Dean Andromidas
Executive Intelligence Review, Wiesbaden.
Ich war gerade eine Woche lang in Griechenland, wo ich als eine Art Ansprechpartner des Schiller-Instituts fungiere. Es war meine vierte Griechenlandreise in fünf Jahren. Bisher kam es mir so vor, als würde man ein Konzentrationslager besuchen: Die Menschen litten schrecklich, sie waren verzweifelt. Sie lebten unter einer Quisling-Regierung und spürten, daß die Situation hoffnungslos war.
Jetzt war es wie Stalingrad: Das Elend geht weiter, aber die Griechen haben jetzt eine vom Volk gewählte Regierung – ein Signal an die Europäer, daß sie es satt haben. Sie haben die wohl radikalste Regierung gewählt, die in den letzten 100 Jahren in einer europäischen Hauptstadt im Amt war. Das Leiden geht weiter, aber der Kampf hat begonnen, und das ist sehr, sehr wichtig.
Alle Menschen hier im Raum sollten verstehen, was ihre persönliche Verantwortung in dieser Zeit sein sollte.
Ich möchte Ihnen eine anschauliche Idee vermitteln, wie die Situation in Griechenland aussieht. Ich bin jedesmal aufs neue entsetzt; bei jedem Besuch in den letzten fünf Jahren hat sich die Situation weiter unerträglich verschlechtert. Die neue Regierung erbte eine Politik des Völkermords, die Griechenland von den EU-Institutionen auferlegt wurde. Man sieht es überall. Hier in den Zeitungen steht, daß die Arbeitslosigkeit bei 27% liege; sie beträgt aber nicht 27%, sondern 45%. Man berichtet Ihnen nicht über die 300.000 kleinen Geschäfte, die bankrott gegangen sind. Das taucht in den offiziellen Arbeitslosenzahlen nicht auf. Man muß nur nach Athen fahren und all die zugenagelten Geschäfte sehen. Das waren alles kleine Geschäfte, die Familien ernährten.
Es geht also real um 45%. Wie leben die Menschen? Oft nur mit der Rente ihrer Großeltern – bis zu zehn Personen. Die Großeltern, ihre Söhne, die Familien ihrer Söhne – drei Generationen werden von einem einzigen Haushalt unterhalten. Sie leben von einer Rente von 400 Euro im Monat; die Renten wurden um 25-45% gekürzt. Und nun fordert Brüssel, daß die Regierung die Renten einen Monat lang nicht auszahlt, damit die Schulden bedient werden können. Das ist die Situation.
Die Aussichtslosigkeit im Lande ist unerträglich. Ich habe mit ganz normalen Leuten gesprochen – Taxifahrern, Geschäftsleuten. Die Unsicherheit durchzieht alle Schichten. Der Rentner ist nicht nur darüber besorgt, ob er seine Rente bekommt, sondern auch darüber, ob er seine Medikamente bezahlen kann, die ihn am Leben halten. Die Europäische Zentralbank schneidet Griechenland die Liquidität ab, aber sie überflutet bankrotte Banken in Frankreich und Deutschland mit Geld – ohne Gegenleistung. Griechenland hingegen bekommt nichts.
Sie müssen verstehen, was es bedeutet, wenn das Bankensystem nicht liquide ist. Gesunde Unternehmen oder Hotels bekommen kein Geld, das sie für ihre täglichen Geschäfte brauchen. Ihnen wird von der EU verordnet, die Löhne auf 300 Euro pro Monat zu kürzen, um ausländische Investitionen anzulocken. Aber ausländische Investitionen bleiben aus. Wer wird es schon riskieren, jetzt in Griechenland zu investieren – bei all der Unsicherheit und angesichts der Tatsache, daß die Wirtschaft kollabiert?
Athens Geschäftsviertel – das Hauptgeschäftsviertel des Landes – sieht aus wie eine Drogenszene. Wenn man die Straßen entlang geht, sieht man, wie sich Abhängige Drogen spritzen.
