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Ray McGovern: Wie lange wird Europa noch nach Washingtons Pfeife tanzen?

Ray McGovern

Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS), USA

Audio (Englisch)


 

Mich hat Haydns Schöpfung, das Stück, das heute morgen hier aufgeführt wurde, sehr bewegt. Ich möchte Ihnen noch einmal ins Gedächtnis rufen, daß dem Teil, wo es um „eine neue Welt“ und „Ordnung keimt hervor“ geht, eine sehr bewegende, düstere und beinahe lautlose Eröffnung vorangeht. (Er singt) „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht!“ – Ich hatte gehofft, daß jetzt der Chor einstimmen würde

…  [Bei Haydn ertönt auf dieses letzte Wort „Licht“ überraschend ein lauter, strahlender Dur-Akkord von Chor und Orchester, Red.]

Das Licht strömt einfach so hervor, und es kann „eine neue Welt“ entstehen – genau das, weswegen wir hier zusammengekommen sind. Wir wollen Bedingungen schaffen, die uns vor einem weiteren Absturz in die Richtung bewahren, die wir im Laufe des letzten Jahrhunderts und vor allem während der letzten zehn Jahre gesehen haben.

Ich möchte eingangs denen, die mich eingeladen haben, danken, besonders für die Musik. Ich möchte meinem Vorredner [Oberst Alain Corvez] danken, der die Grundlage für das gelegt hat, was ich sagen möchte. Er hat das weitaus besser gemacht, als ich es könnte, weswegen ich mich seinen Bemerkungen anschließe.

Ich möchte deutlich machen, daß die Leute, die heute über unsere Politik gegenüber dem Nahen Osten entscheiden, zwar rhetorisch sehr stark sind, aber nur wenig gesunden Menschenverstand haben.

Es ist wirklich schön, mit Worten spielen zu können. Erinnern Sie sich, was mit den Taliban geschehen sollte? Wir wollten die Taliban „erniedrigen“, „zerlegen“ und „zerstören“. Das war 2009. Heute heißt es, wir wollten Al-Kaida, ISIL usw. „erniedrigen“, aus irgendeinem Grund nicht „zerlegen“, sondern nur letztlich „zerstören“. Wie wollen wir das anstellen?

Der Oberst hat gute, vernünftige Beobachtungen angestellt. Aber von einigen Leuten hört man vollkommen verrückte Kommentare wie: „Wir sind nicht wirklich besorgt darüber, daß sich ISIL dem Flughafen dort immer weiter nähert oder die Provinz Anbar im Westen übernimmt.“ Der einzige Grund, warum das wichtig sei, ist „die unmittelbare Nähe zu Bagdad“.

Hallo!? Was damit natürlich ausgesagt wird, ist: ISIL steht unmittelbar vor Bagdads Haustür, doch die Bedeutung davon soll heruntergespielt werden, weil man offen gesagt nicht weiß, was zu tun ist. Der Präsident sagt: „No boots on the ground“ [keine Bodentruppen], doch uns allen ist klar, daß es ohne Soldaten vor Ort nicht geht. Die Frage ist, wessen Soldaten? Wer bildet sie aus? Sind es türkische Soldaten? Ich glaube nicht. Und deswegen noch einmal: Wessen Soldaten sollen es sein?

Unsere [amerikanische] Politik gegenüber diesem Teil der Welt liegt vollkommen im argen, die Amateure haben das Sagen. Wenn schon David Petraeus, der Schutzheilige jeder Aufstandsbekämpfung und das Musterbeispiel für die Ausbilder der irakischen Armee, es nicht schafft, sie so auszubilden, daß sie nicht davonlaufen, sobald jemand von ISIL eine AK-47 auf sie abfeuert, wenn Petraeus das nicht schafft – und das sage ich natürlich im Scherz -, dann kann es niemand. Es ist schwerlich Petraeus’ Schuld, denn wie soll man Vettern dazu bringen, auf die eigenen Vettern zu schießen? So einfach ist das, und wenn wir das nicht aus Vietnam gelernt haben, dann steht es wirklich schlecht um uns. Soviel zu diesem amateurhaften Getue.

Westfälischer Frieden: Es ist vorbei

Ich möchte jetzt etwas weiter ausholen und über den Westfälischen Frieden sprechen, der ja bereits von Helga [Zepp-LaRouche] angesprochen wurde. Damit ist es vorbei! Mit diesem Frieden ist es aus! Heute gibt es Supermächte, und wir brauchen uns mit solchen Verträgen nicht mehr „abzugeben“.

