Von Helga Zepp-LaRouche
Nach der hektischen Diplomatie der vergangenen Woche – Baerbock in Kiew und Moskau, Blinken in Kiew, dann in Berlin zum Treffen der Außenminister der USA, Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands, Blinkens Treffen mit Bundeskanzler Scholz und schließlich das Treffen der Außenminister Lawrow und Blinken in Genf – ist die Gefahr eines die Menschheit auslöschenden Weltkrieges nicht gebannt. Lawrow erklärte nach dem Treffen am Freitag, er erwarte in der nächsten Woche von den USA und der NATO eine schriftliche Antwort bezüglich der von Rußland verlangten, rechtlich bindenden Verträge, daß die NATO sich nicht weiter nach Osten an die Grenzen Rußlands ausdehnen und die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen wird und daß keine offensiven Waffensysteme an der russischen Grenze platziert werden. Blinken verwies auf weitere Gespräche mit den „Verbündeten und Partnern in den kommenden Tagen“, nach denen man dann Rußland die westlichen Anliegen und Ideen mitteilen könne.
Wenn es allerdings dabei bleibt, was Blinken laut RT gegenüber Reportern nach dem Treffen mit Lawrow sagte – daß es gegenüber Moskaus Hauptforderung keinen Raum für Kompromisse gebe und es zu den unverhandelbaren Prinzipien der USA und ihrer Verbündeten gehöre, daß „das ukrainische Volk seine eigene Zukunft bestimmen“ dürfe, dann droht die sehr kurze Lunte sehr schnell abzubrennen. Denn diese Formulierung Blinkens ist nichts als eine sophistische Verklausulierung für die Aufnahme der Ukraine in die NATO als Teil der anglo-amerikanischen Narrative von den „Aggressionen Rußlands“.
Dabei ist für jeden ehrlichen Historiker ebenso wie für jeden, der auf eine Landkarte schaut, die Faktenlage eindeutig: Es war nicht Rußland, das seine Grenzen nach der Auflösung der Sowjetunion von der Grenze des damaligen Warschauer Paktes um tausend Kilometer nach Westen bis irgendwo in Frankreich etwa auf der Höhe von Lille verschoben hätte, sondern es war die NATO, die dies um tausend Kilometer nach Osten getan hat. Damit hat sie eindeutig die mündlichen Zusagen der Administration von George H.W. Bush und besonders des damaligen Außenministers James Baker III. gegenüber Gorbatschow gebrochen, die NATO würde „keinen Zentimeter nach Osten“ ausgedehnt.
Bei genauerem Hinsehen waren die Methoden, mit denen die NATO dann zu 14 weiteren Mitgliedern in Ost- und Zentraleuropa sowie auf dem Balkan kam, auch nicht gerade immer die feinsten. Dem westlichen Narrativ zufolge war es der angebliche Freiheitswille, der diese Staaten in die NATO drängte, die Realität war aber eine andere. Nachdem die Schocktherapie des Jeffrey Sachs und der damit verbundene wirtschaftliche Kahlschlag der Privatisierung ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen die Bevölkerungen des früheren COMECON massiv verarmt hatten, wurde dann mit dicken Scheckbüchern ein massives Netzwerk von NGOs aufgebaut, die den Paradigmenwandel Richtung Westen betreiben sollten. Die Autorin hat 1990 in der Zeit vor der deutschen Wiedervereinigung und während der Umwälzung in den Staaten Osteuropas Anfang der 90er Jahre selbst erlebt, wie erste demokratische Versuche einer Selbstorganisation der Menschen im Osten kaltblütig erstickt und stattdessen willfährige Opportunisten nicht zuletzt in Regierungsposten gehievt wurden. Korruption sei gerade gut, hieß damals vielerorts die Devise, dann wisse man wenigstens, auf wen man sich verlassen könne. Soviel also zu dem Prinzip, daß die „Völker ihre eigene Zukunft wählen können“. Das jüngste Beispiel lieferte soeben gerade der – gescheiterte – Versuch einer Farbrevolution in Kasachstan, bei dem Putin richtigerweise von „Maidan-Techniken“ sprach, die dort zur Anwendung gekommen seien.
Wenn Putin mit Hilfe dessen, was General Kujat im Deutschlandradio nicht als Vorbereitung eines militärischen Angriffs, sondern als Aufbau einer Drohkulisse bezeichnet (nämlich die Verlagerung von rund 100.000 russischen Soldaten in Richtung der teilweise allerdings noch Hunderte Kilometer davon entfernten ukrainischen Grenze), rechtlich bindende, schriftliche Zusagen verlangt, daß die NATO weder weiter nach Osten an die Grenzen Rußlands ausgedehnt noch die Ukraine jemals als Mitglied aufgenommen wird, dann bringt dies schlicht und einfach zum Ausdruck, daß für Rußland die rote Linie erreicht ist.
Angesichts der Tatsachen, daß sich schon jetzt 10.000 NATO-Soldaten – davon rund 4000 US-Soldaten – in der Ukraine aufhalten, daß private Söldnerfirmen ukrainische Militäreinheiten in der Ostukraine für Operationen unter falscher Flagge ausbilden, daß Großbritannien offensive Kriegswaffen an die Ukraine liefert, daß US- und britische Kriegsschiffe und Kampfjets im Schwarzen Meer Zwischenfälle provozieren, die den begleitenden Aufklärungsflugzeugen entsprechende Informationen über die russischen militärischen Kapazitäten liefern sollen -, welche Schlußfolgerungen soll Rußland aus all diesen und vielen weiteren ähnlichen Vorgehensweisen ziehen? In der Realität operiert die NATO praktisch bereits in der Ukraine, aber eine formelle NATO-Mitgliedschaft der Ukraine würde besiegeln, daß die Verteidigung der fundamentalen Sicherheitsinteressen Rußlands nicht mehr möglich wäre.
