Panel I
„Die Geopolitik und die Gefahr eines neuen Weltkriegs überwinden“
Der Zeitpunkt für die jüngste Konferenz des Schiller-Instituts, die am 30.6./1.7. 2018 in Bad Soden am Taunus stattfand, hätte nicht besser gewählt werden können, denn sie fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem sich das Momentum für die Konsolidierung eines neuen Paradigmas unter dem Einfluß der mit Chinas Wirtschaftsgürtel-Initiative (BRI) verbundenen Diplomatie und Wirtschaftspolitik verstärkt.
In den letzten Monaten vollzogen sich wesentliche Veränderungen, und eine wachsende Zahl von Nationen bewegt sich in Richtung der neuen strategischen Geometrie eines Bündnisses zwischen Rußland, China und den Vereinigten Staaten, das sich trotz des massiven Widerstands britischer und amerikanischer Netzwerke, die die alte, gefährliche Weltordnung der Geopolitik erhalten wollen, weiter ausbildet.
Helga Zepp-LaRouche hielt die Eröffnungsrede zum Thema „Das Zusammenfallen der Gegensätze – die Welt von Morgen“. Sie äußerte die Hoffnung, daß bei dem bevorstehenden Treffen zwischen Trump und Putin in Helsinki die Schaffung eines neuen Paradigmas auf die Tagesordnung gesetzt wird, um den neoliberalen Dogmen ein Ende zu setzen, die die Welt in die Katastrophe geführt haben. Die 68 Mio. Flüchtlinge, die für Ende 2017 von den Vereinten Nationen gemeldet wurden, seien eine Illustration der Brutalität, mit der im Westen in den letzten Jahren der Austeritätspolitik Vorrang vor dem Gemeinwohl eingeräumt wurde. Die Neue Seidenstraße biete einen Ausweg, sie sei die Fortsetzung eines Prozesses, der 1975 mit Lyndon LaRouches Vorschlag für eine Internationale Entwicklungsbank begann. Die Neue Seidenstraße finde bei der Mehrheit der Menschen Anklang, indem sie den Aufbau einer „Gemeinschaft der gemeinsamen Zukunft der gesamten Menschheit“ ermöglicht, und tatsächlich hätten sich bereits 140 Nationen angeschlossen, die schon jetzt die Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren und die aus dem Win-Win-Prinzip Nutzen ziehen werden.
Das Zusammenfallen der Gegensätze – die Welt von Morgen
Meine Damen und Herren, liebe Freunde des Schiller-Instituts!
Nach dem historischen Gipfeltreffen zwischen Präsident Trump und dem Vorsitzenden Kim Jong-un, das die Welt überraschte, hatte ich den Vorschlag gemacht, daß man mit diesem Modell eine feindselige Beziehung – und wir standen tatsächlich am Rande eines möglichen globalen Kriegs – in das genaue Gegenteil, nämlich Kooperation, verwandeln kann, wenn es den guten Willen dazu gibt und die Großmächte zusammenarbeiten. In diesem Fall haben die Vereinigten Staaten, China und Rußland im Hintergrund zusammengewirkt, damit der Gipfel möglich wurde.
Ich schlug deshalb vor, daß der EU-Gipfel, der jetzt gerade zu Ende gegangen ist, nur einen Tagesordnungspunkt haben sollte, nämlich die Entwicklung Afrikas durch die Neue Seidenstraße. Die EU sollte dazu den chinesischen Präsidenten Xi Jinping und etwa sechs Staatschefs afrikanischer Länder, die bereits mit China zusammenarbeiten, einladen und ein Crashprogramm zur Industrialierung Afrikas verkünden, um so die Neue Seidenstraße auf alle diese Länder auszudehnen.
Aufgrund der Anwesenheit von Präsident Xi Jinping, der in Afrika einen sehr guten Ruf genießt, hätte dies absolute Glaubwürdigkeit und bedeutete, daß man es ernst meint. Alle jungen Menschen in Afrika erhielten so die Hoffnung, daß sie sich am Aufbau ihrer Länder beteiligen können. Für Europa wäre dies der einzige menschenwürdige Weg, die Flüchtlingskrise zu lösen.
Mein Vorschlag wurde in zehn oder mehr Sprachen übersetzt – die meisten europäischen Sprachen, russisch, chinesisch, japanisch, koreanisch – und erhielt international eine weite Verbreitung. Hatte ich geglaubt, daß dies ein realistisches Programm für die EU wäre? Sicherlich nicht. Aber ist dies die richtige Idee, die unbedingt vorangebracht werden sollte? Ja. Schließlich ließe sich ein solcher Gipfel von einer Kombination von Ländern jederzeit einberufen. Auch auf der UN-Generalversammlung im September könnte darüber diskutiert werden.
Inzwischen wurde zwischen Präsident Putin und Präsident Trump ein weiterer Gipfel bestätigt, der am 16. Juli, nach dem NATO-Treffen, in Helsinki stattfinden soll. Ein Thema wird wahrscheinlich eine amerikanisch-russische Absprache über die Zukunft Syriens sein, vielleicht sogar ein umfassender Plan für Südwestasien. Außerdem wird darüber gesprochen werden, daß man eine globale nukleare Abrüstung braucht, was der russische UN-Botschafter Antonow gegenüber den Vereinigten Staaten geltend machte. Gleichzeitig stellte Präsident Putin jedoch klar, daß er für eine globale Denuklearisierung von einer Position der Stärke eintrete, denn auf einer Pressekonferenz im Kreml am 1. März hatte er gesagt, Rußland sei bei einigen Waffensystemen dem Westen um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte voraus. Inzwischen haben sich bereits die Generäle Dunford und Gerasimow in Helsinki getroffen, um den Gipfel vorzubereiten.
Das neoliberale Establishment des Westens ist darüber völlig entsetzt. Die Welt und die Londoner Times sprachen von einer „apokalyptischen Entwicklung“. Besonders entsetzt ist man über die Möglichkeit, daß Trump die US-Truppen in Europa reduzieren könnte – was offensichtlich eine gute Sache wäre, aber die geopolitische Fraktion geriet über diese Frage völlig außer Kontrolle.
Die Reaktion des Westens auf etwas, was jede friedliebende Person begrüßen würde, nämlich daß sich die Beziehung zwischen den Großmächten – China, Vereinigte Staaten und Rußland – verbessern, zeigt, daß etwas anderes erforderlich ist: Wir brauchen ein ganz neues Paradigma im Denken, wenn es um die Beziehungen zwischen den Nationen geht.
Das Drama der Flüchtlingskrise
Kommen wir jetzt zur Flüchtlingskrise zurück. Nach Angaben des Jahresberichts des UN-Flüchtlingswerks, in dem Ende 2017 die globalen Trends veröffentlicht wurden, gab es 68,6 Mio. Vertriebene auf der Welt, das ist fast die Größe der deutschen Bevölkerung. 2017 gab es 16,2 Mio. neue Flüchtlinge: 44.500 neue Flüchtlinge jeden Tag oder 1 Person jede Sekunde. Wir sollten dabei bedenken, daß jedes einzelne dieser Individuen Menschen sind, wie ich und Sie alle hier im Raum. Das sind keine abstrakten Zahlen, sondern dies sind Menschen wie Ihr Nachbar, Ihr Freund, Ihre Angehörigen.
Die EU hat auf ihrem jüngsten Treffen eine Vielzahl sehr vager Beschlüsse gefaßt; so sollen Auffanglager entstehen, Frontex wird militarisiert und ähnliche Maßnahmen, die sämtlich so barbarisch wie unausführbar sind. Die EU-Außengrenzen sollen geschlossen werden, Frontex soll ein robustes Mandat erhalten und viel Geld soll ausgegeben werden. EU-Parlamentspräsident Tajani verlangte, daß man 6 Mrd. Euro ausgeben sollte, allein um das Mittelmeer vor Libyen zu schließen. Ex-NATO-General Egon Romms forderte sogar ein Bundeswehrmandat, um Frontex zu unterstützen. Andere wollen, daß die NATO eingeschaltet wird. Auffanglager sollen zunächst auf europäischem Boden, später auch in Afrika eingerichtet werden.
Das Problem dabei ist jedoch, daß keines der betroffenen Länder solche Lager haben will, weder Ägypten noch Libyen, Marokko, Tunesien oder Algerien. Auch die Albaner und Mazedonier wollen sie nicht. Libyen will solche Lager südlich seiner Grenzen in Ländern wie Niger und Mail einrichten, wo es keinerlei Infrastruktur gibt – dort ist nur Wüste.
Nach einem Bericht im deutschen Fernsehen hat die algerische Regierung 13.000 Flüchtlinge ohne Nahrung und Wasser, ohne Handys oder Geld zurück in die Sahara geschickt. Bei 48°C mußten die Menschen zu einem kleinen Dorf in Niger wandern. Es waren schwangere Frauen und Kinder darunter, viele von ihnen wurden nicht mehr wieder gesehen. Die algerische Regierung hat abgestritten, daß dies wahr sei. Es mag stimmen oder nicht – in unserer Welt von fake news weiß man das nie.
Aber ich bin mir sicher, daß dies immerzu passiert. Die Menschen wandern durch die Sahara, sterben, und niemand berichtet darüber. Papst Franziskus verglich diese Lager, zum Beispiel in Libyen, über die die Regierung keinerlei Kontrolle hat, wo die Menschen gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt und als Sklaven verkauft werden, mit Konzentrationslagern, die jenen in Nazi-Deutschland während des Zweiten Weltkriegs gleichkommen.
Natürlich hat jeder Staat das Recht, seine Grenzen zu schützen, aber man kann nicht das Recht auf Leben, das Recht auf Asyl und das Elend der Flüchtlinge einfach ignorieren. Der albanische Ministerpräsident Edi Rama wird keine solchen Lager dulden; er ist dagegen, daß Menschen, die niemand will, wie Giftmüll abgeladen werden. Albanien will nicht der Wellenbrecher für die Flüchtlinge sein.
Wenn man sich die Flüchtlingsdebatte in Europa anschaut, und in den letzten Tagen gab es viele davon, so fragt man sich: Wo sind die „westlichen Werte“, wo ist die „Demokratie“ geblieben? Was man bei der Flüchtlingskrise sieht, ist die Verletzung der grundlegendsten Menschenrechte – das Recht auf Leben, das Recht auf Asyl – vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Dem liegt eine grundlegende Änderung in unserem Menschenbild zugrunde, was der russische Außenminister Lawrow einmal als „postchristliche Werte“ beschrieben hat – eine vollständige Abstumpfung von Empfindung, ein vollständiger Verlust der Achtung für die Unantastbarkeit menschlichen Lebens. Einige der schlimmsten Hardliner der sogenannten christlichen Parteien sprechen von „Asyltouristen“ oder „Flüchtlings-Shuttleschiffen“, was eine pathologische Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden und Sterben von Menschen ausdrückt.
Der Niedergang des Westens
Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Konrad Adenauer die CDU ausdrücklich als christliche Partei mit christlichen Werten als Bollwerk aufbauen, damit sich die Greuel der Nazis nie wiederholen würden. Heute spricht der Spiegel von „Faschismus“, wenn es um Präsident Trump geht; aber dessen Politik unterscheidet sich in nichts von der der EU. Wie ist das möglich?
Dazu müssen wir zu dem Paradigmenwandel zurückkehren, der sich im Westen vollzogen hat. Schritt für Schritt sind wir von dem, was Adenauer meinte, zu der Nullwachstums-Ideologie übergegangen, wie sie vom Club of Rome, dem World Wildlife Fund und der Umweltbewegung vertreten wird. Danach leben wir in einer Welt mit begrenzten Ressourcen und einem geschlossenen System; darin ist jeder Mensch eine Belastung für die Natur. Die weitere Eskalation kam mit der völligen Deregulierung der Märkte, der zunehmenden Macht der Wall Street und der City of London, der Vorherrschaft des neoliberalen Dogmas, daß die Märkte die oberste Autorität noch über Gott sind. Die Rolle des Staates war nicht mehr, das Gemeinwohl zu schützen, sondern die Rechte der Banken und Spekulanten durchzusetzen.
Das sah man besonders nach 2008, mit der vollständigen Deregulierung des Finanzsystems, das zum Selbstbedienungsladen für die Reichen auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung wurde. Das Gemeinwohl wurde zusammengestrichen, sämtliche Bereiche des Lebens und der Wirtschaft wurden privatisiert, und die Ungleichheiten stiegen dramatisch an.
Der Mensch wurde zum Gegenstand von Kosten-Nutzen-Analysen; es verbreitete sich die Vorstellung, daß es keine wißbare Wahrheit mehr gebe, nur noch postfaktische Meinungen, nach denen die gesamte Realität dem Wettbewerbsmodell der Wirtschaft unterworfen wird. Selbst die Demokratie mußte den Märkten angepaßt werden. Frau Merkel hat ja einmal gesagt, daß wir zwar in einer Demokratie leben, die aber müsse marktkonform sein. Nach den jüngsten Wahlen in Italien sagte außerdem EU-Kommissar Oettinger, der über den Wahlsieg von Lega und Fünfsternepartei erbost war: „Die Märkte werden den Italienern schon lehren, wie sie zu wählen haben“ – was die völlige Arroganz des neoliberalen Establishments zeigt. Dieses ist völlig unfähig, die Ursachen für den Niedergang des westlichen Modells zu erkennen. Für diesen Niedergang sind nicht China oder Putin verantwortlich, sondern einzig und allein die Politik des Westens.
Als die Sowjetunion 1989-90 die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands zuließ, gab es die Möglichkeit, eine ganz andere Richtung einzuschlagen. Und nach dem Zerfall der Sowjetunion gab es die Chance auf eine Friedensordnung für das 21. Jahrhundert, denn ein Block hatte sich aufgelöst, und es gab keinen Feind mehr.
Schon 1988 hatte mein Ehemann Lyndon LaRouche – in weiser Voraussicht des baldigen Endes der Mauer – die schnelle Wiedervereinigung Deutschlands mit Berlin als Hauptstadt vorhergesagt und vorgeschlagen, Polen als Modell für den gesamten Comecon mit westlichen Technologien zu entwickeln. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schlugen wir dann vor, das sogenannte Produktive Dreieck Paris-Berlin-Wien nach Eurasien auszudehnen. Wir nannten dies die Eurasische Landbrücke – das, was heute zur Neuen Seidenstraße wird.
Schon früher hatte Lyndon LaRouche eine Internationale Entwicklungsbank und einen Oasenplan für Südwestasien vorgeschlagen; er arbeitete mit Lopez Portillo bei einem Integrationsplan für Lateinamerika, genannt Operation Juarez, zusammen. Wir arbeiteten mit Indira Gandhi an einem 40-Jahresplan für Indien, wir arbeiteten an einem 50-Jahresplan für das Pazifische Becken. Außerdem hat mein Ehemann die Strategische Verteidigungsinitiative entworfen – die etwas ganz anderes war, als die Medien sie darstellten und bei der es auch um einen gigantischen Technologietransfer in den Entwicklungssektor ging.
Wenn das neoliberale Establishment das Lebenswerk von Lyndon LaRouche gewürdigt hätte, wäre Afrika heute, das kann ich Ihnen versichern, ein blühender Kontinent, und die Welt sähe ganz anders aus. Statt dessen sagte man sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion: „Okay, der Kommunismus ist jetzt besiegt, dann können wir jetzt eine unipolare Welt aufbauen – das Projekt für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert. Unterziehen wir Rußland einer Schocktherapie und tauschen wir alle Regierungen, die sich dem widersetzen, durch Farbrevolutionen aus. Weg mit dem Glass-Steagall-Gesetz, und wir erfinden Lügen, um humanitäre Interventionskriege zu führen.“
All das führte zu der Flüchtlingskrise im Nahen Osten und zur Verarmung des Entwicklungssektors und auch von Südeuropa. Das ist die westliche Politik der letzten 20-30 Jahre, mit dem Ergebnis, daß das westliche System jetzt kollabiert. Es kam zur Revolte von innen: der Brexit, die Wahl Trumps, die Wahlen in Österreich, die Rebellion der Visegrád-Staaten in Mittel- und Osteuropa. Wenn es jetzt zu einer Merkelschen Lösung all dieser Probleme kommt, ist das völlig jenseits jeder Realität. Man wird sehen, was passiert, denn das Ergebnis des eben beendeten EU-Gipfels ist sehr vage; alles ist freiwillig, und es wird viele bilaterale Verhandlungen geben. Man muß abwarten, ob Herr Seehofer dies akzeptabel findet, denn vor dem Gipfel erklärte er, wenn die CSU vor Merkel kapituliere, könne sie das Requiem zu singen anfangen. Es wäre zwar ein riesiger Fortschritt, wenn die CSU endlich einmal klassische Musik sänge, aber Seehofer dachte dabei an die anstehenden bayerischen Landtagswahlen.
Man wird wahrscheinlich versuchen, die Dinge noch einmal zu retten, aber das führt zu nichts – vor allem deshalb, weil die Gefahr eines neuen Finanzkrachs droht; sämtliche Finanzparameter sind etwa 40% schlechter als 2008. Der Schuldenstand, besonders bei den Unternehmen, und die Level-3-Derivate stehen alle 40% schlechter. Es besteht deswegen die Gefahr eines Absturzes ins Chaos.
Vor ein paar Tagen beschlossen die Verteidigungsminister von neun EU-Ländern, eine europäische Eingreiftruppe zu schaffen, um mit den Krisen auf der Welt umzugehen – eine ziemliche Anmaßung, wenn man es noch nicht einmal schafft, die gesamte EU hinter einem solchen Ansatz zu vereinigen. All das zeigt indes, daß von der EU und vom Westen insgesamt keine positive Initiative ausgeht, um die strategischen Probleme auf der Welt anzugehen.
Die ganz andere Perspektive
Aber es gibt eine ganz andere Politik und Perspektive. Vor fast fünf Jahren hat Präsident Xi Jinping die Neue Seidenstraße auf die Agenda gesetzt, als Mittel zur Wiederbelebung der antiken Seidenstraße, die dem Austausch von Gütern, Kulturen und Technologien diente und das Leben aller beteiligten Länder verbesserte. Inzwischen ist die Neue Seidenstraße, auch Belt and Road Initiative genannt, zum größten Infrastrukturprojekt der Welt geworden. Nach Darstellung des chinesischen Außenministers Wang Yi sind daran bereits 140 Länder beteiligt, die auf einer Win-Win-Basis zusammenarbeiten. Sechs große Korridore in Eurasien werden realisiert sowie Hunderte Projekte in Afrika, Lateinamerika und Asien – Bahnstrecken, Industrieparks, Wasserkraft.
Aber das ist nicht nur ein Wirtschaftsprogramm. Präsident Xi nennt dies eine „Gemeinschaft für die gemeinsame Zukunft der Menschheit“ – ein völlig neues Modell von Beziehungen zwischen Nationen, die sich eine Win-Win-Perspektive teilen, ihre nationale Souveränität und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen achten. Das ist ein ganz anderes soziales System.
Auf dem 19. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas entwickelte Xi Jinping eine weltweit beispiellose Vision für die nächsten 35 Jahre. Bis 2020 soll in China sämtliche Armut verschwunden sein. Nachdem China bereits 700 Mio. Menschen aus der Armut befreit hat, betreibt die Regierung jetzt ein gigantisches Programm, um sich um jeden einzelnen Haushalt zu kümmern, der noch in Armut lebt, und man kann absolut sicher sein, daß ihnen dies gelingt. Bis 2025 will China in mehreren Bereichen der Wissenschaft und Technologie führend sein. Bis 2035 soll China ein vollständig modernisiertes sozialistisches Land sein, und bis 2050 ein großes, modernes Land, blühend, stark, demokratisch, kulturell entwickelt, harmonisch und schön, wo Reichtum für jeden verfügbar ist. Die Chinesen werden glücklicher und sicherer leben und ein aktives Mitglied der Weltgemeinschaft sein.
Es ist außerdem für alle Parteimitglieder absolut verpflichtend, sich dem Gemeinwohl zu widmen, dem höchsten moralischen Standard zu folgen und sich mit ganzem Herzen für die Verbesserung des Lebensstandards der ganzen Bevölkerung einzusetzen. Xi Jinping berief sich auf die reiche kulturelle Tradition von 5000 Jahren und die wichtigen Beiträge, die China für die universelle Entwicklung der Menschheit gemacht hat. Er nannte es den chinesischen Traum, einen Beitrag dafür zu leisten, daß die gesamte Menschheit ein glücklicheres Leben führen kann, und daß wir eine schönere Welt schaffen.
Die chinesische Wirtschaft basiert auf Innovation, das politische System auf einer Meritokratie. Das gilt nicht nur für China selbst, denn China stellt den Entwicklungsländern die modernsten Technologien zur Verfügung, besonders im Bereich der Kernenergie, und es bietet allen die Kooperation bei der Weltraumforschung an.
Dieses chinesische Modell der Neuen Seidenstraße ist offenbar sehr viel attraktiver. Nach Jahrzehnten des Kolonialismus und der berüchtigten Auflagen von IWF und Weltbank vergibt China heute an Afrika und andere Entwicklungsregionen billige Kredite und sogar Zuschüsse. Zum ersten Mal kommt in vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens die Hoffnung auf, daß Armut und Unterentwicklung überwunden werden können und Arbeitsplätze für junge Menschen entstehen.
Die verschiedenen westlichen Denkfabriken, die den Fortschritt der Neuen Seidenstraße mehr als vier Jahre lang arrogant ignoriert haben, sind nun plötzlich aufgewacht und beobachten die unglaubliche Dynamik dahinter. Auf einmal tauchen zahlreiche entrüstete Artikel auf, die behaupten, China verfolge ganz andere Interessen, China sei ein autoritäres System usw.
Wenn man Leute im Entwicklungssektor fragt, denken sie genau das nicht. Sie denken, China gebe ihnen zum ersten Mal Hoffnung. Das Problem ist, daß die neoliberalen Eliten die Welt durch die geopolitische Brille sehen und sie darauf ihre eigenen Intentionen projizieren. Da ihre eigene Politik neokolonialistisch ist, können sie sich gar nicht vorstellen, daß es auf diesem Planeten ein Land gibt, das sich um das Gemeinwohl der gesamten Weltbevölkerung kümmert.
Konfuzius und Cusa studieren
Wenn China von einem Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken spricht, gehe ich persönlich davon aus, daß sich dies vor allem auf die 2500 Jahre des Konfuzianismus bezieht, der in China die vorherrschende Philosophie ist, ausgenommen nur die zehn Jahre der Kulturrevolution. Es ist unbedingt erforderlich, Konfuzius zu studieren, denn er vertritt ein Menschenbild, das dem alten Humanismus, den wir einmal in Europa hatten, sehr nahe kommt. Der Konfuzianismus vertritt die Idee des lebenslangen Lernens, und jeder Mensch hat das Potential, ein Junzi zu werden, was im wesentlichen ein Weiser bedeutet. Dahinter steht die gleiche Idee wie die schöne Seele von Friedrich Schiller: Wenn man sich durch lebenslanges Lernen entwickelt, gibt es Harmonie in den Familien. Wenn jeder sein gesamtes Potential umsetzen kann, ermöglicht dies Harmonie im Staat und Harmonie unter den Staaten.
Das geopolitische Establishment und die meisten normalen Bürger im Westen sind völlig unfähig, sich das auf der konfuzianischen Philosophie basierende Win-Win-Konzept vorzustellen, denn sie haben nur ein Nullsummenspiel im Kopf – einer gewinnt, der andere verliert.
Es gibt einen westlichen Philosophen, der der beste Pädagoge ist, um uns beizubringen, anders zu denken, und das ist Nikolaus von Kues mit seinem Konzept der coincidentia oppositorum – des Zusammenfalls der Gegensätze. In China ist er nicht bekannt; ich habe nur einen Professor für vergleichende Religion gefunden, der ihn kennt. Dabei war Nikolaus von Kues nicht nur ein religiöser Mensch, er war der Begründer der modernen Wissenschaftsmethode des souveränen Nationalstaats, des repräsentativen Systems, und auch wenn viele seine Argumente aus dem religiösen Bereich abgeleitet sind, haben sie dennoch eine ungeheure philosophische und wissenschaftliche Bedeutung.
Auf der Rückreise von Konstantinopel 1437-38, auf der er die Delegation der griechischen orthodoxen Kirche zu den Konzilen von Ferrara und Florenz begleitete, hatte er, so schreibt er, eine plötzliche Eingebung, die ihn alle Fragen in einem ganz anderen Licht sehen ließ, nämlich den Zusammenfall der Gegensätze. Das richtete sich direkt gegen Aristoteles, der immer argumentiert hatte, daß widersprüchliche Äußerungen nicht gleichzeitig wahr sein könnten. Cusa schrieb, daß dies das gemeinsame Axiom der gesamten bisherigen Philosophie gewesen sei, und Aristoteles habe dies nur am ausdrücklichsten formuliert. Dann zitiert er Philo von Alexandria, der sagte, die Logik des aristotelischen Denkens stehe auf keiner höheren Ebene als die Ratio der Tiere.
In einer sehr wichtigen Schrift mit dem Titel Apologia doctae ignorantiae („Verteidigung der belehrten Unwissenheit“), einer Gegenschrift gegen den Scholastiker Johannes Wenck, beschreibt Cusa, warum der Aristotelianismus eine mangelhafte Denkmethode ist, die nur zu einem methodologischen Hin und Her fähig sei. In seiner De Docta Ignorantia schreibt er:
„Nach diesen Worten mahnte mich der Meister, zu beachten, daß die wissende Unwissenheit einem hohen Turme gleich jeden zur Schau erhebe. ,Denn wer dort oben steht, übersieht alles, was der unten über das Feld Schweifende auf verschiedenen Wegen nach Spuren forschend sucht; er erblickt auch, inwieweit der Suchende sich dem Gesuchten nähert oder entfernt.’“
In einer anderen Schrift mit dem Titel De Visione Dei („Vom Sehen Gottes“) entwickelt er eine Pädagogik, wie man den Geist erziehen kann, um im Sinne der coincidentia oppositorum zu denken und so die geistige Mauer zu überwinden, hinter der sich die Ebene der Vernunft verbirgt. In De Docta Ignorantia spricht Nikolaus vom spirit universorum, der Religionen, Länder und Völker vereint, die alle Elemente der Unterscheidung sind, aber das Universum als Ganzes ist der vollkommenste Ausdruck für die Vorbedingung allen Seins.
Quodlibet in quolibet ist ein berühmter Satz des Nikolaus: „Alles hat Teil an allem“. Für die politische Ordnung bedeutet dies, die Vielfalt der Menschen läßt sich einbeziehen, ohne ihre besondere Identität zu verletzen, wegen der Gesamtheit der Ordnung, die es bereits gibt. Nach Nikolaus ist jeder Mensch ein Mikrokosmos, der in Keimform den gesamten Makrokosmos auf komplexe, unausgefaltete Weise in sich birgt, was sehr stark dem Monadenkonzept von Leibniz entspricht. Nach dieser Philosophie ist eine Friedensordnung nur möglich, wenn sich alle Mikrokosmen auf bestmögliche Weise entwickeln, daß die Entwicklung des anderen das reziproke Eigeninteresse eines jeden ist, damit Harmonie funktioniert.
Wenn man eine Lösung für die politischen Probleme von heute finden will, muß man im Sinne der coincidentia oppositorum denken; man muß zuerst an die gemeinsamen Ziele der Menschheit denken, denn das Eine hat eine höhere Ordnung als die Größe des Vielen. Deswegen erfordern Selbstvervollkommnung und Veredlung eine Zunahme der relativen potentiellen Bevölkerungsdichte als Vorbedingung für die Existenz zukünftiger Generationen.
Mein Ehemann Lyndon LaRouche hat in zahlreichen Schriften bewiesen, warum eine Zunahme der relativen potentiellen Bevölkerungsdichte und eine ständige Zunahme der Energieflußdichte zwingend erforderlich sind. Auf jedem gegebenen Technologieniveau erreicht man irgendwann einen Punkt, wo sich die Ressourcen und Kosten erschöpfen. Dies erfordert ständige qualitative Durchbrüche im Wissen über die physikalischen Prinzipien des Universums, eine ständig höhere Arbeitsteilung und immer mehr kreative Köpfe, die sich am grenzenlosen Fortschritt der Menschheit beteiligen.
Der spirit universorum ist heute die Neue Seidenstraße
Heute existiert der spirit universorum in Form des Geistes der Neuen Seidenstraße. Die Gemeinschaft der Nationen als Grundlage für das Gemeinwohl aller ist der einzige Weg, die Probleme von heute anzugehen. Diesen Geist spürt man in Asien, Lateinamerika und Afrika und auch in immer mehr europäischen Ländern. Nikolaus von Kues hat in einer Predigt zum Dreikönigsfest in Brixen am 6. Januar 1456 – von Kommentatoren eine „Hymne auf die Zivilisation“ genannt – die Künste und die Naturwissenschaften als großes Geschenk an die Menschheit bezeichnet, an dem sich jeder beteiligen müsse, so daß die Entwicklung nicht eines einzigen Menschen verlangsamt werde. Genau das ist die Rolle der Neuen Seidenstraße heute.
Der Geist der Neuen Seidenstraße hat den Gipfel von Singapur möglich gemacht, und in diesen Tagen finden weitere Gipfeltreffen statt, auf denen über den Bau von Eisenbahnstrecken entlang der West- und bald auch der Ostküste Nordkoreas gesprochen wird, wodurch Süd- und Nordkorea Anschluß an die chinesischen Transportkorridore und die Transsibirische Eisenbahn finden. Präsident Trump hat zugesichert, daß Nordkorea bald ein reiches Land sein werde, und China und Rußland sicherten ebenso zu, dabei eine wichtige Rolle zu spielen. In der chinesischen Global Times hieß es: „Die geographische Lage Nordkoreas prädestiniert das Land für eine Integration in die Belt and Road Initiative“, und das werde viel schneller geschehen, als man sich das vorstellen könne.
Wir schlagen vor, den gleichen Ansatz auch für Afrika zu verfolgen; statt einer Militarisierung der Flüchtlingspolitik brauchen wir einen Plan für die Neue Seidenstraße. Wenn die EU Milliarden von Euros für Lager und die Festung Europa ausgeben will, sollten wir dieses Geld lieber für Kredite zur Industrialisierung, die grundlegende Infrastruktur, für Wasserprojekte, Schnellbahnen, Magnetbahnen, Gesundheits- und Erziehungseinrichtungen, Raumfahrtprogramme und den Bau neuer Städte auf Grundlage modularer urbaner Entwicklung ausgeben. Wenn sich alle europäische Länder mit China, Indien, Japan und auch den Vereinigten Staaten zusammentun, um all dies mit den afrikanischen Staaten anzugehen, die Teil eines solchen Crashprogramms sein wollen, können wir eine Wende in der Flüchtlingskrise schaffen.
Dieser Ansatz erfordert eine leidenschaftliche Liebe für die Menschheit. Genauso hat sich der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed auf einer jüngsten Massenversammlung vor einer halben Million Menschen ausgedrückt, kurz bevor es zu einem Mordanschlag gegen ihn gekommen war: „Der einzige Weg, sich angesichts der ganzen Geschichte vorwärts zu bewegen, ist Vergebung und Liebe. Rache ist für die Schwachen. Und da die Äthiopier nicht schwach sind, brauchen wir keine Rache. Wir werden mit Liebe gewinnen.“
Handeln wir also entsprechend. Die Welt befindet sich in einem unglaublichen Aufruhr. Es ist sehr komplex, und ich glaube nicht, daß sich die Probleme durch noch so viele Einzellösungen überwinden lassen. Wir brauchen eine höhere Ebene der Vernunft, die die gesamte Menschheit vereint. Ich denke, wir haben das Ende einer Epoche, das Ende der Geopolitik erreicht. Wir müssen das neue Paradigma verwirklichen, d.h. im Sinne des Zusammenfalls der Gegensätze denken – dem, was Xi Jinping eine „Gemeinschaft der gemeinsamen Zukunft der Menschheit“ genannt hat. Wenn Europa überleben will, müssen wir die europäischen Länder dafür gewinnen.
Das Thema des anschließenden ersten Konferenzabschnitts lautete „Die Geopolitik und die Gefahr eines neuen Weltkriegs überwinden“. Erster Redner war Wladimir Morosow (47:18), der Programmkoordinator des Russischen Rats für Internationale Angelegenheiten (Russian International Affairs Council, RIAC), einer führenden Denkfabrik, die mit dem russischen Außenministerium verbunden ist. Er sprach über „Rußlands Rolle in der Neuen Weltordnung“ – einer Weltordnung, die auf der Wiederherstellung des gegenseitigen Vertrauens zwischen Mächten beruht, die bisher nur ihre eigenen Interessen verfolgten.
Rußlands Rolle in der Neuen Weltordnung
Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut und Frau Zepp-LaRouche persönlich für diese große Gelegenheit danken, hier heute bei Ihnen zu sein und mit den interessanten und hochgeschätzten Gästen über die Zukunft der globalen Weltordnung und die Rolle zu diskutieren, die verschiedene Länder, Regionen und auch Nationen darin spielen können.
Ich teile auch die Idee, daß es angesichts der gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Dynamik sowohl im globalen wie im regionalen und nationalen Maßstab höchste Zeit ist, daß wir offen über die Zukunft der internationalen Beziehungen diskutieren, und darüber, welche Prinzipien den Umgang zwischen den Staaten und Regionen leiten sollten.
Lassen Sie mich zunächst einmal einige Schlüsselideen darstellen, über die ich mit Ihnen sprechen möchte.
Erstens gibt es, auch wenn wir annehmen, daß die unipolare Welt mit der absoluten Vorherrschaft einer Supermacht schon bald enden wird, bisher keine Alternative, die klar und machbar und in greifbarer Nähe ist. Eine multipolare Welt, für die sich viele Länder schon lange einsetzen, kann keine bessere Alternative sein.
Zweitens wird Rußlands Rolle in der neuen globalen Ordnung mehr von der inneren Dynamik bestimmt sein als von der Komposition der Weltordnung selbst. Aber Rußland wird eine wichtige Rolle in all den verschiedenen Regionen und möglicherweise auch global spielen, und versuchen, nicht nur seine unmittelbare Nachbarschaft zu stabilisieren, sondern auch als eines der Bindeglieder in Eurasien wirken, sowie als Garant der globalen Sicherheit und Stabilität.
Drittens, und ich denke, das ist ein entscheidender Punkt, können wir die globale Ordnung nicht über Nacht ändern. Wenn wir eine evolutionäre Änderung wollen, anstelle einer revolutionären Änderung, die einen globalen Krieg implizieren würde, dann müssen wir uns zunächst darauf konzentrieren, das Vertrauen wieder herzustellen. Aber Vertrauen ist etwas, was wir nicht über Nacht wieder aufbauen können.
Es wird oft angenommen, daß die einzige Alternative zum gegenwärtigen Status quo eine multipolare Welt sei. Wenn wir über die Zukunft der Weltordnung sprechen, dann stimmt fast jeder in Rußland, in Europa, in China, im Nahen Osten überein, daß die wünschenswerte Weltordnung multipolar sein sollte. Aber die Idee der Multipolarität reicht zurück in die 1970er Jahre, mit dem Aufstieg der asiatisch-pazifischen Länder, mit der Schaffung der Trilateralen Kommission etc., und diese Ideen waren bis Mitte der 1990er äußerst populär.
Aber unsere Welt ist im Grunde immer noch nicht multipolar. Und wenn wir über Polarität sprechen – Multipolarität, Unipolarität – dann tendieren die Menschen dazu, verwirrt zu sein in Bezug auf die Definition, was Polarität ist.
Tatsächlich ist Multipolarität eine andere Version des Wiener Kongresses, eine Weltordnung, die beherrscht ist von einem Gleichgewicht der Mächte und die in mehrere Machtzentren geteilt ist, die miteinander um die begrenzten globalen Ressourcen konkurrieren. Auch wenn eine solche Ordnung auf den Interessen von mehr als einem Staat gründet, berücksichtigt sie nie die Interessen der kleineren Staaten, und die Staaten, die nicht Teil des globalen Gleichgewichts sind, werden von den global players übersehen. Diese Ordnung wird gewissermaßen eine Rückkehr zur Geopolitik sein – das, was wir alle vermeiden wollen, wenn wir über die Zukunft der globalen Ordnung sprechen.
Multilateralismus
Aber was kann die Alternative zur unipolaren und multipolaren Weltordnung sein? Es gibt eine wachsende Debatte in Rußland darüber, und wir haben kürzlich einen neuen Artikel unseres Generaldirektors veröffentlicht, in dem gesagt wird, eine Alternative zur Multipolarität könne der Multilateralismus sein. [„Warum die Welt nicht multipolar werden wird“, von Andrej Kortunow]. Dies könne die beste Alternative sein, die verhindert, daß die Welt in eine Konfrontation und damit in einen Weltkrieg abgleitet.
Der wesentliche Unterschied zwischen Multipolarität und Multilateralismus ist, daß der Multilateralismus auf einem Ausgleich der Interessen anstatt auf einem Gleichgewicht der Macht beruht. Eine solche Ordnung kann nur unzureichend auf den existierenden Strukturen des Westens aufgebaut werden, wie der NATO, der Europäischen Union, NAFTA, etc., sondern sie muß auch die UN, die G-20, die OECD, die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit, die Asiatisch-Pazifische Wirtschaftskooperation, und möglicherweise – möglicherweise! – können wir auch zu einer Art kollektivem Sicherheitssystem im Nahen Osten und Afrika gelangen.
Aber wir sollten berücksichtigen, daß das, was Donald Trump tut, ein Symptom institutioneller Ermüdung ist, nicht nur im Westen, sondern auch im Osten. Und deshalb müssen wir uns, wenn wir zu einer multilateralen Welt übergehen wollen, nicht nur auf die Institutionen konzentrieren, sondern auch auf die Regeln, die internationalen Regeln, und vor allem auf die Nichtweiterverbreitung [von Nuklearwaffen] und Hilfe bei der Entwicklung.
Wenn wir über Rußlands Rolle in der neuen globalen Ordnung sprechen, dann denke ich, daß Rußlands Rolle vor allem von seiner inneren Dynamik bestimmt sein wird. Putin hat seine letzte Amtszeit angetreten, und nun wird er sich wahrscheinlich mehr auf die einheimische Agenda konzentrieren als auf die internationale. Das bedeutet mehrere große wirtschaftliche Reformen, den Umgang mit den Pensionen, mit der Wirtschaftsleistung etc., und natürlich der Frage des Übergangs der Macht und der politischen Stabilität nach 2024.
Aber das bedeutet nicht, daß Rußland von der internationalen Bühne abtreten wird. Wir brauchen uns nicht in alle Fragen einmischen, die sich uns auf der Welt bieten, aber wesentlich für Rußlands Außenpolitik und Rußlands Position in der Welt ist, daß Rußlands höchste außenpolitische Priorität die innere und äußere Sicherheit ist. Das bedeutet, daß Rußland selbst nicht bereit ist, die Regionen an den Grenzen von Rußland zu destabilisieren, wie ihm immer wieder vom Westen vorgeworfen wird, sondern vielmehr bereit ist, seine militärische Macht einzusetzen und sogar nach Übersee zu projizieren, etwa im Nahen Osten, wie im Fall von Syrien, um die Stabilität zu fördern und die nationalen Interessen des Landes zu fördern.
Das ist etwas, was Rußland deutlich von der EU und China unterscheidet, die sich militärisch nicht in Übersee engagieren, aber auch von den Vereinigten Staaten, die sich ständig in globale Angelegenheiten einmischen, um kurzfristige Interessen zu verfolgen.
Zweitens ist Rußland zwar daran interessiert, seine Grenzregionen zu stabilisieren, insbesondere die gemeinsame Nachbarschaft zwischen der Europäischen Union und Rußland, zwischen Rußland und China, etc., aber Rußland wird mehr Gewicht auf die chinesische Gürtel- und Straßen-Initiative legen. Die Gürtel- und Straßen-Initiative ist für Rußland kein reines Wirtschaftsprojekt, das Rußlands Position als Umschlagsplatz und Bindeglied in Eurasien stärkt, sondern auch ein Weg, seine gefährlichste Nachbarschaft zu stabilisieren, was die zentralasiatischen Länder und Afghanistan betrifft, die möglicherweise explodieren könnten, wenn wir die Ausbreitung des Extremismus dort nicht aufhalten, und wenn wir den Menschen keine geeignete wirtschaftliche Alternative zum Drogenanbau und zum Terrorismus bieten. Und deshalb wird Rußland auch weiterhin mit China kooperieren, insbesondere durch diese gemeinsame Entwicklungs-Initiative, die Präsident Putin und Präsident Xi Jinping mit der gemeinsamen Entwicklung der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Gürtel- und Straßen-Initiative gefunden haben.
Wenn wir über die außenpolitische Identität Rußlands sprechen, dann bin ich eher skeptisch gegenüber der Idee des „Eurasianismus“ in der russischen Außenpolitik. Ich persönlich ziehe den Begriff der Europazifischen Macht vor; d.h., daß wir davon ausgehen müssen, daß Rußland ein europäisches Land ist. Aber es hat Zugang zur Pazifik-Region, es wird an allen Fragen und an allen Problemen, an allen Konflikten beteiligt sein, die sich in der Pazifikregion abspielen, und es kann auch als eine der Parteien dienen, die daran interessiert sind, diese Konflikte beizulegen, insbesondere im Fall von Nordkorea. Und noch wichtiger: durch seinen Zugang zur Asien-Pazifik-Region hat Rußland nicht nur eine besondere Beziehung zu China, sondern auch zur Republik Korea, Japan und auch zu den Vereinigten Staaten.
Wir können auch davon ausgehen, daß Rußland sich weiter in Syrien engagieren wird, insbesondere nachdem die Lage stabilisiert und der Terrorismus besiegt ist. Was Rußland immer wieder vorschlägt, abgesehen natürlich vom Wiederaufbau von Syrien unter Beteiligung der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten und natürlich auch Chinas, ist die Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems für den Nahen Osten, das nicht nur Syrien umfassen sollte, sondern auch Israel, Saudi-Arabien, Iran, China, die USA und die Europäische Union, und natürlich Rußland, als Garanten eines dauerhaften Friedens in der Region.
Die Idee der Eurasischen Landbrücke gefällt mir, aber sie ist nicht nur ein Infrastrukturprojekt, bei dem schnelle Bahnlinien von Deutschland nach Moskau gebaut werden, es geht auch um die Kontakte von Mensch zu Mensch. Solange wir immer noch Visaregelungen zwischen der Europäischen Union und Rußland haben, behindert dies die Kontakte von Mensch zu Mensch und den Austausch der Kulturen, den Austausch der Ideen und den Austausch von Chancen.
Und last but not least: Auch wenn wir alle verstehen, daß die globale Ordnung nicht über Nacht geändert werden kann, können wir doch einige Sofortmaßnahmen vorschlagen, die in der Zwischenzeit helfen können, die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen und insbesondere zwischen Rußland und den USA zu stabilisieren.
Das Gipfeltreffen von Helsinki
Ich denke, daß viele hier sehr viel von dem bevorstehenden Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin in Helsinki im Juli erwarten – vielleicht nicht soviel, wie man vom Trump-Kim-Gipfel erwartet hat, aber ich denke trotzdem, daß wir nicht zuviel von diesen Gesprächen erwarten sollten, vor allem, weil die beiden Länder mit ausdrücklichen Plänen kommen, die bilateralen Beziehungen wiederherzustellen und die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen wieder ins Gleis zu heben.
Aber ich denke, wenn dieses Gipfeltreffen stattfindet, dann wird dies ein großer Durchbruch sein gegenüber den letzten vier oder fünf Jahren, denn ich glaube, das letzte solche Gipfeltreffen war das vor sechs Jahren, 2012 zwischen Obama und Medwedjew. Und diese Gespräche können eine Atmosphäre des Vertrauens schaffen, und eine Atmosphäre der Kooperation, die helfen kann, die Beziehungen wieder auf Kurs zu bringen. Das gilt auch hinsichtlich des möglicherweise bevorstehenden Besuchs von Vertretern des US-Kongresses in Rußland.
Was könnten solche Sofortmaßnahmen sein?
Zunächst einmal müssen wir die diplomatischen Vertretungen der Vereinigten Staaten in Rußland und Rußlands in den Vereinigten Staaten wieder herstellen, denn die Ausweisung von Diplomaten behindert nicht nur den politischen Dialog, sondern auch Kontakte zwischen den Menschen – bis ein russischer Bürger ein Visum für die Vereinigten Staaten erhält, vergeht jetzt oft ein halbes oder ein ganzes Jahr, und ich denke, in den Vereinigten Staaten ist es genauso.
Sobald wir einen politischen Dialog haben, ist die wichtigste Frage, über die die beiden Präsidenten reden sollten, die Erhaltung der strategischen Stabilität. Dies umfaßt nicht nur den neuen START-Vertrag und seine mögliche Verlängerung, und die weitere nukleare Abrüstung, sondern auch die Zukunft des INF-Vertrags [über die nuklearen Mittelstreckenraketen]. Die Erhaltung des letzteren ist wesentlich für die Sicherheit in Europa, wenn wir einen immer größeren Rüstungswettlauf und eine mögliche, beispiellose Eskalation vermeiden wollen. Wir brauchen einen offenen Dialog nicht nur zwischen den Politikern, sondern auch zwischen den technischen Spezialisten einschließlich der Militärs über die Probleme, die wir bei der Umsetzung dieser Verträge haben und was wir tun können, um unsere Differenzen beizulegen.
Der nächste Schritt werden natürlich die Gespräche über Syrien und die Stabilisierung dieses Landes sein und natürlich darüber, den Terroristen die Kontrolle zu nehmen und an die legitime Regierung zurückzugeben. Und mit dem Problem der Ukraine umzugehen. Ich erwarte nicht, daß in Bezug auf die Ukraine viel geschehen wird, aber wenn wir diese Atmosphäre des Vertrauens haben und wenn wir diese Atmosphäre der Kooperation haben, dann werden wir in der Lage sein, sie zu lösen.
Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Fragen.
Dr. Xu Jian, Vizepräsident und Senior Research Fellow des China Institute of International Studies (CIIS) sowie Direktor des Akademischen Rats des CIIS sprach über „Die Umkehrung der Globalisierung und die Herausforderung für Chinas Außenpolitik in der Neuen Ära“. Die Veränderungen in der Weltordnung werfen eine Reihe fundamentaler Probleme auf, die das System der Globalisierung und der Marktwirtschaft hinterlassen hat. China schlage vor, eine Gemeinschaft der gemeinsamen Zukunft der gesamten Menschheit zu schaffen, eine Form der internationalen Beziehungen, die auf gegenseitigem Respekt und Win-Win für alle Seiten beruhe, der Entwicklung einer realen wirklichen Partnerschaft.
„Die Umkehrung der Globalisierung und die Herausforderung für Chinas Außenpolitik in der Neuen Ära“
Sehr geehrte Frau Zepp-LaRouche, verehrte Gäste, meine Damen und Herren,
ich freue mich sehr, hier an dieser Konferenz teilzunehmen.
Wir stehen heute vor einer Welt, in der sich grundlegende Änderungen vollziehen, darunter der Trend zur Multipolarität, eine sich intensivierende Konkurrenz zwischen den Großmächten und ein Trend zu Schwächung der globalen Steuerung und Koordination. Und einige dieser Trends machen diese Welt recht gefährlich. Vor diesem Hintergrund werde ich Ihnen daher meine Ansichten darüber mitteilen, wie wir diese Änderungen auf der Welt betrachten und analysieren sollten, was die wesentliche Orientierung der chinesischen Außenpolitik ist, und vor welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen China heute steht.
Zuerst will ich den Trend der Entglobalisierung analysieren. Wir haben bereits den Brexit gesehen, die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten und viele andere Phänomene, die die gewaltige Wirkung dieses Trends in der heutigen Welt zeigen. Die Umkehrung der Globalisierung und der Protektionismus im globalen Handel sind keine zufälligen Phänomene, es gibt einen tief wurzelnden Hintergrund für ihr Aufkommen, und sie sind eng verbunden mit einigen Problemen der Globalisierung.
Die prominentesten unter diesen Problemen sind die Ungleichheit der sozialen Verteilung und die ungleiche Entwicklung unter den Nationen. Ungleiche soziale Verteilung ist eine Schwäche, die der Marktwirtschaft innewohnt, aber die wirtschaftliche Globalisierung verschärft dieses Problem noch. In der Marktwirtschaft schwankt der Profit der unterschiedlichen wirtschaftlichen Faktoren deutlich, wobei der Unterschied zwischen Kapital und anderen Produktionsfaktoren der herausragendste ist.
Das Problem der ungleichen Entwicklung von Ländern, das sich aus der Globalisierung ergibt, ist so grundlegend wie komplex, und das zeigt sich auf zweierlei Weise, als Nord-Süd-Problem und als Ost-West-Problem. Für das Nord-Süd-Problem hat die Globalisierung nicht nur eine Gruppe von Schwellenländern hervorgebracht, die zum Aufschwung der Entwicklungsländer beitragen, sondern auch einige Länder marginalisiert. Solche Länder haben nicht nur einen begrenzten Nutzen von der Globalisierung, sie sind auch mit größeren Risiken und Druck konfrontiert. Daher vergrößert sich der Abstand zwischen ihnen und den entwickelten und den Schwellen-Ländern weiter. Diese Lage hat die politische und soziale Ökologie in diesen Ländern verschärft und ist auch einer der wesentlichen Faktoren in den fortgesetzten regionalen Konflikten und Unruhen.
Das Ost-West-Ungleichgewicht manifestiert sich vor allem zwischen den Schwellenländern und den entwickelten Ländern. Der unaufhaltsame Aufstieg einer großen Zahl von Entwicklungsländern in den letzten 20 oder 30 Jahren, insbesondere großer Schwellenländer, hat die Vorherrschaft der entwickelten Länder des Westens im internationalen Mächtegleichgewicht verändert. Die Weltarchitektur durchläuft Änderungen, die seit Jahrhunderten ohne Beispiel sind und die die Entwicklung der Multipolarisierung stark vorantreiben. Diese ungleiche Entwicklung hat wichtige positive Wirkungen auf den Fortschritt der menschlichen Gesellschaft.
Aber dieser Trend verschlimmert auch den Widerspruch zwischen den entwickelten und den aufstrebenden Ländern in der internationalen Ordnung, insbesondere nach der internationalen Finanzkrise waren die westlichen entwickelten Länder, darunter die Vereinigten Staaten und europäische Länder, mit vielen Entwicklungsdilemmas konfrontiert und die Widersprüche wurden deutlicher.
Schließlich ist die Umkehrung der Globalisierung auch das Resultat von Problemen bei der Gerechtigkeit und der ungleichen Entwicklung im Prozeß der Globalisierung. Die Lösung dieser ist eine gemeinsame Verpflichtung aller Teilnehmer der Globalisierung.
Chinas Außenpolitik in der Neuen Ära
Vor diesem Hintergrund wende ich mich nun Chinas Außenpolitik für die neue Ära zu. Beim 19. Nationalkongreß der KP China faßte Xi Jinping Chinas Sicht der Welt zusammen, indem er argumentierte: „Die Welt durchläuft große Entwicklungen, Transformationen und Anpassungen, aber Frieden und Entwicklung bleiben weiterhin die Aufgabe unserer Zeit.“
In diesem Prozeß, betonte Xi Jinping, „ist unsere Welt voller Hoffnung und Herausforderungen.“ Auf der einen Seite „schreitet der Trend zur globalen Multipolarität, zur wirtschaftlichen Globalisierung, zu IT-Anwendungen und zur kulturellen Vielfalt weiter voran, die Änderungen im System der globalen Gouvernanz und in der internationalen Ordnung beschleunigen sich, die Länder werden immer stärker vernetzt und voneinander abhängig, das globale Kräfteverhältnis wird ausgewogener und Frieden und Entwicklung bleiben irreversible Trends“.
Aber auf der anderen Seite „stehen wir als eine Welt vor wachsender Unsicherheit und destabilisierenden Faktoren. Dem globalen Wirtschaftswachstum mangelt es an Energie, der Abstand zwischen reich und arm wächst weiter, in einigen Regionen entwickeln sich oft Krisenpunkte, und unkonventionelle Bedrohungen der Sicherheit, wie Terrorismus, Unsicherheit im Internet, große Infektionskrankheiten und der Klimawandel breiten sich weiter aus. Als Menschen haben wir viele gemeinsame Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen.“
Es gibt zwei zentrale Säulen des Rahmens der chinesischen Außenpolitik in der neuen Ära. Die erste ist, „eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit aufzubauen, eine offene, inklusive, saubere und schöne Welt aufzubauen, die dauerhaften Frieden, universelle Sicherheit und gemeinsame Prosperität genießt.“ Die zweite ist, „eine neue Form der internationalen Beziehungen zu schmieden, auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, Fairneß, Gerechtigkeit und Win-Win-Kooperation“.
Daher ist der Grundansatz der chinesischen Außenpolitik, globale Partnerschaften zu entwickeln und die gemeinsamen Interessen mit anderen Ländern auszuweiten.
Drei Fallen
Trotzdem steht China nun vor enormen äußeren Herausforderungen, insbesondere drei Fallen und der Frage, wie mit der „Thukydides-Falle“, der „Kindleberger-Falle“ und der Falle des Kalten Krieges umzugehen ist.
Die erste Herausforderung ist, wie mit dem Paradox zwischen den beiden miteinander verbundenen Fallen umzugehen ist. Auf dieses Paradox hat zuerst Professor Joseph S. Nye von der Harvard-Universität hingewiesen, obwohl er es als ein Problem bezeichnete, vor dem die Vereinigten Staaten stehen. Nye argumentierte unmittelbar nach Trumps Amtsantritt in einem Artikel: „Als gewählter Präsident der Vereinigten Staaten, der die Politik seiner Regierung gegenüber China formuliert, sollte Trump sich vor den beiden Fallen hüten, die die Geschichte für ihn bereitet hat.“
Die eine ist die „Thukydides-Falle“. Das bezieht sich auf die Warnung des griechischen Historikers, daß ein schrecklicher Krieg ausbrechen kann, wenn eine etablierte Macht (wie die Vereinigten Staaten) Angst bekommt vor einer aufstrebenden Macht (wie China).
