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Schiller-Institut Faktenblatt: DAS VERBOT DER POLITISCHEN PARTEIEN IN DER UKRAINE

Schiller-Institut Faktenblatt: DAS VERBOT DER POLITISCHEN PARTEIEN IN DER UKRAINE

Schiller-Institut

DAS VERBOT DER POLITISCHEN PARTEIEN IN DER UKRAINE

Chronologie und derzeitiger Stand der Klagen

Offensichtliche Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit, die Verfassung der Ukraine, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die Europäische Menschenrechtskonvention

25. August 2022

Am Donnerstag, den 11. August 2022, verschwand die Schwarze Liste mit dem Titel „Sprecher, die mit russischer Propaganda übereinstimmende Narrative verbreiten“ plötzlich von der Website des Zentrums für Desinformationsbekämpfung (CCD) des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine (NSDC).

Das CCD entfernte die Liste prominenter Staatsmänner, Wissenschaftler, strategischer Analysten und politischer Aktivisten aus vielen Ländern, die es als „Informationsterroristen“ und „Kriegsverbrecher“ bezeichnet hatte, nachdem sie international große Aufmerksamkeit erregt hatte, wie weiter unten unter „Internationale Aufmerksamkeit macht den Unterschied“ zusammengefasst wird.

Am selben Tag, dem 11. August, fanden die ersten Anhörungen in einer Reihe von Fällen vor dem Obersten Gerichtshof der Ukraine statt, die in den internationalen Medien kaum Beachtung gefunden haben. Es handelt sich um die Klagen von sieben politischen Parteien, die von der ukrainischen Regierung als prorussisch verboten wurden. Die Verbote wurden im Juni und Juli im Eilverfahren unter Ausschluß der Öffentlichkeit durchgesetzt, welches wenig mit einem „rechtsstaatlichen Vorgehen“ gemein hatte.

Die internationale Aufmerksamkeit für die Art und Weise, wie die Ukraine ihre eigenen Bürger behandelt, ist notwendig, wenn diese Berufungsverhandlungen eine Chance haben sollen, fair, wahrheitsgemäß und frei von politischem Druck auf das Gericht zu sein.

Die folgenden Informationen richten sich an Diplomaten, Journalisten und andere Personen, die an den Anhörungen des Obersten Gerichtshofs der Ukraine teilnehmen möchten, die vor einem Gremium von Richtern stattfinden, das als Verwaltungsgerichtshof (Kasatsiyny administrativny sud) fungiert. Im Gegensatz zu den Verfahren der unteren Instanzen, die unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden, sind Beobachter bei den Anhörungen des Obersten Gerichtshofs, die in der Moskowskaja-Straße 8, Gebäude 5, in Kiew stattfinden, zugelassen.

Bekannte Verhandlungstermine, die derzeit geplant sind:

– 6. September, 09.30 Uhr Kiewer Zeit – Berufungsverfahren der Partei Shariy.

– 15. September, 14.00 Uhr Kiewer Zeit – Fortsetzung des Berufungsverfahrens der Oppositionsplattform Für das Leben.

– 27. September, 10.00 Uhr Kiewer Zeit – Berufungsverfahren der Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine.

– 29. September, 14.00 Uhr Kiewer Zeit – Fortsetzung des Berufungsverfahrens der Union der Linken Kräfte der Ukraine.

Telefonnummer des Obersten Gerichtshofs: (044) 207-35-46. Für Anfragen zu bestimmten Verfahrensakten: (044) 501-95-30.

Der Terminplan für die Anhörungen vor dem Berufungsverwaltungsgericht ist online (auf Ukrainisch) abrufbar und kann auf Aktualisierungen überprüft werden.

Chronologie

24. Februar 2022: Präsident Wolodymyr Selenskij erklärt den Kriegszustand in der Ukraine, nachdem die Russische Föderation ihre Streitkräfte in einer „speziellen Militäroperation“ in die Ukraine einmarschieren ließ.

