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Internetkonferenz des Schiller Instituts: Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!

Internetkonferenz des Schiller Instituts: Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!

Internationale Schiller-Institut Internetkonferenz, 15. & 16. Juni 2024

Die deutsche Simultanübersetzung wird in Kürze veröffentlicht und in der Rednerliste verlinkt. Sie können sich die Videos im englischen Original hier ansehen.

Konferenzbericht: Konferenz des Schiller-Instituts zeigt den Ausweg aus der Gefahr

Von Marcia Merry Baker und Stewart Battle

Bericht lesen

Die Konferenz des internationalen Schiller-Instituts mit dem Titel „Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!“ am 15. und 16. Juni fand in einer Zeit extremer Krise statt und diente nicht nur als Plattform für eine Bestandsaufnahme der Krisenursachen, sondern auch für grundsätzliche Erklärungen zu deren Lösung. Die zweitägige Internetveranstaltung gliederte sich in vier Sitzungen mit 23 Rednern aus elf Ländern, an den Fragerunden nahmen zahlreiche Gäste aus aller Welt teil. Das vollständige Programm und die Videomitschnitte der Veranstaltung sind auf der Webseite des Schiller-Instituts abrufbar.

Im ersten Sitzungsblock wurde der Hauptpunkt der Konferenzeinladung direkt angesprochen: „Der Versuch des kollektiven Westens, nach dem Ende des Kalten Krieges die globale Vorherrschaft des neoliberalen Systems zu behaupten, ist krachend gescheitert.“ Viele Aspekte dazu wurden diskutiert, insbesondere die Inkompetenz der westlichen Politiker, ihr Mangel an Diplomatie sowie die Tatsache, daß die Europawahl eine Woche zuvor eine klare Absage an die derzeitige Politik gewesen war. Diese erste Sitzung stand unter dem Motto „Europa nach den Europawahlen“.

Warum stehen wir am Rande des Dritten Weltkriegs?

Die Gründerin des Schiller-Instituts, Helga Zepp-LaRouche, die den Hauptvortrag der Konferenz hielt, sprach eindringlich über die gegenwärtige Gefahr und fragte: „Warum stehen wir am Rande des Dritten Weltkriegs?“ Sie nannte die Gründe hierfür, wie die jüngsten von ukrainischem Gebiet aus durchgeführten Angriffe auf zwei der zehn russischen nuklearen Frühwarnanlagen und andere einschneidende Ereignisse. Tatsächlich aber, so betonte sie, „befinden wir uns am Ende einer ganzen Epoche“, nämlich der Ära des Kolonialismus und Neokolonialismus, die seit der Zeit um 1500 den Fortschritt der Menschheit behinderten. Nun sei es an der Zeit, daß wir uns vorwärts bewegen. Ein neues System sei erforderlich, und es gebe die gute Nachricht – die allerdings von den westlichen Medien unterdrückt werde –, „daß ein neues Weltsystem im Entstehen ist“. Sie erinnerte an vergangene grundlegende positive Veränderungen dank großer Persönlichkeiten wie Gottfried Leibniz (1646-1716) und Friedrich List (1789-1846) sowie Cai Yuanpei (1868-1940). Zepp-LaRouche schloß ihre Grundsatzrede mit den Worten: „Schließen wir uns der Globalen Mehrheit an!“

Die weiteren Podiumsteilnehmer aus den USA, Deutschland, Frankreich, der Schweiz, Belarus und Rußland waren sich einig, daß angesichts der aktuellen Krisen dringender Handlungsbedarf besteht, wobei sie unterschiedliche Schwerpunkte setzten und unterschiedliche Informationen lieferten. Chas Freeman, ehemaliger US-Botschafter und Experte für die amerikanisch-chinesischen Beziehungen, begann seinen Vortrag schlicht mit den Worten: „Jemand muß sich für den Frieden einsetzen.“

Zwei Sprecher aus Belarus ergänzten, was viele Stimmen für den Frieden aus Eurasien schon seit Jahren sagen. Dr. Olga Lasorkina, Vorsitzende der Abteilung für Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR), sprach davon, daß die Nationen eine „gemeinsame Basis“ finden sollten, weil wir alle auf einem Planeten leben. Im Jahr 2023 habe es 183 regionale Konflikte auf der Welt gegeben, und man müsse nach Alternativen suchen. Auf dem riesigen eurasischen Kontinent gebe es „alternative Mechanismen für die globale wirtschaftliche Entwicklung“, wie die Eurasische Wirtschaftsunion, die auf „Freundschaft und Kontinuität“ aufbaue. Ihr weißrussischer Kollege Witali Romanowskij, Chefberater der Abteilung für Außenpolitik des BISR, ging speziell auf die Rolle von Belarus bei den Friedensbemühungen der letzten Jahre für die Ukraine ein.

Die vier Redner des ersten Blocks, die einen militärischen Hintergrund haben und weiterhin mit dem Militär verbunden sind, waren sehr eindringlich. Oberst a.D. Alain Corvez aus Frankreich, ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums, zitierte Nietzsche, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, daß die Führer des Westens „dement“ seien. Sie befänden sich im Reich des Nihilismus und seien unfähig, rational zu denken. Die USA seien ein Hegemon, der nicht erkennt, daß er seine Vormachtstellung verloren hat. Corvez schloß sich dem Thema der Konferenz an und forderte eine breite Mobilisierung für einen neuen Westfälischen Frieden. Seine französische Kollegin Caroline Galactéros, Politikwissenschaftlerin und Oberst der Reserve, rief Frankreich dazu auf, sich von den USA und ihrer Kriegstreiberei zu distanzieren und sich mit denjenigen zusammenzuschließen, die sich für Stabilisierung und Sicherheit einsetzen. Man müsse „retten, was von der Ukraine noch übrig ist“.

Aus der Schweiz schilderte Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard anhand von militärischen Einzelheiten, daß „wir uns weltweit in einer Sackgasse befinden“, wie in den festgefahrenen und schrecklichen Situationen in der Ukraine oder in Gaza sichtbar sei. Das könne und müsse sich ändern.

Rainer Rupp, militärischer Geheimdienstexperte aus Deutschland, der von 1977 bis 1993 im NATO-Hauptquartier die regelmäßigen Atomkriegs-Stabsübungen „Wintex“ (Winterübungen) persönlich miterlebte, verdeutlichte die Denkweise der US-amerikanischen, britischen und anderen NATO-Führer, die keinerlei Rücksicht auf die wahrscheinlich enormen zivilen Verluste genommen hätten, wie er aus erster Hand erfuhr.

Ein zweiter Westfälischer Frieden?

Prof. Georgi Toloraja, Direktor des Zentrums für Asienstrategie am Institut für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften, griff die Aussicht auf einen positiven Ausgang der heutigen Krise auf. Er berichtete über die wichtige Rede, die Präsident Putin am 14. Juni vor Spitzenvertretern seines Außenministeriums zu Vorschlägen für die eurasische und globale Sicherheit gehalten hat. Dabei ging es um den Globalen Süden und den Globalen Osten sowie um neue Zusammenschlüsse wie die BRICS. Vergangene Woche trafen sich die Außenminister der fünf ursprünglichen BRICS-Staaten und der vier neuen Mitgliedsländer – Ägypten, Iran, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate – zum ersten Mal in Nischni Nowgorod, um eine „neue Etappe des Handelns“ zum Nutzen der ganzen Welt zu planen.

Zepp-LaRouche schlug in der Diskussion vor, verschiedene Möglichkeiten zu prüfen, wie man sich über Perspektiven und Prinzipien zur Überwindung der Krise austauschen kann. Wie wäre es mit Seminaren von Denkfabriken aus allen fünf Kontinenten? Oder auf der Ebene der Universitäten? Es herrsche ein extremer Mangel an Dialog, und das NATO-Narrativ sei bewußt darauf angelegt, jegliches Denken und Handeln zu blockieren.

Man müsse auch die individuelle Ebene berücksichtigen. Jeder Mensch müsse für sich eine Vision entwickeln, wie die Welt sein solle und was jeder einzelne dafür tun kann. „Der Krieg ist das Ergebnis einer tiefen kulturellen Krise“ des Westens. Zepp-LaRouche sieht in den nächsten drei bis sechs Monaten die gefährlichste Zeit der Geschichte. „Wir müssen einen Dialogprozeß in Gang setzen, in dem das Beste der Menschheit überall inspiriert und zum Handeln angeregt wird.“ Diesem Ziel hätten sich das Schiller-Institut und die Internationale Friedenskoalition (IPC) verschrieben.

Die Globale Mehrheit

Das zweite Panel unter dem Titel „Die Entwicklungsbestrebungen der Globalen Mehrheit“ umfaßte sechs Redner aus Südamerika, Europa und Palästina. Den Auftakt bildete ein Videoausschnitt aus einer Rede von Lyndon LaRouche, die er vor 20 Jahren, am 4. Mai 2004, auf einer Konferenz in Deutschland gehalten hatte, worin er über wirtschaftliche Entwicklung sprach. Er stellte die Idee von Entwicklungskorridoren „vom Atlantik bis zum Pazifik“ vor, die in alle Richtungen ausstrahlen – Jahre vor der Gürtel- und Straßen-Initiative des chinesischen Präsidenten Xi Jinping 2013.

Auch die erste Sitzung hatte mit einem Video LaRouches begonnen, vom Februar 2005, in dem er die Organisierung eines neuen weltwirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Rahmens anmahnte. Er sprach vom „Niedergang und Fall der US-Führung“ 1971 bis 2005 und kritisierte namentlich George Shultz, Paul Volcker, Zbigniew Brzezinski und andere.

Im zweiten Sitzungsblock gab der ehemalige Präsident von Guyana, Donald Ramotar, einen Überblick über die jahrzehntelange wirtschaftliche Ausbeutung seiner und anderer Nationen. Ein Beispiel hierfür seien die Lebensmittel in der Karibik: Die Länder dort müßten jedes Jahr 4 Milliarden Dollar für Nahrungsmittelimporte ausgeben. Das alles müsse sich ändern, und dafür sei der Aufstieg der BRICS-Staaten entscheidend. Prof. Henry Baldelomar, Professor für internationale Angelegenheiten an der Universität Núr in Santa Cruz in Bolivien, sagte: „Wir stehen jetzt an einem Scheideweg der Entwicklung für eine neue Ordnung.“ Das alte ECLAC-Modell (UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika) sei zu begrenzt für die Herausforderungen einer echten Entwicklung. Baldelomar sprach von Projekten wie dem neuen Bi-Ozeanischen Eisenbahnkorridor, der den Pazifischen und den Atlantischen Ozean verbinden soll.

Im Gegensatz zu dieser Wachstumsperspektive zeichneten die Berichte aus Europa das Bild eines unnötigen wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruchs als Folge einer destruktiven Politik. Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG in Deutschland, sprach in einem von Zepp-LaRouche geführten Interview mit dem Titel „Quo Vadis, Deutschland“ über so grundlegende Probleme wie den Mangel an Energie und deren Unbezahlbarkeit, die Beeinträchtigung von Importen und Exporten durch die Rußland-Sanktionen und vieles mehr. Der ungarische Experte Prof. Dr. Laszlo Ungvari, emeritierter Präsident der Technischen Hochschule Wildau, sprach von seiner Enttäuschung über das heutige Europa mit seinen sich selbst entwürdigenden Politikern an der Macht und einer verwirrten Jugend.

Der italienische Ökonom Michele Geraci, ehemaliger Staatssekretär im italienischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, erläuterte, was „Win-Win-Beziehungen“ zwischen den Nationen für ihre gegenseitige wirtschaftliche Entwicklung bedeuten. Er sagte: „Ihr Wohlstand und mein Wohlstand sind untrennbar miteinander verbunden.“

Der palästinensische Botschafter in Dänemark, Prof. Dr. Manuel Hassassian, begann seinen Vortrag über die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates mit der Erläuterung des „LaRouche-Konzepts“ der wirtschaftlichen Entwicklung durch den „Oasenplan“. Mit der Perspektive, Wasser, Strom und alle anderen Infrastrukturen zur Verfügung zu stellen, gebe es eine Grundlage für die Zukunft.

Die Berichte und Dialoge dieser Sitzung waren der konkrete Ausdruck einer kreativen Reaktion auf Probleme, sie wirkten wie eine Antwort auf das Musikvideo, mit dem dieser Abschnitt eröffnet worden war, dem Lied „Die beiden Grenadiere“, komponiert von Robert Schumann, Text Heinrich Heine, gesungen vom amerikanischen Baßbariton William Warfield (1920-2002). Anstelle des traurigen Bildes der Soldaten, die sich aus den Napoleonischen Kriegen nach Hause schleppen, zu ihren Gräbern gehen und nostalgisch die Erinnerung suchen, sind wir heute aufgerufen, Imperialismus und Krieg zu überwinden und eine Welt des Lebens und der Hoffnung zu schaffen.

Wissenschaft, Kultur und menschliche Kreativität

Am zweiten Konferenztag befaßte sich der dritte Sitzungsblock mit einigen der begeisternden Möglichkeiten im Bereich der Wissenschaft, deren Verwirklichung eine positive Zukunft für die Menschheit verspricht. Unter dem Titel „Die Auswirkungen der laufenden wissenschaftlichen Revolution“ sprachen vier Redner aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen aus aller Welt. Prof. Mark McMenamin, Geologe, Paläontologe und Professor am Mount Holyoke College in Massachusetts (USA), erörterte neue Erkenntnisse darüber, warum komplexes Leben auf der Erde wahrscheinlich viel älter ist als bisher angenommen, nämlich mindestens eine Milliarde Jahre.

Als nächstes sprach Francois Mellet, Wirtschaftsingenieur und Betriebsleiter von Stratek Global aus Südafrika. Mellet informierte über die Arbeit seines Unternehmens bei der Entwicklung und Förderung der Kernenergie, insbesondere der kleinen modularen Reaktoren (SMR) und der modularen Hochtemperaturreaktoren (HTMR), sowie insbesondere über das Potential der Kernenergie für die Entwicklungsländer und den Globalen Süden. Prof. Sergej Pulinez von der Russischen Akademie der Wissenschaften stellte anschließend einige seiner Arbeiten zur Erdbebenvorhersage vor und erläuterte, wie wichtig es ist, in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen neue Entdeckungen zu machen, die der Menschheit neue Einsichten und die Beherrschung der Naturprinzipien ermöglichen.

Der letzte Redner war Prof. Gennady Aksenow, ebenfalls Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, er sprach über die Bedeutung des großen russisch-ukrainischen Wissenschaftlers des 20. Jahrhunderts, Wladimir Wernadskij. Nach einer Einführung durch Bill Jones vom Schiller-Institut erläuterte Aksenow, warum Wernadskijs Arbeit bedeutende, noch nicht erkannte Auswirkungen auf unser Verständnis der Wissenschaft und der Natur hat, u.a. zum Ursprung des Lebens im Universum. Dazu gehört auch die Rolle der Erkenntniskraft (Kognition) für die Existenz des Menschen.

Alle Sprecher kamen immer wieder auf die Frage zurück, was in Bezug auf die Wissenschaft und die Auswirkungen der menschlichen Gesellschaft auf die Welt um uns herum „natürlich“ ist, und stellten auf unterschiedliche, polemische Weise viele verbreitete Vorstellungen über Umweltschutz und „natürliche Gleichgewichte“ in Frage.

Der letzte Sitzungsblock, „Der Reichtum der Kulturen der Menschheit und die kommende Goldene Renaissance“, war ein weiterer Höhepunkt. Die Sitzung befaßte sich mit den herausfordernden Themen der klassischen Kultur und der menschlichen Kreativität sowie der Frage, welche Rolle beides bei der Lösung der Krisen spielen muß, mit denen die Welt heute konfrontiert ist. Die Moderatorin Megan Dobrodt eröffnete das Panel mit einer Frage: In den ersten drei Konferenzsitzungen habe man von vielen wichtigen Persönlichkeiten über die akute Gefahr eines Atomkriegs gehört; gleichzeitig habe man aber auch von der neuen, antikolonialen Weltordnung gehört, die sich gerade herausbildet. „Es ist die Spannung zwischen diesen beiden Wahrheiten – man könnte sagen, diesen beiden Systemen, die nicht koexistieren können –, die über uns allen schwebt. Die große Frage ist: Wie kann man etwas erreichen, was wie ein Wunder erscheint? Die Antwort darauf findet sich im Prinzip im Thema dieses Blocks: das Reich der großen Kunst.“

Dann wurde ein Auszug aus einer Rede von Lyndon LaRouche vorgespielt, der darüber sprach, wie die klassische Kultur als „Waffe“ dazu beiträgt, die schöpferischen Kräfte im Geist des einzelnen zu entwickeln, und warum Menschen, die in der heutigen Welt eine Kraft für den Fortschritt sein wollen, ohne sie „verkrüppelt“ sind.

Es folgte eine Rede von Jacques Cheminade, Präsident von Solidarité et Progrès und ehemaliger Präsidentschaftskandidat in Frankreich, der über die „Kultur des Friedens“ sprach und darüber, wie wir erkennen müssen, daß die derzeitige „Kultur des Krieges“ unsere Zivilisation in den Untergang treibt. Harley Schlanger, ein langjähriges führendes Mitglied der LaRouche-Bewegung, sprach anschließend darüber, wie die öffentliche Meinung im Rahmen der gegenwärtigen hybriden Kriegskampagne der transatlantischen Oligarchen manipuliert wird, und wie man sich dagegen wehren kann, indem man die tatsächlichen Methoden der Wahrheitsfindung im eigenen Kopf versteht.

Die nächste Rednerin war Sophie Tanapura, Gründerin der Metropolitan Opera of Bangkok in Thailand. Tanapura sprach über ihre Arbeit zur Verbreitung der klassischen Musik in Thailand und darüber, wie das Singen die Menschen auf einzigartige Weise dazu herausfordert, gleichzeitig ihren Verstand und ihre Gefühle zu wecken – von dort kämen die Kräfte der Kreativität. Der letzte Redner war Karel Vereycken, Maler und Grafiker, Kunsthistoriker und Aktivist des Schiller-Instituts in Frankreich. Vereycken sprach darüber, warum die Zusammenarbeit im Bereich des kulturellen Erbes der Welt ein wichtiges Element für den Frieden ist, weil sie den Menschen hilft, in anderen Kulturen einen andersartigen, aber dennoch universellen Ausdruck der Menschlichkeit zu entdecken.

Die Podiumsteilnehmer führten anschließend eine lebhafte und anregende Diskussion, die die Zuhörer mit einem Optimismus darüber zurückließ, wie man angesichts solch extremer Herausforderungen, mit denen wir heute konfrontiert sind, sich selbst und andere mobilisieren kann. Man sollte sich die Konferenz in ihrer Gesamtheit anschauen, um sie ganz würdigen zu können, aber es kann ohne Zweifel gesagt werden, daß sie genau zum richtigen Zeitpunkt stattgefunden hat und daß sie viel dazu beitragen wird, in einer Welt, die derzeit von einer Krise epochalen Ausmaßes erschüttert wird, den Weg nach vorn zu weisen.

Panel 1: Europa nach den Europawahlen

Moderator Dennis Speed

  • Lyndon LaRouche: Ausschnitt aus einer Rede vom Februar 2005

Im Wortlaut lesen

Lyndon LaRouche, Ausschnitt aus einer Rede vom Februar 2005

Und dann kam der August 1971: Shultz, von der Chicagoer Schule. Wir bekamen die Azoren-Konferenz, das System der freien Wechselkurse, geleitet von Shultz! Kissingers Chef und der Tyrann, der dann die faschistische Diktatur von Augusto Pinochet in Chile installierte. Und dessen Bemühungen die Entfesselung einer auf den Nazis basierenden Massenmordbewegung im gesamten südlichen Kegel Südamerikas förderten: Operation Condor.

Dann kam Brzezinski, der anders ist, aber auf eine sehr seltsame Weise. Brzezinski zerstörte die physische Wirtschaft der Vereinigten Staaten durch Deregulierung. Und indem er seinen Kumpan Paul Volcker, ebenfalls ein Kumpan von Shultz, ins Boot holte, um das amerikanische Bankensystem zu zerstören.

So ging es weiter und weiter und weiter. Und die Veränderungen, die sich durchsetzten, mit Ausnahme unserer Intervention bei der SDI, die Veränderungen, die sich durchsetzten, brachten uns den Weg nach unten, schlimmer und schlimmer und schlimmer. Unter Politikern, die nicht schlecht waren, die aber mitgemacht haben. Und indem sie mitmachten, förderten sie die Degeneration der Vereinigten Staaten. Und so ging es weiter und weiter und weiter, bis zum Jahr 2000.

Der Schock kam mit der Bestätigung der Wahl von George W. Bush. Und es gab ein wenig Widerstand, vor allem von der Bürgerrechtsfraktion innerhalb des Kongresses. Aber nicht viel mehr…. Und dann kamen wir durch den Krieg, den Krieg im Nahen Osten, den Terror und das Gefühl, dass das System zusammenbricht. Und es bricht zusammen. Es bricht jetzt zusammen. Nichts kann dieses System, dieses Weltsystem, dieses System der Vereinigten Staaten, in seiner jetzigen Form retten! Das Datum des Todes dieses Systems steht noch nicht fest, aber die Unvermeidbarkeit ist es. Wenn wir als Volk in den Vereinigten Staaten uns nicht ändern – und es gibt eine Bewegung für Veränderungen – ist diese Nation am Ende!

  • Helga Zepp-LaRouche, Gründerin des Schiller-Instituts (Deutschland): „Wir sollten uns der Globalen Mehrheit anschließen!“

Rede im Wortlaut lesen

Frau Zepp-LaRouche hielt die Hauptrede auf der internationalen Konferenz des Schiller-Instituts am 15.-16. Juni; die Rede wurde aus dem Englischen übersetzt, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt. Helga Zepp-LaRouche ist Gründerin des Schiller-Instituts und Initiatorin der Internationalen Friedenskoalition (IPC).

Werte Exzellenzen, liebe Freunde des Schiller-Instituts, liebe Konferenzteilnehmer! Lassen Sie mich mit einer Perspektive beginnen, die in den Ländern des Globalen Südens, die in den letzten Jahren faktisch zur Globalen Mehrheit geworden sind, sehr bekannt ist, aber in Europa und in den Vereinigten Staaten fast unbekannt ist. Ich spreche von der Tatsache, daß ein neues Weltsystem im Entstehen begriffen ist – eine polyzentrische, harmonische Welt, eine „multinodale“ Welt. Eine Welt, die gerechter wird, in der jedes Land das Recht hat, sich zu entwickeln, seinen eigenen Entwicklungsweg zu wählen, gemäß seiner eigenen Kultur, seiner eigenen Tradition, seiner Philosophie.

Das ist bereits im Gange und in verschiedenen Formen sehr weit fortgeschritten. Es wächst zum Beispiel in Form der BRICS-Länder, die seit dem Gipfel in Johannesburg im letzten Jahr bereits von fünf auf zehn angewachsen sind. Jetzt haben 59 weitere Länder einen Beitrittsantrag gestellt, so daß es insgesamt schon fast 70 Länder sind. Dazu gehören bekanntlich China und Indien, die zusammen fast 3 Milliarden Menschen umfassen.

Wir erleben also – und ich glaube, niemand im Westen oder nur sehr wenige dort können das richtig einschätzen – das Ende einer Epoche. Damit meine ich, daß die 600 Jahre des Kolonialismus und des anschließenden Neokolonialismus, die um 1500 begannen, auch nach der Unabhängigkeit vieler Länder des sogenannten Entwicklungssektors fortbestanden. Wie Ministerpräsident Nehru und Präsident Sukarno schon auf der Konferenz von Bandung [1955] gewarnt hatten, bestand der Neokolonialismus fort in Form der Verweigerung von Entwicklungskrediten, der Handelsbedingungen und allgemein ungerechter Bedingungen. Aber in den letzten 10-12 Jahren, seit dem berühmten Gipfel in Brasilien 2014, hat die Bedeutung der BRICS immer mehr zugenommen. Sie haben eine enorme Entwicklung durchgemacht: Xi Jinpings Gürtel- und Straßen-Initiative, das enorme industrielle Wachstum vieler Schwellenländer, wie Brasilien, Indonesien, Ägypten, Nigeria, Südafrika und anderer. All dies ist natürlich zum Teil eine Folge des Aufstiegs Chinas. Es wäre unmöglich ohne den zivilisatorischen Beitrag Chinas, der ohne Beispiel und Präzedenzfall ist, denn es hat nicht nur 850 Millionen seiner eigenen Bevölkerung aus der Armut befreit, sondern dann auch anderen die Hand ausgestreckt und durch Korridore, durch Entwicklungsprojekte, durch Industrieparks den anderen Entwicklungsländern dabei geholfen, diesen Wachstumsprozess selbst zu starten.

Es lag also zum Teil am Aufstieg Chinas, zum Teil aber auch an der Gegenreaktion gegen den Versuch, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine unipolare Welt zu errichten, angeführt von den Neokonservativen in den Vereinigten Staaten und ihren Mitdenkern in Großbritannien. Francis Fukuyamas berühmtes „Ende der Geschichte“ bedeutete im Grunde, daß es eine Hybris gab, in der sie die Idee verfolgten, daß die ganze Welt, jedes einzelne Land auf dem Planeten das westliche neoliberale Demokratiemodell übernehmen würde.

Die Mittel, mit denen das erreicht werden sollte, waren nicht gerade schön. Dazu gehörten Regimewechsel gegen Länder, die sich dem nicht anschließen wollten, Farbrevolutionen, bei denen zivile Organisationen und NROs eingesetzt wurden, um bestehende gewählte Regierungen zu destabilisieren. Es stützte sich auf Interventionskriege: Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen und andere. Es basierte auf einem brutalen Regime einseitiger Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat mitgetragen wurden und die sich gar nicht gegen die Regime richteten, sondern die Bevölkerung bestraften, um sie dazu zu bringen, sich gegen ihre Regierungen zu erheben. Und dazu gehörte der Mißbrauch des Dollars und des Euro als Waffe.

All diese Faktoren haben dazu geführt, daß eine mächtige Bewegung gegen den Neokolonialismus entstanden ist, von Ländern, die das Recht auf ihre eigene Entwicklung einfordern. Sie wollen nicht länger nur Rohstoffexporteure sein, bei denen der Gewinn aus ihren Rohstoffen an multinationale Konzerne, Kartelle und die Banken geht. Vielmehr wollen die Länder, inspiriert durch das Beispiel Chinas, die Wertschöpfungskette in ihren eigenen Ländern aufbauen, ihre eigene Industrieproduktion entwickeln und in naher Zukunft zu Ländern mit mittlerem Einkommen werden.

Wenn wir ehrlich sind, sollten wir in Europa und den Vereinigten Staaten darüber froh sein. Es würde das Ende der Migrationskrise bedeuten, die viele Menschen in Europa und Amerika beunruhigt und die viel zu dem jüngsten Ergebnis bei den Wahlen zum Europäischen Parlament beigetragen hat. Sollten wir nicht froh sein, daß junge Menschen aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu Hause bleiben und beim Aufbau ihres eigenen Landes mithelfen wollen, anstatt in der Sahara zu verdursten und zu verhungern oder bei dem Versuch, Europa zu erreichen, im Mittelmeer zu ertrinken, oder an der mexikanisch-amerikanischen Grenze beschossen zu werden? Länder wie Deutschland, Italien, die Schweiz, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Japan sind allesamt exportorientierte Länder. Wir sollten die Länder in den sich entwickelnden, wachsenden Märkten unterstützen, damit sie wohlhabend und reich werden und wir wachsende Märkte haben. Das ist eine absolute Win-Win-Situation.

Hintergrund des Ukrainekonflikts

Warum stehen wir dann am Rande des Dritten Weltkriegs? Das NATO-Narrativ vom „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ geht davon aus, daß die gesamte Weltbevölkerung eine historische Amnesie hat – daß wir uns nicht an die Zeit der deutschen Wiedervereinigung erinnern, als wir vom Schiller-Institut als wichtige Kraft mittendrin waren. Wir sind ein Teil davon, also lesen wir keine Bücher darüber, denn es war unsere eigene Geschichte! Wir erinnern uns an die Versprechen gegenüber Gorbatschow, daß sich die NATO keinen Zentimeter nach Osten ausweiten würde. Wir erinnern uns an die hoffnungsvollen Diskussionen über ein „gemeinsames europäisches Haus“, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabon. Doch dann folgten fünf Erweiterungen der NATO nach Osten; die Orangene Revolution in der Ukraine; die Rosenrevolution in Georgien; der Maidan, ein von den USA und dem Westen unterstützter Putsch gegen eine demokratisch gewählte Regierung. Wir erinnern uns noch an die berühmte Äußerung von Victoria Nuland, die ich hier nicht wiederholen möchte, weil es nicht damenhaft ist. Wir erinnern uns an das Eingeständnis von Merkel und Hollande, daß ihre Teilnahme an Minsk II nur ein Trick war, um den Ukrainern mehr Zeit zu geben, damit sie auf NATO-Standard trainiert werden können. Ich kann diese Entwicklungen hier nur skizzieren, aber das reicht aus, um das Panorama der Dinge, die jetzt passieren, zu zeichnen.

Die Lage auf dem Schlachtfeld in der Ukraine ist festgefahren. Die ukrainische Gegenoffensive vom Sommer 2023 ist eindeutig gescheitert. Rußland ist zwar klar im Vorteil, kann aber aufgrund der massiven Waffenlieferungen aus dem Westen die verbliebenen dezimierten ukrainischen Kräfte nicht einfach überrennen. Es werden immer neue und stärkere Waffen geschickt. Wir befinden uns in einer Spirale der Eskalation. Macron forderte infamerweise die Entsendung von Bodentruppen, viele sind bereits in Form von Beratern vor Ort. Der Brite Cameron gestattet den Einsatz westlicher Waffensysteme, von Marschflugkörpern, hinzu kommt zunehmend die Idee von Langstreckenraketen, die tief in das russische Territorium eindringen sollen. Und Putin ordnete erstmals explizit als Reaktion auf solche westlichen Provokationen Manöver mit taktischen Atomwaffen an.

Der Westen ignorierte es. Blinken hat dann nachgeschoben und gesagt: „Ja, ihr könnt die Waffensysteme für Angriffe auf russisches Territorium nutzen.“ Das veranlaßte Putin, ein zweites Manöver in Rußland und in Weißrußland durchzuführen. Dann kam der Angriff auf das russische Frühwarnradarsystem in Armawir, auch in Orsk wurde ein Angriff versucht. Diese Angriffe hatten nichts mit dem Ukraine-Krieg zu tun, und Rußland konnte es nicht anders deuten, als daß es ein Versuch war, die Zweitschlagskapazität auszuschalten, d.h. einen Atomschlag gegen Rußland vorzubereiten. Ohne die Unterstützung der NATO, ohne die taktische Unterstützung der USA wären diese Angriffe natürlich nicht möglich gewesen. Daher hat sich in Rußland der Eindruck verfestigt, daß sich die NATO de facto bereits im Krieg mit Rußland befindet.

Vorbereitungen auf den Weltkrieg

Auch im Westen verbreitet sich zunehmend die Ansicht, daß der Krieg unvermeidlich ist. Pistorius hat diese unglaubliche Kampagne angestoßen, daß Deutschland wieder „kriegstüchtig“ werden müsse. Nach unserer Geschichte sollen wir Deutschen diesen Weg noch einmal beschreiten? Ist dieser Mann noch bei klarem Verstand? Und ist das deutsche Volk, das das einfach so schluckt, als wäre nichts passiert, bei klarem Verstand?

Der Krieg mit Rußland wird Pistorius zufolge 2029 stattfinden. Rußland muß verlieren, sagen Baerbock und andere so unglaublich „weise“ Leute. „Die Ukraine muß gewinnen.“ Damit entsteht ein Dilemma, denn eine russische Niederlage ist ausgeschlossen – vergessen Sie das! Rußland ist die stärkste Atommacht der Welt und wird niemals kapitulieren; das ist völlig aus der Gleichung gestrichen.

In Rußland ist man überzeugt, daß auf der Ebene derjenigen, die wirklich das Sagen haben – nicht Biden oder Blinken, sondern auf der Ebene der wirklichen Machthaber –, die Entscheidung schon gefallen ist. Daß der Befehl zum Krieg mit Rußland bereits erteilt wurde. Das ist allen Zeugen zufolge der Konsens in Rußland. Als Reaktion auf die russischen Angriffe in Charkiw sind die Angriffe auf zivile Ziele in Belgorod eskaliert, und diese werden in Rußland als terroristische Angriffe betrachtet, weil sie hauptsächlich Kinder und andere Zivilisten treffen. In der Debatte in Rußland ist man sich einig – das war am Rande des Internationalen Wirtschaftsforums in St. Petersburg zu hören –, daß das alles schon zu weit fortgeschritten ist, und deshalb ist eine Diskussion über einen Enthauptungsschlag entbrannt. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg hatte Putin eine Diskussion, bei der offensichtlich ganz bewußt Sergej Karaganow als Moderator ausgewählt wurde. Der ist dafür bekannt, daß er in Rußland die wichtigste Stimme für einen nuklearen Erstschlag. Im Gegensatz zu Karaganow sind wir froh, daß Putin sehr geduldig ist. Er hat immer wieder sehr deutlich gemacht, daß die russische strategische Doktrin lautet, daß Rußland nur dann Atomwaffen einsetzen wird, wenn die territoriale Integrität Rußlands bedroht ist, daß es aber auch symmetrische und asymmetrische Antworten auf vom Westen unterstützte ukrainische Angriffe gibt.

Die größte Gefahr besteht darin, daß der Westen anfängt, an sein eigenes Narrativ zu glauben, nämlich daß Putin „nur blufft“. Ich glaube nicht, daß Putin blufft, und dieser Mythos muß ausgeräumt werden, denn das ist eine der vielen Zutaten, die zur Katastrophe führen können. Rußland hat auch gesagt, im Falle von NATO-Bodentruppen in der Ukraine oder der Stationierung von F-16, die doppelverwendungsfähig sind, nicht nur diese Truppen und militärischen Objekte vor Ort getroffen werden, sondern auch die Entscheidungszentren, in denen der Befehl zu ihrer Stationierung gegeben wurde.

Heute oder gestern konnte man in den Zeitungen die Entscheidung lesen, daß das Kommando für den Ukraine-Krieg von Ramstein an ein NATO-Kommando in Wiesbaden verlegt wird. Wir wissen, was das bedeutet: Das ist ein sehr unangenehmer Ort für die Zukunft. Wenn man bedenkt, wie die Vereinigten Staaten die Interessen der Verbündeten behandeln! Wir werden das sicherlich später in diesem Panel von Rainer Rupp hören, und auch Klaus von Dohnanyi, der ehemalige Hamburger Bürgermeister, hat es sehr anschaulich in einem Buch beschrieben: wie bei NATO-Manövern die Amerikaner sich nicht darum kümmerten, ob auf Deutschland ein paar Atombomben abgeworfen werden – das waren eben Kriegsopfer, die man einfach so hinnimmt. Das ist natürlich eine sehr beängstigende Perspektive.

Heute beginnt auch die Schweizer Konferenz auf dem Bürgenstock, die auf der Selenskij-Formel basiert, eine sogenannte „Ukraine-Friedenskonferenz“, die zum Scheitern verurteilt ist, bevor sie überhaupt begonnen hat, weil Rußland nicht eingeladen ist. Erst heute hat Putin einen neuen Friedensvorschlag für die Ukraine vorgelegt, dabei schlägt er im wesentlichen vor, daß in dem Gebiet, in dem die Bevölkerung für den Anschluß an Rußland gestimmt hat, alle westukrainischen Truppen abgezogen werden sollten. Und daß es ein absolutes Machtwort geben soll, daß die Ukraine niemals Teil der NATO wird. Und was machen die Mainstream-Medien? Sie hetzen gegen Putin und behaupten, Putin fabriziert wieder Unsinn. Nun, das ist weiter derselbe Weg der Konfrontation und der Eskalation – bis es zu spät ist.

Der Westfälische Friede als Vorbild

Was wir brauchen, ist eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungskonferenz, die die Interessen jedes einzelnen Landes auf dem Planeten berücksichtigt. Das naheliegende Vorbild ist der Westfälische Friede, der 1648 150 Jahre Religionskrieg beendete, von denen der Dreißigjährige Krieg nur die letzte Phase war. Der Grund, warum die Menschen zur Vernunft kamen, war, daß bereits ein Drittel von allem zerstört war: ein Drittel der Menschen, des Viehs, der Dörfer. Sie erkannten, daß wenn der Krieg weitergehen würde, niemand mehr am Leben sein würde, der den Sieg genießen könnte. Ist das in der Zeit der thermonuklearen Waffen nicht noch viel mehr der Fall? Wir werden alle tot sein, wenn es jemals zu einem globalen Atomkrieg kommt. Und wir stehen kurz davor, am Rande des Abgrunds. Und auf einen solchen globalen Krieg wird nach Ansicht der besten Wissenschaftler wahrscheinlich ein zehnjähriger nuklearer Winter folgen, in dem alles Leben auf dem Planeten verschwindet.

Gestern hat Präsident Putin, neben dem Vorschlag für die Ukraine, ein neues Sicherheitssystem vorgeschlagen – ein neues System der unteilbaren Sicherheit in Europa auf der Grundlage einer größeren eurasischen Partnerschaft. Putin sagte: „Wer will leugnen, daß sich die Geographie nicht ändern läßt? Wir müssen irgendwie zusammenleben.“ Dieses Sicherheitssystem stehe den europäischen und NATO-Ländern offen.

