Adeline Djeutie
selbständige Beraterin, Wien
Tragfähige Energieentwicklung in den Entwicklungs- und Schwellenländern: Welche Rolle könnte die Kernenergie spielen?
Vielen Dank, guten Tag. Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut und Frau Zepp-LaRouche für diese Einladung danken. Ich muß sagen, es ist tatsächlich das erste Mal, daß ich die Möglichkeit habe, an einem so interessanten Austausch teilzunehmen. Legen Sie mir das nicht zur Last, denn ich bin eher gewohnt, an politischen und diplomatischen Treffen teilzunehmen. Es ist deshalb sehr, sehr interessant, die Gelegenheit zu haben, andere Darstellungen zu hören und in diesem Sinn an einer Diskussion über Entwicklung teilzunehmen.
Ich würde sagen, der Grund, warum wir die Rolle der Kernkraft in der Entwicklung betrachten, ist sehr einfach. Ich denke, wir sind uns hier alle einig, daß die Welt an einen Punkt gekommen ist, wo wir das Paradigma ändern müssen, und daß die internationale Gemeinschaft gemeinsam die neuen Verbindungen schaffen sollte, um sicherzustellen, daß die Grundwerte, auf denen die Vereinten Nationen begründet wurden, erhalten bleiben. Diese Werte sind die Freiheit von Furcht, die Freiheit von Not, die Freiheit der Rede und die Freiheit des Glaubens für alle Menschen.
Bei allem, was wir ersehen können, was auf der Welt geschieht, vor allem in den Entwicklungsländern, könnte ich das, was hier bisher gesagt wurde, nicht stärker betonen: Die Unsicherheit und politische Instabilität wächst, und in den Entwicklungsländern grassiert die Not. Perspektivlosigkeit und Ablehnung des politischen Establishments durch viele Menschen führen zu globaler Unsicherheit, wie wir an einer beispiellosen Welle von Flüchtlingen, des Terrorismus usw. sehen können. Tatsache ist, daß der internationale Frieden nicht garantiert werden kann, wenn so viele Menschen im Elend gelassen werden. Länder müssen sich entwickeln, damit sie auf eigenen Füßen stehen können, und entweder versuchen wir, gemeinsam zu überleben, oder wir werden gemeinsam untergehen.
Es ist daher an der Zeit, realistische Alternativen in der internationalen Entwicklungspolitik zu untersuchen, die funktionieren. Aber es gibt keine Entwicklung ohne Energie. Die Energie spielt, wie wir alle wissen, eine entscheidende Rolle in der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Tatsächlich gibt es keinen Weg, die Armut zu lindern, wenn es keine dauerhafte Energieversorgung gibt. Energie trägt zur Verbesserung der sozialen Bedingungen bei, wie Gesundheit, Bildung,
Nahrungsmittel und anständiges Leben, und zur wirtschaftlichen Entwicklung, wozu die Entwicklung des privaten Sektors, Investitionen, Beschäftigung, Industrialisierung, Innovationen etc. gehören.
Aber viele Länder sind immer noch nicht in der Lage, den Energiebedarf ihrer Länder zu decken, und damit die notwendigen Bedingungen zu schaffen, die eine wirksame Entwicklung in Gang setzen und die Armut beseitigen werden.
Vorurteile
Ich bin mir ziemlich sicher, daß viele von Ihnen überrascht die Augenbrauen hochgezogen haben, als Sie im Titel dieses Vortrags gelesen haben: „Kernkraft in Entwicklungsländern“. Das würde mich nicht überraschen, denn oft werden diese beiden Begriffe als ein Widerspruch betrachtet.
Ich will Ihnen etwas erzählen, was mich immer amüsiert hat, als ich noch bei der IAEA gearbeitet habe. Wenn ich Gelegenheit hatte, mit Leuten zu reden und über Entwicklungsfragen zu sprechen, dann waren sie immer ganz enthusiastisch – bis ich Ihnen sagte: „Übrigens ich arbeite im Nuklearsektor.“ Dann reagierten sie plötzlich, als sei ich radioaktiv! (Lachen.) Aber all das hat eine Erklärung, und ich denke, es gibt drei wesentliche Punkte, die ich hier hervorheben möchte und die ihnen helfen werden, die Dinge etwas anders zu sehen.