Prof. Nye zufolge muß sich Trump aber auch vor der ,Kindleberger-Falle’ hüten: „Charles Kindleberger, einer der geistigen Väter des Marshallplans, der später am MIT lehrte, argumentierte, daß die verheerende Dekade der 1930er Jahre verursacht wurde, als die USA Großbritannien als größte Macht ablösten, aber es versäumten, die britische Rolle bei der Sorge um das globale Gemeinwohl zu übernehmen. Die Folge war der Absturz des globalen Systems in Depression, Völkermord und Weltkrieg.“
Der interessanteste Punkt in Nyes Argument liegt in dem Dilemma, vor dem die Vereinigten Staaten stehen könnten, wenn sie versuchen, mit diesen beiden Fallen umzugehen. Auf der einen Seite kommt das Hauptproblem der Thukydides-Falle für die USA von „einem China, das eher zu stark als zu schwach erscheint“. Auf der anderen Seite könnte die Kindleberger-Falle entstehen, wenn China „eher zu schwach als zu stark erscheint“ – ein klares Paradox – um für das globale Gemeinwohl zu sorgen.
Leider scheint dieses Paradox auch für China zu gelten. In einer Zeit, in der die Regierung Trump eine Strategie des „Amerika zuerst“ verfolgt und sich darauf vorbereitet, die amerikanischen Beiträge zur Sicherung des globalen Gemeinwohls zu reduzieren, muß der Druck der Kindelberger-Falle auf China zwangsläufig wachsen. Wenn China sich weigert oder zögert, mehr Verantwortung bei der Sicherstellung des globalen Gemeinwohls zu übernehmen, dann ist fast sichergestellt, daß mehr Kritik zu hören sein wird, daß China weiterhin ein Trittbrettfahrer sei, anstatt zur bestehenden internationalen Ordnung beizutragen. Tut China aber das Gegenteil, und übernimmt mehr internationale Verantwortung, dann wird man unvermeidlich Vorwürfe hören, es strebe nach regionaler oder sogar nach globaler Hegemonie.
Liest man die Vorwürfe gegen China in der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA, die im Dezember 2017 von Präsident Trump unterzeichnet wurde, versteht man besser, wie ernst dieses Dilemma werden kann. Darin wird argumentiert, daß die USA „vor dreierlei Herausforderungen stehen – den revisionistischen Mächten Rußland und China, den Schurkenstaaten Iran und Nordkorea, und der Bedrohung durch transnationale Organisationen, insbesondere dschihadistische Terrorgruppen“. Insbesondere wird hervorgehoben: „China und Rußland fordern Amerikas Macht, Einfluß und Interessen heraus und versuchen, Amerikas Sicherheit und Prosperität zu erodieren. Sie sind entschlossen, die Volkswirtschaften weniger frei und weniger fair zu machen“, etc.
Deshalb muß China mehr tun, um die Kindleberger-Falle zu vermeiden. Gleichzeitig soll es weniger tun, um der Gefahr der Thukydides-Falle zu entgehen. China muß also ein Gleichgewicht finden.
Zusätzlich steht China unter den gegenwärtigen internationalen Bedingungen auch noch vor einer dritten Falle, der Falle des Kalten Krieges. Diese betrifft sowohl die Thukydides-Falle als auch potentielle Konflikte bezüglich der ideologischen Differenzen zwischen China und dem Westen. Wie Joseph Nye bezüglich der Thukydides-Falle zwischen China und den USA richtig sagt, „nichts ist unvermeidlich“, weil die Wirkung der Falle oft übertrieben wird. D.h. daß beide Mächte offene Konflikte vermeiden, weil sie genau wissen, daß die Kosten eines solchen Konflikts zu hoch sind.
Vertrauen bilden
Trotz dieser möglichen positiven Aussicht, offene militärische Konflikte zu vermeiden, werden China und die USA immer noch Gefahr laufen, in die Falle des Kalten Krieges zu tappen, wenn die beiden Seiten es versäumen, zwei Themenkomplexe anzugehen: Der eine ist die Stärkung des gegenseitigen strategischen Vertrauens, der andere, die Dämpfung der gegenseitigen Widersprüche im ideologischen Bereich.
Die Erfahrungen deuten darauf hin, daß beides nicht leicht zu erreichen ist. Das gegenseitige Vertrauen und Zutrauen in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen war in den vergangenen Jahrzehnten immer unzureichend. Was den ideologischen Faktor angeht, werfen die negativen Reaktionen der USA und der großen europäischen Länder auf China nach dem 19. Nationalkongreß der KPC einen großen Schatten.
Die schon erwähnte Nationale Sicherheitsstrategie der USA nimmt eine ziemlich harte Haltung gegenüber China ein, indem sie nicht nur von bilateralen Differenzen in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit spricht, sondern auch im ideologischen Bereich. Z.b. behauptet sie: „China und Rußland wollen eine Welt schaffen, die den amerikanischen Werten und Interessen entgegengesetzt ist“, und „dies sind grundlegende politische Dispute zwischen denen, die repressive Systeme befürworten, und denen, die freie Gesellschaften vorziehen.“ Auch europäische Länder wie Deutschland und Frankreich haben negative Äußerungen über Chinas Rolle in der internationalen Ordnung, seinem Ansatz gegenüber der globalen Regierungsführung und andere Fragen gemacht. Und der Handelskrieg, der sich zwischen China und den Vereinigten Staaten entwickelt, könnte zu einem Kalten Krieg führen, wenn er weiter eskaliert.
Die negative Haltung der westlichen Länder und der USA deutet darauf hin, daß ein pessimistischer Trend in den Beziehungen zwischen China und den westlichen Mächten aufkommt. Dies ist natürlich nicht gut für die Förderung von Frieden, Stabilität und Prosperität in der Welt. Daher sollten alle gemeinsame Bemühungen unternehmen, um zu verhindern, daß diese Trends sich weiter entwickeln.
Präsident Xi Jinping sagte vor der 70. Vollversammlung der UN: „Das größte Ideal ist die Schaffung einer Welt, die wirklich von allen geteilt wird. Frieden, Entwicklung, Gleichheit, Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit sind gemeinsame Werte der gesamten Menschheit und die hehren Ziele der Vereinten Nationen. Aber diese Ziele sind bei weitem nicht erreicht, und wir müssen unsere Bestrebungen fortsetzen, sie zu erreichen.“
Bei einer anderen Gelegenheit sagte er: „Kein Land kann die vielen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, alleine meistern. Kein Land kann es sich leisten, sich in die Isolation zurückzuziehen.“ Gleichzeitig zeigte er eine recht positive Haltung, indem er dazu aufrief: „Wir sollten unsere Träume nicht aufgeben, weil die Realität der Ungerechtigkeiten zu kompliziert ist. Wir sollten nicht aufhören, unseren Idealen zu folgen, weil sie außer Reichweite zu liegen scheinen.“
Ich denke, diese Konferenz bildet einen sehr guten Rahmen, das gegenseitige Verständnis zwischen China und den westlichen Ländern zu stärken.
Dritter Redner der Runde war Landessenator Richard Black aus Virginia (USA), der an die Konferenz eine Videobotschaft über „Das wahre Interesse der Vereinigten Staaten“ übermittelt hatte. Black verurteilte den „unerklärten Krieg“, den die Vereinigten Staaten gegen Syrien führen, das eine zentrale Rolle im Kampf gegen den internationalen Terrorismus spiele.
„Das wahre Interesse der Vereinigten Staaten“
Ich bin Senator Dick Black, und ich freue mich, zu dieser wichtigen Konferenz beitragen zu können. Meine Bemerkungen werden sich auf den Nahost-Konflikt und auf Amerikas unerklärten Krieg gegen das syrische Volk konzentrieren.
Unsere gegenwärtigen Aktionen gegen Syrien sind rechtswidrig und sie verletzen unsere vitalen nationalen Interessen. Noch wichtiger, sie bringen uns direkt auf den Weg in einen viel größeren und viel gefährlicheren und unberechenbaren Krieg gegen den Iran und seine Nachbarn.
Syrien ist das Gravitationszentrum des Kriegs gegen den Terror. In anderen Worten, sein Überleben als lebensfähiger, intakter Staat kann sehr wohl über den Ausgang des globalen Kriegs gegen den Terror entscheiden. Sollte es den Amerikanern gelingen, ihr seit langem verfolgtes Ziel zu erreichen und die syrische Regierung zu stürzen, dann könnte dies zu einer beispiellosen Ausweitung des dschihadistischen Terrors führen. Innerhalb weniger Monate würden der Libanon und Jordanien fallen, und das würde vermutlich Präsident Erdogan, den türkischen Diktator, dazu ermutigen, Horden kampferprobter Dschihadisten von den Schlachtfeldern zu vertreiben, damit sie die europäischen Nationen überrennen. Aus diesem Grund stellt Amerikas verbissene Feindschaft gegen den syrischen Nationalstaat eine klare und gegenwärtige Gefahr für Europa und die gesamte Zivilisation dar.
Lassen Sie mich klarstellen: Ich rede nicht als Pazifist. Ich habe 32 Jahre lang in Uniform gedient. Ich wurde im Kampf verwundet, als Fliegerverbindungsoffizier im 1. Regiment der Marineinfanterie, und ich führte 70 Kampfpatrouillen, meist bei Nacht, weit hinter den Linien des Feindes durch. Ich wurde bei einem Angriff verwundet und meine beiden Funker starben an meiner Seite. Davor flog ich 269 Kampfeinsätze als Hubschrauberpilot. Mein Flugzeug wurde bei vier Einsätzen von feindlichem Feuer getroffen. Schließlich diente ich als Divisionschef im Büro der Obersten Militärstaatsanwaltschaft im Pentagon. Dort bereitete ich Exekutivanordnungen für die Unterschrift des Präsidenten vor und vertrat die US-Armee bei Anhörungen des Kongresses.
Ich sage das, damit Sie wissen, daß ich unser Land liebe, ich habe dafür geblutet. Und ich respektiere die Männer und Frauen, die die Befehle ausführen, die ihnen gegeben werden, wenn wir sie in den Krieg schicken, auch wenn ich oft denke, daß diese Befehle außerordentlich schlecht beraten sind.
Ich bin zutiefst besorgt über die Richtung der amerikanischen Außenpolitik, insbesondere was Syrien betrifft, weil diese Nation ein wichtiges Tor zur Türkei und damit nach Europa ist.
Bevor der Syrienkrieg 2011 begann, war Syrien eines der fünf sichersten Länder auf der Erde. Es hatte die größten Frauenrechte und die größte Religionsfreiheit unter allen arabischen Nationen. Es war schuldenfrei, es erzeugte seine eigene Energie und Nahrungsmittel und viele Industrieprodukte, seine Volkswirtschaft war ausgewogen und das Land war autark. Syrien war seit 40 Jahren im Frieden mit Israel. 2013 – nur um den weltlichen Charakter des Landes zu zeigen – errichtete Syrien eine der größten Christus-Statuen der Welt, sie erhebt sich über Israel, Libanon und Syrien. Syrien ist ein vielfältiges Land. Es ist die Heimat für zwei Millionen Christen und zwei Millionen Alawiten – die Alawiten sind eine sehr moderne Bevölkerungsgruppe. Außerdem haben sie Drusen und eine große sunnitische und eine kleinere schiitische Bevölkerungsgruppe unter den Muslimen. Die große Mehrheit aller dieser religiösen Gruppen unterstützt die zentrale Regierung. Der Großmufti Ahmad Hassoun ist das geistige Oberhaupt der sunnitischen Muslime in Syrien. Ahmad ist ein unerschütterlicher Unterstützer des syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad.
In den sieben brutalen Jahren des Krieges hat die syrische Nation von etwa 23 Millionen Menschen sich gesammelt und den vereinten Kräften von zwei Dritteln der militärischen und industriellen Macht der Welt widerstanden. Aber trotz des ungeheuren internationalen Drucks gab es keinen einzigen Mordversuch gegen Präsident Assad, der die überwältigende und leidenschaftliche Unterstützung der Armee und der Bevölkerung genießt. Syrien stand der vereinten Macht der Amerikaner, Briten, Franzosen, Israelis, Türken, Katarer und Saudis gegenüber.
USA bewaffnen Terroristen
Nach jeder vernünftigen Definition befinden sich die Vereinigten Staaten im Krieg gegen Syrien. Seit 2012 betreiben die Vereinigten Staaten Ausbildungslager für Terroristen in Jordanien, der Türkei, Katar, Saudi-Arabien und nun auch in Syrien selbst. Wir haben den Terroristen Waffen, Munition, Ausbildung und Gehälter im Wert von zig Milliarden Dollars gegeben. Das geschah unter dem Geheimprogramm der CIA „Timber Sycamore“.
Nachdem dieses Programm enthüllt worden war, wurde es schnell eingestellt, aber amerikanisch finanzierte Waffen, Ausbildung und Arbeitkräfte fließen im Rahmen anderer verdeckter Programme immer noch ungehindert an Terroristen. Trotz dieses langen Angriffskrieges wurde kein einziger Terrorist jemals zu einer populären Figur unter den Syrern. Sie stehen felsenfest hinter Präsident Assad und den syrischen Streitkräften.
Denken Sie daran, daß es Al-Kaida war, das am 11. September 2001 Flugzeuge entführte und sie in die Twin Towers und in das Pentagon flog, und 3000 Amerikaner tötete. Trotzdem haben die USA sich im gesamten Syrienkrieg mit Al-Kaida und seinen Ablegern in Syrien verbündet. Praktisch jede der sogenannten „moderaten Rebellengruppen“ hat zeitweise Schulter an Schulter mit Al-Kaida oder ISIS gekämpft. Die vorherrschenden Dschihadisten haben geschworen, alle christlichen und alawitischen Männer zu enthaupten und ihre Frauen, Töchter und Kinder zu Sexsklaven zu machen. Aus diesem Grunde könnte ein Erfolg des amerikanischen Unternehmens in Syrien sehr wohl einen der größten Völkermorde der jüngeren Geschichte auslösen.
Im Gegensatz zur westlichen Propaganda war der Krieg niemals ein Volksaufstand. Präsident Assad ergriff keine harten Maßnahmen gegen anfängliche Demonstranten; tatsächlich ordnete er an, daß die Truppen für die Aufstandsbekämpfung mit Schlagstöcken auftraten anstatt mit Gewehren. Infolgedessen starben viele von ihnen durch die Hände von Al-Kaida und der Moslem-Bruderschaft, bevor er schließlich nachgab und ihnen erlaubte, sich mit geladenen Waffen zu verteidigen.
Die Giftgaslüge
Nun, lassen Sie mich etwas über die oft zitierte Behauptung sagen, Assad habe Giftgas eingesetzt und damit eine „rote Linie“ überschritten. Diese Behauptung ist absolut falsch. Der gleiche Propagandatrick wurde von der CIA auch schon als Vorwand benutzt, die Invasion des Irak zu starten. Diese Täuschung erwies sich als so erfolgreich bei der Schaffung der Voraussetzungen für den Irakkrieg, daß sie während des Konflikts in Syrien mehrfach eingesetzt wurde, um Präsident Assad vorzuwerfen, er vergase die eigene Zivilbevölkerung. Diese Lüge hat die Amerikaner dazu verleitet, sich immer tiefer in den Syrienkrieg zu verstricken.
Aber fragen Sie sich selbst: Wenn Syrien Giftgas einsetzen wollte, warum dann gegen Kleinkinder und ihre Eltern, anstatt sie in den verzweifelten Kämpfen, die im ganzen Land wüten, gegen ISIS und Al-Kaida einzusetzen? Giftgas wird nicht eingesetzt, um Nadelstich-Angriffe gegen zivile Ziele durchzuführen. Wenn es eingesetzt wird, setzt man es massiv ein, in Verbindung mit großangelegten Angriffsmanövern auf dem Schlachtfeld.
Jeder dieser drei Giftgasangriffe unter falscher Flagge, die von Al-Kaida und ihren Verbündeten inszeniert wurden, wurde überzeugend von dem respektiertesten Enthüllungsjournalisten der Welt widerlegt, dem Pulitzer-Preisträger Seymour Hersh – dem Mann, der den Bericht über das My-Lai-Massaker in Vietnam schrieb und über die Mißbräuche im Gefängnis von Abu Ghraib im Irak. Er hat heute besseren Zugang zu den inneren Vorgängen in der CIA und im Pentagon als irgendein anderer Journalist. Angesichts der vorhersehbaren Gegenreaktionen und des Fehlens jeglicher militärischer Vorteile in Syrien, wäre es vollkommen irrational für Präsident Assad, Giftgas einzusetzen.
Die USA streben schon lange einen Regimewechsel in Syrien an. Nach Aussage von General Wesley Clark, dem früheren Obersten Kommandeur der Alliierten Streitkräfte in Europa, begannen die Amerikaner schon 2001, Pläne für einen Umsturz in Syrien zu machen. WikiLeaks hat tatsächliche Geheimpläne veröffentlicht, die 2006 an der US-Botschaft in Damaskus ausgearbeitet wurden. Diese Pläne beschrieben detailliert Schritte zur Destabilisierung und zum Sturz der legitimen Regierung von Syrien.
2010 wurde Hillary Clinton US-Außenministerin: Sie setzte Pläne für den Umsturz in Libyen um, um dort das Waffenarsenal zu erobern und sie für die Bewaffnung der Terroristen in Syrien zu verwenden. Als Libyens Führer, Oberst Muammar Gaddafi, 2011 ermordet wurde, waren wir unter dem Vorwand einer „Flugverbotszone“ nach Libyen einmarschiert. Wir haben den Türken die Kontrolle über einen Flugplatz übergeben und dann begannen sie, die geplünderten libyschen Waffen in die Türkei zu fliegen, unter Einsatz katarischer Flugzeuge. Das erste Flugzeug, das von Libyen aus losgeschickt wurde, brachte auch 700 tunesische Terroristen, die dann über die türkische Grenze nach Syrien geschickt wurden.
Warum führt Amerika Kriege im Nahen Osten?
Von 2011 bis heute haben die USA gekämpft, um die vom Volk gewählte Regierung von Baschar Al-Assad zu stürzen und ein Marionetten-Regime zu installieren. Aber warum kämpfen wir überhaupt in Syrien? Warum kämpfen wir überhaupt irgendwo im Nahen Osten? Unsere eigenen Aktionen haben riesige Armeen von ISIS- und Al-Kaida-Terroristen hervorgebracht. Wenn wir nicht dort wären, würden der Irak und Syrien sehr schnell die letzten Überreste dieser Terrorgruppen zerschlagen und die Ordnung in ihren Nationen wieder herstellen. Kämpfen wir also dort, um amerikanischen Interessen zu dienen – oder ausländischen? Und schicken wir die mutigen amerikanischen Truppen als eine Art Fremdenlegion dorthin, die man mieten kann?
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, der brutale Diktator Saudi-Arabiens, soll gesagt haben: „Ich habe Kushner in der Tasche“. Einige glauben, daß Jared Kushner, der Zugang zu Geheimdienstinformationen des Präsidenten hat, die Namen von Saudis verraten hat, die dem saudischen Kronprinz gegenüber unloyal sind, kurz bevor der saudische Diktator Razzien gegen diese Dissidenten durchführen ließ. War das alles für den persönlichen Gewinn? Nun, Kriegsgewinnler haben sicherlich enorme Vermögen durch diese Krise angehäuft. Und wir wissen, daß unsere Koalitionspartner, Katar und Saudi-Arabien, sie stürzen wollen, um lukrative Öl- und Gaspipelines durch das Staatsgebiet von Syrien zu bauen.
Aber was mich erstaunt ist, daß die Amerikaner diese ständigen Kriege im Nahen Osten hinnehmen. Niemand spricht über ein Ende der Feindseligkeiten und eine Rückkehr zum Frieden. Im Gegensatz dazu wäre es aufschlußreich, daran zu erinnern, daß wir im Ersten Weltkrieg nur 17 Monate lang gekämpft haben, bevor die Politiker bereits versprechen mußten, daß dies der „Krieg zur Beendigung aller Kriege“ sein würde.
Nun, denken Sie darüber nach: Nach 17 Jahren bleiben wir entschlossen, gleichzeitig mehrere Kriege zu führen, bei denen kein Ende in Sicht ist. Es zerstört unsere militärischen Kräfte und es bankrottiert unsere Nation. Wie viele Amerikaner erkennen, daß ein volles Drittel der nationalen Schulden der USA durch die Kriege im Nahen Osten entstanden sind? Trotz amerikanischer Menschenleben, verwundeter Soldaten und vergeudeter Mittel, trotz anderthalb Millionen getöteter Libyer, Afghanen, Jemeniten, Iraker und Syrer, trotz Billionen an Sachschäden kann ich keinen einzigen Punkt finden, in dem diese Kriege irgend etwas für das amerikanische Volk oder für die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten getan haben. Statt dessen haben wir gewaltige Flüchtlingsströme geschaffen, die den westlichen Werten feindlich gesinnt sind und entschlossen sind, die europäischen Kulturen zu untergraben.
Wir haben diese Kriege begonnen, als wir es mit einer kleinen Zahl von Terroristen zu tun hatten. Jetzt, eine Generation später, haben wir ihre Reihen vertausendfacht, indem wir eben diese Terroristen bewaffnet, ausgebildet und finanziert haben. Wir haben ihnen reale Kampferfahrung verschafft, und sie sind heute die kampferprobteste Streitmacht der Erde.
Autobahnen statt Bomben
Das ist meiner Meinung nach ein selbstmörderischer Wahnsinn. Die enorme Angst und Verbitterung, die wir erzeugt haben, haben Generationen an Wohlwollen zerstört. Das macht es fast zu einer Gewißheit, daß China den Handel und den Einfluß, den die USA durch Angst und Gewalt ausüben wollten, durch friedliche Mittel verdrängen wird. Wenn die USA keine Friedensstrategie entwickeln, wird China uns als vorherrschende Macht auf der Welt ablösen. Unsere gegenwärtige Strategie läuft darauf hinaus, Regime auszuwechseln, indem wir Bomben regnen lassen, Häuser zerstören und Leichen auf die Straße sprengen. Im Gegensatz dazu baut China in aller Ruhe Autobahnen, Fabriken, Staudämme, Infrastruktur, ohne gewalttätige Putsche anzustacheln.
Nun, welcher Ansatz wird den ausländischen Nationen besser gefallen? Wenn sie die Wahl haben, werden sie sicherlich Chinas Brücken, Dämme und Fabriken den amerikanischen Bomben, der Zerstörung und dem Blutvergießen vorziehen.
Betrachten Sie nur den Irak: Von 1990an, als der Golfkrieg begann, bis heute haben die USA das Land fast ununterbrochen bombardiert. In diesem 28 Jahre langen Bombenkrieg haben wir mehr als eine Drittel Million Bomben auf den Irak abgeworfen, und die Zahl wächst noch immer. Erst in der letzten Woche haben wir – oder unser Verbündeter Israel – Truppen der Irakischen Volksmiliz bombardiert, 22 Menschen getötet und 12 verwundet. Diese Iraker kämpften gerade gegen ISIS – unseren angeblichen Feind. Der Angriff der letzten Wochen rundet 28 Jahre feindlicher Akte auf irakischem Territorium ab – gegen eine Nation, die ebenso wie Syrien niemals irgendwelche feindseligen Akte gegen die Vereinigten Staaten verübt hat.
Kommen wir auf Syrien zurück. Die USA, die einst „keine Stiefel auf dem Boden“ versprochen hatten, haben nun wahrscheinlich bis zu 8000 Soldaten, Marineinfanteristen und Auftragsnehmer in Syrien stationiert. Wir haben mindestens elf Stützpunkte in Nordostsyrien aufgebaut, eine Tatsache, die die Türkei 2017 zu unserer enormen Bestürzung bekannt gemacht hat. US-Truppen sind derzeit im Einsatz, um einen prekären, landeingeschlossenen Staat abzuspalten, indem sie der kurdischen Minderheit die Herrschaft über hauptsächlich arabisches Land im Nordosten von Syrien geben. Diese Region liegt zwischen dem Euphrat und der türkischen Grenze und umfaßt etwa 30% der syrischen Landmasse.
Nun, auch wenn es nur sehr dünn besiedelt ist, enthält es einen großen Teil der Öl- und Gasvorkommen und des landwirtschaftlichen Reichtums, der das gesamte syrische Volk erhält. Sollte der amerikanische „Plan B“ den Erfolg haben, Syrien zu spalten, dann werden die Menschen des Landes auf Dauer verarmen – all das nur zu dem Zweck, daß die USA die alten Handelsrouten, die Syrien, den Irak und den Iran miteinander verbinden, blockieren können. Das scheint Teil einer Strategie zu sein, den Boden für einen noch weit größeren Krieg zu bereiten, der noch bevorsteht.
Aber es gibt große Hoffnung für Syrien. Die syrischen Streitkräfte und ihre Verbündeten haben 90% der syrischen Bevölkerung befreit. Seit Rußland 2015 intervenierte, hat Syrien eine ununterbrochene Serie von Siegen auf dem Schlachtfeld errungen, fast alle großen Städte wurden durch die syrische Armee befreit. Nur der Widerstand der Vereinigten Staaten, Israels und der Türkei verhindert ein baldiges Ende des Krieges. Es ist höchste Zeit, daß die Vereinigten Staaten aus Syrien abziehen und den Nahen Osten verlassen. Wenn wir dort abziehen, wird eine Zeit des Friedens und der Versöhnung kommen. Flüchtlinge werden zurückkehren, und der Wiederaufbau wird sich beschleunigen.
Seit der Befreiung durch die syrischen Streitkräfte sind fast eine halbe Million Syrer in die zweitgrößte Stadt des Landes, das ist Aleppo, zurückgekehrt. Die Vereinigten Staaten könnten eine beeindruckende humanitäre Geste machen, indem sie einfach die Seeblockade gegen Syrien aufheben und indem sie die monetären Restriktionen aufheben, um dem Hunger, der Armut, dem Mangel an medizinischen Gütern, den wir ihrem Volk aufgezwungen haben, ein Ende zu setzen.
Die Amerikaner sind gute und anständige Leute. Unser Land ist besser, als es seine Außenpolitik vermuten läßt. Wir müssen aufhören, Gewalt auszuüben, indem wir Terrorgruppen unterstützen, und den Frieden auf der Welt wiederherstellen.
Vielen Dank.
Der frühere Luftwaffenpilot und NATO-Planer Oberstleutnant a.D. Ulrich Scholz (1:49:35) sprach über „Interessen-Monster: Demokratie, Menschenrechte und andere Heucheleien“. Menschlichkeit und menschliche Interaktion seien Prinzipien, die in der heutigen Politik völlig fehlen, Politiker sprächen von „Werten“ und „Menschenrechten“, um Kriege zu rechtfertigen, aber tatsächlich dienen die Kriege nur der Durchsetzung von Interessen. Anstelle der Einschüchterungsstrategien, die heute in der westlichen Politik vorherrschen, müsse ein Ausgleich auf der Grundlage des Respekts vor den Interessen des anderen gefunden werden, man müsse über Menschenrechte nicht nur reden, sondern sie auch praktizieren. Wenn man an der Politik der Angst, der Kriege und der Einschüchterung festhalte, dann werde dies zum Nuklearkrieg führen.
„Interessen-Monster: Demokratie, Menschenrechte und andere Heucheleien“
Guten Morgen. Vielen Dank, Frau Zepp-LaRouche und Herr LaRouche, daß Sie mich wieder eingeladen haben, das zu sagen, was mir im Geist und am Herzen liegt.
Ich war schon vor zwei Jahren hier und habe über den Krieg als Pathologie des Westens gesprochen, und dieses Bild, das sie hier sehen (Abbildung 1), habe ich auch schon in meinem ersten Vortrag verwendet. Für diejenigen unter Ihnen, die diesen Film nicht kennen: es stammt aus der letzten Szene des Films „Planet der Affen“. Und er zeigt, was mit der Erde geschieht, wenn sie das tun. Wenn sie nicht lernen, daß Krieg kein Mittel zur Lösung von Problemen ist, dann könnte die Erde so enden. Deshalb verwende ich dieses Bild in allen meinen Vorträgen, und ich hielt es für angemessen, das auch hier wieder zu tun.
Nur ein paar Worte über mich selbst. Ich will hier nicht auf Details eingehen, aber im ersten Drittel meiner militärischen Karriere flog ich Phantoms und Tornados. Im zweiten Drittel plante ich Kriege. Erst im dritten Drittel meiner militärischen Karriere habe ich den Krieg verstanden. Und jetzt, in meiner letzten Phase, versuche ist herauszufinden, warum wir das immer noch tun, und wie wir das ändern können.
Ich möchte mit einem Zitat von George Bernard Shaw beginnen, der einmal sagte: „Manchmal zitiere ich mich selbst. Das bringt die Würze in die Konversation.“ Ich möchte mich hier gerne selbst zitieren. Im März 2003 war ich an der Queens University in Kingston und lehrte dort Sicherheitspolitik, und ich hielt dort einen Vortrag vor örtlichen Geschäftsleuten und Politikern, sechs Wochen, bevor George Bush im Irak einmarschierte. Und das war mein Thema. Mein amerikanischer Kollege argumentierte für den Krieg, und ich argumentierte gegen den Krieg. Und manchmal – ich wußte nicht, was geschehen würde, aber ich hatte das Gefühl, daß wenn wir nicht der UN die Führung der Welt übergeben, daß wir dann da enden würden, wo wir heute sind. Und wir sind genau da angekommen.
Danach durchlief ich mehrere Lernprozesse. Ich dachte darüber nach, wie man die UN verändern könnte, und ich denke, was wir brauchen, ist keine organisatorische Veränderung, aber das Vetorecht sollte gestoppt werden.
Ich denke, das Problem ist nicht die Organisation. Das Problem ist vielleicht, daß die UN, die in ihrer wichtigsten Mission gescheitert ist, das ist die Erhaltung des Friedens auf der Welt, sich mehr darauf konzentrieren sollte, die Interessen auszugleichen. Und dieses Wort habe ich heute morgen oft gehört. Ich denke, das Problem ist, daß Nationen Interessen haben und wir darauf keine Rücksicht nehmen, gerade die großen.
Und das zweite ist die menschliche Seite der Gespräche über Interessen. Wir interagieren als Menschen, was auf der Mikroebene funktioniert, in den Familien, was sehr gut funktioniert, wenn wir versuchen, Konflikte beizulegen – aber wir mißachten diesen Aspekt, wenn es um Politik geht. Sie betrachten die NATO und die amerikanischen Regierungsorganisationen, aber sie sind immer noch Menschen, und wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, wie wir diese Menschen zusammenbringen.
Durchsetzung von Interessen
Kommen wir auf die Heucheleien. Dies ist ein Bild von Desert Storm: Der Westen hat seit 1990 viele Male Krieg geführt – Kosovo, Libyen, mehrmals Irak, Afghanistan. Und alle diese Kriege werden immer gerechtfertigt, entweder „Wir tun dies im Interesse der internationalen Gemeinschaft“ – was immer das ist -, oder sie tun es unter der Flagge der UN und reden von „Schutzverantwortung“ oder „humanitären Interventionen“. Ich argumentiere – und ich kann es auch beweisen, aber das will ich heute nicht tun – daß das alles nur Vorwände sind, es ist Heuchelei. Der wahre Grund für den Westen ist, daß es um Interessen geht.
General Horner machte eine interessante Äußerung, bevor der Krieg begann. Bevor er seine Piloten losschickte, um den Irak zu bombardieren, sagte er seinen Piloten: „Es gibt kein Ziel im ganzen Irak, dass es Wert ist, dass man dafür stirbt. Werft also eure Bomben ab, aber wenn es zu gefährlich wird, bringt eure Bomben zurück.“ Und ich möchte dieses Zitat etwas weiter fassen, ich würde sagen: Es gibt keine Ziele auf der Welt, die es wert sind, daß man dafür tötet.“ [Applaus.]
Ich habe meine Generalstabsausbildung in Amerika gemacht, ich war am Air War College der US Air Force. Ich mag die amerikanische Denkweise, und ich mag die Amerikaner. Es sind viele gute Leute unter ihnen. Dies hier ist aus Obamas Nationaler Sicherheitsstrategie, und er sagt darin ganz, ganz klar, daß es um Interessen geht. Sie können das im Internet lesen, Sie können diese Seite aufrufen, und Sie können dort lesen, daß Amerika dort hingeht, und daß es dabei allein um Interessen geht. Es geht ihnen um Interessen, und nicht um Werte. Und ich will diesen Punkt beweisen, daß es nicht um Werte geht.
Ich möchte Ihnen einen Einblick in die Philosophie der amerikanischen Außenpolitik geben. Das beginnt mit Thomas Hobbes, dem englischen Philosophen des 17. Jahrhunderts, der das Buch Der Leviathan geschrieben hat. Das ist ein Monstrum aus der Antike, und Hobbes nutzte das als Bild für den allmächtigen Staat. Er erlebte die Brutalität des englischen Bürgerkriegs im 17. Jahrhundert, und er sagte, um das Interesse der Menschen zu gewinnen, brauche man einen starken Staat.
Und das ist sozusagen die Bibel der amerikanischen Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurde verfaßt von Hans Joachim Morgenthau, einem in Deutschland geborenen Politikwissenschaftler, der das berühmte Buch „Politik zwischen den Nationen“ geschrieben hat. Die amerikanische Außenpolitik beruht auf Morgenthaus Philosophie.
Abb. 2: Kernpunkte der außenpolitischen Philosophie von Hans Joachim Morgenthau:
1. Politische Macht dient Interessen.
2. Ausgleichen, nicht einschüchtern
3. Werte sind Interessen = Heuchelei
4. Die Grenzen universeller Werte
Abb. 2: Kernpunkte der außenpolitischen Philosophie von Hans Joachim Morgenthau:
Ich habe hier die vier wichtigsten Kernpunkte dieser Philosophie ausgesucht (Abbildung 2). Der erste davon ist selbstverständlich. Politische Macht dient Interessen – sie dient den Interessen des Volkes. Und ich denke, die Neocons haben seit 1990 sehr oft gegen diesen wesentlichen Punkt verstoßen. Sie zogen in den Krieg, aber nicht wegen eines Interesses, sondern wegen etwas anderem. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.
Es geht also um Interessen. Und ich komme gleich auch noch auf die anderen Punkte, zwei, drei und vier.
Morgenthau differenziert hier und sagt, wenn man Politik im Interesse der Menschen führen will, dann muß man die Interessen auf der Welt ausgleichen. Das ist der ethische Weg, Außenpolitik zu betreiben, und nicht, andere einzuschüchtern, was das Konzept der Neokons ist, wie man den Interessen dient: Entweder marschieren sie ein, um andere zu bedrohen, oder sie marschieren ein, um sie zu beherrschen. Und seit 1990 hat das niemals funktioniert – es wurde nur immer schlimmer! Und wenn es wirklich schlimm wird, dann hat man globalen Terrorismus als perpetuum bellum, und im schlimmsten Fall einen nuklearen Krieg. Wir müssen die Interessen ausgleichen, und die Neue Seidenstraße ist ein Projekt, das in diese Richtung führt.
Grafik: Ulrich Scholz
Angst/Ethik
Ich möchte eine kleine Zeichnung nutzen, um die beiden Seiten der US-Außenpolitik oder der westlichen Außenpolitik zu zeigen, wenn sie Interessen vertritt (Abbildung 3). Da ist der Weg der Neokons, das zu tun. Wenn man sicherstellen will, daß die Welt sich zu seinen Gunsten verhält, dann marschiert man präventiv in ein Land ein, man spielt ein Nullsummenspiel, oder man schummelt, wie man es in einem Nullsummenspiel tut, wie es die Amerikaner mit Rußland getan haben. Wenn Sie zwei plus machen, dann mache ich zwei minus. Nach dieser Haltung ist mein Gewinn dein Verlust, und das führt zum Krieg, das ist jedenfalls meine Erfahrung. Regimewechsel führen zum Krieg.
Der andere Weg, der meines Erachtens zu wenig Beachtung findet, ist der Ausgleich der Interessen. Und dazu braucht man menschliche Eigenschaften wie Empathie, Toleranz, das Anstreben von Win-Win-Situationen, gegenseitigen Respekt und Gewaltlosigkeit.
Wenn Sie die Ursachen betrachten, die diesen beiden Haltungen zugrunde liegen – und damit komme ich in den Bereich der Psychologie, meine Frau hat Psychologie studiert. Und als ich ihr das zeigte, da war sie bei der Sache, weil die eigentlichen Ursachen wirklich sehr menschlich sind.
Man braucht gar nicht über Menschenrechte zu sprechen, man muß nur diesen Geist des Ausgleichs haben, dann ist man auch ethisch. Jemand hat einmal gesagt, Ethik ist wie ein unterirdischer Wasserstrom, der mit dem einhergeht, was man tut und sagt, was man ist – dann ist man auch ethisch. Man kann das nicht als ein Ziel oder etwas in der Art verkünden.
Und Interessen, und da sind wir dann wirklich im Bereich der Psychologie, sind von Angst getrieben. Beim Einschüchtern flößen wir den Anderen Angst ein, und ich würde sagen, ein Psychologe würde sagen: man hat auch selbst Angst, und deshalb ist man aggressiv.
Wie kann man das ändern? Wie können wir dieser Haltung beikommen, daß wir in der Politik sozusagen dem Strom der Angst folgen?
Vertrauen. Dieses Bild (Abbildung 4) zeigt die arabische Delegation 1919 in Paris, und Sie sehen hier Faisal, den Sohn des Emirs von Jerusalem, und rechts von ihm Lawrence of Arabia, T.E. Lawrence, der junge britische Archäologe, der vor dem Krieg als Archäologe auf der Arabischen Halbinsel wirkte, und der ein Freund von Faisal wurde. Das haben die Briten natürlich ausgenutzt – er wurde Offizier, Major, und führte die Araber gegen die Türken, um den Briten zu helfen, den Krieg zu gewinnen. Und als sie nach Paris kamen, um ihre Belohnung abzuholen, da haben die Briten und die Franzosen das Versprechen vergessen. T.E. Lawrence trug die arabische Kopfbedeckung, und seine Vorgesetzten haben sich darüber geärgert, aber so zeigte er seine Solidarität mit seinen arabischen Freunden. Es war also Freundschaft, jenseits aller Religion und Kultur, und er konnte die Araber bewegen, daß sie auf ihre Weise hilfreich waren.
Und ich würde sagen, wenn wir dieses Vertrauen heute in der Politik erreichen wollen, dann brauchen wir Menschen, die sich auf allen Ebenen der Diplomatie, der Politik, der Wirtschaft engagieren, wo wir zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen, die nicht nur auf Empathie, sondern auf Sympathie beruhen. Wir brauchen Leute, die sich gegenseitig mögen. Und dann können wir langfristige Beziehungen entwickeln.
Diese Leute müssen keine Experten sein, sie müssen nur dabei sein. Und wenn wir in einen Konflikt geraten, dann sollten sie die Gespräche führen und den Konflikt lösen.
Und last not least – ich will hier nicht weiter ins Detail gehen – last not least, denke ich, haben wir ein großes Defizit in der Bildung. Wir alle. Denn wenn wir in die Welt hinausgehen, dann denken wir immer, wie betrachten die Welt so, wie sie ist. Ich möchte Ihnen dazu dieses Bild zeigen. Dies (Abbildung 5) ist ein Bild der zweiten Ordnung der Kybernetik. Wenn Sie diesen verbogenen Nagel anschauen, dann hängt es davon ab, aus welchem Winkel sie ihn betrachten – je nachdem sieht er anders aus. Und wenn man versucht, jemanden zu überzeugen, daß die eigene Sichtweise die richtige ist, dann haben wir gleich einen Konflikt. Wir haben also diese beiden Kerlchen, die es aus verschiedenen Winkeln betrachten, und jeder denkt, er sieht es auf die richtige Weise.
Was wir tun sollten, und das ist eine Dynamik der zweiten Ordnung, wir sollten uns darüber erheben und auf uns herabschauen, auf den anderen und auf uns selbst, vielleicht sind wir das Problem, unsere Sichtweise. Und das ist der systemische Ansatz, das ist Kybernetik der zweiten Ordnung, und es ist sehr einfach. Aber die Menschen da draußen, auf der Mikroebene und auf der Makroebene, glauben immer noch, daß die Art und Weise, wie sie die Dinge wahrnehmen, etwas mit Wahrheit zu tun hat. Und das ist für mich bereits der erste Schritt in einen Konflikt, der dann vielleicht sogar gewalttätig werden kann.
Dabei möchte ich es belassen, denn ich bin da mitten drin. Ich unterrichte im Moment Kinder, und ich versuche, ihnen dieses Denken beizubringen. Es ist nicht nur Empathie, es geht darum, sich selbst zu betrachten. Denn vielleicht sind wir das Problem, die Art, wie wir denken. Vielen Dank.
Der Vortrag von Oberst a.D. Alain Corvez, ehemaliger Berater des französischen Verteidigungs- und des Innenministeriums, hatte das Thema: „Die amerikanische Verweigerung einer multipolaren Welt macht den Übergang schmerzhaft“. Präsident Trump habe den Staat im Staat in den Vereinigten Staaten herausgefordert, jene verdeckte Oligarchie, die ihn gezwungen habe, die Militärinterventionen fortzusetzen. Diese brutale Politik sei nicht im Interesse des „Europa der Nationen“, wie es de Gaulle nannte. Für Frankreich sei die Frage, wann es endlich Saudi-Arabien und Katar wegen deren Aggressionspolitik im Nahen Osten, gegen Syrien und Jemen, verurteilen werde? Auch die von der EU verhängten Sanktionen gegen den Iran seien nicht im Interesse des wahren Europa. Das jüngste Treffen der SCO habe eine Alternative zum G-7-Gipfel der Mächte des alten Paradigmas aufgezeigt.
„Die amerikanische Verweigerung einer multipolaren Welt macht den Übergang schmerzhaft“
Die Welt ist in eine Phase ständiger Turbulenzen eingetreten, infolge der immer brutaleren Konfrontation zwischen der alten, von den USA dominierten unipolaren Welt – eine Dominanz, die durch den Kollaps der Sowjetunion gerechtfertigt war, die bis dahin ihr einziger wirklicher Gegner im Gleichgewicht des nuklearen Schreckens war; einer unipolaren Welt, die sich weigert, die neue Realität des Entstehens anderer Mächte zu akzeptieren, die logischerweise ihre eigenen Forderungen an die Führung in der Welt haben.
Diese multipolare Welt ist seither eine unvermeidliche Realität geworden, und der Kandidat Trump hat dies offenbar während seines Wahlkampfs verstanden. Die Länder, die sich unter der anfänglichen Bezeichnung BRICS versammelt haben, organisieren sich auf strategischer und wirtschaftlicher Ebene, um eine neue Welt der Zusammenarbeit zwischen souveränen Staaten anzustreben; einige Staaten sind Nuklearmächte, andere klassische Mächte, die einen wichtigen Einfluß ausüben, wie Brasilien, Südafrika und Iran.
Getrieben von dem amerikanischen „deep state“, sah sich Präsident Trump nach seiner Wahl gezwungen, die repressive Politik der versteckten Oligarchie zu betreiben, die tatsächlich die Vereinigten Staaten regiert, und die Grausamkeiten gegen Staaten zu verstärken, die ihre Vormachtstellung anfechten, die durch nichts mehr gerechtfertigt ist: Schläge gegen Syrien bei verschiedenen Anlässen unter fadenscheinigsten Vorwänden, Drohungen, Nordkorea unter einer Welle von Feuer und Blut verschwinden zu lassen, robuste Interventionen in verschiedenen Ländern wie Afghanistan, Somalia, Jemen (zusammen mit ihrem saudischen Verbündeten), Afrika, wo sie ihre Militärpräsenz verstärkt hatten, Drohungen, das gleiche in Kuba und Venezuela zu veranstalten.
Kurz, die Vereinigten Staaten wollen die Unipolarität der Welt wider alle Vernunft ausdehnen, dabei angeregt und sogar getrieben von Israel, das sich seine Existenz nur in permanentem Konflikt mit seinen Nachbarn vorstellen kann, ungeachtet der UN-Resolutionen, die zur Zurückhaltung gegenüber der einheimischen palästinensischen Bevölkerung auffordern, die es rücksichtslos unterdrückt und der es die grundlegendsten Rechte verweigert. Die Brutalität seines Verhaltens gibt uns zu denken, daß dieser Schurkenstaat weiß, er repräsentiert eine geopolitische Inkongruenz, die von den meisten Nationen verurteilt wird und die nur möglich ist wegen der bedingungslosen Unterstützung durch die Vereinigten Staaten, deren Politik er durch die Finanzmacht seiner zionistischen Netzwerke kontrolliert.
Um die repressive Seite dieser Politik zu untermauern, verletzte Donald Trump das Völkerrecht erneut, indem er entschied, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen und den von seinem Vorgänger und fünf Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland am 14. Juli 2015 mit dem Iran unterzeichneten Vertrag aufzukündigen. Die USA werfen dem Iran vor, für den islamischen Terrorismus verantwortlich zu sein, während im Gegenteil der Iran an vorderster Front dagegen kämpft und die USA einen wachsenden schädlichen Einfluß im Nahen Osten ausüben, der paradoxerweise das Ergebnis der militärischen Interventionen im Irak und Jemen durch Trumps Vorgänger ist.
Europa sieht seinem Schicksal ins Auge: ein historischer Augenblick
In diesem kriegstreiberischen Umfeld sieht sich die Europäische Union in einem entscheidenden Moment ihrer Geschichte, zerrissen zwischen ihrem Atlantizismus, der seit ihrer Gründung durch Verträge verstärkt wurde, die sie an die Atlantische Allianz und die NATO binden, einerseits, und andererseits ihren wirtschaftlichen und strategischen Interessen, die sie zu einer Entente und Zusammenarbeit mit dem Iran und Rußland bringt.
Die EU war in den Augen der Vereinigten Staaten im letzten Krieg eine „Festung“, die sie kontrollieren mußten, ursprünglich gegen die UdSSR und heute gegen Rußland. Es ist offensichtlich, daß die europäische Führung nicht weiß, wie sie sinnvoll auf die amerikanische Aufkündigung des Nuklearabkommens mit dem Iran reagieren soll. Sie versucht, die amerikanischen Sanktionen gegen ihre Unternehmen zu umgehen, die wichtige Geschäfte in diesem Land betreiben, ohne jedoch die perverse Bindung an ihren Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks abzubrechen. Unter dem Druck dieser Sanktionen und der öffentlichen Meinung in den Mitgliedsstaaten, die ihre wirtschaftlichen Richtlinien scharf kritisieren, ist die EU in ihren Grundfesten erschüttert. Der Augenblick scheint für sie gekommen zu sein, endlich zu begreifen, daß ihre Interessen denen der imperialistischen USA entgegengesetzt sind und daß sie sich von dieser tödlichen Bevormundung emanzipieren muß. Der Rückzug Donald Trumps aus dem Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan (JCPA) ist der erwartete Moment, um endlich das Europa der Nationen aufzubauen, das General de Gaulle wollte. Ansonsten wird es der impotente Wirtschaftsriese bleiben, der es seit seiner schlecht durchdachten Vergrößerung politisch geworden ist, denn die EU ist lediglich eine technokratische Organisation, die aufgrund ihrer supranationalen und föderalen Formen, die für die Diversität von Völkern und Nationen, aus denen sie besteht, völlig ungeeignet sind, zu keiner politischen Existenz fähig ist.
Es ist traurig, sich daran zu erinnern, daß der General all dies bereits vorausgesagt hatte, wie André Malraux in seinem Buch Les Chênes qu’on abat… (dt: „Eichen, man fällt“ berichtet. Es ist die Geschichte seines vortrefflichen Dialogs in Colombey am 11. Dezember 1969, weniger als ein Jahr vor dem Tod des Generals:
„Ich empfand es nie als gut, das Schicksal eines Landes jemandem anzuvertrauen, der verschwindet, wenn das Land bedroht wird. Übertragen wir ihm lieber [die Verantwortlichkeit für] Europa! … Letztendlich habe ich getan, was ich konnte. Wenn wir mit ansehen müssen, daß Europa stirbt, so soll es so sein; das geschieht nicht alle Tage.“
Es scheint jedoch nicht so zu sein, daß die EU die Richtung der Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten einschlägt, wenn man sieht, daß Frankreich die USA in Syrien unterstützt, indem unsere Armee illegal losgeschickt wird, um das amerikanische Vorgehen gegen die von Präsident Baschar al Assad vorgeschlagene politische Lösung zu decken, welche von Rußland, dem Iran und der Türkei unterstützt wird, auch wenn die Rolle der letzteren zweideutig bleibt. Allen ist klar, daß die amerikanisch-europäische Option, Syrien aufzuspalten und seinen rechtmäßigen Präsidenten zu beseitigen, gescheitert ist, und daß wir gut beraten wären, unsere Diplomatie darauf auszurichten, endlich den Dialog mit Syrien unter Baschar al Assad wiederaufzunehmen.
Ganz ähnlich warten wir nach wie vor darauf, daß die französische Regierung die Verbrechen verurteilt, die von Saudi-Arabien mit Unterstützung der Vereinigten Staaten und Großbritanniens im Jemen begangen werden; schlimmer noch, wir haben kürzlich erfahren, daß der französische Präsident entschieden hat, die französische Armee nach dem Jemen zu schicken, um die Minen am Hafen von Hodeidah zu räumen, dem wichtigsten Zugang für alle humanitäre Hilfe. Wenn dies ein Versuch ist, eine Vermittlerrolle zwischen den verfeindeten Lagern zu spielen, wären wir hocherfreut, aber wenn dies eine Reaktion auf saudische und emiratische Forderungen ist, was wohl wahrscheinlicher ist, dann wäre dies einmal mehr eine Parteinahme für die arabischen Verbündeten der USA in Opposition zum Iran, mit dem wir angeblich unsere politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu erhalten versuchen.
Es ist also nicht kohärent, wenn man behauptet, wir seien das Land der Menschenrechte, wenn man gleichzeitig die Diktaturen am Golf und ihre Verbrechen im Jemen unterstützt und nicht nur den Iran, sondern auch alle anderen Länder vor den Kopf stößt, die die grausame Zerstörung eines armen, aber schönen Landes, der Wiege des Arabismus und Hüter arabischer und sogar universeller Kulturreichtümer, ablehnen. Sein uraltes archäologisches Erbe geht in Rauch und Flammen auf durch Flugzeugangriffe, Bomben und verschiedene andere Waffen der Saudis und der Emirate, die für Milliarden von Dollars im Westen eingekauft wurden. Das jüngste Treffen in Paris, zu dem alle Kriegsparteien zusammenkamen, kann diese Inkohärenz nur unterstreichen.
Kriegsgrollen
Die Kriegsdrohungen gegen den Iran, die von Israel und seinen amerikanischen Golf-Verbündeten ausgestoßen werden, werden immer präziser. Aber die Strategen in Washington und Tel Aviv wissen sehr wohl, daß der Iran inzwischen militärisch zu stark geworden ist und starke Verbündete hat, wie Rußland und China. Selbst ohne Kernwaffen schreckt der Iran seine Feinde mit zerstörerischen Gegenschlägen ab, die er bei einem Angriff lancieren kann.
Wenn man die verschiedenen Provinzen des Iran besucht, kann man überdies feststellen, daß das Land vorbereitet ist. Seine administrativen, wirtschaftlichen, sozialen und Sicherheitseinrichtungen funktionieren in allen Städten gut; eine Subsistenzwirtschaft ist aktiv trotz der 30jährigen Sanktionen, und Donald Trumps Projekt, das in Wirklichkeit auf einen Regimewechsel abzielt, ist bereits gestorben, bevor es überhaupt begonnen hat, denn alle Iraner haben unter den jetzigen Widrigkeiten ihre Unterstützung für ihre Führung verstärkt.
In Korea hat sich die amerikanische Regierung nach anfänglichen Beleidigungen seltener Vulgarität seit September letzten Jahres besonnen, da sie verstanden hat, daß sie ein Land nicht länger militärisch in Schranken halten kann, das Kernwaffen und Atomraketen besitzt, die das Gebiet der Vereinigten Staaten erreichen können. Trump erklärte sich zu Verhandlungen bereit, deren erster Schritt das Treffen beider Präsidenten in Singapur am 8. Juni war.
Singapur und die Geburt einer neuen Welt?
Der Gipfel zwischen Kim Jong-un und Donald Trump war für beide Präsidenten ein Medienerfolg und läßt die Hoffnung aufkommen, daß eine neue Ära der Beziehungen zwischen den Nationen eingeleitet wurde, die den jetzigen militärischen Zwang zur Durchsetzung der Ansichten des vermeintlich Stärkeren durch eine Konfliktlösung mittels Dialog und Verhandlungen ersetzt.
Aber hüten wir uns vor einer falschen Analyse: Der Gipfel erfolgte unter den von Kim Jong-un gesetzten Bedingungen, denn der koreanische Präsident hatte nukleare Abschreckung in seinem Verhandlungskoffer, was die USA aus Angst vor Vergeltung daran hinderte, Korea anzugreifen. Ansonsten wäre Korea „in einer Flut aus Blut und Feuer“ zerstört worden, wie es ein Donald Trump versicherte, der letztlich verstanden hat, daß nur Verhandlungen diese Konfrontation beenden könnte. Es war Abschreckung durch einen „Schwachen gegen den Stärkeren“, die hier ins Spiel kam; der Schwächste wurde unangreifbar aufgrund der unerträglichen Zerstörungen, die er seinem Angreifer zufügen kann.