Tatsächlich hängt dies [der Westfälische Friede] mit etwas viel Älterem zusammen, was wir im kommenden Jahr feiern werden. Ich gebe Ihnen einen Hinweis: Es ist der 800. Jahrestag. Was könnte das sein? Die Magna Charta. Richtig, jemand hat es hier vorne gesagt.

Wie wird wohl der Magna Charta gedacht werden? Man wird sagen: „O, das war schon toll, als sich diese englischen Adligen König Johann entgegenstellten und ihm diese Rechte abtrotzten. Das war großartig – aber das war damals. Jetzt müssen wir die Magna Charta zu Grabe tragen oder einfach feststellen, daß sie tot und begraben ist – genauso wie der Westfälische Friede und auch die Habeas Corpus-Akte. Das waren wunderliche Ideen, die fallen jetzt unter den Tisch. Darauf müssen wir keine Rücksicht mehr nehmen oder uns daran halten.“

Die Lage ist also ziemlich schlecht. Doch die erste Lehre der Weisheit ist: Lerne aus deinen Fehlern bzw. lerne aus Dingen, die ziemlich schlecht geworden sind.

Ich mußte wirklich ein Lachen unterdrücken, als der Präsident – unser Präsident Barack Obama – vor die UNO trat und sagte: „Die drei größten Gefahren für die Welt sind Ebola, die russische Aggression und ISIL.“ Wow – die russische Aggression! Putin hat erst diese Woche in einer Rede oder einem Interview gesagt: „Wer nicht erkennt, daß all die jüngsten Probleme in der Ukraine von dem Putsch am 22. Februar herrühren, der lebt nicht in der realen Welt.“ Damit ging alles los.

Noch etwas zu dem, was über die Krim gesagt wurde. Mir wurde von BBC die Frage gestellt: „Herr McGovern, was denken Sie über Putin, der sich die Krim einverleibt hat? Über die Aggression dort?“ Ich antwortete: „Entschuldigung, warum befragen Sie mich über das vierte Tor?“ [BBC:] „Wie bitte?“ Ich sagte: „Warum steigen Sie mitten im Spiel ein?“ [BBC:] „Wie meinen Sie das?“ Ich sagte: „Alles begann am 22. Februar, als ein Putsch, ein Staatsstreich stattfand. Es gibt nicht den Funken eines Hinweises darauf, daß Putin oder einer seiner Kollegen vor dem 22. Februar auch nur einen Gedanken daran verschwendet hat, die Krim zu übernehmen; doch dann machte das viel Sinn, angesichts des Drecks, der da unter Aufsicht von Victoria Nuland, unserer Außenstaatssekretärin für europäische Angelegenheiten, an die Macht kam – dieselbe Nuland, die zur EU das F-Wort in den Mund nahm. Sie sagte – wie viele von Ihnen wissen – „F… the EU!“ [Scheiß auf die EU.] Was haben Angela Merkel und die anderen hohen Tiere in der EU dazu gesagt? Es ist nicht bekannt, daß sie irgend etwas gesagt haben.“ [BBC:] „Ja gut, okay…“

Wann werden die großen Länder oder auch die kleinen Länder der EU endlich erwachsen? Leute, der Krieg ist seit 70 Jahren vorbei! Und es ist wichtig für uns Amerikaner, daß ihr erwachsen werdet. Warum? Weil wir eure Hilfe brauchen, um zu verstehen, was passieren kann, wenn die Magna Charta, der Westfälische Friede oder unsere eigene Verfassung in Gefahr sind. Ich übertreibe keineswegs.

Neuauflage des Faschismus

Ich habe den Zweiten Weltkrieg erlebt. Ich war damals zwar noch ziemlich klein, aber ich habe alles mitbekommen. Ich erinnere mich an die Nachkriegsfeiern, ich erinnere mich, wie dankbar die Europäer waren – bei meinem ersten Besuch, als ich noch die Uni besuchte. Doch jetzt sind Sie an der Reihe. Man soll ja das F-Wort nicht in den Mund nehmen – das „F“ hat auch ein kleines „f“ und heißt „faschistisch“. Die Leute setzen Faschismus mit Konzentrationslagern gleich, doch das greift zu kurz, denn das ist ein Sonderfall.

