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Christine Bierre : Die Eurasische Landbrücke aus der Sicht von Leibniz

Christine Bierre

Journalistin, Paris


Meine Damen und Herren,

dieser Abschnitt der Konferenz wird sich mit großen Infrastrukturprojekten befassen, die im Mittelpunkt der BRICS-Strategie stehen, und in diesem Zusammenhang werde ich über das „Grand Design“ der eurasischen Entwicklung sprechen, das im 17. Jahrhundert von den großen deutschen Philosophen, Wissenschaftler und Politiker Leibniz vorgeschlagen wurde und ein wunderbares Modell für heute ist.

Aber bevor ich darauf komme, noch ein paar Bemerkungen zur Frage der großen Infrastrukturprojekte. Sie sind tatsächlich die eigentliche Grundlage für die industrielle Entwicklung einer Nation. Ohne moderne Verkehrs-, Energie- und Wasserinfrastruktur ist kein Fortschritt möglich.

Aber es wäre falsch, diese Projekte bloß an und für sich zu betrachten, weil man dann Gefahr läuft, in den Fehler der keynesianischen Ökonomen zu verfallen, für die es bloß wichtig ist, wirtschaftliche Aktivität auszulösen, egal in welchem Bereich, auch wenn die nur darin besteht, Löcher im Boden aufzureißen und wieder zuzuschüten!

Das wichtige an der BRICS-Strategie ist, daß diese Infrastrukturen und die Lastwagen, Kräne und Bagger, die für ihren Beu eingesetzt werden, nur der konkrete Ausdruck des kreativen menschlichen Geistes sind, und der Menschen, die die enormen Herausforderungen der Natur meistern, um ihre menschliche Gesellschaft zu transformieren.

Bevor diese Objekte entstehen, ist da das Konzept des Menschen als Schöpfer, im Gegensatz zu das des Menschen als Räuber, das heute infolge der verschiedenen extremen Formen des Liberalismus vorherrscht, den die westlichen Finanzzentren, die Londoner City und die Wall Street, weltweit verbreitet haben.

Die BRICS-Strategie wird auch genährt von einer nobleren Vision der menschlichen Zivilisation, durch den Willen, eine Welt zu schaffen, in der alle Nationen, egal wie groß oder reich sie sind, das Recht auf eine umfassende Entwicklung haben, eine „westfälische“ Welt, in der alle Nationen Souverän sind, um Bündnisse mit den Partnern ihrer Wahl einzugehen, und nicht gezwungen sind, sich diesem oder jenem ideologischen Block zu unterwerfen oder Vasallen dieses oder jenes Imperiums zu werden. Herr Kadyschew hat dieses Prinzip heute morgen bekräftigt. Chinas Präsident Xi Jinping verhandelt jeden Tag mit kleinen und großen Nationen „Win-win“-Verträge aus.

Diese Vision des Menschen ist leider aus dem transatlantischen Bereich verschwunden, wo sie durch jene des Räubers und die Rückkehr zu Imperien verdrängt wurde. Die Geier sind überall: im Finanzbereich, in den Regierungen, wo sie den öffentlichen Besitz und die Schwächsten unter uns plündern, und im Krieg, wo sie ihre ungezügelte Grausamkeit entfesseln, wie im Nahen Osten.

Frankreich hatte die Chance, einen Charles de Gaulle zu haben, der in seiner Zeit den Geist der BRICS verkörperte. Aber inzwischen ist es in schändliche und opportunistische Bündnisse verstrickt, wo es für eine Handvoll Dollars vom dekadenten amerikanischen Empire zu den rückständigsten Ölmanarchien übergeht, ohne jedoch die Tür zu den BRICS ganz zu verschließen, weil man ja nie wissen kann, wer am Ende gewinnt!

Erinnern wir uns an das wahre Frankreich, an den 30. Januar 1964, als Charles de Gaulle, der Präsident eines Frankreichs, das seine Souveränität gerade erst wieder zurückerlangt hatte, mit dem Anglo-amerikanischen Block brach und die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit einer anderen souveränen Nation – China- bekannt gab. Denn auch wenn er das damalige chinesische Regime nicht guthieß, setzte er darauf, wie er sagte, daß „man in der ungeheuren Evolution der Welt durch die Vermehrung der Beziehungen zwischen den Völkern der Sache der Menschheit dienen kann, d.h., der Weisheit, dem Fortschritt und dem Frieden… und so können alle Seelen, egal wo sie sich auf der Erde befinden, zusammenfinden, schneller an jenen Treffpunkt gelangen, den Frankreich vor 175 Jahren vorgegeben hat – den der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Nach dieser Entscheidung trat Frankreich 1966 aus dem gemeinsamen Kommando [der NATO] aus und eröffnete auch Beziehungen zur Sowjetunion.

