt keine Strategie zur Beendigung des Krieges. Stattdessen schlägt der Westen vor, bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen, und träumt weiter davon, Rußland eine demütigende Niederlage zuzufügen – genau das Ergebnis, das nach der russischen Militärdoktrin den Einsatz von Atomwaffen gegen seine Angreifer rechtfertigen würde. Präsident Selenskij schließt sich dem Westen an und besteht darauf, daß es keine Verhandlungen mit Rußland zur Beendigung des Krieges geben kann.

Prinzipien des Friedens

Der Kurs, den wir verfolgen, basiert auf Fehleinschätzungen und Fehlern. Es ist ein Marsch der Torheit, der, wenn er fortgesetzt wird, nur zur Tragödie führt. Er vernichtet die Ukraine. Er hat uns an den Rand eines Atomkriegs zwischen den Vereinigten Staaten, der NATO und der Russischen Föderation gebracht. Aber es ist noch nicht zu spät, einen anderen Weg einzuschlagen.

Schon einmal zitterte die Welt vor der Aussicht auf einen atomaren Schlagabtausch, der unseren Planeten unbewohnbar gemacht hätte. Das war die Kubakrise 1962. Sie veranlaßte Präsident John F. Kennedy zu dem Schluß: „Wir sollten niemals aus Angst verhandeln. Aber wir sollten niemals Angst davor haben, zu verhandeln.“ Dieser Rat ist heute noch genauso wertvoll wie vor 62 Jahren.

Wir sollten aus dem Kontrast lernen zwischen der Art und Weise, wie die Napoleonischen Kriege endeten, und der Art und Weise, wie wir den Ersten Weltkrieg beendeten. Diejenigen, die den Wiener Kongreß einberiefen, waren darauf bedacht, ihren ehemaligen französischen Feind in die Ausarbeitung dessen einzubeziehen, was zum „Konzert Europas“ wurde – eine Vereinbarung, die auf einem Gleichgewicht der Kräfte beruhte und Europa ein Jahrhundert lang weitgehend in Frieden hielt. Die Sieger des Ersten Weltkriegs dagegen schlossen sowohl Deutschland als auch Rußland von jeder Rolle bei der Verwaltung des in Versailles ausgehandelten Friedens aus. Das Ergebnis war der Zweite Weltkrieg, gefolgt vom Kalten Krieg. Es kann keinen Frieden in Europa geben, der auf der Ächtung Rußlands oder einer anderen europäischen Großmacht beruht.

In vielerlei Hinsicht hat uns das Scheitern des Friedens in Europa nach dem Kalten Krieg an einen Punkt gebracht, den Bundeskanzler Scholz eine „Zeitenwende“ nannte – einen Wendepunkt in der Geschichte, der die Schaffung einer neuen Ordnung in den internationalen Beziehungen erfordert.

Helga Zepp-LaRouche hat diese Herausforderung mit der verglichen, vor der die europäischen Nationen nach dem Dreißigjährigen Krieg standen. Es bedurfte langwieriger Verhandlungen, um die religiösen, territorialen und Regimewechsel-Impulse zu überwinden, die Mitteleuropa vor dem Westfälischen Frieden verwüstet hatten. Die Übereinkünfte, die aus diesem Frieden erwuchsen, leben weiter. Sie wurden von den neuen unabhängigen Staaten der postkolonialen Ära 1955 in Bandung in Form der „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ bekräftigt. Es handelt sich dabei um die gegenseitige Achtung der territorialen Integrität und Souveränität, den gegenseitigen Verzicht auf Aggression, die gegenseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen, Gleichheit und Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen sowie die friedliche Koexistenz. Es ist an der Zeit, daß Europa, einschließlich Rußland, dieses diplomatische Erbe wiederentdeckt und an die Herausforderungen der Zeit anpaßt.

Das Ergebnis der jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament deutet darauf hin, daß die Europäer bereit sind, über die Zukunft Europas neu nachzudenken. Interessanterweise ist es die europäische Rechte, ähnlich wie die amerikanische Rechte, die durch den ewigen Krieg in der Ukraine am meisten desillusioniert ist und am unzufriedensten mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Westens ist. Es gibt eine Grundlage für Konferenzen wie die in Münster und Osnabrück, die den Westfälischen Frieden ausgearbeitet haben, um Prinzipien für eine neue europäische Ordnung zu erforschen und zu bekräftigen, die der Ukraine Frieden bringen, die europäisch-amerikanischen Beziehungen für mehr strategische Autonomie Europas neu gestalten, Rußland zu einer angemessenen Beziehung mit dem Rest Europas zurückführen und internationale Absprachen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Stabilität in Europa schaffen kann. Aber gibt es Staatsmänner mit der nötigen Vorstellungskraft, Tatkraft und diplomatischem Geschick, um das zu erreichen?

Wir sollten hoffen, daß es sie gibt. Wenn nicht, sind die Risiken hoch und die Aussichten düster. Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion unter den Teilnehmern dieser Konferenz.

Ich danke Ihnen.

  • Dr. Olga Lasorkina, Leiterin der Abteilung Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR), (Belarus):  „Den Dialog für das Gemeinwohl suchen“

Rede im Wortlaut lesen

Von Dr. Olga Lasorkina

Dr. Olga Lasorkina ist Leiterin der Abteilung für Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR).

Vielen Dank. Ich möchte den Veranstaltern für die Einladung danken, auf dieser Konferenz zu sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Länder waren immer durch die Geographie, durch große Entfernungen getrennt, aber das war nie ein Hindernis für die normale menschliche Kommunikation. Hier in Belarus verstehen wir, daß heute jedes Land seine politischen, wirtschaftlichen und analytischen Prioritäten setzt, aber wir leben alle auf einem Planeten. Wir sind verantwortlich für alles, was passiert. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur unsere Prioritäten zu verkünden, sondern auch eine gemeinsame Basis mit anderen zu finden. Darin sehe ich die Aufgabe unseres Landes: Unter allen Umständen den Dialog für das Gemeinwohl zu suchen.

Ich möchte Ihnen einige Trends vorstellen, die die globale und regionale Agenda für Belarus bestimmen. Die Analyse der gegenwärtigen globalen wirtschaftlichen und politischen Prozesse zeigt, daß die Welt in eine Phase der Transformation eingetreten ist, die in vielerlei Hinsicht unvermeidlich war. Viele Veränderungen, denen wir nicht immer Bedeutung beigemessen haben, haben nun eine kritische Masse erreicht und Prozesse in Gang gesetzt, die wir nicht mehr aufhalten können. Wir sehen eine geopolitische Konfrontation, die zu einer weiteren Eskalation großen Ausmaßes zu werden droht, die auf der Erschöpfung der ideologischen und wertebezogenen Narrative der westlichen Welt beruht. Sie sind zu einem echten Entwicklungshindernis geworden, nicht nur für ihre Anhänger, sondern auch für die Länder, die sie einst respektiert haben.

Die wirtschaftliche Globalisierung, die von den meisten Ländern als ein Element des gemeinsamen Zukunftsbildes wahrgenommen wird, hat sich in einen gewaltigen Mechanismus des Drucks und der Hemmung der wirtschaftlichen Entwicklung verwandelt. Wir sehen jedoch in diesem Rahmen auch positive Trends: Die Bedeutung nationaler Interessen, der Souveränität, der Bewahrung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen hat zugenommen.

Zum ersten Mal seit 1945 steht die Weltgemeinschaft vor einem neuen Krieg. Das Schlimmste daran ist, daß jeder weiß, wie er enden könnte, aber nichts unternimmt, um diesen gefährlichen Weg zu stoppen. Seit vielen Jahren arbeiten wir mit einer Vielzahl von Partnern zusammen und vertrauen auf die Formeln der friedlichen Koexistenz. Niemand kann uns vorwerfen, dieses Rezept nicht ausprobiert zu haben. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Doppelte Standards durchziehen die Demokratie. Die Welt ist in einem Netz von Sanktionen gefangen.

Im Jahr 2023 gab es 183 regionale Konflikte, das ist der höchste Stand seit 30 Jahren.
Das läßt den Schluß zu, daß die großen Ideen der Demokratie am Ende sind, und dies wird die Weltgemeinschaft teuer zu stehen kommen. Das Konfliktpotential hat sich als stärker erwiesen als der Pragmatismus, der Ehrgeiz als stärker als die Vernunft. Wir sehen, daß der Kampf um die Ressourcen, die Einfluß auf die staatliche Nutzung haben, die Weltgemeinschaft überfordert. Deshalb suchen alle Staaten nach neuen Formaten des Zusammenlebens, und dabei geht es nicht darum, jemanden auszuschalten, sondern darum, die vernünftigen Kräfte in der Weltpolitik zu beurteilen und diejenigen zu identifizieren, die das Potential haben, in die Zukunft zu gehen.

Die Forderung nach einer Neugestaltung der Weltordnung ist überfällig. Die Multipolarität hält Einzug in die weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Prozesse. Diese Bewegung läßt sich nicht mehr verlangsamen, geschweige denn aufhalten. An der Seitenlinie will heute niemand mehr stehen.

Seit vielen Jahren spricht Belarus von den internationalen Tribünen über die Zerstörung des Völkerrechts und des Kanons der Diplomatie. Heute sehen wir auch ein gezieltes Vorgehen zur Entwertung der internationalen Institutionen, der Mechanismen zur Stabilisierung der Situation, der Autorität und vor allem der unglaublichen Arbeit der gesamten Weltgemeinschaft.

Belarus ist sich wie kein anderes Land der Gefährlichkeit der gegenwärtigen Situation bewußt. Unser Volk hat zwei Weltkriege erlebt. Der Beitrag unseres Landes zur Erhaltung von Frieden, Stabilität und Schaffung gleicher Bedingungen für alle Länder im Rahmen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen ist kaum zu überschätzen. Es gibt keine internationale Initiative, zu der Belarus nicht Stellung genommen hat. Die internationale Anerkennung unseres Landes als unabhängiger Staat in den 1990er Jahren war beispiellos, und das ist vor allem unserer enormen Arbeit auf internationalen Plattformen zu verdanken. Wir haben in den 90er Jahren nicht nur unsere Unabhängigkeit bewahrt, sondern auch aktiv an der Lösung verschiedener Probleme mitgewirkt.

Seit dem Angriff auf die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 ist der Terrorismus zu einem internationalen Problem geworden. Die USA riefen die Weltgemeinschaft zur Bildung einer internationalen Koalition gegen den Terrorismus auf. Diesem Aufruf schlossen sich fast alle Länder an, darunter auch Belarus. Heute sehen wir jedoch deutlich, daß die Sicherheitslage in unserer Region keine geopolitischen Phrasen erfordert, sondern spezielle Fähigkeiten – ein tiefes Verständnis der Probleme in ihrem historischen Kontext und Verantwortung. Wir spekulieren nicht, sondern schlagen wie bisher konkrete Aktionspläne vor, die auf realen Möglichkeiten beruhen.

Vor dem Hintergrund einer tiefen Vertrauenskrise, die globale Ausmaße angenommen hat, ist es von entscheidender Bedeutung, die einzige Struktur zu präsentieren, die eine anerkannte und maßgebliche Plattform für die Begegnung von Vertretern mit gegensätzlichen Ansichten und Meinungen darstellt. Es stimmt zwar, die Realität sieht heute so aus, daß die Mechanismen der Vereinten Nationen nicht immer funktionieren, aber das bedeutet nicht, daß sie nicht genutzt werden können. Wir sind auch auf der Suche nach anderen internationalen Plattformen, die das Potential haben, in verschiedenen Bereichen für Stabilität zu sorgen. Der Werteblock des Zusammenschlusses – Solidarität, Kooperation und Partnerschaft – entspricht den Bedürfnissen der meisten Länder. Ich denke an die BRICS, an die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU): Sie sind auf dem Weg, alternative Mechanismen der weltwirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen, ohne die bestehenden zu verwerfen. Wir bauen strategische Beziehungen zu Rußland auf. Die Union ist ein organischer Zusammenschluß, der auf einem soliden Fundament von Freundschaft und Kontinuität beruht. Sie ist sogar der einzige Zusammenschluß in unserer Region, der über eine solide und bewährte Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit verfügt, die es uns ermöglicht, unsere Souveränität zu wahren, unsere internationale Rechtspersönlichkeit zu stärken und unsere Wirtschaft im Einklang mit den globalen Trends zu entwickeln.

Natürlich sind wir nicht losgelöst von der Tragödie, die sich an unseren Grenzen abspielt. Der belarussische Präsident hat wiederholt seine Vorstellungen zur Lösung der Krise dargelegt. Der belarussische Außenminister Sergej Aleinik hat betont, daß die Plattform für Verhandlungen immer offen ist. Das liegt in unserem gemeinsamen Interesse. Es gibt heute kein wichtigeres Thema für unser gemeinsames europäisches Haus. Wir sind sicher, daß es keine Verhandlungen ohne Belarus geben kann und daß es keine regionale Sicherheit ohne Belarus geben kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heutige Treffen zeigt die Bemühungen der rationalen Kräfte, darunter Wissenschaftler, Analytiker und Experten, die Weltlage mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu stabilisieren. Jedes Land hat seinen eigenen Wert. Belarus bereitet sich darauf vor, seine einzigartige Entwicklungsstrategie zu überprüfen, die auf Vertrauen, Vertragsfähigkeit und progressivem Fortschritt basiert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Vitaly Romanovskiy, Chefberater des BISR (Belarus)
  • Prof. Georgy Toloraja, Direktor, Russisches Nationales Komitee für BRICS-Forschung (Russland): Eine neue Phase in der Entwicklung der internationalen Beziehungen

Rede im Wortlaut lesen

Eine neue Phase in der Entwicklung der internationalen Beziehungen

Von Georgij Toloraja

Professor Georgij Toloraja ist Direktor des Zentrums für Asienstrategie des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Lassen Sie mich zunächst dem Schiller-Institut dafür danken, daß es diese sehr wichtige Konferenz zur rechten Zeit veranstaltet. Gerade dieser Tage gibt es viele Veranstaltungen, die mit dem Thema der heutigen Konferenz und besonders mit diesem ersten Panel zur Lage in Europa zusammenhängen.

Frau Zepp-LaRouche hat sehr eloquent über die Gefahren der gegenwärtigen europäischen Situation gesprochen. In der Tat können wir feststellen, daß sich in Europa das Schicksal der Welt entscheidet. Es ist doppelt wichtig, daß wir gerade in den letzten Tagen zwei wichtige Vorschläge des russischen Präsidenten Putin gehört haben: zum einen beim Petersburger Forum, und zum anderen bei einem Treffen mit Außenministern und Diplomaten, wo er einige Vorschläge für Friedensgespräche in der Ukraine-Krise gemacht hat. Diese Vorschläge wurden vom Westen bereits als unrealistisch kritisiert, aber sie sind in der Tat eine solide Grundlage für weitere Gespräche.