Ich möchte Ihnen zwei Videos zeigen, um darzustellen, wie sich der Faschismus in einigen unserer führenden Leute personifiziert. Der erste war einmal Chef der NSA und dann der CIA, ausgezeichnet wegen „geleisteter Dienste“, und ist jetzt einer der besonders gefragten Kommentatoren in den Medien. Auf CNN, Fox News usw. spricht er regelmäßig über das aktuelle Geschehen. Sein Name ist Michael Hayden – ironischerweise der gleiche Name wie von Joseph Haydn, mit dem wir die Sitzung heute morgen begannen:

(Video 1: http://youtu.be/cGhcECnWRGM, Quelle: MSNBC)

Moderator: Soweit ich weiß, heißt es im Vierten Verfassungszusatz, es müsse ein hinreichender Verdacht gegeben sein, um eine Durchsuchung anzuordnen, ohne das Recht der Amerikaner auf Schutz vor illegaler Durchsuchung und Beschlagnahme zu verletzen. Haben Sie…

Hayden: Nein, tatsächlich schützt uns der Vierte Verfassungszusatz alle vor willkürlicherDurchsuchung und Beschlagnahme.

Moderator: Aber der…

Hayden: So steht es da.

Moderator: Aber die Maßregel lautet hinreichender Verdacht, meine ich.

Hayden: Der Verfassungszusatz besagt willkürliche Durchsuchung und Beschlagnahme.

Moderator: Aber heißt es nicht hinreichender…

Hayden: Nein, der Verfassungszusatz sagt…

Moderator: Die Maßgabe für das Gericht, die rechtliche Maßgabe…

Hayden: …willkürliche Durchsuchung und Beschlagnahme

Moderator: Die rechtliche Maßgabe heißt hinreichender Verdacht…

Hayden: Nur um das klarzustellen, glauben Sie mir: Wenn es einen Verfassungszusatz gibt, mit dem die Mitarbeiter der National Security Agency vertraut sind, dann ist das der vierte! Und dort geht es um Willkür als Maßstab.

MSNBC-Sprecher: Um den Vierten Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten in seiner Gesamtheit zu zitieren, den der General und die NSA-Leute so gut kennen und meinen, es gehe darin um „Willkür“ und nicht um hinreichenden Verdacht: „Das Recht des Volkes auf Sicherheit der Person und der Wohnung, der Urkunden und des Eigentums vor willkürlicher Durchsuchung, Festnahme und Beschlagnahme darf nicht verletzt werden, und Haussuchungs- und Haftbefehle dürfen nur bei Vorliegen eines eidlich oder eidesstattlich begründeten Verdachts ausgestellt werden und müssen die zu durchsuchende Örtlichkeit und die in Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen.“

Nun ja, vielleicht haben sie da drüben beim NSA eine andere Verfassung.

Sie haben da drüben beim NSA wirklich ihre eigene Verfassung.

(Video 2, Befragung des nationalen Geheimdienstkoordinators James Clapper durch Senator Ron Wyden in einer Anhörung des US-Senats am 12. März 2013,http://youtu.be/QwiUVUJmGjs?t=6m)

Senator Wyden: Ich wende mich noch einmal an Sie, Herr Clapper, um Sie über das Überwachungsthema zu befragen, und ich hoffe, Sie können mit einem einfachen Ja oder Nein antworten, denn ich weiß, daß die Senatorin Feinstein fortfahren will. Im letzten Sommer war der NSA-Direktor auf einer Konferenz, und ihm wurde dort eine Frage zur Überwachung der Amerikaner gestellt. Er antwortete, und ich zitiere: „Der Bericht, daß wir Millionen oder Hunderte von Millionen Dossiers über Leute haben, ist völlig falsch.“ Ich stelle Ihnen diese Frage deshalb, weil ich als Mitglied des Ausschusses seit einem Dutzend Jahren nicht genau verstehe, was in diesem Zusammenhang ein „Dossier“ ist. Ich möchte deswegen, daß Sie mir mit Ja oder Nein auf diese Frage antworten können: Sammelt die NSA überhaupt irgendwelche Daten von Millionen oder Hunderten von Millionen Amerikanern?

Clapper: Nein, Sir.

Wyden: Wirklich nicht?

Clapper: Nicht bewußt. Es gibt Fälle, wo sie vielleicht unabsichtlich sammelt, aber nicht bewußt.

Wyden: Vielen Dank. Ich werde Ihnen weitere Fragen schriftlich zukommen lassen, aber ich bedanke mich für Ihre Antwort.