Und weil ich vollkommen überzeugt bin, daß Frankreich seine militärische Souveränität zurückgewinnen und mit einem westlichen Block brechen kann, dessen Finanzkrise und Streben nach einem Weltempire die Welt in einen Krieg gegen Rußland und China treibt, und daß auch andere europäische Länder ebenfalls die Inspiration finden können, das gleiche zu tun, will ich ihnen hier das gewaltige eurasische Projekt vorstellen, das Leibniz im 17. Jahrhundert vorgeschlagen hat.

Weil dieses Projekt einen sehr hohen Maßstab setzt, und weil wir, um in dem, was wir tun, Erfolg zu haben, alle jene zusammenbringen müssen, die heute dafür kämpfen, diese Neue Welt hervorzubringen, die die BRICS heute schaffen, müssen wir uns selbst an diesem schönen Ideal laben.

Leibnizens eurasisches Grand Design

Um ein Europa, das durch irrationale Kriege zerstört war und sich im Griff der Dämonen des religiösen Fanatismus befand, zu verändern, kämpfte Leibniz, ein Zeitgenosse und Mitarbeiter Colberts, dafür, die Bedingungen für Frieden und Entwicklung auf dem gesamten eurasischen Kontinent zu schaffen.

Was ist sein Grand Design, sein großer Entwurf? Ein Bündnis zwischen Europa und China, den entwickeltsten Gebieten der damaligen Welt, durch das das dazwischen gelegene Rußland durch die Steigerung des kulturellen und wirtschaftlichen Austauschs zwischen den beiden Fortschritte macht. Die Beziehungen zwischen den Nationen sind heute nicht die gleichen, aber das Prinzip ist dasselbe.

Diesen Entwurf präsentiert Leibniz in poetischer Weise im Vorwort zu seinem Werk Novissima Sinica – Neuigkeiten aus China -, in dem er sagt: „Durch einzigartige Entscheidung des Schicksals, wie ich glaube, ist es dahin gekommen, daß die höchste Kultur und die höchste technische Zivilisation der Menschheit heute gleichsam gesammelt sind an zwei äußersten Enden unseres Kontinents, in Europa und China, das gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der Erde ziert. Vielleicht verfolgt die höchste Vorsehung dabei das Ziel – während die zivilisierten und gleichzeitig am weitesten voneinander entfernten Völker sich die Arme entgegenstrecken – alles, was sich dazwischen befindet, allmählich zu einem vernunftgemäßen Leben zu führen.“ Und Leibniz fügt hinzu, daß Zar Peter der Große diesem Projekt geneigt sei, und darin vom orthodoxen Patriarchen unterstützt werde.

Leibniz hatte das große Glück, daß sich damals sowohl Zar Peter der Große als auch der chinesische Kaiser Kangxi für Europa öffneten und einen „großen Eifer zeigen, ihren Ländern die Kenntnis der Wissenschaften und der europäischen Kultur zu bringen.“

Nachdem er jahrelang daran gearbeitet hatte, eine gute Beziehung zu diesen beiden Staatsoberhäuptern aufzubauen, versuchte Leibniz, in seiner Funktion als Fürstenberater, den Gang der Geschichte zu verändern. Er traf dreimal (1711, 1712, 1716) mit Peter dem Großen zusammen und wurde dessen Berater. Der Zar hatte ihn um Hilfe gebeten, „sein Volk aus der Barbarei zu führen“. Zu Kangxi hatte er keine direkten Beziehungen, sondern über eine Gruppe jesuitischer Missionare, die seit 100 Jahren in China wirkten und denen es dank ihrer wissenschaftlichen Kenntnisse gelungen war, das Vertrauen der Kaiser und insbesondere Kangxis zu gewinnen, der damals regierte. Leibniz stand in Briefkontakt mit vielen dieser Jesuiten und regte selbst die Mission von fünf jesuitischen Missionaren an, die 1685 nach China aufbrachen, um mit Kangxi zusammenzuarbeiten.

Fortschritt nach Rußland bringen

Alle Memoranden über diesen leidenschaftlichen Dialog zwischen Leibniz und Peter dem Großen und seinen Beratern sind heute vollständig zugänglich, dank der gesammelten Werke von Leibniz, die von Fouchier de Careil zusammengestellt wurden.