Wie Helga ganz richtig sagte, müssen wir früher oder später aus dieser Krise herauskommen. Europa und Eurasien sind geographisch, historisch und zivilisatorisch eng miteinander verbunden, und es muß auf jeden Fall ein neues europäisches oder eurasisches Sicherheitssystem geschaffen werden. Präsident Putins Vorschläge sind viel umfassender als nur konkrete Vorschläge zur Lösung der Ukraine-Krise. Sie beinhalten auch Ideen zur Festlegung neuer Prinzipien für die eurasische Sicherheit, Verhaltensregeln für den gesamten Kontinent und wichtige Prinzipien für die Beziehungen zwischen den Staaten, die natürlich auf den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen basieren, aber transparenter und gerechter sein sollten – und nicht auf der „regelbasierten Ordnung“, die der Westen als Grundlage für die internationalen Beziehungen vorschlägt.

Es muß klar gesagt werden, daß in Rußland, glaube ich, niemand den Krieg in der Ukraine als eine Art Aggression gegen einen souveränen Staat betrachtet. Die Ukraine, dieses Territorium, vor allem sein östlicher Teil, war lange Zeit ein Teil des Russischen Reiches und Rußlands selbst. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht es daher als einen weiteren Fall eines Krieges mit dem kollektiven Westen auf historisch russischem Territorium. Der Krieg findet nicht in Europa statt, sondern auf historisch russischem Territorium, und es sind russisch-ukrainische Menschen, die ethnisch gleich oder sehr ähnlich sind, die in diesem Krieg sterben.

Der Ursprung dieses Krieges ist der Wunsch, Rußland einzudämmen und der sogenannten regelbasierten Ordnung unterzuordnen. Die Lektion für die Menschen im Westen und in Rußland ist, daß der Westen vor nichts zurückschreckt, um seine Privilegien zu bewahren, um seine Vormachtstellung zu bewahren, die es der sogenannten Goldenen Milliarde erlaubt, das Leben auf Kosten anderer zu genießen, auf Kosten der Globalen Mehrheit oder dessen, was Rußland jetzt den Globalen Süden und den Globalen Osten nennt.

Die neue Rolle der BRICS

Doch heute hat sich die Situation verändert. Wie im Europa der Kolonialzeit versuchen die europäischen Mächte heute, sich in regionale Konflikte einzumischen und über das Schicksal weit entfernter Länder und Völker in Asien, Afrika und Lateinamerika zu entscheiden – während die neu entstandene Zivilisation, die neuen Schwellenländer, ihre guten Dienste anbieten, um die Krise in Europa zu lösen. Das tut China. Das tun auch die anderen BRICS-Länder. Das ist der Unterschied zu früher.

In diesem Zusammenhang möchte ich etwas zu den BRICS sagen. Präsident Putin erwähnte in seiner Rede beim Außenministertreffen, daß die BRICS ein Schlüsselelement der neuen Global Governance sein könnten, und das werden sie jetzt auch. Wie Sie wissen, waren die BRICS in den letzten 15 Jahren ein Bündnis der größten Volkswirtschaften – Rußland, China, Brasilien, Indien und Südafrika (jeweils die gesamte Region repräsentierend). Die Kriterien für die BRICS-Mitgliedschaft waren die Größe des Territoriums, der Bevölkerung und des BIP.

Seit letztem Jahr haben sich die Dinge jedoch geändert. Das Ergebnis dieser Veränderung war der offene Konflikt zwischen einem der BRICS-Länder, das die aufstrebenden Mächte repräsentiert, Rußland, und dem kollektiven Westen, in der Ukraine. Dies war der eigentliche Grund, warum das Interesse an den BRICS im Globalen Süden und im Globalen Osten erheblich zugenommen hat. Auf dem Johannesburger Gipfel in Südafrika im vergangenen Jahr wurden neue Länder in die BRICS aufgenommen. Zehn Länder gehören nun zu den BRICS. Das signalisiert in der Tat das Ende der alten BRICS und den Beginn einer neuen BRICS – BRICS nicht als Bündnis verschiedener Zivilisationen, sondern als Verhandlungsplattform des Globalen Südens und der Globalen Mehrheit gegenüber dem dominanten Westen. Das ist die Rolle, die BRICS jetzt spielt.

Und in diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf das jüngste Treffen der Außenminister der BRICS-Staaten und anderer interessierter Länder lenken, das erst vor drei Tagen in Nischni Nowgorod stattgefunden hat. Es war das erste Treffen auf politischer Ebene nach dem Beitritt der neuen Länder, und die neuen Länder – Ägypten, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien und Saudi-Arabien – haben Dokumente unterzeichnet, die die Strategie der BRICS definieren. Sie haben sich also darauf geeinigt, im gleichen Boot zu sitzen, die gleichen Prinzipien zu verteidigen und den gleichen Kurs zu verfolgen.

Darüber hinaus nahmen am zweiten Tag zwölf weitere Länder an dem Treffen teil. Einige Länder, wie zum Beispiel Thailand, haben sich offiziell um eine BRICS-Mitgliedschaft beworben. Es gibt etwa 50 weitere Länder, die daran interessiert sind. Das bedeutet, daß die BRICS ein globales Phänomen geworden sind, das seine Prinzipien und seine Strategie für eine neue Weltordnung formuliert hat: eine neue Weltordnung, in der nicht der Westen dominiert, sondern in der es einen Konsens geben soll, eine gleichberechtigte Partnerschaft der Länder der Welt im Stil des Westfälischen Friedens zum Wohle aller, wie Sie es wohl nennen würden.

Die Chance, an der Lösung der europäischen Krise und der Ukraine-Krise mitzuwirken, ist daher ein echter Test für die BRICS-Länder. Können China, Indien und andere Länder dazu beitragen, diese Aufgabe zu erfüllen? Vielleicht erleben wir dann eine ganz neue Phase in der Entwicklung der internationalen Beziehungen und den Aufstieg zu neuen Prinzipien, die dem entsprechen, was das Schiller-Institut vorgeschlagen hat und was Rußland im allgemeinen teilt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Caroline Galactéros, Politikwissenschaftlerin (Frankreich): „Das Hauptproblem der Europäer ist: Wir sind in eine Falle getappt“

Rede im Wortlaut lesen

„Das Hauptproblem der Europäer ist:
Wir sind in eine Falle getappt“

Von Caroline Galactéros

Caroline Galactéros ist Politikwissenschaftlerin und Oberst der Reserve in Frankreich. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte sie folgendes. (Übersetzung aus dem Französischen.)

Guten Abend, meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, zu Ihnen sprechen zu können, und bedaure, daß ich dies aus der Ferne tun muß. Ich möchte dem Schiller-Institut dafür danken, daß es mich eingeladen hat, einige Fragen zu beantworten.

Der Einfachheit halber werde ich die Fragen, die mir gestellt wurden, wiederholen.

Die erste Frage lautete: Was können Sie über die Kriegspropaganda sagen, sowohl aus europäischer als auch vor allem aus französischer Sicht?

Ich werde mich auf den russisch-ukrainischen Konflikt beschränken, oder besser gesagt auf den Konflikt zwischen Rußland und der NATO. Es ist offensichtlich, daß die Propaganda in den letzten zweieinhalb Jahren total, massiv, permanent, dramatisch in ihren Auswirkungen und Folgen war, sowohl in Bezug auf die Dynamik des Konflikts selbst – denn sie bringt uns dazu, Positionen einzunehmen, die auf einem Narrativ basieren, das nicht mit der Realität übereinstimmt – als auch in Bezug auf die Dynamik und die Folgen, die sie haben kann, einschließlich der Entwicklung der öffentlichen Meinung, mit ziemlich direkten politischen Folgen. Ich glaube, wir erleben das gerade jetzt in Frankreich mit der gestrigen Ankündigung der Auflösung der Nationalversammlung durch unseren Staatspräsidenten.

In diesem Konflikt wird die Propaganda zunehmend durch die von den politischen Mächten in Europa und insbesondere in Frankreich wahrgenommene Notwendigkeit angetrieben, die kriegstreiberische Haltung zu nähren. Je schlimmer die Lage auf dem Schlachtfeld wird, desto mehr Propaganda kommt hinzu und erreicht jeden Tag neue Höhen der Absurdität.

Der jüngste Höhepunkt ist natürlich die Erklärung des französischen Präsidenten, in der gesagt wird, daß Frankreich auf der Seite des Friedens steht, was sehr schwer zu verstehen ist, wenn man sich die Absichtserklärungen ansieht, die wir in Bezug auf Waffenlieferungen abgeben, wenn man sich eine ganze Reihe von Entscheidungen ansieht, die in Bezug auf eingefrorene russische Guthaben getroffen wurden, in Bezug auf unsere Unterstützung über das bilaterale Sicherheitsabkommen zwischen der Ukraine und Frankreich usw. usw. Wir stehen auf der Seite des Friedens, aber in Wirklichkeit nähren wir den Krieg.

Und es fällt mir schwer zu glauben, daß wir uns der Konsequenzen unserer Positionen nicht bewußt sind. Eine weitere aktuelle Haltung, die unserer Glaubwürdigkeit ebenfalls extrem schadet, ist natürlich die Erklärung des Präsidenten, der erklärte, daß wir, wenn wir Rußlands Einschüchterungspolitik gegenüber dem Westen nachgegeben hätten, nicht all die Waffen geliefert hätten, die wir an die Ukraine geliefert haben, und daß die Ukraine deshalb nicht in der Lage wäre, in der sie sich heute befindet… Ich würde sagen, das ist der letzte Strohhalm, denn ich stimme Ihnen vollkommen zu! Wären wir vorsichtig und gemäßigt genug gewesen, der Versuchung nicht nachzugeben, diese Lieferungen zu tätigen und den Konflikt anzuheizen, wäre die Ukraine nicht in der Lage, in der sie sich heute befindet, d.h. in einer militärisch und menschlich äußerst bedenklichen Lage, die ihren Interessen als Land extrem schadet.

Ein Friedensabkommen war nach einigen Tagen, einigen Wochen des Konflikts nach dem Beginn der russischen militärischen Sonderoperation ausgehandelt worden, und es war ein Abkommen, das zerstört wurde – obwohl Präsident Selenskyj dazu bereit war. Es wurde von uns und insbesondere von den Briten zerstört, durch Boris Johnson, der kam, um der Ukraine zu erklären, daß sie dazu da sei, Krieg zu führen und nicht Frieden zu schließen.

Da haben wir es also. Und dann gerieten wir leider in die schreckliche Spirale, in der wir uns heute befinden. Wir hätten also viel schneller und mit viel weniger Toten Frieden haben können, mit Hunderttausenden von Toten und Verwundeten weniger.

Wir befinden uns also in einer Art Schizophrenie: ist es taktisch oder ist es real? Begeben wir uns in eine zum Scheitern verurteilte, sich selbst erfüllende Prophezeiung? Ist dies die Strategie des Schlimmsten? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Natürlich gibt es Arroganz, natürlich gibt es Ignoranz, aber vor allem fehlt es an Verständnis für die militärische Realität und die tatsächliche Lage des Kräfteverhältnisses.

Mir wurden dann noch zwei weitere Fragen gestellt. Die zweite lautete: Was könnte Frankreich zu einer positiven Lösung beitragen, aus rein nationaler Sicht oder darüber hinaus?

Und die dritte Frage: De Gaulle hat sich mehrfach über die französische Tendenz geärgert, schon vor dem Kampf aufzugeben. Was können wir Ihrer Meinung nach heute nach den Ergebnissen der Europawahlen tun?

Meine Botschaft kommt zum richtigen Zeitpunkt, nach den Ergebnissen der Europawahlen und nach der Entscheidung des Präsidenten der Republik, unsere Nationalversammlung aufzulösen.

Nun, ich denke, daß dies, wie alle Krisen, eine Chance ist, und so sollten wir es auch sehen. Aber was auch immer die Gründe für diese Auflösung sind, sie sind nicht unbedingt… sie können sehr taktisch sein. Aber nichtsdestotrotz befinden wir uns in dieser Situation, und ich denke, es ist eine Gelegenheit für Frankreich, einen klaren Kurswechsel vorzunehmen. Und das erfordert natürlich Mut. Aber vielleicht kann eine Kohabitation diese Kehrtwende ermöglichen.

Paradoxerweise müssen wir diese Kohabitation nutzen und eine ziemlich radikale Wende in unserer Herangehensweise an den Konflikt vollziehen und versuchen, uns nützlich zu machen. Und wir machen uns vor allem dann nützlich, wenn wir eine Macht wie Frankreich sind, eine Atommacht natürlich, aber vor allem eine, die auf eine große Geschichte zurückblicken kann.

Wir müssen, um uns De Gaulle anzuschließen, eine große Außenpolitik wiederentdecken. Und um in diesem Konflikt nützlich zu sein, müssen wir uns natürlich nicht mit Rußland oder irgend jemand anderem verbünden, sondern uns vielleicht in einer Allianz der Umstände zusammenschließen, die dem Weltfrieden und der Wiederherstellung der europäischen Sicherheit dienen würde.

Und dabei denke ich an China, denn mit China könnten wir vielleicht versuchen, einen Weg der Beschwichtigung zu fördern, nicht indem wir China erklären, daß es sich von Rußland trennen muß – das wird wahrscheinlich nicht passieren.

Andererseits, um die Bedingungen eines Abkommens über die Einstellung der Feindseligkeiten und die Stabilisierung der Sicherheit in Europa zu definieren, was ja das Hauptproblem der Europäer ist: Wir sind sicherlich in eine Falle getappt, eine doppelte Falle, und Europa ist eindeutig ein amerikanischer Stellvertreter in diesem Konflikt, ebenso wie die Ukraine.

Nicht wie die Ukraine, die unglückliche Ukraine; aber wir sind direkt dahinter, und das ist das Dramatischste. Wir müssen aus dieser Abwärtsspirale herauskommen, die auch extrem gefährlich wird, weil wir die russischen Positionen nicht abschätzen oder verstehen.

Und auf dieses Verständnis müssen wir uns zubewegen.

Es gibt eine Reihe von Punkten, die heute bereits von großen Diplomaten angesprochen und aufgelistet wurden, von Menschen, die durchaus in der Lage sind zu verstehen, wie die Bedingungen für ein realistisches Abkommen aussehen würden, das die Einstellung der Feindseligkeiten in der Ukraine ermöglicht und das schützt, was von der Ukraine und ihrer Bevölkerung heute noch übrig ist.

Das ist alles, was ich sagen wollte. Ich bedauere nochmals, daß ich nicht an den Debatten und den verschiedenen Fragen teilnehmen kann, aber das wird sicherlich ein anderes Mal der Fall sein, wenn ich hoffentlich die Gelegenheit habe, persönlich anwesend zu sein. Vielen Dank, und ich wünsche Ihnen eine sehr gute Konferenz.

  • Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard, Schweizer Armee; Berater für militärisch-strategische Angelegenheiten (Schweiz): „Die ,Wunderwaffen‘ des Westens waren nicht in der Lage, das Blatt zu wenden“

Rede im Wortlaut lesen

„Die ,Wunderwaffen‘ des Westens waren nicht in der Lage, das Blatt zu wenden“

Von Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard

Ralph Bosshard ist Oberstleutnant a.D. der Schweizer Armee und Berater für militärische und strategische Angelegenheiten. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Ein herzliches Willkommen an alle und einen guten Tag aus der Schweiz.