Kim weiß um Trumps Neigung, internationale Verträge zu zerreißen, die sein Land einmal unterschrieben hat, und er wird sein Nukleararsenal nicht aufgeben, bevor er nicht als Gegenleistung die Entmilitarisierung der Halbinsel und die Aufhebung aller gegen sein Land verhängten Sanktionen erreicht hat. Er hat seine Weitsicht genügend unter Beweis gestellt und ist in der Lage, entweder Gewalt oder Öffnung anzuwenden, so daß wir sicher sein können, daß er seine Druckmittel nicht aus der Hand geben wird, bevor er erhält, was er will: Eine friedliche Verständigung mit seinem südlichen Nachbarn, der dazu ebenfalls bereit ist. Jüngste Absprachen haben bereits den enormen Fortschritt in diese Richtung gezeigt -Entmilitarisierung der gesamten Halbinsel, d.h. auch die Auflösung der US-Militärbasen zusammen mit ihren THAAD-Systemen.
All das wird zwangsläufig zu einer Distanzierung Südkoreas von den Vereinigten Staaten, zumindest in Verteidigungsfragen, und zu einer Annäherung an China führen, das zweifellos seine guten Dienste anbieten wird. Rußland wird auch sicherlich zu diesem Prozeß beitragen, aber auch Indien und andere Länder werden diesen Prozeß hin zu einer gelasseneren Welt begleiten, in der nicht militärische Gewalt herrscht, sondern Wirtschaftskooperation die Entwicklung eines jeden ermöglicht und unausweichliche Interessenkonflikte durch konstruktiven Dialog überwunden werden.
Japan seinerseits, das mit dem Norden und dem Süden der Halbinsel wegen seiner geographischen Nähe und durch das Thema Unfrieden gleichermaßen direkt befaßt ist, wird seine Diplomatie und seine Verteidigung anpassen müssen, d.h. sich von den USA distanzieren und sich China annähern. Jüngste Erklärungen zeigen, daß sich Japan zunehmend in einen Detente-Prozeß mit seinen Nachbarn begeben könnte, da es verstanden hat, daß die Zukunft der Region und die der übrigen Welt in der Beilegung von Interessenkonflikten durch Dialog und Verhandlungen liegt und nicht länger durch Krieg, denn letzterer ist durch die Realität von Kernwaffen unmöglich geworden – ein wirkliches Damoklesschwert, von dem sich der Planet jedoch eines Tages befreien wird.
Durch die Ankündigung über die Schaffung eines neuen Spacewar-Kommandos am 18. Juni hat sich die amerikanische Regierung nicht gerade dem Frieden zugewandt und hat damit einen weiteren Vertrag verletzt, den aus dem Jahr 2015, der den Einsatz von Massenvernichtungswaffen im Weltraum untersagt.
Die wichtigen Abkommen, die auf dem jüngsten Gipfel der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) am 9.-10. Juni in Qingdao verabschiedet wurden, zeigen, daß die BRICS und ihre Verbündeten sich organisieren und eine Entente anstreben, um eine neue Welt aufzubauen, der mehr und mehr Nationen sich anschließen wollen – eine Welt, die aus vielerlei Formen der Zusammenarbeit besteht. Der Erfolg dieses Gipfels ist um so beeindruckender, wenn man an das totale Scheitern der G-7 in Kanada denkt, auf dem die Europäer gegeneinander und gegen die USA kämpften, und die Japaner nur erstaunt zuschauten.
Die SCO zieht immer mehr Nationen an, die in ihr ein Mittel politischer, wirtschaftlicher und strategischer Kooperation sehen, was sie gegen die imperialistischen Ambitionen der USA rückversichert. Die SCO kann über die alten Rivalitäten unter Staaten hinausgehen und Ziele vorgeben, die allen nützen. Das ist beispielsweise der Fall für Indien und Pakistan, ständige Mitglieder neben China, Rußland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan, d.h. acht Länder, die insgesamt über 3 Mrd. Einwohner zählen. Wenn man noch die 125 Mio. Einwohner der vier Länder mit Beobachterstatus hinzunimmt, Iran, Afghanistan, die Mongolei und Weißrußland, kommt die SCO auf 3,2 Mrd. Einwohner, mehr als 42% der Weltbevölkerung und nach den Statistiken des IWF mehr als 37.000 Mrd. Dollar Wirtschaftsleistung.
Der Gipfel vom 9.-10. Juni zeigte volle Unterstützung der Mitgliedsstaaten für den Iran, insbesondere von China und Rußland, und ihre feste Absicht, nachhaltige Handelsbeziehungen mit der Islamischen Republik Iran zu entwickeln – über die üblichen strategischen Konvergenzen hinaus, die bekräftigt wurden.
Schluß
Wie General de Gaulle 1964 vor mexikanischen Studenten sagte: Wenn wir uns nicht in einer schrecklichen nuklearen Katastrophe zerstören, ist die Zukunft der Welt gekommen, weil sie die Zukunft des Menschen ist und damit der Zusammenarbeit zwischen den Staaten und der Hilfe des Stärksten für den Schwächsten. „Jenseits der Entfernungen, die kürzer werden, der Ideologien, die sich auflösen, der Politik, der die Luft ausgeht und solange sich die Menschheit nicht eines Tages durch ungeheure Zerstörung auslöscht, ist die Tatsache, die die Zukunft bestimmen wird, die Einheit unseres Universums; ein Anliegen, das des Menschen; eine Notwendigkeit, die des weltweiten Fortschritts und damit der Hilfe an alle Länder, die sie für ihre Entwicklung wünschen; eine Pflicht, die des Friedens – das sind für unsere Gattung die eigentlichen Bedingungen des Lebens.“
Die Runde wurde abgeschlossen mit einer Videobotschaft von Roger Stone (2:33:36), der per Live-Schaltung zugeschaltet war. Stone ist politischer Stratege des Trump-Flügels in der Republikanischen Partei der USA, sein Vortrag hatte den Titel: „Der Präsident Trump, den die Europäer nicht kennen.“ Das Problem der Vereinigten Staaten sei das „üble Zwei-Parteien-Duopol“, die Parteien der Bushs und der Clintons. Schließlich hätten die acht Jahre unter Obama die amerikanische Bevölkerung so empört, daß sie einen Außenseiter ins Weiße Haus wählten. Der sog. „Russiagate“-Skandal diene dazu, davon abzulenken, daß der Mißbrauch der staatlichen Macht gegen einen Präsidentschaftskandidaten schon im Mai 2016 begann, als Trumps Wahl noch lange nicht feststand. Die Kollusion des Duopols werde immer noch fortgesetzt, wie man an Stones eigenem Fall sehen könne, der von Sonderermittler Robert Mueller – der schon in den 1980er Jahren gegen LaRouche eingesetzt wurde – daran gehindert wurde, in Person an der Konferenz teilzunehmen.
„Der Präsident Trump, den die Europäer nicht kennen“
Zunächst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, daß ich nicht in Person bei Ihnen sein kann. Ich weiß es sehr zu schätzen und danke dem Schiller-Institut und meinem guten Freund Harley Schlanger dafür, daß sie diese Videoschaltung arrangiert haben.
Ich möchte dem Schiller-Institut und Helga Zepp-LaRouche auch zu Ihrer weitsichtigen Agenda und ihrem Einsatz für eine Wirtschafts- und Finanzreform gratulieren, von der ich glaube, daß diese mit Hilfe der Regierung Trump unser globales Denken völlig verändern und uns auf den Weg zu Frieden und Prosperität auf weltweiter Basis bringen kann.
Ich bin sehr vertraut mit dem außerordentlichen und prophetischen Denken von Lyndon LaRouche, dem ich schon im Präsidentschaftswahlkampf 1980 in New Hampshire während der republikanischen Vorwahl für die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten begegnet bin. Und als früherer Mitarbeiter von Präsident Ronald Reagan erkenne ich die wichtige Rolle, die Lyndon LaRouche bei der letzten Wahl eines Nichtneokons und Außenseiters zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gespielt hat.
Ich muß sagen, daß ich 1980 noch ein eher konventioneller konservativer Republikaner gewesen bin, und daß ich die Ansichten von Herrn LaRouche damals für ziemlich exotisch hielt. Aber heute würde ich sagen, ich habe mich so weit entwickelt, daß ich die Rolle eines üblen Zwei-Parteien-Duopols erkenne, das die Vereinigten Staaten leider in den Graben gesteuert hat. Dieses Zwei-Parteien-Duopol der Bushs und der Clintons, die zusammenarbeiten, hat uns endlose Auslandskriege beschert, in denen unser nationales Interesse niemals erkennbar war. Die Erosion unserer Bürgerrechte, in der eine Regierung die Metadaten von Amerikanern erfaßt, unsere E-Mails liest, unsere Text-Botschaften beobachtet und unsere Telefongespräche katalogisiert, hat uns eine Handelspolitik gebracht, die auf internationalen Handelsabkommen beruht, in denen alle über den gleichen Kamm geschoren werden, was scheinbar unseren Handelspartnern, aber nur sehr selten den Vereinigten Staaten genützt hat. Wir haben eine Einwanderungspolitik verfolgt, die diejenigen betrog, die sich in die Warteschlange stellten, um in unser Land zu kommen und ihr Bürgerrecht auf legale Weise erworben haben, zugunsten derer, die sich an den Wartenden vorbeigedrängt und versucht haben, illegal in unser Land zu gelangen – und in vielen Fällen unsere Straßen und Stadtviertel unsicher gemacht haben.
Nun, ich bin seit 40 Jahren mit Donald Trump befreundet, und die Evolution meines Denkens und meiner Meinungen zwischen 1980 und 1988 führten mich dazu, Trump als einen Mann zu betrachten, der für das Präsidentenamt kandidieren sollte, mit der nötigen Statur und dem Mut und der Unabhängigkeit von dem gescheiterten Zwei-Parteien-Duopol, das unser Land beherrscht hat. Ich habe schon 1988 versucht, ihn zu einer Präsidentschaftskandidatur zu überreden. Ich habe im Jahr 2000 versucht, ihn zur Kandidatur zu überreden, und 2012 erneut. Und schließlich, mit Erfolg, 2016.
Nun, ich gebe zu, daß die Zeit trotz meines damaligen Enthusiasmus wahrscheinlich noch nicht reif war für eine Kandidatur im Stile Trumps. Es ist das erste Mal, daß die Amerikaner keinen Karrierepolitiker oder Militärhelden, sondern einen Geschäftsmann zum Präsidenten gewählt haben. Das war in den 1980er Jahren wahrscheinlich noch undenkbar. Aber nach den acht Jahren der Präsidentschaft Obamas war die Bühne bereit für einen reformorientierten Präsidenten, der entschlossen ist, die Beziehungen zu Rußland und China zu verbessern, der die Neue Weltordnung zurückweist, wie sie von Präsident George Bush vorgeschlagen und von dessen Sohn, Präsident George W. Bush vorangetrieben wurde, eine Agenda, die nahtlos weiterverfolgt wurde, egal, ob der Präsident ein Republikaner oder ein Demokrat oder der Präsident ein Clinton war oder ein Bush.
„Russiagate“ soll vom eigentlichen Skandal ablenken
Nun haben wir in den Vereinigten Staaten einen Skandal, in dem Behauptungen über angebliche russische „Kollusion“ dazu benutzt werden, den tatsächlich größten Skandal in unserer Geschichte zu vertuschen, nämlich, daß die Macht und Autorität des Staates dazu benutzt wurden, den Wahlkampf des republikanischen Präsidentschaftskandidaten auszuspähen und zu untergraben.
Tatsächlich erkenne ich als Veteran der Regierung Nixon, daß Nixon von der Macht entfernt wurde, weil Männer, die mit seinem Wahlkampf verbunden waren, dabei erwischt wurden, als sie in das Watergate-Gebäude einbrachen, um dort Wanzen zu platzieren (die niemals wirklich funktioniert haben), um seine Gegner und die Demokraten auszuspionieren. Er wurde auch abgesetzt, weil Männer, die mit seinem Wahlkampf verbunden waren, dabei erwischt wurden, daß sie die Wahlkampfkomitees seiner Gegenkandidaten, Senator Hubert Humphrey und später Senator George McGovern, unterwanderten.
Der Skandal, den wir jetzt erleben, ist noch viel ungeheuerlicher! Im Fall von Nixon – und es wurde niemals bewiesen, daß Nixon selbst irgendwelche dieser illegalen Aktivitäten abgesegnet hat -, aber im Fall von Nixon waren die Personen, die erwischt wurden, private Bürger. Hier haben wir einen viel schlimmeren Fall von Machtmißbrauch, nämlich den Einsatz der Autorität des Staates und seiner außerordentlichen technischen Möglichkeiten, um die Präsidentschaftswahl 2016 zu kapern und die Demokratie selbst zu untergraben, in dem Versuch, die Wahl für Hillary Clinton festzuzurren.
Die gesamte Russiagate-Untersuchung über die völlig unbewiesenen Vorwürfe russischer Kollusion sind eine Nebelkerze, um die illegalen Aktivitäten der Regierung Obama in ihrem Versuch, die letzte Wahl zu kapern, zu vertuschen, d.h. das, was in den Text-Mitteilungen des FBI-Agenten Peter Strzok als „Versicherung“ bezeichnet wurde. Wir wissen jetzt, daß das FBI unter Barack Obama Trumps Wahlkampf schon im Mai 2016 unterwandert hat – viel früher, als sie es zugegeben haben, und zwar als sie ihre Ermittlungen über die angebliche „russische Kollusion“ in Trumps Wahlkampf begannen.
Die Rolle des britischen Geheimdienstes in all dem ist nicht zu unterschätzen. Wir wissen, daß Professor Stefan Halper an Mitglieder des Trump-Wahlkomitees herangetreten ist, in dem Versuch, Beweise für eine russische Kollusion unterzuschieben. D.h. auf unterster Ebene – das sollte ich erwähnen. Es ist fast lächerlich, daß die Washington Post und die New York Times weiterhin behaupten, daß die Aktivitäten von Halper und anderen ein Versuch gewesen seien, die russische Kollusion aufzuspüren, während dies in Wahrheit Versuche waren, eine vorgetäuschte russische Kollusion zu planen, die später festgestellt werden sollte, in dem Versuch, Trump in dem vermeintlich unwahrscheinlichen Fall seines Wahlsiegs zu untergraben.
Mainstream-Medien haben ihr Monopol verloren
Ich hatte niemals irgendwelche Zweifel daran, daß Trump die Wahl von 2016 gewinnen konnte. Es ist wichtig zu erkennen, daß das Jahr 2016 das Jahr war, in dem die Mainstream-Medien ihr erdrückendes Monopol über den politischen Diskurs verloren haben. Das ist dem Aufstieg lebendiger und robuster alternativer Medien zu verdanken, was wiederum den Ideen und Prinzipien von Lyndon LaRouche und den Ideen und Prinzipien von Donald Trump viel größere Geltung verschafft hat, um die Weltbühne wieder für eine kooperative Handelspartnerschaft und Beziehung zu den Russen und den Chinesen und ein Ende der neokonservativen Politik des Krieges und des Bankrotts zu bereiten, die sie leider mit Nachdruck verfolgt haben.
Nun, leider sehen wir in den Vereinigten Staaten und vielleicht auch weltweit den Versuch, „die Zahnpasta wieder in die Tube zu bringen“, d.h., einen Krieg der Internet-Zensur zu führen, in dem versucht wird, beispielsweise Stimmen wie mich und meine Freunde bei Infowars, alternative Medien wie Breitbart und den Daily Caller und andere, die den Trumpismus vertreten, zum Schweigen zu bringen und zu löschen – aus Facebook, aus Twitter, aus Youtube. Es ist ein Ausschaltungskrieg und ein Versuch, unsere Rechte nach dem ersten Zusatz der US-Verfassung zu unterdrücken und Monopolpraktiken und wettbewerbsfeindliche Unternehmenspraktiken einzusetzen, um unsere Redefreiheit und unseren Zugang zu diesem wunderbaren Medium des Internets, das unseren Dialog hier überhaupt erst möglich macht, abzuschaffen.
Ich muß sagen, daß die Aussicht auf ein Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin einigen Kreisen in Washington D.C. und in Whitehall die Haare zu Berge stehen läßt, bis an den Rand der Hysterie. Präsident Donald Trump ist jemand, der glaubt, daß wenn der Gegner Nuklearwaffen hat und eine gewaltige wirtschaftliche Macht, daß es dann besser ist, einen Dialog mit ihm zu führen als einen Kalten Krieg. Und deshalb bin ich fest überzeugt, daß diese Reise nach Helsinki, um Wladimir Putin zu treffen, eine Mission des Friedens ist, eine Mission der zukünftigen wirtschaftlichen Kooperation und vielleicht der Zusammenarbeit, um die Elemente der extremistischen Islamisten zu zerschlagen, die unseren beiden Nationen Schaden zufügen.
Hexenjagd gegen Trump und seine Berater
Was in den Vereinigten Staaten abläuft, mit der Strafverfolgung gegen eine Reihe der wichtigsten Berater von Präsident Trump, erinnert an die Taktiken, die schon in den 1980er Jahren von den Bushs gegen Lyndon LaRouche eingesetzt wurden. Einer der Hauptgründe, warum ich nicht in der Lage bin, persönlich bei Ihnen zu sein, ist, wie sie vielleicht gelesen haben, daß Robert Mueller, der nicht in der Lage ist, eine russische „Kollusion“ meinerseits nachzuweisen, und nicht in der Lage ist, irgendeine Zusammenarbeit mit WikiLeaks bezüglich der verheerenden Enthüllungen über das Demokratische Nationalkomitee und Hillary Clinton nachzuweisen, und nicht in der Lage ist, irgendwelche Beweise dafür zu finden, daß ich im Voraus irgendwelche Kenntnisse über die Veröffentlichung von John Podestas E-Mails hatte, nun versucht, irgendwelche anderen Vorwürfe gegen mich zu erfinden und vielleicht auch zu fabrizieren und zusammenzuschustern, vielleicht bezüglich meiner Geschäfte oder meiner Finanzen oder meiner Taktik.
Das ist der gleiche Robert Mueller, der in den 1980er Jahren Lyndon LaRouche verfolgt hat und nun mich verfolgt, und das nur wegen meiner Unterstützung für Präsident Donald Trump.
Jetzt werde ich vom Demokratischen Nationalkomitee verklagt, ich werde von einer mit Obama verbundenen Gruppe namens Project Democracy verklagt, ich werde von einem chinesischen Milliardär verklagt – allesamt völlig ungerechtfertigte Klagen schlechter Verlierer, die jedoch außerordentlich teuer sind. Darüber hinaus muß ich mich gegen die Versuche von Robert Mueller wehren, verlogene Vorwürfe gegen mich zu erheben, um mich entweder zum Schweigen zu bringen oder mich zur Kooperation und Aussage gegen meinen Freund, seit fast 40 Jahren, Donald J. Trump zu bewegen. Das wird nicht geschehen.
Aber meine Freunde haben einen Fonds für meine juristische Verteidigung eingerichtet, unter https://www.stonedefensefund.com/. Ich muß sagen, Beiträge ausländischer Staatsangehöriger sind vollkommen zulässig, und denjenigen, die dazu beitragen möchten, gilt mein herzlicher Dank. Ich stehe vor einem außerordentlich schwierigen Abwehrkampf, denn der Staat im Staat hat mich zum Ziel erkoren, wegen meiner langjährigen Verbindung zu Donald Trump und meiner Unterstützung für seine nicht-interventionistische Außenpolitik und seine Politik zur wirtschaftlichen Wiederbelebung der Vereinigten Staaten.
Wir sehen eine steile Zunahme der Gewalt in den Vereinigten Staaten und geradezu eine Hysterie im linken Lager, die fast ausschließlich auf dem wachsenden Erfolg und der Popularität der Politik von Trump gründet. Wir werden im kommenden Quartal ein Wirtschaftswachstum von mehr als 4% haben. Uns wurde unter Präsident Obama gesagt, solche Wachstumsraten des BIP seien strukturell unmöglich. Sie haben sich geirrt.
Wir haben die Schaffung von einer Million Arbeitsplätzen erlebt, allein im Monat Mai 228.000. Wir haben gesehen, daß der Präsident unmittelbar vor einem historischen Friedensabkommen mit den Koreas steht, und vielleicht vor der erfolgreichen Denuklearisierung einer Nation, die wir lange Zeit für unseren größten Feind gehalten haben. Wie ironisch, daß der Präsident ein Friedensabkommen mit den Koreas anstrebt, das von den Mainstream-Medien als „brillant“ bezeichnet worden wäre, wenn es von Barack Obama erreicht worden wäre, aber nun als „riskant“ bezeichnet wird, weil es von Donald Trump erreicht wird.
Der Präsident verfolgt eine nichtinterventionistische, friedensorientierte Politik und eine Reformagenda bezüglich der Wiederbelebung unserer Wirtschaft, bezüglich der Reform unserer Einwanderungsgesetze, bezüglich der Neuverhandlung unserer Handelsabkommen, damit sie für beide Seiten einen Wert haben, und bezüglich der Schaffung neuer Beziehungen zu den Russen und den Chinesen, die auf unserem gemeinsamen Wunsch nach Frieden und Prosperität gründen.
Ich habe volles Vertrauen zu diesem Präsidenten. Aber ich unterschätze auch nicht die Bemühungen des „Staats im Staat“, seine Präsidentschaft zu zerstören und ihn aus dem Amt zu entfernen. Es wurde erst gestern von Bloomberg News berichtet, daß Robert Mueller sich nun auf die russische „Kollusion“ konzentrieren will. Das ist außerordentlich! Er ist schon seit zwei Jahren an der Arbeit, und hat schon mehr als 17 Millionen Dollar Steuergelder verbraucht, und man dachte, daß er sich dabei auf die russische „Kollusion“ konzentriert hat. Aber wie die Versuche, mich zu verfolgen, zeigen, hat das alles gar nichts mit russischer „Kollusion“ zu tun, während Herr Mueller versucht, irgendein Verbrechen in Verbindung mit der Entlassung von FBI-Direktor James Comey, einer außerordentlich korrupten Figur, zu finden. Oder die Entlassung von General Michael Flynn, einem wahren amerikanischen Patrioten, der ebenfalls der Verfolgungen und den juristischen Fallstricken Robert Muellers und seiner Kabale ausgesetzt war.
Die Aussichten für Trumps Präsidentschaft sind also gut, denn in dem Maß, wie seine politische Stärke wächst und Unterstützung in der Bevölkerung im ganzen Land erzeugt, verschafft ihm dies eine freiere Hand, um mit Muellers Übergriffen umzugehen, und mit der Tatsache, daß er ein völlig parteilicher Ankläger ist, dem von Trumps eigenem Justizministerium und solchen Quieslingen wie [dem stellv. Justizminister] Rod Rosenstein breite und uneingeschränkte Vollmachten erteilt wurden, die nichts weniger versuchen, als das ungeschehen zu machen, was sie 2016 an der Wahlurne nicht verhindern konnten.
Ich freue mich sehr über die Gelegenheit, bei Ihnen zu sein. Wie einige von Ihnen vielleicht wissen, ist nun mein sechstes Buch, mit dem Titel Stone’s Rules („Stones Regeln“) überall erhältlich. Dieses Buch ist – ich würde es in eine Reihe mit Macchiavellis Der Fürst oder Sunzis Die Kunst des Krieges stellen – eine Art Handbuch für den Sieg, das von jeder Person, egal welcher Profession, verwendet werden kann, egal, ob sie in der Geschäftswelt, in der Politik, Technologie, Medien oder Mode oder sogar in der Landwirtschaft tätig sind. Es sind erprobte Regeln, die harten Lektionen, die ich in 40 Jahren in der amerikanischen Arena gelernt habe. Ich empfehle Ihnen dieses Buch, Sie können es über Amazon oder über Barnes and Noble beziehen. Ich denke, die meisten seriösen Buchhändler haben es vorrätig, und ich glaube, es wird ihnen gefallen.
Ich danke Ihnen sehr für die freundliche Einladung, heute zu Ihnen zu sprechen. Ich freue mich auf eine neue Welt, die auf der Führung eines amerikanischen Präsidenten gründet, der zutiefst entschlossen ist zu einer neuen Politik, und der die Politik der Neocons und ihrer britischen Mitverschwörer ablehnt, und einen neuen Geist des weltweiten Friedens und der Kooperation fördert. Ich habe dem Präsidenten dringend geraten, die Politik der Seidenstraße zu studieren, für die Sie sich so sehr begeistern, und die auch ich mit offenen Armen aufgenommen habe.
Ich grüße Sie und danke Ihnen sehr für Ihre Zeit. Vielen Dank.
Panel II
Wie Gürtel und Straße Afrika und Südwestasien verändern
Der zweite Konferenzabschnitt befaßte sich mit den Änderungen in Afrika und Südwestasien durch die chinesische Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) als einzig menschliche Lösung der Flüchtlingskrise.
Der Südwestasien-Koordinator des Schiller-Instituts, Hussein Askary, betonte in seiner Einleitung zu den Vorträgen, die Lösung der vielen Flüchtlingskrisen auf der Welt könne nicht darin liegen, nur die Symptome zu lindern, indem man den Flüchtlingen hilft, sondern man müsse die Ursachen aller dieser Krisen bekämpfen und eine neue, gerechte Weltordnung schaffen.
Die einzige humane Lösung für die Flüchtlingskrise
Ich freue mich und bin sehr geehrt, diese hochgeschätzte und interessante Vortragsrunde eröffnen zu dürfen.
Mein Name ist Hussein Askary, ich bin der Südwestasien-Koordinator des internationalen Schiller-Instituts und arbeite seit 23 Jahren für das Schiller-Institut. Ich bin auch Koautor des Sonderberichts „Die Neue Seidenstraße nach Westasien und Afrika verlängern“, der hier in diesem Saal bei einer internationalen Konferenz im vergangenen November vorgestellt wurde (Abbildung 1).
Abb. 1: Cover Afrikabericht
Dieser Bericht – den wir hier haben, jeder sollte ein Exemplar davon haben – ist ein wunderbares Zeugnis des Optimismus, der dadurch ausgelöst wurde, daß Afrika sich dem Neuen Paradigma, das durch die Gürtel- und Straßen-Initiative 2013 und die Erklärung der BRICS-Staaten von Fortaleza 2014 definiert wurde, angeschlossen hat. Die meisten afrikanischen Nationen arbeiten jetzt zusammen mit China und anderen Ländern intensiv an konkreten Entwicklungsplänen.
Der Bericht ist zudem ein Fahrplan in eine glänzende Zukunft, die auf die kommenden Generationen der Afrikaner und der Menschen in Südwestasien, dem sog. Nahen Osten wartet. „Naher Osten“ ist der falsche Ausdruck, man sollte von Südwestasien sprechen.
Afrika ist ein wunderbarer Kontinent
Abb. 2: Afrika bei Nacht, 2015 und 2050
Dies hier (Abbildung 2) ist Afrika bei Nacht. Links sehen wir eine echte Aufnahme von Afrika bei Nacht, aufgenommen von Satelliten der NASA. Man sieht einen in völlige Dunkelheit gehüllten Kontinent – schlicht und einfach, weil es dort keine Elektrizität gibt. Das Bild daneben, von Afrika 2050, wurde nach meinen Anleitungen von meinem Freund Chance McGee erstellt, es zeigt, wie wir uns Afrika bei Nacht im Jahr 2050 vorstellen.
2030 wird der größte Teil des Bevölkerungswachstums aller Regionen der Welt auf Südwestasien und Afrika entfallen, eine Zunahme um 46,9% gegenüber 2015. Bis 2030 wird ihre Bevölkerung auf 1,9 Mrd. steigen, bei einem erstaunlich jungen Durchschnittsalter von nur 23 Jahren. Um 2050 wird dann das Bevölkerungswachstum der Welt vor allem in Afrika stattfinden. Von den zusätzlichen 2,4 Mrd. Menschen, die voraussichtlich zwischen 2015 und 2050 geboren werden, werden 1,3 Mrd. Menschen in Afrika hinzukommen.
Viele Menschen, die von der britischen Propaganda beeinflußt sind, halten so etwas für ein Problem oder sogar eine Katastrophe, wir dagegen sind überzeugt, daß es eine wundervolle Herausforderung und eine große Chance ist. Und ich denke, so sieht auch China Afrika. Wenn man sich Präsident Xi Jinpings Reden bei den China-Afrika-Gipfeln anhört, spürt man, daß er in Afrika eine große Chance sieht.
Wie Helga Zepp-LaRouche heute vormittag schon gesagt hat, müssen wir in das neue Paradigma einsteigen – Europa muß sich dem neuen Paradigma anschließen. Dabei geht es keineswegs nur darum, sich am Bau von Eisenbahnen in Afrika zu beteiligen. Wir müssen unsere Einstellung zu Afrika und seinen Menschen grundlegend ändern! Denn in Europa und Amerika verbindet man Afrika immer nur mit Problemen, weil sie das einzige sind, was über Afrika berichtet wird. Deshalb müssen wir ein Umdenken der Politiker und der Bevölkerung in Europa und den Vereinigten Staaten bewirken, denn Afrika ist kein „Problem“. Afrika ist eine große Herausforderung, aber es ist auch eine große Chance. Ich denke, das ist etwas, was wir alle aus Chinas Engagement in Afrika lernen sollten.
Ich will hier unseren Bericht nicht im Detail vorstellen, das habe ich schon im letzten Jahr getan, Sie sollten ihn einfach selbst lesen. Einige der Projekte, die in diesem Bericht beschrieben werden, sind bereits fertiggestellt, andere sind im Bau oder es wird ernsthaft darüber verhandelt, worüber einige unserer verehrten Redner uns sicherlich noch mehr sagen werden. Mindestens ein Land in Afrika – Äthiopien – wird jetzt auch „das Land mit dem zweistelligen Wirtschaftswachstum“ genannt, und viele weitere werden diesem Club noch beitreten. Was auf diesem wunderbaren Kontinent erreicht werden kann, hat keine Grenzen, und dieser Herausforderung müssen wir auch mit unserem Ehrgeiz, unseren Visionen und Plänen gerecht werden.
Abb. 3: Panafrikanisches Straßennetz
Abb. 4: Hochgeschwindigkeitsbahn
Dies (Abbildung 3) ist eine Karte des afrikanischen Netzes von Hochgeschwindigkeitsbahnen (Abbildung 4), wie wir es uns vorstellen. Dieser Plan existiert bei der Afrikanischen Union schon seit vielen, vielen Jahren, aber er zeigt Autobahnen, die nie gebaut wurden. Nun jedoch werden Schritt für Schritt Eisenbahnen gebaut, wie die Eisenbahn Dschibuti-Addis Abeba, die 2017 mit Chinas Hilfe fertiggestellt wurde. Es gibt die Eisenbahn Mombasa-Nairobi, die im vergangenen Jahr festiggestellt wurde (Abbildung 5). Diese Projekte brechen alle früheren Rekorde, was den Bau an geht, die Geschwindigkeit, die Effizienz und die Kosten. Der Plan, von dem die Afrikanische Union träumt und für den sie Pläne erstellt hat, wird nun verwirklicht (Abbildung 6). Die sprichwörtlichen Spatenstiche werden getan. Es ist nichts, was erst irgendwann in der Zukunft geschehen wird.
Abb. 5: Eisenbahnstrecke Mombasa-Nairobi
Abb. 6: Ostafrikanisches Eisenbahnnetz
Ich war selbst ein Flüchtling
Unsere Vortragsrunde zum Thema „Wie die Gürtel- und Straßen-Initiative Afrika verändert: die einzige humane Lösung für die Flüchtlingskrise“ könnte zu keinem passenderen Zeitpunkt stattfinden. Denn das alte Paradigma richtet leider immer noch in vielen Ländern Unheil an, wie in Syrien und im Jemen, und man spürt immer noch die Folgen der fehlgeleiteten und bewußt destruktiven Politik, die den Ländern seit 40 oder mehr Jahren aufgezwungen wurde, in Form von weitverbreitetem Hunger, Epidemien, Nahrungsmittelknappheit und Mangel an lebenswichtigen Dienstleistungen.
Ich selbst war ein Flüchtling und habe mit meiner Familie enorm gelitten, als wir – ich selbst, mein Vater, meine Mutter, zwei jüngere Schwestern und ein jüngerer Bruder – im April 1991 als Folge des von George Bush senior gestarteten Golfkriegs oder Kuwaitkrieges, von dem schon Herr Scholz gesprochen hat [siehe Neue Solidarität 28/2018] – aus der irakisch-kurdischen Stadt Sulaimaniyya fliehen mußten.
Abb. 7: Irakische Flüchtlinge 1991
Wir liefen sechs Tage und Nächte lang bei schlechtem Wetter durchs Gebirge (Abbildung 7), es regnete, zeitweise schneite es sogar. Wir hatten nichts bei uns außer kleinen Taschen mit getrocknetem Obst, bis wir zur iranischen Grenze gelangten, wo wir in riesigen Zelten untergebracht wurden.
Als wir in diesen Flüchtlingslagern ankamen, war die Lage schrecklich und demoralisierend. Die physischen Bedingungen waren schrecklich, dennoch gelang es uns – meiner Familie und mir, und besonders meinen Schwestern –, den Staub von den Füßen zu schütteln und uns über die Zustände zu erheben. Wir arbeiteten für internationale Organisationen wie das Rote Kreuz und Ärzte ohne Grenzen. Ein Jahr später kam ich schließlich nach Norwegen. Ich war später sogar die Hauptfigur eines Dokumentarfilms über die Flüchtlingskrise, der 1994 in Norwegen ausgestrahlt wurde. Das war Teil einer Serie von Dokumentarfilmen mit dem Titel „Besichtigung der Realität: einer der Glücklichen“. Damit war ich gemeint; ich war damals 23 Jahre alt.
Wie Helga schon sagte: Wenn man diese Flüchtlinge sieht – das sind nicht nur Objekte auf dem Bildschirm. Es sind ganz reale Menschen. Viele haben ihre Hoffnungen, sie sehen für sich eine Aufgabe im Leben, sie sind nicht bloß Zahlen. Zwei Jahre, nachdem ich 1992 nach Norwegen gekommen war, lernte ich in Oslo das Schiller-Institut kennen.
Ich weiß also aus erster Hand, was es bedeutet, als Flüchtling zu leiden – alles zurückzulassen und sein Leben zu riskieren, um einen Ort zu erreichen, von dem man hofft, daß er sicher ist und man dort in Würde leben kann.
Aber ich war schon immer davon überzeugt, daß die Lösung für alle diese vielen Flüchtlingskrisen nicht darin liegen kann, nur die Symptome zu lindern, indem man den Flüchtlingen Hilfe leistet, auch wenn das notwendig ist und unbedingt getan werden muß, sondern indem man die Ursachen aller dieser Krisen an der Wurzel packt. Das kann und wird nur geschehen durch die Schaffung einer neuen und gerechten Weltwirtschaftsordnung.
Daher war es für mich ganz natürlich, mich 1994 dem Schiller-Institut anzuschließen und meine Zeit und Energie dafür einzusetzen, zum Aufbau dieses neuen Paradigmas beizutragen, zusammen mit Helga und Lyndon LaRouche und den vielen anderen wunderbaren Menschen, die ich in all diesen Jahren kennengelernt habe und mit denen ich zusammenarbeite.
Deshalb sollten Sie sich alle, ob sie nun ein Flüchtling sind oder ein Einheimischer, ein Bürger, ein Einwohner Europas oder der Vereinigten Staaten oder sonst irgendwo, dem Schiller-Institut anschließen. Denn das ist der einzige Weg, das sagt meine Erfahrung, um die Welt so zu verändern, daß es für jeden Menschen auf diesem Planeten etwas bewirkt. Inzwischen sind wir viele, mit der Weltlandbrücke. Ganze Länder schließen sich dem Neuen Paradigma an. Und wir alle können sehen, daß die Aussicht auf eine schöne und blühende Zukunft für alle Nationen in greifbarer Nähe ist.
So lege ich es allen ans Herz: Richten wir auch inmitten der schlimmsten Leiden unsere Augen nicht auf den Schmutz unter unseren Füßen, sondern erheben sie zu den glänzenden Sternen über uns.
Vielen Dank!
Wang Hao (14:45), der 1. Sekretär für Wirtschaft und Handel an der Botschaft der Volksrepublik China in der Bundesrepublik Deutschland, forderte die EU auf, sich der Neuen Seidenstraße anzuschließen. „Als größter Handelspartner Chinas sollte die EU sich an der BRI beteiligen.“ China habe nur begrenzte Ressourcen und brauche die anderen, darunter auch Deutschland und Europa. 19 Länder Europas seien Mitglieder der AIIB, Deutschland sei der größte nichtasiatische Partner. Europäische Unternehmen sollten ihre eigenen Projekte verfolgen. Die Kooperation zwischen China und Europa werde beiden Seiten helfen – wirtschaftlich, in den Lebensbedingungen und bei der Sicherheit.
Eine Rolle für Europa in der Belt & Road Initiative
Guten Tag allerseits! Es ist mir eine große Ehre, eingeladen zu sein, heute an Ihrer Konferenz teilzunehmen. Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut meinen herzlichen Dank dafür aussprechen, daß es viel Mühe und Leidenschaft aufgewandt hat, um diese Konferenz zu organisieren.
Mein Thema lautet „Eine Rolle für Europa in der Belt & Road Initiative“. Das ist ein Thema, das mir von den Organisatoren vorgegeben wurde. Ich fand das Thema schwierig, aber sinnvoll. Schwierig, weil es mir als Diplomat schwer fällt, Europa zu sagen, wie es sich an der Belt & Road Initiative beteiligen soll. Aber auf der anderen Seite ist es sinnvoll, daß die Europäische Union als der größte Handelspartner Chinas sich an dieser Initiative beteiligen sollte.
Auch Europas Unternehmer haben ihr Interesse gezeigt. Ich möchte daher gerne mit Ihnen über dieses Thema diskutieren.
Warum die Belt & Road Initiative?
Zunächst einmal möchte ich Ihnen mitteilen, warum China die Belt & Road Initiative vorgeschlagen hat. Der Geist der Seidenstraße bestand darin, die Völker miteinander zu verbinden. Auch im Zeitalter der Globalisierung hat dieser Geist noch seine Bedeutung. Eine der Voraussetzungen für die Verbindung zwischen den Völkern ist Infrastruktur, wie etwa Straßen und Eisenbahnen. China hat von den Imperialisten gelernt, wie wichtig Verkehrsnetze für die Entwicklung der Wirtschaft sind.
Ich möchte Ihnen etwas über meine eigene Geschichte sagen. Als ich noch ein Kind war, fuhr ich oft zu meinen Großeltern, die in der Provinzhauptstadt lebten, die weniger als 200 km entfernt war. Aber wegen des schlechten Zustands der Straßen damals dauerte die Reise fast einen ganzen Tag. Dadurch ging nicht nur viel Zeit verloren, es zeigte sich auch in der Ineffizienz der Wirtschaft. Heute sind die beiden Städte durch eine Autobahn miteinander verbunden, wie die meisten chinesischen Städte, und die Reise dauert keine zwei Stunden. Wir Chinesen haben ein Sprichwort: „Um reich zu werden, mußt du als erstes eine Straße bauen.“
Heute ist China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, und der Aufbau eines modernen Infrastrukturnetzes hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Derzeit hat China 136.000 km Autobahnen und 25.000 km Hochgeschwindigkeitsbahnen, das sind zwei Drittel aller Strecken weltweit. Sieben der zehn größten Seehäfen der Welt liegen in China. Sowohl der Personen- als auch der Güterverkehr der Eisenbahnen entwickelt sich in China sehr schnell. All das hat das Leben der Menschen verändert, und es hat ein solides Fundament für die schnelle Entwicklung der chinesischen Wirtschaft gelegt.
Im Zeitalter der Globalisierung gibt es immer noch viele Orte auf der Welt, die unterentwickelt sind und wo grundlegende Infrastruktur fehlt. Der Bedarf dieser Gebiete ist enorm. Nach Einschätzung der Asiatischen Entwicklungsbank muß Asien allein von 2017 bis 2030 jedes Jahr eine Billion Dollar in die Infrastruktur investieren, um sein Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten.
Wie Sie vielleicht wissen, gehört die Schaffung von Einrichtungen zur Vernetzung zu den fünf Prioritäten der Belt & Road Initiative. Mit Einrichtungen sind hier nicht nur Verkehrsanlagen gemeint, sondern auch Öl- und Gaspipelines, Elektrizitätsnetze und der Bau von grenzüberschreitenden Kabeln. Das Ziel ist es, die Eisenbahn- und Straßenverbindungen auszubauen und die Verkehrsengpässe zu beseitigen, um den internationalen Verkehr und Handel zu erleichtern, und die Häfen, Öl- und Gaspipelines, Leitungs- und Kabelnetze in Asien zu verbessern.
Wir glauben, daß eine gute Verkehrsinfrastruktur die Grundlage für wirtschaftliche Entwicklung darstellt. Das ist einer der Gründe, warum China die Belt & Road Initiative vorgeschlagen hat.
Ich möchte hier betonen, daß die Belt & Road Initiative keine Strategie ist, sondern eine Initiative. Jede Nation kann sich daran beteiligen und Nutzen daraus ziehen. Die Belt & Road Initiative ist ein öffentliches Gut, das China der Welt anbietet: Sie ist ein Schnellzug zur Prosperität, der bereit ist, jeden mitzunehmen. Sie ist auch ein massives, langfristiges Projekt und dient nicht nur dem kurzfristigen Profit.
Europa profitiert schon jetzt
China ist ein Land mit begrenzten Ressourcen und Kapazitäten, es ist auf die aktive Teilnahme anderer Partner, darunter Deutschland und Europa, angewiesen.
Wie kann Europa einen Beitrag leisten und davon profitieren?
19 europäische Länder, darunter Deutschland, Großbritannien und Frankreich, sind schon Mitglieder der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), die solide finanzielle Unterstützung für die Seidenstraßen-Initiative liefert. Deutschland ist als größter Partner außerhalb der Region in der AIIB vertreten. Die Deutsche Bank gehörte zu der ersten Gruppe von Anbietern finanzieller Dienstleistungen für die Seidenstraßen-Initiative, die nicht aus der Region kommen.
An Projekten im Rahmen der Belt & Road Initiative beteiligen sich auch europäische Unternehmen mit ihrer Technologie, Kapital, Produkten und Knowhow. Ich möchte betonen, daß europäische Unternehmen selbst Initiativen ergreifen sollten, um sich an Belt & Road zu beteiligen, und nicht darauf warten sollten, daß das Projekt zu ihnen kommt. Sie sollten ihre Chancen suchen. In dieser Hinsicht können die europäischen Handelskammern in den Ländern entlang der Routen eine wichtige Rolle spielen.
Meine Damen und Herren, von der Kooperation an Gürtel und Straße werden sowohl China als auch Europa wirtschaftlich profitieren, und die Staaten an den Routen erhalten Verbesserungen der wirtschaftlichen Entwicklung und Lebensbedingungen, was weitere neue Gelegenheiten für Geschäfte schaffen und die innere und äußere Sicherheit Europas verbessern wird.
Es gibt bereits einige sichtbare Errungenschaften, etwa, daß 2017 mehr als 3000 Schnellzüge zwischen China und Europa gefahren sind – 48 davon zwischen China und Deutschland. Der Schnellzug wurde zum Symbol für die Initiative in Europa. Duisburg und Hamburg sind zwei wichtige Destinationen in Europa und haben viel davon profitiert. Auch andere Städte, wie Mannheim, Rostock und Bremen, haben großes Interesse am Betrieb der Schnellzüge gezeigt. Wir ermutigen weitere europäische Länder, Schnellzüge zum Transport ihrer Güter nach China und in andere asiatische Länder zu nutzen und so Zeit zu sparen und die Kosten zu senken.
Doch last but not least hoffe ich sehr, daß Europa und China sich dem Zug der Zeit anschließen, eine offene Win-Win-Kooperation eingehen, Reformen und Innovationen annehmen und die historische Gelegenheit der Belt & Road Initiative wahrnehmen werden.
Ich bitte um Entschuldigung, daß ich vorzeitig abreisen muß und mich nicht an der Podiumsdiskussion beteiligen kann, obwohl ich das gerne tun würde, aber mein Kollege und ich müssen unseren Zug zurück nach Berlin erreichen, denn unser Premierminister wird kommende Woche Deutschland besuchen. Es wartet also viel Arbeit auf uns.
Ich wünsche dieser Konferenz viel Erfolg und wünsche Ihnen allen einen guten Tag.
Vielen Dank.
S. E. Yusuf Maitama Tuggar (24:22), Botschafter der Bundesrepublik Nigeria in Deutschland, betonte in seinen Ausführungen: „Betrachten Sie nicht alles durch die binäre Linse China contra Europa, ein Überbleibsel des Kalten Krieges. Wir brauchen die Kooperation aller drei. Afrika sitzt mit am Tisch, und muß immer bei den Diskussionen über Infrastruktur, Entwicklung und Migration vertreten sein.“ Als Beispiel nannte er das Projekt, den Tschadsee wiederaufzufüllen: „Das ist ein Transformationsprojekt von der Art, die wir für eine nachhaltige Entwicklung brauchen, und wir müssen es finanzieren und unterstützen. Es wird gelingen, wenn alle ihre Hände und Köpfe zusammentun.“
Nach dem Transaqua-Durchbruch: Nigeria tritt ins Blickfeld
Lassen Sie mich zunächst den Organisatoren, dem Schiller-Institut, mein Lob dafür aussprechen, daß sie eine solche Konferenz veranstalten, die über etwas diskutieren will, das dem Präsidenten der Bundesrepublik Nigeria und mir selbst besonders am Herzen liegt, nämlich den Wassertransfer vom Kongo-Becken in das Becken des Tschadsees.
Als ich eingeladen wurde, sollte dies eine Podiumsdiskussion sein, ich habe mich also darauf vorbereitet, einfach nur zu diskutieren. Das Thema sollte sein: „Nach dem Transaqua-Durchbruch: Nigeria tritt ins Blickfeld“. Anstatt eine Rede vorzubereiten, beschloß ich daher, an meinem Diskussionsbeitrag festzuhalten, und das werde ich tun, während ich hier stehe, und ich hoffe, das Sie mir das nicht übel nehmen.
Wassertransfer zur Rettung des Tschadsees
Bei dem Wassertransfer zwischen den Becken wird versucht, etwa 100 Mrd. m3 pro Jahr aus dem Kongo-Becken ins Becken des Tschadsees zu leiten, insbesondere zum Tschadsee selbst, der seit Jahren schrumpft. Dies wurde zum Gegenstand internationaler Diskussionen, weil es unterstreicht, worüber sich die meisten von uns Sorgen machen – den Klimawandel, die Ausbreitung der Wüsten, Konflikte. Denn die Sahara-Region und insbesondere das Becken des Tschadsees ist ein Gebiet, wo viele Probleme zusammenkommen. Es ist ein Komplex von Konflikten, Migration, Exploration von Rohstoffen, weil in der Republik Niger und im Tschad Erdöl und Erdgas gefunden wurden.
Und natürlich kennen wir alle den Konflikt mit Boko Haram, der sich dort abspielt, der zum Glück durch die notwendige Kooperation zwischen den afrikanischen Ländern überwunden wurde, weil die Region eine der kompliziertesten Grenzregionen in Afrika ist, wenn nicht die komplizierteste, wo vier Länder aneinander grenzen: Niger, Tschad, Kamerun und Nigeria. Einer der Gründe, warum es bei der Reaktion auf das Problem Boko Haram eine Verzögerung gab, bestand darin, daß man das nicht gleich als das identifiziert hat, was es ist, nämlich, als einen grenzüberschreitenden Konflikt, und die Länder in der Region nicht zusammengearbeitet haben, um das Problem zu lösen.
Aber das hat sich zum Glück geändert, als der gegenwärtige Präsident, Mohammadu Buhari, 2015 das Amt antrat. Fünf Tage nach seiner Vereidigung unternahm er eine Reise nach Niger, Kamerun und Tschad und erklärte sinngemäß: „Schaut, Leute, wir müssen uns einigen. Wir müssen zusammenarbeiten und dieses Problem lösen.“
Das war keine Eintagsfliege, denn zufällig ist er auch ein früherer Gouverneur des Bundesstaats Borno, der im Zentrum dieses Konfliktes stand, er kannte also die Region sehr gut. Und er wußte, wenn man in der Geschichte zu Fällen wie Rabih Zubayr (1897) und ähnlichen Fällen zurückgeht, daß man eine Zusammenarbeit aller dieser Länder brauchte.
Jedenfalls existierte seit 1964 eine Institution dafür, dieses Problem anzupacken. In der Frage des Wassertransfers hat die Kommission für das Tschadseebecken das Heft in die Hand genommen. Zum Glück haben wir den führenden Experten für diesen Wassertransfer hier unter den Rednern, ich freue mich sehr, hier seinen Namen zu sehen: Herr Mohammed Bila. Um die Wahrheit zu sagen: Er hätte vor mir reden sollen, dann hätte ich einfach mitschwimmen können, aber ich will mein bestes tun. Aber ich bin mir sicher, daß er die technischen Details, die tieferen Einsichten in das, was damit erreicht werden kann, erklären wird.
China und Europa in Afrikas Entwicklung
Ich will dieses Projekt oder auch die anderen Entwicklungsprojekte, die in Afrika und insbesondere in Nigeria durchgeführt werden, nicht durch eine binäre Linse „China gegen Europa“ betrachten – ein binärer Ansatz, der vielleicht noch aus der Zeit des Kalten Krieges verblieben ist, wo man denkt, wenn China ins Spiel kommt, sind die Europäer draußen, oder wenn Europa im Spiel ist, bleibt China außen vor. Wir brauchen die Kooperation, die Kooperation aller drei, denn es geht nicht um Europa und auch nicht um China; auch Afrika sitzt mit am Tisch und es muß sichergestellt werden, daß Afrika immer vertreten ist und an den Diskussionen beteiligt ist, wenn Lösungen gesucht werden – sei es bei der Infrastruktur, Entwicklung, Migration oder etwas anderem. Afrika muß immer daran beteiligt sein.
Einer der Gründe, warum wir in der Frage des Tschadsees die volle Mitarbeit und Beteiligung Europas und nicht nur Chinas brauchen, ist der, daß dies ein Teil der Gürtel- und Straßen-Initiative sein wird, die perfekt in das Konzept der Globalisierung hineinpaßt, weil es dabei um die Vernetzung geht, und das ist unsere Auffassung der Welt.
Ähnliches ist im Verlauf der Menschheitsgeschichte immer wieder geschehen. Wir müssen die Landkarte der Welt neu definieren, oder des Teils der Welt, den wir kennen, so wie wir es auch früher taten, noch bevor wir erkannt haben, daß die Welt eine Kugel ist, wie bei der Tabula Rugeriana des Al-Idrisi (1154), die sozusagen auf dem Kopf steht (siehe Abbildung). Er betrachtete die Welt anders.
Abb. Die Tabula Rugeriana des Al-Idrisi aus dem Jahr 1154.
Ähnlich müssen wir anfangen, diese Globalisierung zu betrachten, diese Vernetzung. Vielleicht müssen wir mehr Wert auf Karten legen, die die Infrastrukturnetze zeigen, die Eisenbahnlinien, Übertragungslinien für Strom, Straßen usw., im Gegensatz zu einem Ansatz wie bei Halford Mackinder, der nur die eurasische Weltinsel sah und alles darum herum als Randgebiete, als Pufferzonen betrachtete.
Wir brauchen diese Kooperation, denn für mich ist es so etwas wie Kismet (Schicksal), daß diese Konferenz ausgerechnet in Deutschland stattfindet. Denn einige der ersten Migranten, die ins Becken des Tschadsees kamen, waren aus Deutschland! Das war Heinrich Barth in den 1850er Jahren, das war Gustav Nachtigal, der umfangreiche Studien der Fauna und Flora, der Kultur und vieler anderer Dinge im Gebiet des Tschadsees unternahm. Vielleicht müssen wir alle diese Kenntnisse und Daten, die so erfaßt wurden, wieder anzapfen, um fähig zu sein, dermaßen große Wassermengen vom Kongobecken ins Tschadseebecken zu leiten – was die ganze Subregion, wenn nicht den gesamten Kontinent völlig verwandeln würde. Mit einer solchen Großtat könnte man Strom erzeugen, man würde Wasser für die Bewässerung bereitstellen, Verkehr und Fischfang ermöglichen, und noch viel mehr. Es würde Arbeit für die zahllosen jungen Menschen geschaffen, die jetzt immer darauf hoffen, die Wüste zu durchqueren. Auch die Frage der irregulären Migration würde also durch dieses Projekt berührt.
Damit wurde schon einiges gesagt. Ich erinnere mich daran, wie der Präsident von Nigeria vereidigt wurde. Kurz danach hatte ich ein Treffen mit ihm, in dem ich betonte, daß die neue Regierung endlich Fortschritte in Bezug auf den Wassertransfer machen müsse. Ich berichtete ihm, wie schon in den 90er Jahren Vorstöße dazu unternommen wurden, und daß im Jahr 2000 von der Legislative in Nigeria ein Regionalausschuß für den Tschadsee geschaffen wurde, um einige der Finanzierungsfragen, der sensitiven Fragen anzupacken; jeder Mitgliedstaat sollte zwei Abgeordnete haben, die sie in der Kommission für das Tschadseebecken vertraten. Und er sagte zu mir: „Sehen Sie, damit habe ich mich schon in den 1970er Jahren befaßt und dafür eingesetzt.“ Damals war er Erdölminister, und er flog mit dem damaligen Präsidenten Obasanjo und dem Außenminister Joe Garba nach Kamerun, um dort Ahmadou Ahidjo zu treffen.
Sie sehen also, das alles reicht schon sehr weit zurück. Jetzt muß es gemacht werden. Es gibt Transformationsprojekte, die wir brauchen, um das zu erreichen, wovon wir immer wieder reden: nachhaltige Entwicklung. Eine nachhaltige Entwicklung erreicht man nicht, indem man einfach nur Ziele aufzählt. Wir müssen solche Transformationsprojekte identifizieren, finanzieren, fördern, für ihre Verwirklichung sorgen. Der einzige Weg, wie wir das erreichen werden, ist es, daß wir alle applaudieren und es unterstützen mit unseren Händen und Köpfen – China, Europa und Afrika gemeinsam.