Um auf den Anfang meiner Ausführungen zurückzukommen: Dieses neue Weltsystem ist im Entstehen begriffen, dieses polyzentrische, harmonische, multinationale System. Xi Jinping hat in den letzten Jahren oft zu einer Zukunftsgemeinschaft der Menschheit aufgerufen.

Das ist eine schöne Idee, die es schon seit Jahrhunderten gibt; sie ist nicht neu. Gottfried Wilhelm Leibniz sagte im 17. Jahrhundert, die beiden fortschrittlichsten Zivilisationen [Europa und China] an den beiden Polen des eurasischen Kontinents sollten ihre Hände ausstrecken und zusammenarbeiten, um alle Länder dazwischen zu entwickeln – gemeinsam den Süden entwickeln.

Friedrich List, der berühmteste deutsche Wirtschaftswissenschaftler befaßte sich mit dem kontinuierlichen Ausbau der Infrastruktur rund um den Globus, bis dies schließlich die ganze Welt durch Eisenbahnen und anderes verbinden würde – eine frühe Vision unseres Vorschlags der Weltlandbrücke –, und er prägte dabei den Begriff der Raum-Zeit-Wirtschaft. Er hatte die Idee, daß eine zunehmende Vernetzung der globalen Infrastruktur die Voraussetzungen für den Austausch kreativer Ideen in Wissenschaft und Kunst schaffen und zu einer Menschheits-Wirtschaft führen würde. Letztendlich würden sich alle Nationen in einer, wie er es nannte, „Republik des Planeten“ vereinigen.

Cai Yuanpei, der erste Bildungsminister der Regierung von Sun-Yat-sen und spätere Präsident der Universität Peking und der Mann, der Schillers Konzept der ästhetischen Erziehung nach China brachte, hatte eine schöne Vision von einer großen Gemeinschaft der ganzen Welt – auf Chinesisch datong shijie.

Das ist keine Zukunftsvision mehr, es ist da! Und anstatt in den letzten Weltkrieg zu stolpern, nach dem es nichts mehr geben wird, sollten wir uns der Globalen Mehrheit anschließen. Ich danke Ihnen.

  • Chas Freeman, Wissenschaftler und Diplomat (i.R.) U.S. Foreign Service (Vereinigte Staaten):„Es ist an der Zeit, das diplomatische Erbe wiederzuentdecken“

Rede im Wortlaut lesen

Von Botschafter Chas Freeman

Chas Freeman ist US-Botschafter a.D. und Experte für die USA-China-Beziehungen.

Meine Damen und Herren!

Es ist mir eine Ehre, mit dem Schiller-Institut an der heutigen Konferenz teilzunehmen. Jemand muß sich für den Frieden einsetzen. Jemand muß Diplomatie statt Krieg als Antwort auf die Spannungen, die Europa derzeit plagen, befürworten und organisieren. Ich unterstütze das Schiller-Institut und seine Gründerin und Leiterin Helga Zepp-LaRouche darin, sich offen zu äußern und uns zusammenzubringen.

Wir sind hier, um Alarm zu schlagen, wohin der Kreislauf von Eskalation und Gegeneskalation zwischen der NATO und der Russischen Föderation Europa, Rußland und Amerika führt, und zu überlegen, was wir dagegen tun können. Rote Linien wurden gezogen und dann wiederholt überschritten. Jede Seite hat gesagt, daß sie dies oder jenes nicht tun wird, und dann hat sie es doch getan. Jetzt, da die NATO direkte ukrainische Angriffe auf Ziele tief auf russischem Territorium unterstützt, schlägt Rußland nicht nur auf strategische Ziele in der Ukraine zurück, sondern droht auch mit Vergeltung an anderer Stelle. Was bisher ein Stellvertreterkrieg war, droht nun zu einem direkten Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten, der NATO und der Russischen Föderation zu werden.

Die gute Nachricht ist, daß Präsident Putin erklärt hat, daß er vorerst nicht vorhat, die Eskalation der Angriffe des Westens auf sein Heimatland mit seinem enormen Atomwaffenarsenal zu vergelten. Aber es ist ein Zeichen dafür, wie gefährlich dieser Moment ist, daß er angekündigt hat, stattdessen die Feinde der Vereinigten Staaten und anderer NATO-Länder, die an Angriffen auf Rußland beteiligt sind, zu bewaffnen. Es ist unklar, ob er diesen Vergeltungsschlag auf Staaten beschränken will oder ob er auch nichtstaatliche Akteure einbeziehen will. Das ist schon schlimm genug, aber angesichts der kurzen Halbwertszeit jeder roten Linie, die die Ukraine betrifft, könnte sein nächster Vergeltungsschritt durchaus nuklear sein.

Manchmal ist die Geschichte das Ergebnis strategischer Planung, manchmal von Fehlkalkulationen und Fehlern. Der Frieden, der durch das Konzert Europas erreicht wurde, war ein Artefakt der Staatskunst. Der Erste Weltkrieg war ein Unglück, das fast ein halbes Jahrhundert ruinöser Unruhen einleitete. Bretton Woods und die Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Schöpfungen von Staatsmännern. Wir leben in einem Zeitalter irrationaler Antagonismen, die aus strategischen Fehleinschätzungen und Stümperei entstanden sind. Ein gefährlicher Anfang ist gemacht.

Zwischen den Großmächten in Europa herrscht wieder Krieg, und zwischen den Vereinigten Staaten und China herrscht offene Feindschaft. Es ist müßig zu fragen, wer die Schuld daran trägt. Künftige Generationen von Historikern werden darüber ein Urteil fällen, das über unsere gegenwärtigen Interessen hinausgeht.

Der Stellvertreterkrieg war ein Fehlschlag

Das internationale System, in dem wir zusammengearbeitet haben und in dem es uns gut ging, löst sich auf. 73 Jahre lang – von 1944 bis 2017 – wurde die Welt hauptsächlich durch international vereinbarte Normen, Verpflichtungen und Konventionen geregelt, die in der Charta der Vereinten Nationen verankert sind. Dieses System wurde ursprünglich von Washington befürwortet, auch wenn es nicht unbedingt immer von Washington respektiert wurde. Es funktionierte gut für die Vereinigten Staaten, bis viele Amerikaner der Meinung waren, daß es das nicht tat. Dann wählte ein verärgertes amerikanisches Wahlvolk eine populistische Regierung, die voller Groll über die Zwänge der internationalen Ordnung, in Staatskunst ungebildet, wirtschaftlich nationalistisch und gegenüber kritischen ausländischen Meinungen gleichgültig war.

Die derzeitige US-Regierung hat den auf die nationale Sicherheit ausgerichteten Protektionismus ihres Vorgängers und die wirtschaftliche Kriegsführung gegen vermeintliche Feinde noch verstärkt. Und sie versucht hartnäckig, die amerikanische Einflußsphäre in Europa bis an die Grenzen Rußlands auszudehnen, während sie Moskaus Einwände übergeht und sich weigert, dessen strategische Bedenken anzuerkennen, geschweige denn darauf einzugehen. Rußland schlägt immer wieder Verhandlungen über eine Sicherheitsarchitektur in Europa vor, in der es sich nicht von den Vereinigten Staaten und seinen europäischen Verbündeten bedroht fühlt und die Europäer ihrerseits sich nicht von Rußland bedroht fühlen. Die Vereinigten Staaten und die NATO haben sich stets geweigert, darüber zu reden.

Das erklärte Kriegsziel des Westens ist es, „Rußland zu isolieren und zu schwächen“. Die Ergebnisse dieser Politik und der zu ihrer Durchsetzung beschlossenen Sanktionen sind:

  • die Abkopplung Rußlands von Europa und Nordamerika und seine Umorientierung nach China, Indien, dem Nahen Osten und Afrika;
  • die Erneuerung der russischen Wirtschaft und die Deindustrialisierung Deutschlands und anderer Mitglieder der Europäischen Union, die früher von den russischen Energieexporten abhängig waren; gemessen an der Kaufkraft ist Rußland heute die größte Volkswirtschaft in Europa;
  • die Verdoppelung von Rußlands Verteidigungshaushalt, Streitkräften und Rüstungsproduktion sowie die Förderung der russischen Entwicklung von Gegenmaßnahmen zu den Militärdoktrinen und Waffen der NATO;
  • die Entfremdung des sogenannten Globalen Südens oder der Globalen Mehrheit vom Westen und die Isolierung des Westens in den globalen Institutionen.

Für die Ukraine, deren Aufgabe ihrer Neutralität den Casus Belli für Rußland lieferte, war der Krieg eine nationale Katastrophe. Die Ukraine hat ein Drittel ihrer Bevölkerung und eine ganze Generation tapferer Männer im wehrfähigen Alter verloren. Sie hat bereits ein Fünftel ihres Territoriums verloren und kann weitere Verluste nicht verhindern. Die Infrastruktur des Landes ist verwüstet. Vor dem Krieg war die Ukraine das ärmste und korrupteste Land in Europa. Sie ist weiter verarmt. Krieg fördert die Korruption, und die Ukraine ist korrupter als je zuvor. Die Demokratie in der Ukraine wurde durch das Kriegsrecht abgelöst. Die politischen Parteien wurden verboten, die Medien verstaatlicht und die Wahlen annulliert. Das Land ist heute autoritärer als Rußland und weit weniger tolerant gegenüber ethnisch-sprachlicher Vielfalt.

Der Stellvertreterkrieg des Westens gegen Rußland war ein Fehlschlag. Er hat Rußlands globalen Einfluß vergrößert und es militärisch gestärkt. Er hat Rußland nicht daran gehindert, die Ukraine zu zerstören. Und er hat die Ängste vor einem größeren Krieg in Europa eher geschürt als zerstreut. Es droht nun ein Atomkrieg.

Man könnte meinen, daß die Geschehnisse den Westen und die Ukraine dazu veranlassen würden, das Scheitern nicht länger zu verschlimmern und eine diplomatische statt einer militärischen Lösung für eine Situation zu suchen, die zunehmend nicht nur den Frieden und den Wohlstand in Europa gefährdet, sondern in der auch eine Eskalation bis hin zur nuklearen Ebene droht. Aber nein.

Die Vereinigten Staaten und die NATO halten an einem rein militärischen Ansatz zur Gestaltung der europäischen Sicherheit und der Beziehungen zur Russischen Föderation fest. Der Westen hat keine Strategie, die eine realistische Aussicht auf die Rückgewinnung der verloren Gebiete der Ukraine bietet. Die Ukraine läuft Gefahr, noch mehr zu verlieren und damit möglicherweise ihren Zugang zum Schwarzen Meer zu gefährden. Und es gibt keine Strategie zur Beendigung des Krieges. Stattdessen schlägt der Westen vor, bis zum letzten Ukrainer zu kämpfen, und träumt weiter davon, Rußland eine demütigende Niederlage zuzufügen – genau das Ergebnis, das nach der russischen Militärdoktrin den Einsatz von Atomwaffen gegen seine Angreifer rechtfertigen würde. Präsident Selenskij schließt sich dem Westen an und besteht darauf, daß es keine Verhandlungen mit Rußland zur Beendigung des Krieges geben kann.

Prinzipien des Friedens

Der Kurs, den wir verfolgen, basiert auf Fehleinschätzungen und Fehlern. Es ist ein Marsch der Torheit, der, wenn er fortgesetzt wird, nur zur Tragödie führt. Er vernichtet die Ukraine. Er hat uns an den Rand eines Atomkriegs zwischen den Vereinigten Staaten, der NATO und der Russischen Föderation gebracht. Aber es ist noch nicht zu spät, einen anderen Weg einzuschlagen.

Schon einmal zitterte die Welt vor der Aussicht auf einen atomaren Schlagabtausch, der unseren Planeten unbewohnbar gemacht hätte. Das war die Kubakrise 1962. Sie veranlaßte Präsident John F. Kennedy zu dem Schluß: „Wir sollten niemals aus Angst verhandeln. Aber wir sollten niemals Angst davor haben, zu verhandeln.“ Dieser Rat ist heute noch genauso wertvoll wie vor 62 Jahren.

Wir sollten aus dem Kontrast lernen zwischen der Art und Weise, wie die Napoleonischen Kriege endeten, und der Art und Weise, wie wir den Ersten Weltkrieg beendeten. Diejenigen, die den Wiener Kongreß einberiefen, waren darauf bedacht, ihren ehemaligen französischen Feind in die Ausarbeitung dessen einzubeziehen, was zum „Konzert Europas“ wurde – eine Vereinbarung, die auf einem Gleichgewicht der Kräfte beruhte und Europa ein Jahrhundert lang weitgehend in Frieden hielt. Die Sieger des Ersten Weltkriegs dagegen schlossen sowohl Deutschland als auch Rußland von jeder Rolle bei der Verwaltung des in Versailles ausgehandelten Friedens aus. Das Ergebnis war der Zweite Weltkrieg, gefolgt vom Kalten Krieg. Es kann keinen Frieden in Europa geben, der auf der Ächtung Rußlands oder einer anderen europäischen Großmacht beruht.

In vielerlei Hinsicht hat uns das Scheitern des Friedens in Europa nach dem Kalten Krieg an einen Punkt gebracht, den Bundeskanzler Scholz eine „Zeitenwende“ nannte – einen Wendepunkt in der Geschichte, der die Schaffung einer neuen Ordnung in den internationalen Beziehungen erfordert.

Helga Zepp-LaRouche hat diese Herausforderung mit der verglichen, vor der die europäischen Nationen nach dem Dreißigjährigen Krieg standen. Es bedurfte langwieriger Verhandlungen, um die religiösen, territorialen und Regimewechsel-Impulse zu überwinden, die Mitteleuropa vor dem Westfälischen Frieden verwüstet hatten. Die Übereinkünfte, die aus diesem Frieden erwuchsen, leben weiter. Sie wurden von den neuen unabhängigen Staaten der postkolonialen Ära 1955 in Bandung in Form der „Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz“ bekräftigt. Es handelt sich dabei um die gegenseitige Achtung der territorialen Integrität und Souveränität, den gegenseitigen Verzicht auf Aggression, die gegenseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen, Gleichheit und Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen sowie die friedliche Koexistenz. Es ist an der Zeit, daß Europa, einschließlich Rußland, dieses diplomatische Erbe wiederentdeckt und an die Herausforderungen der Zeit anpaßt.

Das Ergebnis der jüngsten Wahlen zum Europäischen Parlament deutet darauf hin, daß die Europäer bereit sind, über die Zukunft Europas neu nachzudenken. Interessanterweise ist es die europäische Rechte, ähnlich wie die amerikanische Rechte, die durch den ewigen Krieg in der Ukraine am meisten desillusioniert ist und am unzufriedensten mit dem wirtschaftlichen Niedergang des Westens ist. Es gibt eine Grundlage für Konferenzen wie die in Münster und Osnabrück, die den Westfälischen Frieden ausgearbeitet haben, um Prinzipien für eine neue europäische Ordnung zu erforschen und zu bekräftigen, die der Ukraine Frieden bringen, die europäisch-amerikanischen Beziehungen für mehr strategische Autonomie Europas neu gestalten, Rußland zu einer angemessenen Beziehung mit dem Rest Europas zurückführen und internationale Absprachen zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Stabilität in Europa schaffen kann. Aber gibt es Staatsmänner mit der nötigen Vorstellungskraft, Tatkraft und diplomatischem Geschick, um das zu erreichen?

Wir sollten hoffen, daß es sie gibt. Wenn nicht, sind die Risiken hoch und die Aussichten düster. Ich freue mich auf eine lebhafte Diskussion unter den Teilnehmern dieser Konferenz.

Ich danke Ihnen.

  • Dr. Olga Lasorkina, Leiterin der Abteilung Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR), (Belarus):  „Den Dialog für das Gemeinwohl suchen“

Rede im Wortlaut lesen

Von Dr. Olga Lasorkina

Dr. Olga Lasorkina ist Leiterin der Abteilung für Außenpolitik des Belarussischen Instituts für Strategische Forschung (BISR).

Vielen Dank. Ich möchte den Veranstaltern für die Einladung danken, auf dieser Konferenz zu sprechen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Länder waren immer durch die Geographie, durch große Entfernungen getrennt, aber das war nie ein Hindernis für die normale menschliche Kommunikation. Hier in Belarus verstehen wir, daß heute jedes Land seine politischen, wirtschaftlichen und analytischen Prioritäten setzt, aber wir leben alle auf einem Planeten. Wir sind verantwortlich für alles, was passiert. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur unsere Prioritäten zu verkünden, sondern auch eine gemeinsame Basis mit anderen zu finden. Darin sehe ich die Aufgabe unseres Landes: Unter allen Umständen den Dialog für das Gemeinwohl zu suchen.

Ich möchte Ihnen einige Trends vorstellen, die die globale und regionale Agenda für Belarus bestimmen. Die Analyse der gegenwärtigen globalen wirtschaftlichen und politischen Prozesse zeigt, daß die Welt in eine Phase der Transformation eingetreten ist, die in vielerlei Hinsicht unvermeidlich war. Viele Veränderungen, denen wir nicht immer Bedeutung beigemessen haben, haben nun eine kritische Masse erreicht und Prozesse in Gang gesetzt, die wir nicht mehr aufhalten können. Wir sehen eine geopolitische Konfrontation, die zu einer weiteren Eskalation großen Ausmaßes zu werden droht, die auf der Erschöpfung der ideologischen und wertebezogenen Narrative der westlichen Welt beruht. Sie sind zu einem echten Entwicklungshindernis geworden, nicht nur für ihre Anhänger, sondern auch für die Länder, die sie einst respektiert haben.

Die wirtschaftliche Globalisierung, die von den meisten Ländern als ein Element des gemeinsamen Zukunftsbildes wahrgenommen wird, hat sich in einen gewaltigen Mechanismus des Drucks und der Hemmung der wirtschaftlichen Entwicklung verwandelt. Wir sehen jedoch in diesem Rahmen auch positive Trends: Die Bedeutung nationaler Interessen, der Souveränität, der Bewahrung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen hat zugenommen.

Zum ersten Mal seit 1945 steht die Weltgemeinschaft vor einem neuen Krieg. Das Schlimmste daran ist, daß jeder weiß, wie er enden könnte, aber nichts unternimmt, um diesen gefährlichen Weg zu stoppen. Seit vielen Jahren arbeiten wir mit einer Vielzahl von Partnern zusammen und vertrauen auf die Formeln der friedlichen Koexistenz. Niemand kann uns vorwerfen, dieses Rezept nicht ausprobiert zu haben. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Doppelte Standards durchziehen die Demokratie. Die Welt ist in einem Netz von Sanktionen gefangen.

Im Jahr 2023 gab es 183 regionale Konflikte, das ist der höchste Stand seit 30 Jahren.
Das läßt den Schluß zu, daß die großen Ideen der Demokratie am Ende sind, und dies wird die Weltgemeinschaft teuer zu stehen kommen. Das Konfliktpotential hat sich als stärker erwiesen als der Pragmatismus, der Ehrgeiz als stärker als die Vernunft. Wir sehen, daß der Kampf um die Ressourcen, die Einfluß auf die staatliche Nutzung haben, die Weltgemeinschaft überfordert. Deshalb suchen alle Staaten nach neuen Formaten des Zusammenlebens, und dabei geht es nicht darum, jemanden auszuschalten, sondern darum, die vernünftigen Kräfte in der Weltpolitik zu beurteilen und diejenigen zu identifizieren, die das Potential haben, in die Zukunft zu gehen.

Die Forderung nach einer Neugestaltung der Weltordnung ist überfällig. Die Multipolarität hält Einzug in die weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Prozesse. Diese Bewegung läßt sich nicht mehr verlangsamen, geschweige denn aufhalten. An der Seitenlinie will heute niemand mehr stehen.

Seit vielen Jahren spricht Belarus von den internationalen Tribünen über die Zerstörung des Völkerrechts und des Kanons der Diplomatie. Heute sehen wir auch ein gezieltes Vorgehen zur Entwertung der internationalen Institutionen, der Mechanismen zur Stabilisierung der Situation, der Autorität und vor allem der unglaublichen Arbeit der gesamten Weltgemeinschaft.

Belarus ist sich wie kein anderes Land der Gefährlichkeit der gegenwärtigen Situation bewußt. Unser Volk hat zwei Weltkriege erlebt. Der Beitrag unseres Landes zur Erhaltung von Frieden, Stabilität und Schaffung gleicher Bedingungen für alle Länder im Rahmen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen ist kaum zu überschätzen. Es gibt keine internationale Initiative, zu der Belarus nicht Stellung genommen hat. Die internationale Anerkennung unseres Landes als unabhängiger Staat in den 1990er Jahren war beispiellos, und das ist vor allem unserer enormen Arbeit auf internationalen Plattformen zu verdanken. Wir haben in den 90er Jahren nicht nur unsere Unabhängigkeit bewahrt, sondern auch aktiv an der Lösung verschiedener Probleme mitgewirkt.

Seit dem Angriff auf die Vereinigten Staaten am 11. September 2001 ist der Terrorismus zu einem internationalen Problem geworden. Die USA riefen die Weltgemeinschaft zur Bildung einer internationalen Koalition gegen den Terrorismus auf. Diesem Aufruf schlossen sich fast alle Länder an, darunter auch Belarus. Heute sehen wir jedoch deutlich, daß die Sicherheitslage in unserer Region keine geopolitischen Phrasen erfordert, sondern spezielle Fähigkeiten – ein tiefes Verständnis der Probleme in ihrem historischen Kontext und Verantwortung. Wir spekulieren nicht, sondern schlagen wie bisher konkrete Aktionspläne vor, die auf realen Möglichkeiten beruhen.

Vor dem Hintergrund einer tiefen Vertrauenskrise, die globale Ausmaße angenommen hat, ist es von entscheidender Bedeutung, die einzige Struktur zu präsentieren, die eine anerkannte und maßgebliche Plattform für die Begegnung von Vertretern mit gegensätzlichen Ansichten und Meinungen darstellt. Es stimmt zwar, die Realität sieht heute so aus, daß die Mechanismen der Vereinten Nationen nicht immer funktionieren, aber das bedeutet nicht, daß sie nicht genutzt werden können. Wir sind auch auf der Suche nach anderen internationalen Plattformen, die das Potential haben, in verschiedenen Bereichen für Stabilität zu sorgen. Der Werteblock des Zusammenschlusses – Solidarität, Kooperation und Partnerschaft – entspricht den Bedürfnissen der meisten Länder. Ich denke an die BRICS, an die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU): Sie sind auf dem Weg, alternative Mechanismen der weltwirtschaftlichen Entwicklung zu schaffen, ohne die bestehenden zu verwerfen. Wir bauen strategische Beziehungen zu Rußland auf. Die Union ist ein organischer Zusammenschluß, der auf einem soliden Fundament von Freundschaft und Kontinuität beruht. Sie ist sogar der einzige Zusammenschluß in unserer Region, der über eine solide und bewährte Rechtsgrundlage für die Zusammenarbeit verfügt, die es uns ermöglicht, unsere Souveränität zu wahren, unsere internationale Rechtspersönlichkeit zu stärken und unsere Wirtschaft im Einklang mit den globalen Trends zu entwickeln.

Natürlich sind wir nicht losgelöst von der Tragödie, die sich an unseren Grenzen abspielt. Der belarussische Präsident hat wiederholt seine Vorstellungen zur Lösung der Krise dargelegt. Der belarussische Außenminister Sergej Aleinik hat betont, daß die Plattform für Verhandlungen immer offen ist. Das liegt in unserem gemeinsamen Interesse. Es gibt heute kein wichtigeres Thema für unser gemeinsames europäisches Haus. Wir sind sicher, daß es keine Verhandlungen ohne Belarus geben kann und daß es keine regionale Sicherheit ohne Belarus geben kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das heutige Treffen zeigt die Bemühungen der rationalen Kräfte, darunter Wissenschaftler, Analytiker und Experten, die Weltlage mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu stabilisieren. Jedes Land hat seinen eigenen Wert. Belarus bereitet sich darauf vor, seine einzigartige Entwicklungsstrategie zu überprüfen, die auf Vertrauen, Vertragsfähigkeit und progressivem Fortschritt basiert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Vitaly Romanovskiy, Chefberater des BISR (Belarus)
  • Prof. Georgy Toloraja, Direktor, Russisches Nationales Komitee für BRICS-Forschung (Russland): Eine neue Phase in der Entwicklung der internationalen Beziehungen

Rede im Wortlaut lesen

Eine neue Phase in der Entwicklung der internationalen Beziehungen

Von Georgij Toloraja

Professor Georgij Toloraja ist Direktor des Zentrums für Asienstrategie des Instituts für Wirtschaft der Russischen Akademie der Wissenschaften. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Lassen Sie mich zunächst dem Schiller-Institut dafür danken, daß es diese sehr wichtige Konferenz zur rechten Zeit veranstaltet. Gerade dieser Tage gibt es viele Veranstaltungen, die mit dem Thema der heutigen Konferenz und besonders mit diesem ersten Panel zur Lage in Europa zusammenhängen.

Frau Zepp-LaRouche hat sehr eloquent über die Gefahren der gegenwärtigen europäischen Situation gesprochen. In der Tat können wir feststellen, daß sich in Europa das Schicksal der Welt entscheidet. Es ist doppelt wichtig, daß wir gerade in den letzten Tagen zwei wichtige Vorschläge des russischen Präsidenten Putin gehört haben: zum einen beim Petersburger Forum, und zum anderen bei einem Treffen mit Außenministern und Diplomaten, wo er einige Vorschläge für Friedensgespräche in der Ukraine-Krise gemacht hat. Diese Vorschläge wurden vom Westen bereits als unrealistisch kritisiert, aber sie sind in der Tat eine solide Grundlage für weitere Gespräche.

Wie Helga ganz richtig sagte, müssen wir früher oder später aus dieser Krise herauskommen. Europa und Eurasien sind geographisch, historisch und zivilisatorisch eng miteinander verbunden, und es muß auf jeden Fall ein neues europäisches oder eurasisches Sicherheitssystem geschaffen werden. Präsident Putins Vorschläge sind viel umfassender als nur konkrete Vorschläge zur Lösung der Ukraine-Krise. Sie beinhalten auch Ideen zur Festlegung neuer Prinzipien für die eurasische Sicherheit, Verhaltensregeln für den gesamten Kontinent und wichtige Prinzipien für die Beziehungen zwischen den Staaten, die natürlich auf den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen basieren, aber transparenter und gerechter sein sollten – und nicht auf der „regelbasierten Ordnung“, die der Westen als Grundlage für die internationalen Beziehungen vorschlägt.

Es muß klar gesagt werden, daß in Rußland, glaube ich, niemand den Krieg in der Ukraine als eine Art Aggression gegen einen souveränen Staat betrachtet. Die Ukraine, dieses Territorium, vor allem sein östlicher Teil, war lange Zeit ein Teil des Russischen Reiches und Rußlands selbst. Die Mehrheit der Bevölkerung sieht es daher als einen weiteren Fall eines Krieges mit dem kollektiven Westen auf historisch russischem Territorium. Der Krieg findet nicht in Europa statt, sondern auf historisch russischem Territorium, und es sind russisch-ukrainische Menschen, die ethnisch gleich oder sehr ähnlich sind, die in diesem Krieg sterben.

Der Ursprung dieses Krieges ist der Wunsch, Rußland einzudämmen und der sogenannten regelbasierten Ordnung unterzuordnen. Die Lektion für die Menschen im Westen und in Rußland ist, daß der Westen vor nichts zurückschreckt, um seine Privilegien zu bewahren, um seine Vormachtstellung zu bewahren, die es der sogenannten Goldenen Milliarde erlaubt, das Leben auf Kosten anderer zu genießen, auf Kosten der Globalen Mehrheit oder dessen, was Rußland jetzt den Globalen Süden und den Globalen Osten nennt.

Die neue Rolle der BRICS

Doch heute hat sich die Situation verändert. Wie im Europa der Kolonialzeit versuchen die europäischen Mächte heute, sich in regionale Konflikte einzumischen und über das Schicksal weit entfernter Länder und Völker in Asien, Afrika und Lateinamerika zu entscheiden – während die neu entstandene Zivilisation, die neuen Schwellenländer, ihre guten Dienste anbieten, um die Krise in Europa zu lösen. Das tut China. Das tun auch die anderen BRICS-Länder. Das ist der Unterschied zu früher.

In diesem Zusammenhang möchte ich etwas zu den BRICS sagen. Präsident Putin erwähnte in seiner Rede beim Außenministertreffen, daß die BRICS ein Schlüsselelement der neuen Global Governance sein könnten, und das werden sie jetzt auch. Wie Sie wissen, waren die BRICS in den letzten 15 Jahren ein Bündnis der größten Volkswirtschaften – Rußland, China, Brasilien, Indien und Südafrika (jeweils die gesamte Region repräsentierend). Die Kriterien für die BRICS-Mitgliedschaft waren die Größe des Territoriums, der Bevölkerung und des BIP.

Seit letztem Jahr haben sich die Dinge jedoch geändert. Das Ergebnis dieser Veränderung war der offene Konflikt zwischen einem der BRICS-Länder, das die aufstrebenden Mächte repräsentiert, Rußland, und dem kollektiven Westen, in der Ukraine. Dies war der eigentliche Grund, warum das Interesse an den BRICS im Globalen Süden und im Globalen Osten erheblich zugenommen hat. Auf dem Johannesburger Gipfel in Südafrika im vergangenen Jahr wurden neue Länder in die BRICS aufgenommen. Zehn Länder gehören nun zu den BRICS. Das signalisiert in der Tat das Ende der alten BRICS und den Beginn einer neuen BRICS – BRICS nicht als Bündnis verschiedener Zivilisationen, sondern als Verhandlungsplattform des Globalen Südens und der Globalen Mehrheit gegenüber dem dominanten Westen. Das ist die Rolle, die BRICS jetzt spielt.

Und in diesem Zusammenhang möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf das jüngste Treffen der Außenminister der BRICS-Staaten und anderer interessierter Länder lenken, das erst vor drei Tagen in Nischni Nowgorod stattgefunden hat. Es war das erste Treffen auf politischer Ebene nach dem Beitritt der neuen Länder, und die neuen Länder – Ägypten, Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien und Saudi-Arabien – haben Dokumente unterzeichnet, die die Strategie der BRICS definieren. Sie haben sich also darauf geeinigt, im gleichen Boot zu sitzen, die gleichen Prinzipien zu verteidigen und den gleichen Kurs zu verfolgen.

Darüber hinaus nahmen am zweiten Tag zwölf weitere Länder an dem Treffen teil. Einige Länder, wie zum Beispiel Thailand, haben sich offiziell um eine BRICS-Mitgliedschaft beworben. Es gibt etwa 50 weitere Länder, die daran interessiert sind. Das bedeutet, daß die BRICS ein globales Phänomen geworden sind, das seine Prinzipien und seine Strategie für eine neue Weltordnung formuliert hat: eine neue Weltordnung, in der nicht der Westen dominiert, sondern in der es einen Konsens geben soll, eine gleichberechtigte Partnerschaft der Länder der Welt im Stil des Westfälischen Friedens zum Wohle aller, wie Sie es wohl nennen würden.

Die Chance, an der Lösung der europäischen Krise und der Ukraine-Krise mitzuwirken, ist daher ein echter Test für die BRICS-Länder. Können China, Indien und andere Länder dazu beitragen, diese Aufgabe zu erfüllen? Vielleicht erleben wir dann eine ganz neue Phase in der Entwicklung der internationalen Beziehungen und den Aufstieg zu neuen Prinzipien, die dem entsprechen, was das Schiller-Institut vorgeschlagen hat und was Rußland im allgemeinen teilt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Caroline Galactéros, Politikwissenschaftlerin (Frankreich): „Das Hauptproblem der Europäer ist: Wir sind in eine Falle getappt“

Rede im Wortlaut lesen

„Das Hauptproblem der Europäer ist:
Wir sind in eine Falle getappt“

Von Caroline Galactéros

Caroline Galactéros ist Politikwissenschaftlerin und Oberst der Reserve in Frankreich. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte sie folgendes. (Übersetzung aus dem Französischen.)

Guten Abend, meine Damen und Herren, ich freue mich sehr, zu Ihnen sprechen zu können, und bedaure, daß ich dies aus der Ferne tun muß. Ich möchte dem Schiller-Institut dafür danken, daß es mich eingeladen hat, einige Fragen zu beantworten.

Der Einfachheit halber werde ich die Fragen, die mir gestellt wurden, wiederholen.

Die erste Frage lautete: Was können Sie über die Kriegspropaganda sagen, sowohl aus europäischer als auch vor allem aus französischer Sicht?

Ich werde mich auf den russisch-ukrainischen Konflikt beschränken, oder besser gesagt auf den Konflikt zwischen Rußland und der NATO. Es ist offensichtlich, daß die Propaganda in den letzten zweieinhalb Jahren total, massiv, permanent, dramatisch in ihren Auswirkungen und Folgen war, sowohl in Bezug auf die Dynamik des Konflikts selbst – denn sie bringt uns dazu, Positionen einzunehmen, die auf einem Narrativ basieren, das nicht mit der Realität übereinstimmt – als auch in Bezug auf die Dynamik und die Folgen, die sie haben kann, einschließlich der Entwicklung der öffentlichen Meinung, mit ziemlich direkten politischen Folgen. Ich glaube, wir erleben das gerade jetzt in Frankreich mit der gestrigen Ankündigung der Auflösung der Nationalversammlung durch unseren Staatspräsidenten.

In diesem Konflikt wird die Propaganda zunehmend durch die von den politischen Mächten in Europa und insbesondere in Frankreich wahrgenommene Notwendigkeit angetrieben, die kriegstreiberische Haltung zu nähren. Je schlimmer die Lage auf dem Schlachtfeld wird, desto mehr Propaganda kommt hinzu und erreicht jeden Tag neue Höhen der Absurdität.

Der jüngste Höhepunkt ist natürlich die Erklärung des französischen Präsidenten, in der gesagt wird, daß Frankreich auf der Seite des Friedens steht, was sehr schwer zu verstehen ist, wenn man sich die Absichtserklärungen ansieht, die wir in Bezug auf Waffenlieferungen abgeben, wenn man sich eine ganze Reihe von Entscheidungen ansieht, die in Bezug auf eingefrorene russische Guthaben getroffen wurden, in Bezug auf unsere Unterstützung über das bilaterale Sicherheitsabkommen zwischen der Ukraine und Frankreich usw. usw. Wir stehen auf der Seite des Friedens, aber in Wirklichkeit nähren wir den Krieg.

Und es fällt mir schwer zu glauben, daß wir uns der Konsequenzen unserer Positionen nicht bewußt sind. Eine weitere aktuelle Haltung, die unserer Glaubwürdigkeit ebenfalls extrem schadet, ist natürlich die Erklärung des Präsidenten, der erklärte, daß wir, wenn wir Rußlands Einschüchterungspolitik gegenüber dem Westen nachgegeben hätten, nicht all die Waffen geliefert hätten, die wir an die Ukraine geliefert haben, und daß die Ukraine deshalb nicht in der Lage wäre, in der sie sich heute befindet… Ich würde sagen, das ist der letzte Strohhalm, denn ich stimme Ihnen vollkommen zu! Wären wir vorsichtig und gemäßigt genug gewesen, der Versuchung nicht nachzugeben, diese Lieferungen zu tätigen und den Konflikt anzuheizen, wäre die Ukraine nicht in der Lage, in der sie sich heute befindet, d.h. in einer militärisch und menschlich äußerst bedenklichen Lage, die ihren Interessen als Land extrem schadet.

Ein Friedensabkommen war nach einigen Tagen, einigen Wochen des Konflikts nach dem Beginn der russischen militärischen Sonderoperation ausgehandelt worden, und es war ein Abkommen, das zerstört wurde – obwohl Präsident Selenskyj dazu bereit war. Es wurde von uns und insbesondere von den Briten zerstört, durch Boris Johnson, der kam, um der Ukraine zu erklären, daß sie dazu da sei, Krieg zu führen und nicht Frieden zu schließen.

Da haben wir es also. Und dann gerieten wir leider in die schreckliche Spirale, in der wir uns heute befinden. Wir hätten also viel schneller und mit viel weniger Toten Frieden haben können, mit Hunderttausenden von Toten und Verwundeten weniger.

Wir befinden uns also in einer Art Schizophrenie: ist es taktisch oder ist es real? Begeben wir uns in eine zum Scheitern verurteilte, sich selbst erfüllende Prophezeiung? Ist dies die Strategie des Schlimmsten? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Natürlich gibt es Arroganz, natürlich gibt es Ignoranz, aber vor allem fehlt es an Verständnis für die militärische Realität und die tatsächliche Lage des Kräfteverhältnisses.

Mir wurden dann noch zwei weitere Fragen gestellt. Die zweite lautete: Was könnte Frankreich zu einer positiven Lösung beitragen, aus rein nationaler Sicht oder darüber hinaus?

Und die dritte Frage: De Gaulle hat sich mehrfach über die französische Tendenz geärgert, schon vor dem Kampf aufzugeben. Was können wir Ihrer Meinung nach heute nach den Ergebnissen der Europawahlen tun?

Meine Botschaft kommt zum richtigen Zeitpunkt, nach den Ergebnissen der Europawahlen und nach der Entscheidung des Präsidenten der Republik, unsere Nationalversammlung aufzulösen.