Insgesamt befinden wir uns derzeit in einer globalen Pattsituation, in der alle voneinander abhängig sind und niemand in der Lage ist, einseitig zu handeln. Im Moment kann Rußland die USA nicht zu ernsthaften Gesprächen über die Ukraine oder andere Themen bewegen. Die USA können die Situation im Nahen Osten nicht ohne Rußland und den Iran lösen. Rußland kann den Krieg nicht ohne China und die BRICS-Plus-Staatengruppe weiterführen. Die USA können China nicht drohen, um es dazu zu bringen, seine Politik gegenüber Moskau und/oder den BRICS-Ländern zum Nachteil Moskaus zu ändern. Und die Ukraine kann kein anderes Land dazu bringen, sich im Krieg gegen Rußland auf ihre Seite zu stellen.

Es ist absehbar, daß eine grundlegende Änderung der Situation auf der sogenannten Friedenskonferenz in der Schweiz an diesem Wochenende unwahrscheinlich ist. Angesichts des drohenden Desinteresses der USA an einer weiteren Beteiligung am Krieg und der militärischen Mißerfolge der Ukraine bleibt nur die Frage, wer als eine Art „letzter Mohikaner“ in der Ukraine weiterkämpfen will.

Seit dem Rückzug der Ukrainer aus Awdijiwka bröckelt die Front im Donbaß. Es ist nicht so wichtig, daß die Russen jeden Tag ein oder zwei Soldaten gefangennehmen, die ohnehin völlig am Boden zerstört sind, sondern daß sie die Frontlinien durchbrochen haben, durch sehr gut befestigte Verteidigungslinien, die die Ukrainer im Laufe von acht Jahren aufgebaut haben. Derzeit ist zu beobachten, daß die Russen an weit voneinander entfernten Punkten der Front kleinere Angriffe durchführen und daß sie ihre Angriffe vor allem auf benachbarte Regionen wie das Gebiet Charkow und vor einigen Tagen auf Sumy ausgeweitet haben. Sie sind zahlenmäßig eindeutig überlegen und können ihre Truppen nach Belieben bewegen. Sie zwingen die Ukrainer zu wahrscheinlich kostspieligen Gegenangriffen. Die Russen gehen langsam und vorsichtig vor, das ist sicher. Und sie mußten bisher kaum jemals Gebiete aufgeben, die sie in den letzten Wochen oder Monaten erobert hatten – zumindest seit dem letzten Herbst.

Inzwischen haben die Ukrainer fast alle Gebietsgewinne wieder verloren, die sie während der Sommeroffensive im vergangenen Jahr erzielt hatten. In den letzten zwei Jahren hat der Westen also erlebt, wie all seine „Wunderwaffen“, wie sie sie früher genannt haben, zwar auf russischer Seite Schaden angerichtet haben, aber nicht in der Lage waren, das Blatt zu wenden. Realistisch betrachtet, muß sich der Westen meiner Meinung nach darauf einstellen, daß die von den USA gelieferten ATACMS-Raketen und F-16-Kampfflugzeuge auch nicht das Blatt wenden werden.

Massive Angriffe weit im Inneren Rußlands

Der Krieg befindet sich nun in einer Phase, in der die Niederlage der Ukraine nur durch massive Angriffe auf strategische Ziele weit im Inneren Rußlands abgewendet werden kann. Darüber hinaus ist in der ukrainischen Bevölkerung die große Angst zu spüren, daß die Vereinigten Staaten die Ukraine im Stich lassen könnten. Diese Angst könnte Kiew dazu motivieren, sich als nützlicher Partner der Vereinigten Staaten zu präsentieren, und zwar in einem allgemeinen und möglicherweise bevorstehenden Atomkrieg gegen Rußland. Es gibt einen Abschnitt entlang der gesamten Frontlinie in der Ostukraine, wo die aktuelle Frontlinie noch der sogenannten Kontaktlinie der Jahre 2015-22 entspricht, und das ist das Gebiet von Gorlowka – oder Horliwka, wenn Sie so wollen – und Donezk. Hier werden die Russen nicht nachlassen, bis die Städte im Donbaß außerhalb der Reichweite der ukrainischen Artillerie und Raketen liegen. Das Gleiche gilt übrigens für Belgorod. Rußland wird in Verhandlungen – sollte es solche geben – wahrscheinlich eine Pufferzone fordern, und je mehr Abstandswaffen der Westen der Ukraine liefert, desto breiter und tiefer wird diese Pufferzone sein. Die Erlaubnis, westliche Abstandswaffen einzusetzen, die vor kurzem erteilt wurde, natürlich gegen russisches Territorium, könnte sich in zukünftigen Verhandlungen als Bumerang erweisen.

Wenn Sie mit den Russen sprechen – und ich spreche natürlich auch regelmäßig mit meinen ehemaligen Kameraden an der Generalstabsakademie – werden Sie feststellen, daß die Menschen glauben, daß sie nicht so sehr mit der Ukraine im Krieg stehen, sondern mit der NATO und dem Westen insgesamt, der ihrer Meinung nach versucht, Rußland zu zerstören. Dementsprechend ist die Entschlossenheit, Widerstand zu leisten, hoch, aber der Schwerpunkt der Konfrontation könnte sich vom Donbaß und der Ukraine im Allgemeinen auf andere Weltregionen verlagern. Rußland wird versuchen zu zeigen, daß es sich verteidigen kann. Und die Politik des Westens erscheint kein Anlaß für Alarm mehr zu sein, nicht im Kreml, nicht in Rußland im Allgemeinen. Das liegt daran, daß die ukrainische Armee, die von NATO-Offizieren ausgerüstet, ausgebildet, unterstützt und möglicherweise sogar geführt wird, in den letzten Monaten nicht erfolgreich genug war.

Die russischen Schiffe vor der Küste Kubas sind eine Demonstration, daß die Anstifter von Angriffen auf russisches Territorium auch ihren Teil des Schadens erleiden werden. Und ich bin überzeugt, daß Frankreich, Großbritannien und Deutschland ebenfalls Ziel von Angriffen sein werden – sollte es notwendig werden, natürlich. Aber bisher bieten sich Rußland viele Möglichkeiten, gegen die Europäer und den Westen vorzugehen, ohne sie direkt auf ihrem eigenen Territorium anzugreifen, und ohne den Einsatz von Atomwaffen. Griechenland ist ein Land, in dem westliche Streitkräfte oder Geheimdienste operieren, obwohl sie dort eigentlich nicht sein sollten, genauso wie im Irak. Griechenland könnte beispielsweise Schauplatz von Demonstrationen werden und auch die Seehandelsrouten sind gefährdet: NATO-Schiffe und -Außenposten sind in diesen Tagen besonders gefährdet. Das Einzige, was meiner Meinung nach in Rußland Respekt hervorruft, sind die Atomwaffen des Westens.

Trotz alledem glaube ich immer noch, daß die russische Armee nicht in der Lage ist, ganz Westeuropa zu überrennen, wie uns heutzutage so oft gesagt wird. Ich frage mich auch, warum Rußland das tun sollte. Behauptungen, Rußland wolle bis nach Berlin oder sogar Bern vorstoßen, beruhen sicherlich auf einer Unterschätzung der Schwierigkeiten und des Aufwands. Sie sind als Inkompetenz oder vielleicht einfach nur als reine Propaganda zu betrachten.

Andererseits kann ich nur davor warnen, zu glauben, daß Rußland militärisch leicht in die Knie gezwungen werden kann. Und glauben Sie mir, ich habe eineinhalb Jahre in den russischen Streitkräften verbracht und habe eine ungefähre Vorstellung von ihren Fähigkeiten und vor allem von dem, wozu sie nicht in der Lage sind. Es scheint mir, daß die westlichen Streitkräfte dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, und das manchmal auf geradezu groteske Weise.

Was die absehbare Zukunft angeht, glaube ich, daß wir turbulente Zeiten vor uns haben. Ich erwarte, daß der „Bürgenstock-Friedensgipfel“, wie man ihn in der Schweiz nennt, in einer Autohändler-Atmosphäre stattfinden wird. Ich denke, daß diese sogenannte Friedenskonferenz für die Russen nicht wichtig genug ist, um sie zu stören. Derzeit versammeln sich die politischen Verlierer der Wahlen vom vergangenen Wochenende in Europa auf dem G7-Gipfel in Italien, und sie werden in die Schweiz weiterziehen. Aber es könnte den Russen in den Sinn kommen, ihnen die Show zu stehlen, die Biden, Macron, Scholz und von der Leyen sicherlich für die nächsten Wochen und Monate vorbereitet haben: Ich spreche über den US-Wahlkampf, ich spreche über die Olympischen Spiele in Paris und die Fußball-EM in Deutschland. Wir könnten also in eine turbulente Phase eintreten. Und wenn eine Eskalation oder gar ein Atomkrieg vermieden werden kann, dann eher aufgrund russischer Gelassenheit und russischer Rationalität als aufgrund eines hohen Standards westlicher Staatskunst.

Entschuldigen Sie, daß ich das so sage, aber so schätze ich die aktuelle Situation ehrlich ein. Natürlich erwarten wir das Schlimmste und hoffen auf das Beste. Aber aus meiner Erfahrung von 20 Jahren Dienst als Generalstabsoffizier auf verschiedenen Ebenen weiß ich, daß Hoffnung keine militärische Planungsmethode ist, und darauf sollten wir uns nicht verlassen.

Vielen Dank und auf Wiedersehen aus der Schweiz.

  • Rainer Rupp, Militär- und Geheimdienstexperte (Deutschland): „Die Planer der US-Streitkräfte nehmen keine Rücksicht auf Zivilisten“

Rede im Wortlaut lesen

„Die Planer der US-Streitkräfte nehmen keine Rücksicht auf Zivilisten“

Von Rainer Rupp

Rainer Rupp ist Militär- und Geheimdienstexperte aus Deutschland. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Hallo, vielen Dank für diese Gelegenheit. Ich habe zwar nicht auf dieser Ebene angefangen, aber von 1977 bis 1993 war ich in leitender Position in der Abteilung für politische Angelegenheiten im NATO-Hauptquartier in Brüssel tätig. In dieser Funktion habe ich auch an den jährlichen und halbjährlichen Wintex-Winterübungen teilgenommen. Bei diesen Manövern übt die NATO den Ersteinsatz von Atomwaffen, wenn ein konventioneller Konflikt in einen nuklearen übergeht.

Bei der ersten Übung, an der ich als Vorsitzender der zuständigen Aufklärungsgruppe teilgenommen habe, mußte ich das NATO-Verteidigungsplanungskomitee informieren, das die Entscheidung traf – damals auf höchster Ebene. Man stand in ständigem Kontakt mit den Regierungen, da es sich um eine Stabsübung auf höchster Ebene handelte, an der die höchsten Vertreter der Ministerien und des Kanzleramtes teilnahmen. Ich mußte also alle vier Stunden den DPC (Defence Planning Council) informieren. Das war meine Aufgabe, 8 Stunden in 24 Stunden.

Nun, bei meiner ersten Teilnahme hat die NATO nach einer langen ersten konventionellen Kriegsphase irgendwo in Osteuropa eine taktische Nuklearwaffe gegen die sowjetischen Streitkräfte eingesetzt. Danach war die Übung vorbei, es gab keine Fortsetzung.

Meine letzte Wintex-Übung war 1989, als der Kalte Krieg eigentlich schon vorbei war. Aber die Vorbereitung dieser Nuklearwaffenübungen dauerte normalerweise zwei Jahre, und diese NATO-Übung wurde in zwei Wellen durchgeführt, mit – wenn ich mich richtig erinnere – 153 taktischen Nuklearwaffen gegen sowjetische und osteuropäische Streitkräfte.

Aber, und das ist wichtig, und deshalb erzähle ich Ihnen diese Geschichte, die Planer des Ersteinsatzes von Atomwaffen waren Amerikaner. Und sie haben tatsächlich entschieden, wo diese Waffen eingesetzt werden sollten. Sie haben – während meiner gesamten Zeit in der NATO – immer sehr darauf geachtet, daß keine dieser Nuklearwaffen auf russischem Territorium eingeschlagen ist, weil die Amerikaner wußten, daß sie in einem solchen Fall mit einem Gegenschlag auf amerikanischem Territorium rechnen müßten.

Wenn Sie sich vorstellen, was im Falle eines nuklearen Konflikts geschehen wäre, auch nur eines begrenzten nuklearen Konflikts, dann wäre Europa ausgelöscht worden.

Um Ihnen nur ein Beispiel zu geben: Bei einer dieser nuklearen Planungskonferenzen, an der ich teilgenommen habe – sie fand im sogenannten NATO-Ferienort Oberammergau in Deutschland statt –, beklagte sich ein amerikanischer General darüber, daß in der Fulda Gap, wo die NATO eine große russische Panzerinvasion erwartete, die deutschen Dörfer nur eine halbe Kilotonne voneinander entfernt seien. Das heißt, die taktischen Atomwaffen waren damals viel stärker als eine halbe Kilotonne.

Gestern hat Garland Nixon, der ebenfalls an einer Veranstaltung des Schiller-Instituts [dem 54. Treffen der Internationale Friedenskoalition – Anm. d. Red.] teilgenommen hat, darauf hingewiesen, daß seiner Erfahrung nach die Streitkräfte der Vereinigten Staaten, insbesondere die Planer, keine Rücksicht auf Zivilisten nehmen, und das gilt insbesondere für die nukleare Planung. Ich konnte das tatsächlich bestätigen.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Konflikt in der Ukraine nuklear wird? Ich habe über die Jahre hinweg – und ich habe diesen Konflikt sehr genau verfolgt – verschiedene Szenarien beobachtet, plausible Szenarien, bei denen es hätte sehr schiefgehen können. Erstmals war ich beunruhigt, als die 101. Brigade der Screaming Eagles – das waren die 5.000 Soldaten der Luftlandetruppen der 101. Luftlandedivision – nach Osteuropa verlegt wurden: 4.000 nach Rumänien und 1.000 nach Polen. Das war Ende des Frühjahrs 2022. Es dauerte eine Weile, bis sie untergebracht waren, aber – ich kann mich nicht mehr an das genaue Datum erinnern, aber es war Ende September, als der Kommandeur dieser Gruppe der amerikanischen Presse mitteilte, daß man nun bereit sei, den Befehl auszuführen und jederzeit über die Grenze in die Ukraine einzumarschieren, um sich den vorrückenden russischen Truppen im Weg zu stellen.

Die Russen hatten bereits angekündigt, daß sie jeden Amerikaner oder jeden anderen bewaffneten NATO-Soldaten, der in der Ukraine auftaucht, vernichten würden.