Natürlich wurde der Geheimdienstkoordinator James Clapper gefeuert, weil er unter Eid gelogen hat – richtig? Nein! Das war vor anderthalb Jahren, im März letzten Jahres. Wer ist heute der nationale Geheimdienstkoordinator? Weiß es jemand? Der gleiche Kerl – James Clapper! Wer ist der große „Experte“ auf CNN? Wer ist der anerkannte Mann, an den man sich für Antworten hierüber wendet? General Hayden.

Ich will Ihnen damit sagen, daß bei uns der Fuchs den Hühnerstall bewacht, und der Präsident nicht willens ist, seinen eigenen Geheimdiensten und seinen eigenen Generälen die Stirn zu bieten.

Kriegsrecht in den USA?

Was heißt dies nun für unsere Lage im Inland? Es bedeutet, daß der Nervenzusammenbruch, den wir nach dem 11. September [2001] erlitten haben, weitergeht, und die Amerikaner wegen der schrecklichen Unterernährung, die sie von der etablierten Presse bekommen, überhaupt nicht wissen, was sie glauben sollen. Wenn gesagt wird, ISIL sei eine Bedrohung für unser Land, neigen die Leute dazu, es zu glauben, weil sie verängstigt sind. Man sollte meinen, nach zwölf Jahren sei die Angst verflogen, aber sie ist immer noch da. Und damit spielt man. Es werden bekannte Anwälte bemüht, um neue Vorschriften aufzuschreiben, oder man bringt die Leute dazu, die Vorschriften zu umgehen.

Ein Freund von mir, Todd Pierce, ist Anwalt und er vertritt immer noch einen Guantanamo-Häftling; er ist einer der wenigen Anwälte, die einen Häftling frei bekamen und zurück nach Afrika bringen konnten. Er sprach ganz offen: Unter den Nazis diente das Recht dazu, absolute Treue zum Führer und zum Staat zu fordern. Alles andere galt als Verrat. Ernst Fränkel beschrieb dieses System: Das Kriegsrecht diente dem Dritten Reich als Verfassung, und mit dem Kriegsrecht begann die Überwachung, um Staatsfeinde aufzuspüren.

Wie viele von Ihnen kennen das Tagebuch eines Mannes namens Raimund Pretzel – [Sebastian] Haffner war sein Pseudonym? Er war ein Anwalt, der in Berlin aufwuchs. 1933 verfolgte er alle die Vorgänge. Er war gerade in der Ausbildung als Richter. Er kam in sein Büro, als überall die Schwarzhemden ihr Unwesen trieben. Und er fragte seine Kollegen: „Stimmt Sie das nicht bedenklich?“ Sie antworteten: „Eigentlich nicht. Der Reichstag ist gerade niedergebrannt, und wir rechnen fest damit, daß man unsere Schreibtische durchsucht, unsere Telefone abhört und unsere Freiheit einschränkt. Warum haben Sie da das Neue Deutschland? Warum lesen Sie kommunistische Propaganda?“ Raimund Pretzel beschreibt die Situation so: „Wir Deutsche verfolgten die Vorgänge wie aus einer Theaterloge.“

Ich befürchte, das entspricht ziemlich genau dem, wie die meisten Amerikaner die Vorgänge in ihrem eigenen Land betrachten, denn auch inunserem Land herrscht Kriegsrecht. Sie glauben das nicht? Sie sollten es glauben, denn es stimmt. Es herrscht Kriegsrecht. Es ist das Erbe unseres Bürgerkriegs, auf das sich die Anwälte jetzt zurückbegeben. Sie sagen, daß die Delikte unter dem Kriegsrecht, dem die USA damals – und heute wieder – unterlagen, „alles feindselige Akte gegen die Regierung, gegen jede Behörde oder Beamten sind, die dazu führen, daß unsere Militär- oder Marineoperationen abgelehnt, gehemmt, behindert oder sogar vereitelt werden“.

Toll! Wenn man die Regierung bloßstellt, wird man dann gleich nach Guantanamo verfrachtet? Das klingt weit hergeholt, oder? Aber nach dem Gesetz könnte jetzt jemand von der US-Armee aus Wiesbaden oder Mannheim herkommen, mich festnehmen und mich ohne Prozeß, ohne Anklage, ohne Jury wegsperren. Ich weiß, daß das schwer zu glauben ist, aber es ist wahr. Das ist heute legal.