Nun, ich denke, daß dies, wie alle Krisen, eine Chance ist, und so sollten wir es auch sehen. Aber was auch immer die Gründe für diese Auflösung sind, sie sind nicht unbedingt… sie können sehr taktisch sein. Aber nichtsdestotrotz befinden wir uns in dieser Situation, und ich denke, es ist eine Gelegenheit für Frankreich, einen klaren Kurswechsel vorzunehmen. Und das erfordert natürlich Mut. Aber vielleicht kann eine Kohabitation diese Kehrtwende ermöglichen.

Paradoxerweise müssen wir diese Kohabitation nutzen und eine ziemlich radikale Wende in unserer Herangehensweise an den Konflikt vollziehen und versuchen, uns nützlich zu machen. Und wir machen uns vor allem dann nützlich, wenn wir eine Macht wie Frankreich sind, eine Atommacht natürlich, aber vor allem eine, die auf eine große Geschichte zurückblicken kann.

Wir müssen, um uns De Gaulle anzuschließen, eine große Außenpolitik wiederentdecken. Und um in diesem Konflikt nützlich zu sein, müssen wir uns natürlich nicht mit Rußland oder irgend jemand anderem verbünden, sondern uns vielleicht in einer Allianz der Umstände zusammenschließen, die dem Weltfrieden und der Wiederherstellung der europäischen Sicherheit dienen würde.

Und dabei denke ich an China, denn mit China könnten wir vielleicht versuchen, einen Weg der Beschwichtigung zu fördern, nicht indem wir China erklären, daß es sich von Rußland trennen muß – das wird wahrscheinlich nicht passieren.

Andererseits, um die Bedingungen eines Abkommens über die Einstellung der Feindseligkeiten und die Stabilisierung der Sicherheit in Europa zu definieren, was ja das Hauptproblem der Europäer ist: Wir sind sicherlich in eine Falle getappt, eine doppelte Falle, und Europa ist eindeutig ein amerikanischer Stellvertreter in diesem Konflikt, ebenso wie die Ukraine.

Nicht wie die Ukraine, die unglückliche Ukraine; aber wir sind direkt dahinter, und das ist das Dramatischste. Wir müssen aus dieser Abwärtsspirale herauskommen, die auch extrem gefährlich wird, weil wir die russischen Positionen nicht abschätzen oder verstehen.

Und auf dieses Verständnis müssen wir uns zubewegen.

Es gibt eine Reihe von Punkten, die heute bereits von großen Diplomaten angesprochen und aufgelistet wurden, von Menschen, die durchaus in der Lage sind zu verstehen, wie die Bedingungen für ein realistisches Abkommen aussehen würden, das die Einstellung der Feindseligkeiten in der Ukraine ermöglicht und das schützt, was von der Ukraine und ihrer Bevölkerung heute noch übrig ist.

Das ist alles, was ich sagen wollte. Ich bedauere nochmals, daß ich nicht an den Debatten und den verschiedenen Fragen teilnehmen kann, aber das wird sicherlich ein anderes Mal der Fall sein, wenn ich hoffentlich die Gelegenheit habe, persönlich anwesend zu sein. Vielen Dank, und ich wünsche Ihnen eine sehr gute Konferenz.

  • Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard, Schweizer Armee; Berater für militärisch-strategische Angelegenheiten (Schweiz): „Die ,Wunderwaffen‘ des Westens waren nicht in der Lage, das Blatt zu wenden“

Rede im Wortlaut lesen

„Die ,Wunderwaffen‘ des Westens waren nicht in der Lage, das Blatt zu wenden“

Von Oberstleutnant a.D. Ralph Bosshard

Ralph Bosshard ist Oberstleutnant a.D. der Schweizer Armee und Berater für militärische und strategische Angelegenheiten. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Ein herzliches Willkommen an alle und einen guten Tag aus der Schweiz.

Insgesamt befinden wir uns derzeit in einer globalen Pattsituation, in der alle voneinander abhängig sind und niemand in der Lage ist, einseitig zu handeln. Im Moment kann Rußland die USA nicht zu ernsthaften Gesprächen über die Ukraine oder andere Themen bewegen. Die USA können die Situation im Nahen Osten nicht ohne Rußland und den Iran lösen. Rußland kann den Krieg nicht ohne China und die BRICS-Plus-Staatengruppe weiterführen. Die USA können China nicht drohen, um es dazu zu bringen, seine Politik gegenüber Moskau und/oder den BRICS-Ländern zum Nachteil Moskaus zu ändern. Und die Ukraine kann kein anderes Land dazu bringen, sich im Krieg gegen Rußland auf ihre Seite zu stellen.

Es ist absehbar, daß eine grundlegende Änderung der Situation auf der sogenannten Friedenskonferenz in der Schweiz an diesem Wochenende unwahrscheinlich ist. Angesichts des drohenden Desinteresses der USA an einer weiteren Beteiligung am Krieg und der militärischen Mißerfolge der Ukraine bleibt nur die Frage, wer als eine Art „letzter Mohikaner“ in der Ukraine weiterkämpfen will.

Seit dem Rückzug der Ukrainer aus Awdijiwka bröckelt die Front im Donbaß. Es ist nicht so wichtig, daß die Russen jeden Tag ein oder zwei Soldaten gefangennehmen, die ohnehin völlig am Boden zerstört sind, sondern daß sie die Frontlinien durchbrochen haben, durch sehr gut befestigte Verteidigungslinien, die die Ukrainer im Laufe von acht Jahren aufgebaut haben. Derzeit ist zu beobachten, daß die Russen an weit voneinander entfernten Punkten der Front kleinere Angriffe durchführen und daß sie ihre Angriffe vor allem auf benachbarte Regionen wie das Gebiet Charkow und vor einigen Tagen auf Sumy ausgeweitet haben. Sie sind zahlenmäßig eindeutig überlegen und können ihre Truppen nach Belieben bewegen. Sie zwingen die Ukrainer zu wahrscheinlich kostspieligen Gegenangriffen. Die Russen gehen langsam und vorsichtig vor, das ist sicher. Und sie mußten bisher kaum jemals Gebiete aufgeben, die sie in den letzten Wochen oder Monaten erobert hatten – zumindest seit dem letzten Herbst.

Inzwischen haben die Ukrainer fast alle Gebietsgewinne wieder verloren, die sie während der Sommeroffensive im vergangenen Jahr erzielt hatten. In den letzten zwei Jahren hat der Westen also erlebt, wie all seine „Wunderwaffen“, wie sie sie früher genannt haben, zwar auf russischer Seite Schaden angerichtet haben, aber nicht in der Lage waren, das Blatt zu wenden. Realistisch betrachtet, muß sich der Westen meiner Meinung nach darauf einstellen, daß die von den USA gelieferten ATACMS-Raketen und F-16-Kampfflugzeuge auch nicht das Blatt wenden werden.

Massive Angriffe weit im Inneren Rußlands

Der Krieg befindet sich nun in einer Phase, in der die Niederlage der Ukraine nur durch massive Angriffe auf strategische Ziele weit im Inneren Rußlands abgewendet werden kann. Darüber hinaus ist in der ukrainischen Bevölkerung die große Angst zu spüren, daß die Vereinigten Staaten die Ukraine im Stich lassen könnten. Diese Angst könnte Kiew dazu motivieren, sich als nützlicher Partner der Vereinigten Staaten zu präsentieren, und zwar in einem allgemeinen und möglicherweise bevorstehenden Atomkrieg gegen Rußland. Es gibt einen Abschnitt entlang der gesamten Frontlinie in der Ostukraine, wo die aktuelle Frontlinie noch der sogenannten Kontaktlinie der Jahre 2015-22 entspricht, und das ist das Gebiet von Gorlowka – oder Horliwka, wenn Sie so wollen – und Donezk. Hier werden die Russen nicht nachlassen, bis die Städte im Donbaß außerhalb der Reichweite der ukrainischen Artillerie und Raketen liegen. Das Gleiche gilt übrigens für Belgorod. Rußland wird in Verhandlungen – sollte es solche geben – wahrscheinlich eine Pufferzone fordern, und je mehr Abstandswaffen der Westen der Ukraine liefert, desto breiter und tiefer wird diese Pufferzone sein. Die Erlaubnis, westliche Abstandswaffen einzusetzen, die vor kurzem erteilt wurde, natürlich gegen russisches Territorium, könnte sich in zukünftigen Verhandlungen als Bumerang erweisen.

Wenn Sie mit den Russen sprechen – und ich spreche natürlich auch regelmäßig mit meinen ehemaligen Kameraden an der Generalstabsakademie – werden Sie feststellen, daß die Menschen glauben, daß sie nicht so sehr mit der Ukraine im Krieg stehen, sondern mit der NATO und dem Westen insgesamt, der ihrer Meinung nach versucht, Rußland zu zerstören. Dementsprechend ist die Entschlossenheit, Widerstand zu leisten, hoch, aber der Schwerpunkt der Konfrontation könnte sich vom Donbaß und der Ukraine im Allgemeinen auf andere Weltregionen verlagern. Rußland wird versuchen zu zeigen, daß es sich verteidigen kann. Und die Politik des Westens erscheint kein Anlaß für Alarm mehr zu sein, nicht im Kreml, nicht in Rußland im Allgemeinen. Das liegt daran, daß die ukrainische Armee, die von NATO-Offizieren ausgerüstet, ausgebildet, unterstützt und möglicherweise sogar geführt wird, in den letzten Monaten nicht erfolgreich genug war.

Die russischen Schiffe vor der Küste Kubas sind eine Demonstration, daß die Anstifter von Angriffen auf russisches Territorium auch ihren Teil des Schadens erleiden werden. Und ich bin überzeugt, daß Frankreich, Großbritannien und Deutschland ebenfalls Ziel von Angriffen sein werden – sollte es notwendig werden, natürlich. Aber bisher bieten sich Rußland viele Möglichkeiten, gegen die Europäer und den Westen vorzugehen, ohne sie direkt auf ihrem eigenen Territorium anzugreifen, und ohne den Einsatz von Atomwaffen. Griechenland ist ein Land, in dem westliche Streitkräfte oder Geheimdienste operieren, obwohl sie dort eigentlich nicht sein sollten, genauso wie im Irak. Griechenland könnte beispielsweise Schauplatz von Demonstrationen werden und auch die Seehandelsrouten sind gefährdet: NATO-Schiffe und -Außenposten sind in diesen Tagen besonders gefährdet. Das Einzige, was meiner Meinung nach in Rußland Respekt hervorruft, sind die Atomwaffen des Westens.

Trotz alledem glaube ich immer noch, daß die russische Armee nicht in der Lage ist, ganz Westeuropa zu überrennen, wie uns heutzutage so oft gesagt wird. Ich frage mich auch, warum Rußland das tun sollte. Behauptungen, Rußland wolle bis nach Berlin oder sogar Bern vorstoßen, beruhen sicherlich auf einer Unterschätzung der Schwierigkeiten und des Aufwands. Sie sind als Inkompetenz oder vielleicht einfach nur als reine Propaganda zu betrachten.

Andererseits kann ich nur davor warnen, zu glauben, daß Rußland militärisch leicht in die Knie gezwungen werden kann. Und glauben Sie mir, ich habe eineinhalb Jahre in den russischen Streitkräften verbracht und habe eine ungefähre Vorstellung von ihren Fähigkeiten und vor allem von dem, wozu sie nicht in der Lage sind. Es scheint mir, daß die westlichen Streitkräfte dazu neigen, sich selbst zu überschätzen, und das manchmal auf geradezu groteske Weise.

Was die absehbare Zukunft angeht, glaube ich, daß wir turbulente Zeiten vor uns haben. Ich erwarte, daß der „Bürgenstock-Friedensgipfel“, wie man ihn in der Schweiz nennt, in einer Autohändler-Atmosphäre stattfinden wird. Ich denke, daß diese sogenannte Friedenskonferenz für die Russen nicht wichtig genug ist, um sie zu stören. Derzeit versammeln sich die politischen Verlierer der Wahlen vom vergangenen Wochenende in Europa auf dem G7-Gipfel in Italien, und sie werden in die Schweiz weiterziehen. Aber es könnte den Russen in den Sinn kommen, ihnen die Show zu stehlen, die Biden, Macron, Scholz und von der Leyen sicherlich für die nächsten Wochen und Monate vorbereitet haben: Ich spreche über den US-Wahlkampf, ich spreche über die Olympischen Spiele in Paris und die Fußball-EM in Deutschland. Wir könnten also in eine turbulente Phase eintreten. Und wenn eine Eskalation oder gar ein Atomkrieg vermieden werden kann, dann eher aufgrund russischer Gelassenheit und russischer Rationalität als aufgrund eines hohen Standards westlicher Staatskunst.

Entschuldigen Sie, daß ich das so sage, aber so schätze ich die aktuelle Situation ehrlich ein. Natürlich erwarten wir das Schlimmste und hoffen auf das Beste. Aber aus meiner Erfahrung von 20 Jahren Dienst als Generalstabsoffizier auf verschiedenen Ebenen weiß ich, daß Hoffnung keine militärische Planungsmethode ist, und darauf sollten wir uns nicht verlassen.

Vielen Dank und auf Wiedersehen aus der Schweiz.

  • Rainer Rupp, Militär- und Geheimdienstexperte (Deutschland): „Die Planer der US-Streitkräfte nehmen keine Rücksicht auf Zivilisten“

Rede im Wortlaut lesen

„Die Planer der US-Streitkräfte nehmen keine Rücksicht auf Zivilisten“

Von Rainer Rupp

Rainer Rupp ist Militär- und Geheimdienstexperte aus Deutschland. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Englischen.)

Hallo, vielen Dank für diese Gelegenheit. Ich habe zwar nicht auf dieser Ebene angefangen, aber von 1977 bis 1993 war ich in leitender Position in der Abteilung für politische Angelegenheiten im NATO-Hauptquartier in Brüssel tätig. In dieser Funktion habe ich auch an den jährlichen und halbjährlichen Wintex-Winterübungen teilgenommen. Bei diesen Manövern übt die NATO den Ersteinsatz von Atomwaffen, wenn ein konventioneller Konflikt in einen nuklearen übergeht.

Bei der ersten Übung, an der ich als Vorsitzender der zuständigen Aufklärungsgruppe teilgenommen habe, mußte ich das NATO-Verteidigungsplanungskomitee informieren, das die Entscheidung traf – damals auf höchster Ebene. Man stand in ständigem Kontakt mit den Regierungen, da es sich um eine Stabsübung auf höchster Ebene handelte, an der die höchsten Vertreter der Ministerien und des Kanzleramtes teilnahmen. Ich mußte also alle vier Stunden den DPC (Defence Planning Council) informieren. Das war meine Aufgabe, 8 Stunden in 24 Stunden.

Nun, bei meiner ersten Teilnahme hat die NATO nach einer langen ersten konventionellen Kriegsphase irgendwo in Osteuropa eine taktische Nuklearwaffe gegen die sowjetischen Streitkräfte eingesetzt. Danach war die Übung vorbei, es gab keine Fortsetzung.

Meine letzte Wintex-Übung war 1989, als der Kalte Krieg eigentlich schon vorbei war. Aber die Vorbereitung dieser Nuklearwaffenübungen dauerte normalerweise zwei Jahre, und diese NATO-Übung wurde in zwei Wellen durchgeführt, mit – wenn ich mich richtig erinnere – 153 taktischen Nuklearwaffen gegen sowjetische und osteuropäische Streitkräfte.

Aber, und das ist wichtig, und deshalb erzähle ich Ihnen diese Geschichte, die Planer des Ersteinsatzes von Atomwaffen waren Amerikaner. Und sie haben tatsächlich entschieden, wo diese Waffen eingesetzt werden sollten. Sie haben – während meiner gesamten Zeit in der NATO – immer sehr darauf geachtet, daß keine dieser Nuklearwaffen auf russischem Territorium eingeschlagen ist, weil die Amerikaner wußten, daß sie in einem solchen Fall mit einem Gegenschlag auf amerikanischem Territorium rechnen müßten.

Wenn Sie sich vorstellen, was im Falle eines nuklearen Konflikts geschehen wäre, auch nur eines begrenzten nuklearen Konflikts, dann wäre Europa ausgelöscht worden.

Um Ihnen nur ein Beispiel zu geben: Bei einer dieser nuklearen Planungskonferenzen, an der ich teilgenommen habe – sie fand im sogenannten NATO-Ferienort Oberammergau in Deutschland statt –, beklagte sich ein amerikanischer General darüber, daß in der Fulda Gap, wo die NATO eine große russische Panzerinvasion erwartete, die deutschen Dörfer nur eine halbe Kilotonne voneinander entfernt seien. Das heißt, die taktischen Atomwaffen waren damals viel stärker als eine halbe Kilotonne.

Gestern hat Garland Nixon, der ebenfalls an einer Veranstaltung des Schiller-Instituts [dem 54. Treffen der Internationale Friedenskoalition – Anm. d. Red.] teilgenommen hat, darauf hingewiesen, daß seiner Erfahrung nach die Streitkräfte der Vereinigten Staaten, insbesondere die Planer, keine Rücksicht auf Zivilisten nehmen, und das gilt insbesondere für die nukleare Planung. Ich konnte das tatsächlich bestätigen.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Konflikt in der Ukraine nuklear wird? Ich habe über die Jahre hinweg – und ich habe diesen Konflikt sehr genau verfolgt – verschiedene Szenarien beobachtet, plausible Szenarien, bei denen es hätte sehr schiefgehen können. Erstmals war ich beunruhigt, als die 101. Brigade der Screaming Eagles – das waren die 5.000 Soldaten der Luftlandetruppen der 101. Luftlandedivision – nach Osteuropa verlegt wurden: 4.000 nach Rumänien und 1.000 nach Polen. Das war Ende des Frühjahrs 2022. Es dauerte eine Weile, bis sie untergebracht waren, aber – ich kann mich nicht mehr an das genaue Datum erinnern, aber es war Ende September, als der Kommandeur dieser Gruppe der amerikanischen Presse mitteilte, daß man nun bereit sei, den Befehl auszuführen und jederzeit über die Grenze in die Ukraine einzumarschieren, um sich den vorrückenden russischen Truppen im Weg zu stellen.

Die Russen hatten bereits angekündigt, daß sie jeden Amerikaner oder jeden anderen bewaffneten NATO-Soldaten, der in der Ukraine auftaucht, vernichten würden.

Die 101. Luftlandedivision – eine sehr berühmte Division – ist in vielen Liedern und Lobeshymnen gefeiert worden. Wenn Sie Amerikaner sind oder sich mit der Militärgeschichte der USA oder der NATO auskennen, wissen Sie, daß diese Division hochangesehen ist und eine Legende darstellt. Sie dort als Hemmschuh einzusetzen, und diese Luftlandetruppe ist wahrscheinlich gepanzert: Ich meine, sie hätten keinerlei Widerstand bedeutet, sie wären bei jeder Auseinandersetzung mit den Russen dezimiert und abgeschlachtet worden. Und die Russen hätten davor nicht zurückgeschreckt.

Was wäre die Folge gewesen? Großes Geschrei: „Wir müssen etwas tun! Wir müssen etwas tun!“ Man sieht derartige Dinge, doch was können sie am Ende tun? Mehr Waffen? Man kann keine weiteren Sanktionen verhängen. Also das Einzige, was man einsetzen könnte, sind taktische Atomwaffen gegen russische Streitkräfte in der Ukraine. Man beachte, in der Ukraine, nicht gegen Rußland. Zum Glück ist das bisher nicht passiert.

Die nächste Stufe war, daß nicht nur Macron, sondern auch die Polen und andere darüber nachdenken, bewaffnete Truppen in die Ukraine zu schicken, und zwar Tausende von Soldaten über Odessa in die Südukraine. Hier wäre die Situation ähnlich.

Das wissen die Franzosen, und hochrangige französische Militärs gingen tatsächlich an die Presse und sagten anonym: „Man wird sie abschlachten.“ Nun, darum geht es im Grunde! Sie sollen geopfert werden, um dann die Amerikaner um Hilfe zu rufen. Es gibt viele Leute im Kongreß und vor allem in den Medien, die um Hilfe rufen würden.

Aber was könnten die Amerikaner tun? Was könnte die NATO tun? Sie planen einen Krieg; sie denken, daß sie bis 2029 bereit wären, einen konventionellen Krieg gegen Rußland zu führen, weil die Rüstungsindustrie der NATO nicht früher die Mittel dafür bereitstellen kann. Was würden sie also tun? Was könnten sie tun? Da wäre die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Die Russen würden natürlich zurückschlagen, aber auch hier nicht auf amerikanischem Boden, sondern auf US-Stützpunkten in Europa und anderen Orten von Interesse.

Glücklicherweise waren die französischen Pläne zu viel für Biden und die NATO selbst. Der NATO-Generalsekretär sagte Macron: „Das wäre nicht sehr hilfreich.“

Der nächste Punkt, der die Situation jetzt wieder explosiv macht, ist der Einsatz von Langstreckenraketen durch die Ukrainer, der öffentlich angekündigte Einsatz nuklearer Langstreckenraketen gegen strategische Ziele tief in Rußland sowie gegen Ziele, die Teil der russischen nuklearen Abschreckung sind.

Die Russen haben gesagt, so kann es nicht weitergehen. Es wird nicht so weitergehen, und zwar deshalb nicht, weil die Amerikaner, die Briten und andere selbst es so sehen und es nicht mehr verborgen werden kann. Die Aufklärung, die Zielerfassung, die Daten für die Eingabe in die Rakete, all das wird von NATO-Personal oder von Personal der verschiedenen NATO-Mitgliedsstaaten gemacht. Das einzige, was die Ukrainer tun, ist einen Knopf zu drücken.

Sie alle kennen die Reaktion Rußlands. Sie haben gesagt, sie werden das nicht mehr lange dulden. Sie werden die Stützpunkte angreifen, von denen diese Dinge kommen, und auch außerhalb der Ukraine, also in NATO-Ländern. Jetzt haben wir wieder eine Situation, in der die Russen etwas tun würden, was eine Reaktion der NATO oder der USA erfordert.

Das nächste Problem in dieser Hinsicht, das die Sache noch komplizierter macht, ist, daß Selenskyj und seine Berater, die so verzweifelt auf den F-16 in der Ukraine bestanden haben, jetzt sagen: „Nun, wir wollen sie nicht alle auf ukrainischem Territorium haben, weil sie zerstört werden könnten, bevor wir sie einsetzen können. Wir wollen die meisten von ihnen auf Luftwaffenstützpunkten in benachbarten NATO-Ländern haben.“

Nun, das ist eine ziemlich knifflige Angelegenheit, denn wenn die F-16 von benachbarten Luftwaffenstützpunkten aus starten, wo sie gewartet, betankt und vielleicht auch bewaffnet wurden, und dann nur einen Zwischenstopp auf einem ukrainischen Rollfeld einlegen und dann weiterfliegen, um russische Ziele anzugreifen, wird das nicht gehen. Es ist ziemlich klar, daß die NATO-Luftwaffenstützpunkte, wo die ukrainischen F-16 stehen, russische Ziele sein werden.

Das sind die Dinge, die mich nicht gut schlafen lassen, vor allem, da ich nicht weit von Ramstein entfernt wohne, einem der Zentren, das am ehesten getroffen werden könnte.

Ich möchte noch auf eines hinweisen. Der alte Spruch, daß Putin blufft und es nicht ernst meint, daß die russische Nukleardoktrin nur ein Papiertiger ist, daß die Russen es nie wagen würden und so weiter und so fort. In diesem Zusammenhang sei an die Sorgfalt erinnert, die alle unsere Länder beim Bau und bei der Errichtung von Kernkraftwerken an den Tag gelegt haben. Alle Systeme, bei denen bei der Erzeugung von Kernenergie etwas schief gehen könnte, auch wenn die Wahrscheinlichkeit nur 1 zu 1.000 oder 1 zu 1 Million war, wurde verdoppelt und verdreifacht, um eine Sicherheitsmarge zu haben, damit während der Lebensdauer des Kraftwerks nichts passiert.

Man vergleiche die Sorgfalt, die wir in diesen Aspekt investiert haben – nun, Fukushima war schlimm genug, aber es ist nicht so schlimm wie ein begrenzter Atomkrieg in Europa! Gleichzeitig denken wir: „Ach, die Russen meinen es wahrscheinlich nicht so, die bluffen nur“, und wir können so weiter machen, wie wir wollen. Ich meine, das ist verrückt! Es ist einfach total verrückt.

Ich glaube, ich habe heute genug von Ihrer Zeit in Anspruch genommen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Oberst a.D. Alain Corvez, Berater für internationale Angelegenheiten, ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums (Frankreich): Wir befinden uns in einer Zeit des totalen Nihilismus

Redde im Wortlauf lesen

Wir befinden uns in einer Zeit des totalen Nihilismus

Von Obert a.D. Alain Corvez

Oberst a.D. Alain Corvez ist Berater für internationale Angelegenheiten und ehemaliger Berater des französischen Innenministeriums. Im ersten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Übersetzung aus dem Französischen.)

Danke für Ihre Einladung… Ich habe auf dieser Konferenz bisher sehr sinnvolle und vernünftige Reden gehört. In Gesprächen mit vielen Experten auf der ganzen Welt höre ich etwas anderes, und die Schlußfolgerung ist, daß solche ausgewogenen Reden wie diese nicht beachtet werden. Warum? Weil wir uns in einer Situation des totalen Nihilismus befinden.

Ich möchte als Einleitung, als Präambel, etwas von Nietzsche zitieren, aus seinen posthumanistischen Fragmenten, die er gegen Ende seines Lebens schrieb. Was hier angekündigt wird, ist die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte. Es beschreibt, was kommen wird, was unausweichlich ist, nämlich die Ankunft des Nihilismus. Nietzsche ist wahrscheinlich einer der großen Denker für das gegenwärtige Jahrhundert. Ich denke, er ist schlecht bekannt und wird von bestimmten Philosophen schlecht interpretiert. Es ist ein interessantes Denken in diesem Aphorismus 125 Der tolle Mensch.1 Er schreibt:

„Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: ,Ich suche Gott! Ich suche Gott!’“ Es folgt eine sehr interessante Entwicklung, und dann sagt er: „Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? … Wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen?“

Jetzt möchte ich mit der Gegenwart fortfahren, aber er sah es schon kommen, wie der Nihilismus aufkommt und die Macht übernimmt, und wenn ich auf diesem philosophischen Aspekt meiner Rede bestehe, dann eben deshalb, weil wir uns heute in einer Zeit des totalen Nihilismus befinden. Präsident Putin und Präsident Xi Jinping machen auf ruhige Art und Weise sehr vernünftige Vorschläge – und im Westen haben wir Leute, die völlig dement sind. Im Westen haben wir Verrückte, die am hellen Vormittag mit einer Laterne nach Dingen suchen, die es gar nicht mehr gibt. Heute ist es unmöglich, diplomatische Beziehungen zwischen Ost und West herzustellen, weil der Westen völlig dement ist.

Das muß man berücksichtigen. Nur sehr mächtige Kräfte werden in der Lage sein, das Blatt zu wenden. Wir sind heute Zeugen des Endes der amerikanischen Hegemonie in der Welt, insbesondere der westlichen Welt. In Kanada, Australien und Japan ist diese Hegemonie noch sehr stark, alle diese Länder folgen den Weisungen aus Washington. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Washington eine Infrastruktur und Logistik aufgebaut, die mit Hilfe von Geld und der Kontrolle über die Medien die westliche Hemisphäre beherrscht, auch wenn einige Intellektuelle sich zu Wort melden, um diese inakzeptable Situation zu entlarven.

Aber insgesamt erleben wir das Ende der US-Hegemonie in einer tragischen Periode, in der Menschen sterben, in der es großes Leid für die Menschheit gibt, weil die Vereinigten Staaten aus innenpolitischen Gründen in eine große Krise stürzen und ihre Außenpolitik eine Katastrophe ist.

China und Rußland und andere Länder, sich anschließen, wie der Iran, schaffen die neue Welt, und die Westmächte wollen das nicht akzeptieren. Sie wollen es nicht wahrhaben, sie wollen kein rationales strategisches Umdenken. So findet die Krise statt, mit vielen Toten in der Ukraine und in Palästina, weil man sich weigert anzuerkennen, daß die globale Vorherrschaft verloren ist. Das wird bis zu den nächsten US-Wahlen so bleiben, und diese Situation hat Hunderttausende von Toten heraufbeschworen.

Das ist Nihilismus. Wir befinden uns in der Verweigerung des rationalen Denkens. Diese Leute können sich nicht vorstellen, daß es eine Kraft geben kann, die ihren eigenen Kräften überlegen ist, aber das gibt es bereits. Irgendwann werden sie gezwungen sein, es zu akzeptieren. Die Vereinigten Staaten werden eine Großmacht im Weltgeschehen bleiben, aber nicht unbedingt alles in der ganzen Welt diktieren.

Das Schiller-Institut setzt sich bekanntlich für eine ausgewogenere Situation auf der Welt ein. Die Zeit ist gekommen, die Nationalstaaten zu respektieren. Helga Zepp-LaRouche hat über den Westfälischen Frieden gesprochen. Er stammt aus dem Jahr 1648 und war ein klarer Aufruf, den souveränen Nationalstaat, die jeweilige Kultur und Geschichte zu respektieren.

Wir müssen diesen Geist des Westfälischen Friedens wiederbeleben, in dem die Interessen und der Respekt für andere berücksichtigt werden müssen. Man sollte zwischen den Interessen der anderen und unseren eigenen Interessen abwägen. Die westlichen Führungen sind dement geworden, wie dieser von Nietzsche beschriebene Wahnsinnige. Wir sind in einer Welt, in der die USA bis zu den Wahlen im November nicht für einen vernünftigen Diskurs zur Verfügung stehen. Es gibt starke Kräfte, die darauf drängen, den Konflikt in der Ukraine fortzusetzen.

Ich stimme nicht mit Helga Zepp-LaRouche überein, wenn sie sagt, Rußland halte nur seine militärische Front aufrecht. Ich denke, daß Rußland durchaus in der Lage wäre, eine umfassende Militäroffensive zu starten, aber Rußland hat nicht die Absicht, das zu tun. Rußland will keine Zivilisten in der Ukraine bombardieren. Das passiert natürlich leider unvermeidlich in solchen Konfliktzeiten, aber Rußland könnte sofort nach Odessa marschieren, wenn es wollte, doch Rußland will das nicht. Vielleicht werden sie irgendwann einmal nach Odessa gehen.

Es ist nicht mehr die ukrainische Armee, die sich mit Rußland im Krieg befindet, sondern es sind die Militärberater der NATO, die aus Polen, Kanada, den USA, den Niederlanden, Frankreich, praktisch aus allen NATO-Staaten kommen. Diese Experten setzen die NATO-Waffen auf ukrainischem Boden ein, sie haben die entsprechende Ausbildung dafür. Es handelt sich also um einen Krieg der NATO gegen Rußland, während sie gleichzeitig, in den Reden von Biden, Macron und Stoltenberg, nach außen hin behaupten: „O nein, wir wollen keinen Krieg mit Rußland!“ Das sagen sie tagein tagaus, aber es ist nicht wahr: Es sind heute die NATO-Streitkräfte, die mit Hilfe von NATO-Informationen NATO-Waffen einsetzen und russisches Territorium mit hochentwickelten Waffen beschießen. Es ist also schlimmer als Heuchelei; es ist völlig inkohärent.

Ich möchte nicht noch mehr Zeit in Anspruch nehmen, aber ich möchte darauf hinweisen, daß das auch einen wirtschaftlichen Aspekt hat. Die russische Wirtschaft entwickelt sich, und die europäischen Volkswirtschaften – vor allem Deutschland und Frankreich – brechen zusammen. Es wäre vernünftig, wenn Westeuropa mit Osteuropa, Rußland und Asien zusammenarbeiten würde. Rußland hat bekanntlich die Energieressourcen, die für die westliche Wirtschaft lebenswichtig wären. Doch die ehemalige Weltmacht USA hat kein Interesse daran, ein vereintes Europa mit Osteuropa und Rußland zu sehen.

Ich möchte mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt schließen, denn die beiden Konflikte lassen sich nicht voneinander trennen. Es handelt sich um zwei Symptome der ehemals allmächtigen Vereinigten Staaten, die die Palästinenser und die Ukrainer benutzen, um vor der Welt zu vertuschen, daß es in Wirklichkeit ihr eigenes Endspiel ist. Das israelische Kriegskabinett ist ein klares Beispiel für Demenz; diese Leute sind nicht mehr in der Lage, rational zu denken. Sie haben den Krieg, den sogenannten „Krieg gegen die Hamas“, verloren. Sie haben nachgelegt, und jetzt weiß die Welt alles darüber, wie sie an Einfluß verlieren.

Ich möchte nur einen Artikel aus der Jerusalem Post vom 9. Juni zitieren. Dort sagt ein israelischer General a.D., Itzhak Brik: Die israelische Bevölkerung ist gegen dieses Kriegskabinett, weil es uns in den Abgrund führt. Wir wissen, daß dieser Kampf gegen die Palästinenser den aufgeklärten Teil der Welt jetzt hinter der Unterstützung Palästinas und gegen uns versammelt. Noch haben wir die Unterstützung der US-Regierung, aber wie lange noch?

Dieser General ist intelligent, aber das israelische Kriegskabinett hat Israels Einfluß in der Welt völlig zerstört.

Abschließend möchte ich sagen, daß wir unsere Regierungen zur Vernunft bringen müssen, auch die französische Regierung. Das Volk sollte eingreifen und der Kriegstreiberei Einhalt gebieten, die unsere Volkswirtschaften zerstört, in der vergeblichen Hoffnung, das Überleben der amerikanischen Hegemonie zu sichern, obwohl sie eindeutig verloren ist. Ich danke Ihnen nochmals dafür, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, heute hier das Wort zu ergreifen.

 


Anmerkung

1. Nietzsche, Friedrich, Die fröhliche Wissenschaft, Drittes Buch, 125. Der tolle Mensch (Zeno.org)

Panel 2: Die Entwicklungsbestrebungen der globalen Mehrheit

Moderator Dennis Speed

  • Lyndon LaRouche (1922-2019)
  • S.E. Donald Ramotar, ehemaliger Präsident von Guyana (Guyana): „Die Dritte Welt braucht Frieden“

Rede im Wortlaut lesen

„Die Dritte Welt braucht Frieden“

Von Donald Ramotar

Donald Ramotar ist ehemaliger Staatspräsident von Guyana. Im zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15.-16.6. sagte er folgendes (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Vielen Dank, daß Sie mich eingeladen haben. Zunächst einmal möchte ich sagen, wie sehr ich unsere erste Konferenzsitzung geschätzt habe. Sie war sehr informativ und, wie ich glaube, sehr nützlich.

Wir treffen uns zu einem äußerst wichtigen und ich würde sagen, äußerst gefährlichen Zeitpunkt für unsere Welt. Zwei große Kriege sind im Gange: der Krieg in Gaza, der aus humanitärer Sicht eine der schlimmsten Katastrophen ist, die wir je erlebt haben. Und der zweite ist der Ukraine-Konflikt, der insofern am gefährlichsten ist, als er einen Atomkrieg auslösen kann, der das Ende des Lebens, wie wir es auf der Erde kennen, bedeuten kann. Deshalb ist es äußerst wichtig, daß wir unser Bestes tun, um all diesen Konflikten ein Ende zu setzen.

Aber es gibt noch andere Konflikte, überall in der Dritten Welt – Sudan, um nur einen zu nennen. Im Mittelpunkt vieler dieser Konflikte steht die ganze Frage der Armut, der Unterentwicklung, der fehlenden wirtschaftlichen Entwicklung. Viele Sozialwissenschaftler haben bereits nachgewiesen, daß es einen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Entwicklung und Frieden gibt. Je mehr wir die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben und bestimmte soziale Fragen lösen können, desto mehr können wir einige der verschiedenen Probleme mildern und abschwächen.

Die Entwicklungsländer des Südens sind mit Konflikten aller Art konfrontiert, sowohl interne Konflikte als auch, nicht selten, Probleme untereinander. Das ist eine direkte Folge der ungleichen und ungerechten internationalen Beziehungen, die in unserer Welt herrschen. Auch wenn der Kolonialismus weitgehend beendet ist, gibt es hier und da immer noch Gebiete, die davon betroffen sind. Bei uns in der Karibik zum Beispiel gibt es noch einige davon. Der Kolonialismus wurde zwar Mitte der 1970er Jahre weitgehend beendet, aber viele der Verbindungen sind noch nicht wirklich abgebrochen.

Ausbeutung der Dritten Welt geht weiter

Das gilt insbesondere für die wirtschaftliche Entwicklung. Die Ausbeutung der Dritten Welt geht unvermindert weiter, das hat sich nicht geändert. In einigen Fällen – insbesondere durch die Entwicklung von Wissenschaft und Technik – hat sie sich sogar noch verstärkt und ist wahrscheinlich sogar intensiver als während der Kolonialzeit. Die Ausbeutung unserer Ressourcen zugunsten der entwickelten Welt ist nach wie vor ein Hauptmerkmal der heutigen internationalen Beziehungen.

Das zeigt sich daran, daß die Nettokapitalströme immer noch sehr stark vom Süden in den Norden fließen, von den Entwicklungsländern in die entwickelte Welt. Das mag nicht so erscheinen, wenn man sieht, daß die Konzernmedien ständig berichten, daß die Länder der Dritten Welt gerettet werden müssen oder daß sie Spenden oder Beiträge brauchen. In den Nachrichten wird der Eindruck erweckt, daß mehr Geld aus dem Norden in den Süden fließt. Doch tatsächlich wird geschätzt, daß der Netto-Ressourcenfluß von den Entwicklungsländern in die Industrieländer seit 1960 etwa 62 Billionen Dollar beträgt. In heutigem Geld sind das 152 Billionen US-Dollar. Es handelt sich also nicht um Mittel, die aus dem Norden in den Süden kommen, sondern um Mittel, die aus dem Süden in den Norden fließen.