Die 101. Luftlandedivision – eine sehr berühmte Division – ist in vielen Liedern und Lobeshymnen gefeiert worden. Wenn Sie Amerikaner sind oder sich mit der Militärgeschichte der USA oder der NATO auskennen, wissen Sie, daß diese Division hochangesehen ist und eine Legende darstellt. Sie dort als Hemmschuh einzusetzen, und diese Luftlandetruppe ist wahrscheinlich gepanzert: Ich meine, sie hätten keinerlei Widerstand bedeutet, sie wären bei jeder Auseinandersetzung mit den Russen dezimiert und abgeschlachtet worden. Und die Russen hätten davor nicht zurückgeschreckt.

Was wäre die Folge gewesen? Großes Geschrei: „Wir müssen etwas tun! Wir müssen etwas tun!“ Man sieht derartige Dinge, doch was können sie am Ende tun? Mehr Waffen? Man kann keine weiteren Sanktionen verhängen. Also das Einzige, was man einsetzen könnte, sind taktische Atomwaffen gegen russische Streitkräfte in der Ukraine. Man beachte, in der Ukraine, nicht gegen Rußland. Zum Glück ist das bisher nicht passiert.

Die nächste Stufe war, daß nicht nur Macron, sondern auch die Polen und andere darüber nachdenken, bewaffnete Truppen in die Ukraine zu schicken, und zwar Tausende von Soldaten über Odessa in die Südukraine. Hier wäre die Situation ähnlich.

Das wissen die Franzosen, und hochrangige französische Militärs gingen tatsächlich an die Presse und sagten anonym: „Man wird sie abschlachten.“ Nun, darum geht es im Grunde! Sie sollen geopfert werden, um dann die Amerikaner um Hilfe zu rufen. Es gibt viele Leute im Kongreß und vor allem in den Medien, die um Hilfe rufen würden.

Aber was könnten die Amerikaner tun? Was könnte die NATO tun? Sie planen einen Krieg; sie denken, daß sie bis 2029 bereit wären, einen konventionellen Krieg gegen Rußland zu führen, weil die Rüstungsindustrie der NATO nicht früher die Mittel dafür bereitstellen kann. Was würden sie also tun? Was könnten sie tun? Da wäre die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die Russen würden natürlich zurückschlagen, aber auch hier nicht auf amerikanischem Boden, sondern auf US-Stützpunkten in Europa und anderen Orten von Interesse.

Glücklicherweise waren die französischen Pläne zu viel für Biden und die NATO selbst. Der NATO-Generalsekretär sagte Macron: „Das wäre nicht sehr hilfreich.“

Der nächste Punkt, der die Situation jetzt wieder explosiv macht, ist der Einsatz von Langstreckenraketen durch die Ukrainer, der öffentlich angekündigte Einsatz nuklearer Langstreckenraketen gegen strategische Ziele tief in Rußland sowie gegen Ziele, die Teil der russischen nuklearen Abschreckung sind.

Die Russen haben gesagt, so kann es nicht weitergehen. Es wird nicht so weitergehen, und zwar deshalb nicht, weil die Amerikaner, die Briten und andere selbst es so sehen und es nicht mehr verborgen werden kann. Die Aufklärung, die Zielerfassung, die Daten für die Eingabe in die Rakete, all das wird von NATO-Personal oder von Personal der verschiedenen NATO-Mitgliedsstaaten gemacht. Das einzige, was die Ukrainer tun, ist einen Knopf zu drücken.

Sie alle kennen die Reaktion Rußlands. Sie haben gesagt, sie werden das nicht mehr lange dulden. Sie werden die Stützpunkte angreifen, von denen diese Dinge kommen, und auch außerhalb der Ukraine, also in NATO-Ländern. Jetzt haben wir wieder eine Situation, in der die Russen etwas tun würden, was eine Reaktion der NATO oder der USA erfordert.

Das nächste Problem in dieser Hinsicht, das die Sache noch komplizierter macht, ist, daß Selenskyj und seine Berater, die so verzweifelt auf den F-16 in der Ukraine bestanden haben, jetzt sagen: „Nun, wir wollen sie nicht alle auf ukrainischem Territorium haben, weil sie zerstört werden könnten, bevor wir sie einsetzen können. Wir wollen die meisten von ihnen auf Luftwaffenstützpunkten in benachbarten NATO-Ländern haben.“

Nun, das ist eine ziemlich knifflige Angelegenheit, denn wenn die F-16 von benachbarten Luftwaffenstützpunkten aus starten, wo sie gewartet, betankt und vielleicht auch bewaffnet wurden, und dann nur einen Zwischenstopp auf einem ukrainischen Rollfeld einlegen und dann weiterfliegen, um russische Ziele anzugreifen, wird das nicht gehen. Es ist ziemlich klar, daß die NATO-Luftwaffenstützpunkte, wo die ukrainischen F-16 stehen, russische Ziele sein werden.

Das sind die Dinge, die mich nicht gut schlafen lassen, vor allem, da ich nicht weit von Ramstein entfernt wohne, einem der Zentren, das am ehesten getroffen werden könnte.

Ich möchte noch auf eines hinweisen. Der alte Spruch, daß Putin blufft und es nicht ernst meint, daß die russische Nukleardoktrin nur ein Papiertiger ist, daß die Russen es nie wagen würden und so weiter und so fort. In diesem Zusammenhang sei an die Sorgfalt erinnert, die alle unsere Länder beim Bau und bei der Errichtung von Kernkraftwerken an den Tag gelegt haben. Alle Systeme, bei denen bei der Erzeugung von Kernenergie etwas schief gehen könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit nur 1 zu 1.000 oder 1 zu 1 Million war, wurde verdoppelt und verdreifacht, um eine Sicherheitsmarge zu haben, damit während der Lebensdauer des Kraftwerks nichts passiert.

Man vergleiche die Sorgfalt, die wir in diesen Aspekt investiert haben – nun, Fukushima war schlimm genug, aber es ist nicht so schlimm wie ein begrenzter Atomkrieg in Europa! Gleichzeitig denken wir: „Ach, die Russen meinen es wahrscheinlich nicht so, die bluffen nur“, und wir können so weiter machen, wie wir wollen. Ich meine, das ist verrückt! Es ist einfach total verrückt.

Ich glaube, ich habe heute genug von Ihrer Zeit in Anspruch genommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Oberst a.D. Alain Corvez, Berater für internationale Angelegenheiten, ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums (Frankreich): Wir befinden uns in einer Zeit des totalen Nihilismus

Redde im Wortlauf lesen

Wir befinden uns in einer Zeit des totalen Nihilismus

Von Obert a.D. Alain Corvez

Oberst a.D. Alain Corvez ist Berater für internationale Angelegenheiten und ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Französischen.)

Danke für Ihre Einladung… Ich habe auf dieser Konferenz bisher sehr sinnvolle und vernünftige Reden gehört. In Gesprächen mit vielen Experten auf der ganzen Welt höre ich etwas anderes, und die Schlußfolgerung ist, daß solche ausgewogenen Reden wie diese nicht beachtet werden. Warum? Weil wir uns in einer Situation des totalen Nihilismus befinden.

Ich möchte als Einleitung, als Präambel, etwas von Nietzsche zitieren, aus seinen posthumanistischen Fragmenten, die er gegen Ende seines Lebens schrieb. Was hier angekündigt wird, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Es beschreibt, was kommen wird, was unausweichlich ist, nämlich die Ankunft des Nihilismus. Nietzsche ist wahrscheinlich einer der großen Denker für das gegenwärtige Jahrhundert. Ich denke, er ist schlecht bekannt und wird von bestimmten Philosophen schlecht interpretiert. Es ist ein interessantes Denken in diesem Aphorismus 125 Der tolle Mensch.1 Er schreibt:

„Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ,Ich suche Gott! Ich suche Gott!’“ Es folgt eine sehr interessante Entwicklung, und dann sagt er: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? … Wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen?“

Jetzt möchte ich mit der Gegenwart fortfahren, aber er sah es schon kommen, wie der Nihilismus aufkommt und die Macht übernimmt, und wenn ich auf diesem philosophischen Aspekt meiner Rede bestehe, dann eben deshalb, weil wir uns heute in einer Zeit des totalen Nihilismus befinden. Präsident Putin und Präsident Xi Jinping machen auf ruhige Art und Weise sehr vernünftige Vorschläge – und im Westen haben wir Leute, die völlig dement sind. Im Westen haben wir Verrückte, die am hellen Vormittag mit einer Laterne nach Dingen suchen, die es gar nicht mehr gibt. Heute ist es unmöglich, diplomatische Beziehungen zwischen Ost und West herzustellen, weil der Westen völlig dement ist.

Das muß man berücksichtigen. Nur sehr mächtige Kräfte werden in der Lage sein, das Blatt zu wenden. Wir sind heute Zeugen des Endes der amerikanischen Hegemonie in der Welt, insbesondere der westlichen Welt. In Kanada, Australien und Japan ist diese Hegemonie noch sehr stark, alle diese Länder folgen den Weisungen aus Washington. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Washington eine Infrastruktur und Logistik aufgebaut, die mit Hilfe von Geld und der Kontrolle über die Medien die westliche Hemisphäre beherrscht, auch wenn einige Intellektuelle sich zu Wort melden, um diese inakzeptable Situation zu entlarven.

Aber insgesamt erleben wir das Ende der US-Hegemonie in einer tragischen Periode, in der Menschen sterben, in der es großes Leid für die Menschheit gibt, weil die Vereinigten Staaten aus innenpolitischen Gründen in eine große Krise stürzen und ihre Außenpolitik eine Katastrophe ist.

China und Rußland und andere Länder, sich anschließen, wie der Iran, schaffen die neue Welt, und die Westmächte wollen das nicht akzeptieren. Sie wollen es nicht wahrhaben, sie wollen kein rationales strategisches Umdenken. So findet die Krise statt, mit vielen Toten in der Ukraine und in Palästina, weil man sich weigert anzuerkennen, daß die globale Vorherrschaft verloren ist. Das wird bis zu den nächsten US-Wahlen so bleiben, und diese Situation hat Hunderttausende von Toten heraufbeschworen.

Das ist Nihilismus. Wir befinden uns in der Verweigerung des rationalen Denkens. Diese Leute können sich nicht vorstellen, daß es eine Kraft geben kann, die ihren eigenen Kräften überlegen ist, aber das gibt es bereits. Irgendwann werden sie gezwungen sein, es zu akzeptieren. Die Vereinigten Staaten werden eine Großmacht im Weltgeschehen bleiben, aber nicht unbedingt alles in der ganzen Welt diktieren.

Das Schiller-Institut setzt sich bekanntlich für eine ausgewogenere Situation auf der Welt ein. Die Zeit ist gekommen, die Nationalstaaten zu respektieren. Helga Zepp-LaRouche hat über den Westfälischen Frieden gesprochen. Er stammt aus dem Jahr 1648 und war ein klarer Aufruf, den souveränen Nationalstaat, die jeweilige Kultur und Geschichte zu respektieren.

Wir müssen diesen Geist des Westfälischen Friedens wiederbeleben, in dem die Interessen und der Respekt für andere berücksichtigt werden müssen. Man sollte zwischen den Interessen der anderen und unseren eigenen Interessen abwägen. Die westlichen Führungen sind dement geworden, wie dieser von Nietzsche beschriebene Wahnsinnige. Wir sind in einer Welt, in der die USA bis zu den Wahlen im November nicht für einen vernünftigen Diskurs zur Verfügung stehen. Es gibt starke Kräfte, die darauf drängen, den Konflikt in der Ukraine fortzusetzen.

Ich stimme nicht mit Helga Zepp-LaRouche überein, wenn sie sagt, Rußland halte nur seine militärische Front aufrecht. Ich denke, daß Rußland durchaus in der Lage wäre, eine umfassende Militäroffensive zu starten, aber Rußland hat nicht die Absicht, das zu tun. Rußland will keine Zivilisten in der Ukraine bombardieren. Das passiert natürlich leider unvermeidlich in solchen Konfliktzeiten, aber Rußland könnte sofort nach Odessa marschieren, wenn es wollte, doch Rußland will das nicht. Vielleicht werden sie irgendwann einmal nach Odessa gehen.

Es ist nicht mehr die ukrainische Armee, die sich mit Rußland im Krieg befindet, sondern es sind die Militärberater der NATO, die aus Polen, Kanada, den USA, den Niederlanden, Frankreich, praktisch aus allen NATO-Staaten kommen. Diese Experten setzen die NATO-Waffen auf ukrainischem Boden ein, sie haben die entsprechende Ausbildung dafür. Es handelt sich also um einen Krieg der NATO gegen Rußland, während sie gleichzeitig, in den Reden von Biden, Macron und Stoltenberg, nach außen hin behaupten: „O nein, wir wollen keinen Krieg mit Rußland!“ Das sagen sie tagein tagaus, aber es ist nicht wahr: Es sind heute die NATO-Streitkräfte, die mit Hilfe von NATO-Informationen NATO-Waffen einsetzen und russisches Territorium mit hochentwickelten Waffen beschießen. Es ist also schlimmer als Heuchelei; es ist völlig inkohärent.

Ich möchte nicht noch mehr Zeit in Anspruch nehmen, aber ich möchte darauf hinweisen, daß das auch einen wirtschaftlichen Aspekt hat. Die russische Wirtschaft entwickelt sich, und die europäischen Volkswirtschaften – vor allem Deutschland und Frankreich – brechen zusammen. Es wäre vernünftig, wenn Westeuropa mit Osteuropa, Rußland und Asien zusammenarbeiten würde. Rußland hat bekanntlich die Energieressourcen, die für die westliche Wirtschaft lebenswichtig wären. Doch die ehemalige Weltmacht USA hat kein Interesse daran, ein vereintes Europa mit Osteuropa und Rußland zu sehen.

Ich möchte mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt schließen, denn die beiden Konflikte lassen sich nicht voneinander trennen. Es handelt sich um zwei Symptome der ehemals allmächtigen Vereinigten Staaten, die die Palästinenser und die Ukrainer benutzen, um vor der Welt zu vertuschen, daß es in Wirklichkeit ihr eigenes Endspiel ist. Das israelische Kriegskabinett ist ein klares Beispiel für Demenz; diese Leute sind nicht mehr in der Lage, rational zu denken. Sie haben den Krieg, den sogenannten „Krieg gegen die Hamas“, verloren. Sie haben nachgelegt, und jetzt weiß die Welt alles darüber, wie sie an Einfluß verlieren.

Ich möchte nur einen Artikel aus der Jerusalem Post vom 9. Juni zitieren. Dort sagt ein israelischer General a.D., Itzhak Brik: Die israelische Bevölkerung ist gegen dieses Kriegskabinett, weil es uns in den Abgrund führt. Wir wissen, daß dieser Kampf gegen die Palästinenser den aufgeklärten Teil der Welt jetzt hinter der Unterstützung Palästinas und gegen uns versammelt. Noch haben wir die Unterstützung der US-Regierung, aber wie lange noch?

Dieser General ist intelligent, aber das israelische Kriegskabinett hat Israels Einfluß in der Welt völlig zerstört.