Der erste Punkt ist, daß es der internationalen Entwicklungsagenda mit der vorgeschlagenen Energiepolitik und deren Umsetzung nicht gelungen ist, dem Energiebedarf und den Ansprüchen einiger Länder gerecht zu werden. Es gibt viele Initiativen, die von der internationalen Gemeinschaft in diesem Bereich unternommen wurden – es gibt die nachhaltigen Entwicklungsziele, es gibt die Milleniums-Entwicklungsziele, und es gibt eine Reihe von Initiativen, die den Ländern helfen sollen, sich zu entwickeln und ihre nationale, nachhaltige Energiepolitik umzusetzen. Aber bisher haben wir keine konkreten Beispiele, wo eine solche Politik Erfolg hatte.
Zudem möchte ich betonen, daß die bisherige Politik die Entwicklung der sogenannten traditionellen Energiequellen gefördert hat. Dabei gab es nur Stückwerk an Unterstützung, die die Mitgliedsstaaten erhielten – man baute eine kleine Anlage hier oder da in einem Dorf, aber das ist kein nachhaltiger Weg, um die Energieprobleme dieser Länder zu lösen.
Entwicklung und Energiebedarf
Die zweite Frage, mit der wir es bei der Untersuchung anderer Optionen zu tun haben, ist, daß der Energiebedarf mit dem Bevölkerungswachstum wächst. Nach gegenwärtigen Schätzungen haben jetzt 1,4 Mrd. Menschen keinen Zugang zu Energie, die meisten davon in den Entwicklungsländern. Und wir wissen, daß die Weltbevölkerung nach der Wachstumsprognose der Vereinten Nationen von 6,7 Mrd. 2011 auf 8,7 Mrd. 2035 zunehmen wird, wodurch die Belastung wachsen und der Energiebedarf deutlich zunehmen wird. Das sind die Fakten, die wir berücksichtigen müssen. Wenn Länder schon heute nicht in der Lage sind, den jetzigen Energiebedarf ihrer Bevölkerung zu decken, was wird dann geschehen, wenn bis 2030 keine drastische Lösung gefunden wird? Das sind die wesentlichen Zahlen, die wir im Kopf haben müssen. Und was es noch komplizierter macht, ist, daß über 70% dieses zusätzlichen Bedarfs in Entwicklungsländern mit China und Indien an der Spitze erwartet wird.
Seltsamerweise stellen wir in Gebieten wie Afrika, wo der Energiebedarf ganz schrecklich ist, fest, daß der Energiemangel keineswegs Ausdruck des bestehenden Rohstoffpotentials in vielen Ländern ist. Afrika verfügt in der Tat über verschiedene Naturreichtümer (Öl, Gas, Sonne, Wasser, Wind, Uran usw.). Wir wissen, daß diese Ressourcen dazu beitragen können, diesen Bedarf zu decken, auch wenn es immer noch Probleme gibt. Aber nichts geschieht!
Als spezifisches Beispiel ist es in der Tat absurd, daß in der Demokratischen Republik Kongo nur 9% der Bevölkerung Zugang zu elektrischem Strom haben, während das Land über ein riesiges Wasserkraftpotential verfügt.1 Nigeria als eines der führenden ölproduzierenden Länder und
Mitglied der OPEC kann nur 55,6% seiner Bevölkerung mit Strom versorgen. Und es geht weiter mit Ländern wie Niger und Namibia, die viert- und fünftgrößten Uranförderländer, aber nur 14,4% bzw. 47,3% ihrer Bevölkerung haben Zugang zu elektrischem Strom.2 Daraus sind also einige Lehren zu ziehen, und das sind einige Fragen, aus denen wir alle lernen sollten.
Alternative Energien
Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte und der uns zu einem Paradigmawechsel zwingt, sind die neuen Umweltabkommen, die jetzt als zusätzliche Herausforderung bei der Entwicklung dieser Länder betrachtet werden. Sie alle kennen die Debatten in letzter Zeit über den Klimawandel und die jüngsten Umweltschäden, die man als Vergeltung für den menschlichen „Fußabdruck“ in der Natur bezeichnet hat; Verheerungen und Umweltkatastrophen wurden tatsächlich auf diese Änderungen zurückgeführt. Die dringende Notwendigkeit, die Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren, und die Forderungen nach einer „Vergrünung“ der Wirtschaft sind in aller Munde, und die Forderung nach Vergrünung der Wirtschaft hat einen Punkt erreicht, an dem es kein Zurück mehr gibt.