Diese Ausbeutung nimmt viele Formen an, und das betrifft die Ausbeutung unserer Rohstoffe. Nicht viele Länder der Dritten Welt im Süden sind so industrialisiert, daß sie Fertigprodukte herstellen können. Daher sind wir immer noch weitgehend Rohstoffexporteure. Und dadurch hat sich die Handelsbilanz dramatisch verändert, weil die Preise für Industriegüter weiter stark ansteigen, während die Preise für Rohstoffe viel langsamer steigen. Daher müssen wir in der Dritten Welt fast jedes Jahr mehr Mittel aufwenden, um die gleichen Waren zu kaufen wie in den Vorjahren. Ein größerer Teil unserer Ressourcen wird für den Kauf von Waren verwendet.

Es ist für uns nicht überraschend, aber für viele Menschen in anderen Teilen der Welt mag es das sein, weil die Dritte Welt größtenteils aus Agrarländern besteht: Aber es wird immer noch eine enorme Menge an Nahrungsmitteln in die Länder der Dritten Welt importiert, in der Landwirtschaft selbst. In die Karibik zum Beispiel werden jährlich Lebensmittel im Wert von über 4 Milliarden Dollar importiert, obwohl wir als eher landwirtschaftlich geprägt gelten.

Das liegt vor allem daran, daß zwar viele der von uns produzierten Erzeugnisse, wie Zuckerrohr, Zucker, Reis usw., exportiert werden, wir aber viele andere pflanzliche Nahrungsmittel in unser Land importieren. Dieser Bereich wurde nicht richtig entwickelt, es wurden nicht genügend Ressourcen in andere Bereiche der Nahrungsmittelproduktion investiert. In unserer Region wird dies immer deutlicher, und in der CARICOM [der Karibischen Gemeinschaft] ist die Rede davon, die Lebensmitteleinfuhren zu reduzieren, weil wir die Möglichkeit dazu haben. Es wird nicht viel in diesen Bereich investiert, und es gibt keine Ermutigung vor Ort, mehr zu produzieren.

Dann ist da noch die Handelsbilanz. Die Stimme des Globalen Südens, der Dritten Welt, ist in wichtigen Institutionen wie dem IWF, der Weltbank, der Welthandelsorganisation usw. nicht sehr gut vertreten und nicht sehr stark. Diese Organisationen sind nach wie vor unter der Kontrolle der mächtigeren Länder der Welt, insbesondere den Vereinigten Staaten. Und sie werden in ihrem Interesse geführt.

Deshalb sind wir ständig verschuldet. In den 1980er Jahren hörte man sehr oft von den Schulden, und auch jetzt hört man von den Schulden. Die Schulden sind einer der Mechanismen, die unsere finanziellen Ressourcen ausbluten lassen und zum Nettofluß von Ressourcen aus dem Süden in den Norden beitragen. Früher haben wir viele IWF-Programme als „Schuldenfallen“ bezeichnet. Es gibt also einen Geldabfluß durch Schulden – über diese internationalen Institutionen, durch staatliche Kredite, durch viele private Kredite von Banken in der entwickelten Welt – und auch aus bestimmten Investitionen in Öl und Gas, Gold und andere Ressourcen. Sie werfen sehr schnell Gewinn ab, und so werden wir sehr schnell zum Nettoexporteur von Kapital.

Kaum etwas von diesen Ressourcen wird hier verarbeitet. Das ganze Gold, das wir in Guyana fördern, wird zum Beispiel in Kanada raffiniert. Ähnlich ist es mit jedem Tropfen Öl, der jetzt gefördert wird, denn in den letzten 4-5 Jahren sind wir zwar ein Ölproduzent geworden, aber es gibt hier keine Raffinerie, die etwas raffiniert, so daß wir kaum etwas von unseren Produkten bekommen. Das ist ein Merkmal vieler Länder der Dritten Welt, die weiterhin nur als Rohstoffproduzenten auftreten. Das führt zu großen Handelsungleichgewichten, und wir zahlen immer höhere Preise für Fertigwaren, die wir brauchen und die wir hier nicht haben.

Obwohl der Kolonialismus abgeschafft wurde, gibt es also eine Art kollektiven Kolonialismus, der sich im Laufe der Jahre entwickelt hat. Die entwickelten Länder des Nordens, vor allem die NATO-Länder, sind also diejenigen, die die Länder der Dritten Welt weiterhin ausbeuten.

Der Hauptgrund für all das ist, wie ich schon sagte, daß die internationalen Institutionen nicht zu unseren Gunsten eingerichtet sind, auch wenn man zum Beispiel aus politischer Sicht und aus Sicht der Justiz sieht, daß der Internationale Strafgerichtshof ein internationales Gremium ist; im allgemeinen will er eher Staatsführer aus der Dritten Welt vor Gericht stellen.

Schauen Sie sich an, wie lange es dauert: Seit acht Monaten, seit Israels Morden anfing, bis heute gibt es klare Anzeichen für einen Völkermord. Ich habe die Nachrichten gehört, sie sind jetzt dabei, die Häuser der Menschen zu zerstören, mit Dynamit zu sprengen. Die eigentliche Absicht ist, Gaza unbewohnbar zu machen; die Absicht ist ethnische Säuberung. Das geht weiter, und der Internationale Gerichtshof hat sich zu vielen dieser Dinge immer noch nicht geäußert.

Wir wissen, wie schnell er über Rußland und Präsident Putin geurteilt hat, obwohl sie nur angeklagt wurden, weil sie Kinder aus dem Kriegsgebiet in Sicherheit brachten. Aber bei Netanjahu ist erst seit kurzem die Rede davon, ihn anzuklagen, weil er so viel Einfluß hat.

Aufstieg der Alternativen ist wichtig

Aus diesem Grund ist der Aufstieg der Alternativen für uns so wichtig. Das zeigt sich daran, daß viele Länder jetzt Schlange stehen und sich der BRICS-Gruppe anschließen wollen. Die BRICS-Gruppe bietet eine gewisse Hoffnung, ein besseres Gleichgewicht und ein besseres Verhältnis zu den Ländern der Dritten Welt zu schaffen. Deshalb gibt es in den Entwicklungsländern viel Enthusiasmus für die BRICS und den Wunsch, den BRICS beizutreten, in der Hoffnung auf bessere Beziehungen zu den BRICS. Sie hoffen, daß ihre Beziehungen zu den BRICS anders sein werden als die mit dem IWF, der Weltbank und anderen internationalen Organisationen, die aus der Bretton-Woods-Ära stammen.

Ein weiterer wichtiger Bereich ist die von China ins Leben gerufene Gürtel- und Straßen-Initiative. Sie ist führend beim Ausbau der Infrastruktur in der Dritten Welt, deren Mangel die Entwicklung unserer Volkswirtschaften in Bereichen wie dem Verkehr behindert hat. Dadurch werden viele unserer Strukturen an verschiedenen Orten miteinander verbunden, um sicherzustellen, daß wir eine bessere Chance für eine produktivere Entwicklung haben und mehr unserer Waren verarbeiten und zu besseren Preisen verkaufen können, usw. Ich glaube, das ist einer der Gründe für die Feindseligkeit gegenüber Rußland und China im Besonderen. Die Verleumdung dieser Länder zum Beispiel: Dieselbe Kritik, die wir über die Jahre am IWF geübt haben, daß er Schuldenfallen schafft, wird jetzt von den Konzernmedien umgedreht, sie sagen, Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative würde Schuldenfallen schaffen.

Tatsächlich deutet alles darauf hin, daß das nicht stimmt, sondern daß viele Länder der Dritten Welt zum ersten Mal die Möglichkeit haben, die Art von Infrastruktur zu entwickeln, die sie brauchen, um mehr Ressourcen aufzubauen.

Daher würde ich sagen, daß dies wahrscheinlich einer der Gründe [für die Konflikte] ist, auch wenn es nicht so offenkundig ist wie das, was jetzt in der Ukraine passiert, wo ein Stellvertreterkrieg gegen Rußland geführt wird, um die Vorherrschaft des Westens zu erhalten. Aber es gibt sie, weil sie sehen, daß diese neuartigen Beziehungen der Dritten Welt die Möglichkeit geben, widerstandsfähiger zu sein und dem Druck standzuhalten, dem wir ständig von internationalen Institutionen und westlichen Regierungen ausgesetzt sind, und statt dessen ein Programm für uns selbst zu entwickeln.

Das ist einer der Gründe, warum wir weiterhin gegen die Vorgänge in der Ukraine kämpfen müssen. Frieden! Die Dritte Welt braucht Frieden. Viele Kämpfe in der Dritten Welt werden von außen angezettelt, und manchmal sind sie das Überbleibsel von Grenzproblemen usw., die durch den Kolonialismus verursacht wurden. Wir brauchen Frieden; wir brauchen einen Mechanismus in der Welt für den Frieden. Wir sehen erst die Anfänge davon, daß sich das mit den neuartigen Vereinbarungen mit den BRICS und der Gürtel- und Straßen-Initiative entwickelt.

Ich denke, ich habe genug gesagt, und ich möchte Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit danken.

  • Prof. Henry Baldelomar, Professor für internationale Beziehungen, Nur-Universität, Santa Cruz, Bolivien (Bolivien): „Man kann keinen Frieden haben, wenn es Indikatoren für strukturelle Gewalt gibt“

Rede im Wortlaut lesen

„Man kann keinen Frieden haben,
wenn es Indikatoren für strukturelle Gewalt gibt“

Von Prof. Henry Baldelomar

Henry Baldelomar ist Geschäftsträger an der bolivianischen Botschaft in Washington. Bei der Konferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sprach er in seiner Eigenschaft als Professor für internationale Angelegenheiten an der Nur-Universität in Santa Cruz, Bolivien. (Übersetzung aus dem Spanischen, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Guten Morgen, es ist mir eine Freude, hier bei Ihnen auf dieser Konferenz des Schiller-Instituts zu sein.

Zweifellos sind diese Gefühle der Besorgnis, die die gesamte internationale Gemeinschaft aufgrund der Geschehnisse verdunkeln, auch das Ergebnis eines langen Prozesses, wie das internationale System gestaltet wurde. Erinnern wir uns daran, daß das internationale System seit 1991 einen sehr komplizierten Prozeß durchlaufen hat, vielleicht den längsten, um eine neue internationale Ordnung zu schaffen, der sich fast der gesamte globale Süden angeschlossen hat, um das Blatt zu wenden, das bis zu einem gewissen Grad ein Verhaltensmuster der Beziehungen zwischen Nord und Süd war. Es ist in der Tat so, daß wir einige mit dem Kolonialismus verbundene Schemata und Architekturen der Macht hinter uns gelassen haben.

Nichtsdestotrotz war die gesamte Periode, insbesondere seit 1945 bis 1991 oder vielleicht etwas später, durch eine systematische Betonung der Abhängigkeit in all ihren Verästelungen gekennzeichnet. Eine enorme Abhängigkeit in wirtschaftlicher und technologischer Hinsicht, eine Abhängigkeit im Handel, denn unsere Handelsbilanz zwischen dem Süden und dem Norden ist für den Süden äußerst ungünstig.

Auch im Hinblick auf die für die öffentliche Gesundheit erforderlichen Technologien hat die COVID-Pandemie die ,franziskanischen‘ Verhältnisse aufgedeckt, bei denen ein großer Teil der Gesundheitsbedingungen nicht nur im Süden, sondern auch in den Ländern des Nordens zu finden ist. Die Länder des Südens haben jedoch enorme Anstrengungen unternehmen müssen, um die Folgen der COVID-Pandemie zu überwinden.

Zweifellos stehen wir an einem Scheideweg, wenn es darum geht, eine neue Wirtschaftsordnung zu konsolidieren. Bolivien hat sich die Notwendigkeit zu eigen gemacht, dieses Streben nach einer multipolaren Ordnung zu konkretisieren, denn diese neue Konfiguration wird es dem globalen Süden ermöglichen, ein höheres Entwicklungsniveau zu erreichen.

Wenn wir über diese Entwicklungsniveaus sprechen, meinen wir natürlich nicht die 1960er und 70er Jahre, die Idee, die zum Beispiel die ECLAC [Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika und die Karibik] propagiert hatte. Das ist das ECLAC-Modell der Entwicklung, das bis zu einem gewissen Grad ein sehr begrenzter Ansatz war. In der Tat ist es viel zu klein für die Herausforderungen, denen sich der Süden gegenübersieht, um wirklich Entwicklung betreiben zu können. Denn wenn wir von Entwicklung sprechen, muß diese zweifellos in die Beseitigung aller Indikatoren für strukturelle Gewalt umgesetzt werden.

Eine Region des Friedens?

Lateinamerika ist eine Region, die sich dadurch auszeichnet, daß sie eine Region des Friedens ist, und wenn wir uns die anderen Kontinente ansehen, vielleicht abgesehen von Ozeanien, dann ist die Zahl der bewaffneten Konflikte in unserer Region deutlich geringer als in anderen Kontinenten. Auf die eine oder andere Weise bedeutet dieses Attribut, daß es uns ein gewisses Prestige verleiht, man könnte sagen, eine Region des Friedens zu sein.

Dies wird jedoch durch die schwerwiegenden strukturellen Indikatoren in den Hintergrund gedrängt oder zumindest verdunkelt, die Schwierigkeiten enormer sozialer Sektoren, grundlegende Dienstleistungen – wie Abwassersysteme, wie das Bildungssystem, das in vielen Ländern Lateinamerikas mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat – zu gewährleisten. Die Technologie ist nahezu veraltet. Auch im Gesundheitswesen gibt es Probleme, und Armut und Elend sind die schlimmsten Anzeichen für soziale Gewalt.

Vielleicht sollten wir auch über die Idee sprechen, daß Lateinamerika eine Region des Friedens ist, denn man kann keinen Frieden haben, wenn es Indikatoren für strukturelle Gewalt gibt. Man kann keinen Frieden haben, wenn es weite Gebiete gibt, die nicht einmal die Möglichkeit haben, die minimalen Bedürfnisse zu befriedigen, wie z.B. die Möglichkeit, Lebensmittel nach Hause zu bringen. Sie können nicht von Frieden sprechen, wenn es in einer Region Diskriminierung gibt. Sie können nicht von Frieden sprechen, wenn die Unsicherheit für die Bürger in einigen Städten zunimmt. Man kann nicht von Frieden sprechen, wenn die internationalen kriminellen Organisationen, wie der Menschen- und Drogenhandel und in etwas geringerem Maße auch der Waffenhandel, die Zivilgesellschaft in den lateinamerikanischen Ländern treffen.

Dennoch haben wir vielleicht trotz dieses schwierigen Bildes, das wir im ersten Panel gehört haben, jenseits der wirtschaftlichen und sozialen Indikatoren, die wir in Südamerika sehen, die Möglichkeit, das Blatt zu wenden und die Chance auf Entwicklung zu haben.

Umfassende Entwicklung statt bloßer Gewinnung von Rohstoffen

In Südamerika und insbesondere in Bolivien, einem Land, das in seiner Geschichte seit der Kolonialzeit bis vor kurzem ein Exporteur von Rohstoffen war, war Bolivien so gut wie ein Monoproduzent von Rohstoffen. In der Vergangenheit war es Silber, dann Zinn, und in den letzten Jahren Erdgas; in den letzten Jahren ist Bolivien zu einem großen Exporteur von Erdgas geworden; die wichtigsten Märkte waren Argentinien und Brasilien.

Wenn wir über Entwicklung sprechen, wollen wir jedoch nicht einfach dasselbe Schema der Gewinnung von Ressourcen reproduzieren, die wichtig waren, um die Lebensbedingungen bis zu einem gewissen Grad verbessern zu können. Natürlich ist das natürlich nicht der effektivste und effizienteste Weg, um die enormen Mengen an natürlichen Ressourcen, die Bolivien besitzt, zu nutzen.

Unsere Absicht ist es daher, daß die BRICS, denen Bolivien beitreten möchte, nicht nur eine neue Machtstruktur auf internationaler Ebene werden, so daß wir im Süden gegenüber dem Norden nicht mehr untergeordnet sind, sobald es uns gelingt, die BRICS aufzubauen und zu stärken. Wir werden in der Lage sein, internationale Beziehungen im Rahmen der Grundsätze der Gleichheit und Solidarität zu unterhalten, so daß alle Völker der Welt ein bestimmtes Entwicklungsniveau erreichen können.

Unser Ziel, die BRICS, muß auch in die Schaffung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung umgesetzt werden. Traditionell sind die Institutionen, die aus Bretton Woods hervorgegangen sind – insbesondere der IWF und die Weltbank – fast ausschließlich als Garanten nicht für die Entwicklung der Länder des Südens, sondern für die wirtschaftlichen Interessen der größten Mächte tätig, insbesondere derjenigen, die bis zu einem gewissen Grad die meisten Anteile an diesen beiden wichtigen Institutionen besitzen. Diese etwas asymmetrische Beziehung, die man an der Zusammensetzung und den Entscheidungsgremien dieser Organisationen erkennen kann, war für die Länder Lateinamerikas und insbesondere für die Länder des Globalen Südens schon immer ein Hindernis oder eine Schwierigkeit, wenn es darum ging, ein erfolgreicheres Niveau und die gesamte Entwicklung zu erreichen, die sie benötigen.

Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, haben damit zu tun, daß wir ein höheres Maß an Integration in unseren Ländern in Südamerika erreichen müssen. Wir haben eine Reihe von Integrationserfahrungen gemacht, mit der Gemeinschaft der Andenstaaten, MERCOSUR, ALBA [Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerikas] und anderen derartigen Gremien. Einige der Einschränkungen, die diese Integrationsprozesse mit sich bringen, haben mit den Schwächen der Autobahnen und anderer Infrastrukturen zu tun.

Um eine effiziente Integration der Infrastrukturen zu erreichen, brauchen wir ein ganzes System zur Integration der Autobahnen, das alle verschiedenen Verkehrsträger nutzt. Ich spreche nicht nur von Autobahnen, sondern auch von Eisenbahnen und Wasserwegen. Sie alle müssen entwickelt und integriert werden, um unsere physische Integration zu verbessern und den Ländern Südamerikas, insbesondere Bolivien, das – aufgrund eines 1879 ausgelösten Krieges – ein Binnenland ist und daher leider nur unter Schwierigkeiten Zugang zu bestimmten Häfen hat, die Anbindung an den internationalen Markt zu ermöglichen. Tatsache ist, daß die BRICS für Bolivien nicht nur eine Art Schema der Machtverhältnisse sind, sondern auch eine Chance, damit die Ressourcen fließen können, die notwendig sind, um dieses Niveau der umfassenden Entwicklung zu erreichen. Und daß wir das asymmetrische Verhältnis ändern, das im internationalen Handel und in der Entwicklung besteht.

Schwächung des internationalen Rechts

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch kurz auf Situationen eingehen, die mit der Schwächung des internationalen Rechts zusammenhängen. In den letzten 40 Jahren waren wir Zeugen von drei Entwicklungen, die uns veranlassen sollten, sehr gründlich über die Rolle des internationalen Rechts nachzudenken, um das zu verhindern, was jetzt in Gaza geschieht. In den letzten Jahren gab es drei solcher Fälle, die uns zu einem gewissen Maß an Scham für das internationale System veranlassen sollten: Was in Ruanda geschah; was im Kosovo geschah; und jetzt, was in Gaza geschieht.

Im Rahmen dieser Bestrebungen nicht nur des Globalen Südens, sondern der gesamten internationalen Gemeinschaft, der Menschheit als Ganzes, war es wichtig, auch kreativere und effizientere Wege zu entwickeln, um zu gewährleisten, daß es nie wieder zu einer solchen Entwicklung kommt, wie wir sie jetzt in Gaza erleben. Zweifellos wirft es einen Schatten auf die Würde des Menschen, wenn diese Art von Greueltaten an Völkern verübt werden. Zweifellos handelt es sich um eine Art Ethnizid, eine Art Verbrechen, das in Gaza im Gange ist.

Bolivien hofft, daß wir in dem Maße, in dem die BRICS mächtig werden und die Zahl der Staaten wächst, nach und nach auch die Herausforderung annehmen werden, der internationalen Gemeinschaft eine Sichtweise des Völkerrechts zu vermitteln, die nicht von der Anwendung von Gewalt abhängt, so daß es nie wieder zu Situationen wie den drei von mir genannten kommen wird. Diese liegen nicht lange zurück, sie stammen aus dem Ende des letzten Jahrhunderts und die jüngste Situation in Gaza aus dem Anfang dieses Jahrhunderts.

Ressourcen als Sprungbrett der Entwicklung

Abschließend möchte ich betonen, daß Bolivien nicht nur über wichtige natürliche Ressourcen verfügt, sondern daß wir glauben, daß diese in eine Art Trampolin für die Industrialisierung dieser Ressourcen umgewandelt werden sollten. Wir glauben, daß insbesondere Südamerika eine enorme Chance bietet, die Länder, die über große Lithiumvorkommen verfügen – das berühmte Lithiumdreieck von Chile, Argentinien und Bolivien in Südamerika. Wir hoffen, daß die Reife vorhanden ist, um langfristig und mit dem Ziel zu denken, in Südamerika eine Region zu bilden, die nicht nur die natürliche Ressource Lithium bereitstellen kann und natürlich dazu beiträgt, den Verbrauch an fossilen Brennstoffen zu reduzieren, um effizienter zu sein, damit sich der Klimawandel nicht verschlimmert.

Aber es wäre auch sehr wichtig, daß wir in der Lage sind, unseren Willen in jedem dieser drei Staaten zu vereinen, um diese Ressource zu einer Ressource zu machen, die der Menschheit dient und nicht einfach ein weiterer Fall wird, wie es in der Vergangenheit der Fall war, wo natürliche Ressourcen ausgebeutet wurden und die Völker, die sie besitzen, einfach leer ausgingen und zusahen, wie diese Ressourcen in den Norden transferiert wurden. Die Mineralien der Seltenen Erden sind ein weiteres Beispiel für die Möglichkeiten, die sich Südamerika bieten, einen Beitrag zu leisten. Aber das muß auch in das Streben nach vollständiger Entwicklung übersetzt werden, die diese wirtschaftlichen Indikatoren, die in Wirklichkeit strukturelle Gewalt sind, verringern wird. Das war’s fürs Erste, und ich möchte Ihnen für diese Gelegenheit herzlich danken.

  • Michele Geraci, ehemaliger Unterstaatssekretär, italienisches Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung: Win-Win-Spiel statt Nullsummenspiel

Rede im Wortlaut lesen

Win-Win-Spiel statt Nullsummenspiel

Von Michele Geraci

Michele Geraci war Unterstaatssekretär im italienischen Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und hat derzeit eine Gastprofessur für Finanzen und Wirtschaft an der New York University in Shanghai. Im zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15.-16.6. sagte er folgendes (Übersetzung aus dem Englischen, Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Ich danke Ihnen vielmals. Ich grüße Sie aus Shanghai, wo ich heute bin. Ich danke dem Schiller-Institut und allen Teilnehmern für ihre Anwesenheit und für die Einladung. Ich werde mich relativ kurz fassen, ich möchte Ihnen einige wichtige Punkte nennen, die Sie vielleicht aus meiner kurzen Rede mitnehmen können.

Der erste wichtige Punkt ist, daß es eine Alternative gibt: Es gibt einen besseren Weg für die Länder der Welt, miteinander zu interagieren.

Wenn wir von einer unipolaren Welt zu einer multipolaren Welt übergehen, wenn also der Westen seine relative Stärke, die von den USA ausgeht, verliert und der Globale Süden aufsteigt, dann führt diese tektonische Verschiebung zu natürlichen Spannungen. Bei diesen natürlichen Spannungen handelt es sich im wesentlichen um einen Konflikt zwischen zweierlei Denken über Wirtschaft.

Das eine basiert auf dem Nullsummenspiel, dem Denken, das sich die westlichen Länder bisher zu eigen gemacht haben. „Wenn ich gewinne, verlierst du; wenn du verlierst, gewinne ich.“ Dieses Denken wird bekanntlich von China und den Ländern der Neuen Seidenstraße, den BRICS-Staaten usw. in Frage gestellt. Ich verwende dafür im allgemeinen den Begriff des Globalen Südens, Sie werden mir verzeihen, wenn ich verallgemeinere, ich tue das der Einfachheit halber.

Die alternative Sicht ist eine „Win-Win-Situation“, in der „euer Wohlstand auch zu meinem eigenen Wohlstand beiträgt“ und mein Wohlstand auch für euren Wohlstand von Bedeutung ist. Natürlich sind die Dinge nicht ganz so simpel, in der Realität kann es Abweichungen von diesem idealen Win-Win-Ansatz geben. Aber im Durchschnitt gilt dieses Denken, und wenn man von Ausnahmen absieht – wie z.B. Reibungen im System, die diese Win-Win-Situation nicht wirklich realisieren –, dann sollte dieses Denken die Tür für eine Diskussion über Kooperation anstelle von Konkurrenz öffnen.

Der zweite Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der, daß beim Nullsummenspiel der Wettbewerb im Mittelpunkt steht, während es beim Win-Win-Spiel die Zusammenarbeit ist. Wir sehen Aktivitäten der europäischen Länder und der Europäischen Union, die China in der Beziehung zu ihm manchmal als einen systemischen Rivalen sehen, manchmal als Partner, manchmal als Konkurrenten. Wir alle hier wollen versuchen, diesen Ansatz zu ändern und uns mehr auf den kooperativen Weg zu konzentrieren.

Normalisierung der globalen Rollen

Die Europäische Union muß verstehen, was die Wirtschaftsgeschichte der letzten 2000 Jahre zeigt: daß die Wirtschaft der Welt 1800 Jahre lang von den asiatischen Ländern, von Indien und China, dominiert wurde. Das änderte sich Ende des 17. Jahrhunderts, als die Briten nach Indien und China kamen. Der Aufstieg und die Vorherrschaft des Westens, der heutigen amerikanisch-europäischen Hegemonie, war also in der Geschichte der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten zwei Jahrtausende nur ein kleiner „Ausrutscher“.

Dementsprechend müssen wir erkennen, daß der Aufstieg des Globalen Südens keine Herausforderung ist. Er ist nicht nur etwas, bei dem wir Gewinn machen können, es ist auch ein fast schon natürliches und notwendiges Ergebnis, indem das Gleichgewicht auf der Welt wieder dahin gelangt, wo es schon immer war. Es ist fast schon eine Art Anziehungskraft zu einer Rückkehr zum Durchschnitt, der uns schon seit langem begleitet.

Ich würde daher statt vom Aufstieg Chinas und des Globalen Südens und Indiens eher davon sprechen, daß sie wieder die Position erhalten, die ihnen bisher zustand. Die führenden Länder sind dabei natürlich China und Indien, andere, kleinere Länder waren nie dominant, aber auch die kommen jetzt im Gefolge Indiens und Chinas wieder zurück.

Über dieses „Win-Win-Spiel contra Nullsummenspiel“ hinaus können wir daher versuchen, einen alternativen Weg zu finden, wie ich eingangs sagte: Geschäfte, Handel und Investitionen zu entwickeln, bei denen man „Hand in Hand“ geht. Das ist etwas anderes als das „Hand in Hand“, das unsere amerikanischen Freunde als einzigen Weg zum Erfolg sehen, nach amerikanischer Auffassung bedeutet das nämlich, daß wirtschaftliche Dominanz Hand in Hand mit militärischer Dominanz einhergehen muß. Das eine gilt als entscheidend für den Erfolg des anderen. Statt dessen sollten wir versuchen, diese Kopplung von wirtschaftlicher und militärischer Dominanz durch eine rein wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überwinden.

Es ist sehr merkwürdig, wenn ich in Asien mit anderen Wissenschaftlern und Regierungsmitgliedern spreche, fragen sie immer danach. Die USA befinden sich geographisch gesehen wirklich in einer ganz einzigartigen, optimalen Position. Sie sind ein Land, das durch zwei große Ozeane isoliert ist. Im Norden grenzt es an ein befreundetes Land, und im Süden grenzt es an ein relativ befreundetes Land, das nicht wirklich eine militärische Bedrohung darstellt. Vielleicht sind die Migranten das einzige Problem. Aber letzten Endes könnten die USA schon allein aufgrund ihrer optimalen geographischen Lage in einer sicheren Umgebung leben. Und ja, die USA haben wirtschaftliche Interessen in anderen Teilen der Welt, aber das haben Frankreich und Deutschland, Großbritannien und selbst China auch. Diese wirtschaftlichen Interessen sind auch außerhalb ihres eigenen Territoriums erfolgreich, ohne daß sie auf diese „zweite Hand“ einer militärischen Dominanz angewiesen sind.

Ich denke also, daß der Erfolg Chinas in anderen Ländern – Gürtel und Straße, die Investitionen in Afrika und anderen asiatischen und zentralasiatischen Ländern –, der ohne Notwendigkeit einer militärischen Hegemonie in diesen Ländern auskommt (hoffentlich wird das noch einige Zeit so bleiben), den Weg zeigt, den auch die USA einschlagen könnten. Sie könnten ihre wirtschaftlichen Interessen weit weg von der schützenden Geographie der Vereinigten Staaten ohne Notwendigkeit militärischer Intervention verfolgen.

Die USA sollten den Erfolg Chinas auf wirtschaftlichem Gebiet, der nicht mit militärischen Aktionen einhergeht, positiv sehen. Denn das gibt ihnen einen Anhaltspunkt dafür, wie sie hoffentlich dieses „Hand in Hand“ der militärischen und wirtschaftlichen Hegemonie aufbrechen können und in ihrem eigenen Interesse ihre Zeit und ihre finanziellen Ressourcen besser für die vielen gefährlichen und wachsenden Probleme nutzen können, mit denen sie im Inland konfrontiert sind.

Die Neue Seidenstraße verbindet viele Orte

Mein alter Wirtschaftsprofessor, Rudi Dornbusch, hat mir immer gesagt: „Michele, studieren Sie Geographie und Demographie“ – also, wo das Land liegt, und die Menschen, die dort leben – „um die wirtschaftliche Dynamik zu verstehen.“ Ich denke also, es ist eine relativ einfache Lösung für ein komplexes Problem. Natürlich vereinfache ich hier ein bißchen.

Die Neue Seidenstraße ist für mich ein Erfolgsbeispiel für eine prosperierende wirtschaftliche Entwicklung in den Landgebieten Asiens und Afrikas. Ich bin froh, daß ich vorhin die visionäre Rede von Lyndon LaRouche gehört habe, der schon vor 25 Jahren, 2001, 10-12 Jahre bevor Präsident Xi Jinping zum ersten Mal Gürtel und Straße erwähnte, die Vorteile der Entwicklung von Landrouten als Alternative zu den Seewegen vor Augen hatte: eine sehr aufschlußreiche und visionäre wirtschaftliche Analyse, die davon ausging, daß der Nebeneffekt dieses Transits nicht nur an den Endpunkten, sondern auch entlang der Route wirtschaftliche Vorteile bringen würde, so daß die Kosten für den Bau der Infrastruktur quasi subventioniert würden. Der Warentransport wäre im Grunde genommen zum Nulltarif zu haben, weil man den positiven Effekt dieser Entwicklung hat, was beim Meer natürlich nicht der Fall ist.

Das ist einer der Gründe, warum ich Ihnen sehr dafür danke, daß Sie mich als eine der treibenden Kräfte für den Beitritt Italiens zur Gürtel- und Straßen-Initiative erwähnt haben, denn ich habe genau diesen Punkt angesprochen: daß die Neue Seidenstraße im Grunde keine Angelegenheit zwischen Italien und China ist. Es geht nicht nur um den Export von Waren zwischen Italien und China usw., oder auch um Investitionen zwischen diesen beiden Ländern, meinem und China, sondern es geht auch um die Zusammenarbeit und Entwicklung aller Länder, die dazwischen liegen, also aller asiatischen und afrikanischen Länder und eines Teils der europäischen Länder. Ich bin mir also völlig sicher, daß die Neue Seidenstraße keine Initiative von einem Punkt zum anderen ist, sondern eine von vielen Punkten zu vielen anderen Punkten.

Gibt es dabei Probleme und Herausforderungen? Ja. Gibt es Projekte, die scheitern? Ja, natürlich, das kommt in der realen Welt nun mal vor. Aber die Mißerfolgsquote, die „Schuldenfalle“, liegt noch im Rahmen der normalen internationalen Standards. Ich habe früher im Bankmanagement gearbeitet und mich mit Fusionen und Übernahmen befaßt, und glauben Sie mir, wenn wir bei gewissen Projekten eine Mißerfolgsquote von nur 10% oder selbst von 15% und einen Erfolg von 85% gehabt hätten, dann hätten wir diese Statistik mit unserem Blut unterschrieben.

Ich möchte damit nur sagen, daß man die Kritik an der Gürtel- und Straßen-Initiative in den Kontext der anderen Risiken stellen sollte, die mit der Entwicklung von Schwellenländern verbunden sind. Ja, es gibt Probleme, aber das sind keine Gründe, diese Projekte nicht durchzuführen. Vielmehr sind sie ein Grund, mehr Ressourcen zu investieren, um die Qualität der Investitionen weiter zu verbessern.

Und der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist: Es gibt wirklich Platz für alle. Wir haben sechs Milliarden Menschen, die einen Bedarf an Infrastrukturentwicklung haben: Wasser, sanitäre Anlagen, landwirtschaftliche Entwicklung, was auch immer. Europa und die USA müssen nicht mit China und der Neuen Seidenstraße konkurrieren. Das hier ist wirklich ein Beispiel dafür, wie wir alle zusammenarbeiten und uns gegenseitig ergänzen können.

Das Gateway-Programm der Europäischen Union für die Entwicklung Afrikas, ist das eine Konkurrenz für Gürtel und Straße? Nein! Es ist komplementär. China begrüßt die Infrastruktur-Initiative der Vereinigten Staaten, Global Gateway der EU und alles andere, den Nahost-Korridor usw., es gibt wirklich Platz für alle.

Und wir müssen uns von der Denkweise verabschieden, daß wir in Europa das Global Gateway brauchen, um mit der Neuen Seidenstraße zu konkurrieren oder ihren Fortschritt zu bremsen. Es sind zwei Initiativen, das Global Gateway der EU und die Neue Seidenstraße sollten und müssen für die Entwicklung Afrikas Hand in Hand gehen, anstatt in Konkurrenz zueinander zu stehen. Es gibt Platz und Bedarf für beides.

Außerdem müssen China und Europa zusammenarbeiten, um Informationen, Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen, damit beide gewinnen. Es geht nicht um einen Wettbewerb um ein neues Projekt, sondern darum, daß China gewinnt und erfolgreich ist. Das ist eine gute Neuigkeit für unser europäisches Vorhaben, denn es kann daraus lernen und vermeiden, woanders die gleichen Fehler zu machen. Insofern wäre Chinas Gewinn auch ein Gewinn für die Europäer in diesem Kontext von Gürtel und Straße.

Ich höre hier auf und gebe nur ein Versprechen ab: In dem Augenblick, in dem es in Italien wieder einen Regierungswechsel gibt, wird eine der Aufgaben auf meiner politischen Agenda darin bestehen, Italien wieder in die Neue Seidenstraße einzubinden, so daß wir diesen Prozeß neu starten und unsere Initiative anderen europäischen Ländern zur Verfügung stellen können, damit auch sie sorgfältig darüber nachdenken und sich hoffentlich wieder anschließen können – nicht als Alternative oder als Konkurrenz, sondern als ergänzende Initiative zu den Projekten unserer eigenen europäischen Einzelstaaten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

  • Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Netfonds AG (Deutschland)

Im Wortlaut lesen

Unser nächster Redner ist Folker Hellmeyer. Er ist Chefvolkswirt der Netfonds AG. Sein Beitrag hat die Form eines Interviews, das Helga Zepp-LaRouche kurz vor der Konferenz mit ihm geführt hat. Wir zeigen es Ihnen jetzt.

HELGA ZEPP-LAROUCHE: Hallo, Herr Hellmeyer, ich freue mich sehr, dass Sie uns die Ehre geben, an dieser Konferenz teilzunehmen, denn Sie sind mit Ihren Ansichten in diesen Tagen eher wie ein einsamer Rufer in einem Meer von Unvernunft in Deutschland. Ich möchte Sie nach dem Interview fragen, das Sie vor einigen Tagen der Schwäbischen Zeitung gegeben haben, worin Sie unter der Überschrift „Quo Vadis Deutschland“ davor gewarnt haben, dass Deutschland vor die Wand fährt. Können Sie Ihre Befürchtungen bitte erläutern?

FOLKER HELLMEYER: Ja, zunächst einmal vielen Dank, dass ich hier sprechen kann, und ich wünsche Ihnen alles Gute, um in dieser Welt etwas zu verändern, denn das ist dringend nötig.

Es gibt drei Themen, die Deutschland betreffen. Das erste Thema ist Energie. Unsere Energiepreise sind im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig. Deshalb haben wir hier einen Standortnachteil. Die Versorgungsprobleme im Energiebereich sind langfristig nicht gelöst, und diese beiden Probleme spielen eine große Rolle bei den Kapitalinvestitionen. Nur mit ständigen Kapitalinvestitionen können Volkswirtschaften florieren.