Wir mußten einmal vor dem Archäologischen Museum, einem der schönsten neoklassischen Gebäude Europas, auf einen Bus warten. Ich war so gekleidet wie jetzt [in einem Anzug], doch als ich mich umsah, fiel mir auf, daß ich der einzige war, der so gekleidet war. Die griechische Nationalkleidung scheinen blaue Hosen zu sein – nicht Designer-Jeans, sondern einfache blaue Jeans, die billig sind. Wer arbeitslos ist, kann sich keine gute Kleidung leisten. Doch das sieht man nicht bloß auf den Straßen, auch die Leute in den Ministerien laufen so herum! Erst dachte ich, okay, das ist ihr Stil als linke SYRIZA-Regierung, aber nein! Das ganze Land ist verarmt!
Doch jetzt regt sich Widerstand. Die Regierung wird von der SYRIZA-Partei gestellt, die bis zum Januar 2015 nie mehr als 4% der Stimmen bekommen hatte. Jetzt stimmten das ganze Land, alle Bevölkerungsschichten, Leute der konservativen Partei genauso wie die Linken für diese Regierung, und zwar, um ein Zeichen an Brüssel, Berlin, Paris und die anderen Länder zu senden, daß es die griechische Bevölkerung satt hat.
Wenn man sich SYRIZA genauer anschaut, dann ist das keine normale „linke“ Partei, nicht der übliche sozialistische Gemischtwarenladen. Griechenland hat eine einmalige Nachkriegsgeschichte. Einige versuchen SYRIZA als Eurokommunisten hinzustellen, da viele von ihnen bei den Kommunisten waren, dann aber die traditionelle Kommunistische Partei verließen, weil diese nichts für das Land tat. Darüber hinaus waren einige ihrer Anführer, die in meinem Alter sind, als Studenten politische Gefangene. Unter der Militärdiktatur 1967-1974 waren viele, die jetzt Minister sind oder andere hohe Ämter bekleiden, ins Gefängnis geworfen worden. Sie wurden gefoltert, weil sie als Studenten gegen das Regime kämpften. Das ist etwas Einmaliges.
Widerstand
Griechenland hat eine 3.000 Jahre lange Geschichte des Widerstands. Es gab die Persischen Kriege, Kriege gegen das Osmanische Reich und gegen das Britische Empire. Und heute steht Griechenland im Krieg gegen das Britische Empire, der noch nicht vorbei ist.
Viele Griechenland-Kenner und europäische Professoren der klassischen Geschichte versuchen uns einzureden, daß die heutige griechische Bevölkerung nichts mehr mit den alten Griechen zu tun habe, nicht einmal die Sprache sei mehr die gleiche. Wenn man das heute einem Griechen zu erklären versucht, wird er Sie am liebsten umbringen wollen. Denn die Griechische Klassik gibt ihnen heute Stärke.
Die Frage des Widerstandes ist tief verwurzelt. 1942 war ein 16jähriger Junge im von den Nazis besetzten Athen auf die Akropolis geklettert und hatte die Naziflagge heruntergeholt. Mit dieser Tat begann der europäische Widerstand. Dieser Junge ist jetzt 90 Jahre alt und sitzt für die SYRIZA im Europaparlament.
Das ist die Natur des Widerstandes. Alle machen mit. Es ist ein Widerstand von Menschen aller Altersgruppen. Vor allem Leute im Ruhestand, die einmal für die Regierung oder in der Politik tätig waren, aber sich vor der Krise nicht engagiert hatten, kämpfen jetzt den Kampf ihres Lebens. Ich habe mit diesen Leuten gesprochen. Viele von ihnen sind 70 Jahre und älter, wie der ehemalige Botschafter Chrysanthopoulos, ein pensionierter Diplomat. Er mußte sein Auto verkaufen, aus seiner Wohnung ausziehen und wieder in sein Haus auf dem Land zurückkehren; doch er kämpft. Und es gibt viele mehr. Also der Widerstand ist da.