Ohne Gegenwehr wird sich nichts ändern

Was bleibt da zu tun? Für alle übrigen von uns bleibt nur die Notwendigkeit, daß wir dies zunächst einmal aufdecken, damit Leute darüber Bescheid wissen, und dann müssen wir uns persönlich einbringen. Ich will damit sagen, was Cesar Chavez, einer unserer großen Bürgerrechtler, zu sagen pflegte: „Kommentare sind großartig, Reden sind noch besser, aber ohne Gegenwehr wird sich nichts verändern.“

Was meine ich damit? Ich denke, es gibt einige ganz wunderbare Vorbilder, denen wir folgen können. Zuallererst denke ich an Sophie Scholl, und ich sehe hier viele junge Leute, nicht ganz so jung wie sie – sie war 21, fast 22, als man sie wegen gewaltlosen Widerstands gegen das Naziregime an der Universität München verhaftete. Wissen Sie, wie man sie umbrachte? Mit der Guillotine! Das hatten die Deutschen wohl von den Franzosen gelernt. Sie wurden ein wenig zivilisierter gegen Ende des Krieges; als [Dietrich] Bonhoeffer und andere umgebracht wurden, benutzten sie zwei weitere Tötungsmethoden, die eine war Erschießen, die andere war Erhängen.

Wichtig hierbei ist, daß Sophie genau wußte, was gespielt wurde, und sie ließ sich von ihrem Gewissen leiten. Sie war eine sehr fromme oder überzeugte Lutheranerin. Ich weiß nicht, ob Sie es gelesen haben, aber dazu hat Martin Luther etwas in einem seiner Briefe geschrieben; es ist sehr kurz und er hat darin den Christen Anweisung erteilt.

Ich möchte aber zuvor noch Kurt Vonnegut, einen unserer großartigen Schriftsteller, zitieren. Er wurde einmal gefragt: „Was denken Sie über Jesus von Nazareth?“ Und er antwortete: „Ich weiß nicht, ob er Gott war oder nicht, aber, wissen Sie, wenn es nicht die Bergpredigt gäbe, dann wäre ich lieber gleich eine Kakerlake.“

Man hat mir zu verstehen gegeben: „Es gibt moralische Grundprinzipien; die Menschen wissen, was richtig und was falsch ist. Ein Christ zu sein, ein Anhänger von Jesus, der zu Tode gefoltert wurde, das wäre etwas speziell für dich, McGovern, aber man braucht nicht zu verstehen, was falsch und was richtig ist.“

Martin Luther schrieb folgendes: „Wenn ich mit lauter Stimme und klarer Auslegung alle Teile der Wahrheit Gottes verkündige, außer gerade dem einen kleinen Punkt, den die Welt und der Teufel eben in diesem Augenblick angreifen, dann bezeuge ich Christus überhaupt nicht, wie mutig ich auch Christus bekennen mag. Wo die Schlacht tobt, da wird die Treue des Kämpfers auf die Probe gestellt; und auf allen anderen Schlachtfeldern treu zu sein, ist für den Christen in diesem Augenblick nichts anderes als Flucht und Schande, wenn er in diesem Punkt nachgibt.“

Sophie Scholl gab nicht nach. Ich war entsetzt, als ich feststellte, wie wenig ich über Sophie Scholl wußte, denn ich wohnte einmal nur einen Block vom Stadelheimer Gefängnis in München entfernt, wo sie festgehalten wurde, und ich wohnte zwei Straßen entfernt von dem Friedhof, wo sie begraben ist. Ich wußte gar nicht, wie nahe sie mir damals gestanden hat.

Es gibt große Hoffnung

Meine Redezeit läuft ab, deswegen möchte ich abschließend nur einiges sagen, was meines Erachtens getan werden muß. Als ich einmal mit dem Rücken zu Hillary Clinton stand, die damals Außenministerin war, einfach ruhig da stand, nichts sagte, kein Schild oder ähnliches bei mir hatte, wurde ich ziemlich übel zugerichtet. Meine Kollegen von Veterans for Peace schickten Informationen zur Presse, worin es hieß: „McGovern ist 71 Jahre alt, und er ist schon eine ganze Weile bekannt; er diente in der Regierung; er hat einmal Präsidenten beraten“, usw.