20. März 2022: Der Nationale Sicherheits- und Verteidigungsrat (NSDC) der Ukraine suspendiert elf politische Parteien für die Dauer des Kriegszustands. Als Grund nannte Präsident Selenskij ihre „politischen Verbindungen“ zu Rußland. Unter den suspendierten Parteien befanden sich drei Parteien, die in der Ukraine bedeutende politische Kräfte waren:

Oppositionsplattform – Für das Leben (OPFL). Die seit 1999 unter verschiedenen Namen registrierte OPFL erhielt bei den Parlamentswahlen 2019 13,05 Prozent der Stimmen und verfügte zum Zeitpunkt der Suspendierung über 44 Sitze in der Obersten Rada, dem Parlament. Ihr Vorsitzender, Juri Bojko, war früher Energieminister und stellvertretender Ministerpräsident. Die Parteiführung war 2013 entschiedener Gegner der Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der Europäischen Union, das das Land für die Ausbeutung seiner Ressourcen und Arbeitskräfte durch Wirtschaftskartelle mit Sitz in Europa öffnete und die langjährigen produktiven Wirtschaftsbeziehungen zu Rußland abbrach. Die Entscheidung des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch, die Unterzeichnung des Abkommens zu verschieben, war der Auslöser für den „Euromaidan“-Putsch zwischen November 2013 bis Februar 2014, durch den er gestürzt wurde. Der Geschäftsmann Viktor Medwedtschuk, der sich für enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zwischen der Ukraine und Rußland eingesetzt hatte, fusionierte 2018 seine politische Bewegung („Für das Leben“) mit der Partei, fungierte als Co-Vorsitzender und wurde 2019 auf der OPFL-Liste in die Oberste Rada gewählt. Im Mai 2021 beschuldigte ihn die Regierung des „Hochverrats“ wegen seiner Beteiligung an Wirtschaftsprojekten auf der Krim (die sich 2014 durch ein Referendum von der Ukraine abspaltete und der Russischen Föderation beitrat). Im März 2022 floh Medwedtschuk aus dem Hausarrest, wurde vom ukrainischen Sicherheitsdienst (SBU) festgenommen und befindet sich derzeit ohne Kaution in Haft. Die OPFL setzte ihn am 8. März 2022 als Co-Vorsitzenden ab.

Die 1996 gegründete Progressive Sozialistische Partei der Ukraine (PSPU), die von der Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Natalia Vitrenko angeführt wird, verfügte 1998-2002 über einen Block von Sitzen in der Rada; einzelne Parteimitglieder waren noch länger als Abgeordnete tätig. Bei den Präsidentschaftswahlen 1999 trat Vitrenko als Kandidatin an und erhielt 11 % der Stimmen, obwohl ihr Wahlkampf durch ein Attentat gestört wurde. Sie und die PSPU sprachen sich konsequent gegen die Mitgliedschaft der Ukraine im Internationalen Währungsfonds aus und machten gegen die Zusammenarbeit mit der NATO mobil.

Die Sozialistische Partei der Ukraine war von ihrer Gründung nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 bis 2007 eine der größten Parteien der Ukraine und verfügte von 1994 bis 2006 über einen großen Block von Sitzen in der Rada.

Ebenfalls suspendiert wurden sieben kleinere linke Parteien (Block vonWolodymyr Saldo, registriert 2019; Derzhava, registriert 1999; Linke Opposition, registriert 2015 als Plattform für die Kandidatur von Mitgliedern der verbotenen Kommunistischen Partei der Ukraine; Nashi, registriert 2015; Oppositions-Block, registriert 2010; Sozialisten, reg. 2014; Vereinigung der Linken Kräfte, reg. 2008) und die Partei Schariy, die 2015 von Anhängern des Enthüllungsjournalisten Anatoli Schariy gegründet wurde, der korrupte Beziehungen zwischen Wirtschaft und Regierung untersuchte und die Ukraine 2012 unter Berufung auf Drohungen gegen sein Leben verließ.

