Beim Raisina-Dialog in Neu-Delhi, einer Konferenz mit 600 Teilnehmern aus rund 40 Ländern, die gemeinsam vom indischen Außenministerium und der Observer Research Foundation in Neu-Delhi veranstaltet wurde, hielt die Vorsitzende des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche am 2. März den folgenden Vortrag.
von Helga Zepp-LaRouche
Vielen Dank. Ich möchte den Organisatoren dieses ausgezeichneten Forums danken, daß sie mir Gelegenheit geben, hier zu sprechen. Denn ich denke, die meisten Menschen wissen, daß die Menschheit sich heute in einer ihrer schwersten Krisen befindet, vielleicht sogar in der wichtigsten Krise unserer gesamten Geschichte. Viele Analysten beschreiben die strategische Lage als gefährlicher als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, der Kubakrise. Das transatlantische Finanzsystem steuert auf eine neue Krise zu, schlimmer als 2008, und die Flüchtlingskrise in Europa ist nicht nur eine wirklich schreckliche humanitäre Krise, sondern sie droht auch die EU zu sprengen.
So stellt sich die Frage: Sind wir als menschliche Zivilisation in der Lage, die falsche Politik, die uns in diese Krise hineingeführt hat, zu korrigieren, oder sind wir dazu verurteilt, die Fehler zu wiederholen, die aufgrund der Geopolitik zu zwei Weltkriegen im 20. Jahrhundert geführt haben?
Aber zum Glück erleben wir auch, daß sich ein vollkommen neues Paradigma herausbildet. Unter der Führung der BRICS-Länder entwickelt sich ein völlig neues Geflecht von Beziehungen zwischen den Staaten, auf der Grundlage gemeinsamer Interessen, wirtschaftlicher Kooperation und der Zusammenarbeit in Hochtechnologie-Bereichen wie der Kernfusion, der Erforschung des Weltraums und damit einem besseren Verständnis der physikalischen Prinzipien unseres Universums.
Das chinesische Programm der Neuen Seidenstraße – „Ein Gürtel, eine Straße“ – ist ein Angebot, in allen Ländern, die bei dieser Win-Win-Perspektive kooperieren wollen, das chinesische Wirtschaftswunder zu wiederholen. Schon jetzt beteiligen sich 65 Staaten an diesem neuen Modell der Zusammenarbeit, und es ist dabei, die Geopolitik und damit die Ursache des Krieges zu überwinden – vielleicht für immer.
Die neue Vereinbarung zwischen US-Außenminister Kerry und dem russischen Außenminister Lawrow über eine Waffenruhe in Syrien kann eine entscheidende Wende in der gesamten strategischen Weltlage sein, vorausgesetzt, daß insbesondere China, Rußland und Indien sofort mit den Ländern Südwestasiens zusammenarbeiten, um ein umfassendes Aufbauprogramm umzusetzen – nicht nur für die vom Krieg zerstörten Länder Syrien, Irak und Afghanistan, sondern für die gesamte Region von Afghanistan bis zum Mittelmeer und vom Kaukasus bis zum Golf von Persien. Mit Präsident Xis Reise in die Region – in den Iran, nach Ägypten und Saudi-Arabien – ist nun die Verlängerung der Seidenstraße auf dem Tisch.
Das Schiller-Institut veröffentlichte eine 370 Seiten lange Studie mit dem Titel „Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke“ (in englischer Sprache, eine deutsche Kurzfassung erschien unter dem Titel Die BRICS-Staaten: Wirtschaftsaufbau statt Selbstzerstörung), die auch schon auf Chinesisch, Arabisch und demnächst auf Koreanisch verfügbar ist. Es handelt sich um einen Plan für einen umfassenden Aufbau der gesamten Weltwirtschaft. Die Studie enthält einen ganz konkreten Plan für Südwestasien. Diese Region zwischen Asien, Europa und Afrika hat also ein gewaltiges Entwicklungspotential mit großen menschlichen und natürlichen Ressourcen, und sie hat eine einzigartige Lage.