Abschließend möchte ich sagen, daß wir unsere Regierungen zur Vernunft bringen müssen, auch die französische Regierung. Das Volk sollte eingreifen und der Kriegstreiberei Einhalt gebieten, die unsere Volkswirtschaften zerstört, in der vergeblichen Hoffnung, das Überleben der amerikanischen Hegemonie zu sichern, obwohl sie eindeutig verloren ist. Ich danke Ihnen nochmals dafür, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, heute hier das Wort zu ergreifen.

 


Anmerkung

1. Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft, Drittes Buch, 125. Der tolle Mensch (Zeno.org)

Panel 2: Die Entwicklungsbestrebungen der globalen Mehrheit

Moderator Dennis Speed

  • Lyndon LaRouche (1922-2019)
  • S.E. Donald Ramotar, ehemaliger Präsident von Guyana (Guyana): „Die Dritte Welt braucht Frieden“

Rede im Wortlaut lesen

„Die Dritte Welt braucht Frieden“

Von Donald Ramotar

Donald Ramotar ist ehemaliger Staatspräsident von Guyana. Im zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15.-16.6. sagte er folgendes (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Vielen Dank, daß Sie mich eingeladen haben. Zunächst einmal möchte ich sagen, wie sehr ich unsere erste Konferenzsitzung geschätzt habe. Sie war sehr informativ und, wie ich glaube, sehr nützlich.

Wir treffen uns zu einem äußerst wichtigen und ich würde sagen, äußerst gefährlichen Zeitpunkt für unsere Welt. Zwei große Kriege sind im Gange: der Krieg in Gaza, der aus humanitärer Sicht eine der schlimmsten Katastrophen ist, die wir je erlebt haben. Und der zweite ist der Ukraine-Konflikt, der insofern am gefährlichsten ist, als er einen Atomkrieg auslösen kann, der das Ende des Lebens, wie wir es auf der Erde kennen, bedeuten kann. Deshalb ist es äußerst wichtig, daß wir unser Bestes tun, um all diesen Konflikten ein Ende zu setzen.

Aber es gibt noch andere Konflikte, überall in der Dritten Welt – Sudan, um nur einen zu nennen. Im Mittelpunkt vieler dieser Konflikte steht die ganze Frage der Armut, der Unterentwicklung, der fehlenden wirtschaftlichen Entwicklung. Viele Sozialwissenschaftler haben bereits nachgewiesen, daß es einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Entwicklung und Frieden gibt. Je mehr wir die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben und bestimmte soziale Fragen lösen können, desto mehr können wir einige der verschiedenen Probleme mildern und abschwächen.

Die Entwicklungsländer des Südens sind mit Konflikten aller Art konfrontiert, sowohl interne Konflikte als auch, nicht selten, Probleme untereinander. Das ist eine direkte Folge der ungleichen und ungerechten internationalen Beziehungen, die in unserer Welt herrschen. Auch wenn der Kolonialismus weitgehend beendet ist, gibt es hier und da immer noch Gebiete, die davon betroffen sind. Bei uns in der Karibik zum Beispiel gibt es noch einige davon. Der Kolonialismus wurde zwar Mitte der 1970er Jahre weitgehend beendet, aber viele der Verbindungen sind noch nicht wirklich abgebrochen.

Ausbeutung der Dritten Welt geht weiter

Das gilt insbesondere für die wirtschaftliche Entwicklung. Die Ausbeutung der Dritten Welt geht unvermindert weiter, das hat sich nicht geändert. In einigen Fällen – insbesondere durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technik – hat sie sich sogar noch verstärkt und ist wahrscheinlich sogar intensiver als während der Kolonialzeit. Die Ausbeutung unserer Ressourcen zugunsten der entwickelten Welt ist nach wie vor ein Hauptmerkmal der heutigen internationalen Beziehungen.

Das zeigt sich daran, daß die Nettokapitalströme immer noch sehr stark vom Süden in den Norden fließen, von den Entwicklungsländern in die entwickelte Welt. Das mag nicht so erscheinen, wenn man sieht, daß die Konzernmedien ständig berichten, daß die Länder der Dritten Welt gerettet werden müssen oder daß sie Spenden oder Beiträge brauchen. In den Nachrichten wird der Eindruck erweckt, daß mehr Geld aus dem Norden in den Süden fließt. Doch tatsächlich wird geschätzt, daß der Netto-Ressourcenfluß von den Entwicklungsländern in die Industrieländer seit 1960 etwa 62 Billionen Dollar beträgt. In heutigem Geld sind das 152 Billionen US-Dollar. Es handelt sich also nicht um Mittel, die aus dem Norden in den Süden kommen, sondern um Mittel, die aus dem Süden in den Norden fließen.

Diese Ausbeutung nimmt viele Formen an, und das betrifft die Ausbeutung unserer Rohstoffe. Nicht viele Länder der Dritten Welt im Süden sind so industrialisiert, daß sie Fertigprodukte herstellen können. Daher sind wir immer noch weitgehend Rohstoffexporteure. Und dadurch hat sich die Handelsbilanz dramatisch verändert, weil die Preise für Industriegüter weiter stark ansteigen, während die Preise für Rohstoffe viel langsamer steigen. Daher müssen wir in der Dritten Welt fast jedes Jahr mehr Mittel aufwenden, um die gleichen Waren zu kaufen wie in den Vorjahren. Ein größerer Teil unserer Ressourcen wird für den Kauf von Waren verwendet.

Es ist für uns nicht überraschend, aber für viele Menschen in anderen Teilen der Welt mag es das sein, weil die Dritte Welt größtenteils aus Agrarländern besteht: Aber es wird immer noch eine enorme Menge an Nahrungsmitteln in die Länder der Dritten Welt importiert, in der Landwirtschaft selbst. In die Karibik zum Beispiel werden jährlich Lebensmittel im Wert von über 4 Milliarden Dollar importiert, obwohl wir als eher landwirtschaftlich geprägt gelten.

Das liegt vor allem daran, daß zwar viele der von uns produzierten Erzeugnisse, wie Zuckerrohr, Zucker, Reis usw., exportiert werden, wir aber viele andere pflanzliche Nahrungsmittel in unser Land importieren. Dieser Bereich wurde nicht richtig entwickelt, es wurden nicht genügend Ressourcen in andere Bereiche der Nahrungsmittelproduktion investiert. In unserer Region wird dies immer deutlicher, und in der CARICOM [der Karibischen Gemeinschaft] ist die Rede davon, die Lebensmitteleinfuhren zu reduzieren, weil wir die Möglichkeit dazu haben. Es wird nicht viel in diesen Bereich investiert, und es gibt keine Ermutigung vor Ort, mehr zu produzieren.

Dann ist da noch die Handelsbilanz. Die Stimme des Globalen Südens, der Dritten Welt, ist in wichtigen Institutionen wie dem IWF, der Weltbank, der Welthandelsorganisation usw. nicht sehr gut vertreten und nicht sehr stark. Diese Organisationen sind nach wie vor unter der Kontrolle der mächtigeren Länder der Welt, insbesondere den Vereinigten Staaten. Und sie werden in ihrem Interesse geführt.

Deshalb sind wir ständig verschuldet. In den 1980er Jahren hörte man sehr oft von den Schulden, und auch jetzt hört man von den Schulden. Die Schulden sind einer der Mechanismen, die unsere finanziellen Ressourcen ausbluten lassen und zum Nettofluß von Ressourcen aus dem Süden in den Norden beitragen. Früher haben wir viele IWF-Programme als „Schuldenfallen“ bezeichnet. Es gibt also einen Geldabfluß durch Schulden – über diese internationalen Institutionen, durch staatliche Kredite, durch viele private Kredite von Banken in der entwickelten Welt – und auch aus bestimmten Investitionen in Öl und Gas, Gold und andere Ressourcen. Sie werfen sehr schnell Gewinn ab, und so werden wir sehr schnell zum Nettoexporteur von Kapital.

Kaum etwas von diesen Ressourcen wird hier verarbeitet. Das ganze Gold, das wir in Guyana fördern, wird zum Beispiel in Kanada raffiniert. Ähnlich ist es mit jedem Tropfen Öl, der jetzt gefördert wird, denn in den letzten 4-5 Jahren sind wir zwar ein Ölproduzent geworden, aber es gibt hier keine Raffinerie, die etwas raffiniert, so daß wir kaum etwas von unseren Produkten bekommen. Das ist ein Merkmal vieler Länder der Dritten Welt, die weiterhin nur als Rohstoffproduzenten auftreten. Das führt zu großen Handelsungleichgewichten, und wir zahlen immer höhere Preise für Fertigwaren, die wir brauchen und die wir hier nicht haben.

Obwohl der Kolonialismus abgeschafft wurde, gibt es also eine Art kollektiven Kolonialismus, der sich im Laufe der Jahre entwickelt hat. Die entwickelten Länder des Nordens, vor allem die NATO-Länder, sind also diejenigen, die die Länder der Dritten Welt weiterhin ausbeuten.

Der Hauptgrund für all das ist, wie ich schon sagte, daß die internationalen Institutionen nicht zu unseren Gunsten eingerichtet sind, auch wenn man zum Beispiel aus politischer Sicht und aus Sicht der Justiz sieht, daß der Internationale Strafgerichtshof ein internationales Gremium ist; im allgemeinen will er eher Staatsführer aus der Dritten Welt vor Gericht stellen.

Schauen Sie sich an, wie lange es dauert: Seit acht Monaten, seit Israels Morden anfing, bis heute gibt es klare Anzeichen für einen Völkermord. Ich habe die Nachrichten gehört, sie sind jetzt dabei, die Häuser der Menschen zu zerstören, mit Dynamit zu sprengen. Die eigentliche Absicht ist, Gaza unbewohnbar zu machen; die Absicht ist ethnische Säuberung. Das geht weiter, und der Internationale Gerichtshof hat sich zu vielen dieser Dinge immer noch nicht geäußert.

Wir wissen, wie schnell er über Rußland und Präsident Putin geurteilt hat, obwohl sie nur angeklagt wurden, weil sie Kinder aus dem Kriegsgebiet in Sicherheit brachten. Aber bei Netanjahu ist erst seit kurzem die Rede davon, ihn anzuklagen, weil er so viel Einfluß hat.

Aufstieg der Alternativen ist wichtig

Aus diesem Grund ist der Aufstieg der Alternativen für uns so wichtig. Das zeigt sich daran, daß viele Länder jetzt Schlange stehen und sich der BRICS-Gruppe anschließen wollen. Die BRICS-Gruppe bietet eine gewisse Hoffnung, ein besseres Gleichgewicht und ein besseres Verhältnis zu den Ländern der Dritten Welt zu schaffen. Deshalb gibt es in den Entwicklungsländern viel Enthusiasmus für die BRICS und den Wunsch, den BRICS beizutreten, in der Hoffnung auf bessere Beziehungen zu den BRICS. Sie hoffen, daß ihre Beziehungen zu den BRICS anders sein werden als die mit dem IWF, der Weltbank und anderen internationalen Organisationen, die aus der Bretton-Woods-Ära stammen.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist die von China ins Leben gerufene Gürtel- und Straßen-Initiative. Sie ist führend beim Ausbau der Infrastruktur in der Dritten Welt, deren Mangel die Entwicklung unserer Volkswirtschaften in Bereichen wie dem Verkehr behindert hat. Dadurch werden viele unserer Strukturen an verschiedenen Orten miteinander verbunden, um sicherzustellen, daß wir eine bessere Chance für eine produktivere Entwicklung haben und mehr unserer Waren verarbeiten und zu besseren Preisen verkaufen können, usw. Ich glaube, das ist einer der Gründe für die Feindseligkeit gegenüber Rußland und China im Besonderen. Die Verleumdung dieser Länder zum Beispiel: Dieselbe Kritik, die wir über die Jahre am IWF geübt haben, daß er Schuldenfallen schafft, wird jetzt von den Konzernmedien umgedreht, sie sagen, Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative würde Schuldenfallen schaffen.

Tatsächlich deutet alles darauf hin, daß das nicht stimmt, sondern daß viele Länder der Dritten Welt zum ersten Mal die Möglichkeit haben, die Art von Infrastruktur zu entwickeln, die sie brauchen, um mehr Ressourcen aufzubauen.

Daher würde ich sagen, daß dies wahrscheinlich einer der Gründe [für die Konflikte] ist, auch wenn es nicht so offenkundig ist wie das, was jetzt in der Ukraine passiert, wo ein Stellvertreterkrieg gegen Rußland geführt wird, um die Vorherrschaft des Westens zu erhalten. Aber es gibt sie, weil sie sehen, daß diese neuartigen Beziehungen der Dritten Welt die Möglichkeit geben, widerstandsfähiger zu sein und dem Druck standzuhalten, dem wir ständig von internationalen Institutionen und westlichen Regierungen ausgesetzt sind, und statt dessen ein Programm für uns selbst zu entwickeln.

Das ist einer der Gründe, warum wir weiterhin gegen die Vorgänge in der Ukraine kämpfen müssen. Frieden! Die Dritte Welt braucht Frieden. Viele Kämpfe in der Dritten Welt werden von außen angezettelt, und manchmal sind sie das Überbleibsel von Grenzproblemen usw., die durch den Kolonialismus verursacht wurden. Wir brauchen Frieden; wir brauchen einen Mechanismus in der Welt für den Frieden. Wir sehen erst die Anfänge davon, daß sich das mit den neuartigen Vereinbarungen mit den BRICS und der Gürtel- und Straßen-Initiative entwickelt.

Ich denke, ich habe genug gesagt, und ich möchte Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danken.

  • Prof. Henry Baldelomar, Professor für internationale Beziehungen, Nur-Universität, Santa Cruz, Bolivien (Bolivien): „Man kann keinen Frieden haben, wenn es Indikatoren für strukturelle Gewalt gibt“

Rede im Wortlaut lesen

„Man kann keinen Frieden haben,
wenn es Indikatoren für strukturelle Gewalt gibt“

Von Prof. Henry Baldelomar

Henry Baldelomar ist Geschäftsträger an der bolivianischen Botschaft in Washington. Bei der Konferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sprach er in seiner Eigenschaft als Professor für internationale Angelegenheiten an der Nur-Universität in Santa Cruz, Bolivien. (Übersetzung aus dem Spanischen, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Guten Morgen, es ist mir eine Freude, hier bei Ihnen auf dieser Konferenz des Schiller-Instituts zu sein.

Zweifellos sind diese Gefühle der Besorgnis, die die gesamte internationale Gemeinschaft aufgrund der Geschehnisse verdunkeln, auch das Ergebnis eines langen Prozesses, wie das internationale System gestaltet wurde. Erinnern wir uns daran, daß das internationale System seit 1991 einen sehr komplizierten Prozeß durchlaufen hat, vielleicht den längsten, um eine neue internationale Ordnung zu schaffen, der sich fast der gesamte globale Süden angeschlossen hat, um das Blatt zu wenden, das bis zu einem gewissen Grad ein Verhaltensmuster der Beziehungen zwischen Nord und Süd war. Es ist in der Tat so, daß wir einige mit dem Kolonialismus verbundene Schemata und Architekturen der Macht hinter uns gelassen haben.