Vielen Dank!
Mohammed Bila (38:30), Experte des Tschadsee-Observatoriums der Kommission für das Tschadseebecken, erläuterte das Transaqua-Projekt und seinen derzeitigen Stand, nachdem die acht Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten bei ihrem jüngsten Treffen im März 2018 in Abuja dem Transaqua-Projekt zugestimmt hatten. Es wird sieben beteiligten Staaten unmittelbar und indirekt fünf weiteren Ländern wirtschaftliche Entwicklung bringen und die Sicherheit verbessern. Bila erklärte, wie der ökonomische Wert des Wassers auf dem Weg zum Tschadsee steigt. Das Konzept des geteilten Nutzens könnte auch den regionalen Handel steigern, neue wirtschaftliche Infrastruktur wie Binnenhäfen, Containerterminals, agroindustrielle Zonen und neue Straßen entlang der 2400 km langen Wasserstraße schaffen.
Ausblick: Wird Afrika zum neuen China?
Einführung
Sehr geehrte Damen und Herren, die Kommission für das Becken des Tschadsees (LCBC) freut sich sehr, daß Sie Gelegenheit hat, sich hier mit dem Schiller-Institut auszutauschen. Ich kann Ihnen leider nur die besten Grüße unseres Exekutivsekretärs übermitteln, er kann aus verschiedenen Gründen hier nicht bei Ihnen sein. Deshalb hat er mich geschickt, damit ich hier den Teilnehmern dieser Konferenz die Ansichten der LCBC vorstelle.
Ich arbeite seit 2002 für die LCBC als Modellierer. Ich habe also alle die Entwicklungen miterlebt, in Nigeria sogar schon vor 2002, ich habe die Folgen des Austrocknens des Tschadsees gesehen. Ich sah die Versuche verschiedener Regierungen, das Problem zu lösen. Ich habe die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft für das Tschadseebecken und die Mitgliedstaaten gesehen. Aber seit 2012 haben wir eine völlig andere, neue Herausforderung, nämlich einen offenen Konflikt mit Menschen, die glauben, alle anderen ändern zu müssen [die Terrorgruppe Boko Haram]. Wenn wir schon vor 30 Jahren eine Lösung gesucht hätten, dann wäre es wahrscheinlich gar nicht so weit gekommen.
Der Plan des Wassertransfers zwischen den Becken des Kongo und des Tschadsees als Lösung für das Austrocknen des Tschadsees wurde bekannt, als das 8. Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der LCBC, das im März 1994 in Abuja stattfand, eine internationale Kampagne für die Rettung des Tschadsees begann. Nach der Wahl von Präsident Mohammadu Buhari 2015 und seinem Appell an die internationale Gemeinschaft, bei der Wiederauffüllung des Tschadsees zu helfen, um die wirtschaftlichen Aktivitäten wiederzubeleben und den Terrorismus zurückzudrängen, beschloß die LCBC, den ältesten Vorschlag, der uns vorlag, das sog. Transaqua-Projekt, genauer anzuschauen. Dieser Vorschlag wurde in den 80er Jahren als umfassende Lösung für die Rekorddürre in der Sahelzone entwickelt. Diese Dürre hatte schon 1973 begonnen und herrschte in den 80er Jahren immer noch.
Die Abuja-Konferenz von 2018
Im März 2018 kamen acht afrikanische Staats- und Regierungschefs in Abuja, um an der Internationalen Konferenz über den Tschadsee in Abuja teilzunehmen. Diese acht Staatsoberhäupter und Regierungschefs wählten auf der Grundlage der Vorträge und Diskussionen in den Arbeitsgruppen das Transaqua-Projekt aus, als die machbarste Option, um den Tschadsee zu retten, aber auch, um Afrika zu transformieren.
Bei diesem Treffen waren fünf Staatschefs von Mitgliedstaaten der LCBC anwesend, dazu kamen ein Vertreter der Regierung Libyens und auch Präsident Ali Bongo Ondimba von der zentralafrikanischen Republik Gabun. Wir hatten auch die Zustimmung des Präsidenten von Kongo-Brazzaville, Denis Sassou Nguesso, zu den Ergebnissen der Konferenz; er rief während der Konferenz an und sagte: „Ich gebe allem, was bei dieser Konferenz herauskommt, meinen Segen.“ Das war das erste Mal, daß afrikanische Staatsführer zusammengekommen sind und versucht haben, eine gemeinsame Lösung für dieses Problem zu finden.
Der Transaqua-Vorschlag besteht in einer 2400 km langen Wasserstraße, um 30-50 Mrd. m3 Wasser aus den rechten Nebenflüssen des Kongo in den Tschadsee zu leiten. Bei dem ursprünglichen Vorschlag, der in den 1980er Jahren von dem italienischen Ingenieur Marcello Vichi kam, schätzte man, daß man 100 Mrd. m3 Wasser aufnehmen und zum Tschadsee leiten könnte. Aber seit damals bis heute hatten wir ständige Dürre, deshalb geht man allgemein davon aus, daß wir wahrscheinlich nicht auf 100 Mrd. m3 kommen werden, aber den rechten Nebenflüssen des Kongo zwischen 30 und 50 Mrd. m3 Wasser entnehmen können, um sie zum Tschadsee zu leiten. Man erwartet, daß das Projekt sieben afrikanischen Ländern direkten wirtschaftlichen Nutzen schafft und fünf weiteren Ländern, die mit den Becken des Kongo und des Tschadsees verbunden sind, indirekten Nutzen bringen wird.
Die Erklärung von Abuja und Transaqua
Am Ende der Konferenz einigten sich die Staatschefs auf die Erklärung von Abuja; darin weisen sie darauf hin, wie das Austrocknen des Tschadsees und der Verlust der Mittel zum Lebensunterhalt in der Sahelregion die Sicherheit der Menschen beeinträchtigt: Wanderung nach Süden und Ausbreitung von Konflikten nach Zentralafrika und Kongo, Gefahr für Leben und Besitz in der Sahelzone, in der Tschadseeregion und in Westafrika allgemein, sowie langfristiger Verlust der Stabilität in Zentralafrika. Das nimmt nach und nach zu.
Seit 1973 sind diejenigen, die etwas besaßen, also diejenigen, die Herden hatten, aus der Sahelzone fortgezogen. Sie ziehen zur Mitte Afrikas hin, wo das Gras noch grün ist. Sie versuchen, den wenigen Besitz zu erhalten, den sie haben, indem sie nach Süden ziehen. Diese Wanderung führt sie in neue Regionen, wo sie auf Menschen anderer Kulturen treffen, die andere Sprachen sprechen. Das ist die Hauptursache der Probleme in der Zentralafrikanischen Republik. Deshalb kamen wir zu dem Schluß, daß diese Südwanderung in Regionen, die schon jetzt unter inneren Konflikten leiden, noch mehr Probleme auslösen wird, wenn wir die Lage nicht herumreißen. Der Verlust der Existenzgrundlage veranlaßt auch die jungen Menschen in der Sahelzone, nach Norden durch Libyen nach Europa zu emigrieren.
In der Erklärung von Abuja wird die Transaqua-Initiative für den Wassertransfer zwischen den Becken als ein panafrikanisches Projekt unterstützt, das notwendig ist, um den Tschadsee wieder aufzufüllen, für Frieden und Sicherheit in der Tschadseeregion und zur Förderung von Schiffahrt, industrieller und wirtschaftlicher Entwicklung im gesamten Kongobecken.
Die Afrikanische Entwicklungsbank wurde beauftragt, die Schaffung eines Tschadseefonds von 50 Mrd. $ zu organisieren. Die Finanzierungsquellen sollen eine soziale Komponente haben, die aus öffentlichen Mitteln der afrikanischen Staaten finanziert wird, und eine wirtschaftliche Komponente, die aus öffentlichen Mitteln sowie Krediten und Spenden von Afrikas Entwicklungspartnern kommen soll.
Transaqua, gemeinsamer Nutzen und Wirtschaftswachstum in Afrika
Abb. 1: Fertige und geplante Eisenbahnstrecken in Afrika und das Transaqua-Projekt.
Dieses Bild (Abbildung 1) zeigt die notwendige Eisenbahninfrastruktur, die mit Hilfe Chinas gebaut wird. Das Blaue in der Mitte ist der Transaqua-Schiffahrtskanal, ausgehend von der Region südlich des Victoriasees, in der Kivu-Region. Er wird dann das Wasser unter Zuhilfenahme der Schwerkraft in die Zentralafrikanische Republik leiten, wo wir eine Industriezone aufbauen wollen. Der Kanal wird das Wasser in den Chari-Fluß leiten, der dann den Tschadsee wieder auffüllen wird.
Abb. 2: Entwicklungsplan für die Region des Transaqua-Projektes.
Dies (Abbildung 2) ist die Region, die vom Transaqua-Projekt profitieren wird. Sie können sehen, daß der erste Nutznießer die Demokratische Republik Kongo sein wird, denn das Wasser stammt aus diesem Becken. Wir brauchen neue Konzepte, um das, was dort geschieht, zu beschreiben. Die traditionelle Vorstellung ist, daß man vorhandenes Wasser zwischen Staaten oder einer Gruppe von Nutzern aufteilt. Aber bei dem neuen Konzept des geteilten Nutzens, der Win-Win-Situation, können wir diese traditionelle Vorstellung nicht anwenden. Hier ist vorgesehen, daß eine bestimmte Wassermenge, die einen bestimmten Wert hat, dem Kongo entnommen und durch den Kanal geleitet wird. Sie erzeugt Mehrwert durch den Transport von Waren, sie erzeugt Mehrwert durch die Auffüllung des Kanals. So gelangt das Wasser in die Zentralafrikanische Republik.
Wenn dieses Wasser fließt, werden Staudämme gebaut. Wir haben lokalisiert, wo an den Nebenflüssen Staudämme gebaut werden. Diese Staudämme erzeugen Strom – ein weiterer Wert, der durch dieses Wasser geschaffen wird. Und wenn es in die Zentralafrikanische Republik gelangt, kann auch dort die Wasserkraft genutzt werden, und das Wasser kann auch zur Bewässerung genutzt werden. Das gleiche Wasser wird dann zum Tschadsee geleitet. Kamerun kann das Wasser zur Bewässerung nutzen, Kamerun kann auch einen Teil des erzeugtens Stroms nutzen, ebenso der Tschad, denn alle diese Regionen haben bisher keine Elektrizität. Das alles ist Nutzen, den dieses Projekt hervorbringt.
Schließlich gelangt das Wasser in den Tschadsee. Niger wird Nutzen ziehen aus der Bewässerung und was immer sie sonst mit dem Wasser tun wollen. Es ist eine große Chance, um Waren und Dienstleistungen aus Zentralafrika in den Sahel zu bringen, mit neuen Bewässerungsprojekten. Anstatt jedes Jahr Milliarden Tonnen Reis zu importieren, wird Afrika diesen Reis dann selbst erzeugen. Die Industriezonen und die Containerterminals, die entlang des Schifffahrtskanals entstehen, werden neue wirtschaftliche Entwicklung bringen.
Diese Wassermenge wird auch die Biodiversität wiederbeleben, insbesondere im Kongobecken, wo es große Naturreservate gibt. Wenn man mehr Wasser in diese Gebiete bringt, fördert man eine Zunahme der Biodiversität in diesen Reservaten. Das Projekt wird Afrika nicht nur wirtschaftlich entwickeln, sondern auch helfen, die Artenvielfalt in der Zentralafrikanischen Republik zu beleben und zu schützen und die Biodiversität im Tschadsee zu beleben. Es wird den regionalen Handel antreiben, es wird neue wirtschaftliche Infrastruktur wie Binnenhäfen, Containerterminals, agroindustrielle Zonen und neue Straßen schaffen. In einigen Gebieten gibt es bisher noch keine Straßen. Wenn man in der Demokratischen Republik Kongo von einer Stadt in eine andere gelangen will, die nicht am Kongofluß liegt, dann ist das eine gewaltige Herausforderung. Man muß entweder mit dem Fahrrad oder dem Motorrad fahren. Diese Projekte werden mit Sicherheit neue Straßen hervorbringen.
Von Anfang an finanzielle Erträge
Das Projekt muß auch nicht auf einen Schlag umgesetzt werden. Das Unternehmen, mit dem wir zusammenarbeiten, die Bonifica-Gruppe in Italien, hat Simulationen erstellt. Ihre Simulationen besagen, daß man das Projekt in bis zu 12 Abschnitte (Lose) unterteilen kann. Vom ersten Baulos an können wir Wirtschaftsgüter produzieren, und mit dem Geld, das durch den Verkauf dieser Güter erlöst wird, können wir dann zur nächsten Phase übergehen, zum nächsten Baulos. So werden die afrikanischen Länder mit der Zeit sogar in der Lage sein, sie so zu planen, daß sie Partner ihrer Wahl hinzuziehen können, die sich an der Entwicklung der verschiedenen Baulose beteiligen.
Der Simulation zufolge können die finanziellen Erträge, die sich schon bei der ersten Phase einstellen werden, in den kommenden 30 Jahren für ein stabiles Wachstum sorgen, das ist die erwartete Dauer für die Realisierung des Projekts. Es wird also einen ständigen Kapitalzufluß geben, konstante finanzielle Resultate, die dann in die nächste Phase des Projekts einfließen. Das Projekt wird also von Anfang an finanziell tragfähig sein.
Der erste Bauabschnitt, den Bonifica simuliert hat, ist der Bau eines Damms in der Zentralafrikanischen Republik, der 200 MW Strom aus Wasserkraft erzeugt; Schaffung von vier Bewässerungsanlagen mit zusammen mehr als 40,000 ha Land; Bau von bis zu 600 km Straßen, mehreren neuen städtischen Siedlungen und einem Industrie- und Logistikkomplex, der direkt 20.000 Menschen beschäftigen und noch einmal so viele Arbeitsplätze indirekt schaffen wird. Das ganze beruht auf Investitionen von lediglich etwa 4 Mrd. Euro. Das kann bis 2025 erreicht werden.
Abb. 3: Erste Schritte zu einem großen Fortschritt: Es ist möglich, das Projekt in verschiedene operationelle Abschnitte zu unterteilen.
Nkrumah hatte diesen Traum
Kommen wir nun zurück zu der Frage: „Wird Afrika das nächste China werden?“ Die Antwort lautet „Ja“ – wenn wir diese Investitionen in der Zentralafrikanischen Republik vornehmen und in dieser Partnerschaft zwischen Afrika, Europa und China in den kommenden 50 Jahren fortsetzen. 2016 hat China Präsident Mohammadu Buhari zugesagt, in dieses Projekt zu investieren. Sie waren die ersten, die mit einer Machbarkeitsstudie dafür begonnen haben. Später beschloß Italien, sich zu beteiligen, was uns sehr freut. In der Konferenz in Abuja spendete Italien 2,5 Mio. Euro für eine Machbarkeitsstudie. China hat also bereits 1,8 Mio. Dollar investiert, dann folgte Italien mit 2,5 Mio. Euro. Wir sind nun in der Lage, eine umfassende Studie des Transaqua-Projektes durchzuführen. Es ist mehr als bloß ein Wasserprojekt, es ist ein Transformationsprojekt für Wirtschaftswachstum in Afrika.
Abb. 4: Entwicklung der Tschadsee-Region durch das Transaqua-Projekt bis 2087.
Wenn das Infrastrukturprojekt Transaqua mit Unterstützung und in Partnerschaft mit Europa und China realisiert wird, dann wird das Afrika mit Sicherheit auf den Weg zu wirtschaftlichem Wachstum, Sicherheit für die Menschen, Industrialisierung, Frieden und Entwicklung bringen. Der Traum panafrikanischer Staatsmänner wie Dr. Kwame Nkrumah würde wahr. Nkrumah hatte seinen Traum 1964. Wenn wir jetzt damit anfangen, in diese Partnerschaft zu investieren, dann wird Afrika in 50 Jahren das neue China sein.
Wir haben bereits die Straßen geplant, die notwendig sein werden, um den ersten Abschnitt in der Zentralafrikanischen Republik zu realisieren. Wir gehen davon aus, daß der Tschadsee im Jahr 2087 ein durchgehender See sein wird, nicht mehr aufgeteilt in verschiedene Teiche, wie es derzeit der Fall ist. Wir werden einen einzigen großen See haben. Wir haben eine Karte der Gebiete erstellt, die dann in allen Ländern rund um den Tschadsee bewässert werden (Abbildung 4). Wir sind fest davon überzeugt, daß dies Afrika völlig verwandeln wird.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Historiker Amzat Boukari-Yabara (1:01:18), Generalsekretär der Panafrikanischen Liga Umoja, verwies auf die langen Beziehungen zwischen China und Afrika. Die Kritik der westlichen Medien an Chinas Präsenz in Afrika, sagte er, sei eher motiviert vom Rückgang des euro-amerikanischen Einflusses auf Märkten, die sie für ihre eigenen gehalten hatten, als von einem wirklichen Interesse an der Zukunft der Afrikaner. Für diese könne es nicht darum gehen, einen Kolonialismus durch einen anderen zu ersetzen, sondern nur darum, wie sie ihre Souveränität zurückgewinnen. Wenn China oder andere mit afrikanischen Ländern verhandeln, dann müßten Afrikaner das Interesse ganz Afrikas berücksichtigen. Dazu müsse die nationale Politik in Übereinstimmung mit einer kontinentalen Politik gebracht werden.
die deutsche Übersetzung seiner Rede folgt in Kürze…
Abdullatif Elwashali und Aiman Al-Mansour (1:21:12) von der jemenitischen Vereinigung INSAN für Menschenrechte und Frieden berichteten dann über die schreckliche Lage in ihrem Land, die durch den Krieg der saudisch geführten Koalition herbeigeführt wurde. Nach drei Jahren Krieg sei das Land zerstört, es gebe bisher 36.000 Zivilopfer, darunter 14.000 Tote. Die Infrastruktur sei zerstört, durch die Luft- und Seeblockade werde ein Wirtschaftskrieg gegen das Land geführt. 55% der medizinischen Einrichtungen seien ganz oder teilweise zerstört, ebenso 896 Schulen. Millionen Menschen fehle medizinische Versorgung, Nahrungsmittel, Trinkwasser, humanitäre Hilfe gelangen nicht in das Land und die internationale Gemeinschaft schaue nur zu. Den Saudis gehe es nur darum, die jemenitischen Streitkräfte zu schwächen und die Kontrolle über das Land zu gewinnen und dessen geopolitische Lage zu nutzen. Sie wollten nicht, daß die Jemeniten selbst entscheiden. Diese humanitäre Krise müsse gelöst werden, bevor das Land sich an der Neuen Seidenstraße beteiligen könne. Saudi-Arabien und die Emirate müßten dazu gebracht werden, daß sie den Jemen in Ruhe lassen.
Aktuelle Lage und Herausforderungen für den Frieden im Jemen
Abdullatif Elwashali: Mein Name ist Abdullatif Elwashali, und ich werde mit meinem Kollegen Dr. Aiman Al-Mansor von der Organisation INSAN für Menschenrechte und Frieden einen schnellen Überblick über die aktuelle humanitäre Lage im Jemen und die Herausforderungen des Friedens im Jemen geben.
Der Jemen ist ein uraltes Land, das 5000 Jahre Geschichte hat, ein Land, das in der Geschichte den Namen „Felix Arabia“ hatte. Im Jemen leben fast 28 Millionen Menschen, und 19% davon gehören zu der Bevölkerungsgruppe, die unter 15 Jahre alt sind. Die Arbeitslosigkeit aktuell ist ungefähr 64%, vor dem Krieg war die Arbeitslosigkeit 37%.
Der Anteil der Bevölkerung, der in Armut lebt, ist aktuell 85%, vor dem Krieg waren es 54%.
Das ist die Lage der Bevölkerung. Es stimmt vielleicht nicht 100% überein mit der aktuellen Situation im Land, aber dies sind Zahlen, die ungefähr reflektieren, wie das Land im Moment dasteht.
Das Land Jemen liegt an der Südwestseite der Arabischen Halbinsel, und es steht heute vor dem „Dreieck des Schreckens“: Krieg, Hunger und Epidemien.
Für den Krieg wurde eine Kriegskoalition gebildet, sie besteht aus 17 Staaten, diese Koalition wird von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten angeführt.
Welche Gründe hat dieser Krieg? Der vorgeschobene Grund für den Krieg ist die Rückkehr des von Saudi-Arabien abhängigen Präsidenten Hadi und seiner Regierung nach Sanaa, um ihn wieder an die Macht zu bringen.
Welche Folgen hat dieser Krieg für uns? Aktuell, nach drei Jahren Krieg, ist das Land komplett zerstört, über 36.000 Zivilisten sind über drei Jahre Opfer dieses Krieges, 14.000 davon sind tot. Die Infrastruktur ist zum großen Teil zerstört, es besteht bis heute eine Luft- und Seeblockade, es wird ein Wirtschaftskrieg geführt, und das Versagen des Finanzsystems zeigt sich an der Zahlungsunfähigkeit der Zentralbank in Sanaa. Die Gehälter können für viele, viele Menschen nicht gezahlt werden.
Nicht nur das Einkommen der Menschen ist eingeschränkt, sondern auch das Gesundheitssystem ist zum großen Teil funktionsunfähig. Laut UN sind 55% der Gesundheitseinrichtungen teilweise oder komplett zerstört. 22 Millionen Menschen sind von Epidemien und Hunger bedroht.
Das (Abb.1-4) sind Bilder vom Krieg, wir möchten mit diesen Bildern niemand erschrecken, aber es sind schreckliche Bilder, die zeigen, wie massiv der Krieg die Zivilbevölkerung trifft.
Abb. 1: Eine zerstörte Schule im Jemen.
Abb. 2: Ein zerstörter Markt in Saada.
Abb. 3: Eine zerstörte Krankenstation der Ärzte ohne Grenzen.
Abb. 4: Der Hafen von Al-Hodaidah.
Auf dem ersten Bild sehen Sie einige Kinder, die in einer zerstörten Schule stehen. Wenn man die Statistiken betrachtet, wie viele Schulen und Institute wurden zerstört? Das waren über drei Jahre schon jede Menge an Bildungsinstituten, die aktuelle Zahl ist 869 Schulen und Institute, die durch diesen Krieg zum Teil oder komplett zerstört wurden (Abbildung 1).
Auf dem nächsten Bild ist ein Markt in Saada, der letztes Jahr zerstört wurde, um ein Uhr nachts (Abbildung 2). Was hat dieser Markt mit dem Krieg zu tun? Das ist ein großes Fragezeichen.
Das untere Bild links (Abbildung 3) ist eine Krankenstation, sie wurde von Ärzte ohne Grenzen genutzt, um den Menschen dort zu helfen. Sie wurde am 16. August 2016 durch einen Luftangriff zerstört, viele Menschen kamen ums Leben oder wurden verletzt, darunter auch das Team der Ärzte ohne Grenzen.
Zur Zerstörung der Infrastruktur könnte man vieles sagen, aber eine der größten und ganz aktuell ist der Hafen Al-Hodaidah (Abbildung 4), er wurde mehrfach durch Luftangriffe angegriffen, ebenso wie Brücken, Zivileinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen, Flughäfen, auch diese wurden durch diesen Krieg zum großen Teil getroffen.
Die humanitäre Lage ist katastrophal. 22 Millionen Menschen stehen vor einer großen Katastrophe, einem großen Mangel an medizinischer Versorgung, es herrscht großer Mangel an Lebensmitteln, und die Einkommen sind extrem gering, die Gehälter werden nicht gezahlt. Was resultiert daraus? Ein Zusammenbruch des Finanzsystems, Zerstörung von zivilen Einrichtungen, Zusammenbruch der Wasserversorgung in großen Teilen des Landes. Das Gesundheitssystem ist, wie schon erwähnt, zum großen Teil auch funktionsunfähig, dazu kommen verzögerte humanitäre Hilfe und das Zurückhalten der internationalen Gemeinschaft.
Für diesen Krieg werden viele Gründe angeführt. Was wurde da behauptet? Mit diesem Krieg will man angeblich dem Jemen als Land helfen, der Bevölkerung helfen. Ich glaube nicht, daß irgend jemand von uns hier bei dieser Konferenz diese Behauptung glaubt.
Deswegen wird der Kollege Aiman Al-Mansor jetzt weiterführen und über die Herausforderung für den Frieden und die unsichtbaren Gründe für diesen Krieg sprechen. Vielen Dank. [Applaus.]
Dr. Aiman Al-Mansor: (Ich finde es etwas lustig, daß wir, die aus dem Jemen kommen, die einzigen sind, die in dieser Konferenz deutsch sprechen; das ist toll.)
Mein Kollege hat schon erwähnt und auch gezeigt, was jetzt im Jemen passiert ist, und ich glaube, man braucht Tage und vielleicht Monate, um alles zu zeigen, was da passiert ist, es ist schrecklich. Wir haben noch unsere Familien da, und wir kämpfen jeden Tag damit, welche Nachrichten wir bekommen.
Die Behauptung, dem Jemen zu helfen, indem der schon zurückgetretene Präsident Hadi wieder an die Macht gebracht werden soll, die Behauptung, daß Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate die Demokratie in den Jemen zurückbringen wollen, das ist zum Lachen. Daß zwei Länder, die mit Demokratie überhaupt nichts zu tun haben, wo die Frauen erst jetzt, vor einer Woche oder vor einigen Tagen, Auto fahren dürfen, die Demokratie im Jemen befestigen wollen, das ist einfach zum Lachen. [Applaus.]
Den Jemeniten dadurch zu helfen, daß man ihre Infrastruktur zerstört und die Krankenhäuser bombardiert und die Kinder erschreckt und die Schulzeiten verändert, so daß viele Kinder gar nicht zur Schule gehen können – das kann man nicht glauben! Ein normaler Mensch, der ganz normal denken kann, der kann das nicht glauben.
In diesem Krieg gibt es, wie mein Kollege gezeigt hat, 35.000 Zivilopfer. Das ist die größte humanitäre Katastrophe des 21. Jahrhunderts, laut UN.
Deswegen: Warum findet dieser Krieg statt?
Die unsichtbaren Kriegsgründe sind folgende: Sie wollen das jemenitische Militär schwächen, sie wollen die politische Kontrolle durch die Saudis und indirekt auch durch die Amerikaner nicht verlieren. Saudi-Arabien hat sich schon immer eingemischt in die jemenitischen Angelegenheiten, schon seit Ewigkeiten – 1934, 1967 und jetzt 2015 -. und sie können es einfach nicht zulassen, daß die Jemeniten selber entscheiden, wie die politische Situation sich entwickeln soll, wer gewählt wird. Die Saudis haben immer entschieden, wer Minister wird und wer der Stellvertreter wird und welcher Bürgermeister in welcher Stadt gewählt wird; aber seit 2015 haben sie diese Entscheidungen verloren, und das ist auch einer der unsichtbaren Gründe, warum der Krieg begonnen wurde.
Auch die geopolitische Lage des Jemen ist immens wichtig für die Saudis und für die Emirate, weil sie diese Win-Win-Situation nicht verstehen, daß wenn der Jemen seine wirtschaftliche und geopolitische Lage gut nutzen kann, dann auch die anderen alle davon profitieren können. Das verstehen sie nicht, das ist eine egoistische Denkweise, wie die beiden Länder damit umgehen.
Auch die wirtschaftlichen Interessen sind sehr groß, denn an der Grenze zu Saudi-Arabien und auch an der Küste zum Roten Meer dürfen die Jemeniten nichts machen, sie dürfen nicht selber entscheiden, was da passiert und welche wirtschaftlichen Fortschritte da begonnen werden könnten.
Abb. 5: Lage des Jemen am RotenMeer, an der Bab-el-Mandab-Straße und am Golf von Aden.
Ich komme nun zu der Karte (Abb.5), die auch mein Kollege schon gezeigt hat, wo der Jemen liegt und welche wichtige Rolle diese geographische Lage für den Jemen bedeutet. Denn der Jemen liegt am Roten Meer, der Verbindung zwischen dem Suezkanal und dem Golf von Aden und weiter zum Arabischen Meer, als Verbindung zwischen Europa und Asien und Afrika. Weil der Jemen auch diese Mandab-Meerenge und den Golf von Aden hat, darf Jemen nicht angegriffen werden, schon um die internationale Wirtschaft zu schützen. Damit alle diese Win-Win-Situation haben, darf der Jemen nicht angegriffen werden, und wir dürfen einfach nicht zulassen, daß die Saudis und die Emirate sich naiv und wie Kinder verhalten in dieser Region. Denn das bedroht die internationale Wirtschaft.
Was wir hier von dieser Konferenz erhoffen oder uns wünschen, was wir machen könnten, bevor wir Jemen in die Seidenstraße einbeziehen: Der Jemen hat jetzt die größte humanitäre Katastrophe. Die Menschen müssen die Empathie der internationalen Gemeinschaft spüren, damit der Jemen mitmacht. Der Jemen selbst muß gar nicht überzeugt werden, aber die Saudis und die Emirate müssen überzeugt werden, den Jemeniten diese Entscheidung zu überlassen. Und dann werden die Jemeniten auch mitmachen. Der Kollege, der chinesische Diplomat, hat ein Sprichwort gesagt: Wenn du reich werden willst, mußt du eine Straße bauen. Und wir sagen: Wenn wir die Teilnahme des Jemen an den wirtschaftlichen Plänen für notwendig halten, dann sollten wir den Jemen aus dieser Katastrophe herausholen.
Deswegen ist dies eine Herausforderung für uns alle. Denn wir alle als Menschen müssen auch an uns alle als Menschen denken. Wer seine Familie hier hat und gut essen kann und ruhig ins Bett gehen kann, der muß einfach daran denken, daß die Menschen im Jemen und in vielen anderen Ländern wie in Syrien das nicht können. Und wir dürfen nicht so lange zuschauen, wie wir es in Syrien gemacht haben, wir haben zu lange einfach zugeguckt. Wir haben so lange gewartet, bis die Katastrophe zu uns kam, und dann erst haben wir die Augen aufgemacht, als wir uns selber und unsere Wirtschaft bedroht gefühlt haben. Deswegen darf man einfach nicht so lange zuschauen, und der Krieg muß beendet werden.
Das ist das Hauptkriterium, eine Voraussetzung für wirtschaftliche Interessen, und man muß Jemen auch als souveränes Land sehen. Es muß ein offener Dialog für alle politischen Probleme im Land geführt werden, wir brauchen Volksgerichte, eine Verfassung und Neuwahlen, die katastrophale humanitäre Lage muß bewältigt werden, es muß ein Wiederaufbauplan vorbereitet werden, und wir brauchen die Bereitschaft und Beteiligung der internationalen Gemeinschaft am Wiederaufbau des Jemen.
Das ist die allgemeine Herausforderung eines Friedens. Was wir z.B. von den BRICS-Staaten wollen, von China oder Rußland oder jedem, der einfach wirtschaftliche Interessen hat, der vielleicht nicht an die menschliche Situation im Jemen denkt, aber Länder, die einfach wirtschaftlich denken, müssen eine eigene Friedensinitiative bilden. Man muß nicht auf die UN warten, wir müssen nicht darauf warten, wie die EU reagiert. Wir müssen selber etwas machen und eine eigene Friedensinitiative bilden.
Wir müssen auch die unabhängigen weltweiten Medien erreichen. Es wird so wenig gezeigt über den Jemen, obwohl die UN gesagt hat, es ist die größte humanitäre Katastrophe des 21. Jahrhunderts. Aber es wird wenig gezeigt. Das muß gezeigt werden, das ist auch ein Druckmittel, daß die Saudis damit aufhören, es ist auch ein Druckmittel, daß die Emirate damit aufhören.
Und wir brauchen eine schnelle Bewältigung der humanitären Katastrophe. Wir müssen uns die Probleme im Jemenan anschauen – was die Leute brauchen. Sie brauchen Schulen, sie brauchen Straßen, sie brauchen medizinische Hilfe, sie brauchen unsere Empathie. Wir müssen schnell reagieren, und selbst etwas tun, und nicht warten, was die UN macht und was sie vorbereitet hat, wir müssen selbst etwas tun. Die Medien müssen das auch spüren. Und den Wiederaufbau des Landes, das kann vielleicht Herr Askary erklären.
Vielen Dank.
Hussein Askary (1:41:00) schloß die Vortragsrunde mit der Vorstellung eines neuen Berichts über die „Operation Felix“. Das Ziel der Operation Felix sei es nicht, den Jemen so wiederherzustellen, wie er vor dem Krieg war – als das ärmste Land der Region -, sondern eine „Wirtschaftsplattform“ für ein blühendes und fortschrittliches Land zu schaffen und es an die BRI anzuschließen. Askary zeigte, wie die jemenitische Volkswirtschaft über 30 Jahre unter dem Diktat des IWF und der Weltbank zerstört wurde, und beschrieb dann Schritte, mit denen diese Entwicklung rückgängig gemacht werden kann, wie die Gründung einer Jemenitischen Nationalbank für Wiederaufbau und Entwicklung, um den Wiederaufbau des Landes und den Bau von Entwicklungskorridoren zu finanzieren, die den Jemen mit Afrika und über Oman und den Iran mit der Neuen Seidenstraße zu verbinden.
Das Wunder des Wiederaufbaus des Jemen und die Verbindung zur Neuen Seidenstraße
Der Jemen ist, denke ich, ein perfektes Beispiel dafür, wie eine Tragödie in einen Sieg verwandelt werden kann, einen Sieg nicht nur für den Jemen oder das jemenitische Volk, sondern für die gesamte Menschheit. Ich werde erklären, warum.
Wie unsere Freunde soeben beschrieben haben, hat der saudische Krieg gegen Jemen, unterstützt von Großbritannien, den Vereinigten Staaten, Frankreich und anderen Ländern, seit dreieinhalb Jahren viele Tragödien mit sich gebracht, aber auch viele Ironien. Sie zeigen, daß die scheinbar Schwachen nicht notwendigerweise gegen die Starken verlieren müssen.
Die Jemeniten sind zwar das ärmste Volk in der Region, aber sie haben ein tiefverwurzeltes historisches Selbstwertgefühl und eine Kultur, die Jahrtausende zurückreicht. Sie sind ein stolzes Volk mit einem republikanischen Freiheitsgefühl und einer rauhen Landschaft, die sehr vorteilhaft ist für den Verteidigungskrieg. Alle diese Faktoren versetzten sie in die Lage, der saudischen Koalition zu widerstehen, die von einigen der mächtigsten Streitkräfte auf dem Planeten unterstützt werden, und das seit mehr als drei Jahren. Aber, wie wir noch sehen werden, zu einem sehr hohen Preis.
Eine weitere Ironie ist, daß sich einige Jemeniten inmitten schlimmster Kriegzeiten mit der von Lyndon LaRouche und dem Schiller-Institut entwickelten Wirtschaftslehre beschäftigen, um herauszufinden, wie man eine moderne Ökonomie aufbaut und das Desaster der Vergangenheit vermeidet. Sie haben auch die Neue Seidenstraße studiert und wollen, daß sich Jemen der Belt-and-Road-Initiative anschließt. Wie ich bereits zuvor in diesem Panel gesagt habe: um zu überleben, muß man zu den Sternen aufschauen, d.h. in die Zukunft und daraus Inspiration und Mut ziehen, um den jetzigen Kampf zu überleben und auch den Weg zu ebnen, um die Krise zu lösen.
Abb. 1: Die Teilnehmer eines Seminars am Hauptsitz des Allgemeinen Investitionsamtes (GIA) unterstützten in der „Sanaa-Erklärung“ den Bericht über die „Operation Felix“.
Abb. 2: Titelseite des Berichts „Operation Felix: Der Wiederaufbaus des Jemen und die Verbindung zur Neuen Seidenstraße“.
Anfang des Monats, am 6. Juni, hat in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, mitten in einer weiteren Kriegseskalation ein Seminar stattgefunden, und zwar am Hauptsitz des Allgemeinen Investitionsamtes (GIA), wo die Sanaa-Erklärung verabschiedet wurde (Abbildung 1). In die Erklärung wurde der 86seitige Bericht des Schiller-Instituts „Operation Felix: Der Wiederaufbaus des Jemen und die Verbindung zur Neuen Seidenstraße“ (Abbildung 2) aufgenommen, der von mir verfaßt wurde. Der GIA-Vizedirektor Ingenieur Khaled Sharafeddin eröffnete das Seminar, indem er Helga Zepp-LaRouche, der Präsidentin des Schiller-Instituts, für ihre unermüdliche Unterstützung für das jemenitische Volk dankte. Er drückte seine volle Unterstützung für die in dem Bericht gemachten Vorschläge aus und betonte, das GIA werde mit der Regierung in Sanaa zweigleisig zusammenarbeiten: Einmal soll der Bericht zu einem Aktionsplan für die Regierung umgeschrieben werden, und zum anderen sollen alle in dem Bericht erwähnten Infrastruktur- und Finanzierungsvorschläge genau studiert werden, um den Wiederaufbauprozeß einleiten zu können, sobald der Aggressionskrieg beendet ist.
In dem Bericht beschreibe ich im Detail, wie die Bombardierungen und die komplette Luft- und Seeblockade der Saudi-Koalition die heutige schreckliche humanitäre Katastrophe hervorgerufen hat. Dann beschreibe ich den Wiederaufbau-Prozeß und die Verbindung zur Belt and Road Initiative.
Die Zerstörung des Jemen vor dem Krieg 2015
Ein wichtiges Kapitel in meinem Bericht dreht sich darum, wie die Wirtschaft des Jemen bereits vor dem Kriegsbeginn im März 2015 ruiniert wurde, und zwar durch 30 Jahre einer falschen Wirtschaftspolitik hauptsächlich unter Anleitung von IWF und Weltbank. Diese Politik brachte dem Jemen den Beinamen „ärmstes Land im Nahen Osten“ ein.
Ich habe sehr sorgfältig beschrieben, was mit der Wirtschaft und den Menschen im Jemen vor dem Krieg geschehen ist, um so die verantwortlichen Politiker vor den Fallstricken der Wirtschafts- und Finanzmethoden zu warnen, die im transatlantischen alten Paradigma und seiner Kunden/Opfer vorherrschend waren. Man muß diese Dinge kennen, denn es besteht die Gefahr, daß sich die gleichen Wirtschaftsmethoden auch dieses Mal wieder in sogenannter „Wiederaufbauhilfe“ verstecken.
Ein Phänomen, an dem die jemenitische Regierung selbst schuld ist, ist definiert hier als Mentalität eines „Rentierstaats“, das einen Staat beschreibt, der sich fast ausschließlich auf den Export seiner leicht ausbeutbaren reichlichen Rohstoffe stützt, um die eigenen Bedürfnisse zu decken, ohne sich groß um Investitionen zur Verbesserung der einheimischen produktiven Kapazitäten zu kümmern. Saudi-Arabien, die Golfstaaten und andere OPEC-Staaten sind gute Beispiele hierfür. Jemen ist ein extremes Beispiel.
Abb. 3. Anstieg und Absturz des Ölpreises.
In Jemen wurden 1986 Erdölvorkommen entdeckt, und der Ölexport begann 1987, wodurch der Staat plötzlich mit Devisen überschwemmt wurde (Abbildung 3). Als jedoch 1997 die Asienkrise die globale Wirtschaft traf, sank der Ölpreis plötzlich von 40 Dollar in den Bereich von 20 Dollar. Er erholte sich nicht bis zum 11. September 2001 und der anschließenden Invasion des Irak, als er auf 100-120 Dollar anstieg. Nach der Finanzkrise 2007-2008 kollabierte der Preis jedoch wieder.
Dieser Faktor machte den Jemen zur Geisel schwankender globaler Preise und seiner fast vollständigen Abhängigkeit von Ölexporten, um die erforderlichen Importe von Nahrungsmitteln und fast allen anderen Waren zu finanzieren.
1995 kamen IWF und Weltbank dem Jemen „zu Hilfe“, um seine Finanzprobleme zu lösen. Es gab vier Runden sogenannter „Struktureller Anpassungsprogramme“ von jeweils fünf Jahren, die den Staat zwangen, seine Unternehmen zu privatisieren, staatliche Subventionen für Nahrung und Waren des täglichen Bedarfs zu streichen, Zehntausende Staatsbedienstete zu entlassen und den Binnenmarkt für konkurrierende ausländische Güter zu öffnen.
Diese radikale Freimarktpolitik tötete die noch vorhandene einheimische Produktion ab. Es erübrigt sich zu sagen, daß es dem Staat nicht länger erlaubt war, die Infrastruktur und Industrie aufzubauen, noch Landwirtschaftsprojekte zu unterstützen. Seine Souveränität über die Wirtschaft ging verloren. Die massive Privatisierungskampagne staatlicher Unternehmen ermöglichte es einigen korrupten Eliten, sich durch die Eigentumsübertragung dieser Besitztümer zu bereichern.
Trotz der schlechten Versorgungslage im Land, besonders nach der globalen Krise der Nahrungsmittelpreise 2008, wurde der Jemen ermutigt, den Export sogenannter cash crops wie Obst und Gemüse zu erhöhen, wobei Saudi-Arabien und die Golfstaaten die Hauptabnehmer waren. Ohne Unterstützung oder Schutz für den einheimischen Getreideanbau gingen die Bauern zum lohnenderen Anbau von Obst und Gemüse über, oder schlimmer noch zu der Droge Quat, deren Konsum in dieser Zeit expodierte und später weiter anstieg. Der Fischereisektor war der einzige Bereich, in den deutlich investiert wurde, aber der Zweck war nicht die Versorgung der Bevölkerung, sondern die Exportmärkte. Nach all diesen großartigen Bemühungen von IWF und Weltbank war dies das Ergebnis (Abbildungen 4 und 5):
Abbildung 3: Kollaps von Gesundheit, sozialer Lage und Dienstleistungen
1990 | 2000 | 2014 | |
---|---|---|---|
Unterernährung (%) | 28,9 | 29,6 | 26,1 |
BIP/Kopf (US-$, Kaufkraftparität) | 3441 | 4018 | 3832 |
Untergewicht bei Kindern unter fünf Jahren (%) | 29,6 | 43,1 | 35,5 |
Abhängigkeit von Getreideimporten (%) | 69,9 | 78,6 | 81,2 |
Zugang zu sauberem Trinkwasser (% der Bevölkerung) | 66,3 | 59,8 | 54,9 |
Nahrungsmittelimporte (Mio. US-$) | 613 | 719 | 3682 |
Anteil der Armen (%) | 33% | 54% | |
Nahrungsmittelexporte (Mio. US-$) | 30 | 32 | 180 |
Abb. 4: Entwicklung des Handelsdefizits bei Nahrungsmitteln
Nettohandel (Mio. US-$) | 1990 | 2000 | 2014 |
---|---|---|---|
Getreide | -251 | -302 | -1917 |
Früchte und Gemüse | -16 | -13 | -146 |
Fleisch | -27 | -62 | -217 |
Milchprodukte | -62 | -78 | -285 |
Fisch | 14 | 16 | 193 |
Lösungsvorschläge
Abb. 6: Lage des Jemen im Infrastrukturnetz der Weltlandbrücke
Doch sprechen wir jetzt von den Lösungsvorschlägen.
Die Republik Jemen liegt geographisch günstig am Schnittpunkt des Wirtschaftsgürtels der Neuen Seidenstraße und der maritimen Seidenstraße bzw. von Belt and Road (Abbildung 6). Der Jemen kann zur Brücke zwischen Asien und Afrika sowie zwischen Indischem Ozean und Mittelmeer werden – und damit ein wichtiger Bestandteil dieses riesigen Entwicklungsprojekts und gleichzeitig ein großer Nutznießer.
Der Jemen spielte in der Antike eine ähnliche Rolle, als er den Handel über die sogenannte Weihrauchstraße beherrschte. Viele große Länder aus Ost und West kamen mit Segelschiffen und Kamelkarawanen in seine Richtung, um Waren und Wissen auszutauschen. Der Grund, warum ich die Bezeichnung „Operation Felix“ wählte, war, daß die alten Griechen und später auch die Römer den Jemen „Arabia Felix“ (Glückliches Arabien) nannten, denn das Land war als reiche und glückliche Nation bekannt.
Abb. 7: Bevölkerungspyramide des Jemen
Abb. 8: Bevölkerungswachstum im Jemen
Heute verfügt der Jemen über große menschliche Ressourcen, denn die Bevölkerungspyramide (Abbildung 7) zeigt ein sehr junges Land mit einem erstaunlichen mittleren Durchschnittsalter von 19,2 Jahren 2015, das bis 2050 auf 29 Jahre ansteigen soll (Abbildung 8). Eine solche junge Gesellschaft hat ein großes Entwicklungspotential in der Zukunft, wenn es umfassende und langfristige Visionen und Wirtschaftspläne gibt. Jemen verfügt auch über reichliche Rohstoffe und ein vielfältiges Klima, das eine integrierte agro-industrielle Entwicklung begünstigt.
Was im Jemen fehlt, ist das, was der amerikanische Ökonom Lyndon LaRouche die „Wirtschaftsplattform“ grundlegender Infrastruktur nennt, um all diese Ressourcen auf ein höheres Produktivitätsniveau zu heben und ihr Potential umzusetzen.
Politische Umkehr: 1. Finanzrekonstruktion
Der Wiederaufbau- und Entwicklungsplan wird beginnen, wie im Bericht vorgeschlagen, indem der amtierende Präsident in Sanaa noch vor Vereinbarung eines Waffenstillstands eine öffentliche Erklärung abgibt und mitteilt, daß die Regierung der Republik Jemen beabsichtigt, einen Wiederaufbauprozeß und einen Entwicklungsplan für das Land einzuleiten. Er definiert die vorrangigen Projekte und Ziele des Plans, angefangen mit dem sofortigen Aktionsplan zum Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur und der Bereitstellung sofortiger Nahrungsmittel- und medizinischer Hilfe, wobei befreundete Staaten eingeladen werden, sich an Infrastrukturprojekten zu beteiligen und die zukünftige Beziehung zur Belt and Road Initiative zu definieren. Unmittelbar im Anschluß daran wird er in der gleichen Erklärung die Einrichtung einer nationalen Wiederaufbau- und Entwicklungsbank ankündigen, um den ganzen Prozeß zu finanzieren.
Damit der Jemen nach dem Krieg eine wirklich unabhängige und souveräne Nation wird, muß er über einen eigenen Kreditschöpfungsmechanismus verfügen. Der Wiederaufbau- und Entwicklungsprozeß erfordert die Einrichtung einer nationalen Entwicklungsbank, um die nationalen Projekte in Infrastruktur, Landwirtschaft und Industrie zu finanzieren (im Bericht hypothetisch „Die Jemenitische Nationalbank für Wiederaufbau und Entwicklung“, JNBWE, genannt). Diese Bank wird alle Kredite vergeben, die für den Wiederaufbauprozeß erforderlich sind, ausgeführt von einheimischen Unternehmen mit eigenen Ressourcen, außerhalb und jenseits des Staatshaushaltes. Dieses „nationale Kreditsystem“ hat seinen Ursprung in den Ideen des ersten amerikanischen Finanzministers Alexander Hamilton, der in der jungen amerikanischen Republik die Erste Amerikanische Nationalbank gründete.
Die weitere zusätzliche Finanzierungsquelle für Wiederaufbau- und Entwicklungsprojekte – besonders solche, die ausländische Technologien, Maschinen und Fremdfirmen erfordern – sind Exportkreditvereinbarungen mit Ländern, deren Unternehmen die notwendigen Materialien und Technologien für die Entwicklungsprojekte beschaffen. Ein sehr gutes Beispiel aus dem Jemen selbst hierfür ist das China-Jemen-Abkommen von 2013, um das Container-Erweiterungsprojekt in Aden zu finanzieren. Das Projekt sollte von einer chinesischen Firma ausgeführt werden, und die Kosten von 500 Mio. Dollar sollten über einen Kredit der chinesischen Exim-Bank an die jemenitische Regierung finanziert werden. Das Projekt kam jedoch aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage 2014 nicht zustande. Mit dem Projekt wäre das Containerterminal von Aden zu einer der größten Hafenanlagen im westlichen Indischen Ozean geworden. Das Abkommen wurde 2013 unterzeichnet, ein Monat, nachdem Präsident Xi Jinping das Konzept der Maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts verkündet hatte, wobei Aden und andere jemenitische Häfen ein wichtiger Bestandteil dieses globalen Projekts geworden wären.
2. Die jemenitischen Entwicklungskorridore
Abb. 9: Entwicklungskorridore des Jemen
Ein wichtiger Bestandteil des in dem Bericht vorgeschlagenen Entwicklungsplans ist der Bau des „Jemenitischen Entwicklungskorridors“ (Abbildung 9). Basierend auf LaRouches Konzept des „Entwicklungskorridors“ entwirft der Bericht den „Jemenitischen Entwicklungskorridor“ mit dem Nord-Süd-Korridor Saada-Aden als „Rückgrat“, wobei die Ost-West-Erweiterungen davon die „Gliedmaßen“ des nationalen Entwicklungsprojekts und internationaler Anbindungen sind.
Drei Faktoren gingen in die Definition der Routen der Korridore ein:
Abb. 10: Bevölkerungsdichte
Abb. 11: Landwirtschaft im Jemen
Abb. 12: Niederschläge im Jemen
Abb. 13: Konzentration der Rohstoffe
1. Die derzeitige Verteilung der Bevölkerungsdichte (Abbildung 10), bestehende Agraraktivitäten (Abbildung 11), verfügbare Wasserressourcen und Niederschläge (Abbildung 12) sowie die Konzentrationen von Mineralvorkommen (Abbildung 13).
2. Die notwendige Diversifikation der demographischen Verteilung und des zukünftigen Wachstums zur Westküste und das östliche Plateau, wobei beide Regionen ein ungenutztes agro-industrielles Potential repräsentieren, vor allem im Bereich der kommerziellen Landwirtschaft und dem Getreideanbau, um die Abhängigkeit von Getreideimporten zu reduzieren und später ganz abzuschaffen.
3. Die Verbindung zur Belt-and-Road-Initiative, zu Land nach Oman und über die Straße von Hormus nach Iran und Asien, sowie nach Westen über eine Tunnel- oder Brückenverbindung nach Dschibuti und Afrika. Die andere Verbindung zur BRI geht über die Haupthäfen von Aden, Al-Hudaidah und Mokha, wo neben Güterumschlag und Logistik neue Industrieparks entstehen können, die von den nahen internationalen Handelsrouten und den lokal reichen Menschen- und Naturressourcen profitieren.
Der Bericht erwähnt die gewaltigen Entwicklungen, die aufgrund unterschiedlicher Initiativen der BRI und Chinas im Umfeld des Jemen stattgefunden haben, z.B. die Eisenbahn Dschibuti-Addis Abeba, die Eisenbahn Mombasa-Nairobi und der Korridor Lamu Port-Südsudan-Äthiopien sowie viele weitere Projekte, die Ostafrika in eine der am schnellsten wachsenden Regionen verwandeln. Das ist ein großer Vorteil für den Jemen, der diese Region als großen Markt und sich selbst als großes Logistikkreuz betrachten sollte.
Östlich von Jemen, in Oman, hat die von China initiierte Asiatische Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) bereits die Machbarkeitsstudien und erste Arbeiten an einem omanischen Eisenbahnnetz finanziert, das sich von der Straße von Hormus zur Grenze zum Jemen erstreckt, sowie von neuen Häfen und Industrieparks an der Küste des Arabischen Meers.
Ein interessanter Aspekt der Entwicklung, die in Jemens Nachbarländern wie Äthiopien stattfindet, ist die Ähnlichkeit der Topographie, der Demographie und der wirtschaftlich/finanziellen Bedingungen. Jemenitische Politiker finden dort bestehende Beispiele ähnlicher Infrastrukturprojekte, an denen sie die Vorteile, Schwierigkeiten, technische Aspekte und die Finanzierung untersuchen können.
Abb. 14: Topographie des Horns von Afrika
Ich wählte ein Beispiel, um dies mit dem vorgeschlagenen Nord-Süd-Korridor Saada-Aden zu vergleichen. Das ist die äthiopische Bahnstrecke Mekele-Weldiya-Awash, die derzeit im Bau ist (Abbildung 14). Die Bahnstrecke ist 622 km lang (im Vergleich zu dem Projektvorschlag im Jemen von 607 km), und die physischen Merkmale der Strecke sind erstaunlich ähnlich. Beide müssen Berggegenden von 800 m auf über 2300 m ü.d.M überwinden. Für die äthiopische Bahnstrecke müssen 31 Tunnel von einer Gesamtlänge von 20 km, 140 Brücken (mit einer Gesamtlänge von 20 km) und 1300 Abzugskanäle (mit einer Gesamtlänge von 40 km) gebaut werden. Die Gesamtkosten beider Abschnitte der Eisenbahn sind 4 Mrd. US-Dollar. Der äthiopische Staat finanzierte intern den ersten Abschnitt mit 1,5 Mrd. Dollar, und 2,5 Mrd. Dollar wurden über Exportkredite durch die chinesische und türkische Exim-Bank sowie über österreichische und schwedische Auslandskreditfazilitäten bereitgestellt. Weitere Projekte betreffen die Wasser- und Energieversorgung, Landwirtschaft, Industriebetriebe, Industrieparks, Logistikzentren usw.
Schluß: Die Grundlage eines dauerhaften Friedens
Auf dem Seminar am 6. Juni in Sanaa habe ich vorgeschlagen, daß die dortige Regierung diesen Plan zu einem wesentlichen Bestandteil jeglicher Friedens- und Versöhnungsgespräche zwischen den verschiedenen kriegführenden Parteien im Jemen macht, auf den man sich im Voraus einigt, daß es getan werden muß, wenn wir Frieden haben wollen.