Im Mittelpunkt seiner Vorschläge stand, „alle aktiven und fähigen Männer aller Berufe heranzuziehen“, seine Untertanen auszubilden, insbesondere die Jugend, und sie zu lehren, „kreativ zu sein“, indem man die großen Entdeckungen der Vergangenheit nachvollzieht; die Beschreibungen aller Künste und Wissenschaften ins Russische zu übersetzen, überall Schulen aufzubauen und in den größten Städten, wie Moskau, St. Petersburg, Kiew und Astrachan wissenschaftliche Akademien aufzubauen; überall Bibliotheken und Observatorien zu gründen, und Laboratorien, um Maschinen zu bauen.

Schon ein Jahrhundert vor den Briten riet Leibniz, der die Bemühungen der Pariser Akademie der Wissenschaften, Wärmekraftmaschinen zu entwickeln, unterstützte, den Russen, ein Laboratorium zu schaffen, in dem gute Chemiker und Pyrotechniker den Gebrauch des Feuers für die Arbeit in den Minen, für die Metallverarbeitung, Gießereien, Glasfabriken und sogar für die Artillerie studieren sollten. Wie ein moderner Prometheus sagte er: „Das Feuer muß als der mächtigste Schlüssel zu den Körpern betrachtet werden.“

In Bezug auf die Infrastruktur riet er ihnen, darüber nachzudenken, was man für die Flüsse und die Landesplanung tun könne – über die Wolga (die durch einen Kanal mit dem Don verbinden werden könne) und die Verbesserung der Schiffbarkeit des Dnjepr und des Irtysch, und Kanäle zu bauen, sowohl als Verkehrswege als auch zur Trockenlegung der Sümpfe.

Ein „Austausch des Lichts“ mit China

Leibniz Arbeiten über China sind auch ein schönes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Nationen, die die besten Traditionen respektieren, von dem die Zauberlehrlinge der Farbenrevolutionen im Westen viel lernen könnten.

In seinen Novissima Sinica vergleicht er die relativen Verdienste der chinesischen und der europäischen Kultur, und stellt sie fast auf die gleiche Stufe. „China“, sagt er, „ ist ein großes Reich, das dem kultivierten Europa an Ausdehnung nicht nachsteht und es an Einwohnern und guter politischer Ordnung sogar übertrifft.“

Europa hingegen sei überlegen, wenn es um die Kenntnis von Formen geht, die den Geist von der Materie unterscheiden, wie etwa die Metaphysik und die Geometrie. Die Jesuiten arbeiteten daran, dies zu beheben, indem sie Geometrie, Astronomie und Mechanik unterrichteten – ein Beispiel dafür ist das von Pater Verbiest, dem Lehrer des jungen Kangxi, erfundene Dampffahrzeug -, und indem sie anderen große Bauprojekte unterstützten.

Aber vor allem war Leibniz beeindruckt von der Alltagsweisheit der Chinesen: „Wenn wir daher in den handwerklichen Fertigkeiten ebenbürtig und in den theoretischen Wissenschaften überlegen sind, so sind wir aber sicherlich unterlegen – was zu bekennen ich mich beinahe schäme – auf dem Gebiet der praktischen Philosophie, ich meine: in den Lehren der Ethik und Politik, die auf das Leben und die täglichen Gewohnheiten der Menschen selbst ausgerichtet sind.“ Man wisse gar nicht, was man sagen solle über die wunderbare Ordnung, die den Gesetzen anderer Nationen überlegen sei und nach denen sich die Chinesen in allen Dingen um der öffentlichen Ruhe und der Beziehungen zwischen den Menschen willen richten.

Diese Kultur der Weisheit und der Harmonie zwischen dem täglichen Leben, dem politischen Leben und dem Kosmos war das Erbe der Philosophie des Konfuzius (551-479 v. Chr.), bereichert durch andere philosophische Traditionen. Erinnern wir uns an die Tatsache, daß China schon im 11. Jahrhundert die Perspektive entdeckte und daß der große Kunsthistoriker Guo Ruoxu im Jahr 1074 schrieb: „Wenn der geistige Wert einer Person gehoben wird, folgt daraus, daß auch die innere Resonanz dadurch erhoben wird und daß das Gemälde dann notwendigerweise voller Leben und Bewegung ist (shendong) Man kann sagen, daß es auf den höchsten Ebenen des geistigen mit der Quintessenz konkurrieren kann.“

Im Gegensatz zur Mehrheit der religiösen Orden und Vikare des Papstes, die versuchen wollten, China mit Gewalt zu christianisieren, was am Ende zum Scheitern des Leibnizschen Projektes führte, unterstützte Leibniz den ökumenischen Dialog der Jesuiten, und nach einem gründlichen Studium des Konfuzianismus kam er zu dem Schluß, daß ein Dialog auf Augenhöhe zwischen der natürlichen Theologie des Konfuzius hergestellt werden könne, aber nicht mit dem geoffenbarten Christentum, sondern mit der christischen Metaphysik.