Nichtsdestotrotz war die gesamte Periode, insbesondere seit 1945 bis 1991 oder vielleicht etwas später, durch eine systematische Betonung der Abhängigkeit in all ihren Verästelungen gekennzeichnet. Eine enorme Abhängigkeit in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht, eine Abhängigkeit im Handel, denn unsere Handelsbilanz zwischen dem Süden und dem Norden ist für den Süden äußerst ungünstig.

Auch im Hinblick auf die für die öffentliche Gesundheit erforderlichen Technologien hat die COVID-Pandemie die ,franziskanischen‘ Verhältnisse aufgedeckt, bei denen ein großer Teil der Gesundheitsbedingungen nicht nur im Süden, sondern auch in den Ländern des Nordens zu finden ist. Die Länder des Südens haben jedoch enorme Anstrengungen unternehmen müssen, um die Folgen der COVID-Pandemie zu überwinden.

Zweifellos stehen wir an einem Scheideweg, wenn es darum geht, eine neue Wirtschaftsordnung zu konsolidieren. Bolivien hat sich die Notwendigkeit zu eigen gemacht, dieses Streben nach einer multipolaren Ordnung zu konkretisieren, denn diese neue Konfiguration wird es dem globalen Süden ermöglichen, ein höheres Entwicklungsniveau zu erreichen.

Wenn wir über diese Entwicklungsniveaus sprechen, meinen wir natürlich nicht die 1960er und 70er Jahre, die Idee, die zum Beispiel die ECLAC [Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik] propagiert hatte. Das ist das ECLAC-Modell der Entwicklung, das bis zu einem gewissen Grad ein sehr begrenzter Ansatz war. In der Tat ist es viel zu klein für die Herausforderungen, denen sich der Süden gegenübersieht, um wirklich Entwicklung betreiben zu können. Denn wenn wir von Entwicklung sprechen, muß diese zweifellos in die Beseitigung aller Indikatoren für strukturelle Gewalt umgesetzt werden.

Eine Region des Friedens?

Lateinamerika ist eine Region, die sich dadurch auszeichnet, daß sie eine Region des Friedens ist, und wenn wir uns die anderen Kontinente ansehen, vielleicht abgesehen von Ozeanien, dann ist die Zahl der bewaffneten Konflikte in unserer Region deutlich geringer als in anderen Kontinenten. Auf die eine oder andere Weise bedeutet dieses Attribut, daß es uns ein gewisses Prestige verleiht, man könnte sagen, eine Region des Friedens zu sein.

Dies wird jedoch durch die schwerwiegenden strukturellen Indikatoren in den Hintergrund gedrängt oder zumindest verdunkelt, die Schwierigkeiten enormer sozialer Sektoren, grundlegende Dienstleistungen – wie Abwassersysteme, wie das Bildungssystem, das in vielen Ländern Lateinamerikas mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat – zu gewährleisten. Die Technologie ist nahezu veraltet. Auch im Gesundheitswesen gibt es Probleme, und Armut und Elend sind die schlimmsten Anzeichen für soziale Gewalt.

Vielleicht sollten wir auch über die Idee sprechen, daß Lateinamerika eine Region des Friedens ist, denn man kann keinen Frieden haben, wenn es Indikatoren für strukturelle Gewalt gibt. Man kann keinen Frieden haben, wenn es weite Gebiete gibt, die nicht einmal die Möglichkeit haben, die minimalen Bedürfnisse zu befriedigen, wie z.B. die Möglichkeit, Lebensmittel nach Hause zu bringen. Sie können nicht von Frieden sprechen, wenn es in einer Region Diskriminierung gibt. Sie können nicht von Frieden sprechen, wenn die Unsicherheit für die Bürger in einigen Städten zunimmt. Man kann nicht von Frieden sprechen, wenn die internationalen kriminellen Organisationen, wie der Menschen- und Drogenhandel und in etwas geringerem Maße auch der Waffenhandel, die Zivilgesellschaft in den lateinamerikanischen Ländern treffen.

Dennoch haben wir vielleicht trotz dieses schwierigen Bildes, das wir im ersten Panel gehört haben, jenseits der wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren, die wir in Südamerika sehen, die Möglichkeit, das Blatt zu wenden und die Chance auf Entwicklung zu haben.

Umfassende Entwicklung statt bloßer Gewinnung von Rohstoffen

In Südamerika und insbesondere in Bolivien, einem Land, das in seiner Geschichte seit der Kolonialzeit bis vor kurzem ein Exporteur von Rohstoffen war, war Bolivien so gut wie ein Monoproduzent von Rohstoffen. In der Vergangenheit war es Silber, dann Zinn, und in den letzten Jahren Erdgas; in den letzten Jahren ist Bolivien zu einem großen Exporteur von Erdgas geworden; die wichtigsten Märkte waren Argentinien und Brasilien.

Wenn wir über Entwicklung sprechen, wollen wir jedoch nicht einfach dasselbe Schema der Gewinnung von Ressourcen reproduzieren, die wichtig waren, um die Lebensbedingungen bis zu einem gewissen Grad verbessern zu können. Natürlich ist das natürlich nicht der effektivste und effizienteste Weg, um die enormen Mengen an natürlichen Ressourcen, die Bolivien besitzt, zu nutzen.

Unsere Absicht ist es daher, daß die BRICS, denen Bolivien beitreten möchte, nicht nur eine neue Machtstruktur auf internationaler Ebene werden, so daß wir im Süden gegenüber dem Norden nicht mehr untergeordnet sind, sobald es uns gelingt, die BRICS aufzubauen und zu stärken. Wir werden in der Lage sein, internationale Beziehungen im Rahmen der Grundsätze der Gleichheit und Solidarität zu unterhalten, so daß alle Völker der Welt ein bestimmtes Entwicklungsniveau erreichen können.

Unser Ziel, die BRICS, muß auch in die Schaffung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung umgesetzt werden. Traditionell sind die Institutionen, die aus Bretton Woods hervorgegangen sind – insbesondere der IWF und die Weltbank – fast ausschließlich als Garanten nicht für die Entwicklung der Länder des Südens, sondern für die wirtschaftlichen Interessen der größten Mächte tätig, insbesondere derjenigen, die bis zu einem gewissen Grad die meisten Anteile an diesen beiden wichtigen Institutionen besitzen. Diese etwas asymmetrische Beziehung, die man an der Zusammensetzung und den Entscheidungsgremien dieser Organisationen erkennen kann, war für die Länder Lateinamerikas und insbesondere für die Länder des Globalen Südens schon immer ein Hindernis oder eine Schwierigkeit, wenn es darum ging, ein erfolgreicheres Niveau und die gesamte Entwicklung zu erreichen, die sie benötigen.

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, haben damit zu tun, daß wir ein höheres Maß an Integration in unseren Ländern in Südamerika erreichen müssen. Wir haben eine Reihe von Integrationserfahrungen gemacht, mit der Gemeinschaft der Andenstaaten, MERCOSUR, ALBA [Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerikas] und anderen derartigen Gremien. Einige der Einschränkungen, die diese Integrationsprozesse mit sich bringen, haben mit den Schwächen der Autobahnen und anderer Infrastrukturen zu tun.

Um eine effiziente Integration der Infrastrukturen zu erreichen, brauchen wir ein ganzes System zur Integration der Autobahnen, das alle verschiedenen Verkehrsträger nutzt. Ich spreche nicht nur von Autobahnen, sondern auch von Eisenbahnen und Wasserwegen. Sie alle müssen entwickelt und integriert werden, um unsere physische Integration zu verbessern und den Ländern Südamerikas, insbesondere Bolivien, das – aufgrund eines 1879 ausgelösten Krieges – ein Binnenland ist und daher leider nur unter Schwierigkeiten Zugang zu bestimmten Häfen hat, die Anbindung an den internationalen Markt zu ermöglichen. Tatsache ist, daß die BRICS für Bolivien nicht nur eine Art Schema der Machtverhältnisse sind, sondern auch eine Chance, damit die Ressourcen fließen können, die notwendig sind, um dieses Niveau der umfassenden Entwicklung zu erreichen. Und daß wir das asymmetrische Verhältnis ändern, das im internationalen Handel und in der Entwicklung besteht.

Schwächung des internationalen Rechts

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch kurz auf Situationen eingehen, die mit der Schwächung des internationalen Rechts zusammenhängen. In den letzten 40 Jahren waren wir Zeugen von drei Entwicklungen, die uns veranlassen sollten, sehr gründlich über die Rolle des internationalen Rechts nachzudenken, um das zu verhindern, was jetzt in Gaza geschieht. In den letzten Jahren gab es drei solcher Fälle, die uns zu einem gewissen Maß an Scham für das internationale System veranlassen sollten: Was in Ruanda geschah; was im Kosovo geschah; und jetzt, was in Gaza geschieht.

Im Rahmen dieser Bestrebungen nicht nur des Globalen Südens, sondern der gesamten internationalen Gemeinschaft, der Menschheit als Ganzes, war es wichtig, auch kreativere und effizientere Wege zu entwickeln, um zu gewährleisten, daß es nie wieder zu einer solchen Entwicklung kommt, wie wir sie jetzt in Gaza erleben. Zweifellos wirft es einen Schatten auf die Würde des Menschen, wenn diese Art von Greueltaten an Völkern verübt werden. Zweifellos handelt es sich um eine Art Ethnizid, eine Art Verbrechen, das in Gaza im Gange ist.

Bolivien hofft, daß wir in dem Maße, in dem die BRICS mächtig werden und die Zahl der Staaten wächst, nach und nach auch die Herausforderung annehmen werden, der internationalen Gemeinschaft eine Sichtweise des Völkerrechts zu vermitteln, die nicht von der Anwendung von Gewalt abhängt, so daß es nie wieder zu Situationen wie den drei von mir genannten kommen wird. Diese liegen nicht lange zurück, sie stammen aus dem Ende des letzten Jahrhunderts und die jüngste Situation in Gaza aus dem Anfang dieses Jahrhunderts.

Ressourcen als Sprungbrett der Entwicklung

Abschließend möchte ich betonen, daß Bolivien nicht nur über wichtige natürliche Ressourcen verfügt, sondern daß wir glauben, daß diese in eine Art Trampolin für die Industrialisierung dieser Ressourcen umgewandelt werden sollten. Wir glauben, daß insbesondere Südamerika eine enorme Chance bietet, die Länder, die über große Lithiumvorkommen verfügen – das berühmte Lithiumdreieck von Chile, Argentinien und Bolivien in Südamerika. Wir hoffen, daß die Reife vorhanden ist, um langfristig und mit dem Ziel zu denken, in Südamerika eine Region zu bilden, die nicht nur die natürliche Ressource Lithium bereitstellen kann und natürlich dazu beiträgt, den Verbrauch an fossilen Brennstoffen zu reduzieren, um effizienter zu sein, damit sich der Klimawandel nicht verschlimmert.

Aber es wäre auch sehr wichtig, daß wir in der Lage sind, unseren Willen in jedem dieser drei Staaten zu vereinen, um diese Ressource zu einer Ressource zu machen, die der Menschheit dient und nicht einfach ein weiterer Fall wird, wie es in der Vergangenheit der Fall war, wo natürliche Ressourcen ausgebeutet wurden und die Völker, die sie besitzen, einfach leer ausgingen und zusahen, wie diese Ressourcen in den Norden transferiert wurden. Die Mineralien der Seltenen Erden sind ein weiteres Beispiel für die Möglichkeiten, die sich Südamerika bieten, einen Beitrag zu leisten. Aber das muß auch in das Streben nach vollständiger Entwicklung übersetzt werden, die diese wirtschaftlichen Indikatoren, die in Wirklichkeit strukturelle Gewalt sind, verringern wird. Das war’s fürs Erste, und ich möchte Ihnen für diese Gelegenheit herzlich danken.

  • Michele Geraci, ehemaliger Unterstaatssekretär, italienisches Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung: Win-Win-Spiel statt Nullsummenspiel

Rede im Wortlaut lesen

Win-Win-Spiel statt Nullsummenspiel

Von Michele Geraci

Michele Geraci war Unterstaatssekretär im italienischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und hat derzeit eine Gastprofessur für Finanzen und Wirtschaft an der New York University in Shanghai. Im zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15.-16.6. sagte er folgendes (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Ich danke Ihnen vielmals. Ich grüße Sie aus Shanghai, wo ich heute bin. Ich danke dem Schiller-Institut und allen Teilnehmern für ihre Anwesenheit und für die Einladung. Ich werde mich relativ kurz fassen, ich möchte Ihnen einige wichtige Punkte nennen, die Sie vielleicht aus meiner kurzen Rede mitnehmen können.

Der erste wichtige Punkt ist, daß es eine Alternative gibt: Es gibt einen besseren Weg für die Länder der Welt, miteinander zu interagieren.

Wenn wir von einer unipolaren Welt zu einer multipolaren Welt übergehen, wenn also der Westen seine relative Stärke, die von den USA ausgeht, verliert und der Globale Süden aufsteigt, dann führt diese tektonische Verschiebung zu natürlichen Spannungen. Bei diesen natürlichen Spannungen handelt es sich im wesentlichen um einen Konflikt zwischen zweierlei Denken über Wirtschaft.

Das eine basiert auf dem Nullsummenspiel, dem Denken, das sich die westlichen Länder bisher zu eigen gemacht haben. „Wenn ich gewinne, verlierst du; wenn du verlierst, gewinne ich.“ Dieses Denken wird bekanntlich von China und den Ländern der Neuen Seidenstraße, den BRICS-Staaten usw. in Frage gestellt. Ich verwende dafür im allgemeinen den Begriff des Globalen Südens, Sie werden mir verzeihen, wenn ich verallgemeinere, ich tue das der Einfachheit halber.

Die alternative Sicht ist eine „Win-Win-Situation“, in der „euer Wohlstand auch zu meinem eigenen Wohlstand beiträgt“ und mein Wohlstand auch für euren Wohlstand von Bedeutung ist. Natürlich sind die Dinge nicht ganz so simpel, in der Realität kann es Abweichungen von diesem idealen Win-Win-Ansatz geben. Aber im Durchschnitt gilt dieses Denken, und wenn man von Ausnahmen absieht – wie z.B. Reibungen im System, die diese Win-Win-Situation nicht wirklich realisieren –, dann sollte dieses Denken die Tür für eine Diskussion über Kooperation anstelle von Konkurrenz öffnen.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der, daß beim Nullsummenspiel der Wettbewerb im Mittelpunkt steht, während es beim Win-Win-Spiel die Zusammenarbeit ist. Wir sehen Aktivitäten der europäischen Länder und der Europäischen Union, die China in der Beziehung zu ihm manchmal als einen systemischen Rivalen sehen, manchmal als Partner, manchmal als Konkurrenten. Wir alle hier wollen versuchen, diesen Ansatz zu ändern und uns mehr auf den kooperativen Weg zu konzentrieren.