Wie ich schon in dem Bericht sage: Wir wollen den Jemen nicht so wieder aufbauen, wie er vor dem Krieg war. Denn vor dem Krieg war der Jemen, wie Sie sich erinnern werden, „das ärmste Land der Region“. Es ist also nicht unsere Absicht, den Jemen dorthin zu bringen, wo er war; wir wollen den Jemen für die Zukunft transformieren.
Panel III
Die Zukunft der europäischen Nationen
Den dritten Abschnitt der Konferenz am Sonntagvormittag bildete eine optimistische und enthusiastische Diskussion über die notwendigen Reformen und Änderungen, die notwendig sind, wenn Europa sich an der „Win-Win“-Diplomatie und der wirtschaftlichen Entwicklung des Neuen Paradigmas beteiligen soll.
Jacques Cheminade, Präsident der Partei Solidarité et Progrès und dreifacher Kandidat für das Amt des französischen Staatspräsidenten, eröffnete die Runde mit der Herausforderung, daß Europa wieder zu der Idee zurückkehren müsse, etwas zur „menschlichen Zivilisation“ beizutragen. Europa habe sich dem Empire der Londoner City und der Wall Street unterworfen, das die Nationen Europas und ihre Nachbarn in Afrika und im Nahen Osten zerstöre. Das Scheitern des EU-Gipfels am 28./29.6. im Umgang mit der Flüchtlingskrise beruhe darauf, daß die EU-Politik „keinen wirklichen Wohlstand erzeugt, sie erzeugt keine Kinder und sie begrüßt keine Ausländer, weil sie die Regeln des Nullsummen-Universums akzeptiert“. Wie könne man unter diesen Umständen moralisch und kulturell optimistisch sein? Dazu brauche man ein „neues Modell der Beziehungen zwischen den großen Mächten – das Modell der Neuen Seidenstraße“. Aber anstatt das harmonische Modell der Seidenstraße zu betrachten, laufe Europa Gefahr, „aus Mangel an Kreativität im Nichts zu verschwinden“. Das könne verhindert werden, wenn man die besten Traditionen der europäischen Kultur wiederbelebe.
Europas Zukunft darf die Neuen Seidenstraßen und die Weltlandbrücke nicht ausgrenzen
Wir sollten Klartext reden. Die Europäische Union ist zu einem Schatten auf zwei Beinen, einem moralischen Leichnam geworden. Auf Italienisch spricht man vielleicht von „einem sprechenden Toten“. Doch es wäre selbstzerstörerisch, darüber in einen Zustand verbissener Schadenfreude zu verfallen, in die Bequemlichkeit der Selbstanklage. Angesichts des Britischen Empire ist Pessimismus unser Hauptfeind, weil er unseren Willen lähmt. Jenseits aller Kritik existiert die Idee und der Beitrag Europas zur menschlichen Zivilisation, was mit der Europäischen Union rein gar nichts zu tun hat. Denn diese Idee ist das Europa der Nationen, eine Vielheit, die ein Einziges hervorgebracht hat, einen unsterblichen Beitrag zur Menschheit, den die Welt braucht.
Unsere Aufgabe ist es, dieses Europa aus seinem gegenwärtigen Alptraum wachzurütteln, es aus dem Tal der Ahnungslosen, wo es stagniert, herauszuholen und zu einem neuen Leuchtturm der Hoffnung zu machen, der den neuen Seidenstraßen Licht spendet. De Gaulle scheute sich nicht, es so zu formulieren: Frankreich, La France, die Prinzessin der Mythen, muß mobilisiert werden, um die europäische Kathedrale zu bauen. Aber eine Kathedrale ist, im konkreten wie im übertragenen Sinne, nichts Selbstgenügsames, sondern ein Orientierungspunkt für alle Außenstehenden und ein Ort des Denkens, Betens und harten Arbeitens für eine bessere Welt für alle, die kommen.
Davon sind wir noch weit entfernt, aber wegen der Weltlage und wegen unserer eigenen Lage dürfen wir nicht verlieren. Um zu gewinnen, müssen wir zunächst nach innen schauen, von oben herab, und die Gewissensfrage stellen – eine freudige Gewissensfrage, denn wenn wir über unseren gegenwärtigen Geisteszustand zu den notwendigen höheren Zuständen hinauswachsen, wird uns das von den Fesseln der Ohnmacht befreien und uns unsere Selbstachtung zurückgeben.
Verpflichten wir uns also dazu, uns aus dem Schlamm unseres europäischen Waterloo zu erheben. Seit über dreißig Jahren haben unsere Staatsführer weder auf die Forderungen ihrer Völker reagiert noch haben sie sich den Herausforderungen der internationalen Lage gewachsen gezeigt. Als Resultat verweigern wir Europäer uns dem Wandel und befinden uns in einem Prozeß der Balkanisierung, der Auflösung unserer Identität. Wir haben uns der Londoner City und der Wall Street unterworfen, lassen sie uns und unsere Nachbarn in Afrika und dem Nahen Osten ruinieren und geben dann den Menschen, die aus den durch unsere Politik ruinierten Gegenden fliehen, die Schuld an unserer Not und und unserem Unglück.
Welche Heuchelei! Beim letzten Europäischen Rat am 28. und 29. Juni reduzierten unsere maßgeblichen Politiker die Flüchtlingsfrage zu einem Ding an sich und versuchten ihren Partnern zuzuschieben, was alle als Last betrachten, ohne die geringste Absicht einer auch nur minimalen Solidarität. Einige wollen die Flüchtlinge zur Kontrolle in „Hotspots“ in europäischen Ländern sammeln, andere wollen das Problem vertraglich in die Länder verlagern, aus denen sie kommen. Keiner ist fähig, sich etwas anderes als „Hotspots“ auszudenken – die nichts anderes sind als Lager zur menschlichen Triage -, anstatt sich um die wirklichen Gründe von Migrationen zu kümmern. Unsere Staatsführer werfen einander Statistiken und Zahlen an den Kopf und reduzieren damit Menschenleben zu Buchhaltungsgrößen. Italien mußte Ende 2014 mangels europäischer Unterstützung die Seenotrettungsoperation „Mare Nostrum“ aufgeben, was die relativ beste, von einem Staat organisierte humanitäre Operation gewesen war. Alles lief dann darauf hinaus, den Job den NGOs aufzuladen, die jetzt als Komplizen der Schmuggler hingestellt werden. Als logische Folge werden jetzt in diesem Zusammenhang Häfen für Schiffe mit Flüchtlingen geschlossen, und alle europäischen Staatsführer müssen für die kriminelle Untätigkeit ihrer Länder verantwortlich gemacht werden.
Ich habe mich entschieden, diese moralische Frage als erstes anzusprechen, denn eine Union von Staaten, in der kein Mitgliedstaat Migrationsbewegungen als eine Herausforderung ansieht, die nur durch massive Hilfe für die Herkunftsländer zu lösen ist, und wo niemand sich angemessen für die Aufnahme der Menschen organisiert, die als Zukunftspotential kommen – das ist eine Union, die das Mandat des Himmels verloren hat, wie die Chinesen sagen würden.
Alle europäischen Nationen hängen einer geopolitischen Konzeption unseres Planeten an, eines relativ endlichen Universums, einer Art Rettungsboot, das nur begrenzten Raum für eine wachsende Bevölkerung hat. Das eben ist das eigentliche Problem der EU: Sie produziert keinen wirklichen Reichtum, sie setzt keine Kinder in die Welt und heißt keine Ausländer willkommen, weil sie die Herrschaft eines Nullsummen-Universums akzeptiert hat, einer Art Festung Europa, die gegen die Menschen gerichtet ist, aber zuvorkommend gegenüber Finanzspekulation, mit einem Euro, der dafür als Übertragungsriemen fungiert.
Alle europäischen Reformer und genauso die sogenannten Populisten – mit einigen wenigen Ausnahmen – versuchen, ein Problem mit den Mitteln zu lösen, die es überhaupt erst geschaffen haben. Keiner setzt sich mit der Ursache auseinander – der Politik des Britischen Empire, der Wall Street und der City.
Macron zeigte an der Sorbonne oder in Griechenland rednerisches Talent, beschäftigte sich aber nur mit Worten, nicht mit der Realität. Er ruft zu einer „Neugründung Europas“ auf, aber auf der Grundlage des finanziellen Liberalismus. Er war unfähig, ein Glass-Steagall-Gesetz zu unterstützen, als er als Berater und später Finanzminister von Hollande die Gelegenheit dazu hatte, und genauso heute, obwohl zumindest ein Teil der italienischen Minister und viele ihrer Berater es fordern. Macron tut so, als sei er ein „Vorsteiger“, aber in Wirklichkeit bettelt er um deutsches Geld, um aufsteigen zu können, während Angela Merkel mit ihrer Regierung Possen treibt und für Finanzinteressen, die wie die Deutsche Bank alle potentiell bankrott sind, Vertuschungsoperationen unternimmt. Andere wandern in alle möglichen Richtungen, ohne eine Vision zu haben. Niemand hat den Mut, weiter als die eigene Nasenspitze zu schauen.
Ein neues optimistisches Modell
Wie können wir vor diesem Hintergrund moralisch und kulturell optimistisch sein? Weil es – wenn wir über unseren schrecklichen Zustand hinausschauen – seit September 2013 eine neue Entwicklung gibt, ein neues Modell für die Beziehungen zwischen den großen Mächten, das Modell der Neuen Seidenstraßen. Dieses Modell beruht auf dem Prinzip der unbedingten Achtung der Souveränität anderer; es ist eine neue Weltordnung auf der Grundlage von gegenseitigem Vertrauen und Nutzen.
Die Absicht, formuliert vom chinesischen Außenminister Wang Yi, besteht darin, die überholten Konzepte des Kampfes der Kulturen, den Kalten Krieg, zu überwinden und über das Denken in der Geometrie von Nullsummenspielen oder exklusiven Clubs hinauszugehen. Es ist genau das Modell, das uns in Europa heute beflügeln sollte.
Während seiner Chinareise im Januar sagte Emmanuel Macron in seiner Rede in Xian: „Wir haben eine Zeit erreicht, in der Frankreich und China es sich leisten können, zusammen zu träumen“; einen Punkt, an dem „die neuen Seidenstraßen eine kollektive Vorstellung reaktivieren, eine Vorstellung, die man miteinander teilt“.
Das ist schön gesagt, aber typisch für die gegenwärtige europäische Herangehensweise versucht er, dieses Momentum innerhalb eines liberalen Finanzmodells zu lokalisieren. Ich würde sagen, das sind die Gefängnisgitter seiner Ideologie. Man hat hier ein klinisches Beispiel der heutigen verfehlten Geistesverfassung Europas: Man versucht, eine Nachtigall in einen Käfig zu sperren.
Dem völlig entgegengesetzt ist das chinesische Konzept des Tianxia („unter dem Himmel“), das von Konfuzius und Menzius weiterentwickelt wurde und das Xi Jinpings Politik inspiriert. Es besagt, daß etwas Neues, das von außen kommt, innerlich angenommen werden sollte, mit einer Haltung, die nicht die eines exklusiven Clubs oder eines geschlossenen Ladens ist, der etwas aufnimmt, ohne sich zu ändern, sondern mit einer dynamischen Bewegung, wodurch die Bedingungen für einen entwickelteren Grad an Koexistenz geschaffen werden. „Bei der Politik handelt es sich nicht, wie einige wohl glauben, um Beherrschung durch Macht, sondern sie ist die Kunst, eine globale Zusammenarbeit zu schaffen.“ Sie ist deshalb nicht Gleichförmigkeit oder Beherrschung, sondern das, was in chinesischen philosophischen Begriffen als „Prinzip der Ergänzung“ bezeichnet wird, und hat die Qualität von Nichtausgrenzung, Verbundenheit und Anziehungskraft.
„Aha“, werden einige sagen, „da kommen Sie mit einem Modell aus Asien. Glauben Sie wirklich, es paßt für Europa?“ Die Antwort darauf lautet: Nein, nicht nur Europa, sondern für die ganze Welt!
Warum ich mir dessen so sicher bin? Weil das schon unser großer europäischer Philosoph Leibniz verstanden hat. In seinem Werk Novissima Sinica und in verschiedenen Briefen an befreundete Jesuiten schrieb er, daß das Konzept der „sozialen Harmonie“ der Chinesen die europäische Kultur bereichern würde!
Die Gelegenheit dazu wurde verpaßt, von der Feudaloligarchie und den britischen Finanziers sabotiert, doch es hat in unserem Europa Fußspuren hinterlassen. Interessanterweise entspricht das „Prinzip der Ergänzung“ dem Leibnizschen „Prinzip der Vollständigkeit“: keine zerstörerische Gleichmacherei, sondern gegenseitige harmonische Inspiration.
Für den Westen ist es heute offensichtlich schwierig, diese neue Dynamik der Seidenstraßen zu begreifen. Die Wahrheit ist, daß Europa, wie sich an der Flüchtlingsfrage zeigt, in der Falle des alten Paradigmas der Geopolitik und des sogenannten „freien und fairen“ Wettbewerbs feststeckt, etwas, das es in Wirklichkeit nie gegeben hat.
In einem provokativen Buch mit dem Titel Le viol d’Europe („Die Vergewaltigung Europas“) beschreibt der französische Historiker Robert Salais, wie die Europäische Union von Anfang an unter der Doppelherrschaft von Freihandel und, schlimmer noch, finanzieller Liberalisierung stand, die gegen die explizite Konzeption des souveränen Nationalstaats gerichtet war.
Das ist mein Punkt: Europa sollte aus diesem finanziellen und ideologischen Käfig befreit werden, wie am Beispiel Macrons und aller europäischen Staatsführer gezeigt wurde. Man kann sagen, Europa muß von einer solchen Erbsünde befreit werden, die nun zunehmend mit einem rachsüchtigen Bekehrungseifer verbreitet wird, der dem konfuzianischen und leibnizschen Harmoniebegriff völlig entgegengesetzt ist.
Anders ausgedrückt: Die Europäische Union ist keine harmonische Union, sondern ein induktives/deduktives Konstrukt, das auf Codes, Standards und Regeln beruht, die sie „Richtlinien“ nennen. Sie ist auf fixen Kategorien gegründet und als solche aus Mangel an Kreativität zur Selbstzerstörung, zur Auflösung in ein Nichts verurteilt. Nicht zerstört durch andere, sondern durch ihre eigenen, anti-kreativen Axiome, ihre mentale Abgeschlossenheit. Ich betrachte die heutige Europäische Union als ein unendliches Vieleck (Frankreich bezeichnet sich selbst als Sechseck), das nicht in der Lage ist, zur höheren Ordnung des Kreises zu gelangen, wie Cusa es beschrieb. Dabei sieht sich jedes Polygon selbst als die Realität oder gibt vor, der Kreis zu sein; jedes sieht sich als etwas einzelnes, unfähig, das höhere Prinzip der Rotation zu verstehen, das den Kreis überhaupt erst erzeugt.
Das beste der europäischen Kultur wiederbeleben
Was mich am meisten empört, ist die Gegenkultur, die überall auf dem Vormarsch ist und menschliche Wahrnehmung und Wünsche banalisiert, von äußerst gewalttätigen Videospielen bis zum Schwachsinn der sogenannten „Weltmusik“. Das schlimmste Beispiel ist, was Macron auf den Stufen des Élysée-Palastes organisierte, um den „Musiktag“ am 21. Juni zu feiern. Er, der vorgibt die Philosophie und den Pomp und Reichtum des Hofes zu lieben, lud eine Horde von DJ-Stars ein, die den Élysée-Palast in einen gigantischen Nachtclub verwandelten und solche Zeilen „sangen“ wie „komm, komm zum Tanz, du Mutterficker“ und „laßt uns dieses Haus niederbrennen von oben nach unten“ oder „überall Scheiße, sie leckte mir den Schwanz“ usw… Alle hüpften natürlich halbnackt herum und gaben vor einer bereits desorientierten Bevölkerung das schlimmste Abbild schwarzer Afrikaner ab.
Kein Wunder, daß die Konzentrationsspanne der Kinder sinkt und daß die Mehrheit der Erwachsenen – außer ihrer Aufmerksamkeit für diese voyeuristischen Shows – nicht mehr darauf neugierig ist, wie andere leben. Das geschieht in unserem Europa, in dem die sozialen Bezugspunkte kollabieren – in einer Gesellschaft, die von denen beherrscht wird, die vorgeben, für die Menschenrechte zu kämpfen. Europa hat seine positive Bedeutung verloren, weil die Ideale sozialer Werte verschwinden und es keine Anstrengung für eine bessere Zukunft gibt. Die Leute sehen die Europäische Union und den Euro höchstens als einen Schutz vor den anderen, als eine Art gigantisches Kondom, und ganz gewiß nicht als eine Ode an die Freude. Man sehe nur Macron, der vorgibt, Europa zu lieben und der Beethovens Ode an die Freude wie eine magische Formel spielt, während er gleichzeitig den Élysée-Palast in einen riesigen, verkommenen Nachtclub verwandelt.
Noch einmal: Warum bin ich mir trotzdem so sicher, daß Europa tauglich ist für den Anschluß an das neue Paradigma? Weil, wie das Beispiel Leibniz zeigt, Europa Ressourcen birgt, die wiederbelebt werden können und denen Geist eingehaucht werden kann. Europa und die Vereinigten Staaten waren, historisch gesehen, die Anführer einer aktiven Form des Humanismus. Es war der von Helga Zepp-LaRouche so geschätzte Nikolaus von Kues, der erklärte, wie ein menschlicher Geist eine höhere Ordnung schaffen kann, in der alle Streitigkeiten überwunden werden. In seinen Spätschriften bezog er sich darauf als das posse facere omnia oder posse ipsum, was der menschliche Geist nicht als einen festen Punkt erkennen kann, sondern nur durch das Werden, den Moment, wenn die menschliche Schöpferkraft mit dem Prozeß des Universums übereinstimmt, so wie wenn das Licht sich in sichtbaren Objekten manifestiert. In solchen Augenblicken ist ein Mensch wirklich, auf kreative Art und Weise menschlich und trägt mit neuen Endeckungen zur Zukunft der menschlichen Gesellschaft bei, jenseits der formalen, etablierten Regeln der Logik, auf einer Stufe, auf der das scheinbar Widersprüchliche es nicht länger ist, d.h. auf einer höheren Ordnung. Es ist das, was Kues das „Ineinanderfallen der Gegensätze“ nannte, eine Inspiration, in die unbekannte Zukunft zu reichen – etwas, was die Richtlinien der Europäischen Union verbieten.
Deshalb kann man sagen, daß die Europäische Union als Konstrukt das beste der europäischen Kultur vergewaltigt hat, das wiederzubeleben unsere Aufgabe ist. Die höhere Ordnung des Makrokosmos kann nur bestehen, wenn es die größtmögliche Entwicklung aller Mikrokosmen gibt. Menschen sollten sich zu ihrem Maximum entwickeln und im gegenseitigen Interesse an einer harmonischen Welt handeln. Das ist der Geist des Westfälischen Friedens: um Krieg hinter sich zu lassen, muß man seine Außenpolitik auf die Neugier und das Interesse an anderen gründen. Es ist das Prinzip einer wirklichen Republik, und es ergänzt sich nicht nur mit Tianxia, sondern entspringt aus der gleichen erkenntnismäßigen und emotionalen Quelle. Das Prinzip ist „Menschheit zuerst!“, der Einsatz für Menschen wie für Nationen. Wie Schiller sagte: Pflicht und Leidenschaft, Freiheit und Notwendigkeit werden eins.
Das schlummert in den Speichern und Vorratskammern unserer Geschichte. Also laßt uns unsere kleinmütigen Streitereien beenden, laßt uns aufhören, uns wie Kinder auf einem tragischen Spielplatz zu verhalten, und uns unsere philosophischen Klassiker wieder vornehmen, um die des Ostens zu treffen und unsere Inspiration in Lyndon LaRouches Die nächsten fünfzig Jahre der Erde finden, das 2004 geschrieben wurde, aber in unsere Zukunft hineinreicht. Ich rate auch Rabelais und Heine zu lesen, besonders Rabelais, um die unzulässigen und kriminellen herrschenden Mächte mit dem Mittel des kreativen Gelächters zurückzuweisen – gegen alle Karrieristen und Höflinge, die die Antworten und Stimmungen hervorwürgen, welche die Fürsten und Mächte einer selbstzerstörerischen Welt erwarten. Glass-Steagall, eine Nationalbank, Kredit für Infrastruktur und Entwicklung, Kernfusion und die noch fortgeschritteneren Beiträge der Wissenschaft: Lyndon LaRouches Vier Gesetze, nicht als Proselytismus, um zu bekehren, sondern als gemeinsame Inspiration, um zusammen zu bauen.
Lassen Sie mich, auf das Gesagte bezogen, mit einem Zitat des Konfuzius enden: „Triffst du einen Mann von hohem Wert, versuche so wie er zu sein; triffst du einen mittelmäßigen Mann, versuche seine Unzulänglichkeiten in dir selbst zu erkennen.“ Das ist eines der Geheimnisse, das „Ren“ – das souveräne Gute für den Vorteil des anderen – zu erreichen, in einer harmonischen Welt der wirkliche Bürger einer Republik oder einer vollkommeneren Union zu sein, nicht ihrer von selbstzufriedenen Nullen bewohnten Karikatur. Es ist unser Instrument, in die Zukunft zu reichen und Europa wiederzuentdecken als Pfad zur Weltlandbrücke.
Auf Cheminade folgte Dr. Hans Köchler (29:17), Professor für Philosophie und Präsident der International Progress Organization (IPO), der über „Die Wiederherstellung des Völkerrechts“ sprach. Warum, sagte er, wurden in der Ära seit 2003, die von zerstörerischen Kriegen und Regimewechseln charakterisiert war, die verantwortlichen Nationen und deren Führer nicht zur Verantwortung gezogen? Wenn Rechtsnormen verletzt werden, müsse dies geahndet werden. Haben wir heute Normen des Völkerrechts, die auch durchgesetzt werden? Die Antwort laute „Nein.“ In zahlreichen internationalen Dokumenten seien der Einsatz und die Androhung von Gewalt verboten worden, aber das werde nicht durchgesetzt, weil die fünf permanenten Mitglieder des Rates Veto einlegen können, wenn es darum geht, ihre eigenen aggressiven Akte zu sanktionieren. Das müsse korrigiert werden – und wenn dies nicht möglich sei, dann müsse man darüber nachdenken, die UN durch eine neue Institution abzulösen.
Die Wiederherstellung des Völkerrechts
Die dringende Notwendigkeit eines neuen Paradigmas in den internationalen Beziehungen:
Eine auf der Entwicklung der Nationen gegründete Friedensordnung
I. Diagnose: Antagonismus zwischen Recht und Realpolitik
Bevor die Staatengemeinschaft daran gehen kann, das Völkerrecht wiederherzustellen, muß Klarheit herrschen über die Natur des Rechts. In vielen Debatten über eine Reform des Systems der internationalen Beziehungen haben Mißverständnisse darüber, was eine Rechtsnorm ausmacht, zu falschen Erwartungen und zur Ernüchterung über die Weltordnung insgesamt geführt.
Recht ist ein System von gesellschaftlichen Verhaltensnormen, deren Befolgung – konsistent und dauerhaft – vom Staat auf der Grundlage seines Gewaltmonopols erzwungen wird.1 Der Begriff „Rechtsstaat“ bezeichnet ein System, in dem die Normen mithilfe der staatlichen Zwangsgewalt durchgesetzt werden, wobei – zwecks Vermeidung von Willkür – eine funktionierende Gewaltenteilung („checks and balances“) entscheidend ist. Generell gilt: Eine Norm ohne Sanktionen ist keine Rechts-, sondern eine Moralnorm. Auch wenn Rechtsnormen auf dem moralischen Prinzip des bonum commune (Gemeinwohl) gründen sollen, haben sie als solche nicht den Charakter moralischer Gebote. Die differentia specifica zwischen Recht und Moralität liegt in der Durchsetzung. Eine Verletzung moralischer Normen hat Konsequenzen im idealen (metaphysischen) Bereich. Die Übertretung rechtlicher Vorschriften hingegen hat Auswirkungen hic et nunc, nämlich eine Sanktion (Strafe) in der realen Welt.2 Nur letzteres sichert Frieden und Stabilität in einem gegebenen gesellschaftlichen System. Die konsequente Durchsetzung von Normen macht das Wesen des Rechtsstaates aus und ist das Kriterium, das einen legitimen von einem „gescheiterten“ Staat („failed state“) unterscheidet. Was die innerstaatliche Rechtsordnung angeht, wird diese Verknüpfung von Norm und gesellschaftlicher Wirklichkeit nicht bestritten.
Die entscheidende Frage ist, ob dieses Kriterium auch im Bereich des Völkerrechts erfüllt ist: Gibt es – widerspruchsfreie und wirksame – Regelungen zur Durchsetzung der Normen des zwischenstaatlichen Verhaltens, insbesondere was das Gewaltverbot, den Grundpfeiler des UNO-Systems der internationalen Rechtsstaatlichkeit, betrifft? Die Antwort lautet schlicht und einfach: nein. Gibt es ein System der Gewaltenteilung bezüglich der gemeinschaftlichen Durchsetzung von Normen – v.a. für den Bereich der kollektiven Sicherheit? Wiederum lautet die Antwort: nein.
Man muß zunächst die Illusionen über das Völkerrecht im gegenwärtigen System der Vereinten Nationen überwinden, bevor man Abhilfe schaffen kann. Wir müssen daher die Gründe identifizieren, warum das internationale System – und insbesondere die Organisation der Vereinten Nationen – die wesentlichen Kriterien für die Herrschaft des Rechts nicht erfüllt – und dies vor allem im zentralen Bereich von Frieden und internationaler Sicherheit oder, allgemeiner gesagt, globaler Gerechtigkeit.
Die Symptome sind für jeden offensichtlich. Auch die Ursachen der Dysfunktionalität des Völkerrechts sind einfach zu erkennen, werden aber zumeist übersehen – schlicht und einfach deshalb, weil man sozusagen das Kleingedruckte in der UNO-Charta nicht liest. Das gegenwärtige System des Völkerrechts, wie es in der bisher einzigen universellen zwischenstaatlichen Organisation, den Vereinten Nationen, verkörpert ist, war von Anfang an mit Mängeln behaftet. Das zeigt sich insbesondere in den folgenden Bestimmungen der Charta über Zuständigkeiten und Entscheidungsabläufe, und in den Wechselbeziehungen zwischen diesen beiden Bereichen:
1. Die Rechtsdurchsetzung ist allein dem Sicherheitsrat als oberstem Exekutivorgan der Weltorganisation – das sich nach und nach auch als de facto Legislativgewalt etabliert hat3 – anvertraut. Nach Kapitel VII der Charta, das die Mechanismen der kollektiven Sicherheit umfasst, hat der Sicherheitsrat in allen Fragen, die mit der Einhaltung der zentralen völkerrechtlichen Norm des Gewaltverbotes (Artikel 2[4] der UNO-Charta) zusammenhängen, die oberste Autorität. Er steht mit dieser Zuständigkeit auch über der nationalen Souveränität der Mitgliedsstaaten: Die Entscheidungen des Rates nach Kapitel VII sind für alle Mitgliedstaaten rechtlich bindend. Die Zwangsgewalt des Rates ist in dieser Hinsicht praktisch unbegrenzt. Sie reicht von der Verhängung diplomatischer und wirtschaftlicher Sanktionen und der Unterbrechung von Verkehrsverbindungen und aller Arten von Kommunikation bis hin zum Einsatz von Waffengewalt. Die konkreten Maßnahmen stehen im freien Ermessen des Rates – ohne jede Berufungsmöglichkeit seitens der betroffenen Staaten. (Der Internationale Gerichtshof ist in Angelegenheiten der kollektiven Sicherheit nicht zuständig.)4 Die Durchsetzung der Resolutionen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII wird sichergestellt durch die ständige Mitgliedschaft derjenigen Länder, die 1945, als die Organisation gegründet wurde, die mächtigsten waren. Dies bezieht sich vor allem auf deren militärisches Potential. Durch mehrere Jahrzehnte waren diese fünf Länder (die Vereinigten Staaten, die Sowjetunion [jetzt Rußland], China [ursprünglich die Republik China auf Taiwan, jetzt die Volksrepublik China], das Vereinigte Königreich und Frankreich) auch die einzigen Nuklearmächte. Der Charta zufolge ist ein „Generalstabsausschuß“ (Military Staff Committee) zu bilden, der aus den Generalstabschefs der ständigen Mitglieder besteht und „für die strategische Leitung aller dem Sicherheitsrat zur Verfügung gestellten Streitkräfte verantwortlich“ ist (Artikel 47 [3]). Auch wenn diese spezielle Bestimmung bisher nur auf dem Papier besteht, läßt sich daraus deutlich der Grundgedanke der UNO-Doktrin der kollektiven Sicherheit ablesen: nämlich, daß in allen Fragen, die mit der Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit zusammenhängen, primär die mächtigsten Länder mit der Durchsetzung der Regeln betraut sind – auch wenn grundsätzlich alle Mitgliedsstaaten des Rates dafür gemeinsam und im Namen aller UNO-Mitglieder verantwortlich und zuständig sind (Artikel 24[1]).
2. Gleichzeitig sind diese fünf Staaten, die vorrangig für die Durchsetzung der Regeln (Normen) zuständig sind, nicht nur de facto, sondern auch de jure von allen Zwangsmaßnahmen ausgenommen, sollten sie selbst die Regeln verletzen. Die Rechtsnormen (konkret: das Gewaltverbot) gelten faktisch nicht für ihr eigenes außenpolitisches Handeln. Dies folgt aus den Bestimmungen des Artikels 27(3) der Charta über das Abstimmungsverfahren im Sicherheitsrat. Die Formulierungen sind eindeutig und lassen keinen Interpretationsspielraum zu:
(a) Alle Entscheidungen – außer in Verfahrensfragen – erfordern die Zustimmung der fünf ständigen Mitglieder. Das bedeutet, daß der Rat keine Zwangsmaßnahmen beschließen kann, wenn eines der ständigen Mitglieder ein Veto einlegt.5
(b) Die allgemeine Norm, wonach eine Streitpartei sich der Stimme enthalten muß – sozusagen ein Gebot rechtlicher Vernunft – gilt nicht für Entscheidungen des Rates nach Kapitel VII. Das bedeutet, daß ein ständiges Mitglied völlig „ungestraft“ einen Akt der Aggression gegen einen anderen Staat begehen kann. Dieses Mitglied kann jede gegen seine eigene Aggression gerichtete Zwangsmaßnahme des Sicherheitsrates mit seinem Veto verhindern. Die Folgen können mit keiner wie immer gearteten rechtlichen Interpretation schöngeredet werden: Das völkerrechtliche Gewaltverbot gilt faktisch nicht für die ständigen Mitglieder.
(c) In diesem statutarischen Rahmen gibt es keinerlei Gewaltenteilung. Es gibt kein Verfassungsgericht der Vereinten Nationen, das über Zwangsentscheidungen des Sicherheitsrates urteilen könnte. (Wie schon erläutert, ist der Internationale Gerichtshof dafür nicht zuständig.) Es gibt auch keine legislative Instanz, die vom Sicherheitsrat unabhängig wäre. Die UNO-Vollversammlung ist kein Parlament mit gesetzgeberischen Vollmachten, sondern ein beratendes Gremium, das lediglich Empfehlungen aussprechen kann und in Fragen von Frieden und Sicherheit sogar diese bescheidene Kompetenz nicht wahrnehmen darf, solange der Sicherheitsrat in einer Streitigkeit oder Situation die ihm zugewiesene Aufgabe wahrnimmt (Artikel 12 der Charta).
Diese Regelungen bedeuten schlicht und einfach, daß in der Charta der Vereinten Nationen Macht vor Recht geht. Von den Vereinten Nationen ist also genau dann nichts zu erwarten, wenn ein ständiges Mitglied an einem Streit beteiligt oder selbst der Aggressor ist. Was den Frieden und die internationale Sicherheit anlangt, arbeitet die Weltorganisation, die sich selbst als Garant der internationalen Herrschaft des Rechts versteht, tatsächlich auf der Grundlage des Machtprinzips. Darin liegt sozusagen der Konstruktionsfehler des Völkerrechts seit der Gründung der Weltorganisation. Es kann kein Recht geben, wenn es kein System widerspruchsfreier Regeln zur Durchsetzung des Rechtes gibt. Eine Politik des Messens mit zweierlei Maß zugunsten der mächtigsten Mitgliedsstaaten, wie sie in der Charta festgeschrieben ist, ist ein Affront gegenüber der Völkergemeinschaft und macht die Hervorhebung der „souveränen Gleichheit“ aller Mitgliedstaaten als „Grundsatz“ (Principle) der Vereinten Nationen (Artikel 2[1]) zur Farce.
Zusammengefaßt: Die Vereinten Nationen sind aus zwei einfachen Gründen ineffizient und dysfunktional:
a. weil das mächtigste Land / die mächtigsten Länder (die ständigen Mitglieder) aus verfahrensrechtlichen Gründen im Falle ihrer eigenen Übertretungen nichts zu befürchten haben;
b. weil die stärksten Akteure gerade aufgrund ihrer Macht, geschützt durch das Vetoprivileg, die Rechte und Interessen der anderen auch realpolitisch nicht berücksichtigen müssen.
Aus der mißlichen Lage, in welche das Abstimmungsverfahren (siehe oben Punkt [a]) die Organisation gebracht hat, gibt es keinen Ausweg, solange der „Selbstimmunisierungsmechanismus“, den die Gründerstaaten der UNO – nämlich die ständigen Mitglieder (mit Ausnahme Frankreichs) – in die Charta „eingebaut“ haben, in Kraft ist: Gemäß Artikel 108 kann nicht einmal ein Komma in der Charta geändert werden, wenn die fünf ständigen Mitglieder nicht zustimmen.
Unter diesen Voraussetzungen müssen Appelle an die Großmächte, sich bei der Ausübung ihres Vetorechts zurückzuhalten, wirkungslos bleiben. Was allein diese Staaten von der Notwendigkeit zur Zurückhaltung überzeugen könnte, ist ein Machtgleichgewicht zwischen denen, die über das Vetoprivileg verfügen, also den ständigen Mitgliedern. In gewissem Maße existierte eine solche Konstellation in den Anfangsjahren der Vereinten Nationen. Im Verlauf des Kalten Krieges wandelte sie sich zu einem bipolaren Gleichgewicht zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Die beiden seinerzeitigen Supermächte hielten sich gegenseitig in Schach, was bedeutete, daß es für jeden von ihnen praktisch unmöglich war, den Sicherheitsrat einseitig für die eigenen Ziele zu nutzen.
Die Wahrheit ist schlicht und einfach: Wenn es keine rechtliche (konstitutionelle) Gewaltenteilung gibt, verlagert sich die Möglichkeit, die Willkür der Machtausübung zu begrenzen, auf die Ebene der Realpolitik: es geht um die Herausbildung eines Machtgleichgewichtes, sei es multipolar oder bipolar. Mit dem Ende des Kalten Krieges verlor jedoch dieses „Korrektiv der Machtpolitik“ plötzlich seine Wirkung. Die Vereinigten Staaten als einzige verbliebene Supermacht sahen sich nunmehr in der Lage, nicht nur rechtlich, sondern auch realpolitisch vollkommen „straflos“ zu agieren – ohne nachteilige Konsequenzen aus Verstößen gegen die UNO-Charta befürchten zu müssen -, wie sich in wiederholten Verletzungen des Gewaltverbotes u.a. im Kosovo-Krieg 1999 und im Irak-Krieg 2003 zeigte.
Angesichts dieser Umstände besteht gegenwärtig die einzige Hoffnung auf einen Wandel in der schrittweisen Herausbildung eines neuen weltweiten Machtgleichgewichtes. Wie sich an der Kooperation der BRICS-Staaten (Brasilien, Rußland, Indien, China, Südafrika) und an der Gründung neuer regionaler Organisationen zeigt, wird dieses Gleichgewicht wahrscheinlich multipolar sein. Diese „globale Neupositionierung“, um einen Begriff des verstorbenen Zbigniew Brzezinski zu verwenden,6 wird aber wohl ein langfristiger Prozeß sein.
II. Die Wiederherstellung des Völkerrechts
In den Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde offensichtlich, daß das Völkerrecht nur unter der Voraussetzung eines nicht bloß satzungsmäßigen, sondern auch realen Machtgleichgewichtes existieren kann. Der Organisation der Vereinten Nationen in ihrer gegenwärtigen Form mangelt es selbst an den grundlegendsten Verfahrensregeln zu einer konsistenten und konsequenten Durchsetzung des Völkerrechts. Es gibt nun einmal kein Recht ohne eindeutige und präzise Mechanismen der Rechtsdurchsetzung. Wenn diese fehlen, herrscht das „Gesetz des Dschungels“. Dies war von Anfang an auch das Problem der sogenannten „Neuen Weltordnung“, wie sie vom Präsidenten der einzig verbliebenen Supermacht nach dem Ende des Machtgleichgewichtes des Kalten Krieges proklamiert wurde.7 Tatsächlich ist es so, daß sich unter den Bedingungen der heutigen Realpolitik die „internationale Herrschaft des Rechts“ (international rule of law) – ein feierlich verkündetes Ziel der Vereinten Nationen – immer mehr verflüchtigt hat.
Die Wiederherstellung des Völkerrechts wird nur möglich sein, wenn folgende Voraussetzungen zutreffen bzw. die folgenden Entwicklungen eintreten:
a. Machtgleichgewicht: Die realpolitischen Tatsachen müssen zur Kenntnis genommen werden. Wenn es um die Wiederbelebung des internationalen Rechtssystems geht, wird daher die Herausbildung einer neuen multipolaren Ordnung von entscheidender Bedeutung sein. Nur wenn die Arroganz der Macht wirksam durch die Macht der anderen eingeschränkt ist (d.h., wenn ein Machtgleichgewicht zwischen den Großmächten besteht), wird es eine realistische Chance geben, daß sich die Staaten „an die Spielregeln halten“. Eine solche Entwicklung könnte dann auch kleineren und schwächeren Staaten im globalen Konzert der Mächte einen gewissen Handlungsspielraum eröffnen.
b. Nationale Souveränität: Die „souveräne Gleichheit“ der Staaten (Artikel 2[1]),8 einer der zentralen Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, darf nicht weiter durch Verfahrensregeln wie das Vetoprivileg von fünf namentlich genannten Ländern (Artikel 27[3]) kompromittiert werden. Gleichheit vor dem Gesetz als wesentlicher Rechtsgrundsatz hat keine Bedeutung, wenn es einige gibt, die „gleicher“ sind als die anderen.
c. UNO-Reform: Die Charta der Vereinten Nationen muß deshalb so reformiert werden, daß ihre grundlegenden Normen durchsetzbar werden. Nur auf diese Weise kann der Begriff der internationalen Herrschaft des Rechts überhaupt einen Sinn haben. Vorrangiges Ziel der Reformmaßnahmen müßte daher sein, alle normativen Widersprüche in der UNO-Charta zu eliminieren.9 Nur dies kann der Politik des Messens mit zweierlei Maß ein Ende setzen, für welche die Weltorganisation unrühmlich bekannt geworden ist.
Die Maßnahmen unter (c) müßten insbesondere eine Reform des Sicherheitsrates mit einschließen – sowohl was seine Zusammensetzung als auch was die Abstimmungsregeln betrifft. (Eine solche Reform ist eine notwendige Konsequenz der unter den Punkten [a] und [b] erwähnten Voraussetzungen bzw. Entwicklungen.) Die Vetoregelung des Artikels 27(3) wäre so zu modifizieren, daß das Vetorecht die Erfordernis eines Konsenses zwischen den wichtigen Weltregionen bedeutet. Anstatt die mit diesem Privileg verbundene ständige Mitgliedschaft an die Machtkonstellation einer vergangenen Ära zu knüpfen (mit drei westlichen Ländern plus Rußland, als Nachfolgestaat der Sowjetunion, und China als den einzigen „Nutznießern“), sollte die Charta den Begriff der ständigen Mitgliedschaft im Hinblick auf die globalen Regionen neu definieren. Dementsprechend sollten nicht bestimmte namentlich genannte Staaten, sondern kollektive Körperschaften – regionale Organisationen wie die Afrikanische Union, die Europäische Union, der Verband Südostasiatischer Staaten (ASEAN), etc. – den Status von ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat erhalten. Jede bindende Entscheidung nach Kapitel VII der Charta würde somit einen Konsens zwischen den Regionen erfordern.10 Dies wäre nicht nur demokratischer als die bisherige Regelung, sondern es böte auch einen zusätzlichen Schutz für kleinere und schwächere Staaten gegenüber dem Machtmißbrauch der stärksten Mitgliedsstaaten.
Vor allem aber müssen die Formulierungen der Charta geändert werden, die es Streitparteien – insbesondere Staaten, die einen Angriffskrieg führen – gewissermaßen indirekt ermöglichen, das Veto dazu zu benutzen, sich selbst zu schützen.11 Dies hätte eine enorme „zivilisierende Wirkung“ auf diese Staaten, und es würde helfen, das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in die Weltorganisation wiederherzustellen. Ein völkerrechtliches Gewaltverbot ist so lange nicht glaubwürdig, als der Aggressor Richter in eigener Sache sein kann.
Die Idee, die dieser längst überfälligen Anpassung der Charta an die Welt von heute – und damit an die Erfordernisse der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit – zugrunde liegt, ist keineswegs, Strukturen eines Weltstaates zu schaffen. Dieser wäre ein totalitärer Koloß, der die Souveränität der bestehenden Staaten völlig absorbieren, die kulturelle Vielfalt bedrohen und die Rolle aller internationalen Akteure marginalisieren würde. Hauptziel der Reformmaßnahmen muß vielmehr sein, ein konsistentes (widerspruchsfreies) System der Entscheidungsfindung und der Koordinierung der Politik zwischen einer Vielzahl souveräner Staaten auf der Grundlage der Gegenseitigkeit zu schaffen. Dies ist auch der Sinn des Grundsatzes der souveränen Gleichheit in der Charta.
Man darf sich allerdings keiner Illusion hingeben: unter den gegenwärtigen – satzungsmäßigen wie politischen – Bedingungen ist das vorhin Skizzierte immer noch ein Traum, denn die Inhaber der Macht und der mit ihr verbundenen Privilegien werden ihre Sonderstellung nicht einfach aufgeben, zumal sie diese mithilfe des Vetos gemäß Artikel 108 der Charta bequem verteidigen können. Allerdings könnte die bereits absehbare Entwicklung einer multipolaren Machtkonstellation nach und nach auch diejenigen, die bisher am meisten vom Status quo in der UNO profitiert haben, überzeugen, daß ein weiteres Insistieren auf ihren Privilegien letztendlich ihren eigenen nationalen Interessen (einschließlich ihrer vitalen wirtschaftlichen Interessen) schadet.
Da sich die Natur des Menschen – und somit auch des kollektiven Handelns – im Alltag der zwischenstaatlichen Beziehungen nicht ändern wird, liegt die einzige Hoffnung auf eine Wiederbelebung des Völkerrechts in einer klugen, mit Umsicht geführten Realpolitik. Eine Neufassung der Charta der Vereinten Nationen entlang den hier skizzierten Linien wird dazu unerläßlich sein. Sollte sich dies als unmöglich erweisen, wird die Gemeinschaft der Völker wohl nicht umhin kommen, über einen Neubeginn in einem anderen normativen Rahmen nachzudenken. Dies würde bedeuten, daß eine Organisation, die das Denken und die Machtkonstellation von 1945 verkörpert (nämlich die UNO), durch eine Organisation souveräner Staaten ersetzt wird, deren Satzung auf den Realitäten des 21. Jahrhunderts beruht.
Dementsprechend muß der Wiederherstellung des Völkerrechts eine Neukonzeption („Reinvention“) der Organisation zwischensaatlicher Beziehungen auf der Grundlage der souveränen Gleichheit aller Staaten – und nicht nur derjenigen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gerade die mächtigsten sind – vorausgehen.12 Wie stets in der Geschichte besteht die Herausforderung nicht darin, einen Vorschlag zu erarbeiten, sondern wie man den für die Erreichung der Ziele notwendigen Paradigmenwechsel im normativen Rahmen herbeiführen und so den Abstand zwischen Idee und Wirklichkeit überbrücken kann. Wenn die feierlichen Erklärungen der Präambel und die Ziele und Grundsätze der UNO-Charta mehr sein sollen als bloße Ermahnungen, dann darf die Herrschaft des Rechts nicht durch das Diktat der Machtpolitik kompromittiert werden.
Fußnoten:
1. Der Begriff „Gewaltmonopol“ wurde von Max Weber geprägt: Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie [1921/22]. Hrsg. Johannes Winckelmann. 5., rev. Ausgabe. Tübingen: Mohr, 2009, § 17 („Politischer Verband, Hierokratischer Verband“).
2. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre. (Studienausgabe der 2. Auflage 1960.) Hrsg. M. Jestaedt. Tübingen/Wien: Mohr Siebeck / Verlag Österreich, 2017, Kapitel I/6/c: Das Recht als normative Zwangsordnung, S. 94ff.
3. Zu den Details siehe Hans Köchler, The Security Council as Administrator of Justice? Reflections on the Antagonistic Relationship between Power and Law. Studies in International Relations, Bd. XXXII. Wien: International Progress Organization, 2011, S. 64ff.
4. Vgl. das Urteil des Internationalen Gerichtshofes vom 27. Februar 1998: Case Concerning Questions of Interpretation and Application of the 1971 Montreal Convention arising from the Aerial Incident at Lockerbie (Libyan Arab Jamahiriya v. United States of America). Preliminary Objections, Paragraph 43 (per Implikation).
5. Nach Artikel 27(3) bedürfen Entscheidungen des Sicherheitsrates der Zustimmung sämtlicher ständigen Mitglieder („concurring votes of the permanent members“). Obwohl die Formulierung dieser Bestimmung semantisch eindeutig ist, hat die inzwischen etablierte Praxis, Enthaltungen der ständigen Mitglieder als Zustimmung („concurring votes“) zu werten, zu einer beträchtlichen Ambiguität geführt. Diese Interpretation zu akzeptieren erfordert in der Tat ein sacrificium intellectus: man muß den Begriff der „Enthaltung“ nämlich so umdefinieren, daß er auch „Zustimmung“ umfaßt.
6. Zbigniew Brzezinski, „Toward a Global Realignment“, in: The American Interest, Bd. 11, Nr. 6 (Juli/August 2016), S. 1-3.
7. Zu den Details siehe Hans Köchler, Democracy and the New World Order. Studies in International Relations, Bd. XIX. Wien: International Progress Organization, 1993.
8. In der UNO-Charta ist die „souveräne Gleichheit“ ein normativer, kein deskriptiver Begriff. Demgemäß darf er nicht so verstanden werden, als ob alle Staaten gleich an Macht oder Einfluß wären. „Gleichheit“ bezieht sich vielmehr auf die Rechte und Pflichten aller Staaten im Rahmen der Rechtsordnung der Vereinten Nationen.
9. Zu den Details siehe die Analyse des Verfassers: „Normative Inconsistencies in the State System with Special Emphasis on International Law“, in: The Global Community – Yearbook of International Law and Jurisprudence 2016. Hrsg. Giuliana Ziccardi Capaldo. Oxford: Oxford University Press, 2017, S. 175-190.
10. Vgl. dazu dem früheren Vorschlag des Verfassers: The United Nations and International Democracy: The Quest for UN Reform. Studies in International Relations, Bd. XXII. Wien: International Progress Organization, 1997, insb. S. 17ff.
11. Dies erfordert eine Neufassung des letzten Satzes von Paragraph 3 des Artikels 27, indem die Passage „bei Beschlüssen auf Grund des Kapitels VI und des Artikels 52 Absatz 3“ gestrichen wird.
12. Zum Dilemma der UNO zwischen Macht und Recht vgl. allgemein auch die Analyse des Verfassers: „The United Nations Organization and Global Power Politics: The Antagonism between Power and Law and the Future of World Order“, in: Chinese Journal of International Law, Bd. 5, Nr. 2 (2006), S. 323-340.
Der italienische Europaparlamentarier Marco Zanni (1:01:57) sprach dann über das Scheitern der EU im Umgang mit der Banken- und Finanzkrise, Sicherheitsfragen und dem Flüchtlingsproblem. Seit 2010 habe sich die EU „als unfähig erwiesen, das Wirtschaftswachstum wieder herzustellen“, und sie habe statt dessen „makroökonomische Ungleichgewichte und wachsende Spaltungen in der EU geschaffen“. Europa sei wirtschaftlich und in der Sicherheit zu stark von anderen abhängig. Als Alternative schlug Zanni vor, Europa zu einer „Brücke zwischen den USA und den aufstrebenden Mächten des Ostens“ zu machen. Dies sei mit der Regierung Trump möglich. Die Regierungen in der EU müßten die richtigen Fragen stellen. „Was sind die Gemeinsamkeiten? Welche Politik bringt gemeinsamen Nutzen?“ Die EU müsse China als Modell betrachten, vor allem in der Kreditpolitik, und die Flüchtlingskrise anpacken. Das gegenwärtige System funktioniere nicht. Das Ziel der neuen italienischen Regierung sei es, die EU zu reformieren, und sie werde ein Beispiel liefern, wie man mit China zusammenarbeiten könne.
Ist die europäische Integration zu weit gegangen?
Guten Morgen, allerseits! Es ist immer eine Freude, vor einem solchen Publikum zu sprechen. Es ist das dritte Mal, daß ich an einer vom Schiller-Institut veranstalteten Konferenz teilnehme, und es ist eine wirklich schöne Erfahrung.
Wie Stefan [Ossenkopp, der Moderator der Vortragsrunde] schon sagte, bin ich hier, um über die Zukunft der Europäischen Union zu sprechen, und die Frage, die ich heute gerne stellen möchte, ist eine sehr wichtige. Letzte Woche, am Donnerstag und Freitag, hatten wir ein Treffen des Europäischen Rates, das klar gezeigt hat, daß die europäischen Länder gespalten und nicht mehr in der Lage sind, Fortschritte bezüglich der Zukunft der Europäischen Union zu machen. Es gibt keine Einigung zur Immigration, es gibt keine Einigung über die Zukunft der Eurozone. Das einzige, worauf sie sich einigen konnten, war, am Status quo festzuhalten und das Problem auf unbestimmte Zeit zu verschieben.
Das wird immer mehr zur obersten Politik der Europäischen Union. Es ist also sehr wichtig, diese Frage anzusprechen, denn die Menschen ärgern sich über das Versagen der Europäischen Union und der europäischen Institutionen bei der Lösung der drei großen Probleme, vor denen wir heute stehen.
Europas Versagen bei drei Problemen
Erstens dauert die Wirtschaftskrise in vielen Ländern immer noch an. Europa hat, was das Wirtschaftswachstum angeht, unter den großen Ländern und Ländergruppen der Welt die schlechtesten Ergebnisse.
Das zweite ist das Problem der inneren Sicherheit. Überall in Europa haben die Menschen Angst wegen des Mangels an Sicherheit, unter dem wir in unseren Städten in ganz Europa leiden.
Das dritte große Problem ist die Bewältigung der Migrationsströme in Europa. Die unkontrollierte Einwanderung nach Europa in den letzten Jahren hat enorme Folgen. Die Europäische Union war weitgehend erfolglos darin, auf dieses Problem zu reagieren, und darin, Afrika und dem Nahen Osten bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen. Europa verbesserte nicht die Bedingungen in den Heimatländern der Menschen, die versuchen, in die Europäische Union zu gelangen, damit sie lieber in ihren Heimatländern bleiben, weil sie dort gute Chancen hätten.
Als Antwort schickt die EU im Rahmen des sog. Junckerplans für Afrika viel Geld in diese Länder. Das ist eine Art Plan für finanzielle Tricks, mit wenig frischem Geld und viel Herumspielen mit fiktivem Geld, den die Europäische Kommission anpreist. In diesem Punkt sollte die Europäische Union betrachten, was China in Afrika und anderen Entwicklungsländern tut.
Die Vergabe dieser Gelder ist für die Europäische Union wirklich ineffektiv. Wir waren nicht in der Lage, wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern zu schaffen. Wir haben mit dieser Entwicklungshilfe, die wir afrikanischen Ländern geben, keine Werte geschaffen.
Das chinesische Modell hingegen ist in seiner Arbeitsweise hocheffizient, weil der gesamte Fluß der Gelder, die die Chinesen in afrikanische Länder vergeben – nach Ostafrika und Zentralafrika, aber auch in den Nahen Osten und den Balkan -, von der chinesischen Regierung streng überwacht wird. Die Resultate und die Werte, die mit diesem Geld geschaffen werden, werden von der Regierung mit einer zentralisierten Strategie streng überwacht.
Die Europäische Union dagegen delegiert die Verwaltung der Auslandshilfe für afrikanische Länder an private Firmen. Wir haben also keine Kontrolle über das Geld, das wir nach Afrika schicken. Wir haben keine Werkzeuge zur Kontrolle der Effizienz und der Resultate in Hinsicht auf Wachstum, Beschäftigung und die Schaffung realer Werte für diese Länder, die das Geld der europäischen Steuerzahler verwenden. Deshalb ist unsere Entwicklungshilfe für diese Länder so ineffektiv. Wir sollten vom chinesischen Modell lernen, um das Problem der Einwandererströme an der Quelle zu beseitigen.
Was die Wirtschaftskrise angeht, ist ziemlich offensichtlich, daß die Politik, die die europäischen Institutionen in den letzten sieben Jahren seit dem Beginn der Eurokrise 2010 verfolgt haben, bei der Wiederherstellung von Wachstum und Beschäftigung in der Eurozone und in der ganzen Europäischen Union versagt hat. Diese Fehler schufen nicht nur makroökonomische Ungleichgewichte in der Europäischen Union, sondern sie bewirkten auch ein starkes Auseinanderdriften und eine Balkanisierung unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Was letzte Woche beim Treffen des Europäischen Rates geschah – sämtliche Verhandlungen über die Zukunft der Europäischen Union wurden ausgesetzt, weil es keine Einigung gab und das Vertrauen zwischen den europäischen Ländern fehlt -, ist ein Zeichen, daß wir die Kooperation zwischen den europäischen Ländern überdenken müssen.