Die Mission der französischen jesuitischen Mathematiker

Kommen wir zum Schluß, um diejenigen, die uns regieren, immer wieder an die besten Traditionen unserer Außenpolitik zu erinnern, auf die Mission der fünf jesuitischen Missionare zurück, die 1688 nach China aufbrachen, was dazu beigetragen hat, schon vor 300 Jahren die besondere Partnerschaft Frankreichs zu diesem Land aufzubauen.

Diese Jesuiten waren die Gesandten einer Arbeitsgruppe, die von Jean Baptiste Colbert an der Akademie der Wissenschaften in Paris unter dem Direktor des Observatoriums von Paris, Jean Dominique Cassini, gebildet worden war. Das Ziel dieser Gruppe war es, mit Hilfe der Astronomie korrekte geographische Karten zu erstellen und das große wissenschaftliche und praktische Unternehmen jener Zeit zu bewältigen, nämlich, die Längenbestimmung für die Hochseeschiffahrt.

Für diese Untersuchungen war es notwendig, Wissenschaftler in verschiedene Teile der Welt zu entsenden, um so viele Daten wie möglich zu sammeln. Die Mission der fünf französischen Jesuiten in China war es, die Reisen der Akademiemitglieder Jean Picard nach Uraniborg in Dänemark, von Jean Riché nach Cayenne, von Varin zur Gorée-Insel und den Antillen zu ergänzen, die dem gleichen Ziel dienten.

Leibniz und Colbert veranlaßten diese Reise für eine Frage, die Leibniz brennend interessierte. In seiner Korrespondenz über Rußland beschreibt er dieses wissenschaftliche Projekt im Detail und bezeichnet es als eine seiner drei Prioritäten. Er ruft dazu auf, solche Experimente auch in Rußland durchzuführen, insbesondere in der Nähe des Nordpols. Die Leitung dieses Teams wurde Vater Fontaney anvertraut, der bereits mit anderen prominenten Akademikern wie dem dänischen Wissenschaftler Ole Römer und Christian Huyghens, der die Akademie leitete, zusammenarbeitete.

Als sie 1685 nach China geschickt wurden, führten die Jesuiten in ihren Koffern die von Cassini erstellten Tabellen für die Monde des Jupiters mit sich, sowie etwa 30 Instrumente, darunter die modernsten ihrer Zeit, wie z.B. zwei Geräte von Ole Römer: ein mechanisches Planetarium, das dank besonderer Federn zu jeder gegebenen Stunde alle Bewegungen der Planeten und der Sterne anzeigen konnte, und ein Eklipsorium, mit dem man das Jahr, den Monat oder Teil des Monats bestimmen konnte, in dem es zu Sonnen- oder Mondfinsternissen kommen würde.

Wenn Leibniz über die Korruption im damaligen Europa so verzweifelt war, daß er vorschlug, „daß man Missionare der Chinesen zu uns schickt, die uns Anwendung und Praxis einer natürlichen Theologie lehren könnten“, was würde er dann über die heutige Lage sagen?

Im vergleich zu China, das gewaltige Fortschritte gemacht hat, und Rußland, das seinen Weltmachtstatus zurückgewonnen hat, spielt Europa heute die Rolle des kranken Mannes. Ich denke aber, daß das Aufkommen der Neuen Seidenstraße, der BRICS und der Eurasischen Union einen Aufschwung auch in Frankreich und Europa provozieren kann. Am Rande des Abgrunds, Am Abgrund eines neuen Weltkrieges, muß Frankreich seinen Traum der Freiheit schleunigst erneuern, und diese Entwicklungen als Hebel nutzen, um wieder ein Europa der Vaterländer mit größeren Fortschritten in den Wissenschaften, den Küsten und für seine Völker aufzubauen.

Eine solche Änderung wird von dem abhängen, was wir auf dieser Konferenz tun!

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