Normalisierung der globalen Rollen

Die Europäische Union muß verstehen, was die Wirtschaftsgeschichte der letzten 2000 Jahre zeigt: daß die Wirtschaft der Welt 1800 Jahre lang von den asiatischen Ländern, von Indien und China, dominiert wurde. Das änderte sich Ende des 17. Jahrhunderts, als die Briten nach Indien und China kamen. Der Aufstieg und die Vorherrschaft des Westens, der heutigen amerikanisch-europäischen Hegemonie, war also in der Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten zwei Jahrtausende nur ein kleiner „Ausrutscher“.

Dementsprechend müssen wir erkennen, daß der Aufstieg des Globalen Südens keine Herausforderung ist. Er ist nicht nur etwas, bei dem wir Gewinn machen können, es ist auch ein fast schon natürliches und notwendiges Ergebnis, indem das Gleichgewicht auf der Welt wieder dahin gelangt, wo es schon immer war. Es ist fast schon eine Art Anziehungskraft zu einer Rückkehr zum Durchschnitt, der uns schon seit langem begleitet.

Ich würde daher statt vom Aufstieg Chinas und des Globalen Südens und Indiens eher davon sprechen, daß sie wieder die Position erhalten, die ihnen bisher zustand. Die führenden Länder sind dabei natürlich China und Indien, andere, kleinere Länder waren nie dominant, aber auch die kommen jetzt im Gefolge Indiens und Chinas wieder zurück.

Über dieses „Win-Win-Spiel contra Nullsummenspiel“ hinaus können wir daher versuchen, einen alternativen Weg zu finden, wie ich eingangs sagte: Geschäfte, Handel und Investitionen zu entwickeln, bei denen man „Hand in Hand“ geht. Das ist etwas anderes als das „Hand in Hand“, das unsere amerikanischen Freunde als einzigen Weg zum Erfolg sehen, nach amerikanischer Auffassung bedeutet das nämlich, daß wirtschaftliche Dominanz Hand in Hand mit militärischer Dominanz einhergehen muß. Das eine gilt als entscheidend für den Erfolg des anderen. Statt dessen sollten wir versuchen, diese Kopplung von wirtschaftlicher und militärischer Dominanz durch eine rein wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überwinden.

Es ist sehr merkwürdig, wenn ich in Asien mit anderen Wissenschaftlern und Regierungsmitgliedern spreche, fragen sie immer danach. Die USA befinden sich geographisch gesehen wirklich in einer ganz einzigartigen, optimalen Position. Sie sind ein Land, das durch zwei große Ozeane isoliert ist. Im Norden grenzt es an ein befreundetes Land, und im Süden grenzt es an ein relativ befreundetes Land, das nicht wirklich eine militärische Bedrohung darstellt. Vielleicht sind die Migranten das einzige Problem. Aber letzten Endes könnten die USA schon allein aufgrund ihrer optimalen geographischen Lage in einer sicheren Umgebung leben. Und ja, die USA haben wirtschaftliche Interessen in anderen Teilen der Welt, aber das haben Frankreich und Deutschland, Großbritannien und selbst China auch. Diese wirtschaftlichen Interessen sind auch außerhalb ihres eigenen Territoriums erfolgreich, ohne daß sie auf diese „zweite Hand“ einer militärischen Dominanz angewiesen sind.

Ich denke also, daß der Erfolg Chinas in anderen Ländern – Gürtel und Straße, die Investitionen in Afrika und anderen asiatischen und zentralasiatischen Ländern –, der ohne Notwendigkeit einer militärischen Hegemonie in diesen Ländern auskommt (hoffentlich wird das noch einige Zeit so bleiben), den Weg zeigt, den auch die USA einschlagen könnten. Sie könnten ihre wirtschaftlichen Interessen weit weg von der schützenden Geographie der Vereinigten Staaten ohne Notwendigkeit militärischer Intervention verfolgen.

Die USA sollten den Erfolg Chinas auf wirtschaftlichem Gebiet, der nicht mit militärischen Aktionen einhergeht, positiv sehen. Denn das gibt ihnen einen Anhaltspunkt dafür, wie sie hoffentlich dieses „Hand in Hand“ der militärischen und wirtschaftlichen Hegemonie aufbrechen können und in ihrem eigenen Interesse ihre Zeit und ihre finanziellen Ressourcen besser für die vielen gefährlichen und wachsenden Probleme nutzen können, mit denen sie im Inland konfrontiert sind.

Die Neue Seidenstraße verbindet viele Orte

Mein alter Wirtschaftsprofessor, Rudi Dornbusch, hat mir immer gesagt: „Michele, studieren Sie Geographie und Demographie“ – also, wo das Land liegt, und die Menschen, die dort leben – „um die wirtschaftliche Dynamik zu verstehen.“ Ich denke also, es ist eine relativ einfache Lösung für ein komplexes Problem. Natürlich vereinfache ich hier ein bißchen.

Die Neue Seidenstraße ist für mich ein Erfolgsbeispiel für eine prosperierende wirtschaftliche Entwicklung in den Landgebieten Asiens und Afrikas. Ich bin froh, daß ich vorhin die visionäre Rede von Lyndon LaRouche gehört habe, der schon vor 25 Jahren, 2001, 10-12 Jahre bevor Präsident Xi Jinping zum ersten Mal Gürtel und Straße erwähnte, die Vorteile der Entwicklung von Landrouten als Alternative zu den Seewegen vor Augen hatte: eine sehr aufschlußreiche und visionäre wirtschaftliche Analyse, die davon ausging, daß der Nebeneffekt dieses Transits nicht nur an den Endpunkten, sondern auch entlang der Route wirtschaftliche Vorteile bringen würde, so daß die Kosten für den Bau der Infrastruktur quasi subventioniert würden. Der Warentransport wäre im Grunde genommen zum Nulltarif zu haben, weil man den positiven Effekt dieser Entwicklung hat, was beim Meer natürlich nicht der Fall ist.

Das ist einer der Gründe, warum ich Ihnen sehr dafür danke, daß Sie mich als eine der treibenden Kräfte für den Beitritt Italiens zur Gürtel- und Straßen-Initiative erwähnt haben, denn ich habe genau diesen Punkt angesprochen: daß die Neue Seidenstraße im Grunde keine Angelegenheit zwischen Italien und China ist. Es geht nicht nur um den Export von Waren zwischen Italien und China usw., oder auch um Investitionen zwischen diesen beiden Ländern, meinem und China, sondern es geht auch um die Zusammenarbeit und Entwicklung aller Länder, die dazwischen liegen, also aller asiatischen und afrikanischen Länder und eines Teils der europäischen Länder. Ich bin mir also völlig sicher, daß die Neue Seidenstraße keine Initiative von einem Punkt zum anderen ist, sondern eine von vielen Punkten zu vielen anderen Punkten.

Gibt es dabei Probleme und Herausforderungen? Ja. Gibt es Projekte, die scheitern? Ja, natürlich, das kommt in der realen Welt nun mal vor. Aber die Mißerfolgsquote, die „Schuldenfalle“, liegt noch im Rahmen der normalen internationalen Standards. Ich habe früher im Bankmanagement gearbeitet und mich mit Fusionen und Übernahmen befaßt, und glauben Sie mir, wenn wir bei gewissen Projekten eine Mißerfolgsquote von nur 10% oder selbst von 15% und einen Erfolg von 85% gehabt hätten, dann hätten wir diese Statistik mit unserem Blut unterschrieben.

Ich möchte damit nur sagen, daß man die Kritik an der Gürtel- und Straßen-Initiative in den Kontext der anderen Risiken stellen sollte, die mit der Entwicklung von Schwellenländern verbunden sind. Ja, es gibt Probleme, aber das sind keine Gründe, diese Projekte nicht durchzuführen. Vielmehr sind sie ein Grund, mehr Ressourcen zu investieren, um die Qualität der Investitionen weiter zu verbessern.

Und der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist: Es gibt wirklich Platz für alle. Wir haben sechs Milliarden Menschen, die einen Bedarf an Infrastrukturentwicklung haben: Wasser, sanitäre Anlagen, landwirtschaftliche Entwicklung, was auch immer. Europa und die USA müssen nicht mit China und der Neuen Seidenstraße konkurrieren. Das hier ist wirklich ein Beispiel dafür, wie wir alle zusammenarbeiten und uns gegenseitig ergänzen können.

Das Gateway-Programm der Europäischen Union für die Entwicklung Afrikas, ist das eine Konkurrenz für Gürtel und Straße? Nein! Es ist komplementär. China begrüßt die Infrastruktur-Initiative der Vereinigten Staaten, Global Gateway der EU und alles andere, den Nahost-Korridor usw., es gibt wirklich Platz für alle.

Und wir müssen uns von der Denkweise verabschieden, daß wir in Europa das Global Gateway brauchen, um mit der Neuen Seidenstraße zu konkurrieren oder ihren Fortschritt zu bremsen. Es sind zwei Initiativen, das Global Gateway der EU und die Neue Seidenstraße sollten und müssen für die Entwicklung Afrikas Hand in Hand gehen, anstatt in Konkurrenz zueinander zu stehen. Es gibt Platz und Bedarf für beides.

Außerdem müssen China und Europa zusammenarbeiten, um Informationen, Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen, damit beide gewinnen. Es geht nicht um einen Wettbewerb um ein neues Projekt, sondern darum, daß China gewinnt und erfolgreich ist. Das ist eine gute Neuigkeit für unser europäisches Vorhaben, denn es kann daraus lernen und vermeiden, woanders die gleichen Fehler zu machen. Insofern wäre Chinas Gewinn auch ein Gewinn für die Europäer in diesem Kontext von Gürtel und Straße.

Ich höre hier auf und gebe nur ein Versprechen ab: In dem Augenblick, in dem es in Italien wieder einen Regierungswechsel gibt, wird eine der Aufgaben auf meiner politischen Agenda darin bestehen, Italien wieder in die Neue Seidenstraße einzubinden, so daß wir diesen Prozeß neu starten und unsere Initiative anderen europäischen Ländern zur Verfügung stellen können, damit auch sie sorgfältig darüber nachdenken und sich hoffentlich wieder anschließen können – nicht als Alternative oder als Konkurrenz, sondern als ergänzende Initiative zu den Projekten unserer eigenen europäischen Einzelstaaten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG (Deutschland)
  • S.E. Botschafter Prof. Dr. Manuel Hassassian, Botschafter der Palästinensischen Behörde in Dänemark (Palästina)
  • Prof. Dr. László Ungvári, Präsident (emeritiert) der Technischen Universität Wildau (Ungarn): „Diplomatie muß auch andere Meinungen berücksichtigen“

Rede im Wortlaut lesen

„Diplomatie muß auch andere Meinungen berücksichtigen“

Von Prof. László Ungvári

Prof. Dr. László Ungvári (Ungarn) ist Präsident (em.) der Technischen Universität Wildau. Im zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Sehr verehrte Damen und Herren in nah und fern, ich bin sehr froh, daß ich heute an dieser Veranstaltung teilnehmen kann.

Vielleicht ganz kurz zu meiner Person: Ich bin ein sehr, sehr international geprägter Mensch – geboren in Ungarn, studiert in der Sowjetunion. Ja, und gearbeitet ein bißchen in Ungarn, und die meiste Zeit meine Lebens habe ich dann hier in Deutschland verbracht. Vor allem war ich 21 Jahre in der Spitze der Führung der Technischen Hochschule Wildau, also Rektor-Präsident. Damit bin ich der einzige Ungar in Deutschland, der hier Rektor eine Hochschule geworden ist, bis jetzt. Und dann hatte ich drei Jahre Universitätsrektoren-Tätigkeit in Almaty in Kasachstan.

Und ich bin ein sehr hilfsbereiter Mensch. Meine Frau sagt immer, ich bin „so was wie Mutter Teresa“. Auch jetzt, wo wir zahlreiche Flüchtlinge aus der Ukraine haben. Ich habe vielen Familien geholfen, ganz besonders vier Familien. Ich habe sie mit Wohnungen versorgt durch meine Beziehungen, unterstützt bei Behördengängen usw. usf.

Das wollte ich vorauszuschicken, daß ich ein internationaler Mensch bin.

Politiker ohne Lebenserfahrung

Und zu unserem Thema, was uns heute ein bißchen am Herzen liegt und uns alle hier beschäftigt, sagen wir mal so: Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, was uns heute in der Politik erwartet, ich hätte ihn glatt ausgelacht, ich hätte das nicht geglaubt.

Heute bin ich über die Entwicklung in der Welt und auch in Europa äußerst enttäuscht, und zwar wahrscheinlich aus dem Blickwinkel eines studierten Menschen, eines Professors. Denn ein großes Problem, was wir zur Zeit in Europa, in Deutschland, massiv haben, aber auch übersehen: daß immer mehr junge Menschen in die Politik kommen, die nicht studiert haben, keinen Beruf haben, keine Erfahrung haben, keine Lebenserfahrung haben, aber sie wollen über große Sachen entscheiden und uns auch noch erzählen, wie wir uns zu verhalten haben.

Und da sehe ich eigentlich diesen Widerspruch – ganz stark ausgeprägt bei der Situation in Deutschland, wenn man nur an die deutsche Außenministerien denkt, Frau Baerbock. Ich sage es mal so: Jede Reise ins Ausland von ihr erfüllt mich schon mit Angst und Bangen, wo sie uns, also Deutschland, wieder mal blamieren wird.

Es ist auch die Frage der Diplomatie, die heute eine ganz andere geworden ist, als es noch früher war. Diplomatie war früher etwas Herrliches, die Sprache der Diplomaten gebildet, klug, verschlüsselt, nicht wahr? Und die Aufgabe der Diplomaten war, die Interessen des Heimatlandes zu vertreten, durch Verhandlungen – dadurch, daß man auch sich vielleicht teilweise in die Lage des anderen versetzt hat und versucht hat, die Argumente zu verstehen, die er aufbringt.

Heute haben wir in Deutschland eine „feministische Außenpolitik“. Ja, was ist das? Das ist doch eigentlich Schwachsinn, nicht wahr? Die Außenpolitik muß eins sein, eindeutig sein und immer im Interesse des Landes sein, und nicht feministisch und was weiß ich was. Das sind alles so – Modeworte. Es steckt nichts Substantielles dahinter.

Wir beschäftigen uns heute auch sehr stark mit der Frage des Krieges und des Friedens, vielleicht in unmittelbarer Nachbarschaft von uns in der Ukraine.

Ich muß allen gestehen, hier vor der ganzen Welt, daß ich am 23. Februar vor zwei Jahren noch gesagt habe: „Ich bin voll davon überzeugt, daß es keinen Krieg geben wird.“ Am nächsten Tag wurde ich dann eines Besseren belehrt. Ich bin nach wie vor unglücklich darüber, daß sich Rußland, daß sich Putin in diesen Krieg provozieren ließ. Denn es ist Fakt: Rußland hat die Ukraine überfallen. Das gibt dann jedem die Möglichkeit, Rußland als Aggressor zu bezeichnen, was auch richtig ist. Aber dahinter schaut man nicht mehr weiter, was dann die Gründe dafür waren, nicht wahr? Und das verschweigen die Politiker und die Presse im Westen.