Es ist für jeden ziemlich klar ersichtlich, nicht nur in der Europäischen Union, sondern auch außerhalb der Europäischen Union – und ich werde noch etwas über die Haltung der neuen US-Regierung gegenüber Europa sagen -, daß Europa gespalten ist. Europa kann nicht weitermachen mit einer Zwangsintegration, die von den Menschen in Europa abgelehnt wird.
Ist die Integration zu weit gegangen?
Deshalb ist das die Kernfrage meiner Rede: „Ist die Integration zu weit gegangen?“ Und meine Antwort und mein Denken zu dieser Frage lautet „Ja“. Die Zwangsintegration führt zum Zerfall Europas und der europäischen Werte, der europäischen Wirtschaft und Europas als einer der wichtigsten Säulen des Wachstums der Weltwirtschaft und der Zivilisation in den vergangenen Jahrhunderten.
Die große Frage, die Europas Anführer beantworten müssen, lautet also: „Sind wir fähig, einen anderen institutionellen Rahmen zu entwerfen und zu schaffen, der auf anderen Werten beruht, die Wohlstand, Kooperation und Solidarität in Europa wiederherstellen können?“
Das ist die große Frage. Es ist klar, daß der aktuelle institutionelle Rahmen, der in Brüssel und in den Institutionen der Europäischen Union – vor allem in der Kommission – zentralisiert ist, es nicht schafft, die Probleme der europäischen Bürger zu lösen. Es ist klar, daß diese Fragmentierung und Balkanisierung der Interessen in der Europäischen Union ein gewaltiges Problem für die Stabilität schafft, nicht nur für die Länder, die immer noch unter der Wirtschaftskrise leiden – die sog. PIGS-Länder (Portugal, Italien, Griechenland und Spanien) -, sondern für die gesamte Europäische Union, einschließlich der Länder, die als positive Beispiele und als Gewinner der europäischen Integration gelten.
Die Bezüge auf Deutschland sind stark, derzeit wird viel über Deutschland gesprochen, in Hinsicht auf das Geschehen und auf den Mangel an Legitimität der Europäischen Union und ihrer Institutionen. Die deutsche Kanzlerin ist seit Jahren das Symbol für die Einheit und die Werte der Europäischen Union und galt als starke Regierungschefin unter den europäischen Mitgliedstaaten. Die Schwierigkeiten, die die Kanzlerin, Frau Merkel, derzeit erlebt, sind das Resultat der falschen Politik, die sie auf der Ebene der Europäischen Union unterstützt und verfolgt hat, nicht nur bei der Immigration – das ist heute wahrscheinlich die am meisten debattierte Frage in Deutschland -, sondern auch bei der Entwicklung und Förderung eines falschen Wirtschaftsmodells als Grundlage der Eurozone.
Dieses Wirtschaftsmodell ist sehr anfällig und läßt sich nicht aufrechterhalten. Warum? Weil es zu sehr von äußeren Faktoren abhängig ist.
Unsere Wirtschaft in der Eurozone beruht darauf, die internen Kosten zu senken – Inflation und Arbeitskosten -, um unsere Produkte aus der Europäischen Union, aus der Eurozone zu exportieren. Wir sollen also einen größeren äußeren Überschuß anstreben, um die einheimische Wirtschaft zu speisen. Aber diese Strategie scheitert jetzt, weil sie zu sehr von der Prämisse abhängt, daß äußere oder Drittländer außerhalb der Eurozone solch einen riesigen Überschuß absorbieren werden.
So ist es nicht nur mit der Regierung Trump, sondern mit den Vereinigten Staaten allgemein. Schon in der Zeit der Regierung Obama haben die Vereinigten Staaten angefangen, die großen Exportüberschüsse der Eurozone und vor allem Deutschlands in Frage zu stellen. Das Wirtschaftsmodell, auf dem die Eurozone beruht, hängt also zu stark von den Entscheidungen dritter Parteien ab, von Ländern außerhalb der Eurozone. Es ist offensichtlich nicht aufrechtzuerhalten.
Was ist mit der Sicherheit? Das ist ein weiteres wichtiges Problem, mit dem wir in der Europäischen Union leben. Und auch in diesem Punkt ist die Europäische Union zu abhängig von den Entscheidungen von Drittländern. Die NATO, der Nordatlantikpakt, wird von den Vereinigten Staaten angeführt, was die Investitionen in die militärischen Kapazitäten und in die Sicherheit angeht. Die Europäische Union war und ist unfähig, gemeinsame Militärkapazitäten aufzubauen oder ihren Teil zur Verteidigung, zur NATO beizutragen. Wir hängen bei der militärischen Verteidigung immer noch zu sehr von den Vereinigten Staaten ab – von einer Regierung, die wir nicht steuern können. Bei der Bewältigung des Immigrantenstroms sind wir immer noch zu sehr abhängig von den Entscheidungen von Ländern in Afrika und im Nahen Osten und ihrer Fähigkeit, Vereinbarungen einzuhalten.
Es ist also klar, daß die Strategie, die die europäischen Führer in den letzten sieben Jahren verfolgt haben, bei der Bewältigung der drei wichtigsten Fragen völlig versagt hat, weil wir zu sehr von externen Entscheidungen abhängen.
Je früher dieser Zustand endet, desto besser, weil der unhaltbare politische Rahmen, auf dem die Europäische Union beruht, schlicht falsch ist. Wir müssen diesen Rahmen ändern und statt dessen eine Form der Kooperation suchen; also nicht nur über die Zusammensetzung der Europäischen Union nachdenken – die 27 Mitgliedstaaten, die ab März 2019 die Europäische Union bilden werden -, sondern ernsthaft über die Entwicklung eines alternativen Rahmens nachdenken, der die Europäische Union auf einen positiven Weg zum Wachstum bringen kann.
Europa als Brücke
Wenn Europa die geopolitische Bedeutung, die es in der Vergangenheit hatte, zurückgewinnen will, sollte dazu auch die Rolle der Europäischen Union und Europas als Brücke zwischen den Vereinigten Staaten – der traditionellen internationalen Macht, die alle internationalen Institutionen des 20. Jahrhunderts gestaltet hat – und der aufstrebenden Macht auf der östlichen Seite des Globus, China, gehören. Wenn Europa wieder reales Wirtschaftswachstum hat, wird es seine Rolle als Bindeglied zwischen den neuen, aufstrebenden Mächten im Osten und dem neuen Ansatz, den die Trump-Administration in der Außenpolitik begonnen hat, wieder zurückgewinnen.
Dank des Ansatzes von Herrn Trump beim jüngsten Treffen der G-7, hat Italien mit dem neuen italienischen Premierminister [Giuseppe Conte] die geopolitische Bedeutung in der internationalen Debatte zurückerlangt.
Vor dem Treffen des Europäischen Rates und anderen internationalen Treffen, an denen der neue italienische Premierminister kürzlich teilgenommen hat, hatten viele gesagt, wegen der radikalen Haltung der neuen italienischen Regierung würden die anderen Länder Italien isolieren. Aber die Realität ist, daß dank der Unterstützung der Vereinigten Staaten und ihrer Offenheit für den Versuch, eine starke Beziehung auch zu China aufzubauen, und dank unseres Unterstaatssekretärs für wirtschaftliche Entwicklung [Michele Geraci], der große Erfahrungen in China und in den Beziehungen zu China hat, Italien wieder geopolitische Bedeutung für die Gestaltung der Zukunft Europas gewinnt.
Ein neuer institutioneller Rahmen
Wir brauchen aber einen neuen institutionellen Rahmen, der eine neue Ära für Europa prägt, eine neue Ära, die nicht länger auf Zentralisierung beruht, auf Entscheidungen, die nicht gewählte Bürokraten in Brüssel und der Europäischen Zentralbank treffen. Wir brauchen einen institutionellen Rahmen, der die Unterschiede zwischen den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union respektiert. Das sind nicht nur Unterschiede, wie wir die Wirtschaft und die wirtschaftliche Entwicklung betrachten, sondern auch Unterschiede der politischen Systeme und kulturellen Systeme, die wir auf der Ebene der Europäischen Union und in den Mitgliedstaaten haben.
Dieser neue institutionelle Rahmen sollte, wenn Europa die Krise überstehen soll, auf mehr Subsidiarität beruhen. Wir sollten uns fragen: Was sind die Gemeinsamkeiten, die wir heute in der Europäischen Union und Europa haben? Was haben wir gemeinsam, was wir fördern können, zum gemeinsamen Nutzen und zum gegenseitigen Vorteil der europäischen Länder? Und auf der anderen Seite: Was sind die Themen, bei denen die Abweichungen zu groß sind, wo die Meinungsverschiedenheiten zu groß sind, und wo es unmöglich ist, gemeinsamen Boden und Einigungen zu finden, die alle europäische Länder befriedigen können?
Mit mehr Subsidiarität, bei der einige Zuständigkeiten und Befugnisse an die nationalen Hauptstädte zurückgegeben werden, kann Europa überleben und wieder den Weg des Wachstums beschreiten und seine Rolle im Zentrum der geopolitischen Debatte zurückgewinnen, als Bindeglied zwischen dem neuen Ansatz der USA gegenüber den internationalen Institutionen und den aufstrebenden Mächten in Asien und im Nahen Osten. Die Arbeit, mit der die neue italienische Regierung diesen neuen institutionellen Rahmen zu gestalten versucht, wird sehr wichtig sein als Beispiel für andere europäische Länder, die den gleichen Weg gehen wollen.
Aussichten nach 2019
Was könnte aus dieser Sicht nach 2019 geschehen? Das Jahr 2019 wird für die Zukunft Europas und der Europäischen Union sehr wichtig werden. Im Mai haben wir Neuwahlen für das Europäische Parlament, die Versammlung des Europäischen Parlaments wird also neu bestimmt. Wie Sie vielleicht wissen, gibt es drei wesentliche Institutionen der Europäischen Union: den Europäischen Rat (den Rat der Europäischen Union), die Kommission und das Parlament.
Wir haben Mitgliedstaaten, wir haben die Kommission, die eine Art Exekutive sein soll, und wir haben das Parlament.
Heute hat der Europäische Rat seine Sicht der Zukunft der Europäischen Union geändert. Mit der italienischen Regierung, mit der neuen österreichischen Regierung, mit anderen Regierungen, mit neuen Parteien, die in den Europäischen Rat eintreten, wird der Ansatz gegenüber der Zukunft der Europäischen Union stärker auf Subsidiarität beruhen, auf der Verteidigung der Interessen der europäischen Völker und der Suche nach Gemeinsamkeiten bei Dingen, die wir gemeinsam besser tun können. Aber nach 2019 wird es eine weitere Institution geben, das neugewählte Europäische Parlament, das einen Kurswechsel der europäischen Politik fördern wird. Es wird wahrscheinlich drei große politische Familien im nächsten Europäischen Parlament geben: Einerseits werden die traditionellen Parteien, die auseinanderbrechen, was den Konsens und die Wähler mit sozialistischer Orientierung angeht, wahrscheinlich verschwinden. In der Mitte werden wir den Scharlatan Macron haben, der angeblich der neue Anführer der europäischen Integration sein soll, der Anführer, der Europa als Vereinigte Staaten von Europa einen wird. Macrons Macht in Frankreich zerfällt, er hat innenpolitisch große Schwierigkeiten und er hat keine Unterstützung im Rat für seinen Vorschlag zur Reform der Europäischen Union. Auf der anderen Seite werden wir eine stärkere Gruppe von „Eurokritikern“ haben, noch stärker als heute, die die Politik des Europäischen Parlaments sehr stark prägen werden.
Wenn Europa gerettet werden will, dann müssen wir unseren institutionellen Rahmen radikal verändern: keine weitere Zentralisierung in Brüssel, keine Entscheidungen und Wirtschaftsysteme mehr, die nur auf die Bedürfnisse der großen Banken und der Londoner City zugeschnitten sind, sondern ein kooperatives System, das die Unterschiede zwischen den Nationalstaaten achtet, die Spielräume der Demokratie und die Entscheidungen und die Bereitschaft der europäischen Völker. Die Europäer wollen keine Vereinigten Staaten von Europa. Sie wollen eine Kooperation zwischen gleichrangigen europäischen Nationen und souveränen Staaten, um Europa und der Welt mehr Wohlstand zu bringen und um die drei wesentlichen Probleme zu lösen, die sie heute erleben, die ich anfangs in meiner Rede erwähnt habe.
Schlußbemerkung
Ich hoffe, daß sich in naher Zukunft weitere Regierungen den Bemühungen der neuen italienischen Regierung um eine Reform Europas mit gleichberechtigten, stabileren und solideren Institutionen anschließen werden. Ohne diese Reform, die wir dringend brauchen, ist die Europäische Union dazu verdammt, zu scheitern und eine gewaltige geopolitische Krise im Herzen der Welt auszulösen.
Lassen Sie mich schließen, indem ich sage: Unser Europa wird sich entweder in diesem Sinne reformieren, oder die Europäische Union ist am Ende und die europäischen Länder werden von einer neuen Krise erfaßt, die größer sein wird als die, die wir nach 2010 erlebt haben. Unser System funktioniert nicht mehr, unser System ist ungerecht und fördert Auseinanderdriften und Ungleichgewichte in Europa. Das müssen wir ändern.
Meine Hoffnung ist, daß wir sehr bald in der Lage dazu sein werden. Wenn nicht, wird die Europäische Union sehr bald auf chaotische Weise enden und den europäischen Völkern enormes Leid bringen. Aber ich bin zuversichtlich, daß in Europa neue Politiker und neue Parteien aufkommen, die fähig sind, das so schnell wie möglich zu ändern.
Vielen Dank.
Der letzte Vortrag dieser Runde kam von Dr. Armin Azima (1:30:40) von der Universität Hamburg, der kurz und treffend den Unsinn der EU-Politik der „Erneuerbaren Energien“ aufzeigte und statt dessen vorschlug, die Kernfusionstechnik zu meistern, „die das Tor für eine neue und wunderbare Welt mit Möglichkeiten schafft, die derzeit noch undenkbar sind“. Das Problem der nuklearen Abfälle sei durch einen neuen Reaktortyp gelöst, der jetzt in Rußland in Betrieb genommen wurde (BN-800) und der „Atommüll“ verbrennen könne, „als wäre es konventioneller Kernbrennstoff“. Abschließend stellte er die Frage, was wir tun könnten, „wenn Strom extrem billig wäre und wenn Energie im Überfluß vorhanden wäre“, was möglich sei, wenn wir die Kernfusion entwickeln.
Die beherrschbare Energie
Meine Damen und Herren, verehrte Konferenzleitung, liebe Helga Zepp-LaRouche!
Vielen Dank für die Einladung, daß ich diesen Vortrag hier halten kann. Es ist eine Ehre für mich, hier zu sein, und ich glaube, ich werde die Zuhörer davon überzeugen, daß die Physik in unserer modernen Welt sehr aufregend ist. Es gibt derzeit vielversprechende Entwicklungen, von denen Sie vielleicht noch gar nichts gehört haben. Deswegen erlauben Sie mir, Sie über wunderbare Fortschritte im Bereich der Energietechnologie zu informieren, die man heute auf der Welt erleben kann.
In meinem Vortrag möchte ich mich auf die folgenden Themen konzentrieren:
– Ich werde Ihnen einige interessante Zahlen über die deutsche Energiewende vorlegen und zeigen, was dies praktisch für die Menschen in Deutschland bedeutet.
– Dann werde ich mich mit zwei Schwerpunkten der Nuklearwissenschaft in der Welt beschäftigen, die sehr vielversprechend sind und die Hoffnung auf eine schöne Zukunft mit billigen, sauberen und leistungsfähigen Energiequellen verheißen.
– Besonders die Beherrschung der Fusionstechnologie wird die Tür zu einer neuen wunderbaren Welt mit derzeit undenkbaren Möglichkeiten aufstoßen.
– Und ich möchte Ihnen einige Ideen vorstellen, was getan werden könnte, wenn Energie billig wäre.
In der Geschichte der Menschheit wissen wir jedoch alle, daß jede Technologie entweder zum Nutzen oder zur Zerstörung eingesetzt werden kann. Und natürlich: je stärker und leistungsfähiger die Technologie – angefangen von der Erfindung des Stahls bis hin zur ersten Spaltung eines Atomkerns -, desto gefährlicher die entsprechende Waffe. Deswegen empfinde ich es als meine Verantwortung, mich laut gegen den Einsatz von Kernwaffen ganz allgemein auszusprechen, was ich im letzten Teil meines Vortrags wissenschaftlich untermauern will.
Abb. 1: Lyndon LaRouches „Vier Gesetze“
1. Glass-Steagall
2. Nationalbanksystem
3. Ständige Steigerung der allgemeinen Energieflußdichte
4. Nutzung der Kernfusionstechnologie
Doch bevor ich mit Technologie beginne, möchte ich erneut LaRouches Vier Gesetze erwähnen (Abbildung 1): Erstens die Wiedereinführung des Glass-Steagall-Gesetzes, zweitens die Gründung eines Nationalbanksystems, und drittens die ständige Erhöhung der allgemeinen Energieflußdichte in der Gesamtgesellschaft. Diese Forderung verlangt die Weiterentwicklung der zivilen Infrastruktur, die in der Lage sein muß, die starken Energiequellen zur Steigerung der produktiven realwirtschaftlichen Erzeugung zu nutzen.
Und viertens eine Frage, die mir als Physiker persönlich am Herzen liegt, die Erforschung und Nutzung der Kernfusion als ultimative Energiequelle, die meiner persönlichen Überzeugung nach die einzige Möglichkeit ist, in einer wachsenden Welt ein hohes Prosperitätsniveau für die gesamte Menschheit in Zukunft aufrechtzuerhalten.
Ich möchte mit einem der wichtigen Aspekte in LaRouches vier Gesetzen beginnen, der Energieflußdichte, die jetzt mit dem Buchstaben Φ abgekürzt werden soll.
Konsequenzen der Energiewende
Abb. 2: Verteilung der in Deutschland installierten Windturbinen (kleine Punkte, Stand 2011) und Kernkraftwerke (große Punkte, Stand 2016): Der Anteil der Windkraft und der Kernkraft am Energiemix betrug 2016 jeweils ca. 14%. Die weite Verteilung der Windkraftanlagen erfordert ein komplexes und umfassendes Leitungsnetz zur Verteilung der Elektrizität.
Quelle: Verteilung der Windkraftanlagen: European Environment Agency (EEA), Standorte der Kernkraftwerke: BMU
Angesichts der bekannten Energiewende in Deutschland hin zu regenerativen Energiequellen möchte ich Ihnen diese Karte zeigen (Abbildung 2), in der alle installierten Windturbinen in Deutschland als braune Punkte dargestellt sind. Zusammen erzeugen sie etwa die gleiche Menge Energie wie die sieben roten Punkte, die die Kernkraftwerke im Jahr 2016 darstellen. Ich meine, diese Skizze verdeutlicht das Konzept von Energieflußdichte wirklich eindrücklich.
Wie Sie wissen, werden diese roten Punkte im Jahr 2022 verschwinden, wenn der vollständige Ausstieg aus der Kernenergie vollzogen sein wird.
Was jeder leicht versteht, ist, daß die großflächige Verteilung von Kraftmaschinen, was man in Deutschland „Dezentralisierung der Energieproduktion“ nennt, ein komplexes und teures Stromverteilungsnetz erfordert – insbesondere im Vergleich zu der Zeit vor etwa 20 Jahren, als der Energiemix von einigen starken zentralen Stromerzeugungsanlagen bestimmt war.
Ganz sicher sind die Energiekosten angestiegen und werden in der Zukunft weiter ansteigen. Derzeit haben wir den Übergang zu etwa 30% regenerativer Energiequellen in unseren Energiemix erreicht, und der Strompreis ist dabei inflationsbereinigt um über 50% angestiegen. Und das Ziel ist, im Jahr 2050 80% zu erreichen!
Die Bundesregierung behauptet indes, die Strompreise werden nach 2025 wieder sinken, dem ich jedoch das Wort „vielleicht“ hinzufügen möchte.
Wir werden es sehen…
Ich habe die Gesamtstromrechnung für Deutschland berechnet und diese mit Frankreich verglichen, das mehr als 50% Kernenergie in seinem Strommix hat. Sicher ist Deutschland ein reiches Land, und viele Leute können sich die höheren Strompreise leisten – nicht alle, aber viele. Aber für ein vergleichbar großes und vergleichbar dicht besiedeltes Entwicklungsland wäre eine Stromrechnung von 150 Mrd.€ im Jahr eindeutig zu hoch.
Somit dürfte der französische Energiemix für deren Bedürfnisse besser geeignet sein, um es einmal diplomatisch auszudrücken.
Kernkraft
Abb. 3: Vergleich der Energieflußdichten
Die Energieflußdichte (Φ = kWh/m2 pro Jahr) der Kernkraft ist weit größer als die anderer Energiequellen, wie z.B. Wind- oder Solarkraft oder Braunkohle; Φ(Atom) ist 40-50 Mal so groß wie die anderer Kraftquellen. Hier zwei verschiedene Berechnungen der Werte von Φ, links die Kalkulation des Verfassers, rechts die von Dr. Günter Keil (Quelle: http://www.ageu-die-realisten.com/archives/1473); blau = Biogas, rot = Windkraft, grün = Braunkohle, lila = Kernkraft, einige Werte sind zu klein, um sie sichtbar darstellen zu können.
Zitat aus der Tagesschau: „Eine Windfarm, die ein Kernkraftwerk ersetzen könnte, müßte etwa die Fläche des Bundeslands Bremen haben.
Aber konzentrieren wir uns etwas genauer auf die Kernenergie. Wie wir bereits festgestellt haben, ist die Energieflußdichte der Kernspaltung unter allen heutigen Energiequellen derzeit die höchste technisch verfügbare (Abbildung 3).
Aber trotz dieses Umstands hat die Bundesregierung beschlossen, in Deutschland bis 2022 ganz aus der Kerntechnik auszusteigen. Die Frage ist: warum? Von einem rationalen Standpunkt könnten nur die folgende Kritikpunkte der Grund gewesen sein:
– Das Problem der Atommülllagerung
– die Reaktorsicherheit und
– die Verhinderung der Weiterverbreitung von Kernwaffen.
Wegen der begrenzten Zeit möchte ich mich nur auf den ersten Punkt konzentrieren.
Zunächst einige schnelle Fakten. Fast alle unsere Kernkraftwerke sind Leichtwasserreaktoren, die mit thermischen, d.h. „langsamen“ Neutronen arbeiten. Die Kettenreaktion verbessert sich so erheblich, da die langsamen Neutronen viel effizienter mit dem Brennstoff interagieren. Das hat jedoch seinen Preis, denn diese Neutronen verlieren ihre Fähigkeit, Isotope mit gerader Massenzahl zu spalten, was die Menge möglicher Kernbrennstoffe für diese Reaktoren erheblich einschränkt.
Das natürliche Uran besteht hauptsächlich aus U-238, mit gerader Massenzahl, das von den thermischen, langsamen Neutronen nicht gespalten werden kann. Deswegen wird er mit dem Isotop U-235 angereichert. Nach drei Betriebsjahren ist das meiste U-235 verbrannt, während die Menge an U-238 fast noch die gleiche ist wie zuvor. Jedoch sind neue Stoffe erbrütet worden, wie Plutonium und andere, unbedeutende Aktiniden, die man als „nuklearen Abfall“ bezeichnet.
Das natürliche Uran wird angereichert, verbrannt, der Abfall wird abgetrennt und schließlich gelagert, und ein Teil des Brennstabes wird recycelt und wiederverwendet.
Das Problem dabei: Das Endlager muß den Abfall mehr als 300.000 Jahre sicher beherrschen, was bisher nicht erreichbar ist.
Der russische „Schnelle Brenner“ BN-800
Abb. 4: In Rußland entwickelte Technologie: der BN-800
links: Mit den vor 2016 eingeführten Technologien mußten die nuklearen „Abfälle“ mehr als 300.000 Jahre sicher eingelagert werden.
rechts: Durch den 2016 in Betrieb genommenen Reaktor BN-800 in Belojarsk/Rußland entsteht ein neuer Urankreislauf, der Brennstoff kann immer wieder verwendet werden, und die wenigen Abfallstoffe müssen nur für 100 Jahre eingelagert werden. Der BN-800 ist ein schneller Hochtemperaturreaktor, der als Kühlmittel flüssiges Natrium verwendet.
Abb. 5: Der BN-800-Reaktor
Der BN-800-Reaktor hat insgesamt fünf Schutzhüllen, um zu verhindern, daß Radioaktivität aus dem Reaktor austritt:
1. Brennstoffpellet
2. Hülle des Brennstabes
3. Reaktordruckgefäß
4. Schutztank
5. Reaktorbehälter aus Stahlbeton
Quelle: St. Petersburg Research and Design Institute, via http://nuklearia.de/wp-content/uploads/2015/08/Atomenergoproekt_BN-800_NPP.pdf
Rußland hat sich für einen anderen Weg entschieden. Seit 2016 ist dort ein neuer Reaktortyp – BN-800 genannt – in Betrieb (Abbildungen 4 und 5). Dieser Reaktor heißt „Schneller Brenner“, nicht zu verwechseln mit „Schneller Brüter“. Dieser hier ist kein Brüter, sondern ein Brenner. Er verwendet schnelle Neutronen, weswegen diese Neutronen sämtliche schweren Isotope, auch jene mit gerader Massenzahl, mit ähnlicher Effizienz spalten können.
Das ist der Trick dabei: Dieser Reaktor kann seinen eigenen „Abfall“ in einem langen Zyklus als neuen Brennstoff immer und immer wiederverwenden. Der viel kleinere Anteil an nuklearem Abfall im Vergleich zu konventionellen Reaktoren hat den weiteren Vorteil, viel schneller zu zerfallen. Bereits nach 100 Jahren kann er aus dem Lager entnommen werden. D.h. mit dieser Technologie braucht man gar kein Endlager mehr!
Um es noch einmal zu sagen: Der BN-800 verbrennt „nuklearen Abfall“, als wäre dieser konventioneller Kernbrennstoff;
– für die Endprodukte dieses Reaktors ist kein Endlager erforderlich
– und dieser Reaktor ist jetzt, in diesem Augenblick, in Betrieb.
Daraus folgt auch, daß dieser Reaktor das Wort „nuklearer Abfall“ umgedeutet hat, denn was ist jetzt eigentlich Abfall?
Tatsächlich hat Lyndon LaRouche genau das vor etwa zehn Jahren vorausgesagt. Er sagte bereits damals: „Es gibt keinen nuklearen Abfall, nur haben wir derzeit nicht die Technologie, um die Endprodukte nutzen zu können.“
Ich streiche deshalb diesen Punkt aus der Liste von Kritikpunkten. Problem gelöst!
Neutronenfreie Fusion
Gehen wir schnell zu einer anderen Frage über. Ich möchte Ihnen die neuesten Entwicklungen in der Fusionsforschung zeigen.
Ich möchte Ihnen eine Firma mit Namen Tri-Alpha Energy (TAE) aus Kalifornien vorstellen. Die Mission dieser Firma ist die Beherrschung einer besonderen Form der Kernfusion, die weitestgehend unbekannt ist – die sogenannte p-B-11-Reaktion. Die Besonderheit hierbei ist die neutronenfreie Eigenschaft der Endprodukte.
Klassische Fusionsanlagen wie der Tokamak-ITER sind für die Verwendung von D-T-Brennstoff ausgelegt, der im wesentlichen zu energiereichen Neutronen als Endprodukt verbrennt. Aber diese kleinen Teilchen sind schwer zu handhaben, da sie elektrisch neutral sind und leicht sämtliche Materie durchdringen, weshalb man sie nicht leicht in Elektrizität umsetzen kann.
Abb. 6: Arbeitsprinzip des TAE Colliding-Beam-Reaktors
Zwei Plasmaringe kollidieren mit 250 km/s und bilden bei der Kollision ein torusförmiges Plasma, das sich selbst ohne ein äußeres einschließendes Magnetfeld stabilisiert.
– Bisher erreichte Werte: Stabiles Plasma 11 ms lang aufrechterhalten und 20 Mio. °C
– Ziel: Netto-Energieproduktion bei 3000 Mio. °C über 1000 ms
– Wesentliche Besonderheiten: neutronenfrei, direkte Umwandlung von Kernkraft in Elektrizität mit einem Wirkungsgrad von 90%!
(Quelle: TAE Technologies)
Bevor es zu komplex wird, möchte ich Ihnen einige Skizzen zeigen, aus denen das Prinzip schnell deutlich wird.
In der oberen Zeichnung sehen Sie einen Überblick des Reaktors. Von links und rechts werden zwei Plasmaringe abgefeuert, die in der Mitte zusammenprallen. Am Kollisionspunkt verschmelzen die beiden Ringe und bilden eine torusförmige Plasmasphäre, die sich stabilisieren und einschließen läßt. Der Rekord, der mit dieser Maschine aufgestellt wurde, war ein stabiles Plasma von etwas mehr als 10 ms. Und vor kurzem wurde gezeigt, daß man Temperaturen von bis zu 20 Mio.°C erreichen kann, was für dieses Projekt einen Meilenstein bedeutet (vgl. https://www.geekwire.com/2018/tae-technologies-pushes-plasma-machine-new-high-fusion-frontier).
Natürlich ist es noch ein langer Weg, schließlich 3 Mrd. °C für 1 s zu erreichen. Aber da die Endprodukte positiv geladen sind, funktioniert die direkte Umwandlung der Fusionsenergie in elektrischen Strom mit einem Wirkungsgrad von 90%. Man braucht keine Turbinen und keinen Dampferzeuger, was die Größe der Anlage erheblich reduziert und einen 100-MW-Reaktor von der Größe eines Lastwagens möglich macht.
Abb. 7: Neutronenfreier Fusionsreaktor treibt Rakete mit Ionentriebwerk an
Direkte Umwandlung von Kernkraft in Elektrizität treibt ein Ionentriebwerk an, um 3% der Lichtgeschwindigkeit und eine permanente Beschleunigung oder Verzögerung von 1g zu erreichen, mit einer Reisezeit von zwei Wochen auf dem Weg zwischen Erde zum Mars.
(Quelle: Bussard et.al.)
Eine solche Anlage läßt einen von zukünftigen Maschinen träumen wie z.B. der, die der amerikanische Physiker Robert Bussard hier vorgeschlagen hat (Abbildung 7). Die direkte Umwandlung von Kernkraft in Strom ermöglicht es, einen Ionen-Antriebsmotor zu betreiben, der in einem stetigen Beschleunigungs- und Abbremsvorgang von +/- 1g eine Rakete auf einige Prozent Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Dadurch verkürzte sich die Reisedauer zwischen Erde und Mars auf weniger als zwei Wochen! Die inneren Planeten würden erreichbar.
Im Moment erscheint dies noch wie ein Traum, aber Wissenschaftler arbeiten tatsächlich an derartigen Maschinen.
Das bringt mich direkt zu weiteren Visionen, was mit einem solchen Fusionsreaktor möglich wäre. Was, wenn Energie extrem billig wäre, und was, wenn Energie im Überfluß verfügbar wäre?
Man könnte an Entsalzung von Meerwasser in großem Stil denken, an künstliche Erdölsynthese oder an meine Lieblingsidee, ein revolutionäres Müllrecyclingsystem, das Abfall nicht nur zu CO2 und Asche verbrennt, sondern statt dessen mit noch mehr Energie die Asche weiter in einen Plasmazustand versetzt. Dies ist natürlich ein Prozeß mit sehr hohem Energieverbrauch mit Hilfe der Lichtbogenplasma-Technologie. Aber in dem Plasmazustand wäre es möglich, jeden Bestandteil jeden Materials in seine Moleküle oder sogar Atome zu zerlegen, die dann weiter umsortiert und elementweise aus dem Abfall extrahiert werden können, was ein nahezu 100%iges Recyclingsystem ergäbe.
Letztlich bedeutete diese Idee, Hunger und Durst für alle Menschen zu beenden!
Last but not least möchte ich Sie noch an LaRouches beide letzten Gesetze erinnern. Denkt man an das, was ich eben dargestellt habe, meine ich, daß diese Forderungen weder abstrakt noch unrealistisch sind. Im Gegenteil, wenn wir diese Ziele erreichen, wäre unsere Welt in jeder Hinsicht besser, weswegen wir weiter daran arbeiten sollten, sie zu verwirklichen.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Panel IV
Wirtschaftliche und politische Potentiale von Gürtel und Straße
In der letzten Vortragsrunde der Konferenz sprachen Redner aus Deutschland und mehreren südosteuropäischen Nationen über die Potentiale, die durch den Beitritt zur BRI erschlossen werden.
Elke Fimmen (10:54) vom Schiller-Institut eröffnete die Debatte mit dem Vortrag „Ein neuer Bauplan für die Zukunft – wie Ost- und Südosteuropa an der Schaffung eines neuen globalen Wirtschaftswunders teilhaben können“. Sie forderte die westeuropäischen Länder auf, „ihre Hausaufgaben zu machen und zu erkennen, daß langfristige Prosperität, Stabilität und Frieden nur durch Kooperation mit Chinas Seidenstraßen-Projekt, mit Rußland und der Eurasischen Wirtschaftsunion erreicht werden können“. Der wahre Reichtum der Nationen liege in der Entwicklung der Kreativität der Bevölkerung. Sie berichtete über die Fortschritte, die im Kontext der „16+1“-Kooperation zwischen China und dem Mittel- und Osteuropäischen Ländern erreicht wurden, als Beispiel für das, was getan werden müsse. „Die europäischen Nationen können und dürfen die zweite Chance nach 1989 nicht wieder verpassen.“
Wie Ost- und Südosteuropa sich an der Schaffung eines neuen globalen Wirtschaftswunders beteiligen können
Es ist offensichtlich, daß die sogenannten führenden westeuropäischen Nationen endlich ihre Hausaufgaben machen und erkennen müssen, daß langfristiger Wohlstand, Stabilität und Frieden, wie wir es auf dieser Konferenz diskutiert haben, nur durch die Zusammenarbeit mit Chinas Seidenstraßenprojekt, mit Rußland und der Eurasischen Wirtschaftsunion erreicht werden kann. Frieden durch Entwicklung ist der Polarstern, dem wir folgen müssen – und das ist keine Option, denn mit den alten Methoden wird Europa untergehen.
Schon der Vorschlag, daß extrem arme Länder wie z. B. Albanien und Mazedonien Flüchtlingslager im Austausch gegen eine EU-Mitgliedschaft einrichten könnten, ist keine Politik, sondern einfach nur gedankenloser – und gefährlicher – Wahnsinn. Wollen wir wirklich die Balkanländer, die nach den geopolitisch motivierten Kriegen und der sogenannten Transformation der 1990er und 2000er Jahre immer noch zerbrechlich sind, erneut destabilisieren, indem wir auf den alten geopolitischen Machtspielen bestehen und ihnen die längst überfällige wirtschaftliche Entwicklung verweigern?
Sind nicht solche Pläne zu bevorzugen, wie des albanischen Präsidenten Edi Rama, der einen 15-Jahre-Plan zur nationalen Entwicklung – einschließlich der Modernisierung der Infrastruktur und der Verbindung mit Chinas Seidenstraße – entworfen hat? Warum sollte sich die EU gegen ein Projekt aussprechen, welches die seit langem notwendige Peljesac-Brücke in Kroatien bauen würde? Oder was ist mit dem Bau der Hochgeschwindigkeits-Bahnverbindung Belgrad- Budapest, als einem wichtigen Teilstück der Verbindung vom griechischen Hafen Piräus durch Makedonien, Serbien und Ungarn nach Mittel- und Westeuropa?
Wird diese EU Blockadehaltung und das Bestehen auf Austeritätspolitik, wie ihr Insistieren, daß keine chinesischen Kredite für die Projekte akzeptiert werden dürfen, irgend etwas dazu beitragen, die Wunden der Vergangenheit zu heilen und eine gemeinsame Zukunftsperspektive für alle Völker in diesen Ländern zu schaffen?
Die Albaner erinnern sich immer noch mit Schrecken – und das sollten wir auch tun – an die Verzweiflung und das Chaos der 1990er Jahre, als nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems 25.000 Albaner auf Booten nach Italien flohen und dann, nach fünf Jahren sogenannter westlicher Marktreformen, ein riesiges spekulatives Pyramidensystem zusammenbrach, was den Großteil der Bevölkerung ihre winzigen Ersparnisse kostete und zu einem landesweiten Zusammenbruch der sozialen und staatlichen Ordnung, zu Plünderungen der verzweifelten Bevölkerung und zum Tod von mehr als tausend Menschen führte. Schließlich intervenierte die OSZE, und internationale Friedenstruppen aus Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich, der Türkei und Rumänien stellten die Ordnung und die grundlegenden Staatsfunktionen wieder her. 1999 flohen 300.000 Kosovaren nach Albanien, einem Land mit 2,8 Millionen Menschen mit einem Durchschnittsalter von 33 Jahren, was das Land erneut vor große Herausforderungen stellte.
Jetzt wird über eine neue „albanische” Balkanroute für Flüchtlinge geredet, weil viele von ihnen versuchen, von Griechenland über Albanien, Montenegro, Bosnien und durch Kroatien und die Slowakei nach Westeuropa zu kommen. Schon zuvor waren viele Flüchtlinge in Serbien, wo die Grenze nach Ungarn und Kroatien geschlossen wurde. Jetzt gehen sie nach Bosnien, das eine 1000 km lange Grenze zu Kroatien hat. Dies führt zu neuen Spannungen zwischen den benachbarten Ländern, einschließlich einer neuen Krise, die sich gerade in Bosnien entwickelt. Keine Lager, egal wo, werden diese Dynamik stoppen, sondern nur richtige weltweite Entwicklung.
Die Chance der 16+1-Initiative
Vor diesem Hintergrund ist das kommende Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der mittel- und osteuropäischen Staaten der „16+1“-Initiative in Sofia/Bulgarien am kommenden Wochenende [6./7.7.], bei dem der chinesische Premierminister Li Keqjang sprechen wird, eine ausgezeichnete Gelegenheit auch für die westeuropäischen Nationen, sich anzuschließen und die Wachstums- und Wohlstands-Initiative, über die bei dem Gipfel in Sofia gesprochen werden wird, zu unterstützen, anstatt diese Länder weiterhin an der Zusammenarbeit mit China zu hindern und sie zu erpressen.
Chinas erfolgreiche Politik spiegelt erprobte Prinzipien der Wirtschaftswissenschaft wieder, die der Westen lange vernachlässigt hat, trotz der Tatsache, daß eben jene Methoden grundlegend waren für die Entwicklung der USA, Deutschlands, Frankreichs, Japans und anderer zu Industrienationen.
Die Physische Ökonomie gibt dem „Einpflanzen der Produktivkräfte von Nationen”, wie es der deutsch-amerikanische Ökonom Friedrich List nannte, Vorrang. Dem gegenüber stehen die finanzielle Ausbeutung und der sogenannte Freihandel des Britischen Empires.
In der physischen Wirtschaft hingegen bilden großflächige Infrastrukturprojekte und die Betonung von Wissenschaft und Technologie die Schlüssel zur Steigerung der Produktivkräfte der Nation. Der wahre Wohlstand einer Nation liegt tatsächlich in der Entwicklung der Kreativität ihrer Bevölkerung.
Chinas Neue Seidenstraße oder Gürtel- und Straßen-Initiative schafft ein komplett neues eurasisches Netzwerk von Kontinente überspannender Infrastruktur und Handelsbeziehungen. Sie hat auch für die mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder die längst überfällige Möglichkeit geschaffen, ihre nationalen Wirtschaften wieder zu industrialisieren, ihr produktives Potential in Landwirtschaft, Maschinenbau, Hochtechnologie und Forschung (d.h. im nuklearen Bereich) zu entfalten und endlich die katastrophalen Folgen der neoliberalen „Schocktherapie” und der sozialen sowie wirtschaftlichen Zerstörung durch die Serie der geopolitischen Balkankriege der 1990er Jahre zu überwinden.
Die Gürtel- und Straßeninitiative mit Europa verbinden
Nach dem Finanzkrach von 2007/2008 haben sich die osteuropäischen Länder nach neuen strategischen Möglichkeiten umgesehen, ihre Volkswirtschaften wieder aufzubauen. Während die EU eine grausame Austeritätspolitik durchsetzte, initiierte China das „16+1“-Format mit den mittel- und osteuropäischen Ländern (CEEC) und startete jährliche Treffen der Staats- und Regierungschefs. Das erste Treffen fand 2012 in Warschau/Polen statt, und das nächste wird am kommenden Wochenende in Sofia/Bulgarien abgehalten.
Die 16 CEEC-Länder, so verschieden sie auch sein mögen, stellen auf Grund ihrer geographischen Lage eine wichtige Brücke dar, um die infrastrukturelle und wirtschaftliche Entwicklung Eurasiens durch die Projekte der Neuen Seidenstraße bzw. OBOR umzusetzen. Sie überspannen Europa von Norden nach Süden, zwischen dem großen russischen Wirtschaftsmarkt und Westeuropa. Zu diesen Staaten gehören die baltischen Staaten (Estland*, Litauen*, Lettland*), die zentraleuropäischen Staaten (Polen*, die Tschechische Republik*, die Slowakei* und Ungarn*) sowie die südosteuropäischen Länder und Balkanstaaten (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien*, Kroatien*, Makedonien, Montenegro, Serbien, Slowenien* und Rumänien*).1
Li Keqiang, Chinas Premierminister, hat in seiner Rede beim letzten 16+1-Treffen der Staatsoberhäupter im November 2017 in Budapest davon gesprochen, einen „neuen Entwurf für die Zukunft” zu präsentieren. Er präsentierte ein ehrgeiziges Programm für eine verstärkte China-CEEC-Kooperation durch die Verbindung der Gürtel- und Straßen-Initiative mir den Entwicklungsstrategien der CEEC-Länder. Er sagte, China habe ein „gedeihendes Europa” zum Ziel. Eine engere Zusammenarbeit mit den 16 Ländern, von denen elf Mitglied der EU sind, würden die Zusammenarbeit zwischen der EU und China „in nützlicher Weise ergänzen.”
Er betonte, daß der 19. Parteitag neue Richtlinien und Perspektiven für ein offeneres und gedeihendes China entwickelt habe und dadurch mehr und größere Möglichkeiten für alle Länder auf der Welt geschaffen worden seien. Der Premierminister schätzte, daß Chinas Importe in den kommenden fünf Jahren auf acht Billionen Dollar ansteigen sollen, während China von einem Hochgeschwindigkeits- zu einem Hochqualitäts-Wachstum übergehe.
Neben seinem Aufruf, Schlüsselprojekte zur Vernetzung, wie z.B. die Hochgeschwindigkeitsbahn Ungarn-Serbien, zu beschleunigen, schlug Premierminister Li Keqiang vor, den Ausbau der Produktionskapazitäten durch Handels- und Wirtschaftskooperationszonen und durch die Schaffung von Industrie-, Wertschöpfungs- und Logistikketten auszudehnen. Er rief auch dazu auf, die Kooperation zwischen mittelständischen Unternehmen zu fördern. Dieses Thema ist für alle CEE-Nationen wichtig, weil sie dringend ihren eigene hochtechnologische Industrie, den Mittelstand und andere Produktionsstätten entwickeln wollen.
Der Ansatz, reales Wachstum und Entwicklung durch infrastrukturelle, wissenschaftliche und andere produktive Investitionen zu erleichtern, hat einen neuen, optimistischen, längst fälligen Impuls in Osteuropa und den Balkanländern geschaffen.
Obwohl bei der Konferenz der europäischen Verkehrsminister 1994 auf Kreta Verkehrskorridore definiert wurden, wurde der Bau dieser Projekte nicht – oder nur in unzureichendem Umfang – begonnen. Erst nach der EU-Osterweiterung nach 2004 kamen diese Projekte langsam in Gang. Aber bis zum heutigen Tage kann das EU-Verkehrsnetzwerk bestenfalls als Flickenteppich bezeichnet werden, weil die gegenwärtige Finanzierung der EU für eine integrierten, hochpriorisierten Ansatz nicht ausreicht. Während sich die tatsächlich notwendigen Ausgaben, um das bestehende transeuropäisches Verkehrsnetz (TEN-T) auf den heutigen Standard zu bringen, auf mindestens 500 Mrd. Euro zwischen 2021 und 2030 belaufen, wie dies in der Erklärung von Ljubljana von Vertretern des Transportsektors und ähnlicher Bereiche verlangt wurde, umfaßt der Haushalt der „Connecting Europe“-Fazilität zur Unterstützung des Verkehrsnetzes lediglich 30,5 Mrd. Euro. Der Haushalt für 2014-2020 beläuft sich auf 21,3 Mrd. Euro.
Im Gegensatz dazu sind bei der CEEC-China-Kooperation der transnationale und eurasische Verkehr und Logistik ein wesentlicher Aspekt: Im Mai 2016 wurde in Riga, der Hauptstadt Lettlands im Baltikum, das 16+1-Sekretariat für logistische Kooperation eingeweiht. Außerdem wurde im Oktober 2017 das Warschauer Sekretariat für Maritime Zusammenarbeit eröffnet. Die „Rigaer Erklärung” identifiziert als eine zentrale Frage die „Kooperation der Seehäfen an Adria, Ostsee und Schwarzem Meer“, die sich auf die Entwicklung von „Verkehrs-Knotenpunkten mit Häfen und Industrieparks in den Küstengebieten der Adria, der Ostsee und des Schwarzen Meeres und entlang der Binnenwasserstraßen, die Zusammenarbeit beim Aufbau von Industrieclustern in den Häfen und die Schaffung moderner Schienen-, Straßen- und Schiffahrtskorridore zu ihrer Verbindung“ konzentrieren sollte. Dies würde „… den Entwicklungsbedürfnissen aller 17 Länder dienen” und „damit zu einer engeren Beziehung zwischen der EU und China beitragen, indem Synergien der spezifischen Bedürfnisse und Vorteile bei der infrastrukturellen Entwicklung und technologischen Weiterentwicklung erzielt werden… in der Absicht, das wirtschaftliche Wachstum eines jeden Landes in der gesamten Region zu fördern.“2
China wird eine weitere Mrd. $ für die zweite Phase der Finanzierung des Investitionsfonds für die Kooperation zwischen China und Mittel- und Osteuropa zur Verfügung stellen. Der Fonds plant, 10 Mrd. Euro in der CEEC-Region zu investieren. Polen und Ungarn sind Vollmitglieder der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank, Rumänien wurde im November 2017 als zukünftiges Mitglied aufgenommen.
Dies sind nur einige Beispiele dieser Zusammenarbeit und ihres Potentials. Mehr können sie darüber in der gerade neu veröffentlichten Studie des Schiller-Instituts über die Fortschritte der Weltlandbrücke lesen, Exemplare finden Sie an unserem Büchertisch.3
Lassen sie mich schließen mit der Feststellung:
Mit dem globalen Übergang zu einem neuen Paradigma des „Friedens durch wirtschaftliche Entwicklung”, über den wir bei dieser Konferenz gesprochen haben, werden die mittel-, ost- und südosteuropäischen Länder endlich in der Lage sein, sich auf die reale Entwicklung ihrer Länder zu konzentrieren, anstatt als geopolitischer cordon sanitaire oder als Militärstützpunkte gegen Rußland mißbraucht zu werden. Chinas Initiative der Neuen Seidenstraße hat gemeinsam mit Rußland und der Eurasischen Wirtschaftsunion das Potential für eine stabile Friedensstrategie für Europa, Eurasien, Afrika und darüber hinaus geschaffen. Diese zweite Chance nach 1989 darf nicht verpaßt werden.
Lassen sie uns jetzt eine wahre humanistische Renaissance in Europa schaffen, die für die gesamte Welt und die Menschheit von Vorteil sein wird! Ich danke Ihnen.
Anmerkung:
1. * = EU Mitgliedsstaaten.
2. http://english.gov.cn/news/international_exchanges/2016/11/06/content_281475484335120.htm
3. The New Silk Road becomes the World Land-Bridge: A Shared Future for Humanity (Vol. II), siehe https://shop.eir.de/produkt/the-new-silk-road-becomes-the-world-land-bridge-a-shared-future-for-humanity-vol-ii/
Der bulgarische Abgeordnete Prof. Ivo Christov (25:48) sprach über das „Neue Paradigma aus der Sicht des Balkan“. Er begann seinen Vortrag mit dem geopolitischen Satz: „Geographie ist Schicksal“, und zeigte dann die wichtige Position der Balkan-Region mit ihrer interessanten Geschichte, Wirtschaft und Kultur als Tor zu Europa für die Land- und Seerouten der Neuen Seidenstraße. Hier kollidieren die Interessen der Vereinigten Staaten, Rußlands, der Türkei und Chinas. Christov verwies auf den US-Stützpunkt Camp Bondsteel im Kosovo, der den anderen Mächten den Zugang zum Balkan verwehrt.
Das Neue Paradigma aus der Sicht des Balkan
Vielen Dank! Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut dafür danken, daß man mich hierher eingeladen hat, einige Ideen und Gedanken zum Thema unserer Konferenz mit Ihnen zu teilen. Ich denke, es wird eine fruchtbare Konferenz sein, nicht nur hinsichtlich der Ideen, sondern auch für praktische Aktivitäten.
Das Thema meines Vortrags heute lautet „Das Neue Paradigma aus der Sicht des Balkan“. Als Akademiker möchte ich an unser Thema, den Balkan und die neuen chinesischen Initiativen, mit einem strategischen Blick von oben herangehen, konkret mit dem Gesamtbild der geopolitischen Gegenwart.
Abb. 1: Die wesentlichen industriellen und wirtschaftlichen Machtzentren der Welt: Europa, die Vereinigten Staaten, Rußland und China.
Machtzentren der Welt
Es gibt einen Ausspruch, der Napoleon zugeschrieben wird und den der berühmte französische Historiker Fernand Braudel mitgeteilt hat: „Geographie ist Schicksal“. Wenn wir uns die geographische Landkarte betrachten (Abbildung 1) und auf die wesentlichen industriellen und wirtschaftlichen Machtzentren der heutigen Welt schauen, verschafft uns das eine wichtige Perspektive.
Aus historischer Sicht ist der erste Kreis der Industrie das westliche Machtzentrum – wirtschaftlich, militärisch usw. Es liegt im Süden Britanniens in England, und später im Ruhrgebiet im westlichen Teil Deutschlands sowie im Nordosten Frankreichs. Das ist ein Prozeß, der 200 Jahre währte, die Ära der sog. Industriellen Revolution.
Das Resultat hiervon ist, daß westliche Länder, insbesondere Großbritannien und danach natürlich Frankreich und später Deutschland und die Vereinigten Staaten, sehr viel Macht haben – nicht nur hinsichtlich ihrer Streitkräfte, sondern auch hinsichtlich ihrer Volkswirtschaften und insbesondere auch ihrer kulturellen Ansichten. Es ist offensichtlich, daß dies eine Welt mit dem Westen als Zentrum ist, weil das Machtzentrum, besonders militärisch, wirtschaftlich und technisch, dort konzentriert ist. Ihre Vorherrschaft beruht offensichtlich auf ihrer militärischen Stärke, ganz besonders zur See.
Danach, ganz am Ende der Industriellen Revolution, ist das nächste Zentrum politischer und militärischer Macht Nordamerika, vor allem konzentriert im östlichen Teil der Vereinigten Staaten, in Neuengland. Und später, nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, verlagerte sich das Zentrum hin zur Mitte, zu den Großen Ebenen, nach Chicago, und dann zur Westküste der Vereinigten Staaten. Sie sind das stärkste Zentrum, denn es ist offensichtlich, daß Kanada und Mexiko Länder sind, die stark von der US-amerikanischen Macht abhängig sind. Zwischen dem westeuropäischen Zentrum und dem amerikanischen Zentrum gibt es sehr intensive Ströme von Waren, Finanzen usw. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Amerika der Hauptakteur. Westeuropa und nach 1989 auch Osteuropa wurden von der amerikanischen Macht abhängig.
Ein weiteres Zentrum wirtschaftlicher und militärischer Macht ist natürlich Rußland. Rußland stieg nach den Reformen Peters des Großen und mehr noch nach der Gründung der Sowjetunion zur Großmacht auf. In der Stalin-Ära wurde die Sowjetunion zur stärksten militärischen Macht der Welt nach den Vereinigten Staaten.
Das vierte Machtzentrum – wirtschaftlich, militärisch, im Handel usw. – ist der östliche Teil Eurasiens. Historisch waren das zuerst Japan und danach auch Korea und China.
Was zeichnet diese Zentren wirtschaftlicher und kultureller Einflüsse aus? Es ist ein ganz spezielles Modell der Gründung moderner Kultur, besonders im modernen Zustand der Wirtschaft. Diese Wirtschaft wurde von oben herab vom Staat, einem sehr starken Staat, geschaffen. Es ist etwas ganz anderes als der freie Markt, die gesamte Wirtschaft ist eine Frucht aktiver staatlicher Politik. Das ist typisch für Japan zu Beginn des 20. Jahrhunderts; danach sieht man es in China während der Reformen ab den 1980er Jahren. Es handelt sich um eine sehr spezielle Zusammenarbeit zwischen einem starken Staat auf der einen Seite und der Schaffung neuer wirtschaftlicher Bereiche und Akteure auf der anderen. Im Falle Chinas schafft der chinesische Staat die neuen wirtschaftlichen Zugpferde im Marktbereich auf globaler Ebene.