Aber sind auch alle Länder bereit, sich diese anstehenden Veränderungen zu eigen zu machen, die große Konsequenzen für die nationale Politik und die Entwicklungsbemühungen dieser Länder haben?
Man muß sehen, daß die erneuerbaren Energien, außer der Kernkraft, als alternative, saubere Energien angepriesen werden, was eine gute Sache ist. Aber wir erkennen auch, daß es heute zahlreiche finanzielle und investorische Anreize zur Energieentwicklung gibt, die alle auf diese Energieformen ausgerichtet sind, und die die Entwicklungsländer dazu auffordern, sich vorzugsweise auf die zu konzentrieren, die wir kennen, wie die Solarenergie, Geothermie, Windkraft usw.
Es ist aber klar, daß die vorgeschlagenen erneuerbaren Energien allein das Energieproblem der Entwicklungsländer nicht lösen können. Wir müssen also erneut über andere Lösungen nachdenken.
Kernkraft als Option
Kommen wir also auf die Kernkraft zurück in allen diesen Fragen, allen diesen Herausforderungen, die ich erwähnt habe: Die Kernkraft hat in den achtziger Jahren – bis Mitte der achtziger Jahre, würde ich sagen – gewissermaßen glorreiche Jahre erlebt, aber heute wird sie als obsolet dargestellt. Diese Option wird insgesamt verworfen und aus allen Diskussionen im Energiebereich weltweit herausgehalten. Wenn man einen der Geldgeber anspräche, mit denen wir traditionell reden, und ich mit ihm so redete wie hier, dann wäre der Saal am Ende meiner Rede leer! Denn niemand will hören, was ich dazu zu sagen habe.
Natürlich ist, wie Sie alle wissen, etwas geschehen, was in dieser Situation nicht hilfreich war, nämlich der Unfall von Fukushima-Daiichi 2011. Nach diesem Unfall erhoben sich viele Stimmen, die ein Ende der Ära der Kernenergie forderten. Diese Stimmen wurden sogar unter nationalen Regierungen laut. Wir verstehen, daß der Grund dafür natürlich im wesentlichen Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit dieser Technologie waren, aber ich denke, über die Sicherheitsfragen hinaus gab es auch noch einen besonderen Grund dafür, nämlich eine Kultur der Angst, die in diesem Zusammenhang geschürt wird – von Regierungen, Medien, der Wissenschaftsgemeinde, und wie sie alle erkennen, ist es weit sexyer und schicker, auf die schlimmste Seite der Kernkraft hinzuweisen als auf ihre Vorteile.
Nehmen wir ein Beispiel: Wie viele Artikel über die Kernkraft haben Sie gelesen, worin stand, was die Kernkraft für eine bessere Entwicklung leisten kann? Wenn es solche Artikel gibt, dann heißt es sofort dagegen, daß die Welt untergehen wird, weil sich dieser oder jener Reaktor aufgrund von Sicherheitsproblemen so verhalten habe. Wir müssen das Bewußtsein der Menschen heben, damit sie das notwendige Wissen haben, um diese Technologie realistisch einzuschätzen. Deshalb ist diese Debatte heute wirklich wichtig und zeitgemäß.
Ende des Nuklearzeitalters?
Ich kann zu alledem nur sagen, daß die Realität vor Ort eine ganz andere ist, aber von den Medien werden Sie darüber nichts erfahren. Niemand wird Ihnen erklären, daß es heute ganz konkret gar keine wirkliche alternative Energie gibt, die die Kernkraft auf absehbare Zeit ersetzen kann, insbesondere in den Ländern, die die Kernkraft nutzen. Außerdem ist deutlich, daß sich die Kernenergie bisher als saubere und verläßliche Energiequelle erwiesen hat – das ist eine Tatsache, das ist eindeutig erwiesen.
Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung von den derzeitigen Zahlen über die Kernkraft haben. Ende 2014 wurden etwa 435 Kernreaktoren weltweit betrieben,3 aber glauben Sie mir, diese Zahl wird sich in den kommenden Jahrzehnten verdoppeln! Sie wissen das vermutlich nicht, weil die Medien den Eindruck erwecken, daß das Nuklearzeitalter zu Ende gehe, aber die Realität vor Ort zwingt die Regierungen und die Industrie, in dieser Richtung voranzuschreiten. Ich kann Ihnen sagen: Von den 435 Reaktoren weltweit sind 99 in den USA, 58 in Frankreich, und Sie wissen, daß darüber in Frankreich heiß diskutiert wird. 48 in Japan, 34 in Rußland, usw. Neu hinzugekommen sind China mit 23, Südkorea mit 23, Indien mit 21.4 Das ist der jetzige Stand, und wir erkennen, daß dies zur Entwicklung all dieser Länder beigetragen hat.