Noch ein weiterer Widerstandskämpfer, Mikis Theodorakis, ist sehr wichtig, denn er verkörpert eine Tradition, die die Leute heute in ihrem Kampf motiviert. Mikis Theodorakis, falls Sie den Namen nicht kennen, ist der berühmteste moderne Komponist Griechenlands. Er wird demnächst seinen 90. Geburtstag feiern. Er ist sehr krank, denn die Wunden, die ihm durch Folter wegen seines Widerstandes während des Krieges, während des Bürgerkrieges in den 40er Jahren und während der Militär-Junta in den 60er und 70er Jahren zugefügt wurden, haben seine Gesundheit ruiniert, und er kann nicht mehr so aktiv sein.
Aber dieser Mann ist eine lebende Legende, ein Symbol des Kampfes. Er schuf in den 50ern und 60ern eine neue Musik. Dazu verwendete er die sehr bewegenden Gedichte moderner griechischer Dichter, viele von ihnen Nobelpreis-Träger, die die Bürgerkriege und die Nazibesatzung erlebt hatten, und vertonte sie. Mit Hilfe dieser Musik begann er in den 50er und 60er Jahren die Bevölkerung politisch zu mobilisieren. Und viele junge Leute, die Teil dieser Bewegung waren, sind jetzt in der Regierung. Also der Widerstand ist da.
Bei meiner Ankunft nahm ich ein Taxi. Ich spreche immer mit den Taxifahrern, da ich selbst einmal einer war und mich mit ihnen solidarisch fühle, und sie kennen die lokale Situation. Ich fragte ihn: „Was denken Sie über die neue Regierung?“ Er sagte: „Die Regierung bemüht sich.“ Und weiter: „Wissen Sie, wir fühlen uns nicht als ein Teil Europas; wir fühlen, daß uns Europa gehört. Wir Griechen haben Europa geschaffen.“ Das ist die Einstellung, die sie haben.
Einer meiner Freunde in Griechenland ist Ingenieur. Dort werden jetzt alle massiv besteuert. Die Ungeborenen werden besteuert, die Arbeitslosen werden besteuert, und wenn Sie Kinder haben, zahlen Sie höhere Steuern.
Er sagte zu mir: „Wir Ingenieure zahlen Steuern“ – trotz der Tatsache, daß viele nicht arbeiten, aber sie gelten als unabhängige Berater. Viele von ihnen haben Steuerschulden. Er sagte zu mir: „Wir treffen uns im Ingenieur-Verband, doch wir sitzen da nicht herum und beschweren uns; wir diskutieren die jetzige Krise vom Standpunkt von Sokrates und Platon, um deren Konzepte anzuwenden und die Krise durchzukämpfen.“
Was getan werden kann
Lassen Sie mich folgendes hier hinzufügen. Bevor ich nach Griechenland fuhr, fragte ich mich natürlich: „Was soll ich den Leuten sagen?“ Soll ich ihnen sagen: „Schaut, es ist die Finanzoligarchie“? Ich denke, Sie wissen das schon. Soll ich ihnen sagen: „Ihr müßt das Glass-Steagall-Trennbankensystem einführen!“? Glass-Steagall ist schon Teil ihres Programms; die meisten Leute würden die Banker am liebsten aufhängen. Soll ich ihnen sagen: „Arbeitet mit den BRICS zusammen“? Sie haben sich bereits den BRICS angeschlossen. In gewisser Hinsicht sind sie mehr für die BRCIS, als die BRCIS für sie sind. Sie wissen all das, sie handeln bereits danach.
Ich werde ihnen nicht sagen: „Verlaßt doch einfach die Eurozone!“ Warum sollte Griechenland, das schwächste aller Länder, die schwierigste Aufgabe von allen übernehmen? Griechenland ist nicht Deutschland oder Frankreich. Es hat nicht die Ressourcen, diese Verantwortung jetzt zu übernehmen. Man könnte auch raten: „Ihr solltet eine Nationalbank gründen“ und so weiter – aber sie brauchen Importe. Wer soll die Medikamente bezahlen, die sie importieren müssen?
Als politischer Aktivist und Repräsentant einer politischen Bewegung in Europa und den USA sagte ich ihnen, was wir in dieser Lage tun, wie wir diesen Krieg führen. Denn es ist ein Krieg. Die Griechen stehen derzeit, wie man im Militär sagt, an vorderster Front; sie haben eine Mission, sie bekamen diese Mission von einem Befehlshaber, der über uns allen steht, und sie führen diese aus. Sie kennen ihre Verantwortung und übernehmen ihre Verantwortung.
Wie unter solchen Umständen am angebrachtesten, übermittelte ich ihnen die Ideen und Analysen von Lyndon LaRouche, dem Gründer dieser Organisation, der ein außerordentliches Verständnis der jetzigen Situation hat, vor allem was die USA angeht.
In den USA, sagt LaRouche explizit, müssen wir das Glass-Steagall-Gesetz durchsetzen – wir waren diejenigen, die diese Bewegung in Gang gebracht haben -, und wir müssen uns den BRICS anschließen, auch dafür haben wir mobilisiert. Jetzt gibt es einen wichtigen Durchbruch mit dem ehemaligen Gouverneur von Maryland, Martin O’Malley, der seine Präsidentschaftskandidatur erklärt hat. Nach LaRouches Auffassung sei O’Malley im Moment der einzig kompetente Kandidat, weil er Glass-Steagall und die Wall Street zum Hauptthema seiner Kampagne macht.
Ich erzählte ihnen, daß wir nicht Wahlkampf für O’Malley führen, sondern dafür sorgen, daß das erforderliche Umfeld einer neuen Präsidentschaft entsteht, um die Probleme zu lösen, mit denen wir heute konfrontiert sind; das sei die beste Methode, um jemanden mit Qualifikationen wie O’Malley ins Weiße Haus zu bekommen.
Ich sagte ihnen, daß Griechenland handeln müsse, um diese Entwicklung zu beeinflussen und die Veränderung zu schaffen. Denn wenn in den USA die Wende geschafft werden kann, dann haben wir die Macht, die Politik in Europa zu ändern.
Diejenigen, die der griechischen Regierung am nächsten stehen, haben das sofort verstanden. In ihrem Denken gibt es daran keinen Zweifel. Sie sagten: „Sie haben völlig Recht, so müssen wir handeln.“
Was können Sie hier im Publikum zu diesem Kampf beigetragen, um die bösartige Oligarchie zu zerstören, die für die Situation in Griechenland verantwortlich ist? Denn die Krise wird sich in ganz Europa ausbreiten, wenn wir die Oligarchie nicht stoppen. So müssen wir denken und handeln.
In Griechenland gibt es einen berühmten, von allen geliebten Schriftsteller namens Nikos Kazantzakis, der in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gewirkt hat. Auf seinem Grabstein steht: „Ich fürchte nichts, ich hoffe auf nichts, und deswegen bin ich frei.“ Der Punkt ist: Ich handle, weil ich handeln muß. Ich fürchte nichts, weil ich handeln muß. Ich handle nicht notwendigerweise aus der Hoffnung heraus, daß eine Veränderung kommen wird, sondern ich handle aus meiner Menschlichkeit heraus.
Das ist die Einstellung, die viele Griechen jetzt haben. Und das ist die Einstellung, die wir brauchen, wenn wir diesen Raum verlassen. Handeln wir, wie ich es sagte, um die Finanzoligarchie zu zerstören.
Unsere Waffe gegen die Oligarchie ist das Glass-Steagall-Trennbankensystem. Unsere Verbündeten sind die BRICS, und unsere Kraft sind die Ideen, die wir entwickeln können, um die Menschheit zu retten – nicht nur im Augenblick, sondern auch in 50, 100 oder 200 Jahren.
Das ist es, worum es in Griechenland wirklich geht.