Jagd nach Handel und Ressourcen
Zwischen dem westeuropäischen und dem nordamerikanischen Kern der westlichen Macht hat sich ein sehr intensiver Handel und andere Wirtschaftsaktivitäten entwickelt. Sehr interessant ist, daß ihre wirtschaftliche und politische Macht auf Rohstoffen beruht, ganz besonders Öl- und Gasressourcen, die sich – mit der Ausnahme Rußlands – außerhalb dieser Regionen befinden. Für Amerika beispielsweise sind dies die Öl- und Gasvorkommen im Golf von Mexiko und in Mexiko und natürlich die in Kanada und Alaska. In Europa hingegen beziehen die Länder ihre Rohstoffe vor allem von den Golfstaaten im Nahen Osten. Interessant ist, daß für das Wirtschaftsmodell des Fernen Ostens eine enge Bindung an die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas für die Energieträger sehr wichtig ist.
Was ist nun an unserer Situation heute grundsätzlich neu? Grundsätzlich ist die Lage, daß China seine eigenen Aktivitäten und seine politische und wirtschaftliche Rolle in der Welt entfalten will – nicht, um eine Nullsummenstrategie zu verfolgen, sondern aus einer Strategie des gemeinsamen Vorteils heraus (win-win): „Wir gewinnen und ihr gewinnt bei unseren Kooperationen und dem Handel und den politischen Beziehungen.“ Chinas Abhängigkeit von Rohstoffen, besonders aus der Region, ist dabei ein Vorteil, bietet aber auch vor allem den nordamerikanischen Ländern einige Möglichkeiten, Chinas Entwicklung zu blockieren, und zu verhindern, daß es die Führung der modernen Welt übernimmt.
Engpässe auf den Meeren
Wie? Indem Amerika bisher beispielsweise den sehr wichtigen Knotenpunkt der Malakka-Straße kontrolliert. Die Malakka-Straße ist äußerst wichtig, weil durch sie 40% des Welthandels und Güteraustausches laufen, besonders der Handel aus China, Japan, Korea und anderen asiatischen „Tigerstaaten“.
Ein anderer Punkt, an dem China blockiert werden kann, ist die Straße von Hormus zwischen dem Iran und Oman, weil das der Engpaß beim Erreichen der Ölfelder des Nahen Ostens ist.
Ein anderer Engpaß ist die Straße zwischen der Arabischen Halbinsel, Jemen – das ist sehr interessant in Bezug auf den Vortrag zu diesem Thema gestern (vgl. Neue Solidarität 30/2018) – und Dschibuti, Somalia und Äthiopien. Die Schiffahrt zwischen dem Indischen Ozean und dem Mittelmeer muß den Bab-El-Mandab und den Suezkanal passieren.
So gesehen ist es interessant, Chinas Strategie zu beobachten, neue Gürtel des internationalen Handels und der Zusammenarbeit zu entwickeln, nicht nur über die Weltmeere, sondern über Land in Eurasien, besonders vom Westen Chinas durch Zentralasien, den Iran und dann die Türkei zur Mitte Europas. Europa, besonders Deutschland, Frankreich und allgemein der Kern Europas, ist heute der größte Markt der Welt. Andererseits gibt es eine weitere Option von Beijing durch den Süden Rußlands oder den Norden Kasachstans direkt zu den Ostseehäfen und Deutschland. Eine weitere Option ist die südliche Route, von Südchina durch Thailand, wiederum eine andere von Westchina direkt durch Pakistan zur pakistanischen Provinz Belutschistan, dies schafft die direkte Verbindung zu den Ölfeldern des Nahen Ostens und am Persischen Golf.
Abb. 2: Über den Balkan verlaufen wichtige Verkehrsströme aus dem Nahen Osten und Nordafrika nach Mitteleuropa.
Viele Routen führen durch den Balkan
Warum ist das so wichtig? Warum spreche ich darüber, wenn mein Thema der Balkan ist? Es ist interessant in Bezug auf die historische, militärische, wirtschaftliche und andere Dimensionen, diese Lage zu verstehen. Warum ist der Balkan so wichtig? Nicht, weil ich aus dieser Region komme – ich stamme aus Kiew und lebe in Bulgarien. Die Iberische Halbinsel und die Balkanhalbinsel sind die beiden Eingangstore nach Europa aus Afrika auf der einen Seite und aus dem Nahen Osten auf der anderen.
Deshalb ist diese spezielle Region sehr wichtig. Warum? Erstens gibt es zwei Hauptrichtungen des Handels – Verkehr von Waren und Menschen usw. – von Ost nach West über die Türkei und Istanbul, Bulgarien, Serbien und andere nach Mitteleuropa, besonders Deutschland. Eine weitere Route führt von Nordafrika, besonders Ägypten, über Griechenland, Makedonien, Serbien und Kroatien oder Ungarn ebenfalls direkt nach Deutschland (Abbildung 2). Das ist sehr wichtig für das Blockieren dieser Handelsströme vom Balkan nach Mitteleuropa.
Ein anderer wichtiger Punkt ist, daß es hier auf dieser kleinen Halbinsel eine solche Fülle von Geschichte, so viele Widersprüche und eine Geschichte vieler blutiger Konflikte gibt. Warum? Hier leben drei Zivilisationen zusammen, insbesondere auch Muslime. Das ist Teil der früheren Geschichte des Osmanischen Reiches, die Türken bzw. Muslime in Bosnien oder Albanien. Dann ist da die orthodoxe Zivilisation – Griechen, Bulgaren, Serben und Rumänen sind Orthodoxe. Und dann natürlich die katholische Zivilisation, konzentriert im Nordwesten der Halbinsel, besonders in Kroatien, dem kroatischen Teil Bosniens und Slowenien. Deshalb ist dieser kleine Teil Europas das Kampffeld von vier Großmächten: die Vereinigten Staaten, Rußland, die Türkei und China.
Werden die Routen offen sein?
Was ist interessant für China? China möchte Zugang zu diesem sehr wichtigen Gebiet haben. Beispielsweise hat China in Kooperation mit der Türkei eine Eisenbahnstrecke von der Türkei über Istanbul gebaut, die vielleicht nach Bulgarien verlängert wird. Aber nur vielleicht. Ein anderes Eisenbahnprojekt verläuft vom griechischen Hafen Piräus nach Thessaloniki, Makedonien, Serbien und von dort bis mitten nach Deutschland.
Abb. 3: Der größte amerikanische Militärstützpunkt in Osteuropa, Camp Bondsteel, liegt im Kosovo.
Hier sollte man Camp Bondsteel erwähnen. Das ist der größte amerikanische Militärstützpunkt in Osteuropa, er liegt im Kosovo. Von dort aus haben die USA alle Bemühungen blockiert, aus irgendeiner Richtung Zugang zur Balkanhalbinsel zu erhalten.
In der Zukunft wird das Projekt der Neuen Seidenstraße sehr schwierig praktisch umzusetzen sein. Warum? Es gibt so viele Hindernisse durch die amerikanische Strategie, zu verhindern, daß China sich hier engagiert, und jede Initiative Rußlands für den Bau neuer Öl- oder Gaspipelines aus Rußland z.B. über Bulgarien und Serbien zu stoppen.
Was sollten wir tun? Warum ist es so wichtig, daß Europa die Geopolitik in dieser Region verändert? Wenn der Balkan immer nur das „schwarze Loch“ Europas bleibt, wird diese Geopolitik alle Initiativen stören, wenn nicht verhindern, immer wenn man versucht, die geopolitische Lage nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt zu verändern.
Vielen Dank.
Der bekannte deutsche Ökonom Folker Hellmeyer (46:34) sprach über „Die Integrationsoptionen der Eurasischen Zoll- und Wirtschaftsunion und der OBOR Initiative Chinas“ und sagte, die neuen Strukturen für die Kooperation zwischen den Nationen, über die mehrere seiner Vorredner gesprochen hatten, kämen als Ersatz für die alten, versagenden Strukturen des Westens – wie die EU – in Betracht, insbesondere die Eurasische Zoll- und Wirtschaftsunion (EAEU) komme als Ersatz, Partner oder Brücke in Betracht, um Europa in eine Kooperation mit der BRI zu führen.
Die Integrationsoptionen der Eurasischen Zoll- und Wirtschaftsunion und der OBOR-Initiative Chinas
Sehr geehrte Frau Zepp-LaRouche, es ist mir eine Ehre, es ist mir eine Freude, hier heute vortragen zu dürfen, und bevor ich jetzt in den nächsten zwei Stunden das eine oder andere erzählen werde, möchte ich mich für das Engagement von Herrn LaRouche und Frau Zepp-LaRouche für dieses Projekt, das Sie wesentlich auch inhaltlich mitbestimmt haben – über Jahrzehnte -, bedanken. Und ich möchte Ihnen eines sagen: Es ist das größte Wirtschaftsprojekt in der Geschichte der Menschheit, seitdem es Schriftzeichen gibt, seit den Sumerern!
Meine sehr verehrten Damen und Herren, und das ist mir genauso wichtig, und das setzt dann auch an dem Vortrag an, den wir eben gehört haben: Es ist ein Friedensprojekt. Es ist der Aufbau von Infrastruktur. Es ist doch nicht nur die Wachstumsdividende aus dem Aufbau der Infrastruktur, sondern wir müssen hier reden über die Zweit- und Drittrundeneffekte durch Erschließung des Humankapitals. Das ist eine nachhaltige, die Weltwirtschaft bedeutend verändernde Initiative, der ich übrigens seit fünf Jahren, und so lange kennen wir uns auch, glaube ich, mich angeschlossen habe und dafür kämpfe.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte eines deutlich sagen: Aristoteles war ein guter Grieche, und Aristoteles hat vor 2350 Jahren gesagt: Wer Strukturen verändert, verändert nachhaltig die Konjunkturverläufe und ultimativ die Haushaltslagen. Und diese These von Aristoteles bildet das Rückgrat meiner gesamten Analysen, seitdem ich diesen Job 1997 mal begonnen habe, und diese Thesen werden latent bestätigt. Und das ist jetzt auch etwas für Sie, Herr Zanni, Deutschland hat reformiert – Agenda 2010. Wir haben Europa schmerzhaft strukturell reformiert – und das bestätigt alles Aristoteles -, und wir haben heute die strukturellen Haushaltsdefizite bereinigt, die Nord-Süd-Divergenz bereinigt. Europa wächst – und jetzt hören Sie bitte genau hin – maßgeblich auf wiederkehrenden Einkommen, das ist die beste Qualität die es gibt, auch hier wird Aristoteles bestätigt.
Und das Projekt One Belt One Road, Seidenstraße, ist Struktur. Das ist Aristoteles in Reinkultur, das ist Zukunftsfähigkeit.
Ich soll und werde heute über die Eurasische Zoll- und Wirtschaftsunion reden, aber ich bin immer noch nicht durch. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle etwas sagen, denn die Aktualität brennt: Wir haben heute eine Anfechtung genau dieser Initiativen, One Belt, One Road, weil sie ja länderübergreifend sind, durch die Vereinigten Staaten. Und das sollten wir nicht klein schreiben. Ich hatte das Vergnügen, vor zwei Wochen hier in Frankfurt mit einem der vier Generaldirektoren der Welthandelsorganisation WTO zusammen zu sein, und der Angriff, der seitens der USA gegen die WTO gefahren wird, ist absolut ernst zu nehmen. Das Gerüst, das die arbeitsteilige Weltwirtschaft zusammen hält, ist das Grundgerüst der Welthandelsorganisation. Wenn wir diese Welthandelsorganisation in ihrer Funktionalität untergraben, dann werden wir hier einen Sturm ernten, der massiv ist. Denn es gibt heute keine autarken Wirtschaftsnationen mehr. Wir sind von dieser arbeitsteiligen Konstellation absolut abhängig. Deswegen gilt es im Moment sehr aufmerksam zu sein, denn für mich ist der Angriff auf die WTO, auf die Welthandelsorganisation, eben auch ein Angriff auf das Projekt One Belt One Road und Seidenstraße.
Aber ich möchte Sie gleichzeitig beruhigen. Denn die USA haben heute nur noch 15% Anteil an der Weltwirtschaft, der Rest der Welt sind 85%. Und wenn diese 85% zusammenstehen, meine Damen und Herren, dann wird dieses Konstrukt, das hier im Moment aufgebaut wird – maßgeblich durch China, aber auch durch viele Institutionen – Bestand haben.
Das möchte ich einfach vorneweg als Einführung zu diesem Thema bringen, und jetzt lassen Sie uns gehen zur Eurasischen Zoll- und Wirtschaftsunion. Wir haben eben über den Balkan gehört, jetzt schauen wir also im Grunde genommen in Richtung Kasachstan: die Nordroute.
Der immense Aufstieg asiatischer Nationen, den wir seit Jahrzehnten erleben, sucht in der Wirtschaftsgeschichte seinesgleichen. Dabei geht es nicht nur um China oder Indien, meine Damen und Herren, der ganze Kontinent akzeptiert die Vorherrschaft der alten Industrienationen nicht mehr. Während unsere westliche Welt mit Überalterung, Politikmüdigkeit und Verschuldung kämpft, zeichnen sich die meisten Länder Asiens durch Wachstum sowie eine junge, lernfähige, leidensfähige und leistungsfähige Bevölkerung aus.
Meine Damen und Herren, ich will Ihnen das deutlich machen. Ich hatte das Vergnügen, vor einigen Jahren hier in Frankfurt mit einem Vorstandsmitglied der chinesischen Zentralbank dinieren zu dürfen, und er sagte mir: „Herr Hellmeyer, wir finden Europa phantastisch, das ist der widerstandsfähigste und größte Absatzmarkt für uns – die Europäische Union mit 500 Millionen Menschen -, wichtiger als die USA, wir kaufen Ihre Industrie, wo wir es nur können, aber“ – meine Damen und Herren, und jetzt, Herr Zanni, hören Sie hin – „Sie finden außenpolitisch doch gar nicht statt.“ – Ich betone das nochmal: Sie finden außenpolitisch nicht statt! – „Mit wem sollen wir denn seitens Chinas reden? Mit Brüssel? London? Lissabon? Helsinki? Berlin? Paris? Mit wem sollen wir reden? Sie sind ein außenpolitischer Eunuch.“
Und jetzt denken Sie genau darüber nach, denn wir brauchen auch für die Seidenstraße ein starkes Europa, ein Europa, das außenpolitisch, Herr Zanni, mit einer Stimme spricht. Das brauchen wir, das ist zwingend erforderlich.
Wir haben den besten und stärksten Kapitalstock der Welt. Was ist Kapitalstock? Das sind Unternehmen, meine Damen und Herren. Kapitalstock, das nennt sich „hidden champion“, Ein hidden champion ist die Nr. 1 in seiner Branche in seinem eigenen Land und unter den Top Drei der ganzen Welt. Davon gibt es 2700. Und die Eurozone hat mit 4,6% der Weltbevölkerung 60% dieses innovativen Kapitalstocks. Wir sind das Powerhouse der Welt, außerhalb von Hardware, Software und Biotechnologie, und dieses Powerhouse der Welt, dieser Kapitalstock, hat keine sinnstiftende außenpolitische Vertretung. Und Herr Zanni, wenn wir in Europa nicht anfangen, unsere Hausaufgaben zu machen, in einer Welt, die in Blöcke zerfällt, dann werden wir diesen Kapitalstock in 25 Jahren in der Form, wie wir ihn haben, nicht haben. Und den brauchen wir doch gerade für die Seidenstraße und das Projekt. Sehen Sie, Rußland hat die Rohstoffe, wir haben die hidden champions. Und Asien hat die nicht erschlossene Bevölkerung und die Bevölkerungswachstumspotentiale. Lassen Sie das zusammenwachsen, und dann sind Sie bei einem Modell von Prosperität und Frieden. Und übrigens: Frieden ist immer die Grundlage für Prosperität, das sehen wir gerade bei den Regimechange-Ländern, da klappt das nicht so mit der Prosperität, und deswegen gibt es übrigens auch Flüchtlingsströme, und deswegen diskutieren wir auch bei den Flüchtlingsströmen die vollkommen falschen Ursachen. Die Regimechange-Politik der letzten 15, 17 Jahre ist die Grundlage für die Flüchtlingsströme. – In welcher Talkshow haben Sie das gesehen? Sagen Sie es bitte – keiner. Danke!
Meine Damen und Herren, ich will weitermachen, denn es geht ja um die Eurasische Zoll- und Wirtschaftsunion.
Emanzipation der aufstrebenden Länder, die sich eben ergeben hat – denn in den westlichen Institutionen, ob das der IMF ist oder die Weltbank oder auch UNO, da hatten wir heute morgen ja auch schon drüber gehört, werden die Interessen dieser aufstrebenden Länder nicht gespiegelt, und diese Länder emanzipieren sich, mit der Asia Infrastructure Investment Bank, mit der New Development Bank, mit CIPS als Alternative zu SWIFT. Und das Projekt One Belt One Road ist dann doch nur die Krönung des ganzen, indem man sagt: Wir emanzipieren uns – wow!
Und jetzt habe ich eine Frage an Sie: Wieviel Prozent der Weltwirtschaft stellten die Entwicklungsländer und aufstrebenden Länder im Jahr 1990, als der Kommunismus fiel und die Globalisierungspolitik begann? Ich gebe Ihnen drei Möglichkeiten: 60%, 40% oder 20% der Weltwirtschaft? Und Sie wollen sagen: 20%? Vollkommen richtig, Sie sind im Spiel!
Wieviel Prozent haben die aufstrebenden Länder heute? Ich gebe Ihnen drei Möglichkeiten: 20%, 30% oder 66,798%?
Anders ausgedrückt: Wir haben ein Organigramm mit IMF, Vereinten Nationen, das spiegelt das Bild von 1990 ab, als der Westen 80% Anteil an der Weltwirtschaft hatte. Jetzt haben wir noch weniger als 34%, aber die Strukturen sehen immer noch so aus, als hätten wir 80%. Das funktioniert nicht! Wenn finanzökonomische Machtachsen sich verändern, muß sich auch was verändern? Die politische Machtachse! Und wenn das in der Vergangenheit nicht passierte, meine Damen und Herren, dann gab es Krieg. Und was wir heute erleben, sind – über Regimechange, Wirtschaftssanktionen, Finanzsanktionen – hybride Kriege. Es geht nur um das Thema Macht, aber es geht für Europa auch um das Thema Frieden, es geht für die Welt um das Thema Frieden. Wie bekommen wir das hin?
Die Eurasische Zoll- und Wirtschaftsunion
Und da sind wir wieder zurück bei der Wirtschafts- und Zollunion Eurasiens. Wir wissen, daß Herr Putin Deutschland phantastisch findet, und in der Eurasischen Zoll- und Wirtschaftsunion wird im Grunde genommen adaptiert, was wir in der Europäischen Union gemacht haben. Sie wurde gegründet am 1. Januar 2015 und ging aus der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft hervor. Das Gründungsabkommen wurde am 29. Mai 2014 unterschrieben von Kasachstan, Rußland und Weißrußland, dann kam Armenien dazu, 2014 im Oktober, und schließlich Kirgisistan 2015. Das ist eine überschaubare Größe an Ländern, und auch wenn wir uns dann mal die Anteile anschauen (Tabelle 1), dann hat Rußland bei Bevölkerung und Fläche über 80%, dann ist das schon sehr stark dominiert von Rußland.
Tab. 1: Mitgliedstaaten der Eurasischen Wirtschaftsunion
Land | Unterzeichnungsdatum | Einwohner in Mio. | Einwohner in % | Fläche in km² | Fläche in % |
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Kasachstan | 29. 5. 2014 | 18,0 (2017) | 9,9 % | 2.724.900 | 13,45 % |
Rußland | 29. 5. 2014 | 146,5 (Schätzung 2015, mit Krim) | 80,2 % | 17.102.344 (mit Krim) | 84,40 % |
Weißrußland | 29. 5. 2014 | 9,5 (2016) | 5,2 % | 207.595 | 1,02 % |
Armenien | 10. 10. 2014 | 3,0 (2018) | 1,6 % | 29.800 | 0,15 % |
Kirgisistan | 23. 12. 2014 | 5,6 (Schätzung 2012) | 3,0 % | 199.900 | 0,99 % |
Summe | 182,6 | 100 % | 20.264.539 | 100 % |
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Eurasische_Wirtschaftsunion
Aber es gibt weitere Beitrittskandidaten: Tadschikistan, Usbekistan, Mongolei, Aserbaidschan, Syrien; und wie gesagt, Ziel ist es, am Ende so etwas darzustellen wie die Europäische Union.
Was wurde dort gemacht?
– Abschaffung von Zollgebühren und Zollkontrollen (Zollunion),
– 2007 einheitlicher Wirtschaftsraum
– 1. Januar 2015: freier Personen- und Waren- und Dienstleistungsverkehr und Kapitalfluß,
– 1. Januar 2016: Gemeinsamer Markt für pharmazeutische Mittel und medizinische Geräte,
– 2019: Beginn gemeinsamer Energiemarkt,
– 2019: Gemeinsamer Strommarkt,
– 2024: Gemeinsamer Erdölmarkt,
– 2025: Gemeinsamer Gasmarkt,
– bis 2025: Schaffung der Bedingungen für einheitlichen Finanzmarkt, gemeinsame Währung.
Sehen Sie? Da versucht man doch tatsächlich, das Modell der Eurozone nachzubauen – übrigens gar nicht so schlecht.
Ein Exkurs: Ist Ihnen eigentlich bewußt, daß die Eurozone einen Goldstandard hat? Herr Zanni, genau hinhören: einen Goldstandard! Was war der Goldstandard früher? Große Stabilität. Viele finden ihn ganz toll. Der Goldstandard war: Ein Land benimmt sich nicht, muß für die Importe die Goldreserven hergeben, irgendwann sind sie alle. Und was muß es dann machen? Es muß sich restrukturieren und die Fehler, die selbst gemacht worden sind, dann auch wieder korrigieren. There is no easy way out, as the British would say, with a stiff upper lip, ladies and gentlemen.
Und was hat die Eurozone? Ein Land benimmt sich daneben, reißt die Defizitgrenzen, dann wird es ermahnt, Strukturreformen zu machen; wenn es die nicht macht, wird der Druck erhöht, weil auch die Märkte den Druck erhöhen; und wenn es dann knallt, wie Italien 2012, als man 7% für zehnjährige Staatsanleihen zahlen mußte, wäre ohne die Hilfe der EZB und der Solidargemeinschaft Europas Italien pleite gewesen. Was machen wir? Wir stehen zur Seite, es werden Strukturreformen umgesetzt, meine Damen und Herren, und die Erfolge sind sensationell! Die Eurozone hat, anders als die USA und UK einen Goldstandard light, mit einer sozialen Komponente über die Solidarität des Systems. Und ich bin empört, und das sage ich auch an die Adressen im Europäischen Parlament, ich bin empört, daß wir diese faktische Lage nicht richtig darstellen.
Die Lage in den Mitgliedstaaten der EAWU
Was wir jetzt in der Eurasischen Zoll- und Wirtschaftsunion sehen, ist eigentlich die Adaption unseres Modells. Und ich darf Ihnen eines sagen: Das ist auch nicht schlecht.
Lassen Sie uns auf die einzelnen Länder eingehen.
Rußland ist wichtig in diesem Zusammenhang, und dann gucken wir mal auf Wirtschaftsdaten aus Rußland (Tabelle 2):
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Rußland – Konjunktur- und Strukturdaten
BIP-Wachstum 2018: Circa 2%
Verbraucherpreise aktuell: 2,4% im Jahresvergleich
Außenhandel: Überschüsse in Höhe von circa 10 Mrd. $ pro Monat
Realer Lohnanstieg: Aktuell circa 7% im Jahresvergleich
Öffentlicher Haushalt: Defizit bei 0% des BIP per 2018 gemäß IWF-Prognose
Staatsschulden: 18,7% des BIP gemäß Prognose des IWF
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Da haben wir ein Wachstum in diesem Jahr wahrscheinlich von 2% in etwa; Inflation auf dem niedrigsten Niveau seit Gründung Rußlands, bei 2,4%; im Außenhandel Überschüsse – 10 Mrd. $ pro Monat, also ganz anders als die USA; realer Lohnanstieg inflationsbereinigt 7%, also Wohlstandsgewinne; öffentlicher Haushalt: 0% der Wirtschaftsleistung. Something Italy has to go for, really. 0%.
Und wie hoch ist eigentlich die Staatsverschuldung Rußlands? Ich gebe Ihnen drei Möglichkeiten: so hoch wie in Japan, 240%, so hoch wie in den USA, ca. 108-110%, oder 18,4% der Wirtschaftsleistung? 18,4%! Und wissen Sie, was unsere Ratingagenturen dazu sagen im Westen? Müll, junk. Sie sehen, deswegen wollen diese Länder sich von uns emanzipieren, weil wir das mit der Wahrheitsfindung nicht so ernst nehmen.
Meine Damen und Herren, Rußland ist damit ein Kernstück des ganzen.
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Weißrußland
Wirtschaftsentwicklung: Trendwende geschafft
Investitionen: Moderater Anstieg erwartet
Konsum: Verbrauch könnte 2018 um 3% steigen
Außenhandel: Deutsche Exporte 2017 mit hohem Zuwachs
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Dann haben wir Weißrußland, Belarus: Auch da läuft die Wirtschaftsentwicklung wieder besser, auch die Beilegung des Zwists mit Rußland hilft dabei, die Rohstoffpreise helfen dabei. Bei den Investitionen wird ein moderater Anstieg erwartet, der Konsum, der private Verbrauch, könnte im Jahr 2018 um 3% steigen, auch der Außenhandel fängt an, wieder zu wachsen.
Kasachstan ist im Grunde am stärksten begünstigt durch dieses Projekt Seidenstraße. Wir haben hohe Investitionen. Wenn Sie mal in Astana sind, ich glaube, Hans [von Helldorff], wir hatten dort diese Bilder vom Bahnhof: vollkommen überdimensioniert, das erinnert so ein bißchen an Napoleon. Alles, was Napoleon gebaut hat, ich komme aus Hamburg, und die Palmaille dort hält noch heutigen Anforderungen stand. Und so ähnlich ist das auch in Astana, in Kasachstan, man baut im Großen, weil man sagt: Da kommt etwas auf uns zu, über die Seidenstraße, über die Verbindung mit China, über Investitionen, die von China laufen. Kasachstan gehört sicherlich zu den Ländern, wenn wir über die Eurasische Wirtschaftsunion sprechen, die am stärksten profitieren.
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Armenien
Wirtschaftsentwicklung: Gute Chancen für kräftiges Wachstum
Investitionen: Lang erwartete Trendwende in Sicht
Konsum: Verbraucher geben wieder mehr aus
Außenhandel: Gute Aussichten auf weiteren signifikanten Zuwachs
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Dann haben wir noch Armenien: leider geschlossene Grenzen zur Türkei und auch nach Aserbaidschan, und damit so etwas eine Insellösung. Die profitieren am wenigsten davon, aber lange Rede kurzer Sinn: auch das sieht alles nicht schlecht aus.
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Kirgisistan
Wirtschaftsentwicklung: Nachlassendes Tempo wegen Rückgang der Goldförderung
Investitionen: Internationale Geber und chinesische Investoren sind bestimmend
Konsum: Einkommensentwicklung stimmt positiv
Außenhandel: Einfuhren wachsen stark
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Kirgisistan kommt dieses Jahr auch wieder, wenn wir die IWF-Prognosen sehen, über 4%, und was wir feststellen bei allen diesen Ländern, ist, daß die Staatsverschuldung relativ gering ist. Also die Strukturdaten: Aristoteles! Struktur ist das entscheidende, die Struktur bestimmt die Konjunktur! Das ist das A und O. Mit Finanzkosmetik und Interventionen und nivellierenden Standards gewinnen Sie nicht die Zukunft, damit verspielen Sie die Zukunft Ihrer Kinder. Die Strukturdaten in diesen Ländern sehen grundsätzlich, auch gerade im Vergleich zum Westen, gut aus.
Und dann kommt dieses zusätzliche Projekt – One Belt, One Road, Seidenstraße – als ein potentieller Wachstumstreiber hinzu: Erschließung von Humankapital durch Infrastrukturmaßnahmen, das ist der Schlüssel zum Erfolg.
Schlußbemerkung
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Integrationsoptionen: „Business of sale demands politics of scale“
– Optimierende Verkehrsanbindung für Kirgisistan, Kasachstan, Rußland und Weißrußland
– Höhere Verkehrsdichte mit Wachstumsimplikation (Dienstleistung)
– Anbindung eigener Produktionszweige an den Weltmarkt über neue Verkehrswege
– Chance verstärkter Wirtschaftsclusterbildung im Rahmen eigener Stärken
– Chance auf verbesserten kulturellen Austausch
– Chance auf mehr Tourismus (Dienstleistung)
– Stärker im Fokus der Weltwirtschaft => Mehr Chancen auf internationale Förderung
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Meine Damen und Herren, ich möchte schließen.
Integrationsoptionen: „Business of sale demands politics of scale.”
Was will ich damit sagen? Es gibt einige Politiker bei uns in Europa, die glauben, daß man mit den Rezepten der Vergangenheit die Probleme der Zukunft lösen kann. Und nichts ist weiter von der Realität entfernt. Der Weg zurück zur Nationalstaatlichkeit – siehe Brexit – ist extrem teuer. sofern der Brexit stattfindet, gnade Großbritannien Gott, die schießen sich dahin, wo sie 1965 waren! In welcher wirtschaftlichen Situation befand sich Großbritannien 1965? Ich gebe Ihnen drei Möglichkeiten: prekär, sehr prekär oder äußerst prekär? Sie wollen sagen, äußerst prekär, und Sie haben recht.
Also meine Damen und Herren, ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen. Als 1990 die Globalisierung sportlich begann, war BASF ein deutsches Unternehmen. Die maßgeblichen Produktionsanlagen waren in Deutschland, aus Deutschland wurde exportiert. BASF 2018 ist immer noch ein deutsches Unternehmen, weil es sein Headoffice hier bei uns hat. Aber heute sind die geringsten Produktionsanlagen in Deutschland, und es ist ein „Global Player“. Und wenn Sie glauben, mit einer Währung eines kleinen Landes – Deutschland mit 81 Millionen Menschen von 7,5 Milliarden auf der Welt -, daß wir mit 81 Millionen Menschen die Interessen dieser Institution schützen können; wer das glaubt, der glaubt damit, diese Unternehmen mit ihren Produktionsstandorten an uns zu binden, der macht seine Hose mit einer Kneifzange zu, meine Damen und Herren!
Und das funktioniert nicht. Wenn wir business of scale haben, so wie wir die arbeitsteilige Welt aufgebaut haben, dann brauchen wir am Ende auch politics of scale, um diesen Kapitalstock außenpolitisch vertreten zu können.
Und Sie sehen das im Moment genau in der Auseinandersetzung mit den USA. Da haben wir in Europa ein Problem: Wir sprechen nicht mit einer Zunge, oder? Und damit spielen wir mit diesem Kapitalstock, der die Grundlage ist für die kommenden Generationen, um Sicherheit, um wirtschaftlichen Erfolg zu haben.
Meine Damen und Herren, deswegen: business of scale demands politics of scale. Und wer glaubt, mit der Nationalstaatlichkeit hier auch nur eine Lösung anzubieten, der verkauft die kommende Generation.
Meine Damen und Herren, machen wir weiter. Was haben wir mit dieser Eurasischen Wirtschafts- und Zollunion? – Das war eigentlich mein Thema, aber ich mußte den Rest bringen, ganz im Ernst, ich fühlte mich dazu verpflichtet. – Wir haben optimierende Verkehrsanbindung für Kirgisistan, Kasachstan, Rußland und Weißrußland. Und jeder, der sich damit auskennt, weiß: Infrastruktur ist dann immer die Grundlage für Ansiedelung von Unternehmen.
Wir haben eine höhere Verkehrsdichte mit Wachstumsimplikation im Dienstleistungssektor. Wir haben eine Anbindung eigener Produktionszweige an den Weltmarkt aus diesen nationalen Ökonomien über diese neuen Verkehrswege. Wir haben Chancen verstärkter Wirtschaftsclusterbildung. Das ist jetzt im Grunde genommen der entscheidende Punkt, da hat Herr Krugman als Nobelpreisträger ja auch viel für China damals gemacht: Clusterbildung. Was jetzt passieren muß in diesen Ländern, ist, daß man sagt: Wo sind unsere Stärken? Und dann werden wir Cluster um diese Verkehrswege herum anbinden, um unsere Wirtschaft zu optimieren.
Die Chance auf verbesserten kulturellen Austausch – das ist mir wichtig, meine Damen und Herren! Weil der kulturelle Austausch immer die Grundlage für die Friedensdividende ist, und alles basiert auf Frieden.
Die Chance auf mehr Tourismus, auch das. Ich habe jetzt mit Frau Welteke gesprochen, der Ehefrau unseres Ex-Bundesbankpräsidenten, die kommt aus Aserbaidschan, sie waren gerade in Baku. Das muß irre sein, ich fahre demnächst auch hin! Sie sehen, es klappt.
Meine Damen und Herren: Stärker im Fokus der Weltwirtschaft ist gleich mehr Chancen auf internationale Förderung. Auch das spielt dann eine Rolle.
Lassen Sie mich hier schließen. Die Eurasische Zollunion und Wirtschaftsunion ist im Grunde genommen ein Baby der Europäischen Union, von der Grundstruktur her. Es nimmt den Gedanken „business of scale, politics of scale“ auf, um eben auch diese Region sinnvoll vertreten zu können, um nicht in der Kleinteiligkeit von den Rädern der Zeitgeschichte zermalmt zu werden, meine Damen und Herren.
Und ich möchte schließen mit dem Satz: Im Osten liegt die Zukunft.
Und jetzt ein Wort an Berlin: Wir sind in Deutschland ein sehr exportstarkes Land, habe ich gelesen. Und ich habe auch überhaupt nichts dagegen und ich bin überhaupt nicht bei Ihnen, Herr Zanni, daß Sie sagen, das müssen wir ändern, wir müssen mehr konsumieren. Mehr Konsum habe ich nichts dagegen, wenn es nicht unbedingt kreditfinanziert ist. Aber wir haben eben die hidden champions, und da wollen wir ja nicht schlanker werden, da wollen wir eher größer werden! Das sollte unser Streben sein.
Aber zurück zu dem Thema: Mit welchen Ländern machen wir eigentlich Freihandelsabkommen? Und Sie wollen sagen: Kanada, Japan, wir bemühen uns gerade um die USA. Meine Damen und Herren, das ist der Blick in den Rückspiegel, und wir sollten durch die Frontscheibe schauen! Denn die aufstrebenden Länder haben 66% Anteil an der Weltwirtschaft, sie wachsen doppelt so schnell wie die westlichen Wirtschaftsnationen, sie haben also demnächst 70 und über 70% Anteil an der Weltwirtschaft, sie stellen 88% der Weltbevölkerung. Sie kontrollieren 70% der Weltdevisenreserven. Dort spielt die Musik! Und Sie sehen an der Form, wie wir die Freihandelsabkommen machen: Wir gucken in den Rückspiegel. Das ist die Negation des Begriffs Verantwortung in Wirtschafts- und Außenhandelspolitik! Und meine Damen und Herren, ich freue mich, daß Sie hier heute da sind, um das zu ändern.
Meine Damen und Herren, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Prof. Duško Dimitrijević (1:10:36) vom Institut für Internationale Politik und Wirtschaft in Belgrad behandelte „Chinas Neue Seidenstraße – Errungenschaften und Aussichten der Wirtschaftskooperation zwischen Serbien und China“. Chinas BRI-Strategie biete den Nationen Wohlstand anstelle geopolitischer Spaltung. China entwickle freundschaftliche Beziehungen zu Entwicklungsländern wie Serbien, eine kleine, landeingeschlossene und militärisch neutrale Nation, und sei daher ein wichtiger Partner. China glaube, daß der Weg zum Aufbau der chinesisch-europäischen Beziehung durch Osteuropa führe. Serbien sei Partner der 16+1-Gruppe und auch ein Partner der BRI. China helfe Serbien, Mitglied der EU zu werden. Serbiens Kooperation mit China sei ein gutes Beispiel für einen konstruktiven Umgang zwischen Ost und West.
Chinas Neue Seidenstraße: Errungenschaften und Aussichten der Wirtschaftskooperation zwischen Serbien und China
Sehr geehrte Exzellenzen und Organisatoren, meine Damen und Herren, guten Tag, bonjour, dobry dan, ni hao.
Es ist mir eine besondere Ehre und Freude, Sie zu grüßen und zu danken für die freundliche Einladung, an dieser Konferenz für eine Weltordnung des Friedens auf der Grundlage der Entwicklung der Nationen teilzunehmen, die vom Schiller-Institut vorbereitet wurde. Ich möchte meinen besonderen Dank aussprechen an Herrn Lyndon LaRouche und Frau Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin und Präsidentin dieses berühmten Tempels der Weisheit, und meine Kollegen, Frau Elke Fimmen und Herrn Klaus Fimmen.
Mein Vortrag, den ich für diese Gelegenheit vorbereitet habe, befaßt sich mit einem sehr interessanten Thema, den Errungenschaften und Aussichten der Wirtschaftskooperation zwischen China und Serbien im Kontext von „Gürtel und Straße“. Wie die alten Römer sagten, scriptas manent,1 deshalb habe ich etwas vorbereitet und werde dies nun verlesen.
Chinas Entwicklungsstrategie
Chinas Entwicklungsstrategie für die Neue Seidenstraße, mit den beiden Rahmeninitiativen, die unter der Bezeichnung „Ein Gürtel, eine Straße“ – yi dai yi lu – bekannt geworden sind und 2013 vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping angekündigt wurden, ermöglicht die langfristige Verbesserung der Beziehungen insbesondere zu den Ländern in Asien, Europa und Afrika. Diese Strategie bildet ein ideologisches Konzept der chinesischen Außenpolitik, das darauf abzielt, den Weltfrieden zu erhalten und eine gemeinsame und harmonische Entwicklung der ganzen Welt zu fördern. Im Gegensatz zu den geopolitischen Strategien der Großmächte, die vor allem auf spaltenden Ansätzen beruhen, fokussiert Chinas Neue Seidenstraße auf gemeinsame Interessen und Kooperation, um gemeinsamen Nutzen zu erzielen.
Mit der Politik der Offenen Tür, die seit mehr als drei Jahrzehnten verfolgt wird, versucht China, seine Position in der internationalen Politik zu stärken und sich aktiv am Prozeß der Globalisierung zu beteiligen, um die Ziele zu erreichen, die in dem Motto „der Chinesische Traum“ formuliert sind. China verändert sich ständig auf der sozialen Ebene, es führt immer wieder Wirtschaftsreformen durch und baut an einer neuen Vision der internationalen Beziehungen auf der Grundlage der Förderung der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit und sozialem Fortschritt zwischen den verschiedenen Nationen und Staaten; es baut an einer sogenannten „Gemeinschaft gemeinsamer Interessen, Bestimmung und Verantwortung“ oder mit anderen Worten einer „Gemeinschaft der gemeinsamen Zukunft der Menschheit“.
Daher hat China trotz bedeutender geopolitischer Veränderungen nach dem Kalten Krieg, starken Einflusses der Politik auf das Weltgeschehen und eines bewußten Opportunismus in den internationalen Beziehungen stets als ein verläßlicher Faktor bei der Lösung großer internationaler Probleme gehandelt; dabei folgte es dem Modell der „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz“,2 die Panchsheel-Prinzipien, die mit den Zielen und Prinzipien der Vereinten Nationen übereinstimmen.
Als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt mit fast einem Fünftel der Weltbevölkerung hat sich China verpflichtet, gute Beziehungen zu anderen Ländern und insbesondere zu Entwicklungsländern wie Serbien auszuweiten.
Die serbisch-chinesischen Beziehungen
Geopolitisch gesprochen liegt Serbien im Südosten Europas am Kreuzungspunkt der Verbindung vom Schwarzen Meer zur Nordsee und Südosteuropas zu Mittel- und Westeuropa. Sein Territorium ist klein, und es hat nur begrenzte politische, wirtschaftliche, soziale und demographische Kapazitäten. Serbien ist ein militärisch neutrales und defensiv ausgerichtetes Land. Als einer der Nachfolgerstaaten des früheren Jugoslawien hat Serbien eine gemischte nationale Identität und ein gemischtes kulturelles und historisches Erbe, was es zu einem offeneren und verantwortlicheren Partner in den internationalen Beziehungen macht.
Traditionell hat Serbien gute Beziehungen zu den Hauptakteuren der internationalen Politik. Als Mitglied der Vereinten Nationen und anderer großer internationaler Organisationen versucht Serbien, gute Beziehungen zu anderen Ländern aufzubauen und Frieden, Stabilität, Gleichberechtigung und gegenseitiges Vertrauen zu fördern. Die Volksrepublik China nimmt in Serbiens aktueller außenpolitischer Strategie einen wichtigen Platz ein.
Serbiens Strategie kommt in den vier Säulen seiner Außenpolitik zum Ausdruck: Die erste Säule ist die Europäische Union, deren Mitglied Serbien werden möchte. Die zweite Säule ist Rußland, eine aufstrebende weltpolitische Macht und historischer Partner Serbiens. Die dritte Säule sind die Vereinigten Staaten, zu denen Serbien in der Vergangenheit wechselhafte Beziehungen hatte, aber deren Bedeutung und Einfluß in den internationalen Beziehungen Serbien als eine Realität akzeptiert, und die vierte wichtige Säule der serbischen außenpolitischen Strategie ist China als globale Wirtschaftsmacht und traditionell guter Freund von Serbiens in den internationalen Beziehungen.
Die Beziehungen zwischen Serbien und China folgen der Kontinuität der Beziehungen zwischen Jugoslawien und der Volksrepublik China, die mit der Anerkennung Chinas am 1. Oktober 1949 begannen. Chinas Konzept in der Außen- und Sicherheitspolitik gründet auf den Prinzipien der Souveränität und territorialen Unverletzlichkeit der Staaten, dem Einsatz für Zusammenarbeit auf der Grundlage von Gleichberechtigung und gegenseitigem Vorteil, sowie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder. Da die beiden Länder freundschaftliche Beziehungen untereinander fördern und sich durch verschiedene Formen der bilateralen und multilateralen Kooperation aktiv an der Entwicklung auf regionaler, subregionaler und globaler Ebene beteiligen, kann man sagen, daß diese Beziehungen eine hervorragende und strategische Bedeutung erlangt haben.
Wie China Süd- und Osteuropa betrachtet
Heute ist viel klarer als gestern, daß China ein sehr wichtiger Wirtschaftspartner Serbiens in Asien und eine der großen Säulen der serbischen Außenpolitik ist. Umgekehrt ist Serbien einer der wichtigsten chinesischen Partner in der Region Süd- und Osteuropa. China sieht Süd- und Osteuropa vor allem in den Begriffen der wirtschaftlichen Integration mit der Europäischen Union als einem gemeinsamen Markt mit hoher Kaufkraft, und daher als idealen Raum für die Platzierung seiner Produkte. In dieser Hinsicht ist es wichtig zu bemerken, daß China Serbiens Streben nach Vollmitgliedschaft in der EU unterstützt, ohne Bedenken wegen seiner eigenen vitalen nationalen Interessen.
An diesem Punkt ist erwähnenswert, daß Serbien am 1. März 2012 der Kandidatenstatus für die Mitgliedschaft zur EU gewährt wurde. Mit diesem neuen Status hat Serbien einen bedeutenden Schritt hin zum gemeinsamen europäischen Markt getan, mit der Aussicht, reales Wirtschaftswachstum und soziale Entwicklung zu erreichen.
China kann auch bei der wirtschaftlichen und sozialen Transformation Serbiens eine entscheidende Rolle spielen. weil es keine geopolitische Umgestaltung Europas anstrebt, sondern die bestehende Ordnung stabilisieren möchte. Das beste Mittel dazu ist Chinas Sitz im UN-Sicherheitsrat, wo es entschlossen dafür eintritt, die territoriale Integrität Serbiens zu erhalten. Serbien seinerseits unterstützt die territoriale Unversehrtheit Chinas, seine Souveränität und sein Recht auf die Regelung der Beziehungen zu den früher getrennten Teilen seines Territoriums durch die chinesische Außenpolitik – die Ein-China-Politik.
Die Kooperation zwischen den beiden Ländern ist jetzt auf dem höchsten Niveau seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, und sie wird mit jedem Tag durch neue positive Inhalte ausgeweitet. Ausgehend von dieser Stärkung, werden Serbiens Haltung gegenüber China und seine Rolle in Chinas Entwicklungsstrategie der Neuen Seidenstraße von vielen Faktoren bestimmt.
Pressedienst des serbischen Präsidenten
Im Juni 2016 empfing Serbiens Präsident Tomislav Nikolic (rechts) Chinas Präsidenten Xi Jinping in Belgrad.
Wie allgemein bekannt ist, sind die chinesisch-serbischen Beziehungen charakterisiert durch die strategische Partnerschaft, die im August 2009 mit der gemeinsamen Erklärung der damaligen Präsidenten Boris Tadic und Hu Jintao geschaffen wurde. Durch die gemeinsamen Erklärungen der Präsidenten Tomislav Nikolic und Xi Jinping, die im August 2013 und im Juni 2016 unterzeichnet wurden, wurde diese strategische Partnerschaft zu einer „umfassenden strategischen Partnerschaft“ ausgeweitet.
Angesichts dieser Tatsachen wurde eine Reihe von Rahmenabkommen über die politische und wirtschaftliche Kooperation geschlossen. Ein Beispiel ist das im August 2009 geschlossene Abkommen über wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit im Bereich der Infrastruktur, das den Weg für viele weitere gemeinsame Vorhaben in den Bereichen Energie, Verkehr, Landwirtschaft, Telekommunikation, Finanzwesen und Kulturaustausch freimachte.
Der 16+1-Mechanismus
Die Bedeutung dieser Projekte und ihre Rentabilität ist nur im Kontext der Umsetzung der chinesischen Entwicklungsstrategie zu verstehen, darunter Ziele der zuvor formulierten globalen Strategie, zu deren Ausnutzung China seine Unternehmen auf den Weltmärkten ermutigt. Deshalb stützt sich die serbische Position gegenüber Chinas Entwicklungsstrategie auf das Verständnis der globalen Prozesse auf der Welt und der geo-ökonomischen Interessen Chinas, die durch den 16+1-Mechanismus kanalisiert werden, eine politische Plattform für die Kooperation zwischen China und den Ländern Mittel- und Osteuropas. Da der Kooperationsmechanismus der 16+1 auf einer Linie mit Chinas Ziel liegt, Wachstumspartner mit der EU zu sein, kann Chinas Beziehung zu den mittel- und osteuropäischen Ländern ein Wachstumsmotor im Rahmen der Beziehungen zwischen China und der EU sein.
China glaubt, daß es durch eine Anhebung des Gesamtniveaus seiner Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Ländern in der Lage sein wird, auch ein stabileres und natürlicheres Verhältnis zwischen China und Europa aufzubauen. Ein solcher Ansatz bedingt die Harmonisierung des gesetzlichen Rahmens für die mittel- und osteuropäischen Länder und ihre nationalen Entwicklungsstrategien, aber auch die Beachtung der Zuständigkeiten, Vorschriften und Standards der EU sowie die Erfüllung der Verpflichtungen, die in strategischen Dokumenten wie der Agenda 2020 vereinbart wurden, deren Umsetzung von wesentlicher Bedeutung für einen nachhaltigen Erfolg der Kooperation im Rahmen des 16+1-Mechanismus ist.
Da Serbien ein aktiver Teilnehmer am Kooperationsmechanismus 16+1 ist, könnte es auch ein guter Partner bei der Realisierung der chinesischen Entwicklungsstrategie und ihrer Initiative „Ein Gürtel, eine Straße“ sein, die die Kooperation zwischen verschiedenen Ländern und Völkern in verschiedenen Regionen und Kontinenten fördert. Dies läßt sich am besten durch die Analyse der Errungenschaften der chinesisch-serbischen Zusammenarbeit demonstrieren.
Obwohl Serbien China als seinen wichtigsten strategischen Partner in Asien betrachtet, sind seine Wirtschaftsbeziehungen zu China durch Asymmetrie in allen wirtschaftlichen Parametern charakterisiert. Das bedeutet jedoch nicht, daß es keine realen Möglichkeiten für ihr weiteres Wachstum und Entwicklung gibt. China sieht in Serbien einen wesentlichen Partner in der Region Südosteuropa wie auch einen aktiven Faktor auf dem Weg zur engeren Verbindung zur Europäischen Union, deren gemeinsamer Markt mit seiner hohen Kaufkraft ein idealer Ort für Investitionen und Produktplatzierungen sein kann. In diesem Sinne unterstützt China, wie ich schon sagte, Serbiens Streben nach Vollmitgliedschaft in dieser Organisation.
Gute politische Beziehungen zu China geben Serbien die Möglichkeit, auf verschiedenen Wegen und in verschiedenen Bereichen gute wirtschaftliche Beziehungen zu entwickeln. Derzeit umfaßt die wirtschaftliche Kooperation, gemessen an Umfang, Wert und Struktur, in beiden Ländern leider nur einen sehr kleinen Teil ihres weltweiten Wirtschaftsaustausches. Dieser Zustand ist vor allem durch die chinesische Wirtschaftsstrategie bedingt, deren Konstanten folgende sind: globale geo-ökonomische Positionierung, Ausweitung der Exporte, Beschaffung von Energie- und Bergbauressourcen sowie beträchtliche logistische und finanzielle Unterstützung der staatlichen Strukturen und staatlichen Banken für Unternehmen, die im Ausland operieren.
Im Zuge dieser Bestrebungen steigt China zu einem der großen wirtschaftlichen Investoren auf; es ist daher klar, daß die wirtschaftliche Kooperation mit China für Serbien eine große wirtschaftliche Herausforderung und ein großer wirtschaftlicher Anreiz ist. Die beiden Länder beweisen jedoch den klaren Willen, ihre Wirtschaftsbeziehungen zu verbessern, dies zeigt sich am besten in Chinas ausländischen Direktinvestitionen (FDI) in die serbischen Verkehrs-, Infrastruktur-, Energie- und Informations- und Kommunikationssektoren. Nach offiziellen Zahlen haben die wichtigsten chinesischen Investitionen in Projekte in der serbischen Wirtschaft ein Niveau von etwa 6 Mrd.$ erreicht.
Eine Rolle in der globalen Wertschöpfungskette
Somit stellt die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China eine enorme Entwicklungschance dar, gleichzeitig liefert sie gute Beweise für die erfolgreiche Umsetzung einer Außenpolitik, welche Kooperation auf globaler Ebene fördert und zur konstruktiven Begegnung von Ost und West beiträgt. Wenn Serbien jedoch seinen Einfluß und seine Bedeutung in den internationalen Beziehungen auf der Grundlage der Wirtschaftskooperation mit China steigern will, dann dürfen seine Geschäfte mit China sich nicht nur auf Erfolge und Errungenschaften der Vergangenheit stützen, es muß auch die Verbesserung seiner realwirtschaftlichen Kapazitäten durch verschiedene Arten von Investitionen sein. In diesem Sinne muß Serbien sich bei der industriellen Infrastruktur über die globalen Wertschöpfungsketten, die nicht nur auf Investitionen in Eigentum, sondern auch auf Portfolioinvestitionen beruhen, erfolgreich an der internationalen Produktion beteiligen.
Beispiele chinesischer Investitionen in Serbien
HBIS Group Serbia Iron and Steel
Chinas Stahlkonzern HBIS will bis 2020 150 Mio. Euro in das Stahlwerk Smederevo investieren.
Wikimedia Commons/Matija/cc-by-sa 4.0
Die 2014 eröffnete Pupin-Brücke in Belgrad war das erste chinesische Infrastrukturprojekt in Europa.
Serbien kann auf zweierlei Weise Teil dieser Kette werden:
Erstens durch ausländische Direktinvestitionen, mit denen die chinesische Seite Besitzrechte, aber auch die Kontrolle über serbische Unternehmen erwirbt, beispielsweise durch die Gründung ganz neuer Unternehmen durch Investitionen „auf der grünen Wiese“ (greenfield investments), durch Investitionen in den Ausbau bestehender Kapazitäten (brownfield investments), durch Joint Ventures und internationale Firmenfusionen und -übernahmen, bei denen Unternehmen aus China und Serbien neue Unternehmen gründen, oder durch den chinesischen Kauf serbischer Unternehmen, um deren Eigentum und Geschäftsverbindungen zu übernehmen.
Zweitens durch indirekte Investitionen, mit denen die chinesische Seite Unternehmenspapiere erwirbt, um Kapital in serbische Unternehmen zu investieren, ohne die Absicht, deren Geschäftspolitik direkt zu beeinflussen.
Auf diese Weise könnte die serbische Wirtschaft durch chinesisches Investitionskapital in die globale Wertschöpfungskette integriert werden, und serbische Unternehmen könnten aus dem Export von Produkten und Dienstleistungen von Unternehmen in chinesischem und chinesisch-serbischem Besitz langfristigen Nutzen ziehen.
Wenn die serbische Wirtschaft durch chinesisches Investmentkapital in die globale Wertschöpfungskette integriert wird, dann ist es ziemlich sicher, daß serbische Unternehmen reichliche Exporterlöse realisieren würden, mit chinesischen oder gemischt chinesisch-serbischen Unternehmen als Träger. Das könnte zu einer weiteren Ausweitung der gegenseitigen Wirtschaftskooperation führen, aber auch zur Einbindung einer Reihe von Ländern in der mittel- und osteuropäischen Region in das chinesisch-serbische Investitionsprojekt.
Daß diese Aussichten realistisch sind, beruht auch auf der Tatsache, daß Serbien angemessene wirtschaftspolitische Maßnahmen ergriffen hat und einen soliden gesetzlichen Rahmen geschaffen hat, um die chinesischen Auslandsinvestitionen zu garantieren. In dieser Hinsicht ist wichtig, daß Serbien seine bilateralen Investitionsregelungen mit China ständig erneuert und weiterentwickelt. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Fall, der sich während des Besuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Serbien im Juni 2016 ereignete. Die beiden Seiten unterzeichneten ein neues Abkommen über die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit mit 20 weiteren Vereinbarungen und rechtlichen Instrumenten für die Kooperation in verschiedenen Bereichen.