Die Presse sprang nicht so sehr auf „die Beratung von Präsidenten“ an; was ihr ins Auge fiel, war: „71 Jahre alt“. Und wissen Sie was? Ich weiß nicht, wie es hier in Europa ist, aber in Amerika sehen es Leute nicht gern, wenn alte Menschen verprügelt werden. Woher weiß ich das? Hillary Clinton erhielt Tausende und Abertausende von Anrufen, Telegrammen und Emails, in denen es hieß: „Weswegen schlagen Sie einen alten Mann zusammen?“

In Fox News wurde berichtet: „Ein älterer Herr wurde aus dem Raum geleitet.“ Das hat ziemlich weh getan. Aber „älterer Herr“ wurde aus dem Raum geleitet – sehen Sie selbst, wie ich „aus dem Raum geleitet wurde.“ (Video 3,http://www.democracynow.org/2011/2/18/ex_cia_analyst_ray_mcgovern_beaten)

Ich will damit nur sagen, daß alte Leute wie ich im Vorteil sind. Ich sehe hier andere Leute, die fast genauso alt sind wie ich – wenn Sie einige graue Haare bekommen, lassen Sie Ihren Körper sprechen. Leute mögen es nicht, wenn alte Menschen verprügelt werden. Bei jungen Leuten heißt es: „Naja, die haben sich das selbst zuzuschreiben“, nicht wahr? Deswegen lassen Sie Ihren Körper sprechen, nutzen Sie, was Sie haben!

Aber für die jungen Leute: Ihr habt wirklich gute Vorbilder. Ihr habt Sophie Scholl, 21 oder 22 Jahre alt. Ihr habt Bradley, inzwischen Chelsea Manning, der 22 war, als er seine Tat vollbrachte. Ihr habt Edward Snowden, der 29 Jahre war – es gibt große Hoffnung.

Es gibt große Hoffnung, daß wir dem Trott entkommen können, in dem wir uns befinden, weil junge Leute – zumindest eine kleine Zahl von ihnen – dieser Tage nicht nur sehr viel mutiger sind, sondern sich auch technisch bestens auskennen. Die Regierungen würden ohne Tausende höchst fähiger junger Leute nicht funktionieren, und das heißt, wenn es unter Tausend nur einen Edward Snowden gibt, sind die Leute, die diese Welt zu führen versuchen, in großen Schwierigkeiten.

Wenn Sie also ein Gewissen haben, sorgen Sie dafür, daß Sie Ihren Mund aufmachen, tun Sie sich mit einer kleinen Gruppe Gleichgesinnter zusammen, um zu entscheiden, wie Sie vorgehen. Halten Sie sich gegenseitig verantwortlich dafür, nach außen zu gehen und zu handeln.

Ich möchte Ihnen zwei letzte Bilder zeigen. Auf diesem ersten Bild sehen Sie, was wir aus Vietnam kennen. Wenn man aus einem Land, das gerade einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, ohne triftigen Grund eine Horde von Soldaten losschickt, tritt genau so etwas ein.

Dieses vielsagende Bild stammt aus Tal Afar. Das kleine Mädchen saß auf dem Rücksitz eines Autos; seine Mutter und sein Vater wurden gerade von amerikanischen Soldaten getötet, die glaubten, das Auto würde auf eine Straßensperre zufahren. Man sieht das Blut der Eltern, und das Kind hat, soweit ich weiß, vier weitere Geschwister verloren.

Nicht nur wurde das Mädchen brutal behandelt, sondern werfen Sie auch einen Blick auf die Stiefel, das Bein daneben – was geschieht mit diesem jungen Mann? Wissen Sie, daß die Leute, die wir zu solchen Sachen losschicken, genauso übel zugerichtet werden wie das kleine Mädchen dort? Es war sechs Jahre alt. Es überlebte als einzige seiner Familie.

Ich möchte Ihnen noch das nächste Bild zeigen.

Wir alle haben unsere Freude an kleinen Kindern. Das sind zwei Geschwister, die gerade einen kleinen Bruder bekommen haben. Das sollten wir für unser Land und für die Welt im Auge haben, nicht das erste Bild, das ich gezeigt habe. Wir alle sollten uns diese Bilder ins Gewissen schreiben, und uns bewußt sein, daß es, nur weil einige Menschen uns nicht mögen, nicht bedeutet, daß sie nicht voll und ganz menschlich sind und nicht die gleiche Behandlung verdienen, die wir unseren Kindern wünschen.

Das ist alles, was ich sagen will, und ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

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