3. Mai 2022: Die Oberste Rada verabschiedet das ukrainische Gesetz 2243-IX Über die Neufassung bestimmter ukrainischer Gesetze zum Verbot politischer Parteien, mit dem Parteien in der Ukraine dauerhaft verboten wurden, die sich der „Rechtfertigung, Anerkennung als legitim oder Leugnung“ der russischen „bewaffneten Aggression“ schuldig gemacht haben, einschließlich der Beschreibung der russischen Handlungen in einer anderen Sprache, oder der „Verherrlichung“ oder „Rechtfertigung“ anderer Handlungen Rußlands.

14. Mai 2022: Präsident Selenskjj unterzeichnet das ukrainische Gesetz 2243-IX, das am 18. Mai in Kraft tritt (Originalgesetz auf Ukrainisch).

Juni-Juli 2022: Das ukrainische Justizministerium und der ukrainische Sicherheitsdienst verklagen sechzehn Parteien – jede der elf oben genannten und fünf weitere – auf der Grundlage des Gesetzes 2243-IX der Ukraine. Die Fälle wurden an das Achte Verwaltungsberufungsgericht in Lviv (Westukraine) verwiesen. Das Gericht entschied in allen Fällen zugunsten des Justizministeriums und des SBU. Neben dem Verbot sahen die Urteile die Beschlagnahmung des gesamten Eigentums, des Geldes und der Vermögenswerte der Parteien und deren Übergabe an den Staat vor. Jeder Partei wurde eine Frist von 20 Tagen ab der Entscheidung in ihrem Fall eingeräumt, um beim Obersten Gerichtshof der Ukraine in Kiew Berufung einzulegen.

5. August 2022: Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sieben der verbotenen Parteien beim Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt, wie die ukrainische Nachrichtenseite Hromadske.ua unter Berufung auf eine Zusammenfassung der auf faire Wahlen spezialisierten ukrainischen Nichtregierungsorganisation Chesno („Honestly“) berichtet. Die sieben Parteien, darunter die drei großen oder ehemals großen Parteien, die Einspruch erhoben haben, sind:

    1. Glückliche Ukraine
    2. Oppositionsplattform – Für das Leben
    3. Partei von Shariy
    4. Progressive Sozialistische Partei der Ukraine
    5. Sozialistische Partei der Ukraine
    6. Sozialisten
    7. Union der Linken Kräfte

Hromadske.ua (ukrainischer Nachrichtendienst auf russisch) berichtete am 5. August: „Laut dem Chesno-Analysten Ihor Feshchenko unterscheidet sich die Prüfung der Fälle durch das Oberste Gericht von der Prüfung durch das Achte Verwaltungsberufungsgericht in Lviv. Journalisten und Beobachter sind frei zugelassen, aber die Prüfung der Fälle verläuft langsamer. ‚Der Unterschied besteht darin, daß die Richter des Obersten Gerichtshofs die Unterlagen genau studieren und sich mit den Argumenten der Parteien auseinandersetzen; sie können um Erklärungen bitten, Fragen zur Klärung stellen oder die Vorlage zusätzlicher Unterlagen bis zur nächsten Sitzung des Gerichts verlangen. Das ist der Grund für die längere Dauer eines Berufungsverfahrens‘, erklärte Feshchenko.“

11. August 2022: Die ersten Anhörungen vor dem Obersten Gerichtshof fanden im Zusammenhang mit den Einsprüchen gegen das Verbot der Oppositionsplattform – Für das Leben und der Vereinigung der Linken Kräfte statt. Beide Fälle wurden auf einen Termin im September vertagt.

15. August 2022: Die für den 16. August angesetzte Berufungsanhörung der PSPU wurde am Vorabend abrupt mit der Begründung verschoben, daß einer der Richter in den Urlaub fliege. Sie wurde auf den 27. September verschoben.

Unregelmäßigkeiten, Bedenken und Berufungsfragen

Es ist offensichtlich, daß beim Verbot der Oppositionsparteien in der Ukraine gegen die folgenden Gesetze, Konventionen und Normen verstoßen wurde und daß diese Verstöße in den Berufungsverfahren geltend gemacht werden.

Die Verfassung der Ukraine (englische Übersetzung hier).

Artikel 15 besagt, daß der „Staat die Freiheit der politischen Betätigung garantiert“.

Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), denen die Ukraine jeweils angehört.

