Sehen Sie hier die Rede von Marcelo Muñoz (Spanien), Gründer und emeritierter Präsident von Cátedra China, Vorstand der spanischen Geschäftsleute in China im Rahmen der internationalen Internet-Konferenz „Kriegstreiberei bis zum Armageddon oder ein neues Paradigma souveräner Nationen, geeint durch die gemeinsamen Ziele der Menschheit?“
OBOR, ein Projekt für das 21. Jahrhundert
Von Marcelo Muñoz
Ein Gürtel, eine Straße (One Belt, One Road: OBOR) ist der Name, den China dem Projekt gegeben hat, das 2013 gestartet wurde und dessen erste Phase 2049 abgeschlossen sein soll. Aufgrund seiner außerordentlichen Bedeutung werden wir einige seiner Merkmale aufzeigen.
1. Es handelt sich um ein mittel- bis langfristiges Projekt, was in unserer westlichen Geschichte nicht sehr häufig vorkommt, zumindest nicht in der heutigen Zeit, in der bei allem Kurzfristigkeit vorherrscht. In der Geschichte Chinas hingegen ist das sehr häufig. Die Große Mauer wurde über einen Zeitraum von 2000 Jahren und fast 20 Dynastien gebaut. Der Kaiserkanal ist noch heute, 14 Jahrhunderte später, der längste künstliche Kanal der Welt. Und in der Neuzeit gibt es den Drei-Schluchten-Damm oder das Süd-Nord-Wassertransferprojekt, das im Himalaja beginnt und drei Kanäle mit einer Länge von jeweils 1000 km hat, von denen der letzte 2050 eingeweiht wird!
Das ist eines der grundlegenden Merkmale der konfuzianischen Philosophie, das die gesamte chinesische Zivilisation durchzieht: die Berücksichtigung früherer und zukünftiger Generationen als historische Kontinuität des Menschen in der Gesellschaft. Die aufeinanderfolgenden Dynastien und die gegenwärtige chinesische Regierung haben mit dieser konfuzianischen Perspektive regiert: regieren für die nächsten Generationen. Dieses Projekt – Ein Gürtel, eine Straße – hat eine solche Reichweite: Es durchdringt, wie wir sehen werden, das gesamte 21. Jahrhundert.
2. Es ist das Projekt des Wiederaufstiegs Chinas. Ja, China erwacht wieder zu einer unentbehrlichen Macht. Denn es war bereits seit 2000 Jahren oft die erste wirtschaftliche und technologische Macht, wie die detaillierten Studien von A. Maddison und J. Needham zeigen. Und jetzt kehrt es in das internationale Konzert (oder Miß-Konzert) der Mächte zurück, und es kehrt zurück, um zu bleiben.
Dieses Projekt soll Ausdruck des Gewichts Chinas in der gegenwärtigen Welt sein, ohne Aggressivität oder Zwang: ein Projekt, das allen Ländern offen steht, die freiwillig beitreten oder sich beteiligen wollen, egal auf welcher Ebene. Tatsächlich haben bereits mehr als 130 Länder die Beitrittsabkommen unterzeichnet, darunter mehrere in der Europäischen Union – mit der weit verbreiteten Hoffnung, daß die Europäische Union selbst unterschreiben wird, trotz des starken Drucks der Trump-Administration dagegen. Weder die USA noch Japan oder Indien sind beigetreten. Aber das Projekt geht weiter: Tatsächlich wurden in nur sieben Jahren seines Bestehens bereits rund sechs Billionen Dollar in verschiedene Vorhaben investiert.
3. OBOR ist das Projekt der Neuen Seidenstraße. Die historische Seidenstraße war über 1600 Jahre lang die meistbefahrene Handelsroute für Menschen und Waren in der bekannten Welt, mit 15.000 Kilometern Land- und etwa 20.000 Kilometern Seeweg: nach ganz Asien, Indien, Arabien, Persien, Afghanistan, Bagdad, Damaskus, Byzanz, nach ganz Europa, Westafrika, Indonesien. Analog können wir sagen, daß sie 16 Jahrhunderte lang, vom 2. Jahrhundert v.Chr. bis zum 14. Jh. n.Chr., eine „globale“ Handelsroute war. So sehr, daß das Reich der Mitte während dieser Epochen das Königreich mit dem größten internationalen Handelsvolumen war. Eine kuriose Tatsache: Im Jahr 75 v. Chr. erschien Julius Cäsar im römischen Theater, gekleidet in eine Tunika aus Seide, die aus China gekommen war.
Aber es war nicht nur eine Handelsroute, sondern auch eine kulturelle Route. Im Laufe dieser Jahrhunderte reisten verschiedene Kulturen, Philosophien, Religionen und Traditionen mit auf ihren Wegen, wie das Mosaik der 56 in China verbliebenen ethnischen Gruppen zeigt.
Die Neue Seidenstraße taucht mit all dem wirtschaftlichen, technologischen, kulturellen und globalen Potential wieder auf, das das 21. Jahrhundert bietet. Ihr Ziel ist die totale Verbindung zwischen Nationen und Blöcken. Zuallererst die Verbindung der Land- und Seewege, aber auch digitale Konnektivität, kulturelle Energie, wirtschaftliche, politische und ökologische Verbundenheit. Mit anderen Worten: China bietet sein gesamtes aufkommendes Potential für Zusammenarbeit, gemeinsame Investitionen und Dialog mit allen Ländern und Blöcken, ohne Konfrontation oder Zwang.
Was die Verbindung zu Land, zur See und in Häfen anbelangt, so wurden mehr als 50 Projekte und Korridore in China, Asien, Rußland, Europa, Südostasien, Lateinamerika und Afrika – einige unter Nutzung bestehender Verkehrsnetze – sowie eine Vielzahl von Seerouten auf allen Weltmeeren in Angriff genommen oder sind bereits in Betrieb.
Mittelfristig gibt es Pläne – wenn auch noch keine konkreten Projektpläne – für einen Tunnel unter der Beringstraße, der das gesamte asiatische Landnetzwerk mit dem panamerikanischen Netzwerk verbinden würde; für einen Tunnel unter der Straße von Gibraltar, der das europäische und das afrikanische Netzwerk verbinden würde; und für eine Reihe weiterer Tunnel unter dem Meer.
Die digitale Konnektivität hat mit verschiedenen Teilabkommen zwischen den Ländern erst begonnen. Ihr Potential basiert auf dem Ausbau von 5G – der durch den Widerstand der Trump-Administration stark gebremst wurde -, auf Quanteninformationen, die China entwickelt, und auf Chinas starken sozialen Netzwerken.
Auch die kulturelle Verbindung zwischen Regierungen, Institutionen und Universitäten ist auf dem Vormarsch, ebenso wie die wirtschaftliche, ökologische und energetische Vernetzung mit bilateralen und regionalen Abkommen.
Die politische Vernetzung basiert auf Abkommen mit der ASEAN, der SOZ [Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit], dem China-Afrika-Forum, Gipfeltreffen mit der Europäischen Union und Dutzenden anderer multilateraler Institutionen.
Und das gesamte Programm wird durch die Finanzierung von etwa 20 großen internationalen Banken und Fonds, deren Vermögen 15 Billionen Dollar übersteigt, tragfähig gemacht. Ganz zu schweigen davon, daß die bisher bereits erfolgten Auszahlungen in konkrete laufende Projekte über 6 Billionen Dollar betragen.
4. Dies ist das Projekt, das Chinas globale Präsenz zum Ausdruck bringt. China ist als Weltmacht wieder aufgetaucht: Es ist „wieder da“, um solide und stabil im internationalen Konzert zu bleiben, und es will dies in Harmonie tun, in Zusammenarbeit mit allen – offen für Verständigung und Dialog -, indem es dieses Makroprojekt der globalen Vernetzung in allen Bereichen, mit allen Ländern, Völkern und Blöcken, die es annehmen, in Gang setzt.
Dieses Programm, dieses Projekt, dieser Ansatz ist weit entfernt von dem Bild, das von einem China vermittelt wird, das anderen die Hegemonie abnehmen will. China – und dies habe ich Hunderte Male von seinen Politikern gehört – strebt weder danach, eine Supermacht zu sein, noch ist es daran interessiert, irgendeine andere Macht abzulösen. Es strebt eine Beteiligung an einer möglichen globalen Regierungsführung an, und zwar in dem Maße, wie es für seine gegenwärtige und künftige Position in der realen Welt des 21. Jahrhunderts angemessen ist. Das ist der Sinn und das Ziel des gesamten OBOR-Projekts der Neuen Seidenstraße.