Ein stabiler und transparenter gesetzlicher Rahmen für Geschäfte
Die Notwendigkeit dauerhafter Rechtssicherheit für ausländische Investoren veranlaßte Serbien, ideale Investitionsmodelle einzuführen, die einheimischen und ausländischen Investoren gleichen Rechtsstatus geben. Unabhängig von der Form der ausländischen Investition, sei es der Erwerb von Anteilen an bestehenden Unternehmen, Gründung neuer Unternehmen, Franchise, Betreibermodelle (BOT), Konzessionen und anderer geschäftlicher Transaktionen, garantiert das serbische Recht seit 2015 die Freiheit der Investitionen, nationale Behandlung, Rechtssicherheit und die Erlaubnis, Gewinne ins Ausland zu transferieren.
Die Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Kooperation zwischen Serbien und China bedingte die Überprüfung der Wettbewerbsvorteile, die Serbien hat und beitragen kann, um Struktur und Umfang der chinesischen Investitionen zu vergrößern. Zu diesen Vorteilen gehören einige der folgenden Faktoren: klare außenpolitische Zielsetzung, relative makroökonomische Stabilität, hochqualifizierte und relativ billige Arbeitskräfte, regional wettbewerbsfähige finanzielle Risiken, ein privatisierter Bankensektor, schnelle Entwicklung der Kapitalmärkte, entwickelte Telekommunikations-Infrastruktur, ein liberalisiertes System der Zoll- und Steuergesetzgebung, schnelle Entwicklung des privaten Sektors, ein bedeutendes Einkommensniveau, regulierende und finanzielle Maßnahmen des Staates, bestehende Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union, CEFTA, AFTA, Rußland, Weißrußland, Kasachstan und anderen Ländern, Annahme einer nationalen Strategie zur Förderung und Entwicklung ausländischer Investitionen und eine völlige Liberalisierung der Visaregelung zwischen China und Serbien.
Schlußbemerkung
Lassen Sie mich schließen: Wie die Geschichte zeigt, muß jedes Land den globalen Trends folgen, um Wohlstand zu erreichen, sonst verliert es den Anschluß an die Welt. Die Frage ist also: Was sind die gegenwärtigen Trends? Für China sind dies jedenfalls Frieden, Entwicklung, Kooperation und Fortschritt auf Gegenseitigkeit. China akzeptiert keine Modelle der internationalen Beziehungen, die auf Imperialismus, Neokolonialismus und Hegemonie gründen.
Wie schon erwähnt, sagte einer der Vortragenden, China stehe für Multilateralismus in den internationalen Beziehungen und für eine multipolare Weltordnung, in der es keine Alternative zur friedlichen Entwicklung gibt. Daher ist es verständlich, warum Chinas neue Entwicklungsstrategie der Neuen Seidenstraße das gesamte historische Momentum der progressiven Entwicklung der gesamten Menschheit betont, und warum China sich für die weltoffenen Ideen der neuen Normalität einsetzt, womit das frühere ideologische Konzept der globalen wirtschaftlichen Entwicklung und Reform der internationalen Gesellschaft zu einer Gemeinschaft gemeinsamer Interessen, Bestimmung und friedlicher Stabilität vertieft wird.
Es ist daher meiner Meinung nach tatsächlich eine prophetische Aussage der hochgeschätzten Frau Helga Zepp-LaRouche, daß die Neue Seidenstraße – die zur Weltlandbrücke wird und die Grundlage für eine Friedensordnung des 21. Jahrhunderts darstellt – ein neues Paradigma des Denkens erfordert. Dieses neue Paradigma kann nur eines sein, das von den gemeinsamen Zielen der Menschheit ausgeht. Diese Ziele der Menschheit können nur durch den Dialog zwischen den verschiedenen Kulturen erreicht werden. In dieser Hinsicht wiederhole ich die Worte des chinesischen Präsidenten Xi Jinping:
„Länder haben Meinungsverschiedenheiten und vielleicht sogar Probleme miteinander, damit muß man rechnen. Aber wir sollten nicht vergessen, daß wir alle unter demselben Himmel leben und zu ein und derselben Familie gehören. Menschen in aller Welt sollten sich von der Vision lenken lassen, daß alle Menschen unter dem Himmel einer Familie angehören, einander mit offenen Armen aufnehmen, das gegenseitige Verständnis stärken und Gemeinsamkeiten suchen, während man die Differenzen beiseite schiebt. Wir sollten gemeinsam danach streben, eine Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft der Menschheit aufzubauen.“
Vielen Dank.
Anmerkungen:
1. [Gesprochene Worte verhallen], geschriebene bleiben.
2. Unter den Fünf Prinzipien versteht man: 1. gegenseitige Achtung der territorialen Integrität und Souveränität, 2. gegenseitiger Nichtangriff, 3. gegenseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, 4. Gleichberechtigung und beiderseitiger Nutzen sowie 5. friedliche Koexistenz.
Hans von Helldorff (1:36:45), Sprecher des Bundesverband Deutsche Seidenstraße Initiative, sprach über „Notwendige ordnungspolitische Rahmenbedingungen für Investitionen der deutschen und europäischen mittelständischen Wirtschaft in Volkswirtschaften entlang der neuen Seidenstraße“. Die Neue Seidenstraße sei ein Friedensprojekt von gewaltigen Dimensionen, aber in Deutschland dominiere Skepsis. Diese Haltung führe zu Irritationen in China und Rußland. Er kritisierte die Passivität der deutschen Regierung und nannte als Beispiel die Sanktionen gegen Rußland die die deutsche Wirtschaft und hier insbesondere die kleinen und mittleren Unternehmen träfen.
Notwendige Rahmenbedingungen für Investitionen des Mittelstands entlang der Neuen
Seidenstraße
Meine Damen und Herren, liebe Familie Zepp-LaRouche, auch ich schließe mich natürlich mit tiefer Überzeugung dieser Dankbarkeit an, die hier schon mehrfach ausgesprochen worden ist. Was ich bisher hier gesehen und gehört habe, bestärkt mich nochmals in meinem Entschluß, hierher gekommen zu sein und auch vor Ihnen eine Rede zu halten…
Ich möchte ein eventuell auftretendes Mißverständnis vorab einmal aufklären. Wenn unser Name ist „Bundesverband Deutsche Seidenstraße Initiative“, dann mag das so klingen, als wenn wir im Auftrag der chinesischen Regierung handeln und vielleicht so etwas wie eine ausgelagerte chinesische Regierungsinstitution sind: Nein, das ist mitnichten so.
Unsere Aufgabe besteht im wesentlichen aus zwei Dingen. Zum einen verstehen wir uns als Kompetenzplattform – nicht als Kompetenzzentrum, sondern als Kompetenzplattform – für alle Fragen, die die deutsche Politik aber auch die deutsche und europäische Wirtschaft betreffen, rund um das Thema der „One Belt, One Road“-Initiative (OBOR) der chinesischen Regierung. Und zum zweiten verstehen wir uns natürlich als Interessenvertreter der deutschen und europäischen mittelständischen Wirtschaft, in Bezug auf die Entdeckung und die Wahrnehmung der unglaublich großen Chancen für die mittelständische Wirtschaft. Auf dieses Thema werde ich gleich nochmal eingehen.
Lassen Sie mich an den Anfang meiner Rede zwei Thesen stellen, die Ihnen sicherlich nicht neu sind, aber die mir sehr, sehr wichtig sind, um Ihnen nochmal zu verdeutlichen, worum es eigentlich bei dem ganzen Thema „One Belt, One Road“ geht. Zum einen etwas, was Folker Hellmeyer auch schon angesprochen hat, nämlich die These, daß eine erfolgreiche und damit auf Kooperation ausgerichtete Wirtschaftspolitik definitiv Friedenspolitik ist. Und zum zweiten: Es ist leider so, daß das in den Köpfen der deutschen, europäischen, aber auch der westlichen Politik immer noch nicht Eingang gefunden hat: Die Königsdisziplin sämtlicher politischer Felder ist die Wirtschaftspolitik. Und sonst gar nichts. Eine wirklich auf Prosperität, auf Kooperation, auf Zukunft ausgerichtete Wirtschaftspolitik schafft die Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung sämtlicher anderer Politikfelder, ob das zum Beispiel die Gesundheitspolitik ist, ob das die Bildungspolitik ist – you name it. Und das müssen wir uns jedesmal wieder international deutlich machen.
Ein letztes Thema, das nicht hier im Skript steht (Entschuldigung, liebe Übersetzer): Das Interessante im Zusammenhang mit der One Belt One Road Initiative ist auch die Tatsache, daß diese Thesen, von denen ich gerade gesprochen habe, am deutlichsten und am intensivsten von der kommunistischen Regierung des bevölkerungsreichsten Landes der Erde begriffen wurden und umgesetzt wurden – nicht von Amerika, nicht von der Europäischen Union und nicht von anderen, westlich orientierten Regierungen in dieser Welt. Partiell, ansatzweise vielleicht noch im Zusammenhang mit dem Thema, das Folker Hellmeyer auch angesprochen hat, der Eurasischen Wirtschaftsunion, aber da, wie gesagt, spreche ich nur von einer partiellen Umsetzung.
Chinas Rolle ändert sich
Jetzt komme ich zum eigentlichen Inhalt meiner Rede, nämlich zum Thema „Notwendige ordnungspolitische Rahmenbedingungen für Investitionen der deutschen und europäischen mittelständischen Wirtschaft in Volkswirtschaften entlang der Neuen Seidenstraße“. Und ich sage extra, hier wird zwar viel Bezug genommen auf die Landbrücke, aber das gilt natürlich gleichermaßen für die Seidenstraße, die durch Afrika gehen wird oder an Afrika entlang bis hinüber nach Südamerika, denn die Bedingungen sind ähnlich, die Spielregeln und Mechanismen, dito.
Es ist tatsächlich so, daß die chinesische One Belt One Road Initiative unzweifelhaft als das bisher global größte Investitionsprogramm bezeichnet werden kann. Projekte in einer Größenordnung von bisher 900 Mrd. $, die sich in der Realisierung befinden, sowie weitere geplante Projekte mit einem Volumen von nahezu vier Billionen $ lassen keinen Zweifel aufkommen, wie ernst es China mit seiner Absicht ist, die führende Wirtschaftsmacht der Erde zu werden.
Natürlich kann man darüber diskutieren, ob China die Absicht hat, damit hegemoniale Ziele zu verfolgen – und diese Diskussion kann man allerorten in der öffentlichen Wahrnehmung feststellen -, oder aber ob es lediglich darum geht, einer globalen Entwicklung zum Wohle vieler eine bisher ungeahnte Dynamik zu verleihen. Sicher ist: Auch China hat nichts zu verschenken, und ja, auch China handelt zuallererst im eigenen Interesse – was es nicht zu kritisieren gilt.
Das seit langer Zeit stabile große Wachstum der chinesischen Volkswirtschaft führte zu einer veränderten Rolle und zu einem veränderten Selbstverständnis der chinesischen Wirtschafts- und Außenpolitik.
Genauer betrachtet kommt der Wandel von der Rolle einer Werkbank hin zu einer führenden Technologienation nicht überraschend. Basierten erste Erfolge in Richtung Know-How-Transfer zur Hochtechnologiebefähigung in den Anfängen noch auf Joint Ventures oder zum Teil auch auf der, sagen wir mal, unerlaubten Adaption von geistigem Eigentum westlicher Unternehmen, so investierte China seit Mitte der 80er Jahre konsequent und überdurchschnittlich viel in Ausbildung der nächsten jungen Generation, aber auch in Forschung und Technologie. Zehntausende von Studenten wurden weltweit auf renommierte Universitäten geschickt und nach erfolgreicher Ausbildung mit guten Positionen in der eigenen Wirtschaft versorgt.
Diese Strategie zahlt sich im Verbund mit einer massiven Förderung der Industrie und einer erfolgreichen Geld- und Finanzpolitik heutzutage sichtbar aus.
Die massiven Devisenreserven Chinas ermöglichten es, nicht nur zum größten Gläubiger der USA zu werden, sondern sie sind auch noch das Fundament einer nicht mehr aufzuhaltenden, stark expansiven internationalen Wirtschaftspolitik. Deren stärkstes Signal manifestiert sich derzeit in der One Belt One Road Initiative.
One Belt One Road ist aus Sicht des BVDSI, also aus Sicht des Verbandes, für den ich hier stehe, das strategische Tor zu einer neuen, gerechteren Weltwirtschaftsordnung. Es ist aber auch eine Chance und ein Angebot an die deutsche Volkswirtschaft, ihre enorme Leistungsfähigkeit und ihren großartigen Ruf in die Waagschale zu werfen.
Leider ist es so, daß diese Sichtweise in der deutschen und in der EU-Politik kaum vorhanden ist, vielmehr dominieren die Skeptiker. Sie reklamieren mit einer merkwürdigen Melange von Argumenten die Deutungshoheit in Bezug auf die Bewertung chinesischer Absichten und auch vermeintlicher chinesischer Versäumnisse.
Dieses Verhalten führt bislang zu viel Irritationen in den Ländern Asiens, Rußland und einigen EU-Mitgliedern, wie Ungarn, Griechenland, Tschechien und der Slowakei, um nur einige zu nennen.
Die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik
Die Prämissen der deutschen Außen- und Wirtschaftspolitik orientieren sich eher an ideellen und an moralischen Werten, wie den Menschenrechten, oder an mehr Demokratie. Mit anderen Worten, die Interessen Deutschlands als stärkster Exportnation der Welt werden hinten angestellt. Erreicht wird damit eine Abkopplung der politischen von der wirtschaftlichen Geschwindigkeit.
Deutschland läuft somit Gefahr, innerhalb kurzer Zeit seinen Anspruch als führende Wirtschaftsnation aufs Spiel zu setzen und sehr bald – und das muß man sich wirklich bildhaft mal vorstellen – nur noch die Rolle als geduldeter Zaungast einnehmen zu dürfen. Darüber möchte ich lieber nicht nachdenken, aber die Gefahr ist real.
Diese einseitige Werte- und Westorientierung hat schon in jüngster Vergangenheit zu keinem sinnvollen Ergebnis geführt. Als Beispiel sei nur die Befürwortung Deutschlands und der EU für eine Verlängerung der Sanktionen gegen Rußland zu nennen.
Rußland hat genügend eigene und partnerschaftliche Optionen, und ich benutze diesen Terminus bewußt, also genügend eigene und partnerschaftliche Optionen, um diese Sanktionen wegzustecken und damit umgehen zu können. Die Alternativen der deutschen Wirtschaft dagegen sind überschaubar – besser kann man das nicht beschreiben. Der Austausch von Waren und Dienstleitungen mit Rußland ist spürbar zurückgegangen. Selbst wenn man dies ignorieren würde, bliebe immer noch das Problem, die sehr schwer beschädigte Vertrauensbasis zwischen der EU und Rußland wiederherzustellen.
Worauf ich hinaus will, ist folgendes: Das Spiel der wirtschaftspolitischen Kräfte entwickelt sich immer dynamischer und verlangt eine ständige Anpassung der eigenen Doktrin, mit anderen Worten, wirtschaftspolitisch besteht die erste Aufgabe darin, ständig in den Spiegel zu gucken, wo ich eigentlich noch stehe, und ob es da Verbesserungsoptionen gibt bzgl. der außenwirtschaftlichen Ziele.
Diese Anforderungen verlangen allerdings eine Regierung, die einen klaren Blick für Notwendigkeiten besitzt. Diese Anforderungen verlangen darüber hinaus eine Regierung, die in der Lage ist, Politik klar und deutlich und wenn nötig, auch visionär zu formulieren. Leider ist es so, meine Damen und Herren, und das sage ich in aller Deutlichkeit bei jeder Gelegenheit, daß diese Fähigkeiten in Deutschland seit 1983 ständig abnehmen. Und für diejenigen unter Ihnen, die vielleicht in der deutschen Politik nicht so ganz stark bewandert sind: 1983 war das Jahr, als Kanzler Schmidt durch ein konstruktives Mißtrauensvotum durch Kanzler Dr. Helmut Kohl abgelöst wurde. Natürlich ist Frau Merkel in seiner Tradition mit den gleichen Fähigkeiten ausgestattet, oder ich weiß nicht, welche Strategie dahintersteckt, aber leider setzt sie das fort.
Die Beschäftigung mit Problemen, deren Kleinteiligkeit nun wirklich teilweise nicht mehr in den Bundestag gehört, hat zu einer Auflösung der Glaubwürdigkeit der deutschen Volksparteien geführt, und das kann man ganz klar ablesen, daß sich dieser Trend leider Gottes durch eine weitere Zersplitterung und Zerfaserung fortsetzen wird. Ich habe schon vor 15 Jahren gesagt, wir sind auf dem Weg zu italienischen Verhältnissen. Das hat sich da Gott sei dank ein bißchen stabilisiert, aber wir sind nun wirklich kräftig dabei, ähnliche Fehler zu wiederholen.
Herausforderungen und Chancen
Wenn wir diese Situation und deren Ergebnisse auf die Herausforderungen übertragen, denen wir uns in Europa gegenübersehen, kommen schnell Zweifel auf, ob und wie es die deutsche Politik bewerkstelligen will, dem Projekt One Belt One Road auf Augenhöhe zu begegnen.
Mehr noch, woher soll die deutsche mittelständische Wirtschaft das Vertrauen gewinnen, mit Hilfe und aktiver Unterstützung in den Ländern entlang der Seidenstraße die nötige ordnungspolitische Unterstützung zu bekommen und die nötigen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen vorzufinden und zu schaffen?
Allein in den Volkswirtschaften entlang der traditionellen Seidenstraße besteht ein enormer Bedarf an z.B. Infrastrukturprojekten, an Energieprojekten, der Entwicklung von mittelständischen Industrieclustern, an Ausbildungsprojekten, an Gesundheitsprojekten, usw. usw., diese Liste könnte ich beliebig fortsetzen.
Die Chancen für die deutsche Wirtschaft dagegen sind enorm. Wir vom BVDSI stellen bei vielen unserer Gespräche in den Botschaften dieser Länder unisono fest, daß der Wunsch nach deutscher Beteiligung an Investitionen im Rahmen des OBOR-Investments Chinas ständig wächst. Das Vertrauen in deutsche Technologie, in deutsche Managementqualitäten, in deutsche kooperative Business-Kultur und in deutsche Innovationsfähigkeit treibt diese Wünsche an. Hinzu kommen die in vielen Ländern zwischenzeitlich gemachten Erfahrungen mit der chinesischen Projektkultur, deren Stärke offensichtlich nicht mit dem Terminus „Nachhaltigkeit“ umschrieben werden kann. Da besteht also auch auf chinesischer Seite doch noch ein entsprechender Lernbedarf, ich bin aber sicher, China wird lernen, und China wird das auch umsetzen.
Aber zurück zum Kern der Herausforderungen für die deutsche mittelständische Wirtschaft und damit auch für die europäische mittelständische Wirtschaft.
Wie Sie vermutlich wissen, verfügt Deutschland – und das hat Folker Hellmeyer auch schon mehrfach betont – über eine sehr starke mittelständische Wirtschaft, die zudem in großen Teilen aus Familienunternehmen besteht. Dieser starke Nukleus der deutschen Wirtschaft hat enorm viel „hidden champions“ in fast allen Branchen im Weltmarkt hervorgebracht. Diese mittelständische Wirtschaft ist das Geheimnis des deutschen Exporterfolges und der Innovations- und Investitionsfähigkeiten Deutschlands.
Es sind nicht in erster Linie die großen DAX-Unternehmen, die unbedingt einer politischen Unterstützung bedürfen. Die sind in der Regel überall gut vertreten und setzen ihre Interessen auch ganz alleine durch und auch um.
Familienunternehmen brauchen Schutz
Nein, es sind die mittelständischen Familienunternehmen, die der politischen Unterstützung bedürfen, und genau für diese Zielgruppe haben wir den Bundesverband Deutsche Seidenstraßen-Initiative auf den Weg gebracht. Diese Familienunternehmen müssen sich ordnungspolitisch in einigermaßen gesichertem Fahrwasser bewegen, und dazu gehören nun mal bi- oder multinationale Abkommen über den Schutz von Investitionen und den Schutz von geistigem Eigentum. Dazu gehören auch klare, nachvollziehbare Maßnahmen gegen Korruption und staatliche Willkür – ja, meine Damen und Herren, es gibt sie noch auf dieser Welt! Ebenso gehören dazu Garantien für den freien Waren- und Kapitalverkehr. Nicht zuletzt müssen Sicherheit gewährleistende Regelungen in Sachen Schadensregulierung und Schadensersatz festgeschrieben werden. Spezielle Export- und Projektfinanzierungen sind ein weiteres Feld von OBOR-adäquaten Unterstützungsleistungen, die auf den Weg gebracht werden müssen, will Deutschland weiterhin die Chancen im internationalen Vergleich behalten.
Erfreulicherweise gibt es schon Beispiele für die Schaffung von wichtigen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen. Kasachstan – auch das hat Folker Hellmeyer angesprochen – z.B. hat eine beeindruckende Gesetzeslandschaft geschaffen, die in großen Bereichen der deutschen Gesetzgebung entspricht oder sich mindestens an ihr orientiert. Rußland hat umfangreiche Garantiepakete und Schiedsstellen geschaffen, mit denen sich die deutsche Wirtschaft in Rußland durchaus wohl fühlt.
Gleichwohl – es bleibt immer noch sehr viel zu tun.
Die gilt insbesondere in den Bereichen Korruption und Behördenwillkür. Die EU und Deutschland haben enorme Erfahrungen mit der Entwicklung, Vereinbarung und Festschreibung solcher Regelungen und Verfahren. Diese stammen aus den Beitrittsvereinbarungen zur EU, genauso wie aus den Vereinbarungen binationaler oder trinationaler Abkommen. Es kann also nicht am mangelnden Know-How liegen, wenn die notwendige politische Dynamik noch nicht erkennbar ist. Hier muß dringend ein neuer Geist her.
Bei allen zu treffenden Vereinbarungen mit den Ländern der Seidenstraße, bei allen zu würdigenden Interessen der Beteiligten muß eines klar sein: Es geht für Deutschland und die EU weder um eine Abgrenzung und schon gar nicht um eine Konfrontation zur One Belt One Road Initiative. Nur ein kooperativer Ansatz gewährleistet wirklich eine Perspektive.
Es geht um Teilhabe, es geht um Prosperität und um Partnerschaft. Deutschland hat innen- und außenpolitisch die Pflicht, sich neuen globalen Initiativen zuzuwenden. Andernfalls verspielen wir in Europa unsere Chance auf Teilhabe an der Gestaltung einer neuen Weltwirtschaftsordnung. Das aber wäre dann wirklich nicht China vorzuwerfen, sondern ausschließlich dem eigenen politischen Versagen.
Ich danke Ihnen.
Leonidas Chrysanthopoulos (1:57:55), ehemaliger Generalsekretär der Organisation für Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation (BSEC), sprach über „Die Integration des Eurasischen Kontinents“ und hob die Bedeutung der positiven Wirkung der Wirtschaftsprojekte beim Umgang mit den Schwierigkeiten der Zusammenarbeit zwischen früheren Gegnern hervor. Als Beispiel dafür nutzte er das Projekt der Ringautobahn um das Schwarze Meer, mit der er als BSEC-Sekretär befaßt war, um zu zeigen, daß die wirtschaftlichen Vorteile oft die vorhandenen Probleme überwogen. Sein zweiter Punkt war die Kritik an der EU, die sich der wirtschaftlichen Entwicklung widersetze, den Kontakt zur Bevölkerung vollkommen verloren habe und nur für den Schutz der Banken arbeite.
Die Integration des eurasischen Kontinents
Ich möchte zu Beginn die Schlußfolgerung des Papiers zitieren, das ich zur Internationalen Wissenschaftlichen Konferenz über die Neue Seidenstraße, die im vergangenen Jahr in Belgrad stattfand, eingereicht habe:
„Wenn dieses Projekt, das von größter Bedeutung für die Menschheit ist, erfolgreich sein soll, dann müssen Frieden und Stabilität erhalten bleiben. Aber die Existenz und Förderung dieses Projektes kann auch erfolgreiche Friedensinitiativen erleichtern, wenn die Konfliktparteien erkennen, daß die Vorteile ihrer Beteiligung an der Gürtel- und Straßen-Initiative (BRI) die ungewissen Vorteile aus der Fortsetzung des Konfliktes weit überwiegen werden. Das war die Erfahrung mit der Ringautobahn um das Schwarze Meer, wo die Streitigkeiten zwischen einigen BSEC-Mitgliedstaaten 1 so weit abgeschwächt werden konnten, daß die Autobahn durch Zonen eingefrorener Konflikte gebaut werden konnte. Deshalb ist eine erfolgreiche Gürtel- und Straßen-Initiative schon an sich ein Anreiz zur Befriedung. Man sollte sich nur einmal vorstellen, wie Asien aussähe, wenn in Afghanistan und im Nahen Osten Frieden herrschte; und die Perspektiven, die sich der Menschheit wissenschaftlich, kulturell, philosophisch und spirituell eröffnen würden, wenn weltweit Frieden herrschte, wären immens. Deshalb muß die Gürtel- und Straßen-Initiative ein Erfolg werden.“
Und weiter: „Die erfolgreiche Umsetzung der Gürtel- und Straßen-Initiative könnte langfristig die überlappenden regionalen Organisationen und Initiativen in Asien in einer großen Organisation vereinen, die ihr Epizentrum in Gürtel und Straße hätte.“
Erlauben Sie mir nun, etwas näher auf die Probleme einzugehen, denen sich die BRI stellen muß, damit sie erfolgreich sein kann:
1. Ich will mit der EU beginnen, einer Organisation, die den Kontakt zu den Menschen in Europa verloren hat, eine Organisation, die die demokratischen Prozeduren abgeschafft hat, eine Organisation, die ihre Mitgliedstaaten zerstört. Die EU mag diese Initiative, die auf ihrem Gebiet endet und die ihr nützt, überhaupt nicht. Im April veröffentlichten die EU-Botschafter in Beijing einen Bericht, der die BRI kritisierte, weil sie den EU-Plänen für die Handelsliberalisierung zuwiderläuft und die Machtverhältnisse zugunsten subventionierter chinesischer Unternehmen verschiebt. Einzig Ungarn stimmte dem Inhalt dieses Berichtes nicht zu. China ist beteiligt an Infrastrukturprojekten in Mitteleuropa, wie der
Hochgeschwindigkeitsbahn Ungarn-Serbien. Obwohl Ungarn China erlaubt hatte, mit dem Projekt zu beginnen, hat die EU es gestoppt, weil Budapest es angeblich nicht öffentlich ausgeschrieben hatte und statt dessen auf eine bilaterale Vereinbarung mit China setzte. Dies zeigt die politische Sorge in Brüssel und im europäischen Unternehmenssektor. Ein weiteres Problem, das die EU geschaffen hat, besteht darin, daß sie Staatsbetrieben – die natürlich einen Großteil der chinesischen Auslandsinvestitionen in der BRI stellen – nicht traut, und man tut alles, um ihre Beteiligung zu verhindern.
Diese Politik der EU ist natürlich sehr heuchlerisch, wenn man bedenkt, daß Griechenland gezwungen wurde, seine Flughäfen zu „privatisieren“, indem sie an die deutsche Fraport verkauft wurden, die in öffentlichem Besitz ist. Man fragt sich, was ist hier eigentlich die Definition von Privatisierung? Der europäische Protektionismus nimmt zu, während die
chinesischen Unternehmen noch nicht ganz darauf vorbereitet sind, sich den komplizierten Vorschriften der EU zu unterwerfen.
Wenn die BRI ein Erfolg werden soll, dann ist also eine engere bilaterale Kooperation zwischen der EU und China notwendig, damit Europa wieder Endpunkt der Seidenstraße werden kann. Einige sagen, ein potentielles Risiko für die BRI bestehe darin, daß die EU sich letztendlich auflöst, weil dann keine EU-Gelder mehr verfügbar wären. Ich würde das genaue Gegenteil sagen, nämlich daß die Auflösung der EU tatsächlich ein Segen wäre. Dann könnte man Geldmittel auf bilateraler Ebene mit europäischen Ländern aufbringen, und es gäbe keine strengen EU-Vorschriften mehr, die Investitionen von Staatsbetrieben in europäischen Ländern verhindern. Außerdem würden die Sanktionen der EU gegen Rußland entfallen, sodaß eine bilaterale Kooperation europäischer Länder mit Rußland und China effizienter
würde. Beispielsweise verbieten es die russischen Gegensanktionen gegen die EU, polnische Agrarerzeugnisse [durch Rußland] auf der chinesischen Expreßbahn über die Eurasische Landbrücke nach China zu exportieren. Wenn die Sanktionen in Kraft bleiben, könnte dem Aufbau der BRI jedenfalls das Risiko schlechter Verkehrsverbindungen im Wege stehen. Allerdings könnte die EU nach dem jüngsten G7-Treffen, wo die USA isoliert waren, im Zuge ihrer Reaktion auf den Zollkrieg, den Washington angefangen hat, eine etwas andere Position einnehmen.
2. Die Position der USA zur BRI ist wichtig. Derzeit ist die amerikanische Position doppeldeutig, insbesondere, nachdem die USA sich im vergangenen Jahr aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP) zurückgezogen haben. Sie unterstützen und beteiligen sich am Asien-Afrika-Wachstumskorridor (AAGC), einer Initiative, die von Australien, Indien und Japan gestartet wurde und mit wenig Erfolg als Alternative zur BRI angepriesen wird. Natürlich sehen die USA in China einen Konkurrenten im Rennen um die globale Vorherrschaft. Und solange sie auf diesem Kurs bleiben, werden sie gegen die BRI sein, trotz der Tatsache, daß sie sehr viel davon zu gewinnen haben. Aber solange die USA das Projekt nicht physisch sabotieren, ist das in Ordnung. Es könnte sogar als Reaktion auf die amerikanische Position die Kooperation zwischen den beteiligten Ländern verstärken.
3. Indien ist ablehnend wegen des Territorialstreits um Kaschmir mit Pakistan. Es bezeichnet die BRI als einen Akt des chinesischen Kolonialismus. Der Chinesisch-Pakistanische Wirtschaftskorridor führt durch das pakistanisch besetzte Kaschmir. Indien treibt das Projekt der Fernstraße Indien-Myanmar-Thailand (3200 km) voran, die Indien mit den ASEAN-Staaten verbinden wird. Aber wie schon gesagt, kann der wirtschaftliche Nutzen des Projektes die politischen Hindernisse bei der Konfliktlösung überwinden.
Wir hatten zwei Fälle solcher positiven Endergebnisse, als es um die geplante Route der Schwarzmeer-Ringstraße ging, eine 7500 km lange Autobahn, die die Mitgliedstaaten der BSEC verbinden und den Straßentransport von den Schwarzmeerländern nach Europa und Asien erleichtern soll.
Eines dieser Probleme war in Moldawien, wo die Autobahn entlang einer alten sowjetischen Fernstraße durch die Republik Transnistrien führen soll, die sich für unabhängig erklärt hat. Den moldawischen Behörden war es zuerst nicht recht, daß die Autobahn durch Tiraspol führen sollte. Es gab damals Verhandlungen zwischen beiden Seiten über eine mögliche Annäherung, und der Stolperstein waren die Ausweise von Tiraspol. Also sagten wir Kischinau, sie sollten der anderen Seite anbieten, wenn sie die moldawischen Ausweise akzeptieren, kann die Autobahn über Tiraspol führen. Und das geschah dann auch. Das zweite Problem war zwischen Rußland und Georgien. Die Autobahn sollte über Abchasien nach Georgien führen, aber nach dem Krieg zwischen Rußland und Georgien im August 2008 weigerte sich letzteres, eine Autobahn durch Abchasien nach Georgien zuzulassen. Nachdem wir der georgischen Seite in allen Einzelheiten dargelegt hatten, welche wirtschaftlichen Vorteile sie von der Autobahn hätten, wenn sie zulassen, daß diese von
Rußland aus durch ihr Land führt, konnten wir Tiflis überzeugen, dem Bau der Autobahn durch den Roki-Tunnel in Südossetien zuzustimmen.
Die negative Haltung der USA ist das wichtigste Element, das den Fortschritt der BRI behindern könnte. Die Teilnehmer sollten bilaterale oder multilaterale Bemühungen unternehmen, um Washington von den Vorteilen zu überzeugen, die es von der Beteiligung an diesem Projekt hätte. Das ist zwar fast eine mission impossible, aber man sollte es wenigstens
immer wieder versuchen, um eine physische Behinderung der BRI-Initiative zu vermeiden. In diesem Sinne sollte man in engerem Kontakt zu Japan, Australien und Indien untersuchen, wie der Asien-Afrika-Wachstumskorridor (AAGC) in das BRI-Projekt eingebunden werden kann.
In Bezug auf die EU gibt es nicht viel, was getan werden kann, außer die EU-Vorschriften über die Ausschreibung und Finanzierung der Projekte zu befolgen, damit die ost- und mitteleuropäischen Länder EU-Gelder nutzen können, um ihre Infrastrukturprojekte mitzufinanzieren.
In einer Welt, in der bewaffnete Konflikte und Gewalt vorherrschen und das Völkerrecht nicht mehr existiert, ist es wichtig, die Rolle von Kultur, Philosophie, Humanismus und Spiritualität hervorzuheben. Auch sie müssen über die Seidenstraße transportiert werden, in Form des Austauschs von Ideen und Kultur zwischen Ost und West. Das Schiller-Institut spielt in dieser Hinsicht durch die aktive Beteiligung von Helga Zepp-LaRouche auf vielen internationalen Foren eine sehr positive Rolle. Auch in diesem Sinne hat Griechenland im vergangenen April das erste Treffen des „Forums alter Zivilisationen“ veranstaltet, an dem auch China teilnahm. Inzwischen gab es weitere Treffen.
Fassen wir zusammen: Die erfolgreiche Umsetzung der BRI kann wesentlich dazu beitragen, die internationalen Beziehungen humaner zu machen, die Bevölkerung der beteiligten Staaten wirtschaftlich und kulturell zu entwickeln und auf diese Weise die Voraussetzungen für den Weltfrieden zu schaffen. Das mag wie eine Utopie klingen. Aber wenn wir nicht an Utopien glauben, werden sie niemals wahr.
Anmerkung:
1. BSEC = Organisation für Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation
Prof. Nuraly Bekturganov (2:16:14), der Vizepräsident der Akademie der Naturwissenschaften von Kasachstan, schloß die Vortragsrunden mit einer Videobotschaft zum Thema „Der Eurasien-Kanal und die Neue Seidenstraße“. Das Projekt schaffe die Möglichkeit, mit Frachtschiffen bis zu 100.000 t Tragfähigkeit vom Kaspischen Meer durch das Schwarze Meer zum Mittelmeer und zu den Weltmeeren zu gelangen, und werde einen neuen Korridor für den Transport durch Eurasien schaffen.
Der Eurasien-Kanal und die Neue Seidenstraße
Ich bin Nuraly Sultanowitsch Bekturganow und vertrete die Nationale Akademie der Naturwissenschaften von Kasachstan. Wir sind eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern in Kasachstan.
Zusammen mit Wissenschaftlern aus Rußland und China haben wir eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, um dazu beizutragen, den Bau eines Kanals und Wasserkraftwerks voranzutreiben. Der Bau des Kanals wurde 1941 eingestellt, weil der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war. Insgesamt wurden von den etwa 750 km, die für den Kanal benötigt werden, etwa 396 km gegraben.
Die Idee, einen solchen Kanal zu schaffen, der das Kaspische mit dem Schwarzen Meer verbindet, hat eine lange Geschichte, die vor allen mit den politischen und militärischen Anwendungen zusammenhängt. Der Ursprung liegt im letzten Jahrhundert, damals nannte man ihn die Manytsch-Wasserstraße, und in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre wurde er geplant. Der Wasserkraftkomplex Ust-Manytsch wurde 1936 gebaut. 1941 wurden die Wasserkraftwerke Weselowskij und Proletarskij entwickelt, die aus den gleichen Reservoirs gespeist wurden. Aber der Zweite Weltkrieg setzte den weiteren Planungs- und Bauarbeiten an dem Kanal schlagartig ein Ende.
Vor etwa 15.000 Jahren, während der letzten Eiszeit, als die vereisten Polkappen zu schmelzen begannen, war der Wasserspiegel des Kaspischen Meers etwa 100 m höher als heute. Über die Manytsch-Wasserstraße floß das Wasser vom Kaspischen Meer ins Schwarze Meer. Aber nach all den Jahren hat sich die Lage dramatisch gewandelt. Nun ist der Wasserspiegel des Kaspischen Meers viel tiefer als der des Schwarzen Meeres, er liegt 28 m tiefer, der Wasserspiegel fällt also 28 Meter über eine Entfernung von etwa 750 km. Es wären nur etwa sechs Schleusen notwendig, damit Frachtschiffe durch einen Kanal zwischen den beiden Meeren fahren können.
Nasarbajew und Putin unterstützen den Kanal
Ein solcher Kanal würde in Rußland durch die Kalmücken-Region in die Region Rostow führen. Die Präsidenten Kasachstans und Rußlands haben über den Bau eines solchen Kanals schon oft gesprochen. Präsident Nasarbajew, einer der Initiatoren der Kommission für den Eurasien-Kanal, hatte folgendes darüber zu sagen:
„Wir brauchen verschiedene Routen. Natürlich würde man diese Güter (Öl und Gas) über die Routen transportieren, die sich für uns als wirtschaftlich effizienter erweisen. Ein großes Projekt in dieser Hinsicht könnte der Bau des neuen – Eurasischen – Schiffahrtskanals sein, der sich vom Kaspischen Meer zum Schwarzen Meer erstreckt.“
Und der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Wladimirowitsch Putin, sagte:
„Durch die Schaffung eines neuen Kanals erhalten die Staaten der kaspischen Region nicht nur Zugang zum Schwarzen Meer und zum Mittelmeer, es wird auch ihre geopolitische Lage verbessern, sie können Seemächte werden.“
Abb. 1: Durch den Bau des Eurasien-Kanals entstünde ein neuer, multimodaler Verkehrskorridor zwischen Ostasien und Europa, von der chinesischen Hafenstadt Lianyungang über Korgan an der chinesisch-kasachischen Grenze und die Hafenstadt Aktau am Kaspischen Meer und weiter durch den Eurasien-Kanal zum Schwarzen Meer, zur Donau und zum Mittelmeer.
Und natürlich haben wir eine Initiative gesehen, die vom Staatschef der Volksrepublik China, Xi Jinping, ausgeht. Seit 2013 setzt er sich aktiv für „Ein Gürtel, eine Straße“ ein, wie es die Chinesen nennen. Auch der Eurasische Seidenstraßen-Kanal ist eine Initiative. Eurasien-Kanal ist eine Kurzbezeichnung für das Nurly-Zhol-Projekt, ein strategisches russisches Verkehrsprojekt. Wenn man sie miteinander verbindet, werden diese Projekte einen multimodalen Verkehrskorridor schaffen, der durch das Territorium von China, Kasachstan und Rußland führt (Abbildung 1), entlang der Strecke vom Hafen Lianyungang (China) über Korgan, Dostyk zum Hafen Aktau (Kasachstan) und weiter durch den Eurasien-Kanal zum Becken des Asowschen Meeres und des Schwarzen Meeres (Rußland).
Die Entfernung beträgt im chinesischen Abschnitt etwa 3300 km, in Kasachstan sind es etwa 2200 km, und in Rußland etwa 1800 km. Diese Entfernung ist vergleichbar mit anderen Routen entlang des Eurasischen Seidenstraßen-Kanals durch China, Kasachstan und Rußland. Mehr als eine Million Menschen leben in den Orten entlang des Kanal-Korridors in Zentralasien und im Fernen Osten. Alle diese Menschen und deren Familien werden durch Arbeitsplätze und Dienstleistungen, die durch dieses Projekt in die Region kommen, Vorteile haben.
Erhobene Daten sprechen für den Bau
Die Realisierung des Eurasischen Seidenstraßen-Kanalprojekts ist auch auf den Transport von Gütern aus und für Kasachstan über diesen Kanal ausgerichtet. Wir untersuchten die Menge der Güter, die aus China nach Europa transportiert werden, und stellten fest, daß seine Realisierung eine Umleitung eines beträchtlichen Teils des Ozeanverkehrs zwischen Europa und China, der heute den Suezkanal passiert, zur Folge hätte. Laut Berechnungen, die das chinesische Unternehmen Sinohydro Corp. anstellte, könnten nach der Umsetzung der Seidenstraße über den Eurasien-Kanal bis 2030 rund 20-25 Mio. t an chinesischen Exporten, die jetzt über die Suezkanal-Route geliefert werden, über die Route des Eurasien-Kanals geliefert werden, und bis 2050 könnten etwa 34-44 Mio. t chinesische Güter auf diesem Weg transportiert werden.
Die Verkehrsinfrastruktur der Volksrepublik China ist schon jetzt darauf vorbereitet, diese Gütermenge über die „Seidenstraße durch den Eurasien-Kanal“ zu transportieren, verbunden mit erschwinglichen Tarifen für EU-Mitgliedstaaten.
Nach Betrachtung dieser Daten sowie der Daten, die von Spezialisten aus den Kaspischen Regionen erhoben wurden, berechneten wir auch, daß nach der Fertigstellung des Eurasien-Kanals bis zum Jahr 2050 jährlich rund 120 Mio. t Fracht über diese Route geliefert werden könnten. Diese Menge ist schon vergleichbar mit der Frachtmenge, die durch den Panamakanal verschifft wird.
Argumente gegen den Bau wurden widerlegt
2008-10 führten wir eine vergleichende Untersuchung der technischen und wirtschaftlichen Eigenschaften eines Projektes zum Bau eines schiffbaren Kanals zur Verbindung des Kaspischen und des Schwarzen Meeres durch. In dem Zusammenhang überprüften wir auch einige der Argumente gegen den Bau. Das wichtigste Gegenargument, auf das wir stießen, bezog sich darauf, daß es keinen wirtschaftlich tragfähigen Frachtstrom gäbe, wobei diese Annahmen auf einem Vergleich mit dem zweiten Wolga-Don-Kanal basierten, für den eine Frachtmenge von nur 3,5 Mio. t angesetzt wurde – ein Zehntel unserer Berechnungen! Wir kamen zu dem Schluß, daß dieses Argument wirklich nicht mehr haltbar war.
Wir betrachteten auch die Zahl der Güterzüge, die zwischen China und Europa verkehren, und die Frachtmenge, die in beiden Richtungen transportiert wird. Interessanterweise kam bis heute niemand außer uns auf die Idee, daß dies auch für den Eurasien-Kanal anwendbar ist!
Abb. 2: Entwicklung des Bahnfrachtaufkommens zwischen China und Europa, 2011-15
blau: Anzahl der Züge von China nach Europa
rot: Anzahl der Züge, die leer nach China zurückfahren
grün: Anzahl der Frachtzüge von Europa nach China
Bis 2014, d.h., vor dem Start der Initiative „Ein Gürtel, eine Straße“, gab es Containerfracht von Europa nach China praktisch nicht, aber 2014 fuhren 28 Züge mit Fracht beladen nach China zurück, und 2015 waren von 815 Zügen, die von China nach Westen fuhren, bereits 265 auf dem Rückweg mit Fracht beladen, eine Steigerung auf das Zehnfache (Abbildung 2). Und wenn wir 2016 betrachten, da hat sich die Frachtmenge, die nach China gebracht wird, verdoppelt, auf etwa 52.000 Container pro Jahr. Das Problem der nicht ausgelasteten Container, die von Europa über Land nach China transportiert werden, ist inzwischen kleiner als zur See. Nach den jüngsten Daten ist jeder zweite Container, der aus Europa nach China gebracht wird, voll beladen, während es zur See nur jeder dritte ist. Das ist natürlich ein guter Grund, den Eurasien-Kanal zu bauen.
Wir stießen auch noch auf ein zweites Argument gegen den Bau des Eurasien-Kanals: Im April 2015 unterzeichnete der Staatschef der Volksrepublik China, Präsident Xi Jinping, eine Investitionsvereinbarung mit Pakistan, um 46 Mrd.$ in den Bau des Kaschgar-Gwadar-Verkehrskorridors zu investieren. Die Fertigstellung dieses Projektes wird den westlichen und zentralen Regionen der Volksrepublik China einen kostengünstigen multimodalen Zugang zu den Weltmeeren verschaffen.
Abb. 3: China und Pakistan realisieren derzeit den Verkehrskorridor Kaschgar-Gwadar. Damit der Korridor durch Kasachstan und Rußland mit diesem Korridor konkurrieren kann, muß der Eurasien-Kanal realisiert werden.
Der Eurasische Transitverkehr durch das Territorium von Kasachstan und Rußland muß mit diesem Kaschgar-Gwadar-Korridor konkurrieren können, und das ist nur durch den Eurasien-Kanal möglich (Abbildung 3). Sonst wären Rußland und Kasachstan nach der Fertigstellung des Kaschgar-Gwadar-Projektes die Verlierer, sogar bezogen auf die heutigen Frachtmengen. Das ist ein Grund mehr, den Bau des Eurasien-Kanals zu beschleunigen.
Der Kanal nützt allen Ländern an der Route
Welchen Nutzen hätte der Bau des Eurasien-Kanals für Kasachstan? Nach den jüngsten Zahlen hätte Kasachstan erhebliche Einnahmen aus dem Transit von Fracht durch sein Territorium. Heute hat Kasachstan aus dem Transport von 18 Mio. t Fracht Einnahmen von mehr als 1 Mrd.$. Die Fertigstellung des Eurasischen Seidenstraßen-Kanals wird, wie ich schon erwähnte, bis 2030 weitere rund 20-25 Mio. t an chinesischer Exportfracht anziehen, und bis 2050 weitere 34-44 Mio. t, was zusätzliche jährliche Einnahmen von 1,9 Mrd.$ bis 2030 und 2,4 Mrd.$ bis 2050 generieren würde.
Abb. 4: Ölförderstelle im Kaschgan-Offshore-Ölfeld
Das beste Argument für die Fertigstellung des Eurasien-Kanals ist meiner Meinung nach folgendes: der Transport von Offshore-Öl aus dem Kaspischen Meer. In den letzten vier Jahren wurde dort im sog. Kaschagan-Feld das größte Ölvorkommen der Welt entdeckt (Abbildung 4). Es liegt am Nordende des Kaspischen Meers, einem Gebiet, das zu Kasachstan gehört. In den letzten 13 Jahren haben dort einige der größten Ölkonzerne der Welt investiert, darunter Unternehmen wie Total, ENI, ExxonMobil, Chinas nationale Ölgesellschaften, kasachische nationale Ölgesellschaften. Nachdem kolossale Summen investiert wurden, um dieses Offshore-Feld zu erschließen, sind sie nun bereit, die Förderung aufzunehmen.
Aber die Frage ist, wie dieses Öl zu den Verbrauchern gebracht werden kann. Natürlich ist die Idee, Pipelines zu nutzen, sehr attraktiv. Aber wenn der Eurasien-Kanal fertiggestellt wird, könnten Schiffe das Öl auch über die Meere zum Verbraucher transportieren. Die Produktion von kasachischem Offshore-Öl würde großen Nutzen bringen, vor allem, wenn man bedenkt, daß die Fördermenge aus diesem Offshore-Feld schon sehr bald etwa 75 Mio. t Öl erreichen kann. Dies käme zu den 25 Mio. t an Fracht hinzu, die über den Eurasien-Kanal transportiert würde, es gäbe zusätzlich 75 Mio. t Öl, das im Kaschgan-Feld gefördert wird. Auch das ist ein sehr wichtiges Argument, das für den Bau des Eurasien-Kanals spricht.
Um das Kanalprojekt wieder aufzunehmen, führten wir einige Untersuchungen der technischen und wirtschaftlichen Indikatoren im Zusammenhang mit seinem Bau und Betrieb durch. Wir studierten entsprechend den russischen Standards den geographischen Zustand des Geländes, durch das der Kanal auf russischem Territorium führen würde. Wir studierten auch die Route, die durch Kasachstan führen würde, wir erhoben zuverlässige Daten über die physiographische, baugeologische und seismisch-tektonische Situation. Wir erzeugten mit dem Computerprogramm ArcGIS eine Sammlung von Karten, die zahlreiche Aspekte der natürlichen Umgebung erfassen (Gelände, geotechnischer Zustand, Klima, Wasservorkommen, Böden, Vegetation). Wir erstellten Karten über die Pufferzone, definiert in Abschnitten von 25 km. Es wurden numerische Modelle des Terrains entlang der Routen erstellt. Alle diese verschiedenen Faktoren wurden in unserem Buch veröffentlicht, das ich Ihnen am Ende meines Vortrags sehr gerne vorstelle.
Verkehrs- und Fracht-Analyse
Chinesische Spezialisten der Sinohydro Corp. führten im Zusammenhang mit dem Kanal auch eine Reihe von Experimenten zu einer Anzahl komplexer physischer Faktoren entlang der chinesischen Route von Lianyungang nach Korgos durch.
All dies wurde durchgeführt, um zur Beschleunigung der Wiederaufnahme der Bauarbeiten beizutragen. In den letzten drei Jahren haben viele Wissenschaftler in Kasachstan, Rußland und China zahlreiche weitere wissenschaftliche Untersuchungen über den Bau des Eurasien-Kanals durchgeführt. Darüber hinaus erstellte man etliche Analysen der Frachtmenge, die über den Kanal transportiert würde, wie beispielsweise Öl und die vielen chinesischen Waren. Bis 2050, das zeigen diese Berechnungen, könnte sich die Frachtmenge auf 120 Mio. t belaufen, und mit dem Öl von Kaschgan könnte die Frachtmenge sogar auf 200 Mio. t pro Jahr ansteigen. Das bedeutet, daß die Frachtmenge, die durch den Kanal transportiert würde, gewaltig ist.
Man schlug uns vor, einen Kanal parallel zu dem Wasserkraftkanal von 1941 zu graben, der nur etwa 5-6 m tief ist und im wesentlichen nur für Schiffe mit bis zu 10.000 t Fracht ausgelegt ist. Wir schlagen vor, den Kanal auf 11,5 m zu vertiefen. Wenn er eine Tiefe von 8 m hätte, könnten Schiffe bis 50.000 t den Kanal passieren, aber wenn wir das auf 11,5 m vertiefen, dann könnten die Schiffe bis zu 100.000 t Fracht laden.
Unser wichtigster Vorschlag war jedoch, den Kanal mit einem Betonbett zu versehen. Das würde es erleichtern, die Wassermenge im Kanal zu steuern und Probleme mit den lokalen Ökosystemen zu lösen, die der Kanal von 1941 verursacht hat. Die neuen Technologien, die wir heute haben, erlauben es, den Wasserverbrauch zu überwachen und zu minimieren, und damit einer weiteren Kritik zu begegnen, die von einigen Ökologen vorgebracht wurde, die sagen, der Kanal würde die lokalen Ökosysteme verschlechtern und stören.
Der Bau des Eurasien-Kanals würde den Regionen am Kaspischen Meer, wo etwa 1 Mio. Menschen leben, einen höheren Rang geben, und würde es ihnen erlauben, Anteil am weltweiten System des Schiffsverkehrs zu nehmen.
Schlußbemerkung
Abschließend ist zu sagen: Die „Seidenstraße über den Eurasien-Kanal“ kommt zu einem günstigen Zeitpunkt, sie ist von unmittelbarem Interesse für die globale Gemeinschaft, und die Aussichten für ihre praktische Realisierung in naher Zukunft sind hervorragend.
Alle unsere jüngsten Erkenntnisse sind in einem Buch über das Projekt des Eurasischen Seidenstraßen-Kanals gesammelt, das vom Präsidenten der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Nurtai Abykajewitsch Abykajew, herausgegeben wurde. Alle unsere Feststellungen sind in dieser Publikation zusammengestellt.
Erlauben Sie mir, Dean Andromidas zu danken, dem einzigen, der in seinem Artikel über den Eurasien-Kanal (siehe Neue Solidarität 18/2018) unseren Bericht „The Eurasian Cala als a Factor of Economic Prosperity for the Caspian Region“ (siehe https://core.ac.uk/display/87466339) erwähnt hat. Das ist eine von insgesamt zehn verschiedenen Publikationen über den Eurasien-Kanal, die wir haben. Dank Dean trafen wir auch Michael und Meghan, Jason und Alicia [vom Videoteam des LaRouche-Aktionskomitees], die uns halfen, die Erkenntnisse, die wir mit Unterstützung der Wissenschaftsgemeinde in Kasachstan, Rußland und China gewonnen haben, zum Ausdruck zu bringen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Es folgte eine 90minütige Debatte zwischen den Rednern der Konferenz und dem Publikum über eine Vielzahl der angesprochenen Themen. Helga Zepp-LaRouche beschloß die Konferenz, indem sie nochmals auf den Unterschied zwischen den „westlichen Werten“ und dem chinesischen Denken hinwies. In China würden die Menschen dazu angehalten, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, China strebe danach, die Armut zu beseitigen, auf der Grundlage des Konfuzianismus. Im Westen dagegen versuchten die Menschen, sich die Taschen zu füllen, und die Armut wachse. Aber es gebe im Westen ein Äquivalent zum Konfuzianismus – Friedrich Schiller. Wie der Konfuzianismus und die indische Philosophie strebe Schiller danach, die Emotionen zu erziehen. Schillers Idee war es, die Menschen in ihrer Muße zu fassen und durch Schönheit zu erziehen. „Wir haben die enorme Wirkung gesehen, die die klassische Musik auf junge Menschen hat, die sie noch nicht kennen. Wir haben studiert, wie die Renaissance die Welt aus dem finsteren Zeitalter geführt hat – wie durch das Wiederaufgreifen großer Ideen und großer Kunst die Renaissance in Gang gesetzt wurde. Es gibt vieles, was wir tun können. Wir sollten froh darüber sein. Wir leben in einer Zeit, in der wir die Dinge ändern können. Schließen Sie sich uns an!“
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