Artikel 2.1 des ICCPR verlangt, daß die Vertragsstaaten des Pakts die darin definierten bürgerlichen und politischen Rechte „ohne Unterscheidungen jeglicher, wie z.B. der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status“ achten. Artikel 14 der EMRK besagt dasselbe.

Artikel 14 Absatz 2 des ICCPR garantiert die Unschuldsvermutung: „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, hat das Recht, so lange als unschuldig zu gelten, bis ihre Schuld nach dem Gesetz bewiesen ist“.

Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe d des ICCPR schreibt vor, daß einer Person, die einer strafrechtlichen Anklage ausgesetzt ist, garantiert werden muss, „in ihrer Gegenwart vor Gericht gestellt zu werden und sich persönlich oder durch einen Rechtsbeistand ihrer Wahl verteidigen zu können“.

Artikel 15 des ICCPR besagt: „Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht keine Straftat war.“ In Artikel 7 der EMRK wird dasselbe bekräftigt. Gesetze dürfen nicht rückwirkend auf Äußerungen oder andere Handlungen angewendet werden, die vor ihrer Verabschiedung erfolgt sind.

Bezeichnenderweise wird Artikel 15 des ICCPR in Artikel 4 Absatz 2 als „unabdingbar“ definiert, ein Begriff, der sich auf das Recht eines Unterzeichnerlandes bezieht, „in Zeiten eines öffentlichen Notstands, der das Leben der Nation bedroht“, von seinen Verpflichtungen zur Wahrung bestimmter Bürgerrechte „abzuweichen“. Die Ukraine hat beim UN-Generalsekretär am 1. März und am 4. März 2022 eine Abweichung von einer Reihe von Bestimmungen des ICCPR beantragt. Das Verbot der rückwirkenden Anwendung von Gesetzen gehört jedoch nicht dazu und kann auch nicht dazu gehören.

Anmerkung: In ihren Mitteilungen an den Generalsekretär der Vereinten Nationen im März 2022 hat die Ukraine auch keine Abweichung von den Artikeln 2 und 14 der ICCHR hinzugefügt. In ihrer dem Generalsekretär des Europarats am 16. April 2022 vorgelegten Abweichung von einer Reihe von Verpflichtungen im Rahmen der EMRK hat die Ukraine keine Abweichung von den Artikeln 7 und 14 der EMRK erklärt.

Gesetz der Ukraine 2243-IX

Änderung 5, Punkt 7 des Gesetzes, nach dem die Parteien verboten wurden (das die Form einer Liste von Abänderungen des bestehenden Gesetzes der Ukraine über politische Parteien in der Ukraine und anderer Gesetze hat), schreibt eine zügige Prüfung von Berufungen vor und besagt, daß das Berufungsgericht in Fällen, die vor das Gericht gebracht werden, „den Fall innerhalb eines Monats nach Eröffnung des Berufungsverfahrens prüfen sollte“.

Zu den Anzeichen dafür, daß diese Gesetze, Übereinkommen und Normen im Justizministerium und in den Fällen des SBU, in denen es um das Verbot von Parteien geht, verletzt wurden, gehören folgende:

Das Verbot der rückwirkenden Anwendung von Gesetzen wurde in der Gegenklage der Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine angeführt, die vor dem Achten Verwaltungsberufungsgericht in Lviv eingereicht und von diesem abgewiesen wurde. Sie berief sich auf die rückwirkende Anwendung des Gesetzes vom 14. Mai 2022 über „prorussische“ Haltungen auf Erklärungen von PSPU-Vorsitzenden, die bereits mehrere Jahre zurücklagen. Die PSPU hatte ihre Tätigkeit am 24. Februar 2022 eingestellt, also fast drei Monate vor Inkrafttreten des Gesetzes 2243-IX, und hat daher während der Geltungsdauer des Gesetzes keinerlei Handlungen vorgenommen.