Das nächste Problem ist, dass die Sanktionspolitik, die nicht im Einklang mit dem WTO-Recht steht – Sanktionen, bei denen wir den Vereinigten Staaten, dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union folgen – unser Geschäftsmodell in hohem Maße einschränkt, da wir wichtige Importmärkte und auch Exportmärkte verlieren. Das untergräbt unser Geschäftsmodell hier in Deutschland und in Europa.

Der dritte Punkt betrifft das Vertrauen. Die deutsche Wirtschaft hat das Vertrauen in unsere Politiker verloren. Wenn man kein Vertrauen hat, investiert man nicht. Daher erodiert der Kapitalstock hierzulande, und das ist es, was wir sehen. Deutschland ist in der Weltrangliste für Wettbewerbsfähigkeit von 2014 bis 2023 von Platz 5 auf Platz 22 zurückgefallen. Dies ist eine Aufforderung an die deutschen Politiker und auch an die Politiker der Europäischen Union, in vielen Fragen eine Kehrtwende zu vollziehen – sei es in der Außenpolitik oder bei den Kapitalinvestitionen und daß wir unsere eigenen Interessen und nicht die Interessen Dritter verfolgen.

ZEPP-LAROUCHE: Wenn man das, was in Deutschland diskutiert wird, mit dem vergleicht, was auf der internationalen Bühne passiert, ist die Diskrepanz erstaunlich. Es sind tektonische Verschiebungen im Gange, mit den BRICS formiert sich ein ganz neues System. Sie repräsentieren zunehmend die Mehrheit der Weltbevölkerung, des weltweiten BIP. Warum sehen die Menschen in Deutschland und Europa nicht das unglaubliche Potenzial, das in einer einfachen Zusammenarbeit mit dieser neuen, aufstrebenden Gruppe von Ländern liegen würde?

HELLMEYER: Die Antwort ist ganz einfach. Natürlich kann man das sehen, und einige Ökonomen wie ich haben das schon sehr früh gesehen, und wir waren schon lange in Kontakt. Wir haben darüber gesprochen, die Seidenstraße, die BRICS, all diese Themen hängen zusammen. Tatsache ist, dass die westliche Welt ihre Machtposition in der Welt nicht verlieren will. Im Jahr 1980 hatte die westliche Welt einen Anteil von 80 Prozent am weltweiten BIP, bei vergleichbarer Machtparität. Heute sind wir auf etwa 30 Prozent gefallen. Der globale Süden ist also von 20% auf jetzt 70% gestiegen, aber er wächst jedes Jahr um 100-150% stärker als die westliche Welt. Sie werden also in absehbarer Zeit 75% bis 80% erreichen. Das ist eine wirtschaftliche und finanzielle Machtverschiebung, die bereits stattgefunden hat.

Bisher waren alle diese Länder des Südens auf sich allein gestellt. Sie hatten keinen Einfluss auf die Weltpolitik. Jetzt, wo sich die BRICS formieren und erweitern – ich glaube, es gibt 40 weitere Länder, die beitreten wollen -, werden sie zu einem wichtigen Akteur. Deutschland handelt nicht im eigenen Interesse, indem es auf den globalen Süden und die BRICS-Länder zugeht, sondern folgt den Vorgaben aus New York und Washington und auch aus London. Das ist ein großer Fehler, denn am Ende gewinnen wir vielleicht eine Schlacht, aber wir verlieren den Krieg. Durch den Einsatz von Mitteln, die außerhalb des Rahmens des legalen Geschäfts in der Welt liegen – zum Beispiel der WTO, der Welthandelsorganisation – verlieren wir jeden Tag das Ansehen des globalen Südens. Wir schaden uns also selbst, wenn wir dabei nicht mitmachen, und ich weiß das, weil ich mich sehr bemüht habe, uns auf den Weg der BRICS zu bringen, auf den Weg der Chancen. Das hat nicht sehr gut funktioniert, um es sehr diplomatisch auszudrücken.

ZEPP-LAROUCHE: Ich kann Ihnen nur zustimmen, dass das Ansehen Deutschlands sehr schnell sinkt. Ich spreche mit vielen Leuten. Heute ist der letzte Tag des Internationalen Wirtschaftsforums in St. Petersburg mit 19.000 Teilnehmern aus 130 Ländern. Es wurde über 850 große Geschäftsabschlüsse berichtet. Man kann also nicht sagen, dass Russland isoliert ist. In diesem Jahr hat Russland den BRICS-Vorsitz inne, und im Oktober findet der nächste große BRICS-Gipfel statt, bei dem wahrscheinlich viele neue Länder den BRICS beitreten werden. Warum können wir diese Realität nicht irgendwie in die Diskussion in Deutschland einbringen?

HELLMEYER: Um etwas in die Diskussion zu bringen, braucht man die Medien. Ich kann nur sagen, dass ich seit September 2014 nicht mehr in den Medien war – wobei die ARD ist unser wichtigster Medienkanal ist -, weil ich offenbar eine falsche Vorstellung von bestimmten internationalen Themen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise habe.

Werfen wir einen Blick auf das St. Petersburger Wirtschaftsforum. Es ist ein großer Erfolg. Und ich behaupte ganz klar, dass der Westen seit 1944, als der IWF und die Weltbank in Bretton Woods gegründet wurden, noch nie so isoliert war. Im Grunde ist jedes einzelne Ziel, das der Westen nach dem 24. Februar 2022 verfolgte, nach hinten losgegangen. Insbesondere haben wir Russland wirtschaftlich nicht in die Knie gezwungen; stattdessen blüht seine Wirtschaft. Unsere Wirtschaft in Europa leidet.

Zweitens, es gibt keine internationale Isolation. Es gibt eine Isolation zwischen dem Westen und Russland, ja, aber nicht mit dem globalen Süden. Das hat sich sogar noch verschärft. Wenn Sie sich die Handelsströme zwischen dem Globalen Süden und Russland ansehen, haben sie zugenommen. Die von Europa sind zurückgegangen. Ihr Anteil hat in den letzten zwei Jahren zugenommen.

Wenn Sie all diese Dinge zusammen betrachten, werden wir diese Märkte für einen sehr langen Zeitraum verlieren. Und es gibt noch ein weiteres Problem. Die Globalisierung hat die Armut in der Welt verringert, doch heute de-globalisieren wir im Grunde genommen; wir spalten den Westen vom globalen Süden durch die von den USA gesteuerte Politik, die von der Europäischen Union übernommen wurde. Wir entfernen uns von der Globalisierung und verlieren damit potenzielles Wachstum. Der Globale Süden mit den BRICS, der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und der RCEP [Regional Comprehensive Economic Partnership] hingegen globalisiert weiter. Daher haben sie in Zukunft höhere potenzielle Wachstumsraten. Sie sind klug, und für mich ist das Forum in St. Petersburg eine Bestätigung dafür. 130 Länder sind dort vertreten; und es gibt 193 Länder in den Vereinten Nationen. Das spricht für sich.

ZEPP-LAROUCHE: Ich stimme Ihnen zu, aber zum Glück gibt es eine Stimme der Vernunft, nämlich Papst Franziskus, der gerade eine neue internationale Finanzarchitektur gefordert hat. Er hat dies in den Kontext des Vergebungsjahres 2025 gestellt, das immer ein Thema war, um einen Schuldenerlass für die Entwicklungsländer zu fordern. Vielleicht passt das zu den aktuellen Bestrebungen der BRICS, eine neue Finanzwährung, eine neue Finanzhandelswährung, vielleicht sogar eine Reservewährung zu schaffen und die Funktion der Neuen Entwicklungsbank, die ihren Sitz in Shanghai hat, auszuweiten. Könnten Sie dazu etwas sagen?

HELLMEYER: Ja. Wenn Sie sich die Anteile am Welt-BIP anschauen, habe ich erwähnt, dass der globale Süden bei 70 Prozent liegt. Wenn man sich die Qualität der statistischen Daten anschaut, dann hatte der Westen in der Vergangenheit – in den 50er, 60er, 70er, 80er, 90er und 2000er Jahren – immer bessere Strukturdaten. S gab die lateinamerikanische Krise, die Fernostkrise usw. und der globale Süden hatte schwache Strukturdaten. Auch das hat sich geändert. Es ist also eine Veränderung in der Quantität und in der Qualität. Jetzt bauen sie Strukturen auf, um ihre wirtschaftliche Macht und ihre Qualität in Modelle einzubringen, die es erlauben, auf ausgewogene Art und Weise miteinander umzugehen. Das westliche System mit dem IWF und der Weltbank war immer ein Mittel, um westliche Interessen durchzusetzen. Und es ist bekannt, dass für eine Entscheidung des IWF oder der Weltbank eine Zustimmung von 85 Prozent erforderlich ist. Die USA haben einen Stimmenanteil von 50 Prozent, also können sie alles stoppen, was sie wollen. Mit der Neuen Entwicklungsbank und all diesen Themen haben wir jetzt die Chance, neue Strukturen zu schaffen. Es wird Zeit brauchen, und ich empfehle dem Süden, sich Zeit zu nehmen, harte und gute Arbeit zu leisten und nicht zu schnell zu sein. Schauen Sie sich den Euro an, das war ein schneller Weg, nicht der beste Weg, aber ein schneller Weg.

ZEPP-LAROUCHE: OK, vor ein paar Tagen hat Harald Kujat, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und frühere Vorsitzende des Militärausschusses der NATO, gewarnt, dass sich der Ukraine-Krieg sich zur Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts entwickeln könnte, in einer klaren Anspielung auf den Ersten Weltkrieg, der diese Funktion für das 20. Jahrhundert hatte. Viele internationale Experten wie Scott Ritter, Jeffrey Sachs, Prof. Mearsheimer und andere warnen ebenfalls vor der Gefahr, dass sich die Krise oder der Krieg zu einem globalen Atomkrieg ausweiten könnte. Was ist Ihre Meinung dazu und was muss getan werden, um das zu verhindern?

HELLMEYER: Ich sehe diese Gefahr, weil sich die Mentalität in Europa geändert hat; die Mentalität der Politiker. Die Lehren aus dem letzten Jahrhundert werden nicht mehr gezogen, nein. Was wir in der Ukraine-Krise sehen, ist eine ständige Eskalation durch den Westen. Wir erreichen nicht die Ziele, die wir erreichen wollen, und sobald wir das sehen, eskalieren wir einfach. Das erinnert mich an Christopher Clarks Buch über den Ersten Weltkrieg, wie die Länder in den Ersten Weltkrieg gezogen sind. Wir sind genau auf dem gleichen Weg. In dieser Hinsicht stimme ich voll und ganz mit Scott Ritter, Jeffrey Sachs, John Mearsheimer und einigen anderen überein. Das ist meine größte Sorge für die Zukunft. Die Wirtschaft ist das eine. Wenn wir die Welt wegen der Ukraine zerstören – und es ist nicht wegen der Ukraine. Die Ukraine ist ein Opfer der Politik des Westens, der nach der Weltmacht greift, während die Grundlage für die Weltmacht im Bereich der Wirtschaft und der Finanzen schwindet. Das ist das Hauptproblem. Es geht um Macht; mit Menschlichkeit hat das nichts zu tun. Nicht mit der Moral, die wir an den Tag legen; unsere wahren Farben sind andere.

ZEPP-LAROUCHE: Vielen Dank, und lassen Sie uns daran arbeiten, dies zu verhindern.

HELLMEYER: In der Tat, und ich wünsche Ihnen das Allerbeste. Ich möchte Ihnen für all Ihre Bemühungen danken, die Sie in den letzten Jahrzehnten unternommen haben, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich danke Ihnen.

  • S.E. Botschafter Prof. Dr. Manuel Hassassian, Botschafter der Palästinensischen Behörde in Dänemark (Palästina)

Im Wortlaut lesen

Den historischen Kontext des palästinensisch-israelischen Konflikts verstehen: Aktuelle Realitäten, Herausforderungen und der Fahrplan zu nachhaltigem Frieden und dauerhafter Gerechtigkeit

Prof. Dr. Manuel Hassassian
Palästinensischer Botschafter in Dänemark

Ich möchte meine Rede damit beginnen, dem Schiller-Institut für die Gelegenheit zu danken, vor Ihrer geschätzten Konferenz sprechen zu dürfen. Es tut mir leid. Ich werde nicht bei Ihnen sein, weil ich auf Reisen bin.

Ich möchte meine Rede mit einem kurzen Überblick über den Oasen-Plan beginnen, denn später werde ich über den palästinensisch-israelischen Konflikt sprechen und darüber, wie dieser in den Kontext eines Plans eingebettet werden kann, der wirklich Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit durch wirtschaftliche Entwicklung und durch die Beziehungen zwischen Nord und Süd bringen wird und so weiter. Lassen Sie mich zunächst kurz den Oasen-Plan beleuchten, der vom Schiller-Institut unter dem Titel LaRouche-Lösung für Frieden durch Entwicklung zwischen Israel und Palästina und für ganz Südwestasien gefördert wird. Frieden durch wirtschaftliche Entwicklung ist die einzige erfolgreiche Grundlage für einen dauerhaften gerechten Frieden in der Nahostregion.

Es gibt keine rein militärische Grundlage für Frieden oder Sicherheit, und eine militärische Lösung war noch nie eine Lösung. Es gibt also keine rein militärische Grundlage für Frieden oder Sicherheit. Nur Entwicklung ist wichtig. Das größte Hindernis für die Entwicklung in unserer Region, d.h. im Nahen Osten und in Südwestasien, ist jedoch der Mangel an Süßwasser. Wie jeder weiß. Denn wenn wir dieses Problem nicht lösen, wird der nächste Krieg im Nahen Osten um die Wasserressourcen geführt werden, d.h.wir brauchen den Bau eines Netzes von Entsalzungsanlagen, die idealerweise nuklear betrieben werden und das Meerwasser in Süßwasser umwandeln können.

(Sprecher1:) Diese Anlagen könnten das Rote Meer mit dem Toten Meer und das Tote Meer mit dem Mittelmeer verbinden, wie es in dem Plan vorgesehen ist. Und das wird nur möglich sein, wenn wir die Machtpolitik und die Geopolitik ablehnen und einen neuen Paradigmenwechsel in den internationalen Beziehungen herbeiführen, der auf einem neuen Konzept der wirtschaftlichen Entwicklung beruht, d.h. Sicherheit und Entwicklung werden sich als großes Konzept durchsetzen. Wie Helga Zepp-LaRouche einmal sagte. Ich zitiere. „Man muss Hoffnung haben und der Jugend eine anständige Zukunft geben, damit sie ein normales Leben führen und nützliche Dinge tun kann.“ Dieser Plan sollte auf den palästinensisch-israelischen Konflikt anwendbar sein, damit er endlich und dauerhaft gelöst wird, damit Frieden und Sicherheit herrschen.

Und nun lassen Sie mich die aktuelle Situation in Palästina beleuchten. Ich denke, es ist wichtig, die Tragweite dieses großen Konflikts zu kennen, der die ganze Welt in Mitleidenschaft gezogen hat. Und wie Sie sehen können, hat er die ganze Welt erfasst. Die öffentliche Meinung wird sich mehr und mehr bewusst, was die Palästinenser im Gazastreifen, im Westjordanland und in Ostjerusalem durchmachen müssen. Israels anhaltende apokalyptische Militärkampagne gegen den Gazastreifen, das Westjordanland und Ostjerusalem ist die Krönung von 76 Jahren Verfolgung, Vertreibung und Völkermord. Sie hat zu einer Massenvernichtung geführt. Sie hat zur Vertreibung von mehr als 90% der Bevölkerung des Gazastreifens geführt und zum Tod und zur Verstümmelung von Zehntausenden unschuldiger Zivilisten, von denen die meisten, wie Sie wissen, Frauen und Kinder sind.

In den letzten 250 Tagen hat Israel eine anhaltende Kampagne von Luftangriffen auf Zivilisten in Gaza durchgeführt. Bei der jüngsten Eskalation wurden im Flüchtlingslager Al-Nuseirat im Zentrum des Gazastreifens etwa 210 Palästinenser massakriert und über 400 verwundet. Die Zahl der Todesopfer beläuft sich auf mehr als 37.000, wobei die Hälfte der Opfer Kinder sind. Tragischerweise werden über 10.000 Märtyrer unter den Trümmern der zerstörten Gebäude vermutet. Die katastrophale Lage wird durch den Verlust von 147 UN-Mitarbeitern und die Zerstörung von 32 Krankenhäusern noch verschlimmert, so dass nur wenige betriebsbereite Einrichtungen mit begrenzten Ressourcen übrig geblieben sind. Darüber hinaus wurden alle Bildungseinrichtungen, einschließlich Schulen und Universitäten, dezimiert und zahlreiche religiöse Stätten, wie Kirchen und Moscheen, vollständig zerstört. Die Kontrolle über den Grenzübergang Rafah schränkt den Zugang zu lebenswichtigen Gütern, einschließlich Treibstoff, weiter ein und verhindert das Funktionieren lebenswichtiger Dienste. Infolgedessen liegen etwa 70% der Infrastruktur des Gazastreifens in Trümmern, was die humanitäre Krise in der Region verschärft.

Welche Bezeichnung beschreibt diesen Konflikt am besten? Handelt es sich um einen Verteidigungskrieg, bei dem Israel sich selbst schützt, oder ist es ein Feldzug zur Unterdrückung eines Volkes, das nach Unabhängigkeit und Freiheit strebt? Manchmal finde ich es ironisch, wenn ich mit europäischen oder amerikanischen Beamten diskutiere, wie ich es unzählige Male in meiner diplomatischen Laufbahn getan habe, und sie sich ständig für eine Zweistaatenlösung einsetzen, während Palästina zunehmend zerstört wird. Trotz dieser Realität wird die Rhetorik beibehalten. Wenn sie wirklich eine Zweistaatenlösung unterstützen, warum üben sie dann in den Vereinten Nationen ein Veto aus, vor allem wenn fast 140 Länder Palästina anerkannt haben? Außerdem folgt Europa in dieser Angelegenheit oft dem Beispiel der Vereinigten Staaten, was Fragen über die Ausgewogenheit ihres Ansatzes für die Zweistaatenlösung aufwirft.

Die Palästinenser setzen sich heute für das grundlegende menschliche Prinzip der Selbstbestimmung ein. Es stellt sich die Frage, warum die Weltgemeinschaft das Selbstbestimmungsrecht, wie es in Woodrow Wilsons 16. Artikel formuliert ist, allgemein unterstützt, dieses Prinzip aber im Zusammenhang mit Palästina oft missachtet wird. Dies regt zum Nachdenken darüber an, ob die Palästinenser in ihrem Streben nach Anerkennung als unabhängiger Nationalstaat innerhalb der internationalen Gemeinschaft weniger Beachtung verdienen.

Bei dem Konflikt geht es nicht einfach um konkurrierende Ansprüche auf gemeinsames Land; er wird als Übergriff Israels wahrgenommen. Das zionistische Bestreben wurde von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, die die Hauptverantwortung dafür trägt, die Folgen dieser Handlungen rückgängig zu machen.

Der Diskurs über die Praktiken im Zusammenhang mit dieser umstrittenen Besetzung könnte sich stundenlang hinziehen, doch der Kern der Sache ist klar: Wie können wir diesen Konflikt beenden? Und wer sind die Hauptakteure, die sich um eine Lösung bemühen? Es ist frustrierend, dass die Vereinigten Staaten, obwohl sie sich in den letzten drei Jahrzehnten als Vorreiter des Friedensprozesses positioniert haben, ins Stocken geraten sind und sich mehr auf Krisenmanagement als auf Konfliktlösung verlegt haben. Gegenwärtig ist es offensichtlich, dass die USA in ihrer Rolle als ehrlicher Makler für den Frieden kläglich versagt haben, da sie unverhältnismäßig und ungleichmäßig Israel, die dominante Partei, gegenüber Palästina, der marginalisierten Gegenseite, unterstützt haben.

Bedauerlicherweise war unser Vertrauen in die Amerikaner fehl am Platze. Es tut mir leid für die amerikanischen Bürger, die von einer so ineffektiven Führung in den Vereinigten Staaten regiert werden, die eine kurzsichtige Vision zur Förderung der globalen Sicherheit und des Friedens hat. Ein Präsident, der sich für humanitäre Hilfe einsetzt, schickt paradoxerweise Tausende von Bomben, die zum Tod unschuldiger Kinder und Palästinenser in Gaza führen. Wie können wir solch senile Äußerungen eines Präsidenten tolerieren, der den Bezug zur Realität verloren zu haben scheint? Leider ist die Alternative auch nicht vielversprechender.

In der heutigen globalen Landschaft wird die Vorstellung, Einzelpersonen oder Länder als bloße Schachfiguren in internationalen Konflikten einzusetzen, zunehmend als unhaltbar angesehen. Zwar haben solche Konflikte das Potenzial, zu regionalen oder sogar globalen Kriegen zu eskalieren, aber die Ursachen gehen oft auf grundlegende Probleme wie extremen Hunger, bittere Armut, mangelnde wirtschaftliche Entwicklung und nationale Interessen zurück.

Daher stellt sich die Frage: Welche Auswirkungen hätte die Anerkennung Palästinas als
Staat für die internationale Gemeinschaft? Palästina hat bereits in der Vergangenheit seine Kompromissbereitschaft unter Beweis gestellt, indem es 1988 nur 22% des historischen Palästina als Staatsgebiet anerkannte. Dieses Gebiet umfasst das Westjordanland, den Gazastreifen und Ostjerusalem, während die restlichen 78% dem zionistischen Projekt zugestanden wurden. Trotz dieses schwerwiegenden Kompromisses streben bestimmte Gruppierungen innerhalb Israels nach einer weiteren territorialen Ausdehnung, insbesondere im Westjordanland. Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass Israels Interesse am Gazastreifen in erster Linie auf Sicherheitserwägungen und dem Zugang zu Öl beruht und nicht auf territorialen Ambitionen.

In den letzten zwei Jahrzehnten hat es eine bemerkenswerte Abwesenheit einer effektiven und charismatischen globalen Führung gegeben, was zu einem Gefühl der Stagnation oder des Niedergangs inmitten von anhaltenden Konflikten, Hunger und Ungerechtigkeit beigetragen hat. Dies wirft Fragen über die Qualität der demokratischen Repräsentation und den Einfluss der politischen Parteien auf die Wahl der Führungskräfte auf. Trotz des Reichtums an intellektuellen und institutionellen Ressourcen in den Vereinigten Staaten, die durch renommierte Think Tanks und akademische Einrichtungen wie Harvard, Yale, Columbia usw. veranschaulicht werden, wird die Präsidentschaftskandidatur von Persönlichkeiten wie Biden und Trump von einigen als ohnmächtig und ineffektiv angesehen. Dies unterstreicht die Besorgnis über die Dominanz der politischen Eliten über den Wahlprozess und nicht über eine echte Führung an der Basis.

Die Wirksamkeit der Vereinigten Staaten als dritter Vermittler zur Überbrückung der Kluft und Ungleichheit zwischen zwei nicht gleichberechtigten Seiten wird in Frage gestellt. Bei den Verhandlungen zwischen Israel und Palästina ist das Ungleichgewicht in der Machtdynamik offensichtlich. Die Vereinigten Staaten, die eine dominante Position innehaben, haben häufig Resolutionen zugunsten Israels verfasst und den Palästinensern kaum eine andere Wahl gelassen, als sich ihnen zu fügen. Dieser Mangel an Parität untergräbt das Wesen echter Verhandlungen, die im Idealfall symmetrische Verhandlungen zwischen zwei konkurrierenden Mächten sind, die sich um eine Lösung ihrer Differenzen bemühen. In diesem Fall wurden die Verhandlungen jedoch eher von machtpolitischen Erwägungen diktiert als von einem aufrichtigen Dialog. Die Palästinenser, als die unterlegene Partei, trugen stets die Hauptlast dieses Ungleichgewichts.

Der aktuelle Stand der Demonstrationen in Israel mag irreführend erscheinen, aber es ist wichtig, die allgemeine öffentliche Stimmung zu verstehen. Seit der ersten Intifada von 1987 hat sich die öffentliche Meinung in Israel deutlich gewandelt, wobei die Unterstützung für eine rechtsgerichtete Führung überwiegt. Der Einfluss der linken progressiven Elemente hat abgenommen, was zu ihrer Marginalisierung in der politischen Landschaft geführt hat. Das Auftauchen von Persönlichkeiten wie Ben-Gvir, Smotrich und Netanjahu in Machtpositionen spiegelt diesen rechtsgerichteten Trend wider. Folglich wurde das Potenzial für eine liberalere Regierung, die sich für den Frieden einsetzt, durch die vorherrschende rechte Gesinnung in der israelischen Gesellschaft behindert.

Es besteht die Gefahr, größere Konflikte mit Ägypten, dem Libanon und dem Iran anzuzetteln. Das Versagen der USA, einen Waffenstillstand herbeizuführen, hat ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigt.

Die derzeitige Situation in Israel ist sehr unbeständig, und die eskalierenden Spannungen deuten auf einen gefährlichen Weg hin. Es gibt Beobachter, die glauben, dass die Zerstörung Israels im Gange ist, was durch die jüngsten Ereignisse wie die Studentenproteste in Amerika unterstrichen wird. Diese Proteste enthüllen eine breitere Kritik am Umgang der Regierung Biden mit internationalen Konflikten, einschließlich der Gaza-Krise und des Ukraine-Krieges. Experten sehen dies als Zeichen für ein größeres Versagen bei der Durchsetzung der amerikanischen Dominanz auf der globalen Bühne.

Heutzutage liegen die Ursachen für Konflikte oft in nationalen und wirtschaftlichen Interessen und nicht in reiner Ideologie. Das eifrige Engagement religiös motivierter Menschen gibt jedoch weiterhin Anlass zur Sorge. Es ist wichtig, eine mögliche Eskalation in einen religiösen Konflikt zu verhindern, insbesondere zwischen Muslimen und Juden. Wir konzentrieren uns auf die Verfolgung eines nationalen Kampfes, der von der säkularen Ideologie der Errichtung einer demokratischen Einheit in Palästina geleitet wird, die mit den Überzeugungen unserer Führung übereinstimmt. Diese Vision erfordert jedoch kollektive Anstrengungen, einschließlich Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Palästina, sowie eine umfassende Reform unserer politischen Infrastruktur. Ich sage das als Selbstkritik, weil ich als Akademiker ehrlich sein muss, um die wichtigsten Schritte zu skizzieren, die notwendig sind, um realistisch einen nachhaltigen und dauerhaften Frieden zu erreichen.

Schließlich könnte die Übernahme des LaRouche-Konzepts der wirtschaftlichen Entwicklung, wie es vom Schiller-Institut vertreten wird, eine entscheidende Rolle bei der Schaffung globaler Sicherheit spielen, und zwar durch regionale Sicherheit und durch die Lösung langjähriger Konflikte wie dem palästinensisch-israelischen Konflikt. Indem sie wirtschaftlichen Beziehungen Vorrang vor militärischen Lösungen einräumen, können Nationen vom Norden bis zum Süden einen Ansatz verfolgen, bei dem alle gewinnen und der die globale Stabilität und den Wohlstand fördert.

Ich wünsche der Konferenz viel Glück bei ihren Bemühungen und hoffe, dass meine Botschaft laut und deutlich ankommt. Lassen Sie uns gemeinsam für Frieden und Stabilität arbeiten, durch wirtschaftliche Stabilität und durch das, was wir das LaRouche-Konzept nennen. Das ist der Oasen-Plan. Ich danke Ihnen sehr, meine Damen und Herren.

  • Prof. Dr. László Ungvári, Präsident (emeritiert) der Technischen Universität Wildau (Ungarn): „Diplomatie muß auch andere Meinungen berücksichtigen“

Rede im Wortlaut lesen

„Diplomatie muß auch andere Meinungen berücksichtigen“

Von Prof. László Ungvári

Prof. Dr. László Ungvári (Ungarn) ist Präsident (em.) der Technischen Universität Wildau. Im zweiten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 15. Juni sagte er folgendes. (Zwischenüberschriften wurden hinzugefügt.)

Sehr verehrte Damen und Herren in nah und fern, ich bin sehr froh, daß ich heute an dieser Veranstaltung teilnehmen kann.

Vielleicht ganz kurz zu meiner Person: Ich bin ein sehr, sehr international geprägter Mensch – geboren in Ungarn, studiert in der Sowjetunion. Ja, und gearbeitet ein bißchen in Ungarn, und die meiste Zeit meine Lebens habe ich dann hier in Deutschland verbracht. Vor allem war ich 21 Jahre in der Spitze der Führung der Technischen Hochschule Wildau, also Rektor-Präsident. Damit bin ich der einzige Ungar in Deutschland, der hier Rektor eine Hochschule geworden ist, bis jetzt. Und dann hatte ich drei Jahre Universitätsrektoren-Tätigkeit in Almaty in Kasachstan.

Und ich bin ein sehr hilfsbereiter Mensch. Meine Frau sagt immer, ich bin „so was wie Mutter Teresa“. Auch jetzt, wo wir zahlreiche Flüchtlinge aus der Ukraine haben. Ich habe vielen Familien geholfen, ganz besonders vier Familien. Ich habe sie mit Wohnungen versorgt durch meine Beziehungen, unterstützt bei Behördengängen usw. usf.

Das wollte ich vorauszuschicken, daß ich ein internationaler Mensch bin.

Politiker ohne Lebenserfahrung

Und zu unserem Thema, was uns heute ein bißchen am Herzen liegt und uns alle hier beschäftigt, sagen wir mal so: Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, was uns heute in der Politik erwartet, ich hätte ihn glatt ausgelacht, ich hätte das nicht geglaubt.

Heute bin ich über die Entwicklung in der Welt und auch in Europa äußerst enttäuscht, und zwar wahrscheinlich aus dem Blickwinkel eines studierten Menschen, eines Professors. Denn ein großes Problem, was wir zur Zeit in Europa, in Deutschland, massiv haben, aber auch übersehen: daß immer mehr junge Menschen in die Politik kommen, die nicht studiert haben, keinen Beruf haben, keine Erfahrung haben, keine Lebenserfahrung haben, aber sie wollen über große Sachen entscheiden und uns auch noch erzählen, wie wir uns zu verhalten haben.

Und da sehe ich eigentlich diesen Widerspruch – ganz stark ausgeprägt bei der Situation in Deutschland, wenn man nur an die deutsche Außenministerien denkt, Frau Baerbock. Ich sage es mal so: Jede Reise ins Ausland von ihr erfüllt mich schon mit Angst und Bangen, wo sie uns, also Deutschland, wieder mal blamieren wird.

Es ist auch die Frage der Diplomatie, die heute eine ganz andere geworden ist, als es noch früher war. Diplomatie war früher etwas Herrliches, die Sprache der Diplomaten gebildet, klug, verschlüsselt, nicht wahr? Und die Aufgabe der Diplomaten war, die Interessen des Heimatlandes zu vertreten, durch Verhandlungen – dadurch, daß man auch sich vielleicht teilweise in die Lage des anderen versetzt hat und versucht hat, die Argumente zu verstehen, die er aufbringt.

Heute haben wir in Deutschland eine „feministische Außenpolitik“. Ja, was ist das? Das ist doch eigentlich Schwachsinn, nicht wahr? Die Außenpolitik muß eins sein, eindeutig sein und immer im Interesse des Landes sein, und nicht feministisch und was weiß ich was. Das sind alles so – Modeworte. Es steckt nichts Substantielles dahinter.

Wir beschäftigen uns heute auch sehr stark mit der Frage des Krieges und des Friedens, vielleicht in unmittelbarer Nachbarschaft von uns in der Ukraine.

Ich muß allen gestehen, hier vor der ganzen Welt, daß ich am 23. Februar vor zwei Jahren noch gesagt habe: „Ich bin voll davon überzeugt, daß es keinen Krieg geben wird.“ Am nächsten Tag wurde ich dann eines Besseren belehrt. Ich bin nach wie vor unglücklich darüber, daß sich Rußland, daß sich Putin in diesen Krieg provozieren ließ. Denn es ist Fakt: Rußland hat die Ukraine überfallen. Das gibt dann jedem die Möglichkeit, Rußland als Aggressor zu bezeichnen, was auch richtig ist. Aber dahinter schaut man nicht mehr weiter, was dann die Gründe dafür waren, nicht wahr? Und das verschweigen die Politiker und die Presse im Westen.

Das Versprechen, das man Rußland gegeben hat, damals nach der Auflösung der Sowjetunion, daß die NATO sich keinen Schritt weiter in den Osten bewegen würde – gut, das war ja nicht vertraglich definiert, das waren ja mündlich vereinbarte Äußerungen; aber ich glaube, auch die müssen eingehalten werden! Und was ist heute die Situation? Die NATO ist dann vorgerückt Richtung Osten. Teilweise ist sie ja schon an den Grenzen von Rußland.

Und worum geht es eigentlich in diesem Krieg? Nicht darum, wie neulich Frau Baerbock sagte, daß wir unsere Freiheit in der Ukraine verteidigen müßten, das ist alles Schwachsinn.

Ein [amerikanischer] Senator, ich glaube, [Lindsey] Graham heißt er, hat vor wenigen Tagen gesagt, daß in der Ukraine im Boden Bodenschätze von 12 Billionen Dollar sind. Und diese Bodenschätze könne man nicht den Russen und den Chinesen überlassen, die müsse Amerika verwalten, übernehmen.

Das ist eine der vielen, vielen Äußerungen, die gemacht wurden, die eigentlich klargemacht haben, was die wahren Gründe des Krieges sind. Und hierüber wird große Propaganda getrieben. Diplomatie ist vollkommen verloren, niemand denkt mehr dran. Es werden Schimpfworte benutzt, was früher eigentlich unvorstellbar war in der Diplomatie. Und das macht mich auch traurig.

Es macht mich auch traurig, daß uns Politiker führen oder denken, sie würden uns führen, während sie keinerlei Erfahrung haben, auch im Verkehr zwischen Nationen nicht. Uns fehlt jegliche Einfühlsamkeit, das ist eigentlich das Hauptproblem.

Warum Ungarn gegen den Krieg ist

Und dann komme ich zum Thema Ungarn. Ich bin in Ungarn geboren, und ich begleite aufmerksam die Politik auch in Ungarn.

Die Partei Fides, die Orban schon seit geraumer Zeit führt, hat jetzt an 9. Juni zweimal groß gesiegt – einmal in den Europawahlen und zum anderen natürlich auch in den Kommunalwahlen in Ungarn.

Man muß ein wenig die ungarische Geschichte kennen, um die Ungarn und ihr Verhältnis zum Krieg heute und auch sonst zu begreifen: Ungarn wurde zweimal in der Geschichte gegen seinen Willen in einen Krieg hineingezerrt.

Das erste Mal in den Ersten Weltkrieg, allerdings damals noch in der Zusammensetzung Österreich-Ungarn. Ungarn war überhaupt nicht schuldig an dem Krieg, hat aber den größten Schaden davon gehabt, zumindest nach dem Krieg bei den Friedensverträgen – man nennt es heute in Ungarn das Friedensdiktat. Denn das ist niemals in der Geschichte passiert, daß ein Land nach einem Krieg, in dem Fall dem Ersten Weltkrieg 72 Prozent seines Territoriums verliert – das waren Gebiete, die tausend Jahre lang ungarisches Staatsgebiet waren -; 67 Prozent seiner Bevölkerung verliert (die waren natürlich nicht alle Ungarn, das ist klar); und 3,5 Millionen Ungarn sind von heute auf morgen Staatsbürger eines anderen Landes geworden. Die Ungarn sagen heute: „Ungarn ist das Land, welches eigentlich nur noch mit sich benachbart ist.“ Das heißt, wenn man eine Grenze übertritt, egal in welche Richtung, befindet man sich eigentlich immer noch im ehemaligen Ungarn.

Das zweite Mal war der Zweite Weltkrieg, wo die Deutschen Ungarn an der Seite von Hitler in den Krieg gepeitscht haben, durch falsche Bombardierungen. Deutsche Flieger haben mit russischen Hoheitszeichen – die Stadt war damals wieder ungarisch geworden – die Stadt Kassa oder Kaschau oder Kosice, heute slowakisch, bombardiert, worauf dann die Ungarn praktisch in den Krieg eingetreten sind, in den Krieg gepreßt wurden, und dabei haben sie riesige Verluste erlitten, menschliche, technische, aber auch wieder Gebietsverluste.

Denn die Gebiete, die Ungarn von Hitler bekommen hat, wurden wieder abgetrennt, und zusätzlich noch dazu drei Dörfer im Norden bzw. im Nordwesten, praktisch an der Grenze zu Österreich und zur Slowakei. Drei Dörfer wurden von Ungarn abgetrennt, das war der Wille der tschechoslowakischen Regierung. Das ist dieses Gebiet südlich von Pozsony oder Preßburg oder slowakisch Bratislava. Diese Gebiete sind notwendig, um Entwicklungsmöglichkeiten der Stadt Bratislava zu sichern.

Das heißt, die Ungarn haben sehr, sehr schlechte Erfahrungen gemacht mit den Kriegen, und deswegen ist es auch so, daß die ungarische Führung von Anfang an für Waffenstillstand und Friedensgespräche eingetreten ist, bis heute, konsequent. Und das wird auch von der Bevölkerung stark unterstützt, obwohl sich ein Großteil der Bevölkerung eigentlich an die damaligen Ereignisse, die ich jetzt aufgeführt habe – Erster, Zweiter Weltkrieg –, nicht mehr erinnern kann, weil sie ja jung sind, aber sie kennen die Geschichte, kennen sie aus Erzählungen von Eltern und Großeltern, und natürlich auch aus dem Geschichtsunterricht. Und aus meiner Sicht, wenn ich das auch noch sagen darf: Diese Haltung ist die einzig richtige!