Das Versprechen, das man Rußland gegeben hat, damals nach der Auflösung der Sowjetunion, daß die NATO sich keinen Schritt weiter in den Osten bewegen würde – gut, das war ja nicht vertraglich definiert, das waren ja mündlich vereinbarte Äußerungen; aber ich glaube, auch die müssen eingehalten werden! Und was ist heute die Situation? Die NATO ist dann vorgerückt Richtung Osten. Teilweise ist sie ja schon an den Grenzen von Rußland.

Und worum geht es eigentlich in diesem Krieg? Nicht darum, wie neulich Frau Baerbock sagte, daß wir unsere Freiheit in der Ukraine verteidigen müßten, das ist alles Schwachsinn.

Ein [amerikanischer] Senator, ich glaube, [Lindsey] Graham heißt er, hat vor wenigen Tagen gesagt, daß in der Ukraine im Boden Bodenschätze von 12 Billionen Dollar sind. Und diese Bodenschätze könne man nicht den Russen und den Chinesen überlassen, die müsse Amerika verwalten, übernehmen.

Das ist eine der vielen, vielen Äußerungen, die gemacht wurden, die eigentlich klargemacht haben, was die wahren Gründe des Krieges sind. Und hierüber wird große Propaganda getrieben. Diplomatie ist vollkommen verloren, niemand denkt mehr dran. Es werden Schimpfworte benutzt, was früher eigentlich unvorstellbar war in der Diplomatie. Und das macht mich auch traurig.

Es macht mich auch traurig, daß uns Politiker führen oder denken, sie würden uns führen, während sie keinerlei Erfahrung haben, auch im Verkehr zwischen Nationen nicht. Uns fehlt jegliche Einfühlsamkeit, das ist eigentlich das Hauptproblem.

Warum Ungarn gegen den Krieg ist

Und dann komme ich zum Thema Ungarn. Ich bin in Ungarn geboren, und ich begleite aufmerksam die Politik auch in Ungarn.

Die Partei Fides, die Orban schon seit geraumer Zeit führt, hat jetzt an 9. Juni zweimal groß gesiegt – einmal in den Europawahlen und zum anderen natürlich auch in den Kommunalwahlen in Ungarn.

Man muß ein wenig die ungarische Geschichte kennen, um die Ungarn und ihr Verhältnis zum Krieg heute und auch sonst zu begreifen: Ungarn wurde zweimal in der Geschichte gegen seinen Willen in einen Krieg hineingezerrt.

Das erste Mal in den Ersten Weltkrieg, allerdings damals noch in der Zusammensetzung Österreich-Ungarn. Ungarn war überhaupt nicht schuldig an dem Krieg, hat aber den größten Schaden davon gehabt, zumindest nach dem Krieg bei den Friedensverträgen – man nennt es heute in Ungarn das Friedensdiktat. Denn das ist niemals in der Geschichte passiert, daß ein Land nach einem Krieg, in dem Fall dem Ersten Weltkrieg 72 Prozent seines Territoriums verliert – das waren Gebiete, die tausend Jahre lang ungarisches Staatsgebiet waren -; 67 Prozent seiner Bevölkerung verliert (die waren natürlich nicht alle Ungarn, das ist klar); und 3,5 Millionen Ungarn sind von heute auf morgen Staatsbürger eines anderen Landes geworden. Die Ungarn sagen heute: „Ungarn ist das Land, welches eigentlich nur noch mit sich benachbart ist.“ Das heißt, wenn man eine Grenze übertritt, egal in welche Richtung, befindet man sich eigentlich immer noch im ehemaligen Ungarn.

Das zweite Mal war der Zweite Weltkrieg, wo die Deutschen Ungarn an der Seite von Hitler in den Krieg gepeitscht haben, durch falsche Bombardierungen. Deutsche Flieger haben mit russischen Hoheitszeichen – die Stadt war damals wieder ungarisch geworden – die Stadt Kassa oder Kaschau oder Kosice, heute slowakisch, bombardiert, worauf dann die Ungarn praktisch in den Krieg eingetreten sind, in den Krieg gepreßt wurden, und dabei haben sie riesige Verluste erlitten, menschliche, technische, aber auch wieder Gebietsverluste.

Denn die Gebiete, die Ungarn von Hitler bekommen hat, wurden wieder abgetrennt, und zusätzlich noch dazu drei Dörfer im Norden bzw. im Nordwesten, praktisch an der Grenze zu Österreich und zur Slowakei. Drei Dörfer wurden von Ungarn abgetrennt, das war der Wille der tschechoslowakischen Regierung. Das ist dieses Gebiet südlich von Pozsony oder Preßburg oder slowakisch Bratislava. Diese Gebiete sind notwendig, um Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt Bratislava zu sichern.

Das heißt, die Ungarn haben sehr, sehr schlechte Erfahrungen gemacht mit den Kriegen, und deswegen ist es auch so, daß die ungarische Führung von Anfang an für Waffenstillstand und Friedensgespräche eingetreten ist, bis heute, konsequent. Und das wird auch von der Bevölkerung stark unterstützt, obwohl sich ein Großteil der Bevölkerung eigentlich an die damaligen Ereignisse, die ich jetzt aufgeführt habe – Erster, Zweiter Weltkrieg –, nicht mehr erinnern kann, weil sie ja jung sind, aber sie kennen die Geschichte, kennen sie aus Erzählungen von Eltern und Großeltern, und natürlich auch aus dem Geschichtsunterricht. Und aus meiner Sicht, wenn ich das auch noch sagen darf: Diese Haltung ist die einzig richtige!

Übrigens: Meine Bekannten, meine Freunde erzählten mir, daß bei solchen Gesprächen in der EU usw., wo dann der Ministerpräsident Orban streng seine Meinung vertritt, in den Pausen dann die anderen Regierungschefs oder Staatschefs – was für ein Treffen das gerade auch ist – so beim Kaffee und hinter vorgehaltener Hand sagen: „Ja, wir sind auch dieser Meinung, aber wir wollten das nicht so deutlich machen.“

Und das macht nachdenklich: Wieso seid ihr dann Führer des Landes, Präsidenten, Ministerpräsidenten, wenn ihr keinen Mut habt, eure Meinung zu sagen? Das ist natürlich eine Katastrophe.

Damit will ich nur sagen: Die Ungarn haben diese Politik nicht weil, sie „Putin-freundlich“ sind oder wie auch immer. Meine Großeltern haben auch nie positiv von der Russen gesprochen. Es ist eigentlich die einzig nüchterne Haltung eines vielgeprüften Landes, wie Ungarn es ist.

Und das muß man verstehen, nicht? Die Diplomatie ist auch Diplomatie, deswegen ist das Wort ja so – Diplomatie – weil auch andere Meinungen berücksichtigt werden.

Und wie ich hörte, war vorgestern der NATO-Generalsekretär in Ungarn, und siehe da, bei einem nüchternen, deutlichen Gespräch wurden die Argumente der Ungarn, also von Viktor Orban, vom NATO-Generalsekretär stundenlang angehört, und nicht nur das, sondern es wurde auch gesagt, daß er dies durchaus vertreten kann. Und es gab die Garantie von ihm, daß die Ungarn bei dieser Ukraine-Initiative der NATO weder Soldaten noch Geld noch Technik noch das Land als Aufmarschgebiet zur Verfügung stellen.

Ich hoffe nach wie vor, daß hier die Vernunft einkehrt. Denn während die Politiker so großartig streiten – „Ja, wir müssen dies und müssen das“, was weiß ich was –, sind während dieses Satzes, den sie formuliert haben, bestimmt einige hundert Soldaten auf beiden Seiten, auf der ukrainischen und auch auf der russischen Seite, getötet worden.

Also, ich hoffe auf Frieden, für uns alle, für die Ukraine, für Rußland, für Europa und für die ganze Welt.

Panel 3: Die Auswirkungen der laufenden wissenschaftlichen Revolution

Moderator Claudio Celani

  • Prof. Mark McMenamin, Geologe und Paläontologe, Abteilung für Geologie, Mount Holyoke College (Vereinigte Staaten)
  • Francois Mellet, Wirtschaftsingenieur, Direktor für Operationen bei Stratek Global (Südafrika)
  • Prof. Sergej Pulinez, leitender Wissenschaftler, Weltraumforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften (Russland)
  • William Jones, Schiller-Institut (USA)
  • Prof. Gennady Aksenow, S.I. Wawilow Institut für Wissenschafts- und Technologiegeschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für die Geschichte der Erdwissenschaften (Russland)

Panel 4: Der Reichtum der Kulturen der Menschheit und die kommende Goldene Renaissance

Moderatorin Megan Dobrodt

  • Jacques Cheminade, Präsident, Solidarité et Progrès, ehemaliger französischer Präsidentschaftskandidat. „Die Kultur des Friedens“ (Frankreich)
  • Harley Schlanger, Stellvertretender Vorsitzender, Schiller Institute Vereinigte Staaten: „Wie die öffentliche Meinung manipuliert wird“ (Deutschland)
  • Sophie Tanapura, Maestra Sopranistin, Gründerin der Metropolitan Opera of Bangkok (Thailand)
  • Karel Vereycken, Maler-Graveur, Kunsthistoriker, Schiller-Institut, Frankreich: „Zusammenarbeit für das kulturelle Erbe der Welt: ein wichtiger Schlüssel für den Weltfrieden“ (Frankreich)

Die Zeichen stehen auf Sturm! Der Versuch des kollektiven Westens, nach dem Ende des Kalten Krieges die globale Dominanz des neoliberalen Systems durchzusetzen, ist krachend gescheitert. Die Mehrheit der Staaten war keineswegs bereit, das „Ende der Geschichte“ zu akzeptieren, das Francis Fukuyama vorschnell verkündet hatte und das von den Ländern des Globalen Südens lediglich als eine Fortsetzung der kolonialistischen Politik empfunden wurde. Die Mittel, mit denen versucht wurde, die unipolare Weltordnung zu zementieren – von Farbrevolutionen, Interventionskriegen oder auf Regime-Wechsel abzielende unilaterale Sanktionen bis zur Instrumentalisierung des Dollars – hatten einen enormen Bumerang-Effekt. Anstatt westliche neoliberale Werte zu akzeptieren, wandten sich die Nationen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ihren eigenen kulturellen Traditionen zu und sind jetzt dabei – unterstützt durch den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas -, ein eigenes Wirtschaftssystem zu schaffen, das auf Souveränität und Gleichheit aufgebaut ist.

Aber statt die Anstrengungen des Globalen Südens, der längst zur Globalen Mehrheit geworden ist, darin zu unterstützen, Armut und Unterentwicklung durch einen industriellen Aufbau zu überwinden, der auch die Flüchtlingskrise auf die einzig humane Weise lösen würde, versteift sich der sogenannte kollektive Westen auf die „Narrative“, es gehe um den Kampf zwischen den „Demokratien“ und den „autoritären Diktaturen“, Rußland führe einen „unprovozierten Angriffskrieg“ gegen die Ukraine und Israel übe in Gaza nur sein „Recht auf Selbstverteidigung“ aus. Um diese „Narrative“ zu verteidigen, werden verfassungsmäßige Rechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Verbot von Zensur und das Recht auf Versammlungsfreiheit ausgehebelt.

Es macht fassungslos zu sehen, wie absolut unfähig das Establishment des kollektiven Westens ist, das Scheitern seiner Politik zu erkennen und die nötigen Korrekturen vorzunehmen! Nach mehr als einem Dutzend Sanktionspaketen ist Rußland nicht „ruiniert“, sondern die europäische Wirtschaft kollabiert, allen voran Deutschland! Nach immer machtvolleren Waffenlieferungen, die den Westen längst an oder sogar über die Grenze gebracht haben, selbst Kriegspartei zu sein, ist klar, daß die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann. Rußland hat nun zum ersten Mal Militärmanöver mit seinen taktischen Atomwaffen durchgeführt, als Reaktion auf Macrons Drohung, NATO-Truppen in die Ukraine zu schicken, und auf Camerons und Blinkens Empfehlung, die Ukraine könne vom Westen geliefert Raketen nutzen, um Rußland anzugreifen. Nachdem der Westen acht Monate lang den Kriegsverbrechen in Gaza zugesehen hat, haben jetzt die Urteile des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs eingegriffen, weil es offensichtlich einigen Kräften klargeworden ist, daß die bisher tolerierte Doppelmoral dabei war, die gesamte Legitimität der internationalen Ordnung zu zertrümmern.

Wir stehen heute am Rand der potentiell größten Katastrophe in der Geschichte der Menschheit. Wenn wir die geopolitische Konfrontation des Westens gegen Rußland und China nicht überwinden, droht auf sehr kurzem Weg die Eskalation zu einem neuen Weltkrieg, bei dem der sichere Einsatz von thermonuklearen Waffen einen nuklearen Winter und die Auslöschung der menschlichen Gattung zur Folge haben würde.

In der tektonischen Verschiebung, die die absolute Entschlossenheit der Nationen des Globalen Südens, ihr Recht auf souveräne Entwicklung durchzusetzen, bewirkt, liegt aber zugleich eine monumentale Chance, die Krise zu überwinden. Erst einmal müssen wir dafür sorgen, daß die Menschen in Europa und den USA überhaupt lernen, was der neue „Geist von Bandung“ ist, der die Nationen des Globalen Südens inspiriert, und dann müssen wir die immensen Chancen aufzeigen, die darin liegen, mit diesen Staaten bei ihrer Entwicklung zu kooperieren.

Das nächste halbe Jahr wird für die weitere Existenz der Menschheit von größter Bedeutung sein: NATO- und SCO-Gipfel in Juli, der BRICS-Gipfel in Rußland im Oktober, die US-Präsidentschaftswahl im November. In dieser Zeit muß es uns gelingen, das Konzept einer neuen globalen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur, die die Interessen aller Nationen auf dem Planeten berücksichtigt, auf die internationale Agenda zu setzen, wenn wir eine extreme Polarisierung bis hin zum völligen Zerfall der Weltordnung in zwei völlig getrennte und unbewegliche Blöcke vermeiden wollen.

Die kommende Konferenz des Schiller-Instituts wird daher Redner und Kräfte zusammenbringen, die in der Absicht vereint sind, einen Weg aus der Krise aufzuzeigen, indem sie ein neues Paradigma für die nächste Ära in der Entwicklung der Menschheit präsentieren.


Bitte lesen und verbreiten Sie die Schiller-Institut/EIR Presseerklärung Warnstufe Rot: Ukrainischer Angriff auf russisches Frühwarnradar droht einen nuklearen Weltkrieg auszulösen. Und sehen Sie sich die Eil-Pressekonferenz „Die Gefahr eines Atomkrieges ist real und muss gestoppt werden“ vom 12. Juni 2024 in Washington DC auf deutsch an.