Während der ersten Anhörungen vor dem Obersten Gerichtshof wurde klar ersichtlich weiterhin gegen dieses Verbot verstoßen. Nach Angaben von Chesno und der ukrainischen Website Graty.me, die die Gerichte beobachtet, beriefen sich das Justizministerium und der SBU bei der Zurückweisung der Berufungen der OPFL und der Vereinigung der Linken Kräfte weiterhin auf Erklärungen, die bis zu acht Jahre zurücklagen, und argumentierten beispielsweise, daß jahrealte Erklärungen von OPFL-Parlamentariern, die sich für die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen aussprachen – der Vereinbarung von 2015 über eine Verhandlungslösung für den Bürgerkonflikt in der Ostukraine, die die Ukraine selbst unterzeichnet hat – ein Beweis für deren Schuld seien.

Beobachter haben darauf hingewiesen, daß einer der berüchtigtsten Fälle der rückwirkenden Anwendung eines Gesetzes in einem politischen Fall im nationalsozialistischen Deutschland stattfand: der Prozess gegen den niederländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe im Dezember 1933 und seine Hinrichtung im Januar 1934, weil er angeblich im Februar 1933 das deutsche Reichstagsgebäude in Brand gesetzt hatte – eine Provokation, die die Nazis nutzten, um ihre Macht zu festigen, die bürgerlichen Freiheiten aufzuheben und Repressalien gegen diejenigen einzuleiten, die sie als Feinde betrachteten. Als die deutsche Generalstaatsanwaltschaft im Januar 2008 ein endgültiges Urteil erließ, das van der Lubbes Verurteilung aufhob, erklärte sie, daß seine Hinrichtung auf NS-Gesetze zurückzuführen sei, „die zur Durchsetzung des nationalsozialistischen Regimes geschaffen wurden und Verstöße gegen grundlegende Rechtsauffassungen ermöglichten“; insbesondere sei er nach einem Gesetz zum Tode verurteilt worden, das erst nach dem Vorfall verabschiedet worden war.

Unter Verstoß gegen die Unschuldsvermutung wurden die Parteien von Beamten des Justizministeriums vor den Gerichtsverfahren öffentlich als „pro-russisch“ bezeichnet. Die häufige Charakterisierung der Parteien als „pro-russisch“ durch Beamte des Justizministeriums schuf ein ungünstiges politisches Klima für die Prozesse. Ein Beispiel dafür ist, daß die Website der vom Westen finanzierten NRO „Ehrliche Wahlen“ Chesno eine Schurkengalerie enthält, in der die langjährige PSPU-Vorsitzende Natalia Vitrenko als „Verräterin“ bezeichnet wird.

Die Zuweisung der Parteiverbotsverfahren an das Achte Verwaltungsberufungsgericht behinderte das Recht der Parteien, in ihrer Anwesenheit und mit einem Rechtsbeistand ihrer Wahl verhandelt zu werden. Die Prozesse im Juni und Juli fanden alle vor dem Achten Berufungsgericht statt, das sich in Lviv befindet – 500 km westlich von Kiew in einem Gebiet, das den Parteien im Wesentlichen politisch feindlich gesinnt ist, was einige Parteien davon abhielt, ihre Fälle persönlich zu verteidigen.

In einem Video (mit englischen Untertiteln), das am 29. Juni veröffentlicht wurde, berichtete der in Spanien lebende Anatoly Shariy, daß der Anwalt der Partei von Shariy daran gehindert wurde, dem Gericht in Lviv beizuwohnen, weil die Regierung ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet hatte (wegen Kommentaren in einem WhatsApp-Chat), so daß er bei seiner Ankunft aus Westeuropa am Flughafen verhaftet worden wäre.

Die Teilnahme der Angeklagten oder ihrer Anwälte an den nichtöffentlichen Anhörungen des Gerichts in Lviv per Videoverbindung war nicht gestattet.