Übrigens: Meine Bekannten, meine Freunde erzählten mir, daß bei solchen Gesprächen in der EU usw., wo dann der Ministerpräsident Orban streng seine Meinung vertritt, in den Pausen dann die anderen Regierungschefs oder Staatschefs – was für ein Treffen das gerade auch ist – so beim Kaffee und hinter vorgehaltener Hand sagen: „Ja, wir sind auch dieser Meinung, aber wir wollten das nicht so deutlich machen.“

Und das macht nachdenklich: Wieso seid ihr dann Führer des Landes, Präsidenten, Ministerpräsidenten, wenn ihr keinen Mut habt, eure Meinung zu sagen? Das ist natürlich eine Katastrophe.

Damit will ich nur sagen: Die Ungarn haben diese Politik nicht weil, sie „Putin-freundlich“ sind oder wie auch immer. Meine Großeltern haben auch nie positiv von der Russen gesprochen. Es ist eigentlich die einzig nüchterne Haltung eines vielgeprüften Landes, wie Ungarn es ist.

Und das muß man verstehen, nicht? Die Diplomatie ist auch Diplomatie, deswegen ist das Wort ja so – Diplomatie – weil auch andere Meinungen berücksichtigt werden.

Und wie ich hörte, war vorgestern der NATO-Generalsekretär in Ungarn, und siehe da, bei einem nüchternen, deutlichen Gespräch wurden die Argumente der Ungarn, also von Viktor Orban, vom NATO-Generalsekretär stundenlang angehört, und nicht nur das, sondern es wurde auch gesagt, daß er dies durchaus vertreten kann. Und es gab die Garantie von ihm, daß die Ungarn bei dieser Ukraine-Initiative der NATO weder Soldaten noch Geld noch Technik noch das Land als Aufmarschgebiet zur Verfügung stellen.

Ich hoffe nach wie vor, daß hier die Vernunft einkehrt. Denn während die Politiker so großartig streiten – „Ja, wir müssen dies und müssen das“, was weiß ich was –, sind während dieses Satzes, den sie formuliert haben, bestimmt einige hundert Soldaten auf beiden Seiten, auf der ukrainischen und auch auf der russischen Seite, getötet worden.

Also, ich hoffe auf Frieden, für uns alle, für die Ukraine, für Rußland, für Europa und für die ganze Welt.

Panel 3: Die Auswirkungen der laufenden wissenschaftlichen Revolution

Moderator Claudio Celani

  • Lyndon LaRouche, Redeausschnitt von einer Konferenz im Jahre 2012

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Lyndon LaRouche, Redeausschnitt von einer Konferenz im Jahre 2012

Das Niveau der Kreativität ist in der Bevölkerung allgemein gesunken. Die Menschen werden immer bestialischer in ihrem Mangel an Kreativität. In einigen Fällen gibt es ein Mindestmaß an Kreativität, aber es reicht nicht einmal aus, um das Pro-Kopf-Gleichgewicht auf diesem Planeten aufrechtzuerhalten. Das Problem, das ich hier anspreche, ist also nicht nur, dass Kreativität, wie wir hier diskutiert haben, eine dringende Angelegenheit für die Menschheit ist. Die gesamte Politik vernünftiger Nationen wird auf der Berücksichtigung des Prinzips der Kreativität beruhen, d.h. der anti-entropischen Kreativität.

Davon sind wir heute weit entfernt. Wir sind auf dem Weg in den Untergang, wenn wir nicht umkehren. Aber es gibt noch einen anderen Faktor: Wo ist die Quelle der Kreativität? Die Quelle der Kreativität, die wir brauchen, ist die Menschheit. Aber die Zahl der Menschen, die aktiv kreativ sind, auch in ihrer eigenen persönlichen Entwicklung, nimmt ab. Wir sind ein rückschrittliches, selbstzerstörerisches Volk, weil wir antikreativ sind. Schauen Sie, was wir mit unseren Menschen gemacht haben. Schauen Sie sich die Zahl der Menschen an, die wertlose Jobs haben. Sehen Sie sich die Zahl der Menschen an, die ihr Einkommen aus Finanzspekulationen beziehen. Sie produzieren nichts! Sie hemmen die Kreativität. Sie sind dem Untergang geweiht, denn ihre Zahl nimmt zu. Das Britische Empire trägt nicht das Geringste zu diesem Prozess bei.

Das Problem besteht also darin, dass die Kreativität, insbesondere seit der Ermordung von Präsident Kennedy, immer weiter abnimmt – noch unter Präsident Franklin Roosevelt und während der Kriegsmobilisierung war die Kreativitätsrate höher – und dass Kennedy einfach zu der Art von Kreativität zurückkehrte, die wir während der Kriegsmobilisierung gesehen haben. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem die Zahl der Menschen, die sich wirklich gegen die Entropie engagieren, also kreativ sind, zusammenbricht. Das ist ein Problem der Regierungspolitik.
Aber das andere Problem ist, dass die Pro-Kopf-Kreativitätsrate und die effektive Gesamtkreativitätsrate nicht steigen. Wir müssen diese abgrundtiefe Rate nehmen, wir müssen sie beschleunigen, und der einzige Weg, wie wir sie beschleunigen können, ist die Erhöhung des Anteils und der Qualität der Kreativität, die sich in der Bildung und Entwicklung unserer Menschen ausdrückt. Was wir jetzt mit dem grünen Programm haben, ist eigentlich der Untergang der Menschheit. Und jeder, der ein Grüner ist, ist im Grunde genommen ein Kriegsverbrecher! Sie töten die Menschheit, indem sie das zerstören, wovon die Menschheit abhängt – nämlich nicht nur die Zahl der Menschen zu erhöhen, die kreativ sind, im Gegensatz zu denen, die Routinen folgen oder nutzlose Dinge an der Wall Street tun -, sondern wir versäumen es auch, die Qualität der Kreativität, zu der diese Menschen fähig sind, zu erhöhen und zu fördern. Unser Bildungssystem ist in der Tat ein massenmörderisches System, weil das, was mit der Bildung gemacht wird, die Fähigkeit, Kreativität zu erzeugen, so sehr verringert, dass uns dieser Nettoverlust bereits zum Verhängnis werden würde, wenn auch langsamer als Obama.

Das ist es, was geschieht. Wir müssen also begreifen, dass wir das oligarchische System, in dem die große Masse der menschlichen Bevölkerung in Unkenntnis über diese Art von Entdeckerqualitäten gelassen wird, die für die Menschheit notwendig sind, nicht länger tolerieren können. In gewisser Weise sind wir mit den Dinosauriern vergleichbar, wenn es um die Entwicklung unserer Gesellschaftspolitik geht. Indem wir die Produktivität unserer Bevölkerung auf diesem Planeten oder in großen Teilen des Planeten wie dem transatlantischen Raum verflachen und verringern, verurteilen wir die menschliche Spezies, wenn sie diese Politik akzeptiert, tatsächlich zum Aussterben.

Wir befinden uns also an einem Punkt des Aussterbens, der sich schnell nähert, solange diese grüne Politik fortgesetzt wird.

  • Prof. Mark McMenamin, Geologe und Paläontologe, Abteilung für Geologie, Mount Holyoke College (Vereinigte Staaten)

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CELANI: Ich möchte Ihnen nun Prof. Mark McMenamin vorstellen. Dies ist eine Änderung des veröffentlichten Programms, aber Prof. McMenamin muss zuerst sprechen, weil er danach weg muss. Er ist Geologe und Paläontologe aus dem Geologie-Fachbereich des Mt. Holyoke College in den Vereinigten Staaten. Er spricht über das Thema „Die gar nicht so langweilige Milliarde: Rodinia und der Ursprung der Tiere“.

PROF. MARK MCMENAMIN: Vielen Dank, dass Sie mich eingeladen haben, hier zu sprechen. Ich will Ihnen gleich meine Folien zeigen. Mein Vortrag lautet „Die gar nicht so langweilige Milliarde: Rodinia und der Ursprung der Tiere“. Ich möchte Sie durch ein paläontologisches Rätsel und eine paläontologische Kontroverse führen, die mit dem Auftauchen von komplexem Leben auf diesem Planeten zusammenhängt und die im Laufe der Jahre den Schwerpunkt meiner Forschung bildete.

Zunächst einmal: Was ist die „Langweilige Milliarde“? Hier ist eine Zeitleiste mit den wichtigsten Ereignissen auf unserem Planeten. Wir sehen, dass die vermeintliche „Langweilige Milliarde“ vor 1,8 bis 0,8 Milliarden Jahren im Proterozoikum stattfindet. Man geht davon aus, dass in dieser Zeit der Erdgeschichte nicht viel passiert ist, denn die ersten Tiere tauchen erst nach der Langweiligen Milliarde auf, nur die ersten Eukaryonten waren bereits erschienen. Es wird also angenommen, dass es sich um eine langweilige Periode handelt, aber ich werde versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass während der Langweiligen Milliarde interessante Dinge vor sich gehen.

Beachten Sie, dass sie von zwei Superkontinenten eingeklammert wird – Nuna, hier am Anfang, und Rodinia, hier. Rodinia erfährt Zusammenfügung und eine Auflösung. Dies ist also der Superkontinent Rodinia, der älteste gut charakterisierte Kontinent der Erdgeschichte. Dieser Kontinent brauchte in den 1980er Jahren einen Namen, einer war Diane, doch ich nannten ihn Rodinia. Dabei verwendeten wir das russische Wort Rodina, das Heimat bedeutet, um ihn zu unserem ursprünglichen Heimatland zu machen. In der Tat gibt es Hinweise darauf, dass die Küsten dieses Superkontinents der Ort waren, an dem sich unsere ältesten fortgeschrittenen Vorfahren komplexer Lebewesen entwickelt haben. Die roten Punkte hier in diesem Diagramm zeigen Granitkörper, die sich vor etwa 1,3 bis 1,5 Milliarden Jahren gebildet haben. Das Grün zeigt die 1,1 Milliarden Jahre alten Gebirgsgürtel, die mit den Kontinentalkollisionen verbunden waren, die zur Bildung des Superkontinents Rodinia vor etwa 1 Milliarde Jahren führten.

Und nun zur Paläontologie. Hier sehen wir ein mysteriöses Fossil, das unter dem Namen Paleodictyon bekannt ist. Man nimmt an, dass es sich um eine Höhlenstruktur handelt, die von einem Tier geschaffen wurde, das sich in das Sediment eingegraben hat, um dieses sechseckige Muster zu bilden. Aber niemand weiß, wie dieses interessante Muster entstanden ist. Es handelt sich um eine in Sand gegossene Paleodictyon-Höhle, die entstand, als Sand in die Höhle fiel und sie dadurch konserviert werden konnte.

Hier sehen Sie die 3D-Rekonstruktion von Hans Luginsland, die zeigt, wie das Höhlensystem aussieht. Es hat nicht nur diese sechseckigen Ringe, sondern auch diese vertikalen Röhren, die ebenfalls dazu gehören. Das ist also die Rekonstruktion von Luginsland. Das Interessanteste an Paleodictyon ist, dass das Wesen, das es erschaffen hat, heute noch am Leben ist. Hier sehen Sie die obere Struktur in der Tiefsee, Tausende von Metern unter der Oberfläche. Dies ist ein Bild, das von einem Tauchboot aus aufgenommen wurde. Der Abstand zwischen den Laserstrahlen beträgt zehn Zentimeter. Das ist also die Struktur, die sich immer noch auf dem Meeresboden abbildet; aber wir haben keine Ahnung, welches Tier sie herstellt, wenn es überhaupt ein Tier ist. Es gibt auch andere Theorien, z.B. dass es sich um einen riesigen Protease-Mikroorganismus handelt. Ich glaube jedoch, dass es sich um eine Höhle handelt, die von einem Tier angelegt wurde.

Wir werden also versuchen, herauszufinden, um welche Kreatur es sich hier handelt. Es hat eine lange Fossiliengeschichte und es lebt auch heute noch. Aber wir wissen nicht, welches Lebewesen diese Struktur geschaffen hat. Tauchboote haben diese Strukturen aus dem Tiefseeschlamm entnommen und an Bord eines Schiffes gebracht. Aber da ist nichts drin. Es ist nur das Muster der Höhle, kein Tier ist darin zu finden. Das ist das erste Problem, das ich erwähnen wollte; das ist das Paleodictyon-Problem.

Das zweite Problem ist das Problem des Badeschwamms oder des Keratoseschwamms. Keratoseschwämme haben nicht mineralisierte Spikule, also flexible Spikule, die dem Spongia officinalis ähnelt, dem Badeschwamm, den wir beim Baden benutzen. Es gibt also ein Problem bei der Erforschung von Keratoseschwämmen, oder vermeintlichen Keratoseschwämmen in der Geologie. Einige Forscher glauben, dass viele verschiedene Arten von Kalksteinen oder andere Arten von Karbonatgestein mit den Überresten von keratosen Schwämmen gefüllt sind. Meine Mitautoren und ich haben in Sedimentology eine Untersuchung dieser speziellen Theorie veröffentlicht. Wir stellten die Interpretation des keratosen Schwamms in Frage, die unserer Meinung nach in zu vielen Situationen angewandt wurde, in denen sie nicht zutraf. Der Untertitel unseres Artikels lautet daher „Ein Problem der Interpretation“. Wir haben versucht, diese Interpretation zu korrigieren.

Es gibt nun zwei miteinander verbundene Probleme. Das erste ist, was ist diese Paleodictyon Struktur, diese sechseckige Struktur? Und das zweite Problem ist: Kommen keratose Schwämme tatsächlich in all diesen Kalksteinen vor? Einige von ihnen reichen bis zu einer Milliarde Jahre zurück. Ich glaube, dass diese beiden Fragen miteinander verbunden sind. Außerdem stehen sie in direktem Zusammenhang mit unseren Bemühungen, das Alter der Tiere zu verstehen, und die Lösungen werden die Analyse von Pellets, d.h. von Mikrokoprolithen oder winzigen fossilen Fäkalien, und ihre Beziehung zu wurmförmigen Mikrostrukturen beinhalten, die ich hier als antike Mikrohöhlen interpretiere.

Lassen Sie uns also einen Blick auf beides werfen – sowohl auf die Pellets als auch auf die winzigen Erdhöhlen. Hier sind einige Ergebnisse meiner Feldarbeit in Mexiko. Es handelt sich um frühkambrische Mikrohöhlennester. Links sehen Sie eines dieser Nester, und diese Linienstrukturen, die es durchziehen, sind winzige Höhlen von Tieren, die sich in den Kalkschlamm gegraben haben. Hier rechts sehen wir ein weiteres dieser Nester, das sich in der Höhle eines korallenähnlichen Lebewesens, eines Archaeocyathiden, gebildet hat, das auf die Seite gefallen war und in dessen zentraler Höhle diese Höhlenbewohner ihr Nest angelegt haben. Hier sehen wir einen Pellet-Nestverband. Auf der linken Seite sehen wir, wiederum aus diesen Karbonaten im Westen Nordamerikas, dass die Pellets hier im oberen Teil des linken Bildes zu einem Höhlensystem geworden sind. Die Pellets haben sich also aufgelöst, und die Tiere haben begonnen, sie zu durchwühlen. Auf dem Bild rechts sehen wir, wie dieselbe kryptische Höhle oder derselbe kryptische Raum seriell mit einem älteren Höhlensystem wiederbesetzt wird. Sie können die Höhlen darin immer noch sehen, aber sie sind ein wenig rekristallisiert worden. Dann ein neueres Höhlensystem, das sich direkt darauf entwickelt hat. Der schwarze Pfeil zeigt den Übergang zwischen der alten Höhle und der neuen Höhle. Wir haben hier also Beweise für eine wiederholte Wiederbesetzung des Nests.

Die Kreatur, die dies tut, wurde zum Thema einer Operette, die ich geschrieben habe – wo wir gerade von Kreativität sprechen. Die Operette heißt „Trilobiten-Jury“. Ich habe eine Hymne für die Kreatur geschrieben, die diese Höhlen gräbt. Die werde ich Ihnen jetzt vorspielen. Hier ist „Maternia“. (Spielt ein kurzes Stück.) Sie können sich gerne den Rest des Stücks anhören; die meisten Stücke sind auf YouTube zu finden; gehen Sie einfach auf meinen YouTube-Kanal, wenn Sie mehr von dieser Musik hören möchten. Im Grunde handelt es sich um vertonte Paläontologie, und ich hoffe, dass es Ihnen gefällt, wenn Sie mehr davon hören wollen.
OK, dann kehre ich jetzt zu den paläontologischen Mysterien zurück. Hier ist eine sehr wichtige Entdeckung, die von Elizabeth Turner in Kanada gemacht wurde. Sie fand diese krakelig aussehenden Strukturen im Kalkstein, die 890 Millionen Jahre alt sind. Turner interpretierte sie als keratose Schwämme, von Badeschwämmen. Aber als meine Studenten und ich uns diese Forschungen ansahen, stellten wir fest, dass die Strukturen nach unten hin etwas zusammengefallen sind und dass es hier eine zweite Schicht gibt. Eine Zone von Kalkschlamm scheint wieder besetzr worden zu seinen, die dann mit diesen Höhlen gefüllt wird. Wir haben dies also als Mikrohöhlen und nicht als die flexiblen organischen Spikula eines Badeschwamms interpretiert. Das ist also eine neue Interpretation dieser Dinge, und wenn wir Recht haben (und ich glaube, das haben wir), dann bedeutet das, dass komplexe Tiere – Tiere, die in der Lage sind, Höhlen zu bauen – tatsächlich sehr alt sind. Sie reichen 890 Millionen Jahre zurück und sind damit fast eine Milliarde Jahre alt. Dies ist eine sehr interessante Neuinterpretation.

Wir müssen jedoch vorsichtig sein, denn auch abiotische Prozesse können zu höhlenartigen Strukturen führen. Man sieht hier unterschiedliche Verdichtungen von Mehl, die zu einer höhlenartigen Struktur führen könnte. Aber in dieses Mehl sind keine Mehlkäfer eingedrungen; dies war nur ein Beispiel für unterschiedliche Verdichtungen, die Räume zwischen den Klumpen hinterließen. Wir müssen also aufpassen, dass wir es bei diesen Interpretationen nicht mit Phänomenen wie der Ostwald-Reifung und so weiter zu tun haben. Wir müssen also mit Vorsicht vorgehen.

Abgesehen davon habe ich weitere dieser Mikrohöhlen in den Gesteinsfunden entdeckt. Dies ist ein geologischer Dünnschliff aus der späten Kambrium-Periode von einer sehr berühmten Fundstelle in der Nähe von Saratoga Springs, New York, U.S.A., der sogenannten Herkimer-Lokalität. Sie ist bekannt für ihre Schichtstrukturen, die Stromatolithen genannt werden, aber vor allem für die Herkimer-Diamanten, die ich Ihnen gleich zeigen werde. In diesen Kalksteinen sieht man diese Y-förmige Struktur hier auf der linken Abbildung, die unter Kreuzpolarisation sehr farbenfroh wirkt. Das sind Quarzsandkörner, und die einzige Möglichkeit, wie diese Quarzsandkörner dort hineingelangt sein können, ist, dass ein Tier eine Höhle bildet und dann diese Körner hineindrückt. Wir sehen eine große, Y-förmige Höhle. In dieser Schicht hier gibt es eine mittelgroße Höhle und viele kleine Höhlen, die denen ähneln, die Elizabeth Turner in den sehr alten kanadischen Felsen gefunden hat. Diese kambrischen Höhlen sind natürlich viel später in der Erdgeschichte entstanden.

Hier ist die Gesteinsplatte, aus der dieser Abschnitt entnommen wurde, und dieser Ort ist sowohl für die berühmten Herkimer-Diamanten bekannt – die eigentlich keine Diamanten sind, sondern doppelt geschliffene Quarzkristalle von Edelsteinqualität, die an diesem Ort abgebaut werden. Außerdem gibt es an diesem Ort diese Stromatolithen genannten Strukturen, bei denen es sich um geschichtete Strukturen handelt, die von Biofilmen oder Biomatten gebildet werden, die nach oben zum Licht hin wachsen und Schicht auf Schicht aus Kalkstein bilden. Diese sind in der gesamten präkambrischen Zeit als einer der frühesten Beweise für Leben bekannt. Ich werde erst dann an Leben auf anderen Planeten glauben, wenn ich Stromatolithen von anderen Planeten gesehen habe.

Dieser besondere Stromatolith ist interessant, denn wenn Sie sich die Spitze des gelben Pfeils ansehen, erkennen Sie eine ankerförmige Struktur, die einen kryptischen Hohlraum zwischen den kryptozoischen Stromatolithkuppeln darstellt. Und wenn wir diesen kryptischen Stromatolithen-Hohlraum heranzoomen, sehen wir etwas Interessantes. Sehen Sie sich das an! Hier ist der kryptische Hohlraum im kryptozoischen Stromatolithen, und Sie haben diese ankerförmige Struktur auf der linken Seite, und wenn wir auf der rechten Seite heranzoomen, sehen wir, dass diese Pellets, diese kleinen Mikrokoprolithen, in diesen Raum gepackt sind, und zwar auf eine sehr ähnliche Weise wie im früheren Kambrium in Mexiko. Wir haben hier also Beweise für die Ansammlung von Pellets in diesem kryptischen Raum. Hier ist ein Diagramm, das zeigt, was hier vor sich geht. Hier haben wir die stromatolitischen Kuppeln hier und hier, und dann entwickelt sich dieser Raum hier, und irgendeine Art von Tier ist hinabgestiegen und hat ihn mit Pellets gefüllt. Ich glaube also, dass dies ein Beweis für ein Mikro-Grabennest ist, das mit organisch reichen Pellets gefüllt wurde, die zur Versorgung der Jungtiere dienen, wenn sie in diesem geschützten Raum schlüpfen.
Wenn Sie sich die fossilen Aufzeichnungen ansehen, finden Sie diese Art von Situation überall in den fossilen Aufzeichnungen. Es handelt sich um Schalen von Schnecken und anderen Arten fossiler Lebewesen. Und das Innere der Schalen ist vollgepackt mit all diesen Pellets. Sehen Sie sich hier B von Toom et al. an. Diese Pellets sehen genauso aus wie die im Stromatolithen. Und wenn wir uns C ansehen, sehen wir, dass sie auch mit dem Wühlen verbunden sind und eine Art geometrisches Muster bilden. Ich sehe hier also eine Verbindung zwischen den Pellets und den geometrischen Höhlen, die irgendwie an Paleodictyon erinnern.
Hier, bei meiner Feldarbeit in Nevada, im Berlin Ichthyosaur State Park, haben wir ein Nautiloid-Fossil gefunden, ein Spiralnautiloid, im Grunde ein alter Verwandter des Perlmuttnautilus. Und in dem Sediment, das in seine Gaskammern gelangt war, sehen Sie die gleiche Entwicklung des Höhlensystems. Das ist wirklich sehr interessant. Hier ist eine Skizze davon. Das geschmeidige Kammersediment weist also dieses geometrisch gemusterte Wühlsystem auf. Eine sehr interessante Verbindung. Und es gibt auch viele nautiloide Fossilien, in denen die Pellets verpackt sind.
Hier ist ein sehr kritisches Bild. Es stammt aus der Arbeit von Adolf Sellacher und Peter Rona. Hier sehen wir das Paleodictyon-Muster in Verbindung mit den Pellets. Ich glaube, dass diese Pellets hier auf der rechten Seite des Bildes die Mikrokoprolithen darstellen. Was wir hier sehen, ist also wieder einmal eine Verbindung zwischen den Mikrokoprolithen, die als Nahrung dienen, und dem Höhlensystem selbst, das als Kinderstube für die winzigen Tiere dient, die in diesem geschützten Raum, in diesem Fall in den Schlamm gegraben, aufgezogen werden. Dies geschieht auch heute noch auf dem Meeresboden, und jedes Mal, wenn Forscher eine Probe nehmen, finden sie keine Tiere, weil die Babys erwachsen geworden sind; sie haben das Nest verlassen. Wir finden leere Nester auf dem Meeresboden; wir haben sie noch nie mit einem Tier darin gefangen.
Meine Schlussfolgerungen lauten also wie folgt: Die Entdeckung fossiler Mikrograbhöhlen von Tieren erweitert die fossilen Aufzeichnungen über fortgeschrittene Tiere auf eine Zeit vor fast 1 Milliarde Jahren. Dies steht im Einklang mit einem im Grunde ignorierten Bericht von Robbins et al. aus dem Jahr 1985 über Mikrokoprolithen in fast eine Milliarde Jahre alten Schichten aus der Baish-Gruppe in Saudi-Arabien. Wie ich bereits erwähnt habe, kommen Mikrograbhügel und Pellets zusammen in frühkambrischen Mikrograbhügelnestern in Mexiko in den frühesten alten Riffen vor. Daher könnten wir Paleodictyon, dieses geometrische Spurenfossil, als eine Art von pellet-geometrischer Höhlengemeinschaft interpretieren, die den kryptischen Raum verlassen hat; die in gewissem Sinne „frei lebend“ ist und sich außerhalb von kryptischen Hohlräumen und Muschelinneren bildet und nun in der Lage ist, sich im Schlamm des Meeresbodens zu bilden, ohne dass eine Muschel in der Nähe sein muss. Das Bild hier ist eine Aufnahme von Robbins aus dem Jahr 1985 von diesen Pellets, die sie und ihre Mitarbeiter in diesen sehr alten Gesteinen entdeckt haben, die bis ins tiefe Proterozoikum zurückreichen.
Damit ist mein Vortrag beendet. Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben. Ich würde mich freuen, Ihre Fragen beantworten zu können.

  • Francois Mellet, Wirtschaftsingenieur, Direktor für Operationen bei Stratek Global (Südafrika)

Im Wortlaut lesen

Francois Mellet, Wirtschaftsingenieur, Direktor für Operationen bei Stratek Global (Südafrika)

Guten Tag zusammen, und vielen Dank für die Gelegenheit, Ihnen heute Nachmittag den HTMR-100 vorzustellen. Ich spreche aus Südafrika, und in Südafrika ist heute Vatertag. Ich hoffe, dass alle, die heute weltweit Vatertag feiern, einen schönen Tag haben.

Wenn wir über Südafrika und unsere Erfahrungen mit der Kernenergie sprechen, beginnen wir im Grunde mit dem Atomenergiegesetz von 1948, das die Uranindustrie regulieren sollte. 1965 wurde dann der erste Safari-Reaktor in Betrieb genommen, um medizinische Isotope zu produzieren und andere Forschungsarbeiten durchzuführen. Bis heute exportieren wir diese medizinischen Isotope für medizinische Zwecke in etwa 70 Länder weltweit.

Wir haben auch das Kernkraftwerk Koeberg gebaut, das 1984 in Betrieb genommen wurde. Ich bin froh, sagen zu können, dass ich seit 1983 als Ingenieur an diesem Standort tätig bin und an den letzten Bauarbeiten und der Inbetriebnahme dieser beiden Blöcke beteiligt war. Ich war fast zehn Jahre dort, bevor ich zu anderen Kraftwerken wechselte.

In dem Programm, das ich Ihnen vorstellen möchte, geht es im Wesentlichen um die Einführung des SMR, also um den „kleinen modularen Reaktor”. Wir werden über unser Kraftwerk sprechen, über das Unternehmen und dann möglicherweise über die Kunden, auf die wir uns konzentrieren. Der SMR selbst (links im Bild), der Typ, der normalerweise gemeint ist, ist ein besonderer Reaktor. In diesem Fall wird er mit speziellen Kugeln, Uran-Kugeln, die wir als Kugelbrennstoff bezeichnen, gespeist. Er treibt eine Turbine auf verschiedene Weise an. Wenn wir von einem kleinen modularen Reaktor sprechen, verstehen wir natürlich darunter, daß er sich leicht transportieren und als modulare Einheit zusammenbauen lässt. Es hat im Grunde die Größe eines Containers.

Es gibt viele Aspekte bei diesem speziellen modularen Reaktor. Zunächst einmal läßt er sich dadurch definieren, daß er eine elektrische Leistung von unter 300 MW hat. Viele solche Einheiten können ein Kernkraftwerk bilden. Sie werden fabrikmäßig hergestellt, ähnlich wie bei der Herstellung von Autos, in einer Produktionslinie. Dadurch verkürzen sich die Bauzeiten, denn es ist bekannt, dass es bei einer Reihe großer Reaktoren weltweit zu Verzögerungen und Budgetüberschreitungen gekommen ist. Wir versuchen, die Zeit und das Budget im Rahmen zu halten, und innerhalb der vorgegebenen Zeit zu bleiben.

Wir sprechen also von der Massenproduktion bestimmter Teile. Man kann kleine Reaktoren in bestehende Standorte, stillgelegte Kohle- oder Kernkraftwerke oder auch in Bergwerke, Häfen oder Stadtumgebungen integrieren. Es gibt dabei große Verschiebungen weg von staatlichen hin zu privatwirtschaftlichen Unternehmen. Diese Art der Energie wird heute in der EU als grüne Energie eingestuft, denn sie erzeugt etwa 12 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Und grüne Energie liegt heute unter 50 Gramm pro Kilowattstunde.

Im Gegensatz zu den größeren Anlagen bieten diese kleinen modularen Reaktoren ein hohes Maß an passiver oder inhärenter Sicherheit. Eine Wärmeabfuhr zur Gewährleistung der Sicherheit im Falle eines Unfalls ist bei kleinen Reaktoren nicht erforderlich, da die natürliche Wasserzirkulation und die Konstruktion des Brennstoffs und des Reaktors als Sicherheitsmaßnahme genutzt werden. Wir benötigen also keine externe Sicherheitsmaßnahme oder Stromversorgung oder ähnliche Dinge. Der Notfallplan beschränkt sich auf einen Radius von etwa 300 Metern um die Anlage, während er bei größeren Anlagen etwa 5 bis 16 Kilometer beträgt.
Die passive Sicherheit ist ein großer Vorteil. Einer der Vorteile unserer speziellen Konstruktion ist, dass wir keine großen Kühlwassermengen benötigen. Wir werden später noch darauf zurückkommen. Es gibt zwei Kategorien von SMRs: die Generation III+ und die Generation IV. Die Generation III+ arbeitet bei Temperaturen unter 350 Grad, und in vielen Fällen sind diese SMRs nur Miniaturversionen der großen Typen, oder in einigen Fällen haben sie statt drei Dampferzeugern nur einen Dampferzeuger, wodurch die Leistung um ein Drittel reduziert wird, um unter die 300-MW-Größe zu kommen. Bei der Generation IV sprechen wir von Temperaturen über 350 Grad, sogar bis zu 940 Grad. Das ist ein Hochtemperaturreaktor mit höherer Effizienz, dessen Prozesswärme genutzt werden kann. Aber man braucht völlig andere Materialien und einen anderen Brennstoff, um einen Generation-IV-Reaktor zu betreiben; das ist ein Unterschied.

Unser Kraftwerk, der HTMR-100, ist natürlich das, worauf ich mich konzentrieren werde. Der erzeugte Strom ist jetzt rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr verfügbar ist. Es gibt eine ständige Neubeladung, die es dem Reaktor in der Regel ermöglicht, mehrere Jahre lang zu laufen. In der Regel kann er mit einer Charge Brennstoff insgesamt etwa vier Jahre lang laufen, bevor mit der Neubeladung begonnen werden muß. Natürlich müssen auch die Turbine oder die anderen Teile gewartet werden, und aus diesem Grund kann es zu Abschaltungen kommen. Wir haben uns an dem ursprünglichen Kugelhaufenreaktor orientiert, der eine Leistung von etwa 160 MW hatte. Allerdings wurde dort ein Kreislauf verwendet, bei dem der Reaktor mit Helium gekühlt und damit auch die Turbine angetrieben wurde.

Unser Entwurf ist etwas anders. Wir haben die Temperatur von 940 Grad auf 750 Grad Celsius gesenkt und den Dampferzeuger mit einem normalen Dampfkreislauf vom Wärmetauscher zur Turbine hinzugefügt, mit der Strom erzeugt wird. Der Betrieb bei 750 Grad Celsius hat gewisse Vorteile in Bezug auf die Materialien. Man kann mit normaleren Metallarten arbeiten als bei höheren Temperaturen. Das ist ein Novum, dessen Funktionsfähigkeit noch unter Beweis gestellt werden muß. Als Brennstoff für diesen Reaktor verwenden wir Kugeln, die im Kern und auch im Brennstoff selbst mit Graphit moderiert werden. Ich werde Ihnen später einige dieser Kugeln zeigen.

Wir erzeugen in diesem Dampferzeuger bei 750 Grad hochwertigen Dampf, der eine Turbine mit einer Leistung von 55 MW antreibt. Sie fragen vielleicht, warum HTMR-100? Weil das 100 MW thermische Energie sind, die in der Verarbeitung genutzt werden können. Die effektivste Art, die Wärme dieses Reaktors zu nutzen, ist in Prozessen wie der Papierherstellung oder in Schmelzöfen. Er eignet sich auch zur Bereitstellung von Dampf für andere Prozesse in diesen Fabriken oder zur Entsalzung oder auch zur Herstellung von rosa oder grünem Wasserstoff, je nachdem, wofür Sie sich entscheiden. Normalerweise ist der Wasserstoff aus Kernkraftwerken rosa, aber man kann ihn auch grün färben. Einige Leute wollen ihn sogar zur Herstellung von Ammoniak für Düngemittel usw. verwenden.

In unserem Fall ist die grundlegende Konstruktionsplanung abgeschlossen, und wir gehen jetzt zur endgültigen Planung über. Die Größe des Reaktors und der Brennstoffkreislauf wurden so gewählt, dass die Kühlanforderungen im Vergleich zum typischen Mittelwert reduziert werden, um den Einsatz in Afrika und anderen Regionen ohne große Wassermengen zu ermöglichen. Wir werden hier ein Kühlungssystem verwenden, das einem Kühler ähnelt, wie man ihn in einem Auto findet. Ein Ventilator kühlt das zirkulierende Wasser, anstatt einen Fluss oder das Meer oder Ähnliches zu verwenden. Dies ist für trockene Gegenden gut geeignet.

Der kontinuierliche Betrieb wird durch das Brennstoffladesystem gesteuert, das den Brennstoff und dessen Zustand misst. Wie ich bereits sagte, dafür ist kein großes Gewässer erforderlich. Darüber hinaus kann dieser spezielle Reaktor Uran, Plutonium oder sogar Thorium-Kernbrennstoff verbrennen.

Dies ist nur ein kleiner Einblick in die Funktionsweise eines Reaktors, der wie ein normales Kernkraftwerk aussieht. Im weiteren werden wir sehen, dass sich diese Art von Design in der Regel in einem typischen einstöckigen Gebäude auf dem Lande unterbringen läßt. Man sollte feststellen, dass dieser Reaktor nur zu einem Drittel über der Erde und zu zwei Dritteln unter der Erde liegt. Es gibt auch ein großes Gewölbe unter der Erde für die Lagerung der verwendeten Brennstoffe. In diesem speziellen Fall können diese bis zu 40 Jahre gelagert werden.

Was ist unser Team? Unser Team besteht aus Dr. Kelvin Kemm, der seit vielen Jahren mit dem Schiller-Institut zusammenarbeitet, Francois Reyneke, unserem Finanzdirektor, Alain Rolland, unserem Direktor für internationale Angelegenheiten, der von Frankreich aus tätig ist, und mir selbst. Wir haben unseren Sitz in Pretoria und Büros in Frankreich und in New South Wales in Australien. Das Unternehmen wurde für internationales Marketing, Mittelbeschaffung und technologische Entwicklung gegründet. Wir haben auch Lizenzvereinbarungen mit anderen Unternehmen, sowohl mit STL als auch mit Resonant Nuteq hier in Pretoria. Unser Wissen im Bereich Kernenergie reicht bis in die 1980er Jahre zurück, als wir mit der Entwicklung des Koeberg-Reaktors und der heutigen NECSA [South African Nuclear Energy Corporation] begonnen haben, der südafrikanischen Behörde für Kernenergie und Abfalllagerung.

Unser Ziel ist es, die weltweit steigende Nachfrage nach kleinen modularen Reaktoren zu decken. Wir sind jetzt in der Lage, solche kosteneffizienten Dienstleistungen anzubieten. Wie Sie wissen, bricht das Atomzeitalter wieder an, und Atomenergie ist heutzutage sehr beliebt. Es gibt große Bestrebungen, kleine modulare Reaktoren bis zum Jahr 2050 wettbewerbsfähig zu machen.

Was sind also die Herausforderungen, vor denen wir stehen? Es gibt weltweit große Herausforderungen, die mit dem steigenden Energiebedarf, dem Bevölkerungswachstum und der wirtschaftlichen Entwicklung zusammenhängen. Dazu kommen die Stromkosten, die in Europa und auf der ganzen Welt in der Regel hoch sind. Hinzu kommen die ökologische Nachhaltigkeit und die Abkehr von fossilen Brennstoffen. Südafrika ist eines der Länder mit den meisten Kohlekraftwerken. Dann gibt es auch noch die Frage der Energiegerechtigkeit, der Regionen, der Entwicklungsländer und der Menschen, die noch immer keinen Zugang zu Elektrizität haben.