Noch während die genannten diplomatischen Gespräche stattfanden, berichtete der britische Sender Sky News, daß Großbritannien 30 Mitglieder der „Army Special Operation Brigade“ in die Ukraine verlegt hat, die ukrainische Truppen an ebenfalls von den Briten gelieferten Panzerabwehrwaffen schulen sollen. Laut dem militärischen Sprecher der Volksrepublik Donezk wurden in den letzten Tagen mit neun C17-Flugzeugen mehr als 460 Tonnen diverser Kriegswaffen, darunter 2000 NLAW-Panzerabwehrwaffen, an die ukrainischen Streitkräfte geliefert, die an der Kontaktlinie zum Donbaß stationiert sind und unter denen sich eine beachtliche Zahl radikaler Nationalisten befinden. Ob diese Waffen einen defensiven oder offensiven Charakter haben, hängt wie immer von der jeweiligen Gefechtslage ab.
Bereits kurze Zeit, nachdem Moskau am 17. Dezember den USA und der NATO die beiden Verträge vorgelegt hatte, kündigte Putin an, daß Rußland auf deren Zurückweisung mit „angemessenen militärisch-technischen Vergeltungsmaßnahmen“ reagieren werde. David T. Pyne, derzeit tätig für die Task Force on National and Homeland Security (ein Beratungsgremium des Kongresses), führte am 15. Januar in einem Artikel in der Zeitschrift National Interest die Interpretation des in Brüssel ansässigen amerikanischen Analysten Gilbert Doctorov an, was mit diesen „militärisch-technischen Vergeltungsmaßnahmen“ gemeint sein könnte. Doctorov nimmt an, daß damit die zusätzliche Verlagerung russischer atomarer SS-26-Iskander-M Kurzstreckenraketen nach Belarus und Kaliningrad gemeint ist, die die NATO- Frontlinienstaaten und Ostdeutschland bedrohen würden. Weiterhin käme die Entsendung der neuen seegestützten Überschallrakete Zirkon vor die US-Küste bei Washington in Frage; früheren russischen Äußerungen zufolge könnten diese Raketen die amerikanische Hauptstadt schneller zerstören, als der Präsident sich auf die Air Force One retten könne.
Wenn die USA und die NATO also nicht auf die Forderungen Rußlands nach Sicherheitsgarantien eingehen, dann besteht die Wahrscheinlichkeit, daß wir es in kürzester Zeit mit einer doppelten Kubakrise zu tun haben – allerdings ohne einen John F. Kennedy als Präsidenten auf der amerikanischen Seite. Stattdessen haben wir einen Präsident Biden, dem die ihn umgebenden Kriegsfalken immer offener den Respekt verweigern und die ihn „korrigieren“, wenn er zum Ausdruck bringen möchte, daß er keinen Krieg mit Rußland anstrebt.
Es sollte jedem denkenden Menschen klar sein, daß niemand in Deutschland einen mit Nuklearwaffen geführten Krieg – „begrenzt“ oder nicht – überleben würde. Unserer neuen Außenministerin Baerbock ist es dies offensichtlich nicht, sonst würde sie nicht so synchronisiert mit dem „lieben Tony“ in den NATO-Jargon verfallen wie jüngst auf der Pressekonferenz in Berlin. Die Grünen haben sich vollends zur Kriegspartei gemausert. Und wenn man wie Frau Kramp-Karrenbauer darüber sinniert, welche nuklearen Optionen es gegenüber Rußland geben könne, dann sollte man sich wegen suizidaler und gemeingefährlicher Gedanken in Therapie begeben.
Unter den gegebenen Umständen ist eine Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO nicht länger zu vertreten. Wir brauchen umgehend eine neue internationale Sicherheitsarchitektur, die die Interessen aller Staaten berücksichtigt, d.h. ausdrücklich auch die Rußlands und Chinas. Wenn wir irgendetwas aus der Geschichte gelernt haben, dann das, daß nur Verträge, die die Interessen aller beteiligten Staaten einschließen, wie z.B. der Westfälische Frieden, die Grundlage für einen dauerhaften Frieden sein können. Sogenannte Friedensverträge, die dies nicht tun, wie der Versailler Vertrag, sind die Eröffnungssalve für den nächsten Krieg, wie wir das in Deutschland schmerzlich gelernt haben sollten. Die NATO, die Rußland nach dem Ende der Sowjetunion ohne Notwendigkeit aus dem europäischen Haus ausgeschlossen und sich seitdem immer mehr in ein Angriffsbündnis verwandelt hat, entspricht nicht nur nicht mehr den Sicherheitsinteressen Deutschlands, sondern sie ist zur primären Bedrohung für die Existenz Deutschlands geworden.
Wir brauchen eine neue Sicherheitsarchitektur, die die Geopolitik, die für zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert verantwortlich war, überwindet, und stattdessen die gemeinsamen Ziele der Menschheit als Grundlage ihrer Prinzipien definiert. Und dazu gehören an allererster Stelle die Eliminierung des primären Kriegsgrunds, nämlich des drohenden Zusammenbruchs des transatlantischen Finanzsystems, und die Schaffung eines neuen Kreditsystems, eines Neuen Bretton-Woods-Systems, das die Armut und Unterentwicklung überall auf der Welt überwindet.
Darüber in einen offenen Dialog einzutreten, sind alle friedliebenden Menschen auf der Welt aufgerufen.