Gegen die Forderung nach einem zügigen Berufungsverfahren wurde bereits verstoßen. Am 17. Juli kündigte Justizminister Denys Maliuska an, er rechne damit, daß alle Verfahren „bis zum Ende des Sommers“ abgeschlossen sein werden, und schlug vor, mit der Berechnung des Betrags zu beginnen, den die Staatskasse aus dem beschlagnahmten Vermögen der Parteien erhalten werde. Für einige Parteien ist die gesetzlich vorgeschriebene Frist von einem Monat für den Abschluß des Berufungsverfahrens bereits verstrichen. Bis zum 5. August waren sieben Berufungen eingereicht worden. Die beiden Parteien, deren Berufungsfälle am 11. August erstmals vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wurden, erhielten Fortsetzungstermine am 15. und 29. September. Den Vorsitzenden der PSPU, denen ein Anhörungstermin für den 16. August zugewiesen worden war, wurde am Vortag mitgeteilt, daß ihr Fall auf den 27. September verschoben worden sei.

Weitere offensichtliche Unregelmäßigkeiten in den Urteilen des Gerichts in Lviv und im Vorgehen der Regierung während des Berufungsverfahrens sind unter anderem:

– Die gesamte Partei für angebliche Handlungen ihrer Vorsitzenden verantwortlich zu machen.

– Zulassung von nachweislich falschen Behauptungen als Beweismittel. Anatoly Shariy erklärte in dem oben zitierten Video, daß die Partei, die seinen Namen trägt, nicht nur nichts von dem getan habe, was ihr vorgeworfen wird, sondern daß die meisten der „Vergehen“ nach ukrainischem Recht nicht einmal Straftaten seien. Im Fall der PSPU wurden der PSPU-Vorsitzenden Natalia Vitrenko Kommentare zugeschrieben, die sie in einer gefälschten „Natalia Vitrenko“-Facebook-Gruppe gemacht habe, mit der sie jedoch nichts zu tun hatte, und ihr wurde vorgeworfen, sie habe im Februar 2014 persönlich ein Referendum in der Region Donezk organisiert, um die dortige „separatistische“ Bewegung zu entfachen, während sie in Wirklichkeit in den verbleibenden Februartagen nach dem Regimewechsel vom 22. Februar 2014 in Paris, Straßburg und Italien war und sich mit europäischen Mandatsträgern über die Ereignisse in der Ukraine traf.

– Obwohl nach ukrainischem Recht nur die untere Instanz zur Prüfung von Beweisen befugt ist, während das Berufungsgericht, in diesem Fall der Oberste Gerichtshof, über die korrekte oder inkorrekte Anwendung der Gesetze zu entscheiden hat, haben das Justizministerium und der SBU Berichten zufolge Pakete mit „neuen Beweisen“ vorgelegt und dabei die Pause zwischen einer ersten Anhörung und deren Fortsetzung ausgenutzt, um dies zu tun.

***

Internationale Aufmerksamkeit macht den Unterschied

Die schwarze Liste mit dem Titel „Sprecher, die mit der russischen Propaganda übereinstimmende Narrative verbreiten“, die am 11. August plötzlich von der Website des Zentrums für Desinformationsbekämpfung (CCD) des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine (NSDC) verschwand, enthält mehr als 70 Namen von Personen. Es handelt sich um Staatsmänner und Experten für Politik und Strategie, darunter sieben aktuelle Mitglieder des Europäischen Parlaments, US-Senator Rand Paul, der ehemalige brasilianische Präsident Lula da Silva, der ehemalige stellvertretende Außenminister Neuseelands Matthew Robson, zwei derzeit aktive Kandidaten für ein Amt in den USA, prominente Wissenschaftler sowie ehemalige Geheimdienst- und Militäroffiziere aus den USA, Frankreich, der Schweiz und anderen Ländern, die heute als Analysten und Kommentatoren tätig sind. An zweiter Stelle steht Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin des internationalen Schiller-Instituts, gefolgt von 30 Personen, sowohl ihren direkten Mitarbeitern als auch Gastrednern, die an der diesjährigen Online-Konferenzreihe des Schiller-Instituts teilgenommen haben, die der Lösung der Krise in der Ukraine und der Verhinderung eines Dritten Weltkriegs gewidmet ist.

Die äußerst primitive Liste schreibt jeder genannten Person ein- oder zweizeilige „pro-russische Narrative“ zu. Darunter befinden sich gut dokumentierte Fakten und nüchterne analytische Schlußfolgerungen, wie „Rußland wird in einen Atomkrieg gedrängt“. Der amtierende Direktor des CCD, Andriy Shapovalov, bezeichnete bei der Vorstellung der Liste am 14. Juli 2022 die aufgeführten Personen als „Informationsterroristen“, die „sich vor dem Gesetz als Kriegsverbrecher zu verantworten haben“. 

Die CCD nahm die schwarze Liste zurück, nachdem sie international große Aufmerksamkeit erregt hatte. Das Schiller-Institut berichtete in einer Pressemitteilung vom 16. August, daß US-Geheimdienstanalysten glauben, daß die Veröffentlichung von Enthüllungsberichten in Indien, Deutschland und Dänemark, die allein schon die Idee einer Schwarzen Liste anprangern, eine Rolle bei ihrer Rücknahme in den Hintergrund gespielt habe. Der dänische Außenminister Jeppe Kofod mußte am 19. August in einer von der unabhängigen Abgeordneten Marie Krarup initiierten Anhörung eine Stunde lang im Parlament Rede und Antwort stehen, weil sie sich Sorgen um drei Dänen machte, die auf der Liste stehen.

Mehrere Personen, die von der CCD genannt wurden, warnten, daß dies eine Bedrohung für ihre persönliche Sicherheit sei. Scott Ritter, ehemaliger Geheimdienstoffizier des US Marine Corps und UN-Waffeninspektor, schrieb in einem Brief an seine Kongressabgeordneten: „Die Ukraine hat in der Vergangenheit ’schwarze Listen‘ dieser Art in ‚Tötungslisten‘ umgewandelt, auf denen diejenigen, die sich gegen die Politik der ukrainischen Regierung aussprechen, ermordet oder mit Gewalt bedroht werden.“

Am 20. August forderten sechzehn prominente Amerikaner, deren Namen auf der schwarzen Liste des CCD stehen, sechs Ausschüsse des US-Senats und des US-Repräsentantenhauses auf, die Verwendung von Steuergeldern zur Finanzierung dieser offenen Bedrohung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der persönlichen Sicherheit von US-Bürgern zu untersuchen. Bei den sechs Kongressausschüssen, jeweils drei im Repräsentantenhaus und im Senat, handelt es sich um den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, den Justizausschuß und den Sonderausschuß für Geheimdienste. In dem Schreiben heißt es unter anderem: „Das CCD wird von der US-Regierung finanziert, unter anderem aus H.R. 7691, dem „Additional Supplemental Appropriations Act of 2022“, der Mittel für die ukrainische Regierung und ihr Zentrum für Desinformationsbekämpfung bereitstellt. Wir protestieren aufs Schärfste gegen diese Bedrohungen unseres verfassungsmäßigen Rechts auf freie Meinungsäußerung, auf akademische Freiheit und gegen die Bedrohung durch physischen Schaden, der von einer Nation ausgeht, die sich im Krieg mit der Nation befindet, die wir fälschlicherweise beschuldigt werden, in unserer Rede und unseren Schriften zu vertreten. Wir fordern Ihren Ausschuß auf, die Verwendung von Steuergeldern zu überwachen, indem er die Finanzierung dieser ausländischen Regierungsbehörde und ihre Rolle bei der direkten Bedrohung der Rechte und der Sicherheit von US-Amerikanern untersucht.“

Der ehrenwerte Matthew Robson veröffentlichte am 12. August seinen Brief an die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern über die Schwarze Liste und die Bedrohung, die sie für die Sicherheit von Menschen wie ihn, die auf ihr stehen, darstellt. „Die von der ukrainischen Regierung genehmigte Feindesliste verstößt gegen internationales Recht und zeigt die Bereitschaft, Menschen wie mir, die das Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben, zu schaden. Er forderte sie auf, bei der ukrainischen Regierung zu protestieren und die zuständigen Sicherheitsbehörden … auf die Gefahr hinzuweisen, die für einen neuseeländischen Bürger geschaffen wurde“.

Weitere Einzelheiten über die Schwarze Liste des CCD, die Anprangerungen von Menschen in vielen Ländern und die Forderungen nach einer Untersuchung dieser Liste sind auf der Website des Schiller-Instituts zu finden.

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