Der Plan der „Fünf Meere“, den Präsident Assad 2004 ankündigte, kann auch heute noch als Referenzpunkt dienen für ein Infrastrukturnetz zwischen dem Mittelmeer, dem Indischen Ozean, dem Roten Meer, dem Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer, das die Region in einen blühenden Umschlagsplatz für den stark ansteigenden Handel zwischen Asien, Europa und Afrika machen kann.
Zwei große Entwicklungskorridore – ein Ost-West- und ein Nord-Süd-Korridor – werden nicht nur Hochgeschwindigkeitsbahnen, Autobahnen, Pipelines, Wasserprojekte, Industrien und Landwirtschaft umfassen; mit modernen Technologien wie Kernkraft zur Entsalzung großer Mengen von Meerwasser und Ionisierung der Atmosphäre können wir die Wüsten begrünen und große Teile der Wüste für die Landwirtschaft und die Besiedelung durch den Menschen erschließen.
Mehr als Eisenbahnverbindungen
Die Neue Seidenstraße, die sich bereits von Chongqing und Yiwu bis Teheran erstreckt, wo vor drei Wochen der erste Zug der Seidenstraße eintraf, kann von dort über Bagdad, Amman und Akaba und durch einen Tunnel nach Scharm-el-Scheich im Süden des Sinai nach Kairo verlängert werden. Die Route überquert den Euphrat, wo die alten Handelsrouten in moderne Korridore verwandelt werden können, vom Hafen Basra am Persischen Golf im Irak in nordwestlicher Richtung nach Aleppo. Die bestehenden Eisenbahnen entlang des Euphrat im Irak und von Aleppo nach Deir ez-Zor am Euphrat in Syrien sollten modernisiert werden, und von dort sollte eine neue Strecke nach Bagdad gebaut werden, die an die Hauptarterie der Seidenstraße anschließt.
Auch dieser Korridor sollte nicht bloß aus einer Eisenbahnstrecke bestehen, sondern Einrichtungen für Verkehr, Energieerzeugung und -verteilung sowie Kommunikation miteinander verbinden und so die Voraussetzungen für den Aufbau von Industrien und neuen Städten schaffen.
Ein Landweg bis Zahedan an der iranisch-pakistanischen Grenze, der Indien mit dem iranischen Eisenbahnnetz verbindet, wird demnächst fertiggestellt werden. Weitere Strecken sind (aus Zeitgründen nur ganz kurz):
- von Deir ez-Zor nach Todmor-Palmyra, Damaskus und Beirut,
- eine Nord-Süd-Verbindung von Syrien zu den Industriezonen am Suezkanal,
- eine Nord-Süd-Eisenbahn von Damaskus nach Mekka und Medina,
- ein Tunnel unter der Bab-el-Mandeb-Straße von Dschibuti zur Arabischen Halbinsel,
- sowie Verbindungen nach Europa, zum Schwarzen Meer und nach Rußland.
Indien hat sehr gute Beziehungen zu praktisch allen Ländern der Region und wurde bereits von Rußland und China gebeten, eine Vermittlerrolle bei solchen Entwicklungsprojekten zu spielen. Wie Premierminister Modi sagte, sind 65% der indischen Bevölkerung jünger als 35 Jahre, und dies ist der größte Reichtum des Landes. Diese jungen Menschen brauchen nicht nur eine Vision, die dabei hilft, die Produktivität der indischen Landwirtschaft durch den Einsatz von Elektrizität, Wasser, Düngemitteln, hochwertigem Saatgut usw. zu steigern, damit die Zahl der in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen halbiert und mehr Land landwirtschaftlich genutzt werden kann. Aber man kann Indiens Jugend auch dafür begeistern, die Beteiligung an der wirtschaftlichen Transformation Südwestasiens und Afrikas als Aufgabe anzunehmen und auf diese Weise eine Zukunft für die gesamte Menschheit zu schaffen.
Eine solche Entwicklungsperspektive zu verwirklichen, ist der einzige Weg, die Flüchtlingskrise zu beenden, die Volkswirtschaften Europas und der Vereinigten Staaten wiederzubeleben und ganz Asien zu entwickeln.