Der Unfall in Fukushima-Daiichi hat diese Entwicklung etwas gebremst, aber er bedeutete nicht das Ende der nuklearen Ära. Wie man aus einer Studie der IAEA ersehen kann, wird sie wieder Fahrt aufnehmen.
Entschuldigen Sie, wenn ich hier mit einer gewissen Leidenschaft spreche; ich will versuchen, nicht viel mehr Zeit zu beanspruchen.
Derzeit ist eine Verschiebung im Nuklearbereich im Gang, von den traditionellen sogenannten Kernkraft-Nationen nach Ostasien, in den Nahen Osten und nach Mitteleuropa. Wir werden also eine starke Zunahme der Zahl von Kernkraftwerken in diesen Ländern erleben. Der Grund dafür ist, die schnell wachsenden Volkswirtschaften dort zu unterstützen. Man hat natürlich auch erkannt, daß die anderen erneuerbaren Energien die Treibhausgas-Emissionen reduzieren, aber das reicht in ihrem Energiemix nicht aus. Die Kernkraft hat sich für diese Nationen als ein gangbarer Weg erwiesen.
Kernkraft in Afrika
Was nun Länder und Regionen wie Afrika angeht: Wir verstehen, daß die Kernkraft eine sehr fortgeschrittene Technologie ist. Und bitte verstehen Sie mich nicht falsch – meine Botschaft hier ist nicht, einfach zu sagen, okay, Afrika wird auf die Kernkraft setzen. Ich will nur sagen, daß die ganze Debatte verdreht ist: Die Option Kernkraft wurde gar nicht in Betracht gezogen! Es gibt Studien darüber, und ich bin der Meinung, daß sie wieder in die Debatte zurückgeholt und tatsächlich als eine machbare Energieoption für die Entwicklungsländer in Gebieten wie Afrika eingeschätzt werden muß.
Es ist bekannt, was über ein Gebiet wie Afrika gesagt wird – Afrika habe nicht die technischen Kapazitäten, um mit Technologien wie der Kernkraft oder den Sicherheitsfragen in Afrika umzugehen. Aufgrund meiner Erfahrungen bin ich da anderer Ansicht. Zunächst einmal wird ein Kernkraftprogramm nicht über Nacht umgesetzt. Für Länder oder Regionen, die ganz von vorne anfangen, wie Afrika, wird es 15 Jahre dauern, bis ein Kernkraftwerk in Betrieb geht. Was bedeutet das? In 15 Jahre hat man genug Zeit, um die Arbeitskräfte auszubilden, man hat genug Zeit, die Ressourcen zu erschließen, wenn das die Priorität eines Landes ist und wenn man das auf die internationale Tagesordnung setzt.
Zweitens ist das Paradox, wonach Entwicklungsländer wie beispielsweise Afrika nicht über die Ressourcen verfügen, gar nicht wahr! Ich bin sicher, die meisten von Ihnen sind überrascht – ich bin zum Beispiel eine Afrikanerin aus Kamerun, und ich stehe hier vor Ihnen und spreche über Fragen wie die Kernkraft. Das bedeutet, es gibt hochqualifizierte afrikanische Arbeitskräfte in der
Diaspora, und tatsächlich sind diese afrikanischen Arbeitskräfte in allen Technologie-Bereichen stark vertreten, und sie können tatsächlich einen Beitrag leisten.
Über Sicherheitsfragen haben wir hier schon gesprochen. Der größte Teil der Instabilität, die wir in diesen Ländern sehen, kommt tatsächlich von äußeren Faktoren. Wenn also die internationale Gemeinschaft beschließt, die Sicherheitsfragen anzupacken, dann sollte die Sicherheit gar kein Problem sein.
Ich hätte noch viel mehr zu sagen, aber ich will es dabei belassen. Ich werde aber sehr gerne Ihre Fragen beantworten. Vielen Dank! (Applaus.)
Anmerkungen:
1. Africa Energy Outlook 2014, IEA
2. http://data.worldbank.org/indicator/EG.ELC.ACCS.ZS
3. http://www-pub.iaea.org/books/IAEABooks/10903/Nuclear-Power-Reactors-in-the-World-2015-Edition
4. ebenda