Was sind die Herausforderungen in den Entwicklungsländern? Wir brauchen eine stabile, kohlenstoffarme Kernenergie. Wir wissen auch, dass Solar- und Windenergie nützlich sind und stark ausgebaut werden und die Preise sinken, aber sie werden überbewertet. Wenn wir 100 MW Solarenergie installieren, wissen wir, dass diese Energie an einem sonnigen Tag um 12 Uhr mittags zur Verfügung steht, aber davor und danach steht die versprochene Energie nicht zur Verfügung. Windkraft steht zur Verfügung, wenn der Wind weht. Die meisten Einrichtungen in unserem Land und auf unserem Kontinent benötigen daher eine Grundlastversorgung rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr. In bestimmten Regionen, wie beispielsweise im südlichen Afrika, kommt es derzeit zu regionalen Dürren, was die Länder, die auf Wasserkraft angewiesen sind, stark beeinträchtigt. Ich denke hier an Simbabwe, Sambia und einige andere Länder. Es gibt auch trockene Länder wie Namibia und andere, die im Landesinneren Wasser für die Landwirtschaft benötigen und entsalztes Wasser verwenden möchten. In unserem Fall bewegen wir uns weg von Kohlekraftwerken hin zu einem Punkt, an dem wir andere Energieformen als Ersatz für Kohle nutzen möchten. Natürlich spielt die Kernenergie in dieser Hinsicht eine große Rolle. Wir können auch einige der alten Kraftwerke umbauen, ob es sich nun um Kernkraftwerke, kleine Kohlekraftwerke usw. handelt.

Ein Vorteil der kleinen modularen Reaktoren besteht darin, dass man sie in die Nähe der Verbraucher bauen kann. In einigen Ländern im südlichen Afrika gibt es Minen, die eine Stromleistung von 35 MW benötigen, was der Leistung unserer Einheit entspricht. Diese Minen zahlen 11 Millionen US-Dollar pro Monat allein für die Erzeugung von Dieselenergie. Sie können sich also vorstellen, dass sich diese Art von Reaktor innerhalb von 2,5 Jahren für die Mine amortisieren würde. Außerdem können wir mit den potenziellen Emissionsgutschriften Einnahmen erzielen, was natürlich bei unseren Machbarkeitsstudien berücksichtigt wird.

Wir können auf 30 Jahre Erfahrung mit dem Kugelhaufenreaktor zurückgreifen. Der Reaktor, den wir entwickeln, gehört zur nächsten Generation, der Generation IV. Er wurde für die globalen Energieherausforderungen konzipiert, mit denen wir konfrontiert sind. Wir entwickeln diesen Ansatz mitunserem kompakten, innovativen Design weiter. Wir sind weltweit führend in der Entwicklung der IV. Generation. Der PBMR (Pebble Bed Modular Reactor) war bis vor einigen Jahren war weltweit führend. Er benötigt keine großen Wassermengen, wie ich bereits erwähnt habe. Er hat eine hohe Ausgangstemperatur von 705 Grad Celsius. Er ist skalierbar, das heißt, es lassen sich vier oder acht Einheiten hinzufügen, je nach Bedarf. Und natürlich sinken die Kosten, wenn man mehr Einheiten hinzufügt, da man nur einen Kontrollraum benötigt. Man braucht nur ein Verwaltungsgebäude, eine Wartungswerkstatt, einen Sicherheitsdienst.

Wir verwenden einen einzigartigen TRISO-Brennstoff. Dieser Brennstoff hat die Größe eines Tennisballs und ist mit einer Graphitschicht überzogen. Er kann hohen Temperaturen von bis zu 2000 Grad Celsius standhalten. Er wurde in Südafrika entwickelt und in verschiedenen Varianten in andere Länder exportiert. Jedes Brennstoffteilchen in dieser Kugel ist mit Siliziumkarbid beschichtet. Sie sehen, dass diese Kugel etwa 1800 kleine Teilchen enthält, die einzeln beschichtet sind. So sieht jedes dieser Teilchen mit der Beschichtung aus. So entsteht eine Sicherheitsbarriere, die diese Art von Brennstoff und den Reaktor in Bezug auf jegliche Sicherheitsrisiken unbedenklich macht. Wie Sie sehen können, werden die Kugeln auf der linken Seite in den Reaktor geladen. Er wird von oben beschickt und unten entnommen, um die Aktivität zu messen, und kann dann wieder oben eingefüllt werden. Es können auch neue Kugeln hinzugefügt und der verbrauchte Brennstoff entnommen werden.

Die Lebensdauer eines solchen Reaktors beträgt 80 Jahre, und die Lizenz wird erstmal für 40 Jahre erteilt, danach zweimal 20 Jahre. Selbst unser Koeberg-Reaktor und diese hier sind für die nächsten 20 Betriebsjahre zugelassen.

Abschließend möchte ich Ihnen zeigen, wie ein solcher Reaktor typischerweise aussehen würde. Hier sehen Sie die Radiatoren für die Kühlung, das Reaktorgebäude und die Turbinengebäude sowie alle dazugehörigen Gebäude, die Werkstätten usw. Es gibt auch zwei Entwürfe, die wir nur zu architektonischen Zwecken erstellt haben. Dies ist ein typischer Entwurf für unsere Kunden im Nahen Osten, die ein typisches Layout wünschen. Wenn es sich um die eher ländliche Buschlandschaft im Westen Afrikas handelt, dann sprechen wir in der Regel von einem Design dieser Art. Das ist eine künstlerische Darstellung, die natürlich je nach Wunsch des Kunden stark variieren kann.

Abschließend möchte ich mich für die Gelegenheit bedanken, zu Ihnen zu sprechen. Ich freue mich auf die Fragerunde.

  • Prof. Sergej Pulinez, leitender Wissenschaftler, Weltraumforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften (Russland)

Im Wortlaut lesen

CELANI: Unser nächster Redner ist Professor Sergej Pulinez, leitender Wissenschaftler am Weltraumforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften. Sergej, worüber werden Sie heute zu uns sprechen?

PROF. SERGEJ PULINEZ: Ich wurde gebeten, über meine wissenschaftliche Arbeit zu sprechen. In den letzten Jahrzehnten habe ich mich mit dem Problem der Erdbebenvorhersage befasst. Dieses Problem ist seit etwa zwei Jahrhunderten ungelöst. Das Problem ist, dass es von Seismologen monopolisiert wird, die behaupten, dass Erdbebenvorhersagen unmöglich seien. Die von ihnen hauptsächlich verwendete Technik ist die statistische Verarbeitung der Rolle seismischer Ereignisse. Und auf der Grundlage dieser Statistiken ziehen sie Rückschlüsse auf zukünftige Ereignisse. Für langfristige Vorhersagen mag dies recht erfolgreich sein, für kurzfristige Vorhersagen funktioniert es jedoch nicht.

Ich bin kein Seismologe, sondern Weltraumphysiker. Seit den 1990er Jahren beobachten wir von Satelliten aus einige Anomalien, die vor Erdbeben auftreten. Seit dieser Zeit beschäftige ich mich mit der Frage, wie diese Phänomene entstehen. Ich möchte Ihnen hierzu einige Folien zeigen. Meine Hauptaufgabe bestand darin, die physikalischen Grundlagen dieser Phänomene zu erklären.

Im Allgemeinen entstehen Erdbeben durch die Bewegungen der tektonischen Platten. In der ersten Darstellung sehen Sie den Urzustand unseres Planeten. Heute gibt es mehrere große tektonische Platten, die sich in verschiedene Richtungen bewegen. Bei ihren Kollisionen entstehen Spannungen, und wenn diese ein bestimmtes Maß erreichen, kommt es zu einem Bruch, und das ist ein Erdbeben. Die Bewegung der tektonischen Platten oder Blöcke in den Verwerfungen kann unterschiedlich sein und wird unterschiedlich bezeichnet: Spannungsverschiebungen, Normalverschiebungen, Horizontalverschiebungen. Horizontalverschiebungen sind beispielsweise in Kalifornien zu beobachten. Sowie Subduktionszonen bei Spannungen und umgekehrte Spannungen bei Normalbrüchen, wenn eine tektonische Platte unter eine andere abtaucht.

Aber zurück zur Physik: In den 1990er Jahren zeigten die Arbeiten russischer und amerikanischer Seismologen, dass es in den Bereichen der Erdbebenausbreitung einige Anomalien gibt, etwa bei der Geschwindigkeit der Ausbreitung der seismischen Phase, bei der Ausströmung verschiedener Gase, bei Veränderungen des Grundwasserspiegels usw. gibt. Besonders interessant ist die Ausströmung von Radon. Warum ist das interessant? Weil sich hier das Verhalten verschiedener physikalischer Parameter vor einem Erdbeben zeigt. Hier ist eine Radon-Emission zwischen zwei Erdbeben dargestellt. Wir sehen, dass die Emission zunimmt und nach dem Erdbeben wieder abfällt. Es gibt verschiedene Theorien hierzu; links sehen Sie die amerikanische, rechts die russische, die zeigen, wie das funktioniert. Interessant ist, dass Radon radioaktiv ist. Es emittiert sogenannte Alphateilchen; Alphateilchen sind Kerne von Helium, einem Gas in unserer Atmosphäre. Es hat zwei Protonen und zwei Neutronen. Dieses Teilchen ist sehr energiereich; es hat eine Energie von sechs Mega-Elektronenvolt. Wenn es in die Atmosphäre eintritt, beginnt es, die bodennahe Schicht der Atmosphäre zu ionisieren. Man sieht einen Zusammenhang zwischen der Verformung der Erde und der Radonemission.

Dieses Bild ist sehr interessant, da es sich um ein Wasserreservoir handelt. Während der Auffüllung dieses Reservoirs veränderte sich der Druck, und wir sehen starke Schwankungen des Radons. Es besteht also ein Zusammenhang zwischen Spannungen und Stress in der Erdkruste. Dies wurde in vielen Fällen nachgewiesen. Vor dem Erdbeben von Kobe ist ein starker Anstieg des Radonflusses zu beobachten. Ich möchte nicht zu sehr auf die Physik eingehen und nur eines zeigen. Wenn energetische Teilchen mit neutralen Teilchen, den Gasteilchen, in Kontakt kommen, werden die Elektronen herausgeschlagen, und es bilden sich positive Ionen. Die Elektronen werden an das neutrale Teilchen gebunden und bilden ein negatives Ion. Der in der Atmosphäre vorhandene Wasserdampf lagert sich an diese Ionen an. Wassermoleküle sind polarisiert; das Sauerstoffatom ist der negative Teil des Bipols und wird vom positiven Ion angezogen. Wasserstoffatome sind dagegen positiv, so dass das Wassermolekül vom Sauerstoffatom an das positive Ion und von den Wasserstoffatomen an die negativen Ionen gebunden wird. Auf diese Weise entsteht ein großer Cluster von Ionen, da sich immer mehr Wassermoleküle an die Ionen anlagern. Dies verändert die elektrische Leitfähigkeit in der bodennahen Schicht der Atmosphäre. Dies ist eine Folge davon. Eine weitere ist, dass die Anlagerung mehr oder weniger der Kondensation entspricht. Bei der Kondensation wird latente Wärme durch das Wassermolekül freigesetzt.

Daraus ergeben sich zwei wichtige Konsequenzen. Bei der Bildung dieser Cluster-Ionen wird latente Wärme freigesetzt. Die Menge dieser Wärme ist so groß, dass sie die Lufttemperatur in der Region der Erdbebenausbreitung verändern kann. Während dieses Prozesses wird Wasserdampf aus der Atmosphäre entfernt, so dass wir gleichzeitig mit dem Temperaturanstieg einen Rückgang der Luftfeuchtigkeit beobachten können. Man kann diese thermischen Anomalien, die im Bereich der Erdbebenausbreitung auftreten, von Satelliten aus sehen. Da sich diese großen Partikel nicht schnell bewegen können, sinkt gleichzeitig ihre Mobilität und damit auch die elektrische Aktivität. Dies ergibt ein globales elektrisches Veränderungspotenzial der Ionosphäre, einer ionisierten Schicht unserer Atmosphäre, die sich in einer Höhe von 60 km bis zu mehreren tausend Kilometern befindet. In der Ionosphäre treten Anomalien auf, die mit den Veränderungen des Ionosphärenpotenzials zusammenhängen.

Daraus ergeben sich zwei Hauptfolgen: thermische Anomalien und Anomalien in der Ionosphäre, die wir mit Satelliten registrieren können. Ich arbeite in der Weltraumphysik und wir führen solche Satellitenüberwachungen durch. Ich werde Ihnen einige Beispiele dafür zeigen. Dies ist eines der Erdbeben in der Nähe der chilenischen Grenze. Es liegt in der Nähe des Pazifischen Ozeans, und man kann die Zunahme der Lufttemperatur und die Abnahme der damit verbundenen Luftfeuchtigkeit sehen. Es ist unvorvorstellbar, dass die Luftfeuchtigkeit auf dem offenen Meer um bis zu 2 % sinkt. Das ist unter natürlichen Bedingungen absolut unmöglich. Ich werde Ihnen nun zeigen, wie sich dies entwickelt. Dies sind einige Parameter, die wir als atmosphärisches chemisches Potenzial bezeichnen. Ich werde nicht näher darauf eingehen, aber es wird aus der Lufttemperatur und der Luftfeuchtigkeit berechnet. Sie sehen, dass es alle drei Stunden auf besondere Weise zu einer Verteilung dieser Parameter gekommen ist, und Sie sehen, dass sich mit dem Herannahen des Erdbebens eine starke Anomalie um das Epizentrum des Erdbebens herum bildet. Hier ist sie am größten. Diese Anomalien treten mehrere Tage vor dem Erdbeben auf. Auf diese Weise können wir eine kurzfristige Vorhersage des Erdbebens treffen. Ich kann Ihnen viele Fälle dieser Art zeigen, aber ich möchte zum Schluss kommen.

Wir befinden uns bei einem Erdbeben in einem offenen Nicht-Gleichgewichtssystem, einem nichtlinearen System, in dem wir es mit der Umwandlung von Energie von mechanischer zu chemischer, zu thermischer bis hin zu elektrischen Energie zu tun haben. All diese Dinge können wir verfolgen und die kurzfristigen Vorläufer von Erdbeben registrieren. Wo liegt das Problem? Das große Problem ist, dass dies von den Seismologen nicht verstanden wird; sie wollen diesen Weg nicht einschlagen. Bis heute behaupten sie, dass Vorhersagen unmöglich sind; es funktioniere nicht. Man könnte diese kurzfristigen Vorläufer von Erdbeben weltweit verfolgen, aber wir sind bei dieser Forschung nur wenige. Wir können keine globale Überwachung durchführen, und Vorhersagen werden erst dann möglich sein, wenn der Staat selbst einen Überwachungsdienst wie den Katastrophenschutz einrichtet, wie die Feuerwehr und so weiter. Es sollte einen speziellen Dienst für Erdbebenvorhersagen geben. Die Seismologen sagen, dass Vorhersagen in Zukunft unmöglich seien. Das wird in Zukunft nur dann nicht möglich sein, weil es in keinem Institut, keiner Hochschule ein Fachgebiet wie die Erdbebenvorhersage gibt. Wir bilden junge Menschen nicht darin aus. Was wird sein, wenn ich nicht mehr da bin? Ich bin nicht sicher, ob jemand diese Forschung fortsetzen wird. Das ist also ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen, und ich hoffe, dass wir eine Lösung dafür finden werden. Vielen Dank.

  • William Jones, Schiller-Institut (USA)
  • Prof. Gennady Aksenow, S.I. Wawilow Institut für Wissenschafts- und Technologiegeschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für die Geschichte der Erdwissenschaften (Russland)

Panel 4: Der Reichtum der Kulturen der Menschheit und die kommende Goldene Renaissance

Moderatorin Megan Dobrodt

  • Lyndon LaRouche: „Kreatives Denken findet nur in der klassischen Kultur statt“

Im Wortlaut lesen

Zu Beginn des vierten Abschnitts der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 16. Juni 2024 wurde der folgende Ausschnitt aus einer Rede von Lyndon LaRouche über die Bedeutung der klassischen Kultur für die Entwicklung der geistigen Kräfte der Menschen gezeigt.

Die Zerstörung der klassischen Kultur war ein wesentlicher Teil der Zerstörung der geistigen Fähigkeiten der Bevölkerung. Die klassische Kultur hat eine ganz besondere Bedeutung. Wenn sie nur noch der Unterhaltung dient, ohne jede Kriterien, dann verlieren die Menschen den Halt.

Es geht bei der Menschheit immer um das, was wir „Kreativität“ nennen. Wahre Kreativität ist nicht nur Variation oder Innovation. Kreativität respektiert bestimmte Prinzipien des Geistes, die nur wirklich klassische Kulturen vermitteln können. Aber die Menschen haben ihre Verbindung zur klassischen Kultur verloren, oder sie nie gehabt. Deshalb gehen sie ins Leben hinaus und sind dabei durch den fehlenden Zugang zur klassischen Kultur verkrüppelt.

Mit anderen Worten, kreatives Denken findet nur in der klassischen Kultur statt.

Es gibt authentische klassische Kulturen. Man kann sie bis zum klassischen Griechenland zurückverfolgen, das recht gut bekannt ist. Es gibt noch andere Beispiele für diese klassische Kultur. Es gibt sie sozusagen in verschiedenen Größen und Geschmacksrichtungen. Aber sie alle haben bestimmte Merkmale gemeinsam. Was die klassische Kultur ist, das ist ein Thema für sich. Es ist eines meiner Spezialgebiete, aber ich glaube nicht, daß jeder mit diesem Spezialgebiet vertraut ist.

Diese klassische Kultur hat eine ganz spezifische, einzigartige Rolle bei der Entwicklung der menschlichen Geisteskräfte. Eine mangelnde Entwicklung des menschlichen Geistes in dieser Richtung ist tatsächlich ein Hindernis für den Fortschritt. Das bedeutet nicht, daß man ein schlechter Mensch ist; es bedeutet, daß man diese, nennen wir es „Waffe des geistigen Fortschritts“, nicht erworben hat. Den meisten Menschen in der Gesellschaft wird es vorenthalten, sich mit diesem Konzept vertraut zu machen, und deshalb sind sie von etwas abgeschnitten, auf das sie ein Recht haben sollten, das sie kennen und erfahren sollten.

Wenn jemand musikalisch begabt ist und eine echte systematische Ausbildung in musikalischer Komposition bekäme, dann würde es ihm nicht schwer fallen, zu verstehen, worum es geht. Er wäre in der Lage zu verstehen, was an der Alternative falsch ist. Denn wenn man entdeckt, daß man über eigene Geisteskräfte verfügt, die man bisher nicht genutzt hat, und damit beginnt, sich diese bisher ungenutzten Geisteskräfte anzueignen, dann stellt man fest, daß man als Mensch viel wichtiger ist, als man gedacht hatte. Das ist die Rolle der klassischen Kultur oder sagen wir, der Ausgangspunkt der klassischen Kultur: Wenn die Menschen erkennen, daß es etwas gibt, das sie auf keine andere Weise bekommen können und das ihnen etwas bedeutet. Sie verstehen sich selbst besser als zuvor. Sie finden dann darin eine Quelle der Kraft.

Mir geht es als erstes immer um das innere Gespür für die Quelle der Kraft im Inneren der Person. Klassische Kultur, ähnlich wie zum Beispiel wissenschaftliche Bildung und so weiter – diese Dinge stärken die Person im Inneren, weil sie Zugang zu mehr Macht über die Gesellschaft und den Zustand der Gesellschaft hat, als sie es sonst hätte. Sie sagen sich gewissermaßen: „Ich bin jemand! Ich bin etwas! Ich meine etwas; ich bin nicht nur irgendein Ding. Ich habe etwas in mir, das ihr kennen müßt. Ich habe etwas in mir, das ich euch geben muß.“

Wenn du das deinem Publikum sagen kannst, fühlst du dich stark, du fühlst dich glücklich, die Welt gehört dir mehr. Du mußt dich nicht dafür entschuldigen, was du bist; du mußt dich nicht für das entschuldigen, wie du bist. „Ich habe gestern etwas Neues gelernt, Leute, und das ist gut.“

Das ist es, was ich den Leuten, die sich solche Frage stellen, vermitteln möchte – genau das.

Wir haben Zugang zur klassischen Kunst und zur Wissenschaft. Wir haben die Mittel, die es den Menschen ermöglichen, selbst auf einer recht begrenzten Ausgangsbasis Durchbrüche zu erzielen, bei denen sie erkennen können, was ihr Geist ist, was er darstellt. Wenn man sich sicher ist, daß der eigene Geist etwas bedeutet, dann ist man innerlich gestärkt und läßt sich nicht so leicht unterkriegen. Man muß sich nicht mehr für sich selbst entschuldigen.

  • Jacques Cheminade, Präsident, Solidarité et Progrès, ehemaliger französischer Präsidentschaftskandidat. „Die Kultur des Friedens“ (Frankreich)

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Eine wahre Kultur des Friedens

Von Jacques Cheminade
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Rede von Jacques Cheminade, Vorsitzender der Partei Solidarité et Progrès auf der Online-Konferenz der Schiller-Instituts am 16. Juni 2024.

Wir leben in einer Kultur des Krieges. Die Möglichkeit eines Dritten Weltkriegs, eines Krieges zur Auslöschung der Menschheit, wird jeden Tag realer. Wenn man sich das Versagen unserer Präsidenten und der Männer neben ihnen anschaut, die den Atomknopf im Koffer haben, muß jeder vernünftige Mensch erzittern und nach Frieden verlangen. Während dieser ganzen Konferenz wurden wir gewarnt und aufgerüttelt, während auch die Bevölkerung die Gefahr mehr und mehr spürt. Unsere westlichen Regierungen führen das Wort Demokratie im Munde, aber für sie liegt die Schuld an der militärischen Eskalation immer im Verhalten des Gegners. Unsere herrschenden Prediger mögen von Frieden sprechen, aber sie geben ständig den anderen die Schuld und sind in Kriege gegen sie verwickelt. Es ist eine Orwellsche Welt, in der Krieg gleich Frieden und Realität gleich Narrativ ist. Spektakel werden veranstaltet, um die Völker zu betrügen. Die obszönen Feierlichkeiten zum D-Day an den Stränden der Normandie sind nur ein extremes Beispiel hierfür. Die Russen, die Hauptgewinner des Zweiten Weltkriegs, wurden nicht eingeladen, und Selenskij wurde als der augenblickliche Helden der „freien Welt“ gefeiert.

Die Herausforderung für unsere Internationale Friedenskoalition und das Schiller-Institut besteht darin, die Lügen aufzudecken – eine Kultur des Krieges ist immer eine Kultur der Lüge – und die Herausforderung anzunehmen, eine wahre Kultur des Friedens aufzubauen. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir erfolgreich sein werden, nicht ohne gefährliche und dunkle Momente zu durchleben, wie jetzt, aber wir werden erfolgreich sein, weil es in der Natur des Menschen liegt, eine bessere Welt für die Zukunft zu schaffen, und heute sind wir alle hier, um uns dafür einzusetzen.

Wie gehen wir vor? Wir müssen in den Köpfen unserer Mitbürger das Realitätsprinzip wachrufen. Zunächst müssen wir ihnen klar machen, was ein Atomkrieg bedeuten würde. Eine Kultur des Friedens beginnt damit, die Folgen des Bösen zu erkennen. Prof. Kenneth Starr und Scott Ritter haben uns gezeigt, wie wir vorgehen müssen: Wir müssen die Menschen mit der Aussicht auf den Tod konfrontieren und ihnen vor Augen führen, wie häßlich das Gesicht eines Atomkriegs sein würde. Machen wir uns klar, was die Zerstörung der schönsten Schöpfungen der Menschheit bedeuten würde, das Ende des langen Marsches der menschlichen Zivilisation. Wir müssen verstehen, wie unsere politischen Führer, in jedem unserer westlichen Länder, ein hinterlistiges Pokerspiel mit unserem Leben spielen. Dann zeigen wir, wie diese perverse Logik funktioniert: Das kollabierende westliche Finanzsystem muß, um seine Geldwetten zu decken, wahllos plündern und die produktive Wirtschaft zerstören, um eine neue Form von Lebensraum zu suchen. Das ist es, was das Wort „Kriegswirtschaft“ bedeutet: die Illusion, daß die Blase aller Finanzwetten durch die Blase der nuklearen Vorherrschaft gesichert werden könnte, auch mit der Androhung eines Erstschlags, wie in der derzeitigen amerikanischen Nukleardoktrin.

Aber nur Angst zu machen, könnte ein Gefühl von selbstzerstörerischem Pessimismus verbreiten. Angstmacherei wirkt destruktiv, wenn man keine Hoffnung weckt. Die zehn Prinzipien von Helga Zepp-LaRouche vermitteln den wahren Charakter der Menschheit und reißen uns aus der Versuchung verdrießlicher Vergnügungen, wie die Jesuiten zu sagen pflegten. Sie geben uns wieder ein Gefühl für unser souveränes Gutes, unsere Macht, Gutes zu tun. Ich zitiere das erste und das letzte Prinzip, die die dynamische Kraft von ihnen allen umfassen, um die Grundlage für Frieden zu schaffen – ein „neues Paradigma, auf das eine neue globale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur ausgerichtet sein sollte“, um Oligarchismus, Kolonialismus und Geopolitik endgültig zu beseitigen.

Erstes Prinzip: „Die neue internationale Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur muß eine Partnerschaft vollkommen souveräner Nationalstaaten sein, die sich auf die Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz und die UN-Charta stützt.“

Zehntes Prinzip: „Die Grundannahme des neuen Paradigmas ist, daß der Mensch grundsätzlich gut ist und fähig, die Kreativität seines Geistes und die Schönheit seiner Seele unendlich zu vervollkommnen, und daß er die am weitesten entwickelte geologische Kraft im Universum ist, was beweist, daß die Gesetzmäßigkeit des Geistes und die des physischen Universums in Übereinstimmung und Kohäsion stehen und daß alles Böse das Ergebnis eines Mangels an Entwicklung ist und daher überwunden werden kann“.

Diese Prinzipien sind wichtige Bezugspunkte und Standards für eine Kultur des Friedens. Unser Urteil über das, was gesagt und getan wird, um den Frieden zu sichern, sollte von diesem Standpunkt aus erfolgen.

Die drei Initiativen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping und das Prinzip „One Belt, One Road“ sind wesentliche Schritte in diese Richtung. Eine globale Entwicklungsinitiative, eine globale Sicherheitsinitiative und eine globale zivilisatorische Initiative bilden ein Ganzes, um das gemeinsame Schicksal der Menschheit für eine bessere und schönere Welt in der Zukunft zu organisieren. In diesem Sinne entsprechen die jüngsten Erklärungen von Papst Franziskus zum Neuen Ablaßjahr 2025 und zum Frieden auf der Grundlage von Gerechtigkeit für jede Nation und jeden Menschen auf der Erde dem, was Papst Paul VI. in seiner Enzyklika Populorum Progressio gesagt hatte: „Der neue Name des Friedens ist Entwicklung“. Hinzu kommen die Erklärungen, die Wladimir Putin auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg abgegeben hat – ich habe keine Zeit, sie zu zitieren, aber sie sind es wert, berücksichtigt zu werden, um die Lügen der westlichen Medien zu zerstreuen. Putins Besuch im Haus und Museum des großen russischen Humanisten und Dichters Alexander Puschkin in der Stadt, die heute seinen Namen trägt und früher Zarkoje Selo hieß, zeugt von seiner prinzipientreuen Haltung, trotz der gegenwärtigen internationalen strategischen Spannungen.

Die mögliche Lösung für die Menschheit, jetzt, da wir alle im selben Boot sitzen, liegt in dieser Richtung, vorausgesetzt, wir gehen weiter, bis hin zu einer Weltlandbrücke, die für alle Nationen gebaut wird. Dieses Eine, wie Helga Zepp LaRouche unermüdlich wiederholt, ist mächtiger als das Viele und erfordert ein Denken auf der Ebene von Jean Bodins „Harmonie der Dissonanzen“ und noch grundsätzlicher vor ihm, der Coincidentia Oppositorum, der „Koinzidenz der Gegensätze“, von Nikolaus von Kues.

Diejenigen, die sich weigern, auf dieser Ebene zu denken, die vom Besonderen und nicht vom Einen ausgehen, sind dazu verdammt, eine Kultur des Krieges, eine Kultur des Todes zu fördern oder aufrechtzuerhalten – wie der berüchtigte Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der behauptete, daß das Völkerrecht nicht ohne Zufälle existieren könne, weil jeder Staat seinen eigenen Partikularwillen habe, und der daraus schloss, daß die einzige Methode, mit der Partikularwillen harmonisiert werden könne, der Krieg sei. Eine extreme Art, das auszudrücken? Heute nennt man das Geopolitik und regelbasierte Ordnung – die Kriegskultur unserer westlichen Führung. Unter dem Vorwand, die „Demokratie“ zu schützen, wird die Plünderung der Finanzmärkte und die Aufrüstung zum Schutz ihrer Plünderung vorangetrieben.

Fahren wir fort: Auch wenn gute Absichten nützlich und notwendig sind, sind sie nicht in der Lage, eine Kultur des Friedens zu sichern. Dies ist sozusagen der Kantsche Fehler in all den Bemühungen, die wohlmeinende Menschen für den Frieden unternommen haben – und gescheitert sind. Sie versuchten, den Frieden außerhalb des Bereichs einer wahren Friedenskultur zu erreichen. Daher ist unser gemeinsamer Denkprozess innerhalb der Internationalen Friedenskoalition und des Schiller-Instituts so wichtig, um eine Mobilisierung für eine echte Friedenskultur zu erreichen, die der existenziellen Gefahr für die Menschheit Rechnung trägt.

Ein Schlüsselbeispiel für dieses Scheitern waren die Bemühungen, die nach dem Fall der Berliner Mauer innerhalb der bestehenden internationalen Organisationen unternommen wurden. Sie nannten es eine Kultur des Friedens, aber es war keine echte. Die Überlegungen der Vereinten Nationen zu einer „Kultur des Friedens“ begannen 1992 mit der Verabschiedung eines Programms für eine Kultur des Friedens durch die UNESCO. Die Erklärung und das Programm für eine Kultur des Friedens wurden von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 13. September 1999 im Rahmen der Vorbereitungen für das Internationale Jahr für die Kultur des Friedens angenommen.

Die UN-Resolution A/53/243 enthält acht Aktionsbereiche, die insgesamt positiv zu sein scheinen:

– Kultur des Friedens durch Bildung
– Nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung
– Respekt für alle Menschenrechte
– Gleichstellung von Frauen und Männern .
– Verständigung, Toleranz und Sicherheit
– Partizipative Kommunikation und freie Verbreitung von Informationen und Wissen .
– Internationaler Frieden und Sicherheit.

Dann gab es das Manifest 2000 für eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, in dem der Einzelne aufgefordert wurde, „in meinem täglichen Leben, in meiner Familie, bei meiner Arbeit, in meiner Gemeinschaft und in meiner Region

– das Leben und die Würde eines jeden Menschen ohne Diskriminierung und Vorurteile zu achten;
– Aktive Gewaltfreiheit zu praktizieren und Gewalt in all ihren Formen abzulehnen: physisch, sexuell, psychologisch, wirtschaftlich und sozial, insbesondere gegenüber den am meisten Benachteiligten und Schwachen;
– meine Zeit und materiellen Ressourcen im Geiste der Großzügigkeit zu teilen, um Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und politische und wirtschaftliche Unterdrückung zu beenden.

Und so weiter und so fort – ein Katalog von „guten Dingen“, der mit verschiedenen hochrangigen Treffen der Vereinten Nationen zur Kultur des Friedens einherging. Anwarul Karim Chowdury,
der damalige Untergeneralsekretär und Hohe Repräsentant für die am wenigsten entwickelten Länder, die Binnenentwicklungsländer und die kleinen Inselentwicklungsstaaten, hielt immer wieder gute Reden über „Gewaltlosigkeit und Friedenskultur als Teil unserer täglichen Existenz, Friedenskultur als Prozeß der individuellen, kollektiven und institutionellen Transformation.“

Schöne Worte, aber wo ist der Fehler? In Anbetracht der Tatsache, daß wir heute von der nuklearen Auslöschung bedroht sind, haben solche wohlmeinenden Persönlichkeiten nicht das bewirkt, was sie meinten. Wir müssen uns also darüber im Klaren sein, wo der Makel liegt, um wirksam zu sein. Er liegt nicht im Wesentlichen an Personen oder nicht einmal an einem politischen Regime, er liegt in der Mentalität, in einem Umfeld, in dem die herrschenden Mächte Prinzipien auf bloße Namen reduzieren, als wären sie Wetten an der Börse, eine nominelle Tarnung für ihre wahren Absichten. Wenn man deren Herrschaft über das Gedankenspiel akzeptiert, sind wir dazu verdammt, am Prinzip zu scheitern. Der Fehler ist das, was ich nach Lyndon LaRouche den Kantschen Fehler nenne. Kant schrieb 1795 sein Buch Zum Ewigen Frieden, ein Buch, das später mit „demokratischem Frieden, Handelsfrieden und institutionellem Frieden“ in Verbindung gebracht wurde. Es ist eine Summe von Kategorien, wie die Dokumente der Vereinten Nationen, eine Art Skelett, das auf die Realität projiziert wird. Kant trennt zwischen Nomen und Phänomen, wobei das Nomen der Bereich der Vernunft und der Seele ist, der der Erkenntnis nicht zugänglich ist (die Dinge an sich), und das Phänomen, die sichtbaren Objekte der Wahrnehmung. Diese Kluft verdammt den Menschen dazu, Gefangener der Logik eines gegebenen Systems zu sein, mehr oder weniger ausgearbeitet, ohne Zugang zur Vernunft in der Welt der Wahrnehmungen, ohne Zugang zur Vernunft, um die Umwelt zu verändern.

Die Wissenschaft der physischen Ökonomie ist dieser Denkweise fremd, weil sie an die Kategorien der Welt, wie sie ist, angepaßt ist. Die Metaphysik ist von der Physik getrennt. Eine solche Denkweise verurteilt dazu, innerhalb eines gegebenen Systems gute Reden zu schwingen, ohne daß dies in der Realität, d.h. bei der Beherrschung des Wandels, etwas bewirken kann. Um es grob auszudrücken: Man wird entweder zu begnadeten Dienern, wie ein Henry Kissinger, oder zu wütenden und ohnmächtigen Anarchisten, wie ein IS-Terrorist, oder zu wohlsituierten Statthaltern dessen, was unser Freund Ray McGovern als MICIMAT bezeichnet – Militär, Industrie, Kongreß, Geheimdienste, Medien und akademische Denkfabriken. Als menschliche Wesen sind sie nicht sehr nützlich und verbreiten einen mehr oder weniger unterwürfigen und oft gut genährten Pessimismus oder falschen Idealismus. Im Extremfall können sie so weit gehen wie Bertrand Russell und dazu aufrufen, entweder Atombomben auf die russische Bevölkerung zu werfen, um die „freie Welt“ zu retten, oder einen fehlgeleiteten Ökologismus zu fördern, um die Weltbevölkerung zu reduzieren! Mit dem Wort Frieden im Mund und einer Kultur des Todes im Kopf.

Das sind traurige Geschöpfe, die dazu verdammt sind, kriminell zu werden. Wir, die wir Prinzipien verkörpern und in die Offensive gehen, um sie in der realen Welt durchzusetzen, die sich für eine wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit einsetzen, die für alle Beteiligten von Vorteil ist, haben den Auftrag, Vorbilder der Hoffnung zu sein. Es ist unsere Verpflichtung, „alle Individuen der menschlichen Gattung zur Würde des Menschen zu erheben“, wie es Lazare Carnot, einer der Gründer der Ecole Polytechnique und „Organisator des Sieges“ der französischen republikanischen Armeen gegen die eindringende Koalition der europäischen Oligarchie, ausdrückte. Im Laufe unseres Kampfes sollten wir, so wie es José Vega und sein Wahlkampfteam tun: frühmorgens Beethoven hören, bevor wir zum Organisieren gehen, und abends Gedichte lesen. So veredeln wir unseren Charakter, um unser Mandat nicht als Pflicht, sondern mit Freude zu erfüllen. Hören Sie, was Carnot, ein Bewunderer Friedrich Schillers, uns inmitten des Kampfes sagt, während er sich mit Poesie beschäftigt: „Begeisterung, Liebe zum Schönen, erhabener Aufstieg großer Seelen“. Wir streben danach, selbst eine solche Ebene des Seins zu erreichen, und ein solches Streben ist die kulturelle Grundlage für eine wahre Kultur des Friedens, „um die politische Ordnung so zu gestalten, daß der wahre Charakter der Menschheit als schöpferische Gattung verwirklicht werden kann.“

  • Harley Schlanger, Stellvertretender Vorsitzender, Schiller Institute Vereinigte Staaten: „Wie die öffentliche Meinung manipuliert wird“ (Deutschland)

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Wir alle sind Zielscheibe der „hybriden Kriegsführung“

Von Harley Schlanger

Dieser Artikel ist eine leicht bearbeitete Abschrift eines Vortrags, den Harley Schlanger am 16. Juni 2024 im 4. Panel der Online-Konferenz des Schiller-Instituts gehalten hat. Schlanger ist der Vizepräsident des Schiller-Instituts in den Vereinigten Staaten. Das Video der Konferenz vom 15. und 16. Juni ist hier verlinkt: Die Welt am Abgrund: Für einen neuen Westfälischen Frieden!

Ist es möglich, daß Sie „falsch“ denken? daß die Art und Weise, wie Sie denken und was Sie denken, Sie zu einem Staatsfeind macht? daß das, was Sie für Ihre eigenen Ideen halten – zum Beispiel, daß Sie nicht wollen, daß Hunderte von Milliarden an Steuergeldern in nicht zu gewinnende und endlose Kriege fließen und in den Taschen ukrainischer Kleptokraten und US-amerikanischer Rüstungskonzerne landen – in Wirklichkeit von dem „hinterhältigen Kriegsverbrecher“ Wladimir Putin in Ihr Gehirn gepflanzt wurde? Und daß Ihre Ablehnung des Massenmords an Kindern und Frauen in Palästina ein Beweis dafür ist, daß Sie antisemitisch sind?
Ob Sie es wissen oder nicht, Sie sind das Ziel der sogenannten „hybriden Kriegsführung“. Und wenn diese Art von Krieg nicht zur Auslöschung der Menschheit in einem thermonuklearen Krieg führt, bedeutet sie zumindest, daß Ihnen der Schutz Ihrer verfassungsmäßigen Rechte und Freiheiten entzogen wird. Es gibt einen Namen für diese Unterdrückung des Rechts auf freie Meinungsäußerung – „Faschismus“.
Ich möchte Ihnen einen Einblick geben, wie „hybride Kriegsführung“ funktioniert und wie sie durchgesetzt wurde. Ausgangspunkt ist die Frage: Was ist Wahrheit?

Keats versus hybride Kriegsführung

«Schönheit ist Wahrheit, Wahrheit schön – soviel
Wißt ihr auf Erden, und dies Wissen reicht.»

In seiner „Ode an eine griechische Urne“ untersucht der Dichter John Keats die Beziehung zwischen Wahrheit und Schönheit; Schönheit wird in der Kunst bewahrt und ist wie die Wahrheit ewig, aber was macht sie dazu? Sowohl Schönheit als auch Wahrheit sind Produkte des menschlichen Geistes – das Ergebnis kreativer Entdeckungen. Beide mögen schwer faßbar sein, schwer mit Worten zu beschreiben, aber sie sind wißbar, insbesondere durch einen nur dem Menschen eigenen geistigen Entdeckungsprozeß, für den Ironie und Metaphern erforderlich sind – so wie Keats die griechische Urne benutzt.
Es gibt eine andere, subversive Sicht der Wahrheit, wie sie von Sir Bertrand Russell vertreten wird, den Lyndon LaRouche einmal als den bösartigsten Mann des 20. Jahrhunderts bezeichnet hat.
In seinem 1952 erschienenen Buch „Wissenschaft wandelt das Leben“ schrieb Russell:

„Die Sozialpsychologen der Zukunft werden eine Reihe von Schulklassen haben, in denen sie verschiedene Methoden ausprobieren werden, um die unerschütterliche Überzeugung zu erzeugen, daß Schnee schwarz ist. Man wird bald zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Erstens, daß der Einfluß des Elternhauses hinderlich ist. Zweitens, daß nicht viel getan werden kann, wenn die Indoktrination nicht vor dem zehnten Lebensjahr beginnt. Drittens: Vertonte und wiederholte Verse sind sehr wirksam. Viertens, daß die Meinung, Schnee sei weiß, ein Zeichen für einen krankhaften Hang zur Exzentrizität ist… Es bleibt künftigen Wissenschaftlern überlassen, diese Maximen zu präzisieren und genau herauszufinden, wie viel es pro Kopf kostet, Kinder glauben zu lassen, Schnee sei schwarz…“.

Er fährt fort: „Während diese Wissenschaft eifrig studiert wird, wird sie streng auf die herrschende Klasse beschränkt bleiben. Das Volk wird nicht wissen dürfen, wie seine Überzeugungen entstanden sind. Wenn die Technik perfektioniert ist, wird jede Regierung, die eine Generation lang für die Erziehung verantwortlich war, in der Lage sein, ihre Untertanen sicher zu kontrollieren, ohne auf Armeen oder Polizisten zurückgreifen zu müssen“.

Russell war einer der Schöpfer dessen, was manche das „Zeitalter der Postwahrheit“ nennen. Man schafft ein „Narrativ“, z.B. „Schnee ist schwarz“; man verstärkt es in den Schulen, in der Kultur; man isoliert und bestraft diejenigen, die etwas anderes glauben – „Wenn Sie immer noch glauben, daß Schnee weiß ist, müssen Sie eine Marionette von Putin sein.“
Hier ist eine neuere Erklärung dieser Sicht der Wahrheit, von dem dystopischen Futuristen Yuval Harari aus dem Jahr 2018:

„Ein flüchtiger Blick in die Geschichte zeigt, daß Propaganda und Desinformation nichts Neues sind… In der Tat haben die Menschen schon immer im Zeitalter der Postwahrheit gelebt. Der Homo sapiens ist eine Post-Wahrheits-Spezies… Wir sind die einzigen Säugetiere, die mit zahlreichen Fremden zusammenarbeiten können, denn nur wir können fiktive Geschichten erfinden, sie verbreiten und Millionen von anderen davon überzeugen, an sie zu glauben. Solange alle an die gleichen Fiktionen glauben, gehorchen wir alle den gleichen Gesetzen und können so effektiv kooperieren…
Die Wahrheit ist, daß die Wahrheit noch nie ganz oben auf der Tagesordnung des Homo sapiens stand… Wenn man sich an die ungetrübte Realität hält, werden Ihnen nur wenige Menschen folgen. Falsche Geschichten haben einen Vorteil gegenüber der Wahrheit, wenn es darum geht, Menschen zu vereinigen.“1

Dies ist der Schlüssel zu dem, was man „hybride Kriegsführung“ nennt. Lyndon LaRouche beschrieb dies in einem Artikel vom Juni 2004 mit dem Titel „Was macht die Kultur?“2 Darin beschrieb er die Gründung des Kongresses für Kulturelle Freiheit im Jahr 1950 durch die Dulles-Netzwerke in der CIA in Zusammenarbeit mit britischen Experten für psychologische Kriegsführung mit dem Ziel, die Bevölkerung geistig zu verdummen – durch die gezielte Zerstörung der Fähigkeit von Kindern, sich am Prozeß der kreativen Wahrheitsfindung zu beteiligen. Das sei nicht neu, schreibt LaRouche, sondern gehe zurück auf die Feinde Platons in Griechenland, die Sophisten und Aristoteles. Nur gebe es heute raffiniertere Waffen, in den digitalen Technologien, in den sozialen Medien, die das verstärken, was er ganz offen als „Gehirnwäsche“ bezeichnete.

„Sieg im Informationsraum“

Ein Jahr später prägte Marinegeneral James Mattis in einer Rede vor dem U.S. Naval Institute den Begriff „hybride Kriegsführung“. Er argumentierte, daß Kriege „nicht gewonnen werden können, indem man sich auf [Waffen-]Technologie konzentriert.“ Stattdessen müsse ein „Informationskrieg“ geführt werden. Die Mittel der Wahl für die Kriegsführung müßten heute „Desinformation, Fehlinformation und Falschinformation“ sein. Mattis wurde später NATO-Oberbefehlshaber für Transformation und diente dann als Verteidigungsminister in der Trump-Administration. Was er sagte, wurde auf zahlreichen NATO-Konferenzen und in NATO-Papieren verbreitet. In einem Papier, das Stefano Marcuzzi am NATO Foundation Defense College vorstellte, hieß es, in der hybriden Kriegsführung finde „der Kampf überall statt, oft sogar gleichzeitig… Er untergräbt die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten… Auch die allgegenwärtigen und manipulierten Medien können die Entwicklung eines Konflikts beeinflussen,“ da es notwendig sei, „den Sieg im Informationsraum“ zu erringen.
Damit kommen wir zur hybriden Kriegsführung der NATO, wie sie mit Hilfe der Regierung Selenskij in der Ukraine umgesetzt wird.
Eine Reihe von offiziellen Stellen wurde formal von der ukrainischen Regierung und dem Privatsektor gegründet, angeblich um dem Einfluß der russischen hybriden Kriegsführung entgegenzuwirken. In Wirklichkeit wurden diese Operationen von Anfang an von Mitarbeitern der NATO, des US-Außenministeriums, der CIA und Großbritanniens finanziert und geleitet, um Rußland zu schwächen und möglicherweise einen Regimewechsel herbeizuführen – wie im Februar 2014 in der Ukraine geschehen. Diese Stellen wurden gegründet, um die Opposition gegen die ukrainische Diktatur nach dem Maidan-Putsch zu identifizieren, einzuschüchtern, zum Schweigen zu bringen und gezielt zu „liquidieren“, wie diese Operationen genannt werden.
Es begann mit der Gründung von „Stop Fake“, einer von ukrainischen Neonazis ins Leben gerufenen Organisation, um die wahren Hintergründe des Putsches auf dem Maidan zu verschleiern: die Rolle der Nazis, der Banderisten, die mit Victoria Nuland vom US-Außenministerium, der CIA und George Soros zusammenarbeiteten, um die gewählte Regierung von Viktor Janukowitsch zu stürzen. Dies wurde zum Vorbild für den sogeannten“Faktencheck“, ein allgegenwärtiges Instrument zur Zensur unbequemer Wahrheiten.
Dann wurde das Zentrum Myrotvoretz („Friedensstifter“) gegründet, das eine Feindesliste erstellte, die zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr als 4.500 Journalisten und Aktivisten umfaßte. Einige von ihnen wurden getötet, andere ins Exil getrieben. Eine prominente russische Aktivistin, Daria Dugina, Tochter des russischen Philosophen Alexander Dugin, wurde im August 2022 durch eine Autobombe getötet. Ihr Foto auf der Myrotvoretz-Liste wurde anschließend quer mit einem roten Schriftzug „liquidiert“ versehen.
Darüber hinaus dienten diese Listen dazu, oppositionelle Medien und politische Parteien in der Ukraine verbieten und den Weg für die Annullierung der verfassungsmäßig vorgeschriebenen Wahl des Präsidenten zu ebnen, so daß Selenskij illegal im Amt bleiben konnte. So viel zur regelbasierten Ordnung!

„Es gibt keine Nazis in der Ukraine“

Myrotvoretz wurde im März 2021 durch das „Zentrum zur Bekämpfung von Desinformation“ (CCD) ergänzt, das unter der Leitung des großen Demokraten Selenskij eingerichtet wurde und von seinem Büro aus betrieben wird. Im Juli 2022 veröffentlichte das CCD eine „Abschußliste“, auf der zahlreiche Mitglieder des Schiller-Instituts und Personen, die auf Konferenzen des Schiller-Instituts gesprochen hatten, aufgeführt waren. Das CCD bezeichnete sie als „Informationsterroristen“, die verfolgt und bestraft werden müßten. Ganz oben auf der Liste stand Helga Zepp-LaRouche, die Gründerin und Vorsitzende des Schiller-Instituts, und eine Reihe von Amerikanern, die sich gegen die Unterstützung der USA für den Stellvertreterkrieg in der Ukraine aussprechen, darunter Ray McGovern, Scott Ritter, US-Senator Rand Paul, die US-Senatskandidatin Diane Sare – und ich!
Dem CCD gesellten sich noch Molfar OSINT (Open Source Intelligence) und TEXTY hinzu. Auch diese Agenturen werden unter dem Deckmantel der Verteidigung der Ukraine gegen die hybride Kriegsführung Russlands von westlichen Geheimdiensten finanziert. Das erste Kiev International Cyber Resilience Forum 2024 wurde zum Beispiel offen vom US-Außenministerium finanziert. Im April 2024 besuchte ein CCD-Team deutsche Sicherheitsbeamte in Berlin und forderte Maßnahmen gegen eine „groß angelegte russische Desinformationskampagne in Deutschland“. Zu den Zielen, die sie identifizierten, gehörte das Schiller-Institut als „Plattform zur Förderung russischer Narrative“, und das zu einer Zeit, in der Verteidigungsminister Pistorius Deutschland drängte, „kriegstüchtig“ zu werden.
Molfar nennt als seine ausländischen „Partner“ das Royal United Services Institute, Großbritanniens älteste militärische Denkfabrik, die U.S. Agency for International Development, die sich mit der Organisation von Farbrevolutionen und Regimewechseln beschäftigt, und die European Endowment for Democracy. Zu seinen Abnehmern gehören große Presseorgane wie die Times of London, Reuters, die Financial Times, der Economist, das Wall Street Journal, PBS und CNN. Molfar feiert das Nazi-Batallion Asow als „Helden“ und beschuldigt jeden, der sie als „Neonazis“ bezeichnet, als „russische Propagandisten“.
Zu den „Lehren“, die von diesen Netzwerken verbreitet werden, gehören:

1. Jeder und jede Kommunikation muß überwacht werden;
6. „Strafmaßnahmen sind ein Muß“. Um Desinformation zu bekämpfen, müssen Anstrengungen unternommen werden, „um ihre Aktivitäten zu bestrafen und abzuschrecken“,
10. „Der Westen sollte tun, was die Ukraine tut.“

Zu den Institutionen, die den Einsatz hybrider Kriegsführung fordern, gehört auch der Atlantic Council, der von amerikanischen und britischen Regierungsstellen und Unternehmen des militärisch-industriellen-finanziellen Komplexes finanziert wird. Zu den Ablegern des Atlantic Council gehört das Digital Forensic Research Laboratory, das hyperaktiv – und gut finanziert – die Gegner dieser Kriegsmaschinerie verfolgt.
Schließlich gibt es noch die akademische Seite dessen, was Ray McGovern das MICIMATT nennt.
Die Beasley School of Law an der Temple University ist „Teil der ehrgeizigen Vision von Präsident Selenskij: Er sieht dieses Zentrum [das CCD] als wichtigen Knotenpunkt für die Strategie und die Ressourcen der Desinformationsbekämpfung, nicht nur im Inland, sondern auch international.“3

CIA finanziert die Postwahrheit-Ära

Ich lasse Sie mit der Frage zurück: Werden Sie für die Wahrheit eintreten, wie es in der bewegenden Metapher des Dichters John Keats heißt? Oder werden Sie sich der Subversion unterwerfen, die der satanische Bertrand Russell fordert? Russells Forderung nach einer Massen-Gehirnwäsche der Bevölkerung wurde vom Kongreß für Kulturelle Freiheit (CCF) aufgegriffen, in dessen Vorstand er saß. Der CCF war ein Vorläufer des heutigen CCD. Er wurde 1950 als Instrument britischer Geopolitik gegründet, um die USA als militärischen Vollstrecker des Imperiums, das damals von der City of London aus regiert wurde, einzubinden. Auf dem Gründungskongreß sagte einer der Initiatoren, Nicolas Nabokow: „Mit diesem Kongreß müssen wir eine Kriegsorganisation aufbauen“. Das US-Außenministerium stellte die Mittel für die Berliner Konferenz zur Verfügung, und die CIA war über ihr Office of Policy Coordination unter Allen Dulles‘ Vertrautem Frank Wisner die treibende Kraft. Sie wurde gegründet, um Schriftsteller und Künstler zu rekrutieren, die in den ersten Tagen des Kalten Krieges sowjetische Friedensinitiativen bekämpfen sollten. Nach Verabschiedung des „Manifestes der Freiheit“ rief Arthur Koestler aus: „Freunde, die Freiheit hat die Offensive ergriffen!“. Ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums, General John Magruder, beschrieb den CCF als „subtile Geheimoperation auf höchstem intellektuellen Niveau“, als „unkonventionelle Kriegsführung vom Feinsten“.
Der CCF wurde kurz nach der Gründung der NATO im April 1949 als parallele Operation gegründet, um den Kalten Krieg gegen den Verbündeten der USA aus dem Zweiten Weltkrieg, die Sowjetunion, zu rechtfertigen. Der erste Chef der NATO, Lord Ismay, erklärte, der Zweck der NATO sei es, „die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten“. Das ist auch heute noch ihre Absicht, wobei die hybride Kriegsführung ein wichtiges Mittel zur Erreichung dieses Ziels ist.

  • Sophie Tanapura, Maestra Sopranistin, Gründerin der Metropolitan Opera of Bangkok (Thailand) 

Rede im Wortlaut lesen

Botschafterin klassischer Musik in Thailand

Von Sophie Tanapura

Sophie Tanapura ist ausgebildete Sopranistin und Gründerin der Metropolitan Opera of Bangkok. Im vierten Abschnitt der Internetkonferenz des Schiller-Instituts am 16. Juni 2024 sagte sie folgendes.

Hallo zusammen. Viele von uns haben sich seit etwa 20 Jahren nicht mehr gesehen. Ich freue mich sehr, daß Mike [Billington] mich kontaktiert hat und mich gebeten hat, zu sprechen, auch wenn ich nur nüchtern über einige Dinge berichten werde, die ich in Thailand getan habe, seit ich Europa verlassen habe. Es ist wirklich eine Ehre und ein Vergnügen, alte Freunde wiederzutreffen. Ich werde einfach darüber sprechen, was ich mit Musik gemacht habe, seit ich Europa verlassen habe. Ich bin damit immer noch aktiv.

Lassen Sie mich es so sagen: Ich hege eine große Leidenschaft für die klassische Musik, so sehr, daß ich eine Ausbildung als Sopranistin absolvierte. Das hat in meinem Leben viel verändert. Ich habe dem Schiller-Institut viel zu verdanken, denn es hat mich nicht nur mit Gesangslehrern wie dem mexikanischen Baß José Briano und der deutschen Altistin Gertrude Pitzinger bekannt gemacht, sondern vor allem mit Schillers Schriften, die uns heute durch schwierige Zeiten helfen, wie [Die Gesetzgebung des] Solon und Lycurgus – das ist auf jeden Fall heute relevant – Don Carlos und Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Das sind „bibelähnliche“ Schriften, auf die mein Mann und ich uns ständig beziehen.

Diese Werke haben mich dazu inspiriert, meine bescheidenen Kenntnisse und Einblicke in die humanistische Weltanschauung mit anderen hier in Thailand und in den Nachbarländern zu teilen.

Wie mache ich das? Nach meiner Rückkehr nach Thailand 1985 – ja, so lange ist das her – gründete ich mit Musiklehrern und ernsthaften Amateuren das Ibycus Chamber Ensemble, das ich nach Schillers Gedicht Die Kraniche des Ibykus benannte. Aus dem Ensemble wurde das Ibycus Chamber Orchestra, das ich acht Jahre lang leiten konnte. Ich erzähle Ihnen diese Geschichte, damit Sie wissen, was ich getan habe, tue und weiter tun werde.

Ich konnte es acht Jahre lang leiten und mit europäischen Dirigenten und Solisten wie Hans Günter Mommer, Christoph Poppen, Lukas David und Hans Stadlmair zusammenarbeiten. In diesen Jahrzehnten haben wir monatliche Konzerte in Bangkok, Chiang Mai und Phuket gegeben. Gelegentlich sang ich in kleineren Kammermusikbesetzungen, und wir unternahmen Konzertreisen nach Singapur, Kambodscha und Vietnam. In Vietnam sang ich im Opernhaus von Hanoi Mozarts Exsultate Jubilate unter der Leitung des japanischen Dirigenten Maestro Yoshikazu Fukumura. Das war im Jahr 1999.

Bei einer anderen Gelegenheit hatte ich als Gast des indischen Konsuls für kulturelle Beziehungen die Gelegenheit, Kammerorchester, Tanzgruppen und Chöre in Neu-Delhi, Bengaluru und Mumbai zu besuchen. Auf dieser Reise konnte ich den Tenören eines Chores helfen, leichter und schöner in die Kopfstimme zu kommen. Das war eine Freude für alle.

Um die Jahrtausendwende stellte die Stadt Bangkok für einen weiteren kurzen Zeitraum von fünf Jahren ein beträchtliches Budget für die Ibycus-Gruppe zur Verfügung, um klassische Instrumente und Gesang zu unterrichten. Am Ende dieses Zeitraums hatte ich eine Gruppe junger Solisten beisammen, und mit dieser Gruppe gingen wir den nächsten Schritt, nämlich die Gründung der Metropolitan Opera of Bangkok. Wir führten gekürzte Versionen von Carl Maria von Webers Der Freischütz, Johann Strauß‘ Die Fledermaus, Mozarts Nozze di Figaro (Die Hochzeit des Figaro) und Glucks Orpheus und Eurydike auf. Auch wenn sich die Dinge im Laufe der Jahre weiterentwickelt haben, hat die Aufführung dieser kleinen Opernperlen in Bangkok die höhere Gesellschaft zum Nachdenken angeregt und ihr eine andere als die gewohnte Sichtweise vermittelt.

Aber die Arbeit an der kulturellen Entwicklung ist nicht immer einfach. Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen, die wir erlebt haben. Eine Zeitlang hat der Direktor der Japan Foundation unser Ibycus Chamber Orchestra unterstützt. Eines Tages fragte er mich, was er tun könne, um zu helfen, bevor er seinen Posten in Thailand aufgeben müsse. Ich antwortete: „Nun, Sie könnten Orchesterinstrumente für die Fakultät für dramatische Künste an der Thammasat-Universität [in Bangkok] zur Verfügung stellen.“ Die Fakultät wollte ein Musikprogramm einrichten, um eines Tages Musicals zu produzieren. Eine Lieferung dieser Instrumente traf einige Monate später ein, um ein Orchester zu gründen. Doch ein prominentes Mitglied des Kronrates setzte sich durch und teilte der Fakultät für dramatische Künste mit, daß er nun selbst das Orchesterprojekt übernehmen würde. Ja, das Orchesterprojekt wurde buchstäblich gekapert. Wer hätte gedacht, daß sich jemand von meiner kulturellen Arbeit so bedroht fühlt?

In all den Jahren, die ich hier bin, habe ich viele solcher Geschichten erlebt. Vor sieben Jahren habe ich ein französisch-italienisches Restaurant namens Vinifera eröffnet. In diesem Restaurant in Bangkok kann man deutsche Lieder, französische Mélodies, italienische Canzonettas und Opernarien hören. Ich habe es zu einer Oase des Humanismus mitten in Bangkok gemacht. Auch in diesen schwierigen Zeiten bieten wir im Restaurant weiter klassische Musik live an.

Heute, im Alter von 74 Jahren, singe ich immer noch in Konzerten. Meine Gesundheit ist immer noch sehr gut, so daß ich weiterhin meine Kunst ausüben kann. Mein japanischer Klavierbegleiter ist erstaunt, daß ich in meiner Kunst immer noch Fortschritte mache, und ich hoffe, daß Sie alle die gleiche Gesundheit, Energie und Freude haben, das zu tun, was Sie lieben.

Ich unterrichte auch immer noch Gesang, und mein jüngster Schüler ist ein vielversprechender junger 20-jähriger thailändisch-ukrainischer Tenor.

In diesem Sinne möchte ich Sie bitten, mit mir gemeinsam die Menschheit fest an die Hand zu nehmen und mit Franz Schuberts Frühlingsglaube einer Goldenen Renaissance entgegenzugehen. Nach einem sehr harten Winter, den wir gerade durchmachen, wird es immer wieder Frühling geben. Das ist ein Lied, das ich immer wieder gerne singe, auch wenn es auf Deutsch ist und hier in Bangkok kaum jemand Deutsch versteht. Aber ich werde es immer wieder erklären und versuchen, die Menschen zu inspirieren, daß ein Frühling kommt. Das war’s für heute.

  • Karel Vereycken, Maler-Graveur, Kunsthistoriker, Schiller-Institut, Frankreich: „Zusammenarbeit für das kulturelle Erbe der Welt: ein wichtiger Schlüssel für den Weltfrieden“ (Frankreich)

Im Wortlaut lesen

Zusammenarbeit für das kulturelle Erbe der Welt:
Ein wichtiger Schlüssel für den Weltfrieden

Karel Vereycken, Maler-Graveur, Kunsthistoriker, Schiller-Institut-Frankreich

Bevor wir über das Weltkulturerbe sprechen, zwei Worte zu den Begriffen „Sympathie“, „Empathie“ und „Mitgefühl“, drei Worte, die sich aus dem Wort „Pathos“, dem griechischen Wort für „Leiden“ oder „Zuneigung“, zusammensetzen.

Heute wird das Wort „Empathie“ oft austauschbar mit den Wörtern „Sympathie“ und „Mitgefühl“ verwendet, aber sie sind nicht wirklich dasselbe. Alle drei beziehen sich auf eine fürsorgliche Reaktion auf die Notlage eines anderen Menschen (Pathos).

–Sympathie ist ein Gefühl der aufrichtigen Anteilnahme an den Gefühlen von jemandem, der etwas Schwieriges oder Schmerzliches erlebt (Pathos).

–Empathie ist ein Wort, das im frühen 20. Jahrhundert als Übersetzung des deutschen Wortes Einfühlung geprägt wurde und bedeutet, mit den Menschen zu fühlen, nicht nur für sie zu fühlen. Wenn man einfühlsam ist, ist man ganz bei ihnen und fühlt mit, denn man versetzt sich gewissermaßen „in die Schuhe der anderen Person“.

–Mitgefühl geht natürlich über Empathie hinaus und bedeutet Handeln. Mitgefühl geht einher mit Altruismus oder „dem Wunsch, für diese Person zu handeln“. Einfach ausgedrückt: Man kan sich in die Situation eines anderen hineinversetzen und möchte ihm helfen.

Aber Empathie ist besonders wichtig für unser Thema hier, die „Friedensstiftung“, denn sie kann eine Brücke zwischen Menschen bauen, die sich gegenseitig als „Feinde“ betrachten. Wir können Empathie für Personen zeigen, die wir überhaupt nicht für sympathisch halten. Wir teilen ihre Gefühle nicht, aber wir gehen über bloße Zuneigung hinaus und engagieren uns in dem, was man „kognitive Empathie“ nennt: Wir wissen genug über den Hintergrund und die Kultur der anderen Person, um ihre Beweggründe zu verstehen. Als Nebenprodukt kann uns Empathie helfen, zu vergeben und zu verzeihen, wie es der Westfälische Friede verlangt.

Wenn wir heute den Frieden Wirklichkeit werden lassen wollen, müssen wir uns mobilisieren, um das Niveau der Empathie zu erhöhen. Die Empathie ist einem massiven Angriff ausgesetzt:

– durch die Förderung des brutalen Wettbewerbs (deshalb ist professioneller Sport erlaubt)
– eine Kultur der Bildschirme und
– den Abbau des Dialogs von Mensch zu Mensch.

Nach den blutigen Kriegen zwischen Frankreich und Deutschland gab es in Europa eine Kampagne zur Stärkung der Empathie, als in Frankreich das Goethe-Institut und in Deutschland die Alliance Française gegründet wurden. Es gab auch eine Bewegung der „Schwester“-Städte, die es Menschen aus einem Dorf ermöglichte, ein „Schwester“-Dorf im anderen Land zu besuchen. Sie unterhielten sich, lachten über ihre Vorurteile und feierten gemeinsam, führten einen persönlichen Dialog und lernten, in den Gesichtern die Gefühle zu lesen, die „hinter“ den Worten standen.

Das Wissen, das man sich über die Kultur, die Sprache und die Geschichte des jeweils anderen aneignen kann, ist natürlich ein grundlegendes Hilfsmittel, um diese „kognitive Empathie“ zu entwickeln, die es Ihnen ermöglicht, Personen als „Produkte“ einer Geschichte, einer Kultur und einer Zivilisation zu sehen und nicht als atomisierte kleine Einheiten.

Nachdem ich zum Beispiel die Philosophie des Mutazalismus des Bagdader Abassiden-Kalifats entdeckt hatte, änderte sich meine gesamte Sicht auf den Islam. Ich weiß genau, was mit ihrer Zivilisation geschehen ist, ihre Frustrationen und Hoffnungen.

Heute engagiert sich China stark für den Schutz des vorislamischen Kulturerbes in Afghanistan und anderen Ländern Zentralasiens. Es ist in seinem eigenen Interesse. Ein führender chinesischer Archäologe, den ich traf, sagte zu Recht, dass die Schönheit und intellektuelle Herausforderung dieser Kunst „der beste Weg ist, den Terrorismus zu bekämpfen.“ Nicht Waffen und Drohnen, sondern Kultur!

In Afghanistan trafen sich die Akteure der Seidenstraße, als die griechische Kultur in Richtung Osten und die chinesische Kultur in Richtung Westen wanderte.

Die Buddhisten, die sich in diesem Gebiet ausbreiteten, waren sowohl auf der maritimen als auch auf der terrestrischen Seidenstraße sehr aktiv und reichten bis nach Pakistan, Indien, Sri Lanka, Xinjiang und China. Sie widmeten der Metallurgie, Architektur, Malerei, Bildhauerei, Poesie und Literatur große Aufmerksamkeit. Der erste heute bekannte gedruckte Text ist ein buddhistischer Text aus dem Jahr 868 nach Christus.

Hinzu kommt die Geburt einer sehr agapischen Form des Mahayana-Buddhismus in der Region Gandhara (heute hauptsächlich in Pakistan). Seine Anhänger verfolgten nicht das rein persönliche Ziel des Nirwana (Erleuchtung), sondern freuten sich, die gesamte Menschheit vom Leiden zu befreien!

Einfühlungsvermögen, Mitgefühl und Barmherzigkeit waren die höchsten Qualitäten, die in der Gandhara-Kunst verherrlicht wurden, vor allem in Form der sogenannten Bodhisattvas, d.h. gewöhnlicher Menschen, die eigentlich erleuchtet werden sollten, sich aber stattdessen dafür entschieden, in dieser Welt zu bleiben, um das Leiden aller Wesen zu lindern und anderen zu helfen, Erleuchtung zu erlangen.

Zwei Beispiele:

BILD 1


„Boddisattva des unendlichen Mitgefühls“, 1250, Song-Dynastie.

BILD 2


„Denkender Bodhisattva“, Hadda, Gandhara, Afghanistan.

Derjenige, der verstand, dass diese revolutionäre Form des Buddhismus die Region befrieden konnte, war der indische Premierminister Nehru, der seine Tochter Indira Priyadashini (die spätere Premierministerin Indira Gandhi) nannte, denn „Priyadarshi“ war der Name, den der große Kaiser Ashoka der Große (304 – 232 v. Chr.) annahm, nachdem er konvertiert und ein buddhistischer Friedensfürst geworden war!

1956, kurz vor der Gründung der Bewegung der Blockfreien und der Konferenz von Bandung, veranstaltete Nehru ein einjähriges Fest zu Ehren von „2.500 Jahren Buddhismus“, nicht um einen alten Glauben wieder aufleben zu lassen, sondern um für Indien den Status als Geburtsort des Buddhismus zu beanspruchen: ein alter Glaube, der Gewaltlosigkeit und Pazifismus befürwortet und der dazu aufruft, das schändliche „Kastensystem“ zu beenden, das die Briten verschlimmert hatten und weltweit aufrechterhalten wollten.

Mes Aynak

Heute arbeiten wir vom Schiller-Institut zusammen mit dem Ibn Sina Research & Development Center in Kabul an der Rettung der archäologischen Stätte von Mes Aynak, die wir von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklären lassen wollen.

Mes Aynak ist das zweitgrößte Kupfervorkommen der Welt, und Afghanistan braucht den Bergbau, um Einnahmen für den dringenden Wiederaufbau des Landes zu erzielen. Aber über der Mine stehen die Ruinen eines riesigen buddhistischen Klosterkomplexes, der zwischen dem 1. und 8. Jahrhundert ein wichtiger Handelsposten an der Seidenstraße war.

Nach unserer Kampagne und vielen Gesprächen zwischen der afghanischen Regierung, China und dem chinesischen Bergbauunternehmen haben sich alle Beteiligten darauf geeinigt, dass das gesamte kulturelle Erbe an der Oberfläche geschützt wird und der Abbau nur mit unterirdischen Techniken erfolgen wird.

Wir haben einen Kampf gewonnen, jetzt müssen wir den Frieden gewinnen.

Vollständige Studie:
https://artkarel.com/the-miracle-of-gandhara-when-buddha-turned-himself-into-man/


Die Zeichen stehen auf Sturm! Der Versuch des kollektiven Westens, nach dem Ende des Kalten Krieges die globale Dominanz des neoliberalen Systems durchzusetzen, ist krachend gescheitert. Die Mehrheit der Staaten war keineswegs bereit, das „Ende der Geschichte“ zu akzeptieren, das Francis Fukuyama vorschnell verkündet hatte und das von den Ländern des Globalen Südens lediglich als eine Fortsetzung der kolonialistischen Politik empfunden wurde. Die Mittel, mit denen versucht wurde, die unipolare Weltordnung zu zementieren – von Farbrevolutionen, Interventionskriegen oder auf Regime-Wechsel abzielende unilaterale Sanktionen bis zur Instrumentalisierung des Dollars – hatten einen enormen Bumerang-Effekt. Anstatt westliche neoliberale Werte zu akzeptieren, wandten sich die Nationen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas ihren eigenen kulturellen Traditionen zu und sind jetzt dabei – unterstützt durch den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas -, ein eigenes Wirtschaftssystem zu schaffen, das auf Souveränität und Gleichheit aufgebaut ist.

Aber statt die Anstrengungen des Globalen Südens, der längst zur Globalen Mehrheit geworden ist, darin zu unterstützen, Armut und Unterentwicklung durch einen industriellen Aufbau zu überwinden, der auch die Flüchtlingskrise auf die einzig humane Weise lösen würde, versteift sich der sogenannte kollektive Westen auf die „Narrative“, es gehe um den Kampf zwischen den „Demokratien“ und den „autoritären Diktaturen“, Rußland führe einen „unprovozierten Angriffskrieg“ gegen die Ukraine und Israel übe in Gaza nur sein „Recht auf Selbstverteidigung“ aus. Um diese „Narrative“ zu verteidigen, werden verfassungsmäßige Rechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Verbot von Zensur und das Recht auf Versammlungsfreiheit ausgehebelt.

Es macht fassungslos zu sehen, wie absolut unfähig das Establishment des kollektiven Westens ist, das Scheitern seiner Politik zu erkennen und die nötigen Korrekturen vorzunehmen! Nach mehr als einem Dutzend Sanktionspaketen ist Rußland nicht „ruiniert“, sondern die europäische Wirtschaft kollabiert, allen voran Deutschland! Nach immer machtvolleren Waffenlieferungen, die den Westen längst an oder sogar über die Grenze gebracht haben, selbst Kriegspartei zu sein, ist klar, daß die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann. Rußland hat nun zum ersten Mal Militärmanöver mit seinen taktischen Atomwaffen durchgeführt, als Reaktion auf Macrons Drohung, NATO-Truppen in die Ukraine zu schicken, und auf Camerons und Blinkens Empfehlung, die Ukraine könne vom Westen geliefert Raketen nutzen, um Rußland anzugreifen. Nachdem der Westen acht Monate lang den Kriegsverbrechen in Gaza zugesehen hat, haben jetzt die Urteile des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs eingegriffen, weil es offensichtlich einigen Kräften klargeworden ist, daß die bisher tolerierte Doppelmoral dabei war, die gesamte Legitimität der internationalen Ordnung zu zertrümmern.

Wir stehen heute am Rand der potentiell größten Katastrophe in der Geschichte der Menschheit. Wenn wir die geopolitische Konfrontation des Westens gegen Rußland und China nicht überwinden, droht auf sehr kurzem Weg die Eskalation zu einem neuen Weltkrieg, bei dem der sichere Einsatz von thermonuklearen Waffen einen nuklearen Winter und die Auslöschung der menschlichen Gattung zur Folge haben würde.

In der tektonischen Verschiebung, die die absolute Entschlossenheit der Nationen des Globalen Südens, ihr Recht auf souveräne Entwicklung durchzusetzen, bewirkt, liegt aber zugleich eine monumentale Chance, die Krise zu überwinden. Erst einmal müssen wir dafür sorgen, daß die Menschen in Europa und den USA überhaupt lernen, was der neue „Geist von Bandung“ ist, der die Nationen des Globalen Südens inspiriert, und dann müssen wir die immensen Chancen aufzeigen, die darin liegen, mit diesen Staaten bei ihrer Entwicklung zu kooperieren.

Das nächste halbe Jahr wird für die weitere Existenz der Menschheit von größter Bedeutung sein: NATO- und SCO-Gipfel in Juli, der BRICS-Gipfel in Rußland im Oktober, die US-Präsidentschaftswahl im November. In dieser Zeit muß es uns gelingen, das Konzept einer neuen globalen Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur, die die Interessen aller Nationen auf dem Planeten berücksichtigt, auf die internationale Agenda zu setzen, wenn wir eine extreme Polarisierung bis hin zum völligen Zerfall der Weltordnung in zwei völlig getrennte und unbewegliche Blöcke vermeiden wollen.

Die kommende Konferenz des Schiller-Instituts wird daher Redner und Kräfte zusammenbringen, die in der Absicht vereint sind, einen Weg aus der Krise aufzuzeigen, indem sie ein neues Paradigma für die nächste Ära in der Entwicklung der Menschheit präsentieren.


Bitte lesen und verbreiten Sie die Schiller-Institut/EIR Presseerklärung Warnstufe Rot: Ukrainischer Angriff auf russisches Frühwarnradar droht einen nuklearen Weltkrieg auszulösen. Und sehen Sie sich die Eil-Pressekonferenz „Die Gefahr eines Atomkrieges ist real und muss gestoppt werden“ vom 12. Juni 2024 in Washington DC